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Umsetzung der OECD-Mindeststeuer
Die Wellnessprogramme für multinationale Konzerne in Basel-Stadt und Zürich
12.05.2025, Finanzen und Steuern
Die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer in der Schweiz führt in den Kantonen zu finanz- und entwicklungspolitisch sehr problematischen Begünstigungen für multinationale Konzerne. Das zeigen die Beispiele Basel-Stadt und Zürich, wo in einer Woche entsprechende Volksabstimmungen stattfinden.

Die Syngenta AG mit Sitz in Basel-Stadt dürfte die Voraussetzungen erfüllen, um vom Standortförderungsprogramm im Rahmen der Mindeststeuer-Umsetzung zu profitieren. Bild: Blick auf den Basler Messeturm, im Vordergund das Gebäude des Syngenta-Konzerns. © Keystone / Laif / Max Galli
Am 18. Mai stehen in den Kantonen Basel-Stadt und Zürich wichtige steuerpolitische Abstimmungen an. Die Regierungen der beiden Kantone haben Vorlagen aufgelegt, mit denen sie auf die Einführung der OECD-Mindeststeuer durch den Bund reagieren. Sie beinhalten, wovor Alliance Sud schon lange warnte: Die OECD-Mindeststeuer wird in der Schweiz spätestens auf kantonaler Ebene zum Belohnungsprogramm für multinationale Konzerne und den sehr privilegierten Teil ihrer Angestellten.
Die steuerpolitischen Reformen in den zwei Kantonen werden durch eine Dynamik angetrieben, die die Erschaffung der OECD-Mindeststeuer ausgelöst hat und sich bereits im letzten Jahr auch andernorts in der Schweiz zeigte. Sie wurde von vielen kritischen OECD-Beobachter:innen schon 2021 vorausgesagt, als sich die verhandelnden Staaten bei der OECD auf diese Reform einigten:
- Profitieren werden vor allem Tiefsteuergebiete, deren Konzernsteuersätze unter der Mindeststeuer-Grenze von 15% liegen. Diese werden einen grossen Teil der zusätzlichen Steuereinnahmen einheimsen können.
- Das zusätzliche Geld werden global bedeutende Konzernstandorte nicht für den Ausbau ihrer öffentlichen Dienste zu Gunsten der ganzen Bevölkerung einsetzen, sondern mittels neuer Steuerausnahmen oder gar Subventionen wieder an ausgerechnet jene Konzerne zurückspielen, die die höheren Steuern entrichten. Damit wollen sie sicherstellen, dass diese Konzerne trotz auf dem Papier höherer Sätze ihre Steuern auch weiterhin vor allem bei ihnen bezahlen und nicht dort, wo sie ihre Wertschöpfung effektiv erzielen.
- Weil der Mindeststeuersatz im globalen Kontext mit 15% viel zu tief angesetzt wurde (vor Einführung lag der globale Schnitt bei ca. 24%), geraten Staaten (oder Schweizer Kantone), die auf den Gewinnen ihrer Grossunternehmen bisher höhere Gewinnsteuersätze ansetzten, unter Druck, diese Richtung 15% zu senken. Denn die Mindeststeuer führt de facto zu einer Harmonisierung gegen unten.
