Am 14. September kündigte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) überraschend die Gründung einer Stiftung namens «Fund for Afghan People» in Genf an, die von den USA und der Schweiz unterstützt wird. Trotz des etwas irreführenden Namens handelt es sich um eine Stiftung nach Schweizer Recht zur Verwaltung von Auslandreserven der Zentralbank von Afghanistan (DAB) im Umfang von 3,5 Milliarden USD, die in den USA eingefroren waren. Als die Taliban im August 2021 Kabul zurückeroberten, blockierte Washington die 7 Milliarden USD der afghanischen Zentralbank, die in den USA gelagert sind. Grundlage dafür war ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz, das das Einfrieren von Geldern von Staaten ermöglicht, die den Terrorismus unterstützen. Die Hälfte davon wird für die Familien der Opfer des 11. Septembers zurückgehalten; ob diese Summe tatsächlich freigegeben wird, ist unklar. Solange die Beteiligung der Taliban am Anschlag nicht bewiesen ist, dürfte das Geld nicht verfügbar sein.
Bleiben also noch die 3,5 Milliarden, die langfristig an die DAB zurückerstattet werden müssen. Derzeit liegen sie auf einem Konto der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit Sitz in Basel. Die Stiftung bzw. der «Afghan Fund» beabsichtigt, die Gelder häppchenweise zurückzugeben. Ihr Zweck ist nicht die Finanzierung humanitärer Hilfe, sondern die Stärkung der makroökonomischen Stabilität Afghanistans, das Drucken neuer Banknoten, das Begleichen von Zahlungsrückständen oder die Finanzierung von Stromimporten. All dies soll es dem Land ermöglichen, seinen Sitz in den internationalen Finanzinstitutionen zu halten und somit humanitäre Hilfe zu erhalten.
Veto der USA möglich
Der Stiftungsrat besteht aus vier Personen: auf Schweizer Seite Botschafterin Alexandra Baumann, Leiterin der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit des EDA; auf afghanischer Seite zwei Wirtschaftswissenschaftler, Anwar-ul-Haq Ahady, ehemaliger Leiter der DAB und ehemaliger Finanzminister, und Shah Merhabi, Professor am Montgomery College; auf amerikanischer Seite ein Vertreter des Finanzministeriums, Andrew Baukol. Die Entscheidungen werden einstimmig getroffen; wenn eines der vier Mitglieder sich gegen einen Vorschlag ausspricht, geschieht nichts.
Doch die Zeit vergeht und bisher hat Afghanistan noch keinen Cent gesehen. Der Stiftungsrat hielt seine erste Sitzung am 21. November in Genf ab, wo er beschloss, eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu beauftragen und einen Exekutivsekretär einzustellen. Es wurden aber keine Auszahlungsbeschlüsse gefasst, und das ist in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten.
Dr. Merhabi, Professor für Wirtschaftswissenschaften, wird langsam ungeduldig. Er erklärte gegenüber der Online-Zeitung «In These Times», dass angesichts der katastrophalen Lage in Afghanistan dringend mindestens 100 Millionen US-Dollar pro Monat benötigt würden, um die Inflation einzudämmen, den Wechselkurs zu stabilisieren und die Importe zu bezahlen. Die USA verlangen jedoch äusserst strenge Garantien: Die DAB muss ihre Unabhängigkeit von politischen Instanzen nachweisen, angemessene Kontrollen gegen Geldwäscherei und Terrorismusbekämpfung durchsetzen und ein externes Audit durchführen.
Schweiz auf einer Linie mit den USA
Was ist die Haltung der Schweiz? Bei einem Treffen mit Alliance Sud im September hatte das EDA versichert, dass die Stiftung völlig transparent verwaltet werde. Vor kurzem bestätigte Alexandra Baumann, dass die Sitzungsprotokolle veröffentlicht werden sollen und dass eine Website im Aufbau sei.
