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Steueramtshilfeverordnung mit Lücken

27.06.2016, Finanzen und Steuern

Die bundesrätliche Verordnung im Bereich des spontanen Informationsaustauschs von Steuervorbescheiden ist grundsätzlich zu begrüssen. Nachbesserungen in Bezug auf Entwicklungsländer sind aber nötig.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Steueramtshilfeverordnung mit Lücken

© Daniel Hitzig/Alliance Sud

Alliance Sud begrüsst die Ausarbeitung einer Verordnung im Bereich des spontanen Informationsaustauschs von Steuervorbescheiden durch den Bundesrat. Der vorliegende Entwurf liefert aber viel zu ungenaue Vorgaben, wenn es um den Länderkreis geht, mit dem die Schweizer Steuerbehörden in Zukunft Steuervorbescheide austauschen will. Hier fordert Alliance Sud im Interesse der Entwicklungsländer eine deutliche Nachbesserung der Vorlage. Sie sind diejenigen Länder, die oft am meisten unter Transferpreismanipulationen und Gewinnverschiebungen im Zusammenhang mit Steuervorbescheiden leiden. Alliance Sud bezweifelt auf Grund der bestehenden Mängel im inländischen Informationsaustausch von Steuervorbescheiden zudem, dass die Schweiz ihren Verpflichtungen, welche die Steueramtshilfeverordnung (STAhiV) auf internationaler Ebene vorsieht, zukünftig überhaupt nachkommen kann. Auch hier bleibt der vorliegende Verordnungsentwurf Antworten schuldig und beugt der Entwicklung von neuen Steuerschlupflöchern nicht entschieden genug vor.

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#ParadisePapers: So schaden Steueroasen dem Süden

07.11.2017, Finanzen und Steuern

«Die Schweiz ist für Unternehmen, die sich am Rand der Legalität bewegen, sehr attraktiv», sagt unser Steuerexperte Dominik Gross im Interview mit der Online-Plattform watson.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

#ParadisePapers: So schaden Steueroasen dem Süden

© Rainer Sturm / pixelio.de

Herr Gross, was zeigen uns die Enthüllungen aus den «Paradise Papers»?

Dominik Gross: Die Veröffentlichungen zeigen teilweise kriminelle und teilweise legale Geschäftspraktiken aus der globalen Schattenfinanzwelt, der Offshore-Industrie. Bei den bisher aufgedeckten Fällen versuchten Firmen und Privatpersonen, die Öffentlichkeit um Kapital zu bringen, indem diese dem Zugriff der öffentlichen Hand entzogen wurden.

Und welche Schlüsse ziehen Sie aus diesen Praktiken?

Die Paradise Papers bestätigen insofern erneut die Erkenntnisse aus früheren Datenleaks wie den Panama Papers oder den Offshore Leaks: Menschen, die auf Arbeit angewiesen sind, um ihre Existenz zu bestreiten, zahlen Steuern und finanzieren damit Schulen, Spitäler und öffentliche Infrastruktur. Menschen, die von sehr grossen Einkommen oder den Einkünften aus ihrem Vermögen leben und multinational tätige Unternehmen zahlen wenig oder gar keine Steuern und bringen damit staatliche Gemeinwesen in Gefahr und verhindern eine nachhaltige Entwicklung der Welt.

Welche Rolle spielt die Schweiz im neusten Datenleak?

Einmal mehr wird klar, dass die Schweiz mit ihren tiefen Steuern für Grosskonzerne und den im internationalen Vergleich laxen Vorschriften gegen Steuervermeidung, Geldwäscherei und Korruption sehr attraktiv ist für eine bestimmte Art von Firmen: Unternehmen, welche sich am Rand der Legalität bewegen und nicht bereit sind, sich mit Steuern auf ihre Gewinne an unseren Gemeinwesen zu beteiligen.

Und das ist legal?

In der Schweiz wird dieses parasitäre Geschäftsmodell, in dem unser Land darauf setzt, Geld einzunehmen, das eigentlich anderen zustehen würde, oft verharmlosend als Reputationsrisiko des Finanzplatzes abgehandelt.

Warum finden Sie diesen Begriff falsch?

Er erweckt den Eindruck, als würden die politischen Kräfte, die dieses Geschäftsmodell unserer Volkswirtschaft am Laufen halten eigentlich ungewollt da hineinrutschen – ebenso die Firmen, die davon profitieren. Das ist falsch. Die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen und die Geschäftspraktiken der Unternehmen, die daraus folgen, gehen auf bewusste Entscheidungen von Individuen zurück. Die Allermeisten wissen genau, was sie tun: Für sie gehören Korruption, Geldwäscherei und Steuervermeidung ganz einfach zum Geschäft. Und solange die Politik sie nicht daran hindert, wird das auch so bleiben.

Laut den bisherigen Recherchen spielte die Schweiz bei mindestens zwei Fällen eine entscheidende Rolle: Bei Machenschaften des Rohstoffgiganten Glencore im Kongo sowie dem Firmengeflecht des schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann Jean-Claude Bastos. Was verbindet die Fälle?

Aus Sicht der internationalen Steuergerechtigkeits-Bewegung geht es in beiden Fällen um eine Umverteilung von Geldern: Von der Öffentlichkeit an Private.

Können Sie das konkret erläutern?

Im Fall Glencore entgingen der kongolesischen Öffentlichkeit Gelder, weil die Abbaulizenzen für Minen viel billiger abgegeben wurden als vorgesehen – die Differenz soll als Bestechungsgelder an Politiker geflossen sein. Bei der Angola Connection beanspruchte der politische Führungsclan des Landes einen Teil des Volksvermögens, das im Staatsfonds angelegt ist, für private Zwecke und schaffte es an einen Ort, wo möglichst tiefe Steuern anfallen – in den Kanton Zug. Auch hier wurden Gelder von der Öffentlichkeit an Private umverteilt – wie etwa an den Schweizer Fondsverwalter Jean-Claude Bastos oder José Filomeno dos Santos, Sohn des langjährigen angolanischen Präsidenten.

