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Die Schweizer Armee im Kampf gegen Windmühlen

20.06.2022, Internationale Zusammenarbeit

Der Krieg in der Ukraine hat weitere globale Krisen dramatisch verschärft. Und was macht die Schweiz? Bekämpft Scheingefahren mit milliardenschweren Fehlinvestitionen in die Armee.

Kristina Lanz
Kristina Lanz

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Die Schweizer Armee im Kampf gegen Windmühlen
Wie der Ritter Don Quijote: Die Schweiz bekämpft einen imaginären Feind mit Rieseninvestitionen in die Armee.
© Marvin Siefke / pixelio.de

Der Krieg in der Ukraine lässt in ganz Europa vergessen geglaubte Ängste wiederaufleben. Die politische Antwort darauf: Stärke demonstrieren und Aufrüsten. Auch in der Schweiz hat der Nationalrat einer milliardenschweren Aufstockung der Armeeausgaben auf 1% bis 2030 deutlich zugestimmt. Heute hat der Ständerat die Motion ebenfalls angenommen. Die «Politik der starken Männer» hat sich durchgesetzt. Nur – macht ein globales Wettrüsten die Welt langfristig wirklich sicherer? Und verpassen wir bei diesem engen Fokus auf Panzer und Munition nicht viel wesentlichere sicherheitspolitische Bedrohungen?

Weiten wir unseren Fokus ein wenig aus und wenden uns dem nichtwestlichen «Rest der Welt» zu, sehen wir, dass Krieg, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen nicht nur in der Ukraine stattfinden (Syrien, Äthiopien und Afghanistan sind nur einige der aktuellen Krisenherde). Diese Länder mögen zwar weiter weg und aus westlicher Sicht auch weniger relevant erscheinen, doch auch diese Kriege führen zu regionaler Destabilisierung, Hoffnungslosigkeit und Gewalt. Auch sie lösen Flüchtlingsbewegungen aus, die – obschon wir versuchen, sie mit allen Mitteln abzuwehren – uns ebenfalls betreffen. Auch diese Menschen sind auf Solidarität und Hilfe angewiesen, sowohl in ihren Herkunftsländern, wie auch bei uns.

Dramatische Lage in Ostafrika

Gleichzeitig hat der Krieg in der Ukraine Auswirkungen, die weit über die Grenzen Europas hinausreichen. Die Ukraine und Russland decken rund 30 % der weltweiten Weizen- und Gerstenproduktion und über die Hälfte der globalen Sonnenblumenölproduktion ab. Zudem sind Weissrussland und Russland für etwa 1/5 der globalen Düngemittelproduktion verantwortlich und Russland ist der grösste Gasexporteur und der zweitgrösste Ölexporteur der Welt. Aufgrund von Produktions- und Lieferengpässen, Sanktionen und Hafenblockaden sind seit Ausbruch des Kriegs die weltweiten Nahrungsmittel-, Düngemittel- und Energiepreise massiv angestiegen. Das mag auch bei uns aufs Portemonnaie drücken, in vielen der ärmsten Länder, welche gleichzeitig mit den Konsequenzen der Covid-Pandemie und der Klimakrise zu kämpfen haben, führen diese Preissteigerungen zum Kampf ums Überleben. Der Spielraum der teilweise hoch verschuldeten Regierungen ist zudem massiv eingeschränkt. Seit 2019 haben sich die Zahlen der Menschen, die von Ernährungsunsicherheit bedroht sind, laut Welternährungsprogramm (WFP) verdoppelt, von 135 Millionen auf 275 Millionen; gleichzeitig sind aktuell 49 Millionen Menschen akut vom Verhungern bedroht. In Ostafrika ist die Lage besonders dramatisch. Schon bevor der Krieg in der Ukraine ausbrach, war die Region von Dürren, Heuschreckenplagen und massiven Ernteausfällen betroffen, die dazu führten, dass Millionen von Menschen von Hunger bedroht waren. Mittlerweile stirbt laut der NGO Oxfam etwa alle 48 Sekunden ein Mensch in Ostafrika an Hunger.

Der «perfekte Sturm»

Verschiedene Experten warnen vor den globalen Konsequenzen dieses «perfekten Sturms» – wirtschaftliche Rezessionen, Schuldenkrisen, soziale und politische Unruhen sind nur einige davon (eine historische Analyse der UNCTAD zeigt beispielsweise eine klare Korrelation zwischen steigenden Nahrungsmittelpreisen und Volksaufständen). Gleichzeitig spitzt sich auch die globale Klimakrise weiterhin dramatisch zu. Und auch hier zeigt eine neue Studie des internationalen Forschungskonsortiums SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) eine klare Korrelation zwischen Umwelt- und Klimarisiken einerseits, und Sicherheitsrisken andererseits. So ist es kein Zufall, dass diejenigen Länder, welche am meisten vom Klimawandel betroffen sind, auch am häufigsten von Krieg, Krisen und Fragilität betroffen sind. Die Wissenschaft spricht schon lange Klartext: Wenn wir jetzt nicht dringend handeln, drohen nicht nur massive Armut, Hungersnöte und Flüchtlingskatastrophen im globalen Süden, sondern ein kompletter Klimakollaps, der das Leben auf dem gesamten Planeten zerstört.

Krisenprävention statt Scheinsicherheit

Diese breitere, globale Perspektive macht die Frage, ob die Erhöhung der Armeeausgaben unsere Sicherheit tatsächlich erhöht, überflüssig. Viel relevanter ist, dass wir endlich die Ursachen für Gewalt, Krieg und Krisen angehen. Und dafür braucht es vor allem eins, wie unsere Stellungnahme «12 Punkte im Krieg für den Frieden» betont: mehr Investitionen in die internationale Zusammenarbeit, in die Armutsreduktion, in die Demokratieförderung, in die Bekämpfung der Klimakrise und in den öko-sozialen Umbau unseres Wirtschaftssystems.