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Das Geld bleibt am falschen Ort

18.06.2023, Finanzen und Steuern

Die Stimmenden haben heute einer Schweizer Umsetzung der OECD-Mindeststeuer zugestimmt, die einseitig die Tiefsteuerkantone und ihre multinationalen Konzerne begünstigt.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Das Geld bleibt am falschen Ort

Der Schweizer Weg zur internationalen Steuergerechtigkeit ist noch lang.
© Tim Reckmann / pixelio.de

Die zusätzlichen Steuereinnahmen aus der Mindeststeuer werden nun ausgerechnet jenen zugutekommen, die für das weltweit schädliche Steuerdumping mitverantwortlich sind. Dass eine solche Umsetzung auf nationaler Ebene überhaupt möglich ist, zeigt, dass es der OECD nicht gelungen ist, das schädliche Geschäftsmodell von Steuerdumpingländern wie der Schweiz zu unterbinden. Konzerne werden auch mit der Mindeststeuer ihre Gewinne weiterhin nicht dort versteuern, wo diese erarbeitet werden, sondern dort, wo die Konzerne dafür am wenigsten Steuern bezahlen. Das widerspricht exakt jener Losung, die die OECD zu Beginn dieses Reformprozesses ausgegeben hatte: «Tax, where value is created» – Besteuern, wo Wert geschaffen wird.

Die Schweizer Steuerdumpingpolitik geht ganz besonders auf Kosten des Globalen Südens. Und sie ist angesichts von immensen globalen Problemen, die die Schweiz selbst stark betreffen, aber nur global gelöst werden können, völlig unverantwortlich und auch aus einer nationalen Perspektive nicht nachhaltig: Für die Bekämpfung der Klimakrise oder die (Wieder-)Herstellung von Stabilität und Sicherheit in der Welt braucht es auch mehr Steuergeld. Mit dieser Umsetzung der OECD-Mindeststeuer wird die Schweizer Konzernsteuerpolitik auch in Zukunft verhindern, dass Steuergeld dort eingesetzt werden kann, wo es am nötigsten gebraucht wird. Das kann so nicht weitergehen.

In Anbetracht des Scheiterns der OECD, in einem insgesamt zehnjährigen (!) Prozess das globale Steuersystem gerechter zu machen, muss sich die Schweiz nun dafür einsetzen, dass die UNO die gescheiterte OECD als führende multilaterale Kraft in der globalen Steuerpolitik ablösen kann (siehe «global»-Artikel). Im November hat die UNO-Generalversammlung auf Druck der afrikanischen Staaten in einer Resolution beschlossen, entsprechende Reformen aufzugleisen. Diese Woche beschloss auch das EU-Parlament, die Schaffung einer UNO-Rahmenkonvention für Steuerpolitik zu unterstützen. Die Schweiz gehört in diesem Prozess bisher zu den Bremser:innen. Das steht ihr als Sitzstaat der UNO schlecht. Der Bundesrat sollte sich nun einen Ruck geben, und an diesem Prozess konstruktiv mitarbeiten. Im Globalen Süden könnte die Schweiz damit auch für ihre Diplomatie wertvolle Punkte sammeln.

Um die Mängel bei der OECD-Reform zu korrigieren, hätte die Schweiz aus den Mehreinnahmen ihren Beitrag für die internationale Zusammenarbeit und die internationale Klimafinanzierung erhöhen können. Stattdessen will der Bundesrat nun das Geld für die Ukraine-Hilfe ausgerechnet aus dem Budget für die Internationale Zusammenarbeit nehmen. Die Länder des Südens würden so gleich doppelt verlieren: Die Schweiz entzieht dem Süden Steuereinnahmen zu Gunsten Schweizer Konzerne, die ihren Produktionsländern im Süden mit ihren heutigen Geschäftspraktiken mehr Schaden als Nutzen bringen. Und Geld, das die Schweiz bisher in ihre Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Ländern steckt, soll nun in die Ukraine umgeleitet werden. Angesichts von sich kumulierenden Klima-, Hunger- und Schuldenkrisen wäre das eine Katastrophe. Dabei hat die Schweiz ohne jeden Zweifel den finanziellen Spielraum, um sowohl ihre Hilfe für die Ukraine und die Entwicklungszusammenarbeit mit den Süd-Ländern auszubauen. In dieser Abstimmungsdebatte haben auch bürgerliche Befürworter:innen der Vorlage immer wieder betont, dass sie eine Verwendung der Mindeststeuer-Mehreinnahmen zu Gunsten des Globalen Südens zwar ablehnen, Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit aber auch. Wir hoffen, dass sie dabei bleiben.

Der Abstimmungskampf zur OECD-Mindeststeuer hat auch gezeigt, dass der Bund und die Kantone nicht fähig oder willens sind, die Stimmbürger:innen so mit Steuerdaten von Konzernen zu versorgen, dass diese sich zu entsprechenden Vorlagen ein realistisches Bild der Lage machen können. Das ist angesichts der volkswirtschaftlichen wie auch politischen Bedeutung dieser Konzerne ein unhaltbarer Zustand. Es braucht deshalb dringend mehr Transparenz in der Besteuerung multinationaler Konzerne. Dazu gehört auch ein sogenanntes öffentliches «Country-by-Country-Reporting» (pCbCR), wie es in der EU beschlossen wurde. Damit würde öffentlich besser ersichtlich, wo die Konzerne ihre Wertschöpfung erzielen und ihre Steuern bezahlen. So würden die Hürden für das Steuerdumping der Konzerne deutlich erhöht. Gerade in der direktdemokratischen Schweiz würde damit auch der Meinungsbildungsprozess der Bürger:innen bei Unternehmenssteuervorlagen gestärkt. Wir handeln besser früher als später: Auch punkto Steuertransparenz könnte die Schweiz nämlich angesichts der Entwicklungen in der EU bald wieder unter ausländischen Druck geraten.