Der Fall Zürich
In Zürich spielt sich gerade Nummer 3 ab. Bisher lag der durchschnittliche Gewinnsteuersatz im Kanton bei 19,6%. Regierungs- und Kantonsrat wollen diesen nun auf 18,1% senken. Das könnte im bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz, dessen Bildungseinrichtungen, Gesundheitsdienste und Verkehrsinfrastrukturen weit über die Kantonsgrenzen hinaus von Bedeutung sind, zu potentiellen Steuerausfällen von 350 Millionen Franken jährlich führen. Entsprechend befürchten die Gegner:innen der Reform aus den Mitte-Links-Parteien und den Gewerkschaften einschneidende Kürzungen in diesen Bereichen. Die Befürworter:innen von Mitte-Rechts unter der Führung von SVP-Finanzdirektor Ernst Stocker befürchten derweil Abwanderungen von Firmen in die Konzernsteueroasen Zug oder Schaffhausen, die ihre Steuersätze zwar auf 15% erhöhen (wollen), aber gleichzeitig Ausnahmen und Subventionen beschlossen haben (Schaffhausen) oder noch planen (Zug). Dabei sind sich letztere auch nicht zu schade, in ihrer Kampagne die Stimmbürger:innen – höflich ausgedrückt – zu täuschen: «Gut für uns alle» und «besser für dein Portemonnaie» lauten zwei ihrer Slogans. Dabei geht es in der Vorlage nicht im Geringsten um Steuerentlastungen für natürliche Personen.
Der Fall Basel-Stadt
Am Rheinknie wiederum lassen sich gerade Nummer 1 und 2 beobachten: Dort wollen Regierung und Parlament mit den federführenden SP-Regierungsrät:innen Tanja Soland (Finanzdirektorin) und Kaspar Sutter (Volkswirtschaftsdirektor) einerseits den ordentlichen Gewinnsteuersatz für grosse Konzerne mit einem Umsatz von 750 Millionen Franken soweit erhöhen, dass diese von der nationalen Ergänzungssteuer, mit der der Bund die OECD-Mindeststeuer umsetzt, verschont bleiben. Damit stellt der schuldenfreie und reichste Kanton der Schweiz (durchschnittliches Bruttoinlandprodukt pro Kopf 2022: 209'782 Franken) sicher, dass 100% der zusätzlichen Einnahmen im Kanton bleiben. Andernfalls wären 25% an den Bund geflossen. Dessen finanzieller Spielraum wird von der politischen Mehrheit in Bundesbern bekanntlich aus irrationalen Gründen – Stichwort Schuldenbremse – künstlich beschnitten.
So erwartet der Basler Regierungsrat zusätzliche Einnahmen von 300 – 500 Millionen Franken jährlich. Zum Vergleich: Weil das Basler Umsetzungsmodell der OECD-Mindeststeuer in vielen Kantonen Schule macht, kann der Bund wohl mittelfristig nicht mit viel mehr Geld rechnen. Es ist davon auszugehen, dass am Schluss für die 207’510 Basler:innen gleich viel zusätzlich in die Kasse kommt wie für die 8,7 Millionen übrigen Schweizer:innen.
Wie die Konzerne belohnt werden
Mit der Revision des Standortförderungsgesetzes, über das in Basel am kommenden Wochenende abgestimmt wird, soll die halbe Milliarde Franken allerdings nicht der ganzen Basler Bevölkerung zu Gute kommen. Geschweige denn auch den Menschen in den Ländern, in denen manche Basler Konzerne einen wesentlichen Teil ihrer Wertschöpfung erzielen, wie das Alliance Sud auf nationaler Ebene vorgeschlagen hatte und vom Referendumskomitee in Basel nun auch gefordert wird. Vielmehr sollen von den Abermillionen via einen Fonds zu 80% die Basler Grosskonzerne profitieren, der Rest ist auch für KMUs erreichbar. Nichts davon fliesst aber in öffentliche Dienstleistungen. Die Subventionen, die der Fonds leisten kann und vom Basler Volkswirtschaftsdepartement vergeben werden – notabene ohne Mitsprache des Basler Grossrates – segeln offiziell unter Fördermassnahmen zu Gunsten von «Innovation, Gesellschaft und Umwelt». Die Firmen sollen so für neuartige Forschungskooperationen mit der Universität, für nachhaltige Finanzanlagen oder eine für Schweizer Verhältnisse grosszügige Elternzeit für ihre Angestellten belohnt werden. Man könnte auch von steuerlichem Science-, Green- und Familywashing sprechen. Weshalb, das zeigt das Beispiel Syngenta, das auch entwicklungspolitisch relevant ist, wie eine Recherche des WAV-Recherchekollektivs im Auftrag von Alliance Sud zeigt (ein detaillierter Recherche-Bericht ist auf Nachfrage einsehbar).
