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OECD-Mindeststeuer: so sicher nicht

14.12.2022, Finanzen und Steuern

Ursprünglich verfolgte die OECD mit der neuen Mindeststeuer die Idee, das internationale Konzernsteuersystem etwas fairer zu gestalten. Das Parlament in Bern kehrt sie nun in ihr Gegenteil um. Alliance Sud lehnt die Reform deshalb ab.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

OECD-Mindeststeuer: so sicher nicht

Steuerschlupflöcher untergraben die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer in der Schweiz: Alliance Sud wird sie deshalb ablehnen.
© Parlamentsdienste 3003 Bern

Technisch ist die Mindeststeuer sehr kompliziert, eine Rechnung aber ist einfach. Der abtretende Schweizer Finanzminister Ueli Maurer rezitiert sie seit Monaten: «Wenn die Schweiz das zusätzliche Geld nicht nimmt, nehmen es andere.» Mit dieser Botschaft holt Maurer sogar die allermeis-ten ApologetInnen der Schweizer Tiefsteuerpolitik ab. Gegen alle ihre Widerstände: Zwar ist für diese – wie grundsätzlich auch für Maurer selbst – jede Steuererhöhung des Teufels. Ihr National-egoismus ist aber etwas stärker als ihre neoliberalen Prinzipien.

Setzt man sich hingegen für mehr globale Steuergerechtigkeit in der Schweizer Steuerpolitik ein, müsste man Maurers Rechnung genau umgekehrt machen. Der Nationalrat hat heute beschlossen, die OECD-Regeln der Mindeststeuer in eine sogenannten «nationale Ergänzungssteuer» zu übersetzen. Letztere führt dazu, dass multinationale Konzerne, die in der Schweiz bisher von einem effektiven Steuersatz (Steuersatz auf dem steuerbaren Gewinn nach allen Abzügen) von weniger als 15% profitierten, mit einer Zusatzsteuer belegt werden, die die Steuersätze in Zukunft auf das OECD-Minimum von 15% anhebt. Wenn ein Rohstoffkonzern im Kanton Zug bisher einen auch im internationalen Vergleich äusserst tiefen Steuersatz von 11% genoss, muss er also in Zukunft eine Zusatzsteuer auf seine in Zug ausgewiesenen Gewinne von 4% bezahlen. So weit so gut, die nationale Ergänzungssteuer hat aber aus entwicklungspolitischer Sicht einen grossen Haken: Wenn die Schweiz die hiesigen Hauptsitze und Tochtergesellschaften eines multinationalen Konzerns mit dieser belegt, können es gemäss den neuen Regeln der OECD die anderen Länder, in denen derselbe Konzern ebenfalls Tochtergesellschaften hat, nicht mehr tun.

Die Schweizer Umsetzung ist kein Beitrag zu mehr globaler Steuergerechtigkeit

Für wirtschaftlich benachteiligte Länder im globalen Süden, in denen Schweizer Konzerne zum Beispiel Agrarrohstoffe oder Medikamente produzieren, ist das aus den folgenden Gründen ein grosses Problem:

a)    Die Gewinnsteuersätze in den Produktionsländern des globalen Südens liegen in aller Regel zwischen 25% und 35%. Die viel tiefere Mindeststeuer von 15% sichert ihnen keine zusätzlichen Steuereinnahmen.

b)    Multinationale Konzerne verschieben ihre Gewinne, die sie mit der Produktion in Ländern mit hohen Steuersätzen erzielen, in Tiefsteuerländer mit sehr tiefen Steuersätzen. Damit sparen sie sehr viele Steuern in den Produktionsländern, ermöglichen es aber gleichzeitig Schweizer Kantonen, zu niedrigen Steuersätzen Gewinne zu versteuern, die gar nicht in der Schweiz erarbeitet wurden. Das zeigt etwa der Fall des schweizerisch-luxemburgischen Agrarrohstoffhändlers Socfin.

c)    Gemäss ForscherInnen um den Ökonomen Gabriel Zucman verschoben multinationale Konzerne im letzten Jahr 111 Milliarden Dollar Gewinne in die Schweiz. 39 Prozent der gesamten Schweizer Gewinnsteuereinnahmen von insgesamt 22,7 Milliarden Dollar stam-men aus Gewinnverschiebungen. Und in dieser Rechnung sind die Gewinnverschiebungen aus vielen Ländern des Südens noch gar nicht enthalten, weil dort die nötigen Daten für solche Berechnungen fehlen. Fälle wie jener von Socfin zeigen aber, dass damit gerechnet werden muss, dass die entsprechenden Beträge solcher Gewinnverschiebungen noch viel höher sind. Die Einführung der OECD-Mindeststeuer verhindert diese Gewinnverschiebungen weder auf internationaler Ebene noch in die Schweiz. Dafür ist der Steuersatz von 15% viel zu tief. Die Schweiz verhandelte diesen Steuersatz in der OECD 2021 aktiv herunter – gemeinsam mit anderen Tiefsteuerländern wie Irland und Luxemburg. Die USA hatte zuvor unter neuer demokratischer Führung noch 21% gefordert. Das zeigt ein Brief von Ueli Maurer an den OECD-Generalsekretär Mathias Corman vom Herbst 2021.

Die wirtschaftlich benachteiligten Länder des globalen Südens gehen also auch mit dieser Reform leer aus. Das machten im Sommer 2022 auch hochrangige VertreterInnen der Vereinigung der afrikanischen Steuerbehörden gegenüber Alliance Sud klar.

