Internationale Steuerpolitik

Zeichen der Hoffnung im Vatikan

20.03.2025, Finanzen und Steuern

Die päpstliche Akademie für Sozialwissenschaften hat zu einem Treffen zu Steuergerechtigkeit und Solidarität geladen. Doch nicht der Heilige Geist schwebte über den Teilnehmenden, sondern Donald Trump.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Zeichen der Hoffnung im Vatikan

Im Erlassjahr will der Vatikan die Schuldenarchitektur und das Steuersystem neu gestalten. Im Bild: Petersdom, Vatikanstadt. © Keystone/AFP/Tiziana Fabi

Man mag vom Monotheismus im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Speziellen halten, was man will; unbestritten ist, dass dem ersten Papst aus dem Globalen Süden soziale Gerechtigkeit ein grosses Anliegen ist. Folgerichtig forderte Papst Franziskus schon vor drei Jahren ein Steuersystem, das «die Umverteilung des Reichtums begünstigen muss, die Würde der Armen und der Geringsten schützt, die immer Gefahr laufen, von den Mächtigen mit Füssen getreten zu werden».

Der «hochrangige Dialog» der päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften fand am 13. Februar 2025 gemeinsam mit der «Independent Commission for the Reform of Corporate Taxation» (ICRICT, siehe Kasten) statt. Die Veranstalter und der Ort des Treffens sorgten für eine eben «hochrangige» Teilnehmer:innenschar mit Nobelpreisträgern, Professor:innen, ehemaligen Staatspräsidenten (aktuelle wie Lula und Pedro Sánchez sandten Video-Botschaften), Verter:innen von UNO-Organisationen und der EU-Kommission. Und natürlich waren die NGOs, die ICRICT initiiert haben, mit dabei.

 

Die «Independent Commission for the Reform of Corporate Taxation» (ICRICT) wurde vor 10 Jahren auf Initiative von zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter Alliance Sud, ins Leben gerufen. Einerseits als fachliche Unterstützung, andererseits als Sprachrohr. Neben den Co-Chairs Jayati Ghosh und Joseph Stiglitz hat die Kommission 12 weitere Mitglieder aus Afrika, Asien, Lateinamerika, Ozeanien und Europa, darunter die frühere Europaparlamentarierin und Korruptions- und Geldwäschereiexpertin Eva Joly, der ehemalige kolumbianische Finanzminister José Antonio Ocampo oder der Wirtschaftsprofessor Thomas Picketty, Autor des Bestsellers «Das Kapital im 21. Jahrhundert».

 

Zur Eröffnung sagte die Präsidentin der päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften, Schwester Helen Alford, Papst Franziskus (der leider am selben Tag schwer erkrankt war) habe das Heilige Jahr 2025 unter das Motto «Zeichen der Hoffnung» gestellt. Und Zeichen der Hoffnung gab es im Schatten des Petersdoms trotz Trump – oder gerade wegen ihm.

Wie die Superreichen zu besteuern sind

Die ehemalige Premierministerin Senegals, Aminata Touré, erinnerte daran, dass Afrika jedes Jahr durch Steuerflucht und andere illegitime Finanzflüsse mehr Geld verliert, als alle Gelder für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und ausländischen Investitionen auf dem Kontinent zusammen ergeben. Angesichts der wichtigen UNO-Treffen dieses Jahr, wie die 4. Financing for Development Konferenz (FfD4) oder der zweite Weltgipfel für soziale Entwicklung, hoffe sie, dass sich der gesunde Menschenverstand durchsetzen werde, «wonach wir in diesen Tagen alle Sehnsucht haben».

Dass sich die G20 unter der Führung von Brasilien im letzten Jahr grundsätzlich für eine höhere Besteuerung der Superreichen ausgesprochen hat, wurde von vielen als Zeichen der Hoffnung gesehen. Einer der glühendsten Verfechter dieser Idee, der französische Ökonomieprofessor Gabriel Zucman, erläuterte, dass Menschen mit einem Vermögen von 100 Millionen Dollar von allen gesellschaftlichen Gruppen am wenigsten Steuern bezahlen. Oder wie es Abigail Disney, Grossnichte und Erbin von Walt Disney, sagte: «Ich habe einen geringeren effektiven Steuersatz als mein Hauswart.» Wie genau eine Milliardärssteuer aussehen könnte, hat Zucman leider nicht weiter ausgeführt, worauf Edmund Valpy Fitzgerald, emeritierter Oxford-Professor für Entwicklungsfinanzierung, vor allem auf die Schwierigkeiten hinwies: Der absolut überwiegende Teil der Milliardär:innen sitzt im Norden, also braucht es die Kooperation dieser Länder. Die grossen Vermögen im Süden sind anders zu behandeln als diejenigen im Norden, deshalb braucht es angepasste Regeln. Und dann ist die Frage ungeklärt, wie der Steuerertrag zu Gunsten der Entwicklungsländer verwendet werden könnte und wer wieviel erhalten sollte. Doch - «die richtige Struktur könnte das EZA-System durch steuerfinanzierte Transfers auf der Basis von Bedürftigkeit und Möglichkeiten ablösen» - ein Zeichen der Hoffnung.

Neben diesem Ausflug zum Thema der Individualbesteuerung kehrte die Diskussion rasch wieder zu dem zurück, was die Kommission im Namen trägt: Die Reform der Unternehmenssteuern. Man war sich einig, dass die OECD-Mindeststeuer nicht funktioniert und die UNO das einzig richtige Forum für globale Steuerfragen ist. Von Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz kam die lapidare Einschätzung: «Das gute an schlechten Zeiten ist – es gibt ganz viel Raum für Verbesserungen». Und er sah das überraschendste Zeichen der Hoffnung: Der Rückzug von Trump aus den Verhandlungen über die UNO-Steuerkonvention. «In der Vergangenheit verhandelten die USA immer gleich. Sie verhandeln hart, zwingen alle zu Zugeständnissen, verwässern, nur um am Schluss dann das Abkommen nicht zu unterzeichnen oder zu ratifizieren.» Besser also, sie sind gar nicht mehr dabei. Er machte auch einen konkreten Vorschlag, wie auf Trump reagiert werden könnte, und zwar am Beispiel der Aussetzung des «Corrupt Foreign Practices Act», des Anti-Korruptionsgesetzes. Bestechung ist also wieder erlaubt, ja, «great for American business». Da diese Einladung zur Korruption gleich wirke wie Subventionen, so Stiglitz, könnten die Länder Gegenmassnahmen ergreifen, die die WTO bei Subventionen erlaubt. Oder sie könnten US-Multis besteuern, zur Klimafinanzierung oder um die Zerlegung von USAID abzufedern. «Reagiert kreativ auf eine disfunktionale Regierung in den USA!»

Etwas näher an der Realität war der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez in seiner Videobotschaft. Sehr klar sprach er sich für die Besteuerung der Superreichen aus, forderte eine ambitionierte Uno-Steuerkonvention und das Prinzip, dass die Besteuerung dort erfolgt, wo die Wertschöpfung anfällt. «Es stellt sich die einfache Frage: Steuern wir die globale Besteuerung oder lassen wir es zu, dass das System uns steuert?» Spanien kommt als Gastgeberland der FfD4 in Sevilla eine zentrale Rolle zu, seine klaren Worte sind deshalb ein Zeichen der Hoffnung.

Die indische Ökonomin und Co-Vorsitzende von ICRICT, Jayati Ghosh, ging noch einen Schritt weiter: «Herausfordernde Zeiten sind eine Chance, sich neu aufzustellen, neue Allianzen zu bilden und Alliierte zu finden, wo man sie nicht erwartet hat.» Wenn die europäischen Länder angesichts des Berserkers von Washington als treibende Kraft in den globalen Steuerverhandlungen auf Afrika zugehen würden, wäre das mehr als nur ein Zeichen der Hoffnung.

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

UNO-Steuerkonvention

UNO-Steuerkonvention

Die Staaten des Globalen Südens werden vom internationalen Steuersystem stark benachteiligt. Die umfassenden Reformen der letzten zehn Jahre im Rahmen der OECD haben daran nicht viel geändert. Deshalb setzt der Globale Süden nun auf eine UNO-Steuerkonvention, die gegenwärtig verhandelt wird.

