Artikel

«Frauen sind keine abstrakten Subjekte»

23.03.2020, Internationale Zusammenarbeit

Die zentrale Rolle der Frauen für eine nachhaltige Entwicklung ist unbestritten. Selbst die Weltbank verfolgt eine Gender-Strategie. Doch gibt es eine richtige Strategie in einer falschen? Antworten von Genderforscherin Elisabeth Prügl.

Kristina Lanz
Kristina Lanz

Expertin für internationale Zusammenarbeit

«Frauen sind keine abstrakten Subjekte»
Prof. Elisabeth Prügl, Genderforscherin am IHEID

global: Die Weltbank vermarktet sich seit einigen Jahren als Champion für Geschlechtergerechtigkeit. Wie kommt das?

Elisabeth Prügl: Geschlechtergerechtigkeit ist heute in der Tat ein zentrales Thema für die Weltbank – dafür gibt es mehrere Gründe. 2007 beschloss die Führung der Bank ernsthaft, eine Gender-Strategie zu implementieren, und anerkannte damit, dass Geschlechterverhältnisse für wirtschaftliche Entwicklungsprozesse relevant sind. Bis dahin war Geschlecht in erster Linie als sozialpolitisches Thema in der Erziehungs- und Gesundheitspolitik verhandelt worden, nun sollte es ein Thema der Wirtschaftspolitik werden. Das Argument dafür war, dass Geschlechtergerechtigkeit eine Sache des klugen Wirtschaftens sei («Gender Equality as Smart Economics»), Geschlechtergerechtigkeit soll also wirtschaftliches Wachstum unterstützen.

In den letzten zehn Jahren hat die Weltbank einige Forschungsprojekte und Datenerhebungen im Bereich Gender und Entwicklung finanziert, ein internes Gender-Monitoring von Projekten und Programmen eingeführt sowie die Zusammenarbeit auch mit Partnern aus dem Privatsektor gesucht. Nachdem die UNO in der Agenda 2030 der Geschlechtergerechtigkeit eines der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung gewidmet hat, schrieb die Bank 2016 eine neue Gender-Strategie, die auf ihrer eigenen, umfassenden Forschung aufbauen konnte. Und diese kam unter anderem zum Schluss, dass Management und Belegschaft mittlerweile bedeutend mehr Zeit in Genderthemen investierten. So ist die Weltbank zum Gender-Champion mutiert.

Die Weltbank ist mitverantwortlich dafür, dass heute fast alle der Meinung sind, ohne Privatsektor gebe es keine Entwicklung. Durch ihre Beratungsdienstleistungen und Darlehen propagiert sie in Entwicklungsländern Reformen, die auf Handelsöffnung, finanzielle Deregulierung und die Privatisierung von Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen abzielen. Diese Privatisierungsagenda wird von feministischen Gruppierungen stark kritisiert. Warum?

Die Weltbank ist ein integraler Bestandteil der neoliberal geprägten Weltwirtschaftsordnung: Ihre Forschungsarbeiten, Projekte und Programme vertrauen unkritisch auf den Markt und basieren auf der Überzeugung, dass das Gemeinwohl am besten durch Marktanreize realisiert werde. Die zentralen Akteure in dieser Ideologie sind Privatpersonen und Firmen; und auch die staatliche Verwaltung soll sich an der Marktlogik orientieren.  

Nun hat aber die Erfahrung der letzten 40 Jahre gezeigt, dass das uneingeschränkte Vertrauen in den freien Markt und die Privatwirtschaft extreme Ungleichheit geschaffen hat. Zudem zeigt eine freie Marktwirtschaft wenig Interesse an der Bereitstellung von zentralen Dienstleistungen, wie zum Beispiel der Pflege, der Erziehung oder des Gesundheitswesens – alles Bereiche, in denen Frauen überproportional beschäftigt sind, sei es als bezahlte, vor allem aber auch als unbezahlte Arbeitskräfte. Doch keine Gesellschaft, keine Wirtschaft kommt ohne diese Bereiche aus. Sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern hat die einseitige Bevorzugung des freien Marktes Krisen in den für die soziale Reproduktion und Pflege wichtigen Bereichen ausgelöst; und die Kosten dieser Krisen werden oftmals auf Frauen als unter- oder unbezahlte Arbeitskräfte abgewälzt. Das erklärt, dass viele Feministinnen dem neoliberalen Vertrauen auf den Markt und auf Privatisierung sehr kritisch gegenüber stehen.

