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Der Schaden ist da, die Finanzierung noch nicht

29.09.2023, Klimagerechtigkeit

Der Streit, wer die Schäden und Verluste als Folge der Klimaerwärmung bezahlen soll, wird seit Jahrzehnten geführt. Die UNO-Klimakonferenz in Dubai verhandelt dieses Jahr erstmals über die Zahlungsmodalitäten. Resultate sind dringend nötig.

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Der Schaden ist da, die Finanzierung noch nicht

Eine nationale Katastrophe: Die Dürre in Kenia trocknet immer wieder das Leben aus.
© Ed Ram/Getty Images

«In meiner Heimat Kenia blieb bereits zum sechsten Mal die Regenzeit aus.» Elizabeth Wathuti spricht an diesem Abend des 22. Juni 2023 auf dem Champ de Mars in Paris laut ins Mikrofon, um von den Tausenden anwesenden Menschen gehört zu werden. «Das hat zu Ernteausfällen geführt, zu längerer Trockenheit und zu Ernährungsunsicherheit. Es hat die Kosten für unsere Landwirtschaft enorm erhöht.» Während die junge Aktivistin vor der Kulisse des Eiffelturms von den Auswirkungen der Klimakrise erzählt und zusammen mit weiteren Rednerinnen und Rednern Klimagerechtigkeit fordert, empfängt der französische Präsident Emmanuel Macron seine Gäste aus aller Welt in einem nahegelegenen Palais zum Bankett. Bereits den ganzen Tag hatten sie sich auf Einladung von Macron im Rahmen eines internationalen Gipfels über Herausforderungen und Wege für eine stärkere Finanzierung nachhaltiger Entwicklung im Globalen Süden ausgetauscht. Das Resultat: Man wird an der nächsten Konferenz weiterdiskutieren.

Die internationale Klimafinanzierung – zur Verringerung der Treibhausgasemissionen sowie zur Anpassung an die Klimaerwärmung im Globalen Süden – ist bereits seit Jahren mit der völkerrechtlichen Verpflichtung für die Industriestaaten verbunden, Beiträge an das kollektive Finanzierungsziel von 100 Milliarden Dollar pro Jahr zu leisten. Fehlender politischer Wille in den Verursacherstaaten der Klimakrise führte allerdings dazu, dass diese Summe noch nie erreicht wurde.

An der UN-Klimakonferenz im November 2022 (COP27) in Sharm El Sheikh ist es den Staaten des Globalen Südens nun erstmals gelungen, über die Finanzierung von klimaverursachten Schäden und Verlusten verhandeln zu können, auch dank der jahrzehntelangen Unterstützung durch zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit. Dabei gehen die Schäden und Verluste bereits seit Jahren in die Milliarden, genaue Schätzungen hängen von der Definition ab – und sind dort am grössten, wo die Menschen am wenigsten Mittel haben, sich darauf vorzubereiten oder anzupassen. Ebenfalls führen sie in bereits hoch verschuldeten Ländern zu weiterer Verschuldung. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) unterscheidet zwischen Schäden bzw. Verlusten aus schleichenden Ereignissen (z. B. dem Anstieg des Meeresspiegels) und rasch einsetzenden Ereignissen (z. B. Stürme und Überflutungen). Ausserdem gibt es neben ökonomisch quantifizierbaren Verlusten und Schäden ebenfalls nicht-quantifizierbare, beispielsweise Schäden an Kulturgütern oder Ökosystemen.

An der diesjährigen Konferenz COP28 in Dubai wird die sogenannte «Loss and Damage»-Finanzierung eines der grossen Verhandlungsthemen werden. Denn die Vertragsparteien haben sich vor einem Jahr den Auftrag gegeben, 2023 detailliertere Bestimmungen darüber zu verabschieden, wie Schäden und Verluste finanziert werden sollen. Die Diskussion beschränkt sich dabei auf Länder, die für die Auswirkungen der Klimakrise besonders anfällig sind . Dazu soll ein UNO-Fonds aufgebaut werden, in den die Verursacherstaaten einzahlen. In diesem Zusammenhang werden innovative globale Finanzierungsquellen diskutiert, welche auch private Akteure nach dem Verursacherprinzip zur Kasse bitten könnten. «Setzen sich solche Vorschläge durch, könnten weltweit auch emissionsintensive Unternehmen zur Finanzierung beitragen», schreibt Robin Poëll, Mediensprecher des BAFU, auf Anfrage von Alliance Sud. Die Chancen für eine solche globale Abgabe für den UNO-Fonds dürften jedoch vorläufig eher gering sein. Bis es soweit ist, könnte die Schweiz vorangehen und prüfen, eine solche Abgabe zumindest auf klimaschädliche Unternehmen in der Schweiz einzuführen, um für Verluste und Schäden im Globalen Süden aufzukommen.