Das Muster gleicht sich: Geld wandert vom globalen Süden in den Norden, in die Schweiz.

Die Sache ist komplexer. Es ist nicht einfach so, dass die «bösen Weissen» die «armen Schwarzen» ausbeuten. Tatsache ist: Es gibt weltweit Leute, die Kraft ihres Kapitals oder ihrer politischen Macht die Möglichkeiten haben, Geld am Fiskus vorbei zu schmuggeln. Steuerflucht muss man sich erstmal leisten können.

Das klingt zynisch.

In fast allen Gesellschaften gibt es ein paar Wenige, die davon profitieren und ganz viele andere, die darunter leiden. Der Unterschied zwischen der Schweiz und Angola ist aber, dass die Schweiz volkswirtschaftlich betrachtet insgesamt von diesen Praktiken profitiert, während Angola darunter leidet.

Wie sollte die Staatengemeinschaft gegen Steuerflucht vorgehen?

Grundsätzlich gilt, wie es Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und der Schweizer Strafrechtler Mark Pieth formuliert haben: «Solange es in einer globalisierten Welt noch irgendwo einen geheimen Geldbeutel gibt, werden die Gelder durch diesen Geldbeutel fliessen.» Das Ziel muss also sein, alle Steueroasen weltweit auszutrocknen.

Wie soll das gelingen?

Leider sind die entsprechenden UNO-Gremien hier bisher sehr schwach und in der OECD und der G20, welche in der internationalen Steuerpolitik führend sind, haben die Länder des globalen Südens kaum Einfluss.

Ein Alleingang der Schweiz bringt angesichts dieser Ausgangslage also nichts.

Ein Alleingang nicht. Aber die Schweiz steht als grösster Offshore-Finanzplatz der Welt und prominentes Tiefsteuergebiet für Konzerne ganz besonders in der Pflicht. Nirgendwo werden so viele Gelder von ausländischen Kunden verwaltet wie hier.

Was fordern Sie?

In internationalen Organisationen wie der OECD lobbyiert die Schweiz jeweils sehr engagiert für möglichst lasche Regulierungen. Sie könnte sich auch umgekehrt für strenge Regeln und möglichst viel Transparenz in Steuerfragen einsetzen. Als grösster Offshore-Finanzplatz würde sie damit ein starkes Signal für einen weltweiten Paradigmenwechsel setzen. Stets anderen hinterher zu hinken ist ja kein Naturgesetz: Bei anderen internationalen Projekten wie der Bologna-Reform an den Universitäten oder beim Freihandelsabkommen mit China eilte die Schweiz anderen Ländern jeweils um Jahre voraus.

Welche Reformen helfen, Steueroasen auszutrocknen?

Grundsätzlich braucht es erst einmal Transparenz im Offshore-System, damit geeignete politische Schritte diskutiert werden können. Schaut man nur auf die der Allgemeinheit entgehenden Summen, ist die Steuervermeidung durch Unternehmen das grösste Problem. Hier wären Reformen am wirkungsvollsten. In diesem Bereich funktioniert die Steuervermeidung vor allem über den Handel zwischen Firmen, die zum selben Konzern gehören. Diese Geschäfte machen schätzungsweise 70 bis 80 Prozent des gesamten Welthandels aus. Es geht hier um Transferpreismanipulationen.

Das ist zu komplex. Können Sie vereinfachen?

Es geht so: Zwei Gesellschaften in verschiedenen Ländern gehören zum selben Konzern. Die eine verkauft der anderen eine Dienstleistung. Bei voneinander unabhängigen Firmen würde der Markt den Preis dieser Dienstleistung bestimmen. Gehören die Firmen zur gleichen Gruppe, haben die verantwortlichen Manager weitgehend freie Hand, den Preis dieser Dienstleistung festzulegen, auch wenn sie grundsätzlich verpflichtet wären, sich am Marktpreis zu orientieren. In vielen Bereichen funktioniert der Markt aber gar nicht, weil der konzerninterne Handel dominiert.

Und wie hilft das bei der Steuervermeidung?

Indem eine Tochterfirma, beispielsweise in einem afrikanischen Land, wo die Gewinne tatsächlich erwirtschaftet werden, zu einem überteuerten Preis eine Dienstleistung bei der Mutterfirma in einem Tiefsteuerland wie der Schweiz einkauft. Schon hat der Konzern die Gewinne verschoben und spart Millionen von Steuergeldern, welche andernfalls der Bevölkerung des afrikanischen Landes zugute kommen würden.

Laut dem Tages-Anzeiger zahlt Nike dank einem komplexen internationalen Firmenkonstrukt in der Schweiz bei einem Reingewinn von 1.3 Millionen bloss 360'000 Franken Steuern. Dabei verkauft der Sporthändler gemäss Experten hier Produkte im Wert von über 100 Millionen Franken. Ist die Schweiz auch Opfer von Steuervermeidung?

Ja. Auch wenn die Schweiz volkswirtschaftlich gesehen dank ihrem Geschäftsmodell als Tiefsteuergebiet vor allem Profiteurin von Steuervermeidung und Offshorehandel ist, kann der Schweizer Fiskus angesichts des kaputten internationalen Steuersystems natürlich auch zum Opfer von Steuervermeidung werden.

Wessen Schuld ist das?

Jene der Schweizer Politik: Sie setzt die von der OECD vorgeschlagenen Massnahmen gegen das Schlupfloch, das Nike ausnützt, nicht um. Denn die Mehrheit in der Schweizer Politik geht stets davon aus, dass es den hiesigen Konzernen – und damit unserem Land an sich – nützt, wenn wir jeweils nur das Minimum der internationalen Minimalstandards umsetzt. Damit schwächt die Schweiz wiederum diese internationalen Regeln selbst, manchmal auch zu ihrem eigenen Nachteil. Grundsätzlich gilt aber: Ob Schweizerin, Holländer oder Angolanerin – ist man weder ein Konzern noch eine Millionärin, schaden einem Steuerschlupflöcher nur.

