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Trotz Fortschritten noch Luft nach oben

27.09.2022, Handel und Investitionen

Auf den ersten Blick ermöglicht das neue Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Indonesien Regulierungen im Sinne des Gemeinwohls. Es enthält jedoch Bestimmungen, die diese Möglichkeit zunichte machen könnten.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Trotz Fortschritten noch Luft nach oben

Umweltzerstörung auf Konzessionsgebieten des grössten indonesischen Palmöl-Unternehmens in Kapuas Hulu in der Provinz Westkalimantan auf der Insel Borneo.
© AFP PHOTO / ROMEO GACAD

Indonesien hat als eines von wenigen Ländern praktisch all seine Investitionsschutzabkommen (ISA) gekündigt – im Jahr 2016 auch jenes mit der Schweiz. Dies, nachdem sich der Staat mit Schiedsverfahren in Millionenhöhe konfrontiert sah. Bei den Neuverhandlungen stösst Jakarta jedoch auf den Widerstand der Industrieländer, obwohl sein neues Investitionsschutz-Musterabkommen einige übliche Neuerungen gar nicht aufnimmt.

Auch der Bund hat mit Indonesien ein neues Abkommen ausgehandelt, das im Sommer 2022 in die Vernehmlassung ging. «Das neue Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Indonesien enthält wichtige Neuerungen und übernimmt Ansätze, die sich jüngst bewährt haben. Im Vergleich zum letzten Abkommen stellt es zweifellos einen Fortschritt dar, doch von einem 2022 abgeschlossenen Abkommen hätte man in einigen Punkten mehr erwarten dürfen», so Suzy Nikièma, Verantwortliche für nachhaltige Investitionen beim International Institute for Sustainable Development (IISD), einem internationalen Think Tank, der technische Unterstützung und Kooperationsmöglichkeiten bietet, Forschung betreibt und Lösungen für Investitionen im Einklang mit einer nachhaltigen Entwicklung erarbeitet.

Abkommen fördert nachhaltige Entwicklung nicht

Heute herrscht breiter Konsens darüber, dass diese Investitionsschutzabkommen problematisch sind. Doch was ist zu tun? Laut Suzy Nikièma «wurden sie im Kontext der Entkolonialisierung und des Kalten Krieges zum Schutz der Rechte von im Ausland tätigen Investoren ausgearbeitet, zu einer Zeit, in der nachhaltige Entwicklung kein zentrales Anliegen war. Es ist daher unabdingbar, die Rolle, den Mehrwert und den Inhalt dieser bedeutenden Instrumente mit Blick auf die Herausforderungen und Ziele der Gegenwart neu zu überdenken».

Wie auch Josef Ostřanský, Berater für Investitionsrecht und -politik am IISD, feststellt, wird im Abkommen mit der Schweiz der Begriff «Investition» breit ausgelegt; ausserdem wird nicht zwischen umweltbelastenden, kohlenstoffintensiven und emissionsarmen Investitionen unterschieden. Dabei handelt es sich um die grösste Schwäche dieses Abkommens. Tatsächlich besteht keine Möglichkeit, ausländische Unternehmen zu kategorisieren: Somit schützt das Abkommen auch ein Schweizer Bergbauunternehmen, das in Indonesien die Umwelt verschmutzt. Obwohl diese Unterscheidung bislang in kein Abkommen Eingang gefunden hat, könnte die Schweiz hier mit gutem Beispiel vorangehen.  

«InvestorInnen» schärfer definiert, doch mit sehr wenigen Verpflichtungen

Die präzisere Definition des Begriffs «InvestorIn» hilft immerhin bei der Vermeidung von Treaty-Shopping, also den Rückgriff auf ein vorteilhafteres Abkommen, das von einem anderen Land abgeschlossen wurde. Als InvestorIn wird jede natürliche Person definiert, die Staatsangehörige einer Vertragspartei ist, sowie jede juristische Person, die im Land eine substanzielle Wirtschaftstätigkeit ausübt, dort registriert ist und dort einen Sitz hat.