Gender-Champion auf der einen Seite, Promotorin von Projekten und Politiken, die Frauen besonders schaden, auf der anderen. Wie bewerten Sie das Engagement der Weltbank im Bereich Geschlechtergerechtigkeit?

Die Weltbank tendiert dazu, Frauen für die Entwicklung zu instrumentalisieren: Geschlechtergerechtigkeit wird in erster Linie als wichtiger Faktor für wirtschaftliches Wachstum und Armutsbekämpfung dargestellt. Frauen sind in den Empfehlungen der Weltbank abstrakte Subjekte, die in die existierende Wirtschaftsordnung integriert werden müssen. Aber die Bank ist kein Monolith; innerhalb der Organisation findet man diverse Vorstellungen, auch voneinander abweichende feministische Auffassungen. Einige dieser Ideen haben Eingang in die neue Gender-Strategie der Bank gefunden. So beinhaltet die Strategie neben herkömmlichen Vorschlägen, wie einem besseren Zugang für Frauen zur Arbeitswelt, auch eher unorthodoxe Anregungen wie zum Beispiel bessere Kinderversorgung und Pflege sowie Massnahmen gegen häusliche Gewalt. Wenn diese Ziele als zentral für die Beteiligung von Frauen in der Wirtschaft anerkannt werden, verändert sich auch das Verständnis von wirtschaftlicher Entwicklung. Und obwohl die Gender-Strategie der Bank orthodoxe, makro-ökonomische Modelle nach wie vor nicht prinzipiell hinterfragt, beginnt sie diese Modelle immerhin zu erweitern. Kurz, dem Ansatz der Weltbank stehe ich kritisch gegenüber, aber ihr Interesse an der Geschlechtergerechtigkeit bewerte ich positiv.

In welchen Punkten muss sich die Weltbank verbessern, um dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit näher zu kommen?

Zwei Interventionen sind meines Erachtens zentral: Erstens hat die Weltbank in den letzten Jahren wichtige Forschungsarbeiten geliefert, um die zentrale Rolle von Frauen und von geschlechtsspezifischen Praktiken in der wirtschaftlichen Entwicklung sichtbar zu machen. Diese Forschung hat grossen Einfluss. Feministische Wirtschaftstheorien kommen in diesen Arbeiten jedoch oft zu kurz. Die Weltbank muss feministischen Ansätzen mehr Aufmerksamkeit schenken. Die Zusammenarbeit mit UN Women bietet dazu ausgezeichnete Möglichkeiten.

Zweitens gibt es nach wie vor Schwachpunkte in der Implementierung ihres Geschlechteransatzes. Für die Genderarbeit stehen relativ wenig finanzielle Ressourcen zur Verfügung. Diese Arbeit kann nicht an Firmen delegiert werden, die in der Regel über wenig Genderexpertise verfügen und meinen, mit einer Erhöhung des Frauenanteils in Leitungsfunktionen sei es getan; auch braucht es mehr als bloss Unternehmertrainings für Frauen. Geschlechtergerechtigkeit funktioniert nur, wenn sie auf einem grundlegenden Verständnis basiert, wie sich das Geschlecht in Gesellschaft und Wirtschaft im Zusammenklang mit anderen sozialen Differenzen, insbesondere der sozialen Klasse, auswirkt.

Elisabeth Prügl - Genderforscherin am IHEID

Elisabeth Prügl leitet am Graduate Institute für Internationale und Entwicklungsstudien (IHEID) in Genf das Gender Centre. Schwerpunkt ihrer Lehre und Forschung in den USA und der Schweiz ist Gender-Politik in der internationalen Regierungsführung. 2019 erhielt sie den «Eminent Scholar Award» der International Studies Association (ISA) im Bereich feministische Theorie und Gender Studies.