Wie kann man dagegen vorgehen?

NGOs fordern schon seit etwa 15 Jahren, das sogenannte öffentliche Country-by-Country-Reporting (CBCR) einzuführen. So würden Firmen dazu verpflichtet, die wichtigsten Buchhaltungskennzahlen in allen Ländern, in denen sie tätig sind, offenzulegen. Damit würde sichtbar, ob ein Konzern seine Steuern auch tatsächlich dort abliefert, wo er seine Gewinne erwirtschaftet oder einfach dort, wo die Steuersätze am tiefsten sind.

Und diese Idee stosst auf Anklang?

Die OECD hat die Idee zwar aufgenommen. Im Rahmen ihres Projekts zur Bekämpfung der Steuerflucht von multinationalen Konzernen wurde CBCR zum internationalen Standard erklärt. Auch die Schweiz wird CBCR nächstes Jahr einführen. Allerdings sind bereits die OECD-Regeln stark verwässert im Vergleich zu den Vorstellungen der Steuergerechtigkeits-Bewegung. Die Schweiz setzt nur das Minimum des OECD-Minimums um.

Weshalb gehen ihnen der OECD-Regeln nicht weit genug?

Wir NGOs forderten, dass die CBCR-Berichte öffentlich gemacht werden müssen. Die OECD will aber nur, dass sie zwischen den Steuerbehörden der verschiedenen Länder ausgetauscht werden. So gibt es sehr ungleiche Spiesse, denn die allermeisten Hauptsitze der Weltkonzerne befinden sich in den OECD-Mitgliedsstaaten des Nordens – nicht in Afrika oder Lateinamerika.

Und das bedeutet?

Die dortigen Länder bleiben so von den Konzerndaten abhängig, welche ihnen die OECD-Länder zu liefern bereit sind. Dass die CBCR-Berichte nicht öffentlich gemacht werden, schadet auch der Zivilgesellschaft in armen Ländern: Ihnen fehlt die Möglichkeit, Transparenz darüber herzustellen, was mit den im Land erzielten Gewinnen internationaler Firmen geschieht. Die Steuerbehörden und Regierungen arbeiten häufig nicht im Interesse der breiten Bevölkerung.

Linke Parteien und NGOs brachten nach den Paradise Papers die Konzernverantwortungs-Initiative als Lösung ins Spiel. In jüngster Vergangenheit scheiterten ähnliche Anliegen wie die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation. Weshalb sollte das jetzt anders sein?

Progressive Anliegen, welche auf das grosse Ganze zielen und auf den ersten Blick nicht zu Gunsten der individuellen Interessen der Bürger ausfallen, haben es an der Urne generell schwer. Aber heute ist vieles im Fluss: Ich sehe Anzeichen, die mich optimistisch stimmen. Die Schweiz verändert sich, auch als Finanzplatz. Mit dem automatischen Informationsaustausch ist das jahrelang als sakrosankt geltende Bankgeheimnis immerhin halbtot. Und im Februar schmetterten die Stimmberechtigten die viel zu konzernfreundliche Unternehmenssteuerreform III ab – obwohl Wirtschaftsverbände, Bundesrat und die Parlamentsmehrheit dafür waren.

Sie sind optimistisch.

Ja, es tut sich was. Auch Alliance Sud hat für die Konzernverantwortungs-Initiative Unterschriften gesammelt. Viele Leute auf der Strasse verstanden das Anliegen auf Anhieb und unterschrieben sofort.

Interview: Christoph Bernet (watson)

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Die Flüsse umleiten

24.06.2018, Finanzen und Steuern

Unlautere Finanzflüsse fördern soziale Ungleichheit und torpedieren nachhaltige Entwicklung. Diese Tatsache hat die bürgerliche Politik in der Schweiz lange ignoriert. Nun zeigen zwei rechtswissenschaftliche Studien umfassenden Handlungsbedarf auf.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Die Flüsse umleiten

Die illegalen Finanzströme sind ein Zankapfel in der Bundesverwaltung. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats war mit der ersten Fassung eines Berichts nicht zufrieden und forderte einen Zusatzbericht.
© Daniel Hitzig

Unlautere Finanzflüsse fördern soziale Ungleichheit und torpedieren nachhaltige Entwicklung. Diese Tatsache hat die bürgerliche Politik in der Schweiz lange ignoriert. Nun zeigen zwei rechtswissenschaftliche Studien umfassenden Handlungsbedarf auf.
Der Washingtoner Think-Tank Global Financial Integrity (GFI) schätzt, dass Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich eine Billion Dollar durch unlautere Finanzflüsse verloren geht.  Dazu gehören gemäss einer umfassenden Definition, der auch der Schweizer Bundesrat mittlerweile folgt, nicht nur Gelder aus Geldwäscherei und Korruption, also illegale Geldflüsse, sondern auch legale aus der Steuerhinterziehung von natürlichen und der Steuervermeidung von juristischen Personen. Es geht hier also vor allem auch um Geld, das den Staaten entzogen wird, von diesen aber dringend benötigt würde, um eine ausreichende Finanzierung von Bildung, Gesundheit, sozialer Sicherung und Infrastruktur zu gewährleisten. Für die Finanzierung der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der UNO, die sich u.a. die Überwindung der Armut bis 2030 zum Ziel gesetzt hat, bräuchte es weltweit 5000 bis 7000 Milliarden Dollar jährlich. Zum Vergleich: Die gesamte weltweite Entwicklungszusammenarbeit hat aktuell ein Volumen von etwa 160 Milliarden Dollar pro Jahr.