Das Beispiel Syngenta
Die Syngenta Group Ltd., deren Hauptsitz in China liegt, gehört mit insgesamt 56'000 Mitarbeiter:innen und einem Umsatz von 28,8 Milliarden US-Dollar (2024) zu den grössten Pestizid- und Saatgutkonzernen der Welt. Gegründet wurde sie im Jahr 2000 als Ausgliederung des Saatgut- und Pestizidgeschäfts der Basler Novartis und des britisch-schwedischen Pharmakonzerns AstraZeneca. Seit 2017 gehört sie vollständig dem chinesischen Staatskonzern ChemChina. Der Verkauf von Pestiziden macht geschätzte 70-80 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Die restlichen 20-30 Prozent speisen sich mehrheitlich aus der Produktion und Vermarktung von Saatgut.
Nach wie vor in der Stadt Basel beheimatet ist eine für den Gesamtkonzern sehr bedeutende Tochtergesellschaft der Syngenta Group Ltd, nämlich die Syngenta AG. Deren Zweck besteht hauptsächlich im Halten und Verwalten von Beteiligungen an anderen Syngenta-Gesellschaften. Sie erwirtschaftet in der Schweiz kaum Umsatz und tätigt eher wenig Forschungs- und Entwicklungs-Investitionen (9% der Gesamtinvestitionen). Sie beschäftigt in der Schweiz rund 10% (2900) ihrer Beschäftigten (30'000; der Gesamtkonzern beschäftigt weltweit 56'000 Leute). Aus der WAV-Recherche wird ersichtlich, dass die Syngenta AG zwischen 2018 und 2024 rund 40% ihrer Steuern in der Schweiz bezahlte – trotz dem hierzulande vernachlässigbaren Umsatz, sehr geringen Investitionen und einer Beschäftigungsquote (die erwähnten 10%), die deutlich unter dem Niveau der bezahlten Steuern liegt.
Wieviel Steuern die Syngenta AG an ihrem Holdingsitz in Basel-Stadt abliefert, ist auf Grund der eher restriktiven Auskunftspraxis des Konzerns nicht öffentlich. Da aber im zentralen Firmenindex des Bundes (Zefix) 14 der insgesamt 18 Schweizer Konzerngesellschaften in Basel-Stadt registriert sind – darunter solche für Forschung&Entwicklung und eine Finanzierungsgesellschaft (eine Art konzerninterne Banken) –, ist davon auszugehen, dass der Konzern auch in Basel Steuern bezahlt. Produktionsstätten betreibt er zudem in Stein im Aargau (u.a. Pestizide und Fasern) und in Monthey im Wallis (u.a. Farben und Polymere). Mit Rohstoffen und Agrarprodukten handelt eine Gesellschaft in Genf.
Verschiebt Syngenta Steuern in die Schweiz?
Da Umsatz, Investitionen und Beschäftigungsquote der Syngenta AG in der Schweiz im globalen Vergleich gering sind, scheint das Risiko beträchtlich, dass der vergleichsweise hohe Anteil der in der Schweiz bezahlten Steuern auch auf Gewinnverschiebungen zurückzuführen ist. In Basel könnte dies beispielsweise über die dortige Finanzierungsgesellschaft oder über die in der Schweiz von der Syngenta AG gehaltenen Patente (Anzahl: 226) geschehen. Eine Finanzierungsgesellschaft vergibt Kredite an andere Gesellschaften desselben Konzerns. Verlangt sie dafür hohe Zinsen, fällt der entsprechende Gewinn bei ihr an und nicht etwa in einer Fabrik, wo in der Produktion zwar viel Wertschöpfung erzielt wird, wegen der hohen Zinsen für die entsprechenden Investitionskredite aber wenig Gewinn anfällt. Ähnlich läuft das Gewinnverschiebungsspiel bei den Patenten: Eine Konzerngesellschaft verkauft die Rechte für die Nutzung eines Patents an Schwesterfirmen, die auf der Grundlage eines bestimmten Patents ein bestimmtes Produkt entwickeln und unter Umständen auch produzieren. Verlangt die Patenthalterin von der Patentnutzerin hohe Gebühren, reduziert auch das wieder den Gewinn in der Entwicklungs- bzw. Produktionsgesellschaft und erhöht diesen bei der Patenthalterin.
