Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor zwei Jahren rückte die Verschuldungsfrage wieder ins Zentrum entwicklungspolitischer Debatten. Dass sie eine der zentralen politischen Auseinandersetzungen in der Bekämpfung der globalen Ungleichheit darstellt, ist allerdings nichts Neues. Auch dass eine fundamentale Veränderung im politischen Umgang mit Staatsschulden nötig ist, um die Volkswirtschaften der Welt auf die Entwicklung ökologischerer, sozialerer und demokratischerer Gesellschaften auszurichten, ist kein Geheimnis. Wieso oft, ist eine Erkenntnis aber auch bei diesem Thema keine hinreichende Bedingung für praktische Veränderungen: Gemäss dem jährlichen Schuldenreport der deutschen NGOs Misereor und erlassjahr.de weisen heute 135 der 148 der im Bericht untersuchten Länder eine problematische Verschuldung auf. Akut von einem Staatsbankrott gefährdet sind davon 39; zu diesen gehören Länder aller Einkommensgruppen und ihre Zahl hat sich seit Ausbruch der Pandemie vervierfacht.
Im Gegensatz zu den reicheren Ländern des Nordens, die sich in der Regel in ihrer eigenen Währung verschulden und sich über ihre finanz- und fiskalpolitischen Institutionen (u.a. die Zentralbanken) eine gewisse Flexibilität im Management ihrer Schulden bewahren, verschulden sich arme Länder üblicherweise in Fremdwährungen wie dem US-Dollar oder dem chinesischen Renminbi. Zudem zahlen ärmere Länder auf Grund ihrer schwächeren Volkswirtschaften an den Finanzmärkten auch viel höhere Zinsen als reiche Staaten – in der Regel um die 5%. Die Schweiz oder Deutschland hingegen konnten in den letzten Jahren praktisch zum Nulltarif neue Schulden aufnehmen.
Ohne Schuldenerlasse kommen ärmere Länder kaum mehr aus einer Schuldenfalle heraus. Allerdings geht diesen die politische Frage voraus, wer die Kosten der entsprechenden Kreditausfälle tragen soll: Die breite Bevölkerung, die auf Grund von Sparmassnahmen des Staates, die der Schuldenreduktion dienen, mit schlechteren öffentlichen Gesundheits-, Bildungs- und Infrastruktursystemen konfrontiert ist und weniger Geld zum Leben hat, oder die Gläubiger, die auf Renditen verzichten und Verluste auf ihrem Eigenkapital in Kauf nehmen müssen.
Schuldenpolitisches Damoklesschwert nur verschoben
Im aktuellen Fall der Staatschuldenkrise im globalen Süden gaben die massgebenden G20-Staaten in Zusammenarbeit mit dem IWF und der Weltbank in den letzten eineinhalb Jahren immer wieder dieselbe Antwort: Für diese Krise sollen die Gesellschaften in den betroffenen Ländern bezahlen und nicht die KapitalgeberInnen. Zwar wurden im Rahmen dieser multilateralen Institutionen seit Ausbruch der Coronakrise mehrere Initiativen lanciert, die die Lage der verschuldeten Staaten zum Teil kurzfristig etwas entschärften, wirkliche Auswege aus der Schuldenkrise stellen sie allerdings alle nicht dar – dazu gehören vor allem der „Catastrophe Containment and Relief Trust“ (CCRT) des IWF und die „Debt service suspension initiative“ (DSSI) der G20-Länder.
Der IWF schuf den CCRT im Jahr 2010. Auf die Corona-Krise reagierte er mit einer Ausweitung des Trusts bis auf 29 Länder mit niedrigem Einkommen. Bis im April dieses Jahres übernimmt der CCRT sämtliche fälligen Zahlungen dieser Länder an den IWF. Die DSSI wurde von den G20-Ländern nach Ausbruch der Coronakrise im Frühling 2020 neu geschaffen. Sie bietet den 73 ärmsten Ländern der Welt, die die Kriterien für eine Kreditvergabe der Internationalen Entwicklungsorganisation IDA (die zur Weltbank gehört) erfüllen, ein Schuldenmoratorium an: Länder, die die DSSI in Anspruch nahmen, konnten 2020 und 2021 ihre Zahlungen an bilaterale Gläubiger (also andere Staaten) aussetzen. In den Jahren 2023 bis 2027 müssen sie diese Zahlungen allerdings nachholen. Während der CCRT also nur einen sehr engen Länderkreis umfasst und nur sehr punktuell gewisse Schuldenerleichterungen gegenüber dem IWF bringt, verschiebt die DSSI wiederum das Problem nur in die Zukunft. Für die betroffenen Länder war die Initiative zwar hilfreich, um einen gewissen finanziellen Spielraum für die unmittelbare Bewältigung der Pandemie zu erhalten. Gelöst ist das Problem mitnichten, wie der Schuldenreport von Misereor und erlassjahr.de zeigt: «58 Länder mit niedrigem oder mittlerem Nationaleinkommen zahlten 2020 mehr an Zins- und Tilgungszahlungen an private Gläubiger im Ausland, als sie im gleichen Zeitraum von diesen an neuen Krediten zur Verfügung gestellt bekamen.»
Die Kombination aus Schuldenmoratorien für öffentliche und multilaterale Kredite und der Weigerung privater Gläubiger wie Banken und Rohstoffhändlern, sich an Schuldenerleichterungen zu beteiligen, führen dazu, dass private Forderungen auf öffentliche Haushalte abgewälzt werden. «Gleichzeitig», so schreiben die AutorInnen des Schuldenreports, «wurde die Atempause, die durch das Schuldenmoratorium DSSI der G20 und die massiven Liquiditätshilfen geschaffen wurde, nicht für überfällige Reformen der Schuldenarchitektur genutzt.»