Worum es geht >

Worum es geht

Auf Initiative der afrikanischen Staaten wird seit 2022 unter dem Dach der UNO eine Rahmenkonvention für die internationale Zusammenarbeit in Steuerangelegenheiten ausgearbeitet. Das Ziel sind globale Steuerregeln, die den heutigen Strukturen der Weltwirtschaft gerecht werden und die Länder des Südens nicht mehr benachteiligen. Zur Disposition stehen die Besteuerung multinationaler Konzerne und transnational strukturierter Privatvermögen, Steuertransparenz, die Bekämpfung unlauterer Finanzflüsse, Umwelt- und Klimabesteuerung und die Steuerpolitik als Mittel zur Durchsetzung von Menschenrechten und der Geschlechtergleichstellung.

Alliance Sud arbeitet als Teil der Global Alliance for Tax Justice im Prozess mit und fordert von der Schweiz, als Brückenbauerin zwischen Nord und Süd zu vermitteln, statt als Sitzstaat vieler multinationaler Konzerne und globales Offshore-Finanzzentrum ihre bisherigen Privilegien im internationalen Steuersystem auf Kosten der Weltgesellschaft kompromisslos zu verteidigen.

Internationale Steuerpolitik

«Das System ist gegen uns»

29.11.2024, Finanzen und Steuern

Everlyn Muendo verfolgt im Auftrag des Tax Justice Network Africa (TJNA) die Verhandlungen für eine UNO-Steuerkonvention in New York. Im Interview analysiert sie die aktuellen Entwicklungen und erklärt, warum es für den Globalen Süden in der internationalen Steuerpolitik keine Alternative mehr zur UNO gibt.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

«Das System ist gegen uns»

Steuersubstrat fliesst gen Norden ab, die Lebenshaltungskosten steigen: Heftige Proteste gegen ungerechte finanzpolitische Reformen erschüttern Kenia seit Juni. © Keystone / AFP / Kabir Dhanji

 

«global»: Everlyn Muendo, Sie haben an den diesjährigen Verhandlungssitzungen zur UNO-Steuerkonvention teilgenommen. Was ist ihr Gesamteindruck?

Es gab eine sehr scharfe Kluft zwischen Globalem Süden und Norden. Die steuerpolitischen Interessensgegensätze zwischen den beiden Lagern wurden sehr deutlich.

Die Transparenz der Verhandlungen ist im Vergleich mit jenen bei der OECD bereits ein grosser Fortschritt. Mit welchen Standpunkten des Nordens haben die Länder des Südens die grössten Schwierigkeiten?

Erstens ist der Globale Norden der Meinung, dass die UN-Rahmenkonvention die bereits bestehenden OECD-Beschlüsse lediglich ergänzen soll und diese nicht – wie sie es nennen – duplizieren sollte. Zweitens scheint der Norden die Rolle der UNO auf das reine «Capacity Building» beschränken zu wollen – also auf die Unterstützung des Aufbaus von Infrastruktur in den Steuerbehörden des Südens und die Ausbildung entsprechender Expert:innen. Dahinter steckt aber eine tiefgreifende Fehleinschätzung der Situation des Globalen Südens: Die Vertreter:innen des Nordens scheinen zu glauben, dass wir nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen und dass das der Grund für die heutigen Probleme in der internationalen Besteuerung sei.

 

Das Problem sind nicht unsere mangelnden Kompetenzen, sondern die Regeln des jetzigen Systems.

 

Was sagen Sie zu diesem Argument?

Dieses Argument ist unaufrichtig, denn selbst im Rahmen des vermeintlich integrativen OECD-Prozesses der letzten Jahre haben einige Entwicklungsländer erhebliche Bedenken am Inhalt der Mindeststeuer (Säule 2) und der Umverteilung der Besteuerungsrechte an Länder mit grossen Absatzmärkten (Säule 1) geäussert. Diese wurden jedoch konstant ignoriert. Das Problem sind nicht unsere mangelnden Kompetenzen, sondern die Regeln des jetzigen Systems. Wie ich in einem meiner Statements in den UNO-Verhandlungen sagte: «We can not capacity build ourselves out of unfair taxing rules».

Die Länder des Globalen Nordens versuchen in den Verhandlungen also, die für den Süden entscheidenden Fragen zu umgehen.

Ja. Mein Eindruck ist, dass sie nicht aufrichtig verhandeln. Das ist aber ein grundlegendes Prinzip multilateraler Verhandlungen. Alles auf «Capacity Building» beschränken zu wollen, wirkt nicht sehr vertrauensbildend. Der Steuerbericht des UNO-Generalsekretärs machte sehr deutlich, wie die mangelnde Inklusivität des heutigen Systems die internationale Steuerzusammenarbeit ineffektiv macht. Unsere Argumente sind also gut abgestützt, alles liegt auf dem Tisch.

Wie kann die zivilgesellschaftliche Steuergerechtigkeits-Bewegung diese falschen Narrative der EU oder der Schweiz effektiv kontern?

Zunächst müssen wir dafür sorgen, dass anerkannt wird, dass die OECD-Lösungen der letzten zehn Jahre, wie die Entwicklung des automatischen Informationsaustausches von Bankkunden- und Konzerndaten oder die Mindeststeuer für multinationale Konzerne, für eine bedeutende Gruppe von Menschen, insbesondere für die Länder des Globalen Südens, nicht funktionieren. Deshalb streben wir eine UNO-Steuerkonvention an, die tatsächlich inklusiv ist. Einige mögen sagen, dass wir den Grossteil der bei der OECD geleisteten Arbeit bei der UNO als Errungenschaften auf regionaler Ebene anerkennen könnten. Die Frage wäre dann, nach welchen Kriterien das geschehen sollte. Teile der OECD-Reform werden vielleicht nie umgesetzt werden. Die Zeit drängt aber.

 

Porträt von Everlyn Muendo.

Everlyn Muendo

Die Kenianerin Everlyn Muendo ist Juristin beim Tax Justice Network Africa (TJNA). Sie beschäftigt sich dort mit der Frage, wie die internationale Steuerpolitik die Entwicklungsfinanzierung afrikanischer Staaten beeinflusst.

 

Was gilt es zu tun?

Für die Entwicklungsfinanzierung sind Steuern enorm wichtig. Hinter den technischen Diskussionen über Gewinnverteilungsregeln oder der Aufteilung der Besteuerungsrechte versteckt sich die chronische Unterfinanzierung essentieller Dinge: Es geht um den Aufbau angemessener Bildungssysteme für alle oder um die Bekämpfung der Krise im öffentlichen Gesundheitswesen im Globalen Süden. Es geht auch darum, mehr Ressourcen zur Finanzierung von Klimaschutzmassnahmen zu generieren. Kurz: es geht um Menschen, die zu Opfern der heutigen Steuerpolitik werden! Deshalb wollen wir diesen UNO-Prozess unbedingt vorantreiben.

 

Für Afrika ist eine angemessene Besteuerung des Rohstoffsektors zentral. Die Rohstoffe kommen von uns, aber ihr Wert wird ausserhalb Afrikas abgeschöpft.

 

Was bräuchte es in ressourcenreichen Ländern Afrikas, in denen die Rohstoffindustrie ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig ist?

Für Afrika ist eine angemessene Besteuerung des Rohstoffsektors absolut zentral. Die meisten multinationalen Konzerne auf dem Kontinent sind in diesem Sektor tätig. Aber ihre Hauptsitze befinden sich natürlich in den Industrieländern des Nordens. Dahinter steckt eine sehr komplizierte Geschichte, die weit in unsere Kolonialgeschichte zurückreicht: Vor ihrem Abzug bauten die Kolonialisten unsere Wirtschaft noch so um, dass sie auch nach der Unabhängigkeit noch deren grösste Profiteure blieben. Anstatt beispielsweise die Ernährungssicherheit zu verbessern, wurden weiterhin überwiegend Kaffee, Tee, Feldfrüchte und andere Rohstoffe produziert. Also Luxusgüter, die vor allem in Industrieländern gefragt sind. Die Rohstoffe kommen von uns, aber ihr Wert wird ausserhalb Afrikas abgeschöpft. Umgekehrt werden die Produkte, die im Norden auf der Grundlage unserer Rohstoffe hergestellt werden, dann wieder an uns verkauft. Wir profitieren von unseren eigenen Ressourcen nicht so, wie wir sollten.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Welches Land ist für gute Schokolade bekannt? Es ist nicht Ghana.

