Sonderausgabe Global
Der neue Deal
Eine neue Schweiz für eine gerechtere Welt
Vorwort
Noch kann der Multilateralismus gerettet werden
Von Jayati Ghosh
Unter den vielen geopolitischen Stunts von Donald Trump seit seiner Rückkehr ins Weisse Haus war eine Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) am 4. März 2025 besonders aufschlussreich. Die USA lehnten eine harmlose Resolution ab, mit der ein «Internationaler Tag der friedlichen Koexistenz» eingeführt und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bekräftigt wurde. Die Trump-Administration ist nicht nur mit bestimmten internationalen Institutionen unzufrieden, sondern lehnt grundsätzlich jeden multilateralen Rahmen ab, der auch nur annähernd Gleichheit zwischen und innerhalb von Ländern herstellt.
Paradoxerweise könnten Trumps Massnahmen jedoch auch als Katalysator für eine stärkere internationale Zusammenarbeit dienen und andere Länder zu einer engeren Zusammenarbeit bewegen. Erfreulicherweise scheinen viele führende Politiker dies zu verstehen und setzen sich weiterhin für den Multilateralismus ein. Die internationalen Verhandlungen über Steuern, Klimaschutz und Entwicklungsfinanzierung kommen voran, auch ohne Beteiligung der USA. In diesem Sinn könnte das derzeitige Klima der Unsicherheit und des Umbruchs eine einzigartige Gelegenheit sein, eine wirklich internationale Bewegung für einen fortschrittlichen Wandel aufzubauen.
Dieses überzeugende und dringend notwendige Magazin von Alliance Sud zeigt auf, wie ein erneuerter Multilateralismus der aktuellen Polykrise begegnen kann. Es unterstreicht die Verantwortung, die die Schweiz als reiches und stark globalisiertes Land trägt, um den Multilateralismus durch konsequente Reformen im eigenen Land zu stärken. Denn wie Alliance Sud zeigt, verfügt die Schweiz über die finanziellen Mittel, um einen substanziellen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten, der auch ihr selbst zugutekäme.

Die indische Ökonomin Jayati Ghosh ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts Amherst und Co-Vorsitzende der von Alliance Sud mitgegründeten Independent Commission for the Reform of International Corporate Taxation (ICRICT).
Inhaltsverzeichnis
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Ist das nicht …?! …Monopoly, dieses erzkapitalistische Spiel? Nein, aber es passt zur Geschichte des Spiels. Erfunden wurde es nämlich vor 121 Jahren von Elizabeth «Lizzie» Magie als «The Landlord’s Game». Die Quäkerin war eine Anhängerin des Ökonomen und Sozialreformers Henry George, dem einflussreichsten Befürworter einer Einheitssteuer auf Landbesitz. Lizzie Magie wollte mit dem Brettspiel dessen Argument aufzeigen: Einkünfte des Grundbesitzers auf der einen Seite schaffen Armut und Verelendung auf der anderen Seite. So gehörte denn auch zum Original-Monopoly ein zweites Spielbrett, bei dem mit einer «single tax» korrigierend eingegriffen wurde. Passt doch – oder?
Was auf dem Spiel steht
Mit Trump ist weltweit auch die Stunde der Leugner:innen angebrochen. Klimakrise, globale Ungleichheit, Armut und abgehängte Länder – kein Thema; oder wenn, dann nur als Anlass für Tech-Oligarchen, den Mars zu besiedeln. Doch dass die Polykrise einfach verschwindet, ist so realistisch wie blühende Landschaften auf dem Mars. Die Welt braucht schnell einen radikalen Umbau der Produktions- und Konsummuster, damit die Klimakrise nicht vollständig aus dem Ruder läuft. Soll dieser notwendige Übergang weg von fossilen Brennstoffen gerecht sein (siehe untenstehenden Kasten «Just Transition»), müssen dabei die globale Armut bekämpft und die Chancen auf ein würdiges Leben für alle ermöglicht werden.
Doch wir erleben die schwerste Krise des Multilateralismus seit dem 2. Weltkrieg. Und der Angriff auf, der Austritt aus und der Zahlungsstopp für multilaterale Organisationen, geht von der Macht aus, die entscheidend für den Aufbau der multilateralen Architektur verantwortlich war. Dabei war diese Ordnung schon bisher weder ausreichend, geschweige denn perfekt, aber wie der frühere UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld sagte: «The United Nations was not created to take mankind to paradise, but to save humanity from hell.»
Keines der drängenden globalen Probleme kann ohne Multilateralismus, ohne die Zusammenarbeit der Länder mit Respekt und auf Augenhöhe auch nur annähernd gelöst werden. Deshalb müssen wir in der dunkelsten Stunde des Multilateralismus erst recht über Multilateralismus reden.