Schweiz in der Verantwortung

Als einer der grössten Finanzzentren der Welt mit der höchsten Pro-Kopf-Dichte an Konzernsitzen, spielt die Schweiz in der Bekämpfung der entwicklungsschädigenden unlauteren Finanzflüsse eine sehr wichtige Rolle. 2017 wurden hierzulande gemäss der Schweizerischen Bankiervereinigung ausländische Vermögen in der Höhe von rund 3000 Milliarden Franken verwaltet. Das entspricht einem Viertel aller weltweit im Ausland angelegten («Offshore»-)Vermögen. 25 Prozent des weltweiten Rohstoffhandels werden über die Schweiz abgewickelt, 2016 waren Schweizer Firmen gemäss den Zahlungsbilanzstatistiken der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mit 1008 Milliarden Franken an ausländischen Firmen beteiligt und hielten konzerninterne Kredite in der Höhe von 547 Milliarden Franken. Diese Zahlen zeigen: Das Risiko, dass Konzerne ihre Schweizer Firmensitze für Gewinnverschiebungen von Süd nach Nord und entsprechende Steuervermeidung auf Kosten des Fiskus in Entwicklungsländern nützen, ist gross. Gemäss Schätzungen des Internationalen Währungsfonds gehen den Ländern des Südens dadurch jährlich bis zu 200 Milliarden Dollar an potentiellem Steuersubstrat verloren.

Will die Welt die Ziele der Agenda 2030 in den nächsten zwölf Jahren erreichen, zu denen sich auch die Schweiz verpflichtet hat, ist sie auf die konstruktive und proaktive Mitarbeit der Schweizer Finanz- und Steuerpolitik angewiesen. Die Schweiz hat sich in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich zwar zahlreichen internationalen Regulierungsregimen geöffnet und setzt die internationalen Mindeststandards in diesen Bereichen nach langem und zähem Widerstand mittlerweile auch um. Der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments blieben aber bisher auf die Frage, wie die Schweiz ihre spezifische Verantwortung als globales Finanzzentrum und wichtiger Konzernstandort für die Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele und der entsprechenden Bekämpfung von unlauteren Finanzflüssen wahrnehmen will, fast alle Antworten schuldig.

Postulate, Berichte, Studien

Im Parlament haben seit 2013 mehrere PostulantInnen verlangt, dass das Thema unlautere Finanzflüsse bzw. Steuerhinterziehung zulasten von Entwicklungsländern untersucht werden soll. Schliesslich verfasste das Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF) im Oktober 2016 einen entsprechenden Bericht. Er betonte zwar die Wichtigkeit der Bekämpfung von unlauteren Finanzflüssen zu Gunsten einer nachhaltigen Entwicklung im globalen Süden und wie die entsprechenden bestehenden Engagements der Schweiz im Rahmen der OECD und der gesamten internationalen Zusammenarbeit der Schweiz zu erfüllen seien. Die Empfehlung konkreter Schritte blieb aber aus. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK-N) verlangte daraufhin einen Zusatzbericht, der gemeinsam von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im März 2018 vorgelegt wurde. Dieser fokussierte auf Schweizer Engagements «vor Ort», also in den Entwicklungsländern, die im Rahmen der technischen Entwicklungszusammenarbeit des Seco stattfinden sollen und vor allem auf Korruptions- und Geldwäschereibekämpfung und die Transparenz von Kapitalflüssen in der Rohstoffbranche in den Zielländern abzielen. Eine Evaluation der Schweizer Steuer- und Finanzpolitik in der Schweiz im Hinblick auf die politische Kohärenz für nachhaltige Entwicklung und ihre negativen Auswirkungen auf die Länder des Südens blieben beide Berichte schuldig.

Zwei rechtswissenschaftliche Studien, die René Matteotti, der Zürcher Professor für Schweizerisches, Europäisches und Internationales Steuerrecht und Rechtsanwalt bei der Zürcher Kanzlei Baker und McKenzie und die Spezialistin für internationales Steuerrecht, Sathi Meyer-Nandi, im Auftrag der Deza kürzlich publizierten, liefern nun wichtige Grundlagen für eine weitere Diskussion zur globalen Verantwortung des Schweizer Finanzplatzes. Matteotti widmet sich in seiner Studie der «Integration der Entwicklungsländer in die schweizerische Politik zur Umsetzung des AIA [automatischer Informationsaustausch, Red.] und der BEPS-Massnahmen [Base Erosion and Profit Shifting, Red]» und lotet dabei «Herausforderungen und Handlungsfelder» aus.1 Matteotti macht gleich zu Beginn klar, dass die SDGs «nach Überzeugung aller internationalen Organisationen, welche sich mit entwicklungspolitischen Fragen auseinandersetzen, nur erreicht werden können, wenn die Entwicklungsländer ihr Steuersubstrat besser ausschöpfen. Der Fiskalpolitik kommt bei der Verwirklichung der SDG daher eine Schlüsselrolle zu.» Im Vergleich zum Status quo der Schweizer Steuerpolitik sind vor allem Matteottis Empfehlungen zur Umsetzung des automatischen Informationsaustausches (AIA) mit Entwicklungsländern bemerkenswert. Er empfiehlt der Schweiz sogenannte AIA-Pilotprojekte mit einzelnen Entwicklungsländern, die bisher nicht in den Genuss des AIA-Systems mit der Schweiz kommen: «Bilaterale Pilotprojekte mit ausgewählten Staaten stellen für die Schweiz einen interessanten Weg dar, um ihr entwicklungspolitisches Engagement mit einzelnen Staaten zu vertiefen.» Bisher hat weder die Deza, noch das Seco oder das Staatsekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF) konkrete Schritte in diese Richtung angekündigt, obwohl andere OECD-Länder solche Projekte mit entsprechenden Partnerstaaten bereits seit mehreren Jahren unterhalten. Es ist also zu hoffen, dass die Empfehlungen des Zürcher Professors in Bundesbern auf offene Ohren stossen.