Die Schweiz?

Sehen Sie! Das ist eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass mehr als die Hälfte der in die Schweiz importierten Kakaobohnen aus Ghana stammt. Mit schädlicher Steuerpolitik verlagern Konzerne Gewinne in der Höhe Hunderter Milliarden US-Dollar in den Norden. Selbst aus den tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten der ausländischen Unternehmen in Afrika erhalten wir nicht unseren gerechten Anteil an Steuern. Das System ist wirklich gegen uns gerichtet.

Es wird noch dauern, bis neue UNO-Regeln Früchte tragen werden. Gibt es auch ausserhalb dieses Prozesses derzeit Möglichkeiten für Verbesserungen?

Wir kämpfen auch für mehr bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen auf der Grundlage des UNO-Modells, das viel besser ist als jenes der OECD. Aber damit waren wir bisher nicht sehr erfolgreich. Die Länder des Nordens sitzen in den Verhandlungen dank ihren Konzern-Hauptsitzen am viel längeren Hebel. Ausserdem sind einige dieser Länder richtige Rüpel! Selbst wenn Entwicklungsländer über viel Know-How verfügen, geben wir am Ende immer noch viele unserer Steuerrechte ab. Solange wir auf Direktinvestitionen aus diesen Ländern setzen, um unsere wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, können wir von ihnen steuerpolitisch unter Druck gesetzt werden. Dieser wirtschaftspolitische Ansatz führt in die Irre.

 

Everlyn Muendo hält ein Mikrofon in der einen Hand und gestikuliert mit der anderen Hand während sie an einem Redner:innenpult steht. Hinter ihr ist eine Plakatwand mit dem Logo des Tax Justice Network Africa darauf.

Muendo bei einem Austausch ihres Netzwerks zu Steuer- und Klimagerechtigkeit diesen November in Nairobi. © Tax Justice Network Africa

 

Die kenianische Regierung hat jüngst mit finanzpolitischen Reformen enorme politische Spannungen im Land ausgelöst. Weshalb?

Bei den Protesten gegen das Finanzgesetz vom Juni 2024 ging es um viel mehr. Sie waren Ausdruck der Frustration hart arbeitender Kenianer:innen über die zunehmenden wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten. Der Staat ist hoch verschuldet und die Regierung muss dringend mehr Mittel für den Schuldendienst und die wirtschaftliche Entwicklung aufbringen. Dazu führt sie neue Steuern ein, mit denen die Lebenshaltungskosten stark steigen: eine Ökosteuer, eine Kraftfahrzeugsteuer, eine erhöhte Strassenunterhaltsabgabe und die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung für bestimmte wichtige Konsumgüter. Das belastet tiefe Einkommen viel stärker als hohe. Gleichzeitig ist der Service public schwach. Der Grossteil der Einnahmen wird für den Schuldendienst verwendet – dieser kann mehr als 50% der Einnahmen verschlingen – und für Korruption, die wichtige öffentliche Dienstleistungen verdrängt: So wurden die Gehälter von Assistenzärzt:innen stark gekürzt. Ein neues Finanzierungsmodell für Universitäten wurde eingeführt. Damit schossen die Studiengebühren in die Höhe. Kenia ist zu einem Experimentierfeld für Austeritäts-Massnahmen geworden – auch unter dem Einfluss des Internationalen Währungsfonds. Dabei zahlen einfache Kenianer:innen mehr und erhalten weniger!

 

Wie könnt ihr in der Schweiz über Korruption in Afrika sprechen, ohne einzugestehen, dass ihr die grössten Förderer von Intransparenz und unlauteren Finanzströmen seid!

 

Was sagen Sie zum in der Schweiz oft erhobenen Vorwurf, dass von zusätzlichen Steuereinnahmen in afrikanischen Ländern sowieso nur korrupte Politiker:innen profitieren würden?

Wie könnt ihr in der Schweiz über Korruption in Afrika sprechen, ohne einzugestehen, dass ihr die grössten Förderer von Intransparenz und unlauteren Finanzströmen seid! Im Ernst, es braucht immer zwei für einen Tango. Ja, den korrupten afrikanischen Beamten gibt es. Aber wer besticht ihn? Viele Konzerne, zum Beispiel euer Glencore! Dessen Korruptionsfälle sind sehr aufschlussreich. Wieso wird die Verantwortung immer nur der einen Seite zugeschoben? Wir müssen anerkennen, dass undurchsichtige Finanzplätze wie die Schweiz korrupten Leuten aus unseren Ländern als sichere Verstecke dienen. Deshalb wird doch ein Grossteil der Vermögen im Ausland gehalten. Niemand sagt: «Oh, ich werde mein Geld in Kenia verstecken.» Nein! Es ist die Schweiz! Ihr seid aus gutem Grund berüchtigt!

Kommen wir zurück zur UNO. Im Februar stehen die nächsten Verhandlungen an. Könnten sich die Positionen des Globalen Nordens verändern?

Nun, es gibt in dieser Beziehung zwei interessante Entwicklungen: Erstens haben sich die EU-Staaten bei der Abstimmung über die Eckwerte der Konvention im August enthalten, statt Nein zu stimmen, wie sie das bei den früheren Resolutionen getan haben. Ich glaube, das ist ein Zeichen dafür, dass sich die sehr starke Skepsis des Globalen Nordens gegenüber dem Prozess an sich etwas entschärft. Das könnte sich positiv auf die nächsten Verhandlungsrunden auswirken. Zweitens könnte der Sieg Donald Trumps in den US-Präsidentschaftswahlen dazu führen, dass die USA sowohl OECD- wie UNO-Prozesse völlig blockiert. Bisher haben die Länder des Nordens immer gesagt, es brauche bei der UNO Entscheide im Konsens. Ich denke aber, dass sie diese Position angesichts der Entwicklungen in den USA jetzt anpassen müssen.

Worauf wollen Sie hinaus?

Wäre es nicht besser, sich mit einfachen Mehrheitsentscheiden zufrieden zu geben, auch wenn der Konsens das Ideal ist? Manchmal läuft es halt einfach nicht nach dem eigenen Ideal. Statt sich von einem einzigen Land oder einer kleinen Gruppe von Ländern aufhalten zu lassen, wäre es demokratischer, allen anderen zu erlauben – sei es aus dem Globalen Norden oder Süden – vorwärtszumachen. Werden Entscheide im Konsens gefällt, haben die USA als wirtschaftlich stärkstes Land aber quasi eine Vetomacht. Da wäre es viel demokratischer, jedem Land in Mehrheitsentscheidungen eine gleichberechtigte Stimme zu geben.

 

Indem wir uns in der Steuerpolitik an die UNO wenden, können wir grundlegende Herausforderungen angehen.

 

Wo sehen Sie auf dem afrikanischen Kontinent positive Entwicklungen?

In verschiedenen afrikanischen Ländern fordern die Menschen mehr Rechenschaftspflicht von Spitzenpolitiker:innen und Wirtschaftsführer:innen. Vor allem in Westafrika, zum Beispiel im Senegal. Die Aufstände, die wir dort erlebt haben, sind bis zu einem gewissen Grad auch ein extremer Ausdruck des Wunschs nach Selbstbestimmung in Gesellschaften, die wir immer noch als postkolonial bezeichnen können. Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Egal ob wir uns den Handel, die Verschuldung, die Steuern oder was auch immer anschauen: Wir mögen zwar völkerrechtlich anerkannte Staaten mit politischer Souveränität sein, von wirtschaftlicher Souveränität sind wir aber weit entfernt. Indem wir uns in der Steuerpolitik an die UNO wenden, können wir diese grundlegenden Herausforderungen angehen. Denn Souveränität in der Besteuerung ist ein sehr wichtiger Teil wirtschaftlicher Souveränität.

