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Klimawelle bedroht Entwicklungszusammenarbeit

22.03.2020, Entwicklungsfinanzierung, Klimagerechtigkeit

Der Bundesrat will bis zu 400 Millionen Franken jährlich aus Entwicklungsgeldern einsetzen, um das Pariser Klimaübereinkommen zu erfüllen. Das klingt gut, ist aber höchst problematisch. Denn es geht zu Lasten der Ärmsten.

Klimawelle bedroht Entwicklungszusammenarbeit
Befestigung des Dorfs Abdullah Pur gegen drohende Überflutung im Nordosten von Bangladesch.
© Laurent Weyl / Argos / Panos

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Ab 2021 gilt es ernst, dann tritt das im Dezember 2015 in Paris unterzeichnete Klimaübereinkommen in Kraft. Im Zeichen der Klimagerechtigkeit verpflichtet der Vertrag die Industrieländer, jene Länder im globalen Süden jährlich mit 100 Milliarden US-Dollar zu entschädigen, die am meisten unter der sich immer deutlicher abzeichnenden Klimakatastrophe leiden, diese aber nicht verursacht haben. Auch die Schweiz hat sich mit der Ratifizierung des Pariser Abkommens dazu verpflichtet, ihren «angemessenen» Betrag zur internationalen Klimafinanzierung bereitzustellen. Der Bundesrat sieht die Schweizer Verantwortung bei 450 bis 600 Millionen Franken; wer wie Alliance Sud auch den Schweizer Klimafussabdruck im Ausland mit berücksichtigt, kommt jedoch auf 1 Milliarde Franken jährlich. Das ist die erste Diskrepanz. Eine zweite kommt mit der bundesrätlichen Botschaft zur Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA) 2021-2024 auf den Tisch: Im Pariser Übereinkommen ist verankert, dass für die internationale Klimafinanzierung «neue und zusätzliche» Mittel mobilisiert werden müssen. Und was tut die Schweiz? Sie erhöht die Zweckbindung für «Klimaprojekte» in den bestehenden Rahmenkrediten der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) von 300 auf 400 Millionen Franken pro Jahr. Neue und zusätzlich Gelder? Fehlanzeige.

Klimaschutz ist nicht Armutsbekämpfung

Was zunächst wie eine buchhalterische Schlaumeierei aussieht, um die – notabene auch dieses Jahr mit einem Milliardenüberschuss gesegnete – Bundeskasse nicht zusätzlich zu belasten, ist weit schlimmer. Der Bundesrat will der Schweizer Klimaverpflichtung nachkommen, indem er bisherige Entwicklungsaufgaben aushöhlt: Klimaprojekte ohne Aufstockung von Mitteln gehen tendenziell auf Kosten der Förderung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung, ländlicher Entwicklung oder Geschlechtergerechtigkeit, der Stärkung von Zivilgesellschaft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit oder der Unterstützung angemessener Bildungsmöglichkeiten. Denn Klimafinanzierung hat im Gegensatz zur der Bekämpfung grösster Armut und der Reduktion von Ungleichheit ein anderes Ziel: Sie ist auf die Bewältigung von zukünftigen Klimarisiken ausgerichtet und zielt nicht per se auf eine unmittelbare Verbesserung der gegenwärtigen Lebensumstände.

Die am 19. Februar 2020 veröffentlichte IZA- Strategie 2021-2024, die nach den Kommissionsberatungen in der Sommersession in der ersten Kammer des Parlaments diskutiert werden wird, geht bei der Zweckbindung der einzelnen Budgetposten nicht ins Detail. Mit einer Ausnahme: fast 20% der gesamten EZA-Mittel der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) sollen für Klimaprojekte reserviert sein.  

Dass die Unterstützung von Entwicklungsländern auch bei Klimaschutz und Anpassung an die Klimaveränderung an Deza und Seco delegiert wird, ist durchaus sinnvoll. Wer sonst würde über das langjährige Know-how und die notwendigen Instrumente für wirkungsvolle Massnahmen vor Ort verfügen? Wenn aber der damit verbundene Zusatzaufwand ohne Aufstockung aus den bestehenden EZA-Rahmenkrediten gedeckt werden soll, stellen sich zwei grundlegende Fragen:

  • Können Entwicklungsprojekte gleichzeitig auch vollwertige Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen im Sinne des Pariser Abkommens sein?
  • Wann ist die Verwendung von Entwicklungsmitteln für Klimamassnahmen gerechtfertigt?