In Bezug auf die Frage, ob der Fonds nicht damit beginnen sollte, das Geld zurückzuzahlen, schliesst sich die Botschafterin voll und ganz der offiziellen Position des Fonds an – und damit augenscheinlich jener der USA. «Der Stiftungsrat verfolgt den Stiftungszweck, der darin besteht, einen Teil der derzeit in den USA blockierten DAB-Gelder zu übernehmen, sie zu schützen, für die Zukunft zu bewahren und teilweise freizugeben. Das langfristige Ziel ist es, die nicht verwendeten Gelder an die DAB zu überweisen», so Baumann. Sie fügte hinzu, dass dies nur dann der Fall sein werde, wenn die DAB glaubhaft nachweisen könne, dass sie unabhängig sei und angemessene Kontrollen eingeführt habe. «Die Stiftung und ihr Stiftungsrat handeln unabhängig nach Schweizer Recht. Ich kann bestätigen, dass ich mich für die oben genannten Ziele einsetze», schloss Alexandra Baumann.
Moralisch fragwürdige Beschlagnahmung
Dennoch beginnt das Thema, die Gemüter der Zivilgesellschaft zu erhitzen. Norah Niland, Vorsitzende des Afghanistan-Task-Teams von United Against Inhumanity (UAI), einer internationalen Bewegung von Persönlichkeiten, die sich gegen Kriegsgräuel einsetzen, sagt: «Es ist sehr beunruhigend, dass der Afghanistan-Fonds untätig bleibt und anscheinend auch nicht daran interessiert ist, die DAB zu rekapitalisieren. Die DAB muss in der Lage sein zu funktionieren, um Liquiditätsprobleme zu lösen und beim Wiederaufbau der zusammengebrochenen Wirtschaft und des Bankensystems zu helfen. Wir stimmen Dr. Mehrabi zu, dass ein relativ kleiner monatlicher Betrag von beispielsweise 150 Mio. USD kontrolliert freigegeben werden sollte, da die Bank Bedenken hinsichtlich der Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung auszuräumen vermag.»
Die erfahrene humanitäre Helferin, die in Afghanistan gearbeitet hat, fügt hinzu, dass humanitäre Massnahmen, so wirksam sie auch sein mögen, kein Ersatz für eine funktionierende Wirtschaft sein können. Und dass die «unmoralische» Beschlagnahmung der afghanischen Auslandsreserven auch jene Afghanen und Afghaninnen kollektiv bestraft, die nicht für die Rückkehr der Taliban nach Kabul verantwortlich sind. «Die UAI zeigt sich sehr besorgt über die wachsende Armut, die Verschuldung, den Verlust von Lebensgrundlagen, den Hunger und den sehr harten Winter, die das Elend des afghanischen Volkes noch verschlimmern und es zu Anpassungsmassnahmen zwingen, die seine Lage weiter verschlechtern.»
Die Schweiz muss sich engagieren, um mit der Rückgabe der Gelder zu beginnen
Dieser Ansicht ist auch Unfreeze Afghanistan, eine internationale Kampagne von Frauen, die Präsident Joe Biden dazu auffordert, die in den USA blockierten afghanischen Gelder freizugeben. Für Alliance Sud ist der Versuch, zumindest einen Teil der Gelder «in Sicherheit» zu bringen, durchaus lobenswert. Allerdings nur dann, wenn sie im Interesse der afghanischen Bevölkerung verwendet werden können. Da die Bedingungen für eine Rückgabe jedoch fast unmöglich zu erfüllen sind – die DAB war nie unabhängig von der Staatsmacht, auch nicht vor der Übernahme durch die Taliban –, braucht es Flexibilität in den Verhandlungen mit der afghanischen Regierung. Alliance Sud fordert die Schweiz auf, sich mit der gebotenen Vorsicht für eine rasche Rückgabe von genügend Geld an Afghanistan einzusetzen, damit die Wirtschaft im Interesse der Bevölkerung wieder in Gang kommen kann.