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Medienmitteilung

Mit der UNO gegen steuerpolitische Erpressungsversuche der Superreichen und Konzerne

26.07.2024, Finanzen und Steuern

Ab Montag verhandeln die UNO-Mitglieder in New York über den Umfang der UNO-Steuerkonvention. Damit eröffnet sich eine grosse Chance für ein zukünftiges Steuersystem, das den heutigen globalen Herausforderungen gewachsen ist.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
Mit der UNO gegen steuerpolitische Erpressungsversuche der Superreichen und Konzerne

Wegen zahnloser OECD-Reformen profitieren Tiefsteuerkantone wie Zug und angesiedelte Rohstofffirmen weiterhin. Dort hat der Zuzug von steuervermeidenden Konzernen das ländliche Stadtbild stark verändert.
© KEYSTONE / Thedi Suter

 

Eine alte Leier feiert im medialen Sommerloch Urstände: Weil sich Schweizer Superreiche und Konzern-CEOs vor der Erbschaftssteuer-Initiative der Juso fürchten, drohen sie in den Medien praktisch täglich mit Abwanderung. Dagegen hilft letztlich nur eine globale Steuerharmonisierung: Wenn sich die Besteuerungsmodelle und Steuersätze zwischen einzelnen Staaten nicht mehr so stark unterscheiden, wird jede Drohung mit Wohn- oder Standortwechsel zwecks Steuervermeidung hinfällig.

Seit zehn Jahren verspricht die OECD – die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – mit ihren Reformen Schritte in diese Richtung: Sie behauptet, Steuerverstecke für Superreiche zu entbergen und ein weltweites Steuersystem zu schaffen, in dem Konzerngewinne nicht mehr dort versteuert werden, wo die Gewinnbesteuerung am tiefsten ist, sondern dort, wo ökonomischer Wert geschaffen wird. Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei Alliance Sud, sagt allerdings: «Dass Kapital trotz aller Reformen immer noch um die Welt geschickt werden kann, wie es seinen Besitzer:innen beliebt, zeigt: Die OECD hat versagt.» Das zeigen auch die aktuellen Umsetzungskonzepte der OECD-Mindeststeuer in den Kantonen Zug und Basel-Stadt. Einst sollte diese mehr globale Steuergerechtigkeit bringen, jetzt wissen ausgerechnet die neuralgischen Tiefsteuergebiete für Konzerne nicht mehr, wohin mit dem zusätzlichen Geld, und wollen es – mehr oder weniger verklausuliert – schlicht jenen Firmen zurückgeben, die die neue Steuer zukünftig entrichten müssen.

Deshalb haben die afrikanischen Staaten – wie fast alle Länder des Globalen Südens die Leidtragenden des heutigen Systems – vor zwei Jahren mit Erfolg einen Prozess für eine neue UNO-Rahmenkonvention für Steuern angestossen. In den nächsten drei Wochen verhandeln die 193 UNO-Mitgliedsstaaten in New York nun darüber, wie diese Steuerkonvention aussehen soll. Die Länder des Globalen Südens wollen in Zukunft möglichst viele Steuerfragen unter dem Dach der UNO klären, die Länder des Globalen Nordens – darunter auch die Schweiz als eine der bisherigen Hauptprofiteur:innen des Systems – möglichst viel bei der OECD belassen. Der aktuell vorliegende Verhandlungstext zeigt: Der Süden ist am Drücker. Dominik Gross: «Die OECD-Länder müssen sich jetzt bewegen, sonst droht ein Patt und damit ein weiterer Glaubwürdigkeitsverlust des Westens.» Eine globale Steuerpolitik, die die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung garantiert, mit der die Klimakrise und die ausufernde globale Ungleichheit bekämpft werden kann, kann nur in der UNO entstehen.

Einen ausführlichen Ausblick auf die UNO-Verhandlungen finden Sie hier.

 

Für weitere Informationen:
Dominik Gross, Steuerpolitik-Experte Alliance Sud,
Tel. 078 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch

UNO-Steuerkonvention

Der Süden in der Offensive

13.06.2024, Finanzen und Steuern

Bei der UNO haben die Verhandlungen über die zukünftige Ausgestaltung der Rahmenkonvention für die internationale Zusammenarbeit in Steuersachen begonnen. Unser Experte für Steuerpolitik war dabei und von der Verhandlungsstärke der afrikanischen Länder beeindruckt.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Der Süden in der Offensive

Delegierte an der Sitzung zur UNO-Steuerkonvention im Mai in New York. Die Speerspitze für mehr Steuergerechtigkeit durch eine Verlagerung von OECD zur UNO bildet u. a. Nigeria © UN Photo / Manuel Elías

Die UNO ist nicht die allerbeste PR-Agentur ihrer selbst, schon gar nicht, wenn es um Steuerpolitik geht. Und so bemerkte die Weltöffentlichkeit Ende April kaum, dass sich im Innern des UNO-Hauptquartiers am East River in New York Historisches abspielte: Zum ersten Mal in der Geschichte kamen dort die Regierungen der 196 UNO-Mitgliedsstaaten zusammen, um über die zukünftige Gestalt der UNO-Rahmenkonvention für Steuern zu verhandeln, deren Ausarbeitung die Generalversammlung im letzten Dezember beschlossen hatte. Wichtigste Treiberin des Prozesses ist die Gruppe der afrikanischen Staaten bei der UNO, die sogenannte «Afrika-Gruppe». Noch nie kamen die Länder des Globalen Südens (G77) mit ihren steuerpolitischen Anliegen in der UNO so weit wie im letzten halben Jahr.

Bis im August dieses Jahres geht es nun darum, das organisatorische und inhaltliche Gerüst der Steuerkonvention zu bauen, also die sogenannten «Terms of Reference» zu verhandeln. Segnet die Generalversammlung diese im September ab, kann danach die Konvention selbst mit ihren detaillierten Inhalten ausgearbeitet werden. Auf dieser Basis wiederum können dann rechtlich bindende Steuerreformen ausgearbeitet werden, die von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssten. Den Ländern des Globalen Südens und der globalen Steuergerechtigkeitsbewegung bietet sich also die einmalige Chance, die OECD-Vorherrschaft in der internationalen Steuerpolitik zu beenden und die UNO zur zentralen Akteurin zu machen und damit die organisatorischen Voraussetzungen für eine gerechtere multilaterale Steuerpolitik zu schaffen (siehe auch global #92).

Das Dilemma des Nordens

Ähnliche Versuche, die steuerpolitische Dominanz der reichen Staaten des Nordens zu beenden, gab es in den letzten 60 Jahren immer wieder. Die Aussichten sind heute vor allem aus zwei Gründen besser denn je:

  1. Die OECD hat mit ihren Reformen in der Besteuerung multinationaler Konzerne enttäuscht. Zu Beginn des Verhandlungsprozesses zu BEPS 2.0 (Base Erosion and Profit Shifting) im Januar 2019, aus dem im Herbst 2022 letztlich die Mindeststeuer resultierte, trat man noch mit dem Anspruch an, die Steuervermeidung multinationaler Konzerne im grenzüberschreitenden Handel zu unterbinden, Gewinnsteuereinnahmen gerechter über den Globus zu verteilen und den Steuerwettbewerb zwischen den Staaten hin zu immer tieferen Unternehmenssteuern zu stoppen. Mehr als diese Version der Mindeststeuer, deren Mehreinnahmen ausgerechnet in die bisherigen Tiefsteuergebiete für Konzerne des Nordens fliessen, und nicht dorthin, wo die entsprechenden Gewinne erarbeitet werden, kann die OECD nach fünf Jahren Verhandlungen nicht vorweisen. Im Globalen Süden ist die Frustration über dieses Ergebnis gross. Nun will man die Ungerechtigkeiten des gegenwärtigen internationalen Steuersystems auch über die Konzernbesteuerung hinaus im Rahmen der UNO lösen.
  2. Weltpolitische Entwicklungen der letzten Jahre und die damit verbundenen neuen Erfahrungen der Marginalisierung auf multilateraler Ebene einten die afrikanischen Staaten steuerpolitisch. Dazu gehören Diskriminierung beim Impfstoffzugang während der Corona-Pandemie, die Weigerung der nördlichen Gläubigerstaaten, griffige Massnahmen gegen die Staatsschuldenkrise im Globalen Süden zu ergreifen, oder die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft, wenn es darum ging, die durch den Ukraine-Krieg und die Sicherheitskrise für Frachtschiffe auf den Weltmeeren ausgelöste Nahrungsmittelkrise in vielen afrikanischen Staaten zu bekämpfen. Diese neue afrikanische Einigkeit verleiht den steuerpolitischen Interessen auf dem Kontinent in der UNO neues Gewicht, sie entfalten eine in der globalen Wirtschaftspolitik lange nicht mehr gesehene Kraft.