Einen Schritt weiter in Sachen Transparenz von Kapitalflüssen als Matteotti geht Sathi Meyer-Nandi in ihrer Studie mit dem Titel «Swiss Policy Coherence in International Taxation: Global Trends in AEOI [=AIA] and BEPS in Development Assistance and a Swiss Way Forward».2 Sie fordert die Schweiz auf, eine öffentliche Berichterstattung für multinationale Konzerne ins Auge zu fassen – ein sogenannntes «Public Country-by-Country-Reporting» (pCbCR). Sie schreibt mit Blick auf die Stärkung lokaler Zivilgesellschaften und dem Aufbau demokratischer checks and balances im Bereich der Steuerpolitik: «Looking at the progressive development with regard to public CbCR in the EU, which will likely also effect Swiss headquartered companies with an EU presence, Switzerland should consider contemplating similar requirements. This would elevate Switzerland to being a progressive first adopter. From a development policy perspective, such move would be highly appreciated.» Eine langjährige politische Forderung der globalen Steuergerechtigkeitsbewegung hat nun also ihren Weg in den wissenschaftlichen Vorstellungsrahmen des internationalen Steuerrechts gefunden. Auch hier darf man gespannt sein, wie Bundesbern auf diese Horizonterweiterung in einer der politisch einflussreichsten Forschungsgemeinschaften reagiert.

 

1 Integration der Integration der Entwicklungsländer in die schweizerische Politik zur Umsetzung des AIA und der BEPS-Massnahmen: Herausforderungen und Handlungsfelder, René Mattioli, Archiv für Schweizerisches Abgaberecht, ASA 86, 2017-2018

2 Die Studie ist nach Anmeldung im Shareweb der Deza greifbar.

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Ein Nein zu Doping reicht nicht mehr

07.10.2018, Finanzen und Steuern

Referendum zur Steuervorlage 17 hin oder her: Die progressiven Kräfte in der Steuerpolitik müssen für den Schweizer Fiskus eine nachhaltige Alternative zum Gewinnverschiebungsdoping aus dem Ausland entwickeln.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Ein Nein zu Doping reicht nicht mehr

Briefkastenfirmen gehören seit achtzig Jahren zum Steuer-Geschäftsmodell der Schweiz.
© Niklaus Stauss / Keystone

Ausgerechnet die NZZ, das Leibblatt des Unternehmensstandorts Schweiz, brachte es in ihrer Besprechung der Alliance Sud-Studie1 zur Steuerreform 17 (SV17) auf den Punkt.«Im Kern geht es aus Schweizer Sicht um die Abwägung zwischen „Steuergerechtigkeit“ und Maximierung der Steuererträge. […] Bei Steuerprivilegien gilt Ähnliches wie beim Doping im Radsport: Es gibt manche Argumente dagegen, doch die Kernargumente dafür („die anderen machen es auch“ oder „ich kann mir einen Vorteil verschaffen") sind oft unwiderstehlich.“»

Exemplarisch zeigt die seit 2014 laufende Debatte zur dritten Unternehmenssteuerreform seit 1998, wie tief die Schweizer Unternehmenssteuerpolitik tatsächlich im Dopingsumpf steckt. Im Unterschied zu den beiden vorherigen Reformen von 1998 und 2008 hätte die aktuelle ursprünglich nicht eine weitere Aushöhlung der lückenlosen Besteuerung von Unternehmensgewinnen und damit Milliardengeschenke für multinationale Konzerne in der Schweiz bringen sollen. Vielmehr wollte die damalige Finanzministerin Widmer-Schlumpf auf Drängen der OECD, der EU und der G20-Staaten bestehende Schlupflöcher stopfen und unfaire Sondersteuerregime abschaffen. Das Reformprojekt unter dem Namen Unternehmenssteuerreform III (USR III) baute die rechte Mehrheit im Parlament 2016 jedoch so um, dass sie dieses Ziel dreist torpedierte und in sein Gegenteil verkehrte: Statt einer Korrektur alter Fehler aus der USR II und der USR I sollte es weitere Milliardengeschenke für Konzerne auf Kosten des Service public in der Schweiz und weltweit geben. Im Februar 2017 scheiterte dieses Projekt an der Urne folgerichtig deutlich. Eineinhalb Jahre später hat das eidgenössische Parlament die SV17 verabschiedet, die sich kaum von der an der Urne gescheiterten USR III unterscheidet, wenn es um Anreize für Gewinnverschiebungen aus Entwicklungsländern geht. Das zeigte Alliance Sud in ihrer Mitte September publizierten Studie anhand von zwei Steuerdumpingvehikeln, welche die aktuelle Reform überdauern werden. Ob die Stimmberechtigten die Reform bei einer erneuten Referendumsabstimmung schlucken würden, sei dahingestellt. Aus entwicklungspolitischer Sicht sind wir jetzt jedenfalls wieder ungefähr dort, wo wir vor dem Abstimmungskampf gegen die USR III schon einmal waren.

Für eine echte steuerpolitische Alternative

Unabhängig von der Frage, ob ein erneutes Referendum gegen die Steuervorlage 17 inhaltlich und strategisch sinnvoll ist, zeigt die Steuerdebatte der vergangenen Jahre: Wollen die VerfechterInnen von Steuergerechtigkeit und globaler wirtschaftspolitischer Verantwortung der Schweiz tatsächlich einen Schritt weiter kommen, dann müssen sie ein steuer- und wirtschaftspolitisches Gegenprojekt zur «Steueroase Schweiz» entwickeln. Es muss darum gehen, diesem Land einen Ausweg aus seinem während achtzig Jahren praktizierten Geschäftsmodell weisen, das ausländischen Reichtum zum eigenen Vorteil verwaltet und auch stark davon lebt, Unternehmensgewinne in der Schweiz zu versteuern, die anderswo erwirtschaftet werden. 

