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Wege in die Ernährungszukunft

14.02.2023, Agenda 2030

Anfang Februar stellten Wissenschaft und Bürger:innenrat am Ernährungssystemgipfel in Bern ihre Handlungsempfehlungen für ein nachhaltiges Ernährungssystem vor. Die konkreten Massnahmen zeigen auf, was mit Information und Partizipation machbar ist.

Wege in die Ernährungszukunft

Wissenschaft und Bevölkerung haben ihren Job getan: Nun steht die Politik in der Pflicht.
© Caroline Krajcir / Ernährungszukunft Schweiz

von Eva Schmassmann, Koordinatorin Plattform Agenda 2030

 

Die Landwirtschaftspolitik in der Schweiz schien still zu stehen. Nach polarisierenden Volksinitiativen und dem Absturz der neuen Agrarpolitik im Parlament folgt nun der Impuls für eine neue Ernährungspolitik aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Am ersten Ernährungssystemgipfel der Schweiz wurden Lösungsvorschläge präsentiert, die den Weg in eine nachhaltige Ernährungszukunft weisen.

Der Fokus wird bewusst von der Landwirtschaft auf die Ernährungssysteme verlegt. Denn nicht nur Landwirtinnen und Landwirte müssen sorgsam mit Boden, Wasser und Luft umgehen, sondern alle Akteur:innen, von Anbau über Verarbeitung und Vertrieb bis zum Konsum sind gefordert. Elemente einer nachhaltigen Ernährungspolitik sind längst klar: so muss der Konsum von Fleisch- und Milchprodukten sowie von Zucker um mindestens 50% reduziert werden, um Mensch und Planeten gesund zu halten. Auch dürfen wir es uns nicht mehr leisten, rund 1/3 aller Lebensmittel als food waste zu verlieren.

Experiment Bürger:innenrat

Andere Lösungsvorschläge polarisieren stärker. Wie schaffen wir es, angesichts der Dringlichkeit innerhalb von nützlicher Frist inklusive, demokratische Entscheidfindungsprozesse zu gestalten? Mit dem Bürger:innenrat zeigt ein zivilgesellschaftliches Projekt auf innovative Weise, wie Antworten in einer verbockten Situation gefunden werden können. 85 in der Schweiz wohnhafte Menschen, welche die Schweizer Wohnbevölkerung möglichst repräsentativ abbilden, berieten über 6 Monate in 11 Treffen gemeinsam über eine umfassende Ernährungspolitik für die Schweiz. Der Prozess zeigt, was in einer informierten Bevölkerung mehrheitsfähig ist.

Parallel dazu analysierte ein wissenschaftliches Gremium, wo der grösste Handlungsbedarf besteht und wie die Hebel angesetzt werden müssen, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Die Handlungsempfehlungen aus den beiden Prozessen haben einen hohen Grad an Übereinstimmung. Sie sind nicht vorgegeben von parteipolitischen Interessen, sondern basieren auf Fakten und der intensiven Auseinandersetzung mit anderen Interessensgruppen in einem geschützten Raum.

Transformation gesamthaft angehen

Die Diskussionen und Beiträge am Ernährungssystemgipfel zeigen klar auf, dass es einen Gesamtblick auf die Ernährungspolitik braucht. Einzelne Massnahmen produzieren Verlierer und Gewinnerinnen. Eine gerechte Transformation muss es schaffen, in einem Gesamtpaket den potenziellen Verlierer:innen Perspektiven aufzuzeigen, so dass auch sie eine sinnstiftende Zukunft sehen. Beispielsweise bedroht die Halbierung des Fleischkonsums Landwirtinnen und Landwirte, die ihre Existenz auf Fleischproduktion aufgebaut haben. Wie schaffen wir hier einkommenssichernde Perspektiven?

Ernährungssystem der Zukunft?

Gerechte Ernährungssysteme müssen auch über die Landesgrenzen hinausschauen. So leiden weltweit rund 800 Millionen Menschen Hunger, weitere 800 Millionen sind mangelernährt, das heisst sie können zwar ihren Kalorienbedarf, aber nicht den Bedarf an wichtigen Nährstoffen decken. Eine umfassende Ernährungspolitik reflektiert die Rolle der Schweiz und Auswirkungen unseres Handelns und Konsums im Ausland.

Jetzt ist die Politik am Zug

Vertreter:innen des Bürger:innenrats und des wissenschaftlichen Gremiums übergaben ihre Handlungsempfehlungen am Ernährungssystemgipfel Bundesrat Guy Parmelin und den im Parlament vertretenen Parteien. Der Ball liegt nun bei der institutionellen Politik, eine ambitionierte neue Ernährungspolitik auszuarbeiten. Einig waren sich alle: Weiter wie bisher ist keine Option. Je rascher wir handeln, desto günstiger ist es. Verhandeln mit den planetaren Grenzen und den negativen Kipppunkten im Klima oder bei der Biodiversität ist ausgeschlossen. Es liegt an uns, die Transformation einzuleiten. Jetzt.

Alliance Sud und die Plattform Agenda 2030 vertraten die Thematik der globalen Gerechtigkeit im Prozess.

Weiterführende Informationen:

Infos zum Ernährungssystemgipfel, Empfehlungen des Bürger:innenrats und des wissenschafltichen Gremiums

Kurz gefasst: Agenda 2030 und Ernährungssysteme

Stellungnahme von Frank Eyhorn, Geschäftsleiter Biovision