Migrationspartnerschaften: problematischer Ansatz

Migrationspartnerschaften
2.5.2011
Politischer Artikel
Wenn Einwanderungsländer «unerwünschte» MigrantInnen rückführen wollen, sind sie auf die Kooperationsbereitschaft der Auswanderungsländer angewiesen. Für ihr Wollwollen bei «Rückübernahmen» erhalten arme Länder «Migrationspartnerschaften» angeboten.

Solche Partnerschaften sollen eine Win-win-Situation schaffen und beiden Seiten etwas bringen. Rhetorisch und aussenpolitisch sind die Partnerschaften ein Fortschritt. Ein tatsächlicher Gewinn für beide Seiten ist in der Praxis aber schwierig herzustellen, und ob auch die betroffenen Menschen in eine Win-win-win-Formel einbezogen werden, ist äusserst fraglich.

Das Partnerschaftsvokabular überrascht in einem Bereich, in dem Volksparteiler Europas und der Schweiz unflätiges, alarmierendes Reden pflegen. Wie bei keinem Thema sonst klafft die Migrationsdiskussion international und national weit auseinander. National beherrscht die Abwehr «unerwünschter» Einwanderung die politische Agenda. International heben Regierungen von Ein- und Auswanderungsländern unisono die Chancen und Potentiale der Migration hervor. Hier wird Migration seit zehn Jahren als Hebel zur Entwicklung armer Länder und als wirtschaftliche Notwendigkeit für reiche Gesellschaften behandelt.

Welche Art von Partnerschaft?

Die Schweiz ist wie viele reiche Länder ein Einwanderungsland. Zugelassen sind Menschen aus der Europäischen Union (Freizügigkeitsabkommen). Aus der übrigen Welt dürfen nur Führungskräfte, Spezialistinnen und qualifizierte Arbeitskräfte einwandern (AuG, Art. 23). Gesucht und mit Steuersubventionen angelockt werden zudem Superreiche aus allen Kontinenten, die sich über ihre Konten qualifizieren. Vergleichbare Einwanderungsregeln kennen die EU und, was die Bevorzugung der Hochqualifizierten betrifft, auch die USA.

Alle anderen Menschen aus Nicht-EU-Europa, Asien, Afrika und Lateinamerika sind von regulärer Einwanderung ausgeschlossen. Also genau die, die den grössten Anreiz oder Druck auszuwandern haben. Nicht nur sind die Unterschiede an Lebenschancen zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern krass. In den Entwicklungsländern findet auch das Gros erzwungener Wanderungsbewegungen statt (durch bewaffnete Konflikte, die Folgen der Klimaerwärmung etc.). Der Grossteil afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Migrantinnen und Migranten wandert in benachbarte, etwas reichere oder friedlichere Entwicklungsländer aus. Nur ein kleiner Teil schafft es nach Europa und Nordamerika. Das sind die «irregulären» Einwanderer. In der Schweiz abgewiesene Asylsuchende, die kein vorübergehendes Bleiberecht erhalten, und Sans-Papiers, die sich, oft regulär eingereist, ohne Aufenthaltserlaubnis niederlassen und schwarz arbeiten.

Innenpolitisch dominieren Kräfte in Europa, welche die irreguläre Einwanderung ganz unterbinden bzw. alle Irregulären ausschaffen wollen. Die Schweiz sammelte ihre ersten Rückführungserfahrungen im grossen Massstab mit Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien. Nach Kriegsende waren viele bereit, mehr oder minder freiwillig zurückzukehren. Die Schweiz half (und hilft) dabei mit Rückkehrhilfen und Strukturprogrammen in den Herkunftsregionen. Die Balkanstaaten schlossen zudem mit der Schweiz (und anderen europäischen Staaten) Rückübernahmeabkommen ab. Die Schweiz hoffte, diese Erfahrung auf andere, insbesondere auch afrikanische Länder ausdehnen zu können. Diese waren jedoch der Ansicht, solche Abkommen dienten einseitig nur schweizerischen Interessen. Ohne ihre Kooperation waren Rückführungen jedoch stark erschwert.

Neues Instrument zum «Interessenausgleich»

Vor zehn Jahren suchten deshalb unsere Politiker nach Hebeln, mit denen Rückübernahmen erzwungen werden könnten. Der Bundesrat beauftragte 2003 die Interdepartementale Arbeitsgruppe Migration (IDAG), die Frage zu prüfen. Parlamentarische Vorstösse und eine aargauische Standesinitiative verlangten zur gleichen Zeit, die Gewährung von Entwicklungshilfe an Rückübernahmeabkommen zu binden. Das war ein schwacher Hebel, den die betreffenden Politiker ohne Kenntnis der schweizerischen Entwicklungshilfe in Diskussion gebracht hatten. Denn die irreguläre Einwanderung aus den Schwerpunktländern der Schweizer Hilfe fällt nicht ins Gewicht. Und die Länder, aus denen viele kommen, erhalten keine.

Die IDAG kam deshalb 2004 zum Schluss, die Schweiz habe nicht die Machtmittel, ihre Interessen einseitig durchzusetzen. Gleichzeitig sei künftig mit einer Zunahme irregulärer Einwanderung aus Afrika zu rechnen. Um weiterzukommen, müsse man den betreffenden Ländern einen «Interessensausgleich» anbieten: «Längerfristiges Ziel der Schweiz muss es sein, mit den Herkunfts- und Transitstaaten [...] Migrationspartnerschaften zu etablieren. Migrationspartnerschaften streben nach einem ausgewogenen und fairen Interessensausgleich.» (Schlussbericht, 13) Solche Partnerschaften wurden schliesslich im Ausländergesetz (Art. 100) verankert. Dabei kann der Bundesrat «Leistungen und Vorteile gewähren oder vorenthalten».

