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Investitionen an den Klimazielen ausrichten

06.12.2022, Finanzen und Steuern

Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens hat sich die Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, die Finanzströme auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft auszurichten. Die Schweiz bewegt sich in diese Richtung – aber in sehr kleinen Schritten.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Investitionen an den Klimazielen ausrichten

© House of Switzerland

Auch wenn es manchmal vergessen geht: Das Pariser Abkommen verpflichtet die Staaten – neben der Verringerung ihrer CO2-Emissionen und der Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels – auch zur Ausrichtung von Finanzflüssen auf eine treibhausgasarme und klimaresiliente Entwicklung. So sollen die Staaten mit geeigneten Massnahmen sicherstellen, dass die Finanzmarktakteure – durch ihre Finanzierungen und Investitionen – einen Beitrag zur Umlenkung der Kapitalflüsse zugunsten konkreter Lösungen zur Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung an das veränderte Klima leisten. Vereinfacht ausgedrückt sollen «Investitionen an den Zielen des Pariser Abkommens ausgerichtet werden».

Angesichts seiner globalen Bedeutung – 24% der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung findet in der Schweiz statt – wäre der Schweizer Finanzsektor durchaus in der Lage, entscheidend als Katalysator zu wirken und so diese Neuausrichtung voranzubringen. Doch während sich alle über das Ziel einig sind, gehen die Meinungen über die Massnahmen zur Zielerreichung weit auseinander.

EU-Taxonomie: «Nachhaltigkeit» endlich definieren

Die EU ihrerseits hat im Juni 2020 die Taxonomie-Verordnung verabschiedet; sie ist das Rückgrat ihres Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Eines ihrer Hauptanliegen ist es, Investitionen in «nachhaltige» Aktivitäten, die mit dem Ziel der EU – Klimaneutralität bis 2050 – einher gehen, zu identifizieren und zu fördern. Zu diesem Zweck schafft die Verordnung eine Klassifizierung (Taxonomie) der wirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen nach ihrem Potenzial, zu den sechs Umweltzielen der EU beizutragen.  Sie umfasst auf verschiedenen Ebenen über 70 Aktivitäten aus den Bereichen Energie, Verkehr, Forstwirtschaft und Bauwesen : diese machen mehr als 90% der Treibhausgasemissionen der EU aus. Grossunternehmen sind angehalten, ihre der Taxonomie entsprechenden Tätigkeiten auszuweisen und deren Anteil an ihrer Gesamtaktivität anzugeben. Diese Informationen sollen es den Finanzmarktakteuren ermöglichen, die Finanzierung jener Projekte und Vermögenswerte zu priorisieren, die nachweislich am meisten zum Senkungspfad in Richtung Klimaneutralität beitragen. Ausserdem müssen Grossunternehmen ab 2023 die Ausrichtung ihrer Aktivitäten an der Taxonomie publik machen. Die gleiche Verpflichtung gilt ab 2024 auch für Finanzinstitute.

Damit eine Tätigkeit im Sinne der Taxonomie als «grün» eingestuft werden kann, muss sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der sechs Umweltziele der EU leisten, ohne den anderen fünf Zielen erheblich entgegenzuwirken, und dabei Garantien in Bezug auf Menschen- und Arbeitsrechte einhalten. Die Kriterien zur Identifizierung umweltfreundlicher Aktivitäten werden von der Europäischen Kommission festgelegt. Ein erster Rechtsakt mit Schwerpunkt Klima – seit Januar 2022 in Kraft – betrifft Aktivitäten, die zu den ersten beiden Zielen der Taxonomie (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) beitragen.  Die Kriterien für die anderen vier Ziele (Umweltverschmutzung, Wasser, Kreislaufwirtschaft und Biodiversität) sollen bis Ende des Jahres festgelegt werden. In Zukunft sollen auch zusätzliche soziale Kriterien und Gouvernanz-Aspekte definiert werden.

Zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit

Der Bundesrat anerkannte 2020 in seinem Bericht über die nachhaltige Entwicklung im Schweizer Finanzsektor die Bedeutung eines einheitlichen Klassifikationssystems für nachhaltige Aktivitäten (Taxonomie), in erster Linie «weil vergleichbare Informationen Transparenz für KundInnen, Versicherte, InvestorInnen und die Öffentlichkeit bedeuten» . Trotzdem zog er es – nach Widerstand aus der Branche und unter Berufung auf das sakrosankte Subsidiaritätsprinzip in Bezug auf staatliches Handeln – vor, einen freiwilligen und damit nicht regulatorischen Ansatz zu verfolgen.  Im Juni 2022 verabschiedete er die Swiss Climate Scores (SCS), die von einer Arbeitsgruppe aus BranchenakteurInnen, VertreterInnen der Bundesverwaltung, der Wissenschaft und von NGOs erstellt wurden.  Ihr Ziel: institutionellen oder privaten Investoren «zuverlässige und vergleichbare» Informationen darüber zu liefern, inwieweit ihre Finanzanlagen mit den internationalen Klimazielen vereinbar sind. Der Bundesrat empfiehlt allen Schweizer FinanzmarktakteurInnen, die Swiss Climate Scores überall dort auf Finanzanlagen und Kundenportfolios anzuwenden, «wo dies sinnvoll ist».

Ist der Ansatz glaubwürdig?

Um ihrer Eigenschaft als «Best Practices» im Bereich der Klimatransparenz gerecht zu werden, sollen die SCS in regelmässigen Abständen überprüft und «falls nötig» an die neuesten Erkenntnisse angepasst werden. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) und das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) wurden beauftragt, bis Ende 2023 den Stand der – wie gesagt freiwilligen – Einführung der «Swiss Climate Scores» durch die Schweizer Finanzmarktakteure zu überprüfen. In diesem Zusammenhang wird es sinnvoll sein, die erzielten Fortschritte mit jenen zu vergleichen, die in der EU durch die Taxonomie und andere Regulierungsmassnahmen erzielt wurden.

Zum jetzigen Zeitpunkt werfen die SCS mehrere Fragen auf: Werden sie innerhalb des Finanzsektors tatsächlich umgesetzt? Wird der (alleinige) Druck der KundInnen auf die Finanzinstitute ausreichen, um ihre Umsetzung zu gewährleisten? Oder können nur weitergehende, regulatorische Massnahmen einen genügend grossen Klimaanreiz schaffen und so sicherstellen, dass Investitionen an den Zielen des Pariser Abkommens ausgerichtet werden, zu denen sich die Schweiz verpflichtet hat? – Fortsetzung folgt 2023.

Die 5 + 1 Indikatoren der Swiss Climate Scores

Die SCS umfassen fünf obligatorische und einen optionalen Indikator. Drei Indikatoren beziehen sich auf den aktuellen Stand der Portfolios (Treibhausgasemissionen; Exposition gegenüber fossilen Brennstoffen; glaubwürdiger Klimadialog mit Unternehmen). Zwei Indikatoren sind «zukunftsorientiert» (verifizierte Bekenntnisse zu Netto-Null; Management auf Richtung Netto-Null). Der Indikator «globales Erwärmungspotenzial», also das Ausmass der globalen Erwärmung, wenn die Weltwirtschaft mit der gleichen Ambition wie die Portfolio-Unternehmen handeln würde, bleibt vorerst optional.

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