Just Transition: Planet retten – Gerechtigkeit schaffen
Was «Just Transition» oder gerechte Transition fassen will, ist so alt wie einfach. Schon im Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung («Brundtland-Bericht), der 1987 von der UNO-Generalversammlung angenommen wurde, wird «Sustainable Development» definiert als «eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht mehr befriedigen können.» Dabei wird präzisiert, dass die «Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt überwiegende Priorität haben sollen». Kurz gefasst also: Planet retten und Gerechtigkeit schaffen.
Der Begriff «Just Transition» wurde ursprünglich von der US-Gewerkschaftsbewegung geprägt, als Reaktion auf die Auswirkungen der Umweltgesetzgebung auf dreckige Industrien und deren Arbeitsplätze. Es besteht kein Zweifel mehr, dass die Klimakrise nicht nur künftige Generationen, sondern auch die Ärmsten der Welt existentiell bedroht. Transition meint deshalb heute den Übergang zu einer postfossilen Wirtschaft und Gesellschaft, um die Klimakrise abzuwenden. Dieser soll aber gerecht sein, was das Klimasekretariat der UNO so zusammenfasst: «Ein gerechter Übergang bedeutet, die Wirtschaft und das Wirtschaftssystem so fair und inklusiv wie möglich umzugestalten, menschenwürdige Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und niemanden zurückzulassen.» «Niemanden zurücklassen», der ambitionierte Leitspruch der Agenda 2030, verlangt, dass neben der Überwindung der bestehenden Armut auch die Verlierer:innen der Transition aufgefangen werden. Das gilt für Arbeiter:innen in Industriezweigen, die abgewickelt werden müssen, bis zu ganzen Ländern, die vom Export fossiler Brennstoffe abhängig sind.
Keine andere Welt ohne andere Schweiz
Die Schweiz setzt sich heute nur dort für Multilateralismus, Frieden und Menschenrechte ein, wo ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen nicht tangiert sind. Geht es um weltwirtschaftliche Reformen, die etwa Standortvorteile des Schweizer Finanz- und Handelsplatzes tangieren, steht die Schweizer Politik Lösungen im Weg.
Die Schweiz lebt zum Teil auf Kosten von anderen Ländern und anderen Menschen. Durch Gewinnverschiebung und Steuerflucht, einen Finanzplatz für die Superreichen, als globale Rohstoffdrehscheibe und als Standort von Konzernen, die Menschenrechte verletzen und die Umwelt verschmutzen. Zudem beträgt der Treibhausgas-Fussabdruck der Schweiz ein Vielfaches dessen, was eine gerechte Verteilung des globalen CO2-Budgets zulassen würde. Die Schweiz kann sich nur dann für multilaterale Lösungen für eine gerechte Transition einsetzen, wenn sie sich selbst transformiert. Dann könnte sie gemeinsam mit der EU und Ländern des Globalen Südens einstehen für demokratische Werte und Multilateralismus. Und sie könnte einstehen gegen den Autoritarismus im Westen und im Osten.
Ein «global»-Magazin der Hoffnung
Das Team Alliance Sud skizziert mit diesem Text – erschienen als Sonderausgabe ihres Magazins «global» – den Green New Deal für die gerechte Transition. Er zeigt, welche multilateralen Lösungen für die drängendsten Probleme notwendig sind und wie sich die Schweiz verändern muss, damit sie solche Lösungen glaubwürdig vorantreiben kann. Die Lösungsvorschläge sind teilweise ganz neu (z. B. eine UNO-Konvention über Rohstoffe), teilweise schon sehr lange Thema im multilateralen System (z. B. Technologietransfer) und teilweise schon in Verhandlung (z. B. UNO-Steuerkonvention). Dieser Text ist keine umfassende Blaupause, sondern es geht von den Arbeitsschwerpunkten von Alliance Sud aus. Dabei haben wir den Anspruch, die Probleme zu lösen und uns nicht von der düsteren aktuellen Weltlage und der ebenso wenig erfreulichen Schweizer Realpolitik beeindrucken zu lassen.
Es gibt – besonders in der Schweiz – ein Totschlägerargument gegen ambitionierte Reformen: «Unbezahlbar». Sobald man aber das enge Korsett der Austeritätspolitik und des Schuldenbremsenfetischismus sprengt, sieht es gleich ganz anders aus. Die Schweiz hat die Mittel, um das Notwendige zu finanzieren und dabei gleichzeitig mehr soziale Gerechtigkeit und ein besseres Leben für alle zu schaffen: Anhebung der Mindestbesteuerung für Unternehmen, Bundessteuer auf sehr hohen Vermögen, Aufhebung des inländischen Bankgeheimnisses, Aufhebung der Steuerbefreiung von Kerosin und Flugticketabgabe. Alle diese von Alliance Sud vorgeschlagenen Massnahmen liegen auf der Hand und sind in diesem Text erläutert. Dadurch könnten pro Jahr 19,5 Milliarden Franken für eine weltverträgliche Schweiz bereitgestellt werden. Eine nur moderate Anhebung der viel zu tiefen Schuldenquote der Schweiz würde weiteren finanziellen Spielraum schaffen. Es braucht nur den politischen Willen, um die bestehenden Ressourcen sinnvoll und fair in die Zukunft zu investieren.