Ein solches Gegenprojekt ist aus zwei Gründen dringend: Zuerst einmal, weil der Preis, den eine Steueroase bezahlen muss, je höher wird, desto tiefer die Besteuerung der Unternehmensgewinne sinkt. Und das tut sie im globalen Massstab mittlerweile seit vierzig Jahren. Die Schweiz ist mit ihrem jetzigen Geschäftsmodell gezwungen, andere Standorte in der Abwärtsspirale stets weiter zu unterbieten. Irgendwann ist dieser Vorsprung gegenüber Konkurrenzstandorten – auch Beggar-thy-neighbour-Politik, also Seinen-Nachbarn-zum-Bettler-machen-Politik genannt – nur noch mit massiven Kürzungen bei der öffentlichen Finanzierung der eigenen gesellschaftlichen Aufgaben tragbar. Will die Schweiz – und vor allem ihre Kantone – weiterhin an ihrer Tiefsteuerpolitik für Konzerne festhalten, so wird es über kurz oder lang weitere massive Abstriche bei der öffentlichen Finanzierung der Gesundheitsversorgung, in den Schulen und Universitäten, bei der Energie- und Verkehrsinfrastruktur und dem unkommerziellen Kulturangebot geben. Die Ungleichverteilung der Vermögen in der Schweiz wird zudem weiter zunehmen, weil die gegenwärtige Unternehmenssteuerpolitik vor allem die in- und ausländischen Aktionäre der hier ansässigen Konzerne begünstigt. 

Eine weltinnenpolitische Allianz der Zivilgesellschaft

Die Frage der zukünftigen Schweizer Unternehmenssteuerpolitik ist deshalb sehr wesentlich auch eine entwicklungs- und globalpolitische. Die Schweiz darf nicht länger auf ein Steuersystem setzen, das anderen Ländern Steuereinnahmen entzieht. Sie muss vielmehr einen Umbau ihrer Unternehmenssteuerpolitik in Angriff nehmen, der dazu beiträgt, dass die UNO-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 erreicht werden können. Die Umsetzung dieser Ziele kostet weltweit 5000 bis 7000 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Mit der sofortigen und ersatzlosen Streichung der alten Sondersteuerregime und der Einführung von weiteren Massnahmen, die Gewinnverschiebungen aus dem Ausland in die Schweiz nachhaltig stoppen und gleichzeitig den innerschweizerischen Steuerwettbewerb bremsen, könnte die Schweiz einen äusserst effektiven Beitrag zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung der Welt leis­ten. Die SV17 ist aber kein Schritt in diese Richtung, sondern – dank der Verknüpfung mit der AHV-Finanzierung – im allerbesten Fall eine mittelfristige Wohlstandsabsicherung im Inland auf Kosten der Welt. Angesichts der aktuellen globalen Entwicklungen ist das aber ein äusserst bescheidener politischer Anspruch: Wenn die Weltgemeinschaft in den nächsten fünfzehn Jahren nicht fähig wird, der drohenden Klimakatastrophe, der explodierenden globalen Vermögensungleichheit und einem neuen transnationalen Nationalismus und Rassismus politische Paradigmenwechsel entgegenzusetzen, die von den Bevölkerungen mitgetragen werden, wollen wir uns lieber nicht vorstellen, in was für einer Welt unsere Kinder 2050 werden leben müssen. Um diese globalpolitischen Herausforderungen zu bewältigen, braucht es auch öffentliche Finanzierungen, also Steuereinnahmen. 

Raus aus dem Doping, aber wie?

Als führende globale Finanz- und Handelsdrehscheibe hat die Schweiz in dieser Beziehung gewichtige wirt­schaftspolitische Hebel in der Hand. Entsprechend gross ist auch die Verantwortung der progressiven, klima- und zukunftsbewussten politischen Kräfte in der Schweiz, zumindest den Versuch zu unternehmen, dieses Land in Richtung einer weltverträglichen und auch auf globaler Ebene sozial und ökologisch nachhaltigen Finanz-, Handels- und Steuerpolitik zu bewegen. Der Umstand, dass das gegenwärtige Geschäftsmodell der Steueroase Schweiz weder aus innen- noch aus aussenpolitischer Perspektive eine Zukunft hat, die der Allgemeinheit dient, zeigt die strategische Richtung einer denkbaren neuen zivilgesellschaftlichen Allianz für eine neue Schweizer Finanz- und Steuerpolitik auf: Diese Strategie muss von einer weltinnenpolitischen Perspektive ausgehen, deren Ziel eine ökologisch-demokratische Gesellschaft ist. Oberstes Ziel muss der soziale Ausgleich sein; und zwar gleichermassen auf der lokalen, regionalen, nationalen und globalen Ebene. 

Die Ausgangsfrage für die Arbeit an einer neuen Schweizer Unternehmenssteuerpolitik könnte deshalb lauten: Wer ist auf das Doping tatsächlich angewiesen und wie schaffen wir den Ausstieg, ohne dass der hiesige Radsport tatsächlich zum Erliegen kommt?

1Alliance Sud (Hg.): Steuervorlage 17. Vorwärts in die Vergangenheit, Bern 2018.

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Die Welt braucht einen Schuldenschnitt

29.09.2020, Finanzen und Steuern

Die Covid-19-Pandemie hat viele Länder in eine tiefe Krise gestürzt, der Ruf nach Schuldenschnitten wird weltweit immer lauter. In der Schweiz sind vor allem private Gläubiger gefordert, doch der Bundesrat zögert noch, sie in die Pflicht zu nehmen.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Die Welt braucht einen Schuldenschnitt

© Jorma Bork / pixelio.de

In den letzten zehn Jahren haben sich die öffentlichen Schulden jener armen Länder verdoppelt, die gemäss Weltbank in die Kategorie Entwicklungsländer fallen. Mittlerweile droht über 50 Ländern der Staatsbankrott. Das zeigt ein neues Datenportal zur Staatsverschuldung, das die britische NGO Jubilee Debt Campaign (JDC) kürzlich lancierte. Die Gründe für die neue Schuldenkrise im globalen Süden sind vielfältig. Fallende Rohstoffpreise – vor allem beim Erdöl – und jüngst die Coronakrise gehören dazu.