Um diese Fragen zu beantworten, haben die Stuttgarter KonsulentInnen von FAKT im Auftrag von Alliance Sud die Schweizer Klimafinanzierung seit 2011 analysiert. Die Autorin Christine Lottje nahm insbesondere die implizite Hypothese des Bundes unter die Lupe, dass Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit deckungsgleich seien; weil – wie in der neuen IZA-Strategie geschrieben steht – Mittel für Klimaprojekte «jeweils im Rahmen des IZA-Mandats der Armutsreduktion und der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung» eingesetzt würden.

Die Ergebnisse der Studie «Der Schweizer Beitrag an die internationale Klimafinanzierung» sind ernüchternd: Die als Klimafinanzierung an die UNO rapportierten Beiträge stiegen seit 2011 überproportional zu den öffentlichen Entwicklungsausgaben (Aide publique au développement APD) an. Der Anteil der Klimafinanzierung, die in Ländern mit besonders ausgeprägter Armut oder auch besonderer Klimaverwundbarkeit zum Einsatz kam, war ein Bruchteil dessen, was in Ländern mittleren Einkommens oder unspezifisch via die sogenannten Global- oder Regionalprogramme eingesetzt wurde.

Aus Sicht des Klimaschutzes ist dies insofern nachvollziehbar, als dass eine Reduktion der CO2-Emissionen am effektivsten in Regionen mit vergleichsweise hohem Pro-Kopf-Ausstoss erzielt werden kann, tendenziell also in urbanen Gebieten von Ländern mittleren Einkommens (MIC). Die Hauptzielgruppe der Entwicklungszusammenarbeit lebt aber – wie vom Gesetz festgelegt – in ärmeren Ländern. Anders gesagt: Die Kernaufgabe der Entwicklungszusammenarbeit wird bei den meisten Klimaprojekten ignoriert. Gemäss Beschreibung fokussieren nur gerade drei von zehn Projekten explizit auf arme Zielgruppen oder Armutsbekämpfung. Die Studie identifiziert sogar zwei Seco- und ein Deza-Projekt, die als Klimafinanzierung ausgewiesen wurden, obschon keinerlei Klimabezug erkennbar ist; und im Gegenteil das Risiko besteht, dass sogar klima-schädliche Praktiken gefördert werden.

Es braucht zusätzliche Mittel

Die Studie bestätigt, was Alliance Sud seit Jahren als Gefahr für die Schweizer Entwicklungspolitik anmahnt: Dass Deza und das Seco zusehends als Financiers der Schweizer Umwelt- und Klima-Aussenpolitik herhalten müssen und dass dies auf Kosten der Ärmsten in Ländern des globalen Südens geht. Werden nicht zusätzliche Gelder gesprochen, so stehen für die Kernaufgaben der EZA immer weniger Mittel zur Verfügung.

Aus der Deza ist zu vernehmen, dass es zunehmend schwieriger werde, im Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit – also über Programme zur Gesundheits- oder Bildungsförderung, der Stärkung der Zivilgesellschaft o. ä. – Massnahmen umzusetzen, die auch eine sinn- und wirkungsvolle Klimawirkung entfalten.

Anpassungsvorhaben, die tatsächlich Synergien mit der eigentlichen EZA aufweisen und berechtigterweise aus deren Mitteln (mit-)finanziert werden sollen – wie etwa die Errichtung von Saatgutbanken, die Schulung von Bäuerinnen und Lehrpersonal in Sachen Klimaanpassung und Resilienz, die Stärkung der Kompetenzen von Lokalbehörden usw. – bleiben beschränkt.

Der Ausbau erneuerbarer Energiequellen in besonders armen Regionen ist zweifellos ein legitimes und dringliches Entwicklungsvorhaben. Weil damit aber Gebiete neu erschlossen, also keine bestehenden Kohle-Kraftwerke ersetzt werden, handelt es sich dabei nicht um Projekte im Sinne des Pariser Klimaübereinkommens, mit denen tatsächlich Treibhausgase reduziert werden. Es ist daher zynisch, solche Projekte als Klimafinanzierung auszuweisen.

Dies alles bestätigt die Dringlichkeit, für Infrastruktur- und Schutzmassnahmen im nötigen grossen Massstab zusätzliche Klimafinanzierung bereitzustellen. Auf Armutsreduktion fokussierte Entwicklungszusammenarbeit und wirkungsvoller Klimaschutz und Anpassung schliessen sich zwar nicht a priori aus, aber echte Synergien sind nur beschränkt möglich.

