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New York statt Paris!

18.06.2023, Finanzen und Steuern

2016 versprach die OECD eine Reform des internationalen Steuersystems, die auch den Interessen des Globalen Südens gerecht werde. Sieben Jahre später ist die OECD an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert. Es könnte die Stunde der UNO schlagen.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

New York statt Paris!

Eine Hauptstrasse vor dem Gebäude der Vereinten Nationen in New York am 24. März 2022.
© Ed JONES / AFP / Keystone

«Damit das Geld in der Schweiz bleibt.» Das stand auf den Plakaten der Befürworter:innen der Schweizer Einführung der OECD-Mindeststeuer. Mit diesem einfachen Slogan haben die Konzern-Verbände von economiesuisse und SwissHoldings unter gütiger Mithilfe der bürgerlichen Parteien die Abstimmung vom 18. Juni denn auch gewonnen. Ab dem 1. Januar 2024 kann der Bundesrat die Mindeststeuer in Kraft setzen. Kommt es dank dieser tatsächlich zu substanziellen Mehreinnahmen in der Schweiz, werden sie in Zukunft zu Gunsten der Standortförderung in der Schweiz eingesetzt. Damit sollen die Mehreinnahmen ausgerechnet an jene Konzerne in der Schweiz zurückfliessen, die anderen Ländern jährlich über 100 Milliarden Dollar an Steuersubstrat entziehen und den Schweizer Tiefsteuerkantonen wie Zug und Basel-Stadt üppige Gewinnsteuereinnahmen garantieren. Allein die Tatsache, dass eine solche Umsetzung der Mindeststeuer überhaupt möglich ist, zeigt: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit Sitz in Paris ist mit ihren Bemühungen der letzten zehn Jahre, das globale Steuersystem etwas fairer zu gestalten, gescheitert. Das ist wenig überraschend. Denn obwohl an den Verhandlungen zur Mindeststeuer über 140 Staaten teilnahmen, darunter also auch einige Schwellen- und Entwicklungsländer, setzten sich in diesem Rahmen einmal mehr die Interessen der reichen Länder aus dem Globalen Norden durch.

Gleich lange Spiesse nur bei der UNO

Das hat auch mit der Geschichte dieses sogenannten «Inclusive Framework» zu tun, das 2016 von der OECD gegründet wurde. Das damalige Versprechen waren gleich lange Spiesse für alle Länder. Allerdings ist die Bedingung für den Beitritt zu diesem OECD-Rahmenwerk die Übernahme der Regeln gegen «Base Erosion and Profit Shifting» (BEPS), die die nur 39 Mitgliedsländer der OECD (vor allem die reichen Staaten des Globalen Nordens) in den Jahren zuvor ausgearbeitet hatten. Über 100 Entwicklungsländer waren von diesem Prozess ausgeschlossen. Entsprechend sind diese Regeln auf die reichen Länder des Nordens zugeschnitten und der Preis für die Mitgliedschaft im «Inclusive Framework» für Entwicklungsländer deshalb hoch. Die Länder des Globalen Südens, in denen in der heutigen Weltwirtschaft ein Grossteil der Produktion stattfindet, werden von den rund 250 Milliarden Mehreinnahmen, mit denen die OECD dank der Einführung der Mindeststeuer global rechnet, kaum etwas sehen.

