Interview mit Attiya Waris

«Vergessen Sie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich nicht!»

09.12.2025, Finanzen und Steuern

Attiya Waris erklärt, wie sie als unabhängige UNO-Expertin die Schuldenfrage und die Steuerpolitik mit den Menschenrechten verknüpft und warum die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel völlig unterschätzt wird. Interview von Dominik Gross

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

«Vergessen Sie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich nicht!»

Ein Koloss der internationalen Finanzarchitektur thront über Basels Bahnhof und ist doch unscheinbar: Hauptsitz der Bank für Internationalen Zahlungsverkehr. © picture alliance/Rolf Haid

Professorin Attiya Waris, die Welt hat sich seit Ihrem Amtsantritt im Jahr 2021 stark verändert: Die sogenannte «Polykrise» hat sich aufgrund der vielfältigen Folgen der Pandemie und der neuen Kriege in Gaza, im Sudan und in der Ukraine stark beschleunigt. Wie beeinflussen diese einschneidenden Entwicklungen Ihre Arbeit?

Soweit ich das beurteilen kann, erlebt jedes Land auf der Erde je eine eigene Reihe von Krisen – sie können geopolitischer, wirtschaftlicher, politischer oder finanzieller Natur sein. In diesem Herbst haben innerhalb kürzester Zeit mehrere Regierungen neue Premierminister oder Präsidenten bekommen. Einige von ihnen wurden über soziale Medien ins Amt gebracht. In verschiedenen Ländern rund um den Globus protestieren junge Menschen auf den Strassen. Die Herausforderung besteht darin, auf ihre sehr realen Anliegen einzugehen und sich damit auseinanderzusetzen. Hinzu kommen künstlich herbeigeführte Krisen wie die zunehmende Militarisierung weltweit oder die drastische Sparpolitik in vielen Ländern.

In der Schweiz muss hart gegen politische Angriffe auf das ohnehin schon niedrige Entwicklungsbudget gekämpft werden. Sehen Sie auch Länder, die diesem Trend etwas entgegensetzen?

Ich bin gerade aus Kuwait zurückgekommen. Dort hat man mir gesagt, dass man das Budget stabilisieren oder sogar erhöhen möchte. Das ist ein kleiner Lichtblick in einem zurzeit dunklen Umfeld. Auf unserem gesamten Kontinent tobt ausserdem ein heftiger Kampf zwischen China und dem Westen um ihren geopolitischen Einfluss in Afrika, der durch den Bau von Infrastruktur durch westliche und chinesische Unternehmen ausgetragen wird.

 

Attiya Waris ist Professorin für Rechtswissenschaften an der Universität Nairobi. Sie ist erst die zweite ordentliche Rechtsprofessorin in Kenia und die erste Professorin aus einer religiösen und ethnischen Minderheit des Landes. Ihr ursprünglicher Forschungsschwerpunkt war die Entwicklung und Stärkung der Verbindungen zwischen Finanzen und Entwicklung durch Besteuerung, Verschuldung und illegale Finanzströme.

 

Welche Rolle haben multilaterale Institutionen in diesem Spiel, bei dem die Regeln des globalen Finanzsystems festgelegt werden?

Eine oft unterschätzte Institution in der aktuellen Architektur des Finanzsystems ist die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Sie hat ihren Sitz in Basel. Tatsächlich kontrolliert die BIZ das Wissen über jede einzelne Finanztransaktion auf der Welt. Diese Daten sind natürlich äusserst wichtig und sollten nicht in den Händen einer vollständig privaten Institution liegen. Auf die BIZ hatte ich schon vor meiner Tätigkeit bei der UNO ein Auge geworfen. Angesichts ihrer ausgesprochen wichtigen Rolle ist es bemerkenswert, wie unsichtbar sie allgemein ist.

Warum ist es so wichtig, dass solche Institutionen transparent sind?

Nehmen wir an, wir wollen eine globale Transaktionssteuer einführen, wie wir es bereits in der Vergangenheit versucht haben: Wie können wir wissen, wie viel Steuereinnahmen wir damit erzielen könnten, wenn wir keine Ahnung von den tatsächlichen Transaktionen haben? Wie soll also besteuert werden? Und Steuern gehören einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft, die sie einzieht, weil sie diese braucht. Wir sprechen hier von Daten, die für Finanzbehörden, die Zivilgesellschaft oder Forscher:innen, die als Wächter:innen des Systems fungieren, von entscheidender Bedeutung sind.

 

BIZ, die «Bank der Zentralbanken»

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist die älteste internationale Finanzinstitution. Sie wurde bereits 1930 für die Abwicklung der neu verhandelten deutschen Reparationsverpflichtungen nach dem Ersten Weltkrieg gegründet. Sie ist als Aktiengesellschaft mit Sitz in Basel organisiert, allerdings sind die Zentralbanken von gegenwärtig 63 Ländern die einzigen Aktionäre (dies im Unterschied zum Schweizer BIZ-Mitglied SNB, das auch private Aktionäre hat). Die BIZ unterstützt Ihre Mitglieder bei der Verwaltung der Währungsreserven und beschäftigt sich mit Konjunktur- und Finanzmarktlage sowie der internationalen Währungs- und Finanzstabilität. Bei der BIZ sind auch das Sekretariat des Financial Stability Board (FSB) und der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht angesiedelt.

 

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Bretton-Woods-Institutionen – zur Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, dem IWF?