National- und Ständerat foutieren sich einmal mehr um globale Steuergerechtigkeit
Alliance Sud schlug deshalb bereits im März 2022 erstmals vor, einen Teil der in der Schweiz zu erwartenden Mehreinnahmen aus der Mindeststeuer an arme Länder im globalen Süden zurückzugeben. Dies wäre über Finanzierungsinstrumente der internationalen Zusammenarbeit oder der internationalen Klimafinanzierung leicht möglich gewesen. In der parlamentarischen Beratung der Vorlage kümmerte sich dann aber niemand um die steuerpolitischen Interessen des globalen Südens.

Letztlich sah sich im Plenum des Nationalrats auch Fabian Molina, SP-Nationalrat und Co-Präsident des Alliance-Sud-Mitglieds Swissaid, gezwungen, seinen entsprechenden Antrag zurückzuziehen. Dieser sah vor, dass die Mehreinnahmen aus der Mindeststeuer hälftig in die internationale Klimafinanzierung zu Gunsten von Entwicklungsländern und in den Schweizer Finanz- und Lastenausgleich investiert werden sollten. In der Differenzbereinigung schwenkte der Nationalrat schliesslich auf die Position von Bundes- und Ständerat ein: Nun sollen gemäss dem Willen des Parlamentes nur 25% der Mehreinnahmen dem Bund zufliessen und 75% den Kantonen – namentlich handelt es sich dabei vor allem um die beiden prominenten Konzerntiefsteuergebiete Zug und Basel-Stadt. Die Art der Verwendung der zusätzlichen Einnahmen ist auch bereits absehbar: Beim Bund sollen die Einnahmen gemäss Bundesbeschluss explizit für Standortförderungsmassnahmen verwendet werden. In den Kantonen sind solche ebenfalls absehbar – wahrscheinlich vor allem in Form von Senkungen der Kapitalsteuern oder jener von natürlichen Personen mit hohen Einkommen, sprich von Konzern-Managern. Auch Forschungsförderungsmassnahmen für (pharmanahe) Start-ups (in Basel) oder direkte Subventionierungen von Löhnen in den Konzernen werden diskutiert.

Nein-Parole von Alliance Sud in der Abstimmung vom Juni 2023
Wie schon beim sogenannten AHV-Steuerdeal 2019 (Steuervorlage und AHV-Finanzierung STAF) werden mögliche substantielle Fortschritte in der globalen Steuergerechtigkeit zugunsten von ein paar sozialpolitischen Zückerchen torpediert. Was damals die AHV war, sind heute die Krippen. So wenig die AHV-Zusatzfinanzierung damals die strukturellen Probleme in der Schweizer Altersvorsorge löste, tut das heute der schon im Nationalrat gescheiterte Vorschlag der zusätzlichen Krippenfinanzierung. Seit der STAF-Abstimmung von 2019 haben es auch die fortschrittlichen Parteien in der Schweiz verpasst, eine Politik zu entwickeln, die soziale Gerechtigkeit im Inland mit einer solidarischen Aussenwirtschaftspolitik zu verbinden, mit der man in der Realpolitik diese beiden politischen Grundsätze der Linken nicht dauernd gegeneinander ausspielen muss. Allerdings ist es nicht einmal sicher, dass mit der Einführung der Mindeststeuer einst sehr viel mehr Geld für sozialpolitische Massnahmen zur Verfügung stehen wird: Das Umsetzungskonzept der Mindeststeuer, wie es der Bundesrat dem Parlament vorgelegt hat, ist nämlich wiederum voller Steuerschlupflöcher. Auch um diese haben sich National- und Ständerat in den letzten Monaten nicht gekümmert. Der Verdacht liegt deshalb nahe, dass die bürgerliche Mehrheit in Bern die Mindeststeuer nur deshalb einführen will, weil sie damit Schweizer Konzerne davor verschonen kann, bei ihren Niederlassungen im Ausland mehr Steuern abliefern zu müssen. Ob das tatsächlich zu Mehreinnahmen in der Schweiz führt, scheint nicht so wichtig zu sein.

Das geht letztlich auf Kosten der breiten Bevölkerungen in der Schweiz wie in der ganzen Welt: Während in armen Ländern des globalen Südens wegen des Steuerdumpings von Schweizer Konzernen Geld für Spitäler und Schulen weiterhin fehlt, werden die Bürgerlichen in der Schweiz dafür sorgen, dass einmal mehr jene von der Mindeststeuer profitieren, die das Steuerdumping selbst vorantreiben.

Alliance Sud kann eine weitere Konzernsteuerreform, von der letztlich vor allem die Konzerne selbst profitieren, nicht akzeptieren. Sie schadet den Entwicklungsländern direkt: Wenn die Schweiz sie nämlich nicht einführen würde, hätten Produktionsländer von Schweizer Konzernen, die in der Schweiz weniger als 15% zahlen, die Möglichkeit, die OECD-Mindeststeuer bei sich einzuziehen. Alliance Sud wird deshalb die Nein-Parole für die Volksabstimmung vom nächsten Juni beschliessen.

Für weitere Auskünfte: Dominik Gross, Experte Steuerpolitik Alliance Sud, dominik.gross@alliancesud.ch, Tel.+4178 838 40 79