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«Profit darf kein Selbstzweck sein»

11.12.2017, Internationale Zusammenarbeit,

Ende Oktober tagte in Genf unter der Präsidentschaft von Guillaume Long (Ekuador) eine intergouvernementale Arbeitsgruppe. Ihr Auftrag: Erarbeitung eines verbindlichen UNO-Vertrags zu transnationalen Unternehmen und Menschenrechten. Das Interview.

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

«Profit darf kein Selbstzweck sein»

Guillaume Long, der ekuadorianische Botschafter bei der UNO in Genf.
© Mark Henley / Alliance Sud

Herr Botschafter, wie erklären Sie sich die extrem defensive Haltung der OECD-Länder, darunter auch die Schweiz, gegenüber dem Beschluss, einen verbindlichen UNO-Vertrag zum Thema multinationale Konzerne und Menschenrechte zu erarbeiten?

Es stimmt, dass gewisse OECD-Länder der Resolution 26/9 des Uno-Menschenrechtsrats von 2014 ängstlich bis feindselig gegenüberstehen. Die Diskussionen waren zwar schwierig, doch das Klima hat sich in der dritten Sitzung der Arbeitsgruppe schon deutlich verbessert. Wurde die erste Sitzung noch von mehreren Ländern boykottiert, so hat unsere diplomatische Arbeit seither doch Früchte getragen. Die USA und Kanada bleiben zwar weiterhin aussen vor, doch mit Australien beteiligt sich jetzt ein wichtiges Land an den Sitzungen.

Es steht viel auf dem Spiel, schliesslich geht es um eine Weltwirtschaftsordnung, die dem Kapital und grossen Unternehmen viel Straffreiheit einräumt, ohne dass sie sich für ihre Taten zu verantworten hätten. Wir sind nicht gegen ausländische Investitionen (FDI), denn deren Rolle ist wichtig für die Entwicklung. Aber private Investitionen müssen die Menschen- und Arbeitsrechte sowie die Umwelt respektieren. Und das ist nicht immer der Fall.

Mit der Verabschiedung der Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind in den letzten Jahren wichtige Schritte gemacht worden. Doch sie basieren auf Freiwilligkeit. Wir stellen fest, dass es für gewisse Länder immer noch tabu ist, im Bereich der Menschenrechte verpflichtende Regeln zu erlassen oder nur schon nur darüber zu sprechen; ganz im Gegenteil zu den Investitionen, die sie mit Regeln schützen. Da wird mit verschiedenen Ellen gemessen; Ekuador und andere Länder haben hier eine grössere Meinungsverschiedenheit mit den OECD-Ländern.

Wichtige Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und Südafrika unterstützen diesen multilateralen Prozess. Wie kommt das, schliesslich gehören sie heute mit ihren Firmen auch zu den grossen globalen Investoren?

Wer verstanden hat, dass wir nicht prinzipiell gegen Investitionen sind, der unterstützt unsere Arbeit. Mehrere Länder des Südens waren Opfer verantwortungsloser multinationaler Unternehmen, ich denke an Indien und die Katastrophe von Bhopal oder an die Apartheid in Südafrika. Aber auch China, dessen Unternehmen zunehmend in Entwicklungsändern – auch in Ekuador – aktiv sind, hat diese Ausbeutung erlebt. Die angesprochen Schwellenländer vertreten durchaus unterschiedliche Positionen in gewissen Fragen.
Interessant ist, dass just jene Länder mit der höchsten Regelungsdichte in Sachen Arbeitsrechte und Umweltschutz – etwa in Europa – sich gegen die verbindliche Einführung von weltweit gültigen Regeln wehren. Dass grenzenlose Deregulierung gut sei für alle, dass die unsichtbare Hand des Marktes alles regelt, das ist ein Mythos. Investoren brauchen qualifiziertes Personal, Rechtssicherheit und funktionierende, nicht korrupte, Institutionen. Nur so können sie von Wettbewerbsgleichheit (level playing field) in einem günstigen Umfeld profitieren. Entwicklungsländer, die das auch so sehen, unterstützen den Vertrag.      

Müssten gleich lange Spiesse für alle nicht auch im Interesse der grossen Unternehmen sein? Warum widersetzen sich Vertreter der Industrieverbände (ICC, IOE, BIAC, FTA-BSCI) dann der Arbeit am UNO-Vertrag?