Es ist sehr schwierig. Zunächst einmal habe ich Mühe, Zugang zu wichtigen Sitzungen zu erhalten, was ich angesichts meiner Rolle bei den Vereinten Nationen empörend finde. Aber abgesehen von meiner persönlichen Situation: Diese Institutionen wurden im Rahmen des UN-Pakts für die Zukunft vom letzten Jahr beauftragt, eine neue Finanzarchitektur zu entwickeln. Aber es gibt nichts, keinen Bericht, nicht einmal irgendwelche Gerüchte. Die Undurchsichtigkeit der Bretton-Woods-Institutionen ist besonders schädlich, wenn es um Kreditvereinbarungen zwischen Gläubigern und staatlichen Schuldnern geht. Diese betreffen ganze Bevölkerungsgruppen, aber wir wissen nicht, was drinsteht. Diese Institutionen sollten verpflichtet werden, solche Dokumente zu veröffentlichen.

 

Der vom Norden dominierte Internationale Währungsfonds hält viele Abkommen geheim: IWF-Direktorin Kristalina Georgieva mit einer Journalistin in Washington. © Reuters/Ken Cedeno

 

Das Abschlussdokument der vierten UNO-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung, die im Juli in Sevilla stattfand, enthält erhebliche Lücken. Die besten Teile des sogenannten «Compromiso de Sevilla» sind wahrscheinlich diejenigen, die sich mit Besteuerung und nachhaltiger Entwicklung befassen. In den Verhandlungen über die UNO-Steuerkonvention gewinnt diese Debatte an Aufmerksamkeit. Wie beurteilen sie das?

Lange Zeit war der 1968 gegründete UN-Steuerausschuss die einzige Plattform für Steuerpolitik bei den Vereinten Nationen. Dieses Gremium besteht aus hochspezialisierten Steuerprüfer:innen, die nur sehr wenig über Menschenrechte wissen und sich nie sonderlich für eine politische Debatte über Steuern bei den Vereinten Nationen interessiert haben. Daher war eine der grössten Herausforderungen im UN-Kontext immer das Fehlen eines Dialogs über Steuern und Menschenrechte. Seit Beginn meines Mandats war es eines meiner Hauptanliegen, New York, wo die wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten angesiedelt sind, und Genf, wo die Menschenrechte im Mittelpunkt stehen, einander näher zu bringen. Für mich ging es dabei vor allem darum, Steuern und Menschenrechte miteinander zu verknüpfen.

Sind die Verhandlungen über ein UN-Steuerabkommen in dieser Hinsicht ein Wendepunkt?

Nicht wirklich, denn die Länderdelegierten, die über das Abkommen verhandeln, sind ebenfalls überwiegend Steuerexpert:innen. Es sind keine Verhandler:innen für Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung oder Handel dabei. Es geht wirklich nur um Steuern. In dieser Hinsicht sehen wir bisher «Business as usual».

Tatsächlich ist es auch aus Sicht der Steuergerechtigkeit nicht so einfach, dieses Thema anzugehen: Es gibt Menschenrechte, die den Zielen von mehr Steuergerechtigkeit, einer fairen Verteilung der Besteuerungsrechte zwischen allen Weltregionen, einer progressiven Besteuerung oder Steuertransparenz im Weg stehen: vor allem das Recht auf Eigentum.

Ja, das bringt uns zur Frage, um welche Art von Menschenrechten es hier geht. Und hier wird die europäische Perspektive, die natürlich auch jene der Schweiz ist, zu einer grossen Herausforderung: Bislang lautete das Hauptargument Europas, dass diese Verhandlungen eine Doppelung der OECD-Reformen und daher unnötig seien. Aber man kann etwas nicht als Duplizierung bezeichnen, wenn sich beim Original drei Viertel der Welt von vornherein von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen fühlten. Darüber hinaus ist es äusserst problematisch, wenn europäische Länder, die traditionell als Befürworterinnen und Beschützer des Menschenrechtssystems bekannt sind, dieses umgehen und aus der Diskussion heraushalten wollen.

Was hören Sie diesbezüglich von Vertreter:innen der Staaten im Globalen Süden?

Einige von ihnen haben negative Erfahrungen mit dem Menschenrechtsdiskurs gemacht. Verantwortlich dafür sind die Länder aus dem Globalen Norden, weil sie Menschenrechte als Mittel zur Strafe oder als Instrument benutzt haben, um andere der Inkompetenz, schlechter Regierungsführung oder Misswirtschaft zu bezichtigen. Währenddessen ignorierten sie die Tatsache, dass die untersuchten Länder gar nicht über genügend Steuerressourcen verfügen, um ihren Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen.

Es waren also nicht nur die Steuerexpert:innen, die die Menschenrechte ignorierten, sondern auch die Spezialist:innen für Menschenrechte bei der UNO, die nicht zur Kenntnis nahmen, wie die heutigen internationalen Steuerregeln den Vollzug der Menschenrechte behindern?

Ja. Und dann traten einige europäische Menschenrechts-Spezialist:innen auf den Plan und erklärten, sie wollten europäische Menschenrechtsstandards anwenden, was bedeuten würde, anzuerkennen, dass gemäss der Europäischen Menschenrechtskonvention auch Unternehmen Menschenrechte haben. Dies öffnet die Tür für Argumente zum Recht auf Privatsphäre, die Sie zuvor erwähnt haben. Dies kann einer starken Agenda für Steuertransparenz sehr schaden.

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