Jetzt muss eine Alternative her, und diese entsteht derzeit in New York: Ende letzten Jahres verabschiedete die UNO-Generalversammlung auf Initiative der afrikanischen Ländergruppe und der G-77 (die Gruppe aller Entwicklungsländer) eine Resolution, die einen Entwurf für eine UNO-Steuerkonvention in Gang bringt. Sie würde – analog etwa zur UNO-Klimarahmenkonvention, die seit 1992 den Rhythmus und die Richtung der globalen Klimapolitik prägt – einen wirklich inklusiven multilateralen Rahmen für die internationale Steuerpolitik schaffen. Damit würden die Erarbeitung und Verhandlung von steuerpolitischen Grundsätzen für die Welt möglich, die das fundamentale Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd im heutigen globalen Steuersystem überwinden könnten. Eine UNO-Steuerkonvention würde die Schaffung multilateraler Regeln für ein Steuersystem ermöglichen, das transnational verankert ist und nicht mehr auf bilateralen Verträgen basiert. Im heutigen System ergänzen ein paar multilaterale Abkommen zwar die Regeln, die in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) verankert sind, letztlich bestimmen aber diese die Art und Weise, wie Länder das Steuersubstrat aufteilen, das aus den grenzüberschreitenden Finanzflüssen in der Weltwirtschaft resultiert. Dies geht oft auf Kosten der Entwicklungsländer, die in den bilateralen Verhandlungen zu DBAs mit Ländern des Nordens auf Grund ihrer schwächeren Wirtschaftskraft oft den Kürzeren ziehen.

Zeit für eine Gesamtbesteuerung

Eine UNO-Rahmenkonvention für die Steuerpolitik wäre auch die Voraussetzung dafür, dass auf eine globale Gesamtbesteuerung multinationaler Konzerne hingearbeitet werden könnte. Im gegenwärtigen Steuersystem werden die einzelnen Ländergesellschaften multinationaler Konzerne als einzelne Firmen behandelt. Entsprechend sollten die Konzerne in jedem Land gemäss dem Gewinnaufkommen versteuert werden, das sie in einem bestimmten Land erzielen. Allerdings sind Gewinnverschiebungen für Länder mit vergleichsweise hohen Steuersätzen seit Jahrzehnten ein grosses Problem. Indem multinationale Konzerne ihre Gewinne nicht dort versteuern, wo ihre Wertschöpfung stattfindet, sondern dort, wo die Gewinne am tiefsten sind, entgehen vielen Ländern jedes Jahr Milliarden von Steuereinnahmen. Eine Gesamtkonzernbesteuerung würde Gewinnverschiebungen obsolet machen, weil einzelne Gesellschaften eines multinationalen Konzerns nicht mehr pro Land besteuert würden und so der Anreiz für die Konzerne wegfiele, ihre Gewinne dort zu verbuchen, wo die Steuersätze am tiefsten sind. Stattdessen würden sämtliche Gewinne aus allen Ländern, in denen der Konzern aktiv ist, zusammengerechnet und das Gewinnsteuersubstrat gemäss einer Formel, die Anzahl Mitarbeiter:innen pro Land, Umsatz und physische Werte (also zum Beispiel Fabriken) berücksichtigt, jedem einzelnen Land zugeordnet. Dieses wiederum besteuert diese Gewinne dann gemäss seinen nationalen Steuerregeln.

Zurzeit erarbeitet das Büro des UNO-Generalsekretärs António Guterres einen Bericht zur Schaffung einer Steuerkonvention, der nach Konsultationen mit den UNO-Mitgliedsstaaten und Stakeholdern im September in New York präsentiert werden soll. Die «Global Alliance for Tax Justice» (GATJ) und das europäische Netzwerk für Schulden und Entwicklung («Eurodad»), bei denen Alliance Sud Mitglied ist, engagieren sich stark in diesem Prozess.

Die Schweiz ist dagegen

Die Schweiz hat der Resolution in der Generalversammlung zwar zugestimmt. Der Bundesrat betont aber in einer Antwort auf eine Interpellation von SP-Nationalrat und Swissaid-Co-Präsident Fabian Molina, dass er «eine Bestandesaufnahme des institutionellen Rahmens der internationalen Zusammenarbeit im Steuerbereich» in der UNO zwar unterstütze, die Schaffung einer UNO-Steuerkonvention aber ablehne. Dabei ist er offenbar davon überzeugt, besser zu wissen, was für die Entwicklungsländer gut ist, als diese selbst. So schreibt er ganz in alter kolonial-paternalistischer Manier: «Den Nutzen einer Steuerkonvention der Vereinten Nationen für die Position der Entwicklungsländer beurteilt der Bundesrat demgegenüber als fraglich.»

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