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Wer zu stark auf die Bremse tritt, schleudert

23.02.2023, Entwicklungsfinanzierung

Mit Interessen gepanzerte Ideologien sind leider äusserst resistent gegen einfache Fakten. Die Schuldenbremse ist ein krasses Beispiel dafür.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Wer zu stark auf die Bremse tritt, schleudert

© KEYSTONE/CHROMORANGE/Christian Ohde

Als Reaktion auf den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die überstürzte Erhöhung des Militärbudgets schrieb Alliance Sud: «Auch für Alliance Sud ist Sicherheit ein zentrales Anliegen; dabei geht es aber um menschliche Sicherheit auf der ganzen Welt, die nicht an der Landesgrenze Halt macht. Krieg, Terrorismus und Instabilität sind oft nur die Symptome tieferliegender politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Krisen. Und in einer globalisierten Welt sind wir nur sicher, wenn alle sicher sind.»

Die Mehrheit des Parlaments aber will uns mit Milliarden für die Hochrüstung der Armee in falscher Sicherheit wiegen. Die Rechnung dafür präsentierte der Bundesrat am 15.2.2023: Die ungebundenen Ausgaben – dazu gehört auch die internationale Zusammenarbeit (IZA) – sollen 2024 um 2 Prozent gekürzt werden, weitere Kürzungen sollen folgen. Nötig wären diese Kürzungen nicht, hätte sich in Parlament und Bundesrat nicht eine extremistische Interpretation der Schuldenbremse festgesetzt. Auf den Spar-Mullah Maurer folgt die Sparfüchsin Keller-Sutter, laut Duden ist das eine «Person, die [auf schlaue Weise] besonders sparsam [und dabei fast schon geizig] ist».

Die Fakten zeigen etwas anderes als eine dramatische Finanzlage: Sie zeigen eine Schuldenbremse, die längst das Ziel aus den Augen verloren hat, nämlich den unkontrollierten Anstieg der Verschuldung, der in den Nuller Jahren befürchtet wurde, zu bremsen.

Wer nicht glauben will, muss schauen:

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© Alliance Sud


Netto-Staatsverschuldung der Schweiz (nur Bund)

Die Schulden des Bundes haben seit 2005 nicht nur absolut abgenommen; relativ zur Grösse der Schweizer Wirtschaft, d. h. gemessen am BIP, sind sie geradezu eingebrochen. Corona war finanzpolitisch nicht mehr als ein kleiner Schluckauf.

Und heben wir mal den Blick vom helvetischen Bauchnabel, dann sieht das so aus:

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© Alliance Sud

Die Niederlande und Deutschland sind jetzt ja auch nicht gerade als besonders verschwenderisch bekannt.

Und wichtig ist vor allem eins: Staatschulden werden zwar irgendwann fällig, aber sie müssen dann nicht aus dem Staatshaushalt zurückbezahlt werden. Und das werden sie auch nicht, sondern der Staat nimmt neue Anleihen auf, um alte zurückzuzahlen. «Roll-over» heisst das im Finanzslang. Die Schuldenrückzahlung zu Netto Null ist nicht nur nicht nötig, sondern wäre für die Finanzmärkte ein Alptraum. Diese sind nämlich auf die Staatsanleihen als risikoarmen oder risikofreien Anker angewiesen.

Ein Problem erhält ein Staat nur dann, wenn die Finanzmarktakteure den Glauben an die Solvenz eines Staates verlieren und deshalb für die neuen Schulden höhere Zinsen verlangen als für die alten. Wenn dann die Zinsen auch noch höher sind als das BIP-Wachstum, wird es brenzlig. Aber das ist ein Szenario für Schwellenländer oder «serial defaulters» wie Argentinien mit seiner Abfolge von Staatsbankrotten. Dass die Schweiz auch bei einer Verdreifachung der Schuldenquote jemals in eine vergleichbare Situation kommen könnte, ist ausgeschlossen.

Mit Interessen gepanzerte Ideologien – darum handelt es sich bei der Schuldenbremse – sind leider äusserst resistent gegen einfache Fakten. Deshalb wird die Schweiz vorerst darauf verzichten, sich die in den Stürmen der Polykrise dringend nötigen Finanzen günstig zu beschaffen. Wir bleiben dran.