Im April traten die Vertreter:innen des Globalen Südens in den Verhandlungen denn auch entsprechend selbstbewusst auf und warfen ihre Forderungen konsequent und fundiert in die Runde. Sie decken folgende Teilbereiche der internationalen Steuerpolitik ab: verschiedene Aspekte der Unternehmensbesteuerung, die Bekämpfung unlauterer Finanzflüsse, die Besteuerung der digitalen Wirtschaft, Umwelt- und Klimasteuern, die Besteuerung hoher Vermögen, Fragen des Informationsaustausches und der Steuertransparenz sowie Steueranreize (Tax Incentives). Seit Anfang Juni liegt der erste schriftliche Entwurf für die grundsätzliche Verfasstheit der Konvention (Terms of Reference) vor. Er berücksichtigt die Forderungen der G77 in fast allen Punkten und ist die Grundlage für die nächste Verhandlungsrunde.

Schweiz schwimmt ambitionslos mit

Die Offensive des Südens bringt die OECD-Länder in eine knifflige Lage: Einerseits möchten sie so wenig Themen wie möglich in die UNO verlagern, die bisher im Rahmen der OECD und mit ihr verwandten Foren verhandelt wurden, weil sie selbst zu den Profiteuren der bisherigen Reformen gehören. Das gilt bekanntlich auch für die Schweiz. Mittlerweile schwimmt sie im UNO-Prozess relativ ambitionslos einfach mit den OECD-Ländern mit. Zu Beginn des Prozesses hat sich das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) noch erhofft, gar nicht erst an den Verhandlungen teilnehmen zu müssen, weil man den Prozess grundsätzlich für eine Farce hielt. Das war offensichtlich eine Fehleinschätzung. Wenn die OECD-Fraktion den UNO-Prozess durch ihr Festhalten an der OECD als massgebendes Forum für globale Steuerfragen aufzuhalten versucht, stösst sie die Länder des Südens auf multilateraler Ebene einmal mehr vor den Kopf. Angesichts der derzeitigen geopolitischen Grosskonflikte mit Russland und China kann sich das «der Westen» eigentlich nicht mehr leisten. Schliesslich hat niemand ein Interesse daran, dass mit Afrika der grösste Kontinent ins geopolitische Lager Russlands und Chinas wechselt.

So verstecken sich die OECD-Länder in den UNO-Steuerverhandlungen hinter ihrem vermeintlichen Allheilmittel namens «Capacity Building». Man sei gerne bereit, die Steuerbehörden im Globalen Süden mit mehr Know-how und Geld zu unterstützen, damit sie ihre Steuerflüchtigen zu fassen kriegen, heisst es. Darauf hatte Everlyn Muendo vom Tax Justice Network Africa (TJNA) im Konferenzraum 3 – im Gegensatz zur OECD sitzt die Zivilgesellschaft bei der UNO auch im Verhandlungsraum und kann dort das Wort ergreifen – eine treffende Antwort: «We cannot capacity build our way out of the imbalance of taxing rights between developed and developing countries and out of unfair international tax systems.»

Nicht mangelndes Know-how und fehlende technische Kapazitäten kosten den Globalen Süden Steuereinnahmen, sondern das internationale Steuersystem selbst und die unfaire Zuteilung von Besteuerungsrechten zwischen Nord und Süd, die diesem System eingeschrieben ist. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Afrika-Gruppe und ihre Verbündeten in absehbarer Zeit mit einem Verhandlungsergebnis zufriedengeben werden, dem nicht die Aussicht auf grundsätzliche Veränderungen des internationalen Steuersystems innewohnt. Im Juli und August steht in New York die nächste Verhandlungsrunde an.

 

 

Dominik Gross’ Beitrag zur Rolle des Schweizer Finanzplatzes bei der Steuerflucht von Vermögenden aus aller Welt Ende April während der Verhandlungen in New York:

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Reportage

Rooms with a view

06.12.2023, Finanzen und Steuern

In New York hat im November eine grosse Mehrheit der UNO-Staaten einer UNO-Rahmenkonvention für Steuern zugestimmt. Unser Experte war im Vorfeld vor Ort – eine Reportage.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Rooms with a view

Intensive kanadische Waldbrände hüllen die George-Washington-Brücke in einen Dunst, der den Himmel gelblich-grau färbt.

© Seth Wenig / AP Photo / Keystone

Am Flughafen Zürich hatte ich mir noch Gummistiefel gekauft. Einen Tag bevor ich in New York landete, stand die Stadt nämlich unter Wasser. Ein starker Herbstregen hatte weite Teile der US-Metropole am Hudson überschwemmt. Ein Flughafen musste geschlossen werden, Subway-Tunnel waren vollgelaufen. Rund um die Welt waren in den News Bilder von Menschen zu sehen, die auf Verkehrsampeln sassen und in reissende Wasserströme unter ihnen starrten, in denen Restaurantmobiliar tanzte und Autos trieben. Aus der Ferne hätte man meinen können, New York sei von der Sintflut erfasst worden.

Der Globale Süden in der Metropole des Nordens

Einen Tag später sass ich mit meinen Kolleg:innen der «Global Alliance for Tax Justice» auf der Terrasse eines mexikanischen Restaurants in Midtown Manhattan, unweit des Hauptsitzes der Vereinten Nationen. Im T-Shirt – für anfangs Oktober war es beängstigend mild. Morgen würden wir dort gemeinsam den Verhandlungen des zweiten Komitees der UNO-Generalversammlung beiwohnen, wo die Vertreter:innen von 193 Nationen gerade über eine neue Steuerkonvention berieten. Nicht einmal mehr Pfützen waren in diesem Teil der Stadt zu sehen. Unsere indische Kollegin hatte zuvor das lokale Wetterereignis mit globaler Ausstrahlung in einer E-Mail eingeordnet: «In my part of the world we would call it a ‘light monsoon shower’.» Offenbar sieht die durch das Netz vermittelte Welt manchmal noch immer schlechter aus, als sie tatsächlich ist – jedenfalls, wenn es um das Wetter geht.

Aber tatsächlich sind die Abwassersysteme in New York teilweise so schlecht, dass sie schon relativ geringe Mengen ausserordentlichen Regens nicht mehr fassen können. Das ist vor allem jenseits Manhattans der Fall, der bestentwickelten und reichsten Zone der Stadt. Sie sei in Midtown den ganzen Tag von Treffen zu Treffen geeilt, völlig unbehelligt vom Wasser, erzählte meine indische Kollegin. So geben Wassersäulen in New York auch den Stand der Ungleichheit zwischen seinen Stadtteilen wieder.

Vor allem auf lange Sicht und relativ unbemerkt von der globalen Newskarawane, ist das Wasser für New York ein grosses Problem. Wegen des Klimawandels ist der Meeresspiegel an der New Yorker Küste seit 1900 um 30 Zentimeter angestiegen. Bis Ende des Jahrhunderts, so die Prognosen, werden weitere 1,5 Meter dazukommen. Starkregen werden wegen den steigenden Temperaturen über dem Atlantik zunehmen. In der «New York Times» stand kürzlich, dass wegen des ansteigenden Meeresspiegels bis Ende des Jahrhunderts 600'000 Einwohner:nnen der Stadt ihren Wohnort räumen müssen. Stellen wir uns vor, ganz Zürich und Genf würden im Meer verschwinden.