Diese Interessenvertreter sprechen nicht für alle Unternehmen. Denn es gibt durchaus global tätige Firmen, die sich nicht scheuen, ihre Verantwortung wahr zu nehmen. Ich hoffe, dass sie sich in Zukunft von ihren Sprechern distanzieren werden.

Ab den 1980er Jahre wurden die Rechte der Investoren ausgebaut, es wurde internationale Schiedsgerichte und Investitionsschutzabkommen geschaffen, weil man den nationalen Gerichten in Entwicklungsländern nicht traute. Streitigkeiten zwischen Staaten und Investoren werden darum – meist im Interesse der Investoren – auf internationaler Ebene behandelt. Wenn es jetzt darum geht, kompetente Organe zur Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen zu schaffen, werden jedoch Hindernisse in den Weg gelegt, das ist ein eklatanter Widerspruch! Wären solche Organe im Interesse des Grosskapitals, wären sie schon längst eingeführt worden.

Länder wie Ekuador verurteilen das. Das hat nichts mit einer anti-kapitalistischen Haltung zu tun, aber es geht darum festzuhalten, dass Menschlichkeit wichtiger ist als der Profit. Das Kapital ist ein – wichtiger – Entwicklungsfaktor, aber Profit darf kein Selbstzweck sein. Das ist eine der grossen Debatten zu Beginn des 21. Jahrhundert.      

Die Schweiz hat während der dritten Sitzung der Arbeitsgruppe klargemacht, dass sie interessiert sei an «eventuellen Synergien» zwischen den «Elementen» eines bindenden UN-Vertrags und den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, aber die Umsetzung dieser Leitprinzipien als prioritär ansehen. Was halten Sie davon?

Das ist die Position vieler OECD-Staaten, namentlich auch der EU. Positiv ist, dass die Schweiz die Türen offen lässt und keine aggressive Haltung vertritt. Für uns sind die UNO-Leitprinzipien ein wichtiger Schritt in dieser Geschichte, die in den von uns vorgelegten Elementen eines Vertrags auch in transversaler Weise einfliessen. Die Leitprinzipien dürfen aber nicht als Vorwand gebraucht werden, um ein rechtlich bindendes Instrument zu verhindern. Es könnte dann problematisch werden, wenn gewisse Länder – für die der Respekt ihrer Unternehmen vor den Menschenrechten wichtig ist – sich hinter der Freiwilligkeit von Massnahmen verschanzen, um die Debatte aufzuhalten.

Frankreich hat im Februar 2017 ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht für Unternehmen beschlossen, in der Schweiz soll via Volksinitiative eine solche eingeführt werden. Welche Rolle spielt diese Entwicklung bei ihrer Arbeit für einen UNO-Vertrag?

Sie sind eine Inspiration! Das französische Gesetz ist ein Schritt von Freiwilligkeit in Richtung Verbindlichkeit. Es ist wichtig, dass die Schweiz und andere Länder ähnliche Gesetzgebungen an die Hand nehmen. Das zentrale Element dabei ist die Verpflichtung auf eine Sorgfaltsprüfung, die sich über die gesamte Wertschöpfungskette erstreckt. Dabei ist die Frage des Gerichtsstands bei Verletzung der Sorgfalt entscheidend. Es kann nicht sein, dass ein multinationales Unternehmen in einem Land gravierende Schäden anrichtet und sich dann aus dem Staub macht, so wie wir es in Ekuador und andere Länder erlebt haben. Wir haben im Fall Chevron/Texaco gesehen, dass es quasi unmöglich war, den Konzern in den USA vor Gericht zu bringen. Es muss möglich werden, fehlbare Konzern dort anzuklagen, wo sie ihren Hauptsitz haben.  

 

Guillaume Long – eine ungewöhnliche Karriere

Guillaume Long (40), Sohn einer Französin und eines Briten, kam 1996 nach Ekuador. Dort lehrte er als Professor für Geschichte und internationale Beziehungen, ehe er in der Regierung von Präsident Rafael Correa verschiedene Ministerposten, zuletzt den des Aussenministers besetzte. In dieser Funktion leitete er auch die G 77, den losen Zusammenschluss sich entwickelnder Staaten. Heute leitet er die UNO-Mission Ekuadors in Genf.a

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