Dieser Text ist in der Frühlingsausgabe von global (#77/2020) publiziert worden

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Das steht in der IZA-Strategie 2021-2024 zu Klima und Klimafinanzierung


In der Botschaft zur Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021–2024 (IZA-Strategie 2021–2024) schlägt der Bundesrat «die Bekämpfung des Klimawandels» als einen von vier neuen Schwerpunkten für die IZA vor (S. 29). Dafür sieht er eine – notabene die einzige! – Zweckbindung von bis zu 15% der gesamten Rahmenkredite der IZA vor.

Er führt dabei an, dass die Herausforderungen der Klimaveränderung «oft die Ursache von Konflikten und Armut» seien und «sogar bisherige Erfolge gefährden [können]». Daher will er «der Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung an dessen Folgen in der IZA künftig mehr Platz [einräumen].» (S. 19) Gemäss Ziel B), Unterziel 3 der IZA-Strategie soll die Schweiz «die Entwicklungsländer bei ihren Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels (Verringerung der Treibhausgasemissionen) und zur Anpassung an dessen Folgen sowie bei der Suche nach nachhaltigen Finanzierungen» unterstützen. Dies soll «zur nachhaltigen Bewirtschaftung städtischer und ländlicher Gebiete bei[tragen]», indem «die mit den Folgen des Klimawandels einhergehenden zunehmenden Risiken reduziert und erneuerbare Energien sowie die Energieeffizienz [ge]fördert» würden. (S. 76)

Als Begründung, die Mittel der öffentlichen Entwicklungshilfe «in diesem Bereich [...] von 300 Millionen pro Jahr (2017–2020) schrittwiese bis Ende 2024 auf rund 400 Millionen Franken pro Jahr [anzuheben]» (S. 30), verweist der Bundesrat auf die Gefährdung bisheriger «Errungenschaften im Bereich Armutsbekämpfung» (S. 14) sowie auf die Gefahr, dass in zehn Jahren 100 Millionen Menschen «zurück in extreme Armut fallen» könnten; gemäss Weltbank drohten bis 2050 «143 Millionen Menschen zu Klimamigranten zu werden» (S. 29).

Zusammengefasst heisst das:

  • Es sollen erstens zunehmend Mittel der Entwicklungszusammenarbeit zur Abwehr von zukünftigen Risiken eingesetzt werden, auch wenn diese neuen Risiken nicht von den Meistbetroffenen selbst verursacht wurden.
  • Zweitens sollen EZA-Mittel dafür aufgewendet werden, die a priori noch keinen direkten Entwicklungsnutzen aufweisen – also zu keinem sichereren Einkommen, grösserer Gesundheit, verbesserter Bildung oder mehr demokratischen Rechten führen.

Das damit nicht genug: Gemäss Bundesrat Cassis soll mit «massiv erhöhten, zweckgebundenen Investitionen» aus den Rahmenkrediten von DEZA und Seco sogar explizit «bereits ein Grossteil der adäquaten Unterstützung des Pariser Klimaübereinkommens gegeben» sein (so Bundesrat Cassis anlässlich der Pressekonferenz zur IZA-Strategie, 19.2.2020). Dies steht im klaren Widerspruch zur Anforderung an internationale Klimafinanzierung – um genau solche handelt es sich hier: Zur Unterstützung der Entwicklungsländer im Kampf gegen die Klimakrise sind gemäss Klimarahmenkonvention neue und zusätzliche Gelder notwendig.

Bemerkenswerterweise steht sogar in der IZA-Botschaft selbst, dass die Anrechnung von Ausgaben «zur Eindämmung des Klimawandels» im Rahmen der OECD-Definition der öffentlichen Entwicklungshilfe (APD, aide publique au développement) nach wie vor zur Debatte stehe (S. 11/12).

Fazit: Während in den anderen drei Schwerpunktbereichen – «Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen», «Verminderung der Ursachen irregulärer Migration» sowie «Engagement für Rechtsstaatlichkeit und Frieden» – die unmittelbare Verbesserung der Lebensumstände der ärmsten Menschen im Vordergrund steht, zielen Klimaschutzmassnahmen in der Regel auf Prävention und Schutz gegen zukünftige Auswirkungen der Klimaveränderung. Der Bundesrat will sogar explizit bis zu 400 Millionen Franken pro Jahr aus den Rahmenkrediten der öffentlichen Entwicklungshilfe zur Erfüllung der Klimafinanzierungs-Verpflichtung im Pariser Klimaübereinkommen einsetzen, obschon unsicher ist, inwiefern dies zu einer unmittelbaren Verbesserung der derzeitigen Lebenssituation von Menschen in Entwicklungsländern führt. Das widerspricht dem Sinn und Zweck der Entwicklungszusammenarbeit. – Siehe dazu die Studie von FAKT / Christine Lottje, 2020.