Im Kampf gegen das Wasser fehlt das Geld

In den ersten Tagen in New York stand ich dank meines Jetlags schon um sechs Uhr früh auf der Strasse und wanderte für ein paar Stunden kreuz und quer durch die Stadt, bevor unsere Treffen mit den UNO-Vertretungen der verschiedenen Länder begannen. Ich lief durch die alten Stationen der Subways und spazierte an den halbverlassenen Docs in Brooklyn entlang Durch ihre Nähe zum Meer sind die Viertel im Süden der Stadt dem Hochwasser am stärksten ausgesetzt. In Far Rockaway etwa, einem Quartier im Stadtteil Queens, in dem vor allem Arbeiter:innen und die untere Mittelklasse leben, berichtete die «New York Times» von Bewohner:innen, die schon heute dem Wasser weichen und wegziehen. Die brüchige Infrastruktur ist jenseits der glatten und glänzenden Oberfläche in Midtown oder dem Financial District omnipräsent. Es rostet und bröckelt im öffentlichen Raum New Yorks. Man kann sich kaum vorstellen, dass hier die nötigen Anpassungen an die sich stark verändernden klimatischen Bedingungen rechtzeitig fertig werden, obwohl die Stadt über einen Adaptions-Plan («AdaptNYC») und einen Nachhaltigkeits-Plan (PlaNYC 2030 - A Greener Greater New York) verfügt.

Gerade hat der ehemalige Polizeibeamte und heutige demokratische Bürgermeister Eric Adams in Washington Geld angefordert, um den Migrant:innen aus Mittel- und Südamerika zu helfen, die zurzeit in viel grösserer Zahl nach New York kommen als in den vergangenen Jahren. Nur schon um diesen Menschen genügend würdige Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, fehlen der Stadt die finanziellen Mittel. Adaption in der Klimakrise und Ausgaben für Migration sind also auch in New York zwei der grössten Aufgaben in den nächsten Jahrzehnten. Wobei die «Migrationskrise» auch verantwortungslosen republikanischen Gouverneur:innen in den südlichen US-Staaten geschuldet ist. Sie schicken Neuankommende aus Mexiko teilweise direkt nach New York. Texas verteilte an 42'000 Immigrierende Bustickets nach New York, 15'300 von ihnen sollen mittlerweile angekommen sein. Insgesamt fehlen der Stadt bis ins Jahr 8,3 Milliarden Dollar, nur um ihre laufenden Ausgaben zu decken. Eigentlich absurd, ist sie doch die reichste Stadt der Welt: 340'000 Millionäre, 724 Menschen, die mehr als 100 Millionen besitzen, und 58 Milliardäre leben hier. Gleichzeitig ist auch die Armut gross: 2021 lebten fast ein Fünftel der New Yorker:nnen in Armut und ein Drittel hatte Mühe, existentielle Ausgaben fürs Wohnen, Essen, die Ausbildung der Kinder oder die Krankenversicherung zu decken.

Als ich an einem Morgen mit der Seilbahn von Roosevelt Island zurück nach Midtown fuhr, kam ich mit einem jungen Wall-Street-Informatiker ins Gespräch. Jeden Morgen schwebt er mit seiner Frau und der kleinen Tochter mit der Seilbahn über den East River nach Manhattan zur Arbeit und in den Kindergarten. Er hatte wohl an diese sozialen Verhältnisse gedacht, als er mir erzählte, dass sie – aus bescheidenen Verhältnissen in Queens kommend – mittlerweile ein Apartment auf der ruhigen, aufgeräumten Insel bewohnten. Ein privilegiertes Leben. «Aber von denen da drüben» – und er zeigte auf die Spitzen der Wolkenkratzer Midtowns, die in der Morgensonne glitzerten – «bin ich immer noch sehr weit entfernt.»

Extreme soziale Ungleichheit, hohe Klimarisiken, aber zu wenig Geld für Klimaadaption und angemessene Infrastruktur für Zuwandernde: Im Grunde ist diese Stadt eine Gesellschaft, wie wir sie auch aus Schwellenländern kennen. Der Globale Süden zeigt sich auch in der schillerndsten Metropole des Nordens. Um Ungleichheit und Not unter Armen zu lindern, Klima-Adaptation und -Mitigation voranzutreiben, bräuchte die Stadt dringend mehr Steuereinnahmen. Eine höhere Besteuerung von grossen Vermögen, Unternehmens- und Kapitalgewinnen könnte einiges bringen: 2022 wurden an der Wall Street 28 Billionen Dollar gehandelt. Doch in der Stadtregierung dominieren die Sparfüchse vom «Office of Management and Budget», wie der Politico berichtete.  

Die Orchideen der EU

Meine Kolleg:innen der «Global Alliance for Tax Justice» und ich sind nach New York gekommen, um hier anzusetzen und einer UN-Rahmenkonvention für Steuerpolitik zum Durchbruch zu verhelfen, mit der die OECD als dominierende multilaterale Organisation für die internationale Steuerpolitik abgelöst werden kann (siehe global #90). In einem zehnjährigen Reformzyklus hat es der Club der reichen Länder des Westens trotz einer formellen Einbindung einiger Länder des Südens nicht geschafft, Konzernsteuereinnahmen gerechter zu verteilen. Die UNO könnte hier eine ganz andere Dynamik entfachen. So wanderte ich mit meinen dänischen und neuseeländischen Kolleg:innen eine Woche lang von Ländermission zu Ländermission. Die meisten von ihnen haben sich in einem Halbkreis um den UNO-Hauptsitz am East River niedergelassen. Wir wollen möglichst viele OECD-Mitgliedsländer davon überzeugen, die Forderungen der afrikanischen Staaten für eine Ausarbeitung einer Rahmenkonvention zu unterstützen. Mit letzteren sind unsere Kolleg:innen aus Äthiopien und Indien im Austausch.

In der EU-Mission, von deren Büroräumen aus der Blick aus den Fenstern hinaus und über Topforchideen auf den Simsen hinweg weit die Third Avenue bis zum «One World Trace Center» hinuntergeht, war allerdings nicht viel zu machen. «I’m afraid, you won’t like what I am going to say now, but…” Einer ihrer französischen Vertreter:innen argumentiert mit «Doppelspurigkeiten» zu den OECD-Steuerprozessen und mangelndem Wissen und Ressourcen in der Steuerpolitik bei der UNO. Das hörten wir tatsächlich nicht gerne, denn erstens wäre eine UNO-Steuerkonvention vor allem aus der Sicht von Produktionsländern multinationaler Konzerne im Globalen Süden etwas völlig anderes als das «Inclusive Framework» bei der OECD. Dort dürfen sie zwar mittlerweile mit am Tisch sitzen, es dominieren aber immer noch die reichen Staaten des Nordens. In der UNO aber sind die Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd viel ausgeglichener. Was die Ressourcen anbelangt, läge es am politischen Willen der reichen Länder, die UNO entsprechend auszustatten. Solche «Argumente» sind also reine Diskurskulissen. Trotzdem argumentieren die meisten OECD-Staaten so. Sie verschleiern so ihre materiellen Interessen. Denn in einem neuen UNO-Steuersystem, mit dem die Steuereinnahmen aus den Gewinnen multinationaler Konzerne weltweit gerecht verteilt würden, verlören die alten Konzernzentralen des Nordens notgedrungen.

Auch globale Transparenz im Offshoresystem für private Vermögen würde das Geschäft für die traditionellen Finanzplätze des Nordens erschweren. Das gilt ganz besonders für die Schweiz, der man in New York nachsagt, den ganzen UNO-Prozess am liebsten im East River ertränken zu wollen. Doch es gibt auch unter den OECD-Ländern Ausnahmen: Für Hochsteuerländer wie Dänemark oder Norwegen könnten mit der UNO im Rücken auch Mehreinnahmen drin liegen. So war denn auch das Gespräch mit dem dänischen Repräsentanten im formidablen Sushi-Restaurant ziemlich «hygge» – das dänische Konzept für Gemütlichkeit und Geborgenheit.

Mehr «Hygge» für die Welt

Am letzten Tag meiner Reise durch die UNO sass ich auf einem breiten, weichen Sessel in einem unterkühlten Foyer im Hauptquartier und schrieb UNO-Postkarten aus den 1980ern. Katar hatte hier eingerichtet: Schaukästen mit goldenen Oasenmodellen drin säumten die Wände. Eine raumhohe Fensterfront öffnete den Blick auf den East River und die noch immer stetig wachsenden Hochhäuser an einem Brooklyner Ufer. Der verschnörkelte Spannteppich verschluckte jedes Geräusch, neben mir dösten Verhandler:innen in den Sesseln. «Die Welt steht mitten in Katastrophen und Kriegen, aber hier bei der UNO könnte immerhin die internationale Steuerpolitik bald etwas gerechter werden», schrieb ich auf eine Postkarte. Vielleicht erkennen die Mächtigen des Nordens ja doch noch die Zeichen der Zeit, überwinden ihre Liebe zum Status quo und beginnen, Macht und Steuereinnahmen gerechter zu teilen. Etwas mehr «Hygge» könnte die Welt gut gebrauchen.