Vertrauensverlust erschwert Verhandlungen

Der wirkliche Zankapfel an der Klimakonferenz wird vermutlich jedoch sein, welche Staaten in den Fonds einzahlen sollen und in welche Länder das Geld fliessen darf. Für letzteres muss definiert bzw. verhandelt werden, welche Länder als besonders vulnerabel gelten. Für die noch politischere Frage, wer als Verursacherstaat einzahlen soll, trifft die historische Verantwortung der Klimakrise, die klar auf die Industriestaaten zurückzuführen ist, auf den heutigen Vergleich der Treibhausgas-Emissionen zwischen den Ländern; bei letzterem haben die grössten Schwellenländer einen höheren Anteil. Die bisherigen Geberstaaten für die Klimafinanzierungsziele wurden 1992 definiert. Die Schweiz möchte erreichen, dass in den Fonds nun mehr Länder einzahlen müssen. BAFU-Sprecher Poëll: «Es ist ein Anliegen der Schweiz, dass die Länder, welche am meisten zum Klimawandel beitragen und die Kapazitäten haben, in die Pflicht genommen werden. Konkret bedeutet dies, dass auch wohlhabende Schwellenländer mit einem hohen Treibhausgas-Ausstoss sowie private Akteure ihren Beitrag leisten.» Die Schweiz und andere Geberstaaten aus dem Globalen Norden sind in diesem Punkt bisher jedoch am Widerstand des Globalen Südens gescheitert. Denn die Industriestaaten haben ihre bisherigen Finanzierungsversprechen nicht eingehalten und sind deshalb bezüglich Klimagerechtigkeit unglaubwürdig. Die Schweiz etwa hat ihren «angemessenen Anteil» an der Klimafinanzierung nicht aufgrund ihres gesamten Klima-Fussabdrucks berechnet, sondern nur anhand der geringeren Inlandemissionen. Ganz zu schweigen vom Verfehlen ihres Klimaziels, bis 2020 die Emissionen um 20% zu reduzieren. Der Vertrauensverlust zwischen Nord und Süd erschwert letztlich auch die Verhandlungen um ambitioniertere Klimaziele und den Ausstieg aus den fossilen Energien. Die Länder im Globalen Süden müssen aber ihre Finanzierung für erneuerbare Energien sicherstellen können, um sich nicht ins globale Abseits zu manövrieren.

Seit Anfang November liegt ein Kompromissvorschlag für die Ausgestaltung des neuen Fonds vor. Auffällig ist die Ansiedlung des Fonds bei der Weltbank, die weder für ihre Vorreiterrolle in der Klimakrise noch für eine faire Machtverteilung bekannt ist – entsprechend ist die Kritik von Ländern des Globalen Südens und zivilgesellschaftlichen Organisationen gross. Neben der klaren Erwartung an die Industriestaaten, zur Finanzierung beizutragen, werden auch andere Staaten «ermutigt», sich an der Finanzierung zu beteiligen. Die Frage, welche Länder als besonders schadensanfällig gelten und damit vom Fonds profitieren können, dürfte an der Konferenz offenbleiben; sie soll dem Vorstand des neuen Fonds zur Entscheidung vorgelegt werden. Der Vorstand wird aus 26 Mitgliedern aus allen Weltregionen (14 aus Entwicklungsländern) zusammengesetzt sein, die mit einer 4/5-Mehrheit entscheiden können. Im schlimmsten Fall droht damit eine Blockade bei der Umsetzung des Fonds.

Die Zeit drängt, Schäden und Verluste sind bereits da und nehmen laufend zu. Das liegt auch daran, dass die Finanzierungslücke bei der Anpassung an die Klimaerwärmung gemäss dem Weltklimabericht immer grösser wird. Allerdings können sich die Menschen nicht an jede Veränderung anpassen. Einen bleibenden Eindruck hinterliess der Aussenminister des pazifischen Inselstaats Tuvalu, der im Vorfeld der UNO-Klimakonferenz von Glasgow im Jahr 2021 für eine Rede kurzerhand die Hosenbeine hochgekrempelt und sein Rednerpult ins Meer gestellt hatte, um auf den steigenden Meeresspiegel aufmerksam zu machen. In Glasgow sprach Elizabeth Wathuti an der Eröffnung der Klimakonferenz vor der versammelten Weltbühne: «Bis 2025 wird die Hälfte der Weltbevölkerung von Wasserknappheit betroffen sein. Und bis ich fünfzig bin, wird die Klimakrise allein in Subsahara-Afrika 86 Millionen Menschen vertrieben haben.»  Keine Konferenz kann die Klimakrise von heute auf morgen beenden. Aber bereits eintretende Schäden und Verluste finanziell zu decken, ist bitter nötig.

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© Karwai Tang

Elizabeth Wathuti ist eine junge kenianische Klimaschutz- aktivistin. Sie hat die Green Generation Initiative gegründet und wurde unter anderem auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 mit ihrem Aufruf für mehr Solidarität international bekannt.