Was ein Partnerschaftsabkommen ausmacht, wurde bewusst offen gelassen. Die Schweiz will Rückübernahmen und Massnahmen gegen künftige irreguläre Migration vereinbaren. Sie ist im Gegenzug bereit, individuelle Rückkehrhilfen und Reintegrationsmassnahmen vor Ort zu finanzieren. Denkbar sind auch Zusammenarbeit mit und technische Aufrüstung der Grenzüberwachungsdienste des Partnerlandes, Rechtshilfen und Zusammenarbeit gegen Menschenschmuggel oder Sozialversicherungsabkommen.

In den bisher geführten Verhandlungen erfuhr die Bundesverwaltung, dass das, was sie zu bieten hat, nicht exakt den Wünschen und Interessen der Partner entspricht. An erster Stelle verlangen diese reguläre Einwanderungsmöglichkeiten in die Schweiz, also das, was die Ausländergesetzgebung versperrt. Hinzu kommen Begehren nach Zugang zum Ausbildungsbereich, Visumserleichterungen (es soll mal eine Leserin versuchen, einen afrikanischen Freund ohne Auslandkonten und hohen sozialen Rang in die Schweiz einzuladen), Unterstützung im Gesundheitsbereich und bei der Bewältigung der Probleme mit «intern Vertriebenen» (also den Konflikt- oder Klimaflüchtlingen, die es nicht über eine Grenze geschafft haben) oder konkrete materielle Hilfe im Infrastrukturbereich (Liechti, 55). In einzelnen dieser Bereiche, die nicht Einwanderungsfragen berühren, ist ein Entgegenkommen der Schweiz denkbar – ungeklärt bleibt jedoch, welches Departement dies aus welchem Budget bezahlen würde.

Migrationspartnerschaften gibt es heute mit Bosnien, Serbien und Nigeria. Mit andern Ländern sind Gespräche im Gang oder geplant: Algerien, Äthiopien, Kongo, Iran, Kamerun, Sri Lanka und, wenn auch ohne Erfolgshoffnungen, mit Eritrea und Guinea-Conakry. Der Formalisierungsgrad der Partnerschaften ist gering: Möglich sind auch «unveröffentlichte memoranda of understanding, Arbeitsabsprachen oder Protokolle» (Panizzon, 929).

Überlegungen aus entwicklungspolitischer Sicht

Aus entwicklungspolitischer Sicht gibt es zu den Migrationspartnerschaften vier Punkte zu bedenken:

  1. Ein grosser Teil der Migration aus armen Ländern erfolgt aus Not. Sie würde stark zurückgehen, wenn sich den Menschen bessere wirtschaftliche Aussichten eröffneten und ihre Staaten die Menschen- und Minderheitenrechte besser respektierten. Das ist Allgemeinwissen und Ziel aller entwicklungspolitischen Deklarationen und Bemühungen. Der Weg dazu ist jedoch lang und rückschlaggefährdet. Bis es soweit ist, werden wir Menschen aus diesen Ländern empfangen – regulär oder irregulär.

  2. Dass es keine reguläre Einwanderung für Menschen aus Entwicklungsländern gibt, ist die Achillesferse der Migrationspartnerschaften. Vor allem das Aussendepartement äussert deshalb immer wieder die Ansicht, die Schweiz müsse dies ändern. Die Hilfswerke von Alliance Sud verlangen in ihren entwicklungspolitischen Leitlinien, auch Migration aus armen Ländern auf legalem Weg zu ermöglichen.

  3. Die Zusammenarbeit mit Einwanderergruppen (Diaspora) der betreffenden Länder ist als Möglichkeit der Partnerschaften vorgesehen, bis jetzt jedoch zu wenig angepackt worden. In der neuen Migrationspartnerschaft mit Nigeria wurde im November 2010 eine solche mit der nigerianischen Diaspora vereinbart, aber noch nicht konkretisiert. Damit die Migrationspartnerschaften nicht eine reine Verwaltungsangelegenheit zwischen Regierungen bleiben, müssen die Betroffenen viel stärker einbezogen werden.

  4. Die Migrationspartnerschaften und der internationale Aktivismus zum Migrationsproblem sind ein Versuch der Regierungen, die Zwangsjacke zu lockern, in der sie wegen der einwanderungsfeindlichen Strömungen ihrer Länder stecken. Dadurch, dass die Regierungen nun seit Jahren die irreguläre Migration dramatisierten, um die reguläre zu schützen, trugen sie jedoch selber zur Zwangsjacke bei. Wie die jüngste Erregung hierzulande über die kulturell verwandte, gleichsprachige, bestens qualifizierte und völlig reguläre Einwanderung aus Deutschland zeigt, ist die Einwanderung als solche Stein des Anstosses. Jede Empörung über irreguläre Einwanderung schwappt auch auf die reguläre über. Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, die Einwanderungsgesellschaft  politisch zu verteidigen und die Integrationsprobleme in Schule, Spracherwerb, Arbeitsplatz und nachbarschaftlichem Verkehr energisch anzupacken.

Peter Niggli, Geschäftsleiter Alliance Sud

Dieser Artikel erschien in terra cognita 18/2011, der Zeitschrift der Eidg. Kommission für Migrationsfragen