Dabei wird armen Ländern ihre generell schwache Stellung im globalen Finanzsystem zum Verhängnis. Während Japans Schuldenquote 198,3% des Bruttoinlandprodukts (BIP) beträgt (2018), womit man in Tokio den höchsten Schuldenstand weltweit ausweist, beläuft sich jene Ghanas nur auf 59,3%. Trotzdem befindet sich Ghana in einer Schuldenkrise, Japan nicht. Ein Grund dafür ist, dass Japan über einen starken eigenen Finanzsektor verfügt. Der Staat kann neue Schulden also im Inland und in seiner eigenen Währung – dem im internationalen Vergleich starken Yen – aufnehmen. Länder mit einer schwachen eigenen Finanzwirtschaft sind umgekehrt von ausländischen Gläubigern abhängig und müssen sich in Fremdwährungen verschulden – sehr oft in US-Dollar. Sinkt etwa der Wert des US-Dollars im Vergleich mit der ghanaischen Währung Cedi, steigt auch Ghanas Schuldenquote, ohne dass der ghanaische Staat neue Kredite aufgenommen hätte. In diesem Jahr werden nach Berechnungen von JDC so sage und schreibe 50% der ghanaischen Staatseinnahmen in den Schuldendienst gegenüber ausländischen Gläubigern fliessen, vor zehn Jahren waren es noch 5% gewesen. In Japan sind es trotz eines Vielfachen an Staatschulden nur 1,4%.

Schuldenschnitte werden immer dringender

Das Beispiel Ghana zeigt: Ausgerechnet jene Länder, die auch schon durch Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne und durch Steuerflucht reicher Privatpersonen massiv Steuereinnahmen verlieren, leiden auch unter exorbitanten Schuldenlasten. Dies geht auf Kosten der breiten Bevölkerung in diesen Ländern: Die Finanzierung öffentlicher Gesundheitsversorgungen, von Bildungsangeboten und der sozialen Sicherungssysteme wird ausgerechnet in der Coronakrise noch prekärer.

Heute findet im Rahmen der UN-Jahresversammlung ein virtuelles Treffen sämtlicher Finanzminister statt. Alliance Sud hat aus diesem Anlass einen offenen Brief mit 350 anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen unterschrieben, der von den Regierungen dringend ein breites Reformpaket für eine nachhaltigere globale Finanz- und Steuerpolitik fordert. Neben Massnahmen gegen Steuerflucht und einer Reorganisation der globalen Steuerpolitik fordert der Brief auch umfassende Schuldenschnitte und die Etablierung eines multilateralen Verfahrens zur Umstrukturierung von Staatschulden im Rahmen der UNO. Entwicklungsländer brauchen zudem Liquiditätsspritzen in Form von Sonderziehungsrechten beim Internationalen Währungsfonds.

Eine substantielle Beteiligung privater Gläubiger ist unumgänglich

Bereits im Juni haben Alliance Sud und zehn weitere Schweizer NGO den Bundesrat zur Einberufung eines runden Tisches aufgefordert, an dem über die Abschreibung von Krediten in der Höhe von 5,7 Milliarden Franken verhandelt werden soll, die Schweizer Banken an die 86 ärmsten Länder der Welt vergeben haben. Im August zeigte sich der Bundesrat in einer Antwort auf eine entsprechende Interpellation von SP-Nationalrat Fabian Molina zurückhaltend gegenüber dieser Idee. Er hielt fest, dass er die Debt Service Suspension Initiative (DSSI) des Internationalen Weährungsfonds (IWF) und der Weltbank unterstützt und sich «fürs Gelingen der DSSI» einsetzt und für eine möglichst breite und einheitliche Gläubigerbeteiligung plädiert – wozu selbstverständlich auch private Gläubiger gehören würden. Im Rahmen der DSSI geht es aber nicht um Schuldenerlasse, sondern nur um Schuldenstundungen. Zudem liegen bis heute keine verbindlichen Zusagen wesentlicher privater Gläubiger vor, sich an der DSSI substantiell zu beteiligen. Eine solche wäre aber – vor allem auch im Rahmen von Schuldenerlassen – entscheidend für ein Gelingen einer nachhaltigen Entschuldung von Entwicklungsländern, die auf Grund der Coronakrise in Zahlungsnot geraten sind bzw. auch wegen ihrer hohen Verschuldung nicht in der Lage sind, diese Krise gesundheits- und sozialpolitisch so zu bewältigen, dass sich die Verheerungen für die unterprivilegierten Bevölkerungsschichten in Grenzen hält. So hat die Jubilee Debt Campaign im Juli gezeigt, dass von den Geldern, die der IWF den 69 ärmsten Ländern zur Krisenbewältigung gewährte und um Staatsbankrotte zu vermeiden, neun Milliarden Dollar direkt im Rahmen des Schuldendienstes an private Gläubiger floss.


 
Hintergrundinformationen, Fragen und Antworten zum Thema (PDF zum Download)
Globale Schuldenkrise: Es braucht einen Schuldenerlass für Entwicklungsländer durch private Schweizer Gläubiger
 

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Credit Suisse vs. Globaler Süden

24.03.2023, Finanzen und Steuern

Was hat Pakistan mit einer Bank im Silicon Valley zu tun, die kurzfristige Kundengelder in langfristigen Papieren anlegt, deren Wert bei Zinserhöhungen sinkt? Was Bolivien damit, dass eine Schweizer Bank seit zehn Jahren Skandal an Skandal reiht?