 

Artikel

Die UNO schreibt Geschichte

22.11.2023, Finanzen und Steuern

In New York hat eine grosse Mehrheit der UNO-Staaten einer UNO-Rahmenkonvention für Steuern zugestimmt. Das ist ein grosser Erfolg für den Globalen Süden und bietet der Weltgemeinschaft nun die Chance, zum ersten Mal in der Geschichte der internationalen Steuerpolitik wirklich global geltende Regeln zu schaffen.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Die UNO schreibt Geschichte

© Dominik Gross

In New York befürworteten heute 125 UNO-Mitgliedsstaaten die Einführung einer UNO-Rahmenkonvention für Steuern. Die Staaten des Globalen Südens stimmten praktisch geschlossen dafür. Einzelne OECD-Mitglieder enthielten sich überraschenderweise der Stimme: Norwegen, Island, die Türkei, Mexiko, Costa Rica und der Beitrittskandidat Peru. Kolumbien und Chile stimmten gar für die Resolution. Die Schweiz lehnte mit allen anderen OECD-Ländern, darunter die USA, das Vereinigte Königreich und die geschlossene EU, ab. Der Entscheid ist historisch: Eine solche Konvention stand bereits 2015 an der 3. Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba zur Debatte, schaffte es letztlich aber nicht in die damals verabschiedete «Addis Abeba Action Agenda» (AAAA). Zum ersten Mal in der 100-jährigen Geschichte der multilateralen Steuerpolitik wird bei der UNO nun ein wirklich globales Forum mit rechtlich bindenden Entscheidungen geschaffen, in dem alle Länder gleichberechtigt die zukünftigen Regeln in der internationalen Steuerpolitik aushandeln und bestimmen können. Im kommenden Jahr wird es darum gehen, die Prinzipien und Elemente der Konvention festzulegen: etwa Steuertransparenz, die Besteuerung multinationaler Konzerne oder von Offshore-Vermögen.

Das Versagen der OECD

Gründe, wieso heute möglich geworden ist, was vor zehn Jahren noch eine Utopie der globalen Steuergerechtigkeitsbewegung war, gibt es einige. Der erste und wichtigste ist wohl das Versagen der OECD – der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung –, in den letzten fünfzehn Jahren Steuerreformen auf den Weg zu bringen, die auch den Ländern des Globalen Südens substantiell mehr Steuereinnahmen gebracht hätten. Zwar hat die OECD jüngst versucht, ihr Image eines exklusiven Klubs der reichsten Länder loszuwerden (sie hat nur 38 Mitglieder). Ebenso bekämpfte sie den verbreiteten Eindruck, es gehe ihr nur darum, ihren Mitgliedern (Steuer-)Privilegien zu sichern. So durften seit 2016 auch Nicht-Mitglieder am Verhandlungstisch Platz nehmen. Doch die Einführung der Mindeststeuer für globale Konzerne bringt den Ländern des Südens, die bei der UNO als sogenannte G77 auftreten (die Gruppe umfasst heute 134 Mitglieder), praktisch nichts. Länder wie die USA, Irland oder die Schweiz haben etwa die jüngste Konzernsteuerreform zu einem Belohnungsprogramm für Tiefsteuerländer umfunktioniert.

Deshalb setzen die G77-Länder nun auf die UNO. Der OECD wiederum droht in der internationalen Steuerpolitik ein massiver Bedeutungsverlust: Wichtige Länder wie die USA, Kanada, China und weitere Staaten in Asien haben ihre nationalen Umsetzungen der neusten OECD-Reform in den letzten Monaten infrage gestellt. In der Schweiz haben sich jüngst auch Economiesuisse und einzelne Wirtschaftsvertreter:innen im Parlament in diese Richtung geäussert und für eine Verschiebung der Schweizer Umsetzung der Mindeststeuer plädiert. All das ist Wasser auf die steuerpolitischen Mühlen der UNO. Blockieren die Staaten des Nordens dort, droht zum Beispiel im globalen Steuersystem für Konzerne ein unilateraler Flickenteppich, der weder im Interesse der Unternehmen noch der Staaten sein kann. Genau das sollte die OECD in ihrer letzten Reformperiode notabene verhindern, scheitert damit aber gerade an den Umsetzungen in den Nationalstaaten und an deren Willen, die OECD-Reformen weiter voranzutreiben. Die Säule 1 der Reform, eine Umverteilung eines Teils der Konzerngewinne von Residenz- zu Marktstaaten, verschwindet wohl in den Pariser Schubladen.

Die USA, die EU und die Schweiz müssen sich bewegen

In den letzten Tagen haben prominente Ökonom:innen und ehemalige Politiker:innen wie Joseph Stiglitz, Jayati Gosh,Thomas Piketty oder Thabo Mbeki für die Schaffung einer UNO-Steuerkonvention geworben. Die Global Alliance for Tax Justice, zu der auch Alliance Sud gehört, arbeitet seit Jahrzehnten auf diese hin. Von der Schweiz fordern wir eine konstruktive Beteiligung an den kommenden Verhandlungen zur Umsetzung der Konvention. Bisher hat sie sich vor allem durch Geringschätzung des Projekts ausgezeichnet. Im Zusammenhang mit ihrem gegenwärtigen Sicherheitsratsmandat bietet sich der im Ausland (zurecht) noch immer als vorgestriges Steuerparadies gesehenen Schweiz nämlich eigentlich die grosse Chance, für einmal auch im wirtschaftspolitischen Bereich als UNO-Brückenbauerin und ausgleichende Kraft zwischen den Blöcken aufzutreten. Das wäre eine kohärente Position im Kontext ihrer Sicherheitsratskampagne „a plus for peace“. Schliesslich ist eine globale Steuerpolitik, die allen Ländern zu mehr Einnahmen verhilft, auch Sicherheitspolitik, weil genügend Steuereinnahmen die Basis für ein starkes Gemeinwesen mit guter Bildung, öffentlicher Infrastruktur und einem leistungsfähigen Sozial- und Gesundheitswesen darstellen. Das sind wichtige Elemente der Armutsbekämpfung und so auch Demokratieförderung, Migrations- und Terrorprävention. Und nicht zuletzt ist mehr globale Steuergerechtigkeit eine notwendige Bedingung für die Finanzierung einer umfassenden nachhaltigen Entwicklung der Welt, wie sie die Staatengemeinschaft mit den UNO-Nachhaltigkeitszielen bis 2030 anstrebt. Dass die OECD diesbezüglich nicht liefern kann, haben die letzten zehn Jahre bewiesen. Wie für die Schweiz gilt deshalb auch für alle anderen «Blocker» des Nordens: Sie sollten sich bewegen und nun an der Ausarbeitung der Konvention konstruktiv mitarbeiten.

Mehr wirtschaftspolitische Zusammenarbeit in einer zerstrittenen Welt

Die aktuellen steuerpolitischen Entwicklungen bei der UNO haben auch eine geopolitische Komponente: Die erste Resolution zur steuerpolitischen Stärkung der UNO wurde von der Generalversammlung vor einem Jahr einstimmig angenommen. Die Staaten des Nordens trauten sich damals angesichts der geopolitischen Weltlage nicht, die G77-Staaten nach deren Ärger über die globale Pandemiebekämpfung (Impfungleichheit), den wenig gelinderten Folgen des Ukraine-Krieges für den Globalen Süden (Nahrungsmittelkrise) und der Klima- und Schuldenpolitik des Nordens (wenig Verständnis für die Lage des Südens) einmal mehr vor den Kopf zu stossen. Sie wollten verhindern, sie so weiter in die Arme Russlands und Chinas zu treiben. Eine Abkehr von dieser letztjährigen Demonstration des Willens zur steuer- und damit auch wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit würde für den Westen erhebliche Risiken bergen. Eine konstruktive Haltung eröffnet dagegen die Chance, einer Welt, in der gerade extrem starke zentrifugale Kräfte wirken, zumindest in der Steuerpolitik wieder universalistische Perspektiven zu schenken.

