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Das CO2-Gesetz ist besser als nichts

10.12.2020, Klimagerechtigkeit

Das neue CO2-Gesetz ist entwicklungspolitisch gesehen zwar ungenügend, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Einen Plan B gibt es nicht: Wird es abgelehnt, drohen eine noch schwächere Vorlage und eine Lücke in der Schweizer Klimagesetzgebung.

Das CO2-Gesetz ist besser als nichts
Das Parlament geht zu wenig weit: KlimaaktivistInnen protestierten Ende September auf dem Helvetiaplatz in Bern und erinnerten die ganze Schweiz daran, dass die Klimakrise trotz Corona immer noch aktuell und wichtig ist.
© Anthony Anex / Keystone

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Das revidierte CO2-Gesetz ist ein Kompromiss der zurzeit vorherrschenden politischen Kräfte der Schweiz. Auch wenn der vorliegende Gesetzestext nach zähem parlamentarischem Ringen klare Lücken aufweist, unterstützt werden muss er allemal. Denn er stellt den längst überfälligen Zwischenschritt in der schleppenden Schweizer Klimapolitik dar und bereitet den Boden für dringende, weiterreichende Schritte in Richtung globaler Klimagerechtigkeit.

Dass die Klimabewegung mit dem revidierten CO2-Gesetz höchst unzufrieden ist, ist nachvollziehbar. Denn es fokussiert einseitig auf Emissionsminderung und lässt viele Fragen einer globalen Klimagerechtigkeit aussen vor. Auch Alliance Sud sieht erhebliche blinde Flecken: So fehlen jegliche Bestimmungen zu zentralen Aspekten des Pariser Klimaübereinkommens wie der internationalen Klimafinanzierung oder zum Umgang mit klimabedingten oder -verschärften Schäden und Verlusten. Die dringende Unterstützung von Entwicklungsländern mit zusätzlichen Mitteln im Kampf gegen die Klimakrise wird ausgeklammert – und so implizit weiterhin an die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) delegiert .

Offene Fragen und ein kleiner Lichtblick

Zwar wird im Zielartikel (Art. 3) auf «Emissionsverminderungen im Ausland, die nicht an das Ziel nach Absatz 1 [Halbierung der Emissionen bis 2030, Anm. d. Red.] angerechnet werden» verwiesen; diese sollen «möglichst den von der Schweiz im Ausland mitverursachten Emissionen entsprechen». Doch ist unklar, was genau damit bezweckt werden soll.

Wollte das Parlament damit Massnahmen in Zulieferketten von Schweizer Unternehmen priorisieren? Dies bürge das Risiko, dass zukünftige Klimafinanzierungsgelder aus den Rahmenkrediten der EZA auch noch zur Dekarbonisierung von industriellen Zulieferketten der Schweizer Unternehmen eingesetzt werden.

Oder ist dieser Artikel eine (zaghafte) Anerkennung der zwei Drittel im Ausland anfallenden Treibhausgasemissionen der Schweiz, die durch Produktion unserer Importgüter entstehen? Und für deren Reduktion wir als KonsumentInnen folglich mitverantwortlich sind? Die genaue Auslegung wird Gegenstand der Umsetzung des Gesetzes sein; weitere, hitzige Debatten scheinen vorprogrammiert.

Der einzige konkrete «klimaaussenpolitische» Bezug bei den zahlreichen Instrumenten und Massnahmen beschränkt sich auf das umstrittene Ansinnen, einen Viertel der für 2030 gesteckten nationalen Klimaziele mit dem Kauf teurer Zertifikate für Massnahmen im Ausland zu erreichen. Rein buchhalterisch müssten so 30-35 Millionen Tonnen CO2 statt auf Schweizer Boden ausserhalb der Landegrenzen reduziert werden. Das wird mehrere Milliarden Franken kosten, welche für die dadurch nicht obsolet gewordene Dekarbonisierung der Wirtschaft und Gesellschaft im Inland fehlen werden. Und dies, notabene, während die EU solche Ausweichstrategien inzwischen nicht nur ausklammert, sondern die Treibhausgasemissionen innerhalb der EU-Grenzen bis 2030 sogar um 55 Prozent reduzieren will.

Ein potentieller, entwicklungspolitischer Lichtblick besteht allerdings in Bezug auf den neu zu schaffenden Klimafonds: Mit einem Teil der Gelder – namentlich den Einnahmen aus Sanktionen und Emissionshandel – sollen künftig «Massnahmen zur Vermeidung von Schäden an Personen und Sachen [infolge] der erhöhten Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre» finanziert werden. Dies schliesst juristisch auch (Anpassungs-)Massnahmen in Entwicklungsländern ein.

In den sauren Apfel beissen

Das revidierte CO2-Gesetz genügt dem Anspruch nachhaltiger und global gerechter Entwicklung kaum; es wird selbst dem Pariser Klimaübereinkommen nur teilweise gerecht. Und dennoch ist für Alliance Sud klar, dass bei der voraussichtlichen Abstimmung die Stimmbevölkerung in den sauren Apfel beissen muss. Dass neben Wirtschaftskreisen, denen das Gesetz zu weit geht, auch einzelne Regionalgruppen der Klimastreikbewegung dagegen das Referendum ergriffen haben, ist nicht nur kontraproduktiv, sondern aus folgenden Gründen gar brandgefährlich:

Zum einen existiert schlichtweg kein Plan B. Falls das CO2-Gesetz 2022 nicht in Kraft tritt, wirft das die Schweizer Klimapolitik um weitere Jahre zurück. Die Totalrevision des vorliegenden CO2-Gesetzes hat vier Jahre gedauert. Die Nichtannahme der Vorlage nächstes Jahr hätte eine klaffende Gesetzeslücke bis Mitte der Zwanzigerjahre zur Folge. Die Schweiz hätte bis dahin – als weltweiter Sonderfall – gar keine eigentliche Klimagesetzgebung.

Zum anderen – und das wiegt schwerer – drohte die Schweiz zu einem neuen «Trumplandia» zu verkommen. Das Verwerfen des CO2-Gesetzes würde ausgerechnet denjenigen Kräften in Politik und Gesellschaft den Rücken stärken, welche sich uneinsichtig am Status quo festklammern und jegliche Klimafortschritte seit Jahrzehnten torpedieren. Die eigennützig handelnden Referendumsführer (allen voran Avenergy, vormals Erdölvereinigung und Auto Schweiz), die einzig und allein ihre todgeweihten Geschäftsmodelle um ein paar Jahre verlängern wollen, würden im Chor mit den Klimakrisen-Verleugnern den politischen Scherbenhaufen als Absage der Bevölkerung an jeglichen Klimaschutz umzudeuten versuchen. Die SVP und weitere rechtslibertäre Gruppierungen könnten damit gar ein unheilvolles klimapolitisches «Comeback» inszenieren. Es ist illusorisch, dass in diesem Fall die Stimmen der Klimabewegung, welche aus genau konträren und von der Sache her unterstützungswürdigen Klimagerechtigkeits-Motiven heraus gegen die Vorlage sind, im populistisch-politischen Getöse überhaupt noch gehört würden.

Aus demselben Grund ist auch höchst fraglich, ob und wann einem nach Jahren gescheiterten CO2-Gesetz eine auch nur annähernd ambitionierte, neue Vorlage erwachsen könnte. Einschlägige Erfahrungen aus abgelehnten Gesetzesvorlagen deuten auf das Gegenteilige hin: In der Regel folgen auf gescheiterte nicht verschärfte, sondern klar abgeschwächte Vorlagen.