Medienmitteilung

COP27: Fortschritt trotz Stillstand

20.11.2022, Klimagerechtigkeit

Die Resultate der Klimakonferenz COP27 sind gemischt: Mit der Verabschiedung eines Fonds für Loss & Damage (Schäden und Verluste) wurde ein historischer Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit gemacht, beim Klimaschutz herrscht hingegen Stillstand.

COP27: Fortschritt trotz Stillstand
«Bezahlung überfällig»: Die zehnjährige Nakeeyat Dramani Sam aus Ghana fordert die Industrienationen an der COP27 auf, für die Klimaschäden in ärmeren Ländern aufzukommen.
© KEYSTONE/AP/NARIMAN EL-MOFTY

Aus Entwicklungsperspektive waren an dieser Konferenz die Verhandlungen zur Finanzierung von klimabedingten Schäden und Verlusten besonders wichtig. Der Druck auf die Industriestaaten war dieses Jahr angesichts der Überschwemmungen in Pakistan und der Dürre in Ostafrika grösser denn je. Die Schäden durch Klimakatastrophen kann niemand mehr leugnen, ebenso wenig die Auswirkungen des steigenden Meeresspiegels. Und so mussten sich die reichen Länder – auch die Schweiz – dem Druck der besonders betroffenen Länder, Inselstaaten und der Zivilgesellschaft beugen und in die Schaffung eines Fonds für Loss & Damage einwilligen. «Der Fonds ist ein grosser Erfolg für die Klimagerechtigkeit. Das schien vor wenigen Monaten noch undenkbar. Das war möglich dank der guten Zusammenarbeit der Länder des Südens und der Zivilgesellschaft. Doch die Arbeit ist damit nicht gemacht. Nun gilt es, den Fonds effektiv und effizient auszugestalten, so dass die Betroffenen auch tatsächlich davon profitieren. Entscheidend ist, dass der neue Fonds rasch mit genügend Mitteln ausgestattet wird», bilanziert David Knecht, der in Ägypten für Fastenaktion zwei Wochen lang die Verhandlungen beobachtet hat.

Nicht genug vorwärts ging es hingegen bei der entscheidenden Minderung der Emissionen. Der rasche Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas wurde trotz Druck verschiedenster Länder, auch der Schweiz, nicht in der Abschlusserklärung verankert. «Mit der Verabschiedung eines mehrjährigen Arbeitsprogramms zur Emissionsminderung wurde nur ein Minimalziel dieser Konferenz erreicht, um das 1.5-Grad-Ziel am Leben zu erhalten. Wichtig ist es nun, auch Emissionsreduktionen in Entwicklungsländern verstärkt zu finanzieren, ansonsten können die Ziele nicht erreicht werden. Hier haben die Industrieländer ihre Versprechen bisher nicht erfüllt», kommentiert David Knecht.

Dass mehr als 600 LobbyistInnen der fossilen Energien an der Konferenz zugegen waren, hat dazu beigetragen, die Abschlusserklärung zu verwässern. «Die UNO muss für die Klimakonferenzen unbedingt Richtlinien im Umgang mit Interessenskonflikten erlassen. Die mageren Bekenntnisse zum Ausstieg aus fossilen Energien sind besonders stossend, wenn man bedenkt, dass fossile Energien über 70% der Emissionen verantworten, und wenn man die milliardenschweren Gewinne der Öl- und Gaskonzerne dieses Jahr mit der milliardengrossen Lücke in der Klimafinanzierung vergleicht», so Knecht.

Enttäuschung beim Thema «Adaptation»

Unter diesem Stichwort geht es um Anpassungen an den Klimawandel, wie beispielsweise den Umgang mit zunehmender Trockenheit in der Landwirtschaft. «Für die Ernährungssicherheit ist Anpassung an den Klimawandel ein zentrales Thema. Es ist angesichts der aktuellen Weltlage betrüblich, dass an der COP27 kaum Diskussionen geführt und entsprechend auch keine Fortschritte erreicht wurden. Die bisher zugesagten Finanzierungen sind völlig ungenügend», sagt Christina Aebischer, die für Helvetas der COP27 vor Ort beiwohnte. Das sei insbesondere für die afrikanischen Länder und Organisationen eine grosse Enttäuschung; sie hatten sich an diesem afrikanischen Klimagipfel mehr erhofft.

Umso unwahrscheinlicher scheint es, dass die auf der letztjährigen COP in Glasgow getroffene Vereinbarung eingehalten werden wird, die Anpassungsfinanzierung bis 2025 gegenüber 2019 zu verdoppeln. «Auch die Schweiz hat keine zusätzlichen Zusagen gemacht, was für viele ärmere Länder unverständlich ist. Leider hängt das im Wesentlichen mit der gescheiterten Abstimmung über das neue CO2-Gesetz zusammen. Die Schweiz muss dringend die Klimaschutzfinanzierung in ihrer Gesetzgebung stärken, damit die entsprechenden Mittel für Anpassung bereitgestellt werden können.»

Positiv hingegen ist, dass zum ersten Mal vereinbart wurde, im nächsten Jahr endlich die Diskussion darüber zu starten, wie die internationalen Finanzströme zur Reduktion der Treibhausgasemissionen und Förderung einer klimaresistenten Entwicklung verlagert werden können. Die inhaltliche Klärungen und erst recht eine Einigung sind damit natürlich noch in weiter Ferne, aber die dringend nötige Diskussion ist lanciert.