 

Artikel, Global

New York statt Paris!

18.06.2023, Finanzen und Steuern

2016 versprach die OECD eine Reform des internationalen Steuersystems, die auch den Interessen des Globalen Südens gerecht werde. Sieben Jahre später ist die OECD an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert. Es könnte die Stunde der UNO schlagen.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

New York statt Paris!

Eine Hauptstrasse vor dem Gebäude der Vereinten Nationen in New York am 24. März 2022.
© Ed JONES / AFP / Keystone

«Damit das Geld in der Schweiz bleibt.» Das stand auf den Plakaten der Befürworter:innen der Schweizer Einführung der OECD-Mindeststeuer. Mit diesem einfachen Slogan haben die Konzern-Verbände von economiesuisse und SwissHoldings unter gütiger Mithilfe der bürgerlichen Parteien die Abstimmung vom 18. Juni denn auch gewonnen. Ab dem 1. Januar 2024 kann der Bundesrat die Mindeststeuer in Kraft setzen. Kommt es dank dieser tatsächlich zu substanziellen Mehreinnahmen in der Schweiz, werden sie in Zukunft zu Gunsten der Standortförderung in der Schweiz eingesetzt. Damit sollen die Mehreinnahmen ausgerechnet an jene Konzerne in der Schweiz zurückfliessen, die anderen Ländern jährlich über 100 Milliarden Dollar an Steuersubstrat entziehen und den Schweizer Tiefsteuerkantonen wie Zug und Basel-Stadt üppige Gewinnsteuereinnahmen garantieren. Allein die Tatsache, dass eine solche Umsetzung der Mindeststeuer überhaupt möglich ist, zeigt: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit Sitz in Paris ist mit ihren Bemühungen der letzten zehn Jahre, das globale Steuersystem etwas fairer zu gestalten, gescheitert. Das ist wenig überraschend. Denn obwohl an den Verhandlungen zur Mindeststeuer über 140 Staaten teilnahmen, darunter also auch einige Schwellen- und Entwicklungsländer, setzten sich in diesem Rahmen einmal mehr die Interessen der reichen Länder aus dem Globalen Norden durch.

Gleich lange Spiesse nur bei der UNO

Das hat auch mit der Geschichte dieses sogenannten «Inclusive Framework» zu tun, das 2016 von der OECD gegründet wurde. Das damalige Versprechen waren gleich lange Spiesse für alle Länder. Allerdings ist die Bedingung für den Beitritt zu diesem OECD-Rahmenwerk die Übernahme der Regeln gegen «Base Erosion and Profit Shifting» (BEPS), die die nur 39 Mitgliedsländer der OECD (vor allem die reichen Staaten des Globalen Nordens) in den Jahren zuvor ausgearbeitet hatten. Über 100 Entwicklungsländer waren von diesem Prozess ausgeschlossen. Entsprechend sind diese Regeln auf die reichen Länder des Nordens zugeschnitten und der Preis für die Mitgliedschaft im «Inclusive Framework» für Entwicklungsländer deshalb hoch. Die Länder des Globalen Südens, in denen in der heutigen Weltwirtschaft ein Grossteil der Produktion stattfindet, werden von den rund 250 Milliarden Mehreinnahmen, mit denen die OECD dank der Einführung der Mindeststeuer global rechnet, kaum etwas sehen.

Jetzt muss eine Alternative her, und diese entsteht derzeit in New York: Ende letzten Jahres verabschiedete die UNO-Generalversammlung auf Initiative der afrikanischen Ländergruppe und der G-77 (die Gruppe aller Entwicklungsländer) eine Resolution, die einen Entwurf für eine UNO-Steuerkonvention in Gang bringt. Sie würde – analog etwa zur UNO-Klimarahmenkonvention, die seit 1992 den Rhythmus und die Richtung der globalen Klimapolitik prägt – einen wirklich inklusiven multilateralen Rahmen für die internationale Steuerpolitik schaffen. Damit würden die Erarbeitung und Verhandlung von steuerpolitischen Grundsätzen für die Welt möglich, die das fundamentale Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd im heutigen globalen Steuersystem überwinden könnten. Eine UNO-Steuerkonvention würde die Schaffung multilateraler Regeln für ein Steuersystem ermöglichen, das transnational verankert ist und nicht mehr auf bilateralen Verträgen basiert. Im heutigen System ergänzen ein paar multilaterale Abkommen zwar die Regeln, die in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) verankert sind, letztlich bestimmen aber diese die Art und Weise, wie Länder das Steuersubstrat aufteilen, das aus den grenzüberschreitenden Finanzflüssen in der Weltwirtschaft resultiert. Dies geht oft auf Kosten der Entwicklungsländer, die in den bilateralen Verhandlungen zu DBAs mit Ländern des Nordens auf Grund ihrer schwächeren Wirtschaftskraft oft den Kürzeren ziehen.

Zeit für eine Gesamtbesteuerung

Eine UNO-Rahmenkonvention für die Steuerpolitik wäre auch die Voraussetzung dafür, dass auf eine globale Gesamtbesteuerung multinationaler Konzerne hingearbeitet werden könnte. Im gegenwärtigen Steuersystem werden die einzelnen Ländergesellschaften multinationaler Konzerne als einzelne Firmen behandelt. Entsprechend sollten die Konzerne in jedem Land gemäss dem Gewinnaufkommen versteuert werden, das sie in einem bestimmten Land erzielen. Allerdings sind Gewinnverschiebungen für Länder mit vergleichsweise hohen Steuersätzen seit Jahrzehnten ein grosses Problem. Indem multinationale Konzerne ihre Gewinne nicht dort versteuern, wo ihre Wertschöpfung stattfindet, sondern dort, wo die Gewinne am tiefsten sind, entgehen vielen Ländern jedes Jahr Milliarden von Steuereinnahmen. Eine Gesamtkonzernbesteuerung würde Gewinnverschiebungen obsolet machen, weil einzelne Gesellschaften eines multinationalen Konzerns nicht mehr pro Land besteuert würden und so der Anreiz für die Konzerne wegfiele, ihre Gewinne dort zu verbuchen, wo die Steuersätze am tiefsten sind. Stattdessen würden sämtliche Gewinne aus allen Ländern, in denen der Konzern aktiv ist, zusammengerechnet und das Gewinnsteuersubstrat gemäss einer Formel, die Anzahl Mitarbeiter:innen pro Land, Umsatz und physische Werte (also zum Beispiel Fabriken) berücksichtigt, jedem einzelnen Land zugeordnet. Dieses wiederum besteuert diese Gewinne dann gemäss seinen nationalen Steuerregeln.

Zurzeit erarbeitet das Büro des UNO-Generalsekretärs António Guterres einen Bericht zur Schaffung einer Steuerkonvention, der nach Konsultationen mit den UNO-Mitgliedsstaaten und Stakeholdern im September in New York präsentiert werden soll. Die «Global Alliance for Tax Justice» (GATJ) und das europäische Netzwerk für Schulden und Entwicklung («Eurodad»), bei denen Alliance Sud Mitglied ist, engagieren sich stark in diesem Prozess.

Die Schweiz ist dagegen

Die Schweiz hat der Resolution in der Generalversammlung zwar zugestimmt. Der Bundesrat betont aber in einer Antwort auf eine Interpellation von SP-Nationalrat und Swissaid-Co-Präsident Fabian Molina, dass er «eine Bestandesaufnahme des institutionellen Rahmens der internationalen Zusammenarbeit im Steuerbereich» in der UNO zwar unterstütze, die Schaffung einer UNO-Steuerkonvention aber ablehne. Dabei ist er offenbar davon überzeugt, besser zu wissen, was für die Entwicklungsländer gut ist, als diese selbst. So schreibt er ganz in alter kolonial-paternalistischer Manier: «Den Nutzen einer Steuerkonvention der Vereinten Nationen für die Position der Entwicklungsländer beurteilt der Bundesrat demgegenüber als fraglich.»

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.