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Die Welt braucht einen Schuldenschnitt

29.09.2020, Finanzen und Steuern

Die Covid-19-Pandemie hat viele Länder in eine tiefe Krise gestürzt, der Ruf nach Schuldenschnitten wird weltweit immer lauter. In der Schweiz sind vor allem private Gläubiger gefordert, doch der Bundesrat zögert noch, sie in die Pflicht zu nehmen.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Die Welt braucht einen Schuldenschnitt

© Jorma Bork / pixelio.de

In den letzten zehn Jahren haben sich die öffentlichen Schulden jener armen Länder verdoppelt, die gemäss Weltbank in die Kategorie Entwicklungsländer fallen. Mittlerweile droht über 50 Ländern der Staatsbankrott. Das zeigt ein neues Datenportal zur Staatsverschuldung, das die britische NGO Jubilee Debt Campaign (JDC) kürzlich lancierte. Die Gründe für die neue Schuldenkrise im globalen Süden sind vielfältig. Fallende Rohstoffpreise – vor allem beim Erdöl – und jüngst die Coronakrise gehören dazu.

Dabei wird armen Ländern ihre generell schwache Stellung im globalen Finanzsystem zum Verhängnis. Während Japans Schuldenquote 198,3% des Bruttoinlandprodukts (BIP) beträgt (2018), womit man in Tokio den höchsten Schuldenstand weltweit ausweist, beläuft sich jene Ghanas nur auf 59,3%. Trotzdem befindet sich Ghana in einer Schuldenkrise, Japan nicht. Ein Grund dafür ist, dass Japan über einen starken eigenen Finanzsektor verfügt. Der Staat kann neue Schulden also im Inland und in seiner eigenen Währung – dem im internationalen Vergleich starken Yen – aufnehmen. Länder mit einer schwachen eigenen Finanzwirtschaft sind umgekehrt von ausländischen Gläubigern abhängig und müssen sich in Fremdwährungen verschulden – sehr oft in US-Dollar. Sinkt etwa der Wert des US-Dollars im Vergleich mit der ghanaischen Währung Cedi, steigt auch Ghanas Schuldenquote, ohne dass der ghanaische Staat neue Kredite aufgenommen hätte. In diesem Jahr werden nach Berechnungen von JDC so sage und schreibe 50% der ghanaischen Staatseinnahmen in den Schuldendienst gegenüber ausländischen Gläubigern fliessen, vor zehn Jahren waren es noch 5% gewesen. In Japan sind es trotz eines Vielfachen an Staatschulden nur 1,4%.

Schuldenschnitte werden immer dringender

Das Beispiel Ghana zeigt: Ausgerechnet jene Länder, die auch schon durch Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne und durch Steuerflucht reicher Privatpersonen massiv Steuereinnahmen verlieren, leiden auch unter exorbitanten Schuldenlasten. Dies geht auf Kosten der breiten Bevölkerung in diesen Ländern: Die Finanzierung öffentlicher Gesundheitsversorgungen, von Bildungsangeboten und der sozialen Sicherungssysteme wird ausgerechnet in der Coronakrise noch prekärer.

Heute findet im Rahmen der UN-Jahresversammlung ein virtuelles Treffen sämtlicher Finanzminister statt. Alliance Sud hat aus diesem Anlass einen offenen Brief mit 350 anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen unterschrieben, der von den Regierungen dringend ein breites Reformpaket für eine nachhaltigere globale Finanz- und Steuerpolitik fordert. Neben Massnahmen gegen Steuerflucht und einer Reorganisation der globalen Steuerpolitik fordert der Brief auch umfassende Schuldenschnitte und die Etablierung eines multilateralen Verfahrens zur Umstrukturierung von Staatschulden im Rahmen der UNO. Entwicklungsländer brauchen zudem Liquiditätsspritzen in Form von Sonderziehungsrechten beim Internationalen Währungsfonds.

Eine substantielle Beteiligung privater Gläubiger ist unumgänglich

Bereits im Juni haben Alliance Sud und zehn weitere Schweizer NGO den Bundesrat zur Einberufung eines runden Tisches aufgefordert, an dem über die Abschreibung von Krediten in der Höhe von 5,7 Milliarden Franken verhandelt werden soll, die Schweizer Banken an die 86 ärmsten Länder der Welt vergeben haben. Im August zeigte sich der Bundesrat in einer Antwort auf eine entsprechende Interpellation von SP-Nationalrat Fabian Molina zurückhaltend gegenüber dieser Idee. Er hielt fest, dass er die Debt Service Suspension Initiative (DSSI) des Internationalen Weährungsfonds (IWF) und der Weltbank unterstützt und sich «fürs Gelingen der DSSI» einsetzt und für eine möglichst breite und einheitliche Gläubigerbeteiligung plädiert – wozu selbstverständlich auch private Gläubiger gehören würden. Im Rahmen der DSSI geht es aber nicht um Schuldenerlasse, sondern nur um Schuldenstundungen. Zudem liegen bis heute keine verbindlichen Zusagen wesentlicher privater Gläubiger vor, sich an der DSSI substantiell zu beteiligen. Eine solche wäre aber – vor allem auch im Rahmen von Schuldenerlassen – entscheidend für ein Gelingen einer nachhaltigen Entschuldung von Entwicklungsländern, die auf Grund der Coronakrise in Zahlungsnot geraten sind bzw. auch wegen ihrer hohen Verschuldung nicht in der Lage sind, diese Krise gesundheits- und sozialpolitisch so zu bewältigen, dass sich die Verheerungen für die unterprivilegierten Bevölkerungsschichten in Grenzen hält. So hat die Jubilee Debt Campaign im Juli gezeigt, dass von den Geldern, die der IWF den 69 ärmsten Ländern zur Krisenbewältigung gewährte und um Staatsbankrotte zu vermeiden, neun Milliarden Dollar direkt im Rahmen des Schuldendienstes an private Gläubiger floss.


 
Hintergrundinformationen, Fragen und Antworten zum Thema (PDF zum Download)
Globale Schuldenkrise: Es braucht einen Schuldenerlass für Entwicklungsländer durch private Schweizer Gläubiger