 

Weitere Zitate unserer Mitglieder und assoziierten Mitglieder zur Verwendung:

«Die COP27 behandelte die Themen Landwirtschaft und Ernährung viel zu stiefmütterlich. Dabei geht rund ein Drittel der klimaschädlichen Gase auf die Rechnung des Ernährungssystems. Biovision hat sich deshalb in Sharm El Sheik zusammen mit anderen NGOs dafür eingesetzt, dass im Koronivia-Prozess zwingend die nachhaltige Transformation unseres Ernährungssysteme eingeschlossen wird und das Thema Agrarökologie mehr Gewicht in den Klimaverhandlungen bekommt. Die Landwirtschaft leidet weltweit unter den Folgen der Klimaerwärmung. Mehr und mehr Menschen haben zu wenig zu essen. Die Menschen im globalen Süden sind besonders davon betroffen. Wir dürfen einfach keine Zeit mehr verlieren!»
Tanja Carrillo, Projektverantwortliche Policy & Advocacy bei Biovision (war vor Ort)

«Die Schweiz hat in Sharm El-Sheikh versichert, dass sie einen ‘fairen Anteil’ an das 100-Milliar-den-Ziel für die Klimafinanzierung übernehmen wird. Das ist zu begrüssen, denn die bisherigen Versprechen zur Unterstützung der Länder im Globalen Süden sind bei Weitem nicht eingelöst. Besonders stossend ist, dass der Bund für die Klimafinanzierung Gelder einsetzt, die für die Entwicklungszusammenarbeit budgetiert sind.»
Angela Lindt, Leiterin der Fachstelle Entwicklungspolitik bei Caritas Schweiz

«Obwohl die Länder des globalen Südens diejenigen sind, die kaum zum Klimawandel beigetragen haben, sind sie von der Klimakatastrophe am stärksten betroffen – das gilt auch für die Jugend und die kommenden Generationen. Es braucht daher weltweit verbindliche Regeln, die die Verursacher der Krise umgehend in die Pflicht nehmen.»
Annette Mokler, Entwicklungspolitik und Programmkoordination Peru und Westsahara bei terre des hommes schweiz

Für weitere Informationen:
Fastenaktion, David Knecht, Verantwortlicher für Energie und Klimagerechtigkeit,Tel. +4176 436 59 86, knecht@fastenaktion.ch
Alliance Sud, Andreas Missbach, Geschäftsleiter, Tel. +4179 847 86 48, andreas.missbach@alliancesud.ch
SWISSAID, Sonja Tschirren, Expertin für Klima und ökologische Landwirtschaft, Tel. +4179 363 54 36, s.tschirren@swissaid.ch
Helvetas, Christina Aebischer, Klimaexpertin, Tel. +4176 459 61 96, christina.Aebischer@helvetas.org
Heks, Yvan Maillard Ardenti, Programmverantwortlicher für Klimagerechtigkeit, Tel. +4179 267 01 09, yvan.maillard@heks.ch
Caritas Schweiz, Angela Lindt, Leiterin Fachstelle Entwicklungspolitik, Tel. +41 419 23 95, alindt@caritas.ch

Faktenblatt von Alliance Sud zum Schweizer Beitrag an die internationale Klimafinanzierung

Derweil in Bern: skandalöser Entscheid im Ständerat

Die Klimakonferenz fand unter dem Vorzeichen statt, dass das globale 100 Milliarden-Dollar-Ziel um mindestens 17 Milliarden verfehlt wurde. Dass es mehr finanzielle Mittel des Nordens braucht, war das zentrale Thema. Doch das hielt die Umweltkommission des Ständerats (UREK-S) nicht davon ab, während der laufenden Konferenz eine leichte Erhöhung im «Rahmenkredit Globale Umwelt 2023-2026» wieder zu streichen. Und dies obwohl Bundespräsident Cassis in seiner Eröffnungsrede diese zusätzlichen Gelder für den globalen Umweltfonds (Global Environment Facility, GEF) schon angekündigt hatte.

Der Fonds dient zur Unterstützung der Entwicklungs- und Schwellenländer bei der Bekämpfung der Klimakrise sowie zur Anpassung an den Klimawandel. Damit konnten in den letzten vier Jahren Treibhausgasemissionen im Umfang von 1,440 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten reduziert werden. Das entspricht 33 Mal dem jährlichen CO2-Ausstoss der Schweiz.

Der Gesamtrat muss korrigieren

Die UREK-S verkündete also am 11. November, dass eine Kommissionsmehrheit dem Ständerat beantragt, den Betrag um 50 Millionen Franken zu kürzen. Als Argument dient die «angespannte finanzielle Lage» der Schweiz – eine Verhöhnung von finanziell weitaus schlechter gestellten Ländern im globalen Süden, die zudem den Klimawandel nicht selber verursacht haben. «Wenn die finanzielle Lage der reichen Schweiz als angespannt gilt, wie kann dann von den ärmsten Ländern erwartet werden, dass sie ohne zusätzliche Unterstützung die Klimakrise bewältigen? Die Umweltkommission hätte die dringliche Lage erkennen und den Beitrag stattdessen erhöhen sollen», betont Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. Alliance Sud fordert den Ständerat auf, den Kürzungsantrag seiner Kommission in der Wintersession abzulehnen und die Schweizer Versprechen an der Klimakonferenz umzusetzen.