In einem Artikel über ihr Schweizer Geschäft begründet Syngenta den «hohen Anteil an der Wertschöpfung» in der Schweiz damit, dass dort 13% der Kosten (2018) anfallen. Der Webseite lässt sich zudem entnehmen, dass das Unternehmen zwischen 2015 und 2025 im Schnitt jährlich 100 Millionen in Schweizer Standorte investiert hat. Auch das wäre aber eine wenig überzeugende Begründung für den hohen Anteil der bezahlten Steuern in der Schweiz, da der Schweizer Anteil der globalen Investitionen in Forschung und Entwicklung wie erwähnt unter dieser Quote von 13% liegt (9%) und die oben erwähnten anfallenden Kosten neben Investitionen in die Produktion in Stein (AG) und Monthey (VS) zum Beispiel auch die vergebenen Kredite der Finanzierungsgesellschaft beinhalten könnten oder jene für die Verwaltung der Beteiligungen und Patentrechte. In letzteren beiden Fällen würde es sich bei einem wesentlichen Teil der Wertschöpfung um eine künstliche handeln, was den hohen Anteil der in der Schweiz bezahlten Steuern auch nicht rechtfertigen würde, zumal die Steuersätze hier im internationalen Vergleich tief sind.
Basler Subventionen für einen chinesischen Staatskonzern?
Problematisch ist auch: Zwischen 2021 und 2023 profitierte zudem der chinesische Staat über seinen Konzern ChemChina direkt vom Syngenta-Geschäft. Jährlich wurden in diesen drei Jahren Dividenden in der Höhe von 400 bis 500 Millionen Franken an den Besitzer-Konzern bezahlt. Umgekehrt setzt Syngenta zwar einen grossen Teil seines Pestizids im Globalen Süden ab. Angesichts der Tatsache, dass der Konzern 40% seiner Steuern in der Schweiz bezahlt, muss davon ausgegangen werden, dass der Anteil der bezahlten Steuern in den Absatzmärkten angesichts der Bedeutung von diesen für Syngenta’s Geschäftserfolg zu gering ist. Unter den zum Teil massiven Schäden für Mensch und Umwelt, die Syngenta’s Pestizide verursachen, leiden aber vor allem die Menschen in den Absatzmärkten im Globalen Süden.
Mit seinem Schweizer Geschäft erfüllt Syngenta sehr wahrscheinlich die Voraussetzungen für das Basler Standortförderungsprogramm im Rahmen der Umsetzung der OECD-Mindeststeuer. Vereinbar mit dessen Zielen (Stärkung von Innovation, Umwelt und Gesellschaft) scheint dieses aber nur sehr beschränkt: Es handelt sich hier um einen Konzern, von dem ein autokratisches Regime stark profitiert (der chinesische Staat), der mutmasslich problematische Steueroptimierungspraktiken betreibt und mit seinen giftigen Produkten Mensch und Umwelt verheerende Schäden zufügt. Weshalb ein solcher Konzern die Chance auf öffentliche Förderungen eines Kantons haben soll, der mit seiner Mitte-Links-Regierung progressive Werte vertritt und bis 2030 klimaneutral werden will, ist nicht nachvollziehbar. Dass es dieses Wellnessprogramm für Konzerne überhaupt geben soll, ist noch viel weniger verständlich.