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Credit Suisse vs. Globaler Süden

Auch die mosambikanische Presse hat den Kollaps der CS aufgegriffen. In Mosambik hat die Schweizer Bank in der Vergangenheit grossen Schaden angerichtet.
© O Pais

Richtig, rein gar nichts. Darunter leiden tun sie trotzdem.

Jetzt wurde die Credit Suisse also in die Arme der UBS kollabiert und die US-europäische Bankenkrise legt eine Pause ein. Deren Folgen werden im Globalen Süden noch länger zu spüren sein. Dies weil nun Investor:innen im Norden Staatsanleihen von hochverschuldeten Ländern des Südens meiden. Wenn es irgendwo knirscht oder knallt im Gebälk der globalen Finanzmärkte, passiert immer das Gleiche: Investor:innen stellen erstaunt fest, dass es ja Risiken gibt. Sie verlangen von real oder befürchtet risikoreicheren Anlagen höhere Renditen oder sie treten gleich in einen Käuferstreik. «Risk appetite for distressed emerging-market credit has collapsed as the market looks at these guys as the weakest links and highly susceptible to a sudden stop», zitiert Bloomberg einen Trader in London. Dies kann Staatsbankrotte nach sich ziehen oder Länder müssen auf ihren Staatsanleihen höhere Renditen anbieten, um überhaupt noch Käufer:innen zu finden, sie bluten also in der Zukunft noch lange.

Banken wie die CS, die krisengeplagte Länder weiter Richtung Abgrund schieben, sind dabei notabene dieselben, die mit ihren Vermögensverwaltungen reichen Kund:innen aus Asien, Afrika und Lateinamerika massgeschneiderte Lösungen zur Steuerflucht anbieten. Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet dieses Private Banking gilt spätestens nach dem Zusammenbruch der CS wieder als zukünftiger Königsweg für den Schweizer Finanzplatz: Zurück zu den Leisten und raus aus dem Finanzcasino der Investmentbanker, lautet zumindest gegen aussen die aktuelle Devise der neuen Monster-UBS. Für Millionär:innen aus Ländern des Globalen Südens, die keinen automatischen Informationsaustausch (AIA) mit der Schweiz haben, bleibt der Paradeplatz ein besonderes Pflaster. Für sie gilt das gute alte Bankgeheimnis immer noch.

Wie ernst es der UBS mit dem Verlassen des Casinos und dem risikolosen Geschäft wirklich ist, muss sich auch erst noch zeigen. So berichtete die Financial Times, dass die UBS den von der CS bereits beschlossenen Verkauf ihrer Investmentbank «First Boston» wieder rückgängig machen wolle. Überhaupt ist Risiko immer eine Frage des Standpunktes. Das gemeinsam mit dem staatlichen «Banco do Brasil» betriebene Investmentbanking der UBS in Brasilien ist fett im Geschäft mit der Fleisch- und Agroindustrie drin. Für Landrechtsaktivist:innen, die Biodiversität oder Faultiere ist dieses Geschäft bestimmt nicht «risikolos».

Zurück zur Credit Suisse: Neben dem strukturellen Schaden für den Globalen Süden, den sie eben mitverursachte, hatte die Bank auch ganz direkt den Menschen in Mosambik das Leben und die Zukunft zerstört. Derjenige Credit-Suisse-Skandal mit der grössten Zahl von Opfern ist zugleich derjenige, über den aktuell am wenigsten berichtet wird. Logo, die 470 Millionen Dollar, die Credit Suisse in diesem Zusammenhang wegen Korruption in den USA zahlen musste, liegen ja nur auf Rang 7 der US-Bussenrangliste der Skandalbank. Und es ging ja nur um korrupte Kredite von 1 Milliarde Dollar – ein Zehntel der Geschäfte mit der kriminellen Investmentgesellschaft Greensill Capital. Und in Mosambik waren es ja nicht schwerreiche Hedge-Fonds-Kund:innen, die Geld verloren, sondern nur etwa eine Million Menschen, die in die absolute Armut fielen, weil die Credit Suisse das Land 2016 in den Staatsbankrott getrieben hatte  .

Auch bei Direktschäden gibt es nach der Einverleibung leider keine Entwarnung. Die UBS wurde zwar dafür nicht bestraft, aber ihre Investmentbank in Australien hatte mit dubiosen bis kriminellen Geschäften in Papua Neuguinea dem bitterarmen Land einen Millionenschaden verpasst. Im Süden nichts Neues, steht für die Monsterbank zu befürchten.

Finanzplatz Schweiz

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Trotz aller Reformen der letzten 15 Jahre, ist der Schweizer Finanzplatz weiterhin ein beliebtes Versteck für Steuerhinterzieherinnen, Geldwäscher und Korrupte aus aller Welt. Alliance Sud setzt sich dafür ein, dass sich das endlich ändert.

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Worum es geht

Im Jahr 2017 führte die Schweiz den internationalen automatischen Informationsaustausch für Bankkundendaten (AIA) ein; mittlerweile betreibt sie diesen mit über 100 Staaten. Das wird in der Schweizer Öffentlichkeit oft als Abschaffung des Schweizer Bankgeheimnisses interpretiert. Tatsächlich ist die Einführung des AIA ein wichtiger Schritt für die bessere Identifizierung von Vermögenden, die mit Hilfe von Banken in der Schweiz und anderen Finanzintermediären Steuern hinterziehen.

Dem Bankgeheimnis hat der AIA aber kein Ende gesetzt. Es ist in den entsprechenden Gesetzen nach wie vor unverändert verankert. Zudem kommen viele Länder des Globalen Südens nach wie vor nicht in den Genuss dieses Datenaustausches mit der Schweiz. Da das Bankgeheimnis im Inland unangetastet bleibt, gibt es zudem einen starken Anreiz für ausländische Kunden von Schweizer Banken, ihren Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen, um den AIA mit ihren Herkunftsländern zu umgehen. Alliance Sud arbeitet auf Reformen hin, um dies zu ändern.