Allerdings unterliegen diese Investoren nur sehr wenigen Verpflichtungen: Nur gerade zwei von 44 Artikeln des Abkommens behandeln die soziale Verantwortung von Unternehmen und die Korruptionsbekämpfung – dies jedoch nur in Form von unverbindlichen Ermahnungen. Weder ein Durchsetzungsmechanismus noch rechtliche Folgen im Falle einer Verletzung sind vorgesehen.

Es wurden Anstrengungen zur Konkretisierung des Grundsatzes der fairen und gleichberechtigten Behandlung, einer Meistbegünstigungsklausel und des Regulierungsrechts unternommen. All dies könnte jedoch durch einen zweifelhaften Artikel (37) zunichte gemacht werden; dieser besagt, dass Investoren sich auf die vorteilhaftere der zwischen den Parteien geltenden Rechtsordnungen berufen können. Es handelt sich dabei um eine der problematischsten Bestimmungen des ISA.

Zwangslizenzklagen vom Umfang der Enteignung ausgenommen

Hingegen begrüsst Alliance Sud die Bestimmung in Anhang A des ISA, wonach Regulierungshandlungen zu Gemeinwohlzielen wie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt keine indirekte Enteignung darstellen und finanzielle Entschädigungen nach sich ziehen können. Allerdings könnte die Wirkung des Anhangs aufgrund des folgenden Zusatzes verpuffen: «Davon ausgenommen sind die seltenen Fälle, in denen die Auswirkungen einer Handlung oder einer Reihe von Handlungen unter Berücksichtigung ihres Zwecks so schwerwiegend sind, dass sie offenkundig unverhältnismässig erscheinen.»

Im Gegensatz dazu ist Art. 7 Abs. 6 zu begrüssen, da er vorsieht, dass die indirekte Enteignung nicht für die Erteilung von Zwangslizenzen gilt, die gemäss dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) erteilt werden. Alliance Sud hat wiederholt den Druck der Schweiz auf Kolumbien, auf die Erteilung einer Zwangslizenz für Glivec (ein von Novartis hergestelltes Anti-Krebsmedikament) zu verzichten, ebenso wie die Drohung von Novartis kritisiert, Kolumbien auf der Grundlage des ISA zwischen den beiden Ländern zu verklagen. Der neue Artikel sollte derartige Klagen verunmöglichen.

ISDS weiterhin vorgesehen

Schliesslich ist eines der Hauptprobleme des neuen Abkommens der nach wie vor vorgesehene Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) durch Schiedsverfahren. Auch liegt keine Verpflichtung vor, nationale Gerichte anzurufen, geschweige denn, im Vorfeld den innerstaatlichen Rechtsweg auszuschöpfen. Die Beteiligung von Drittparteien am Rechtsstreit wie im Falle des amicus curiae (Freund des Gerichts) ist nicht vorgesehen. Die Möglichkeit der Mediation ist zwar eingeplant, bleibt aber fakultativ.

Davon ausgehend hat Alliance Sud zusammen mit Rambod Behboodi, einem Anwalt für internationales Recht, einen Vorschlag zur Stärkung und Förderung von Schlichtung und Mediation bei Handels- und Investitionsklagen erarbeitet. Der Vorschlag, der hauptsächlich mit Blick auf die WTO konzipiert wurde, enthält strukturelle und institutionelle Elemente, die mit einigen Anpassungen auf Investitionsschutzabkommen übertragen werden können.

Es ist durchaus möglich, in einem solchen Abkommen auf den ISDS-Mechanismus zu verzichten. Abas Kinda, Berater für internationales Recht am IISD, hält fest, dass «das neue Musterabkommen Brasiliens den Schwerpunkt auf die zwischenstaatliche Prävention, Mediation und Beilegung von Streitigkeiten legt – ohne ISDS.»