Das Team von Alliance Sud leistet mit diesem besonderen «global» für besondere Zeiten einen Diskussionsbeitrag. Wir haben nur eine Bedingung für alle, die mitdiskutieren möchten: Leugnen der Probleme geht nicht!
Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte: «Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen». Alliance Sud wagt Visionen, holt die Welt aus der Intensivstation und schickt die Schweiz zum Arzt.
Die Menschen des kongolesischen Tschabula wühlen in Minenabfällen nach Kupfer und Kobalt. © Pascal Maitre/Panos Pictures
Weniger ist mehr:
die Energietransition und deren Rohstoffe
Der Rohstoffabbau im Globalen Süden hat eine dunkle Geschichte und eine düstere Gegenwart. Rohstoffe sind geopolitischer Spielball und Renditeobjekt für die Reichsten der Welt, aber für die Lokalbevölkerung oft ein Fluch. Mit dem Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern und dem Ausbau klimafreundlicher Technologien entsteht eine stark wachsende Nachfrage nach bestimmten Rohstoffen, die den Bau vieler neuer Minen nach sich zieht. Dieser Übergang ist notwendig für den Klimaschutz, auch die Schweiz muss die Energietransition beschleunigen. Diese Entwicklung muss aber gleichzeitig dafür genutzt werden, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Rohstoffförderung gerechter zu gestalten. Angesichts der planetaren Grenzen müssen auch die «Rechte» zum Konsum der Rohstoffe insgesamt ausgeglichener verteilt werden, indem der Globale Norden seinen Rohstoff-Überkonsum drosselt und dadurch mehr Raum für Wachstum einer nachhaltigen Wirtschaft im Globalen Süden entsteht. Als geopolitisch unverfängliche Akteurin hat die Schweiz das Potenzial, um multilaterale Reformen zur Festlegung von Mindestanforderungen im Rohstoffsektor anzustossen.
Die Förderung von fossilen Brennstoffen geht oft mit gravierender Umweltverschmutzung und der Vertreibung indigener Völker (und anderen armen Menschen) einher. So etwa in Indonesien, wo ein Zuger Rohstoffunternehmen auf der Insel Borneo Kohle fördert und dafür Regenwald abholzt. Durch die Energietransition wird die Kohleförderung zu Ende gehen. Doch der Rohstoffabbau geht weiter. Damit die Welt bis 2050 auf fossile Energieträger verzichten kann, werden viele neue Rohstoffe gefördert werden müssen: Lithium, Nickel, Kobalt, Kupfer und seltene Erden, die zur Erzeugung und Speicherung von erneuerbarer Energie benötigt werden.
Indonesien ist der weltgrösste Nickelproduzent. Auf einer anderen Insel – Sulawesi – schafft der neue Rohstoff alte Probleme, wie Solidar Suisse dokumentiert. Die lokale Bevölkerung berichtet von Umweltzerstörung, Gesundheitsproblemen und Arbeitsrechtsverletzungen. Die Energietransition ist eine Chance, das Rohstoffgeschäft gerechter zu gestalten, aber das ist kein Selbstläufer. Entscheidend ist die Überwindung des Rohstofffluchs, unter dem rohstoffabhängige Länder im Globalen Süden und deren Bevölkerung bisher leiden. Der Rohstofffluch darf sich nicht wiederholen, die Förderung neuer Rohstoffe nicht auf dem Buckel der Bevölkerung im Globalen Süden geschehen.
Als Rohstoffhandelsdrehscheibe ist die Schweiz in der idealen Position, dafür zu sorgen, dass Umweltschäden minimiert, die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung berücksichtigt und Rohstoffgewinne gerechter zwischen den Förderländern und den ausländischen Rohstofffirmen geteilt werden.
Es braucht eine Schrumpfkur
Um die planetaren Grenzen nicht zu überschreiten und die Auswirkungen der Rohstoffförderung auf Mensch und Umwelt zu minimieren, muss der Ressourcenverbrauch insgesamt gedrosselt werden. Da die ärmeren Länder in Zukunft mehr Ressourcen benötigen werden, um ihre Bevölkerung aus der Armut zu heben, müssen die reichen Konsumgesellschaften ihren riesigen Ressourcenverbrauch entsprechend ihrem Anteil an der Weltbevölkerung auf ein Mass senken, das nur einen Planeten Erde benötigt. Würden alle Menschen auf der Welt so viel konsumieren wie die Schweizerinnen und Schweizer heute, dann bräuchte es 2,8 Planeten.
Zur Transition braucht es nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern auch eine Ausstiegsstrategie aus der Förderung und Verbrennung von fossilen Energieträgern. Viele Länder im Globalen Süden sind abhängig vom Export von fossilen Rohstoffen, auch um genügend Devisen zu generieren. Der Reformbedarf, um die Abhängigkeit vom Rohstoffsektor insgesamt zu beenden, reicht weit über den Rohstoffsektor hinaus, wie andere Texte in diesem «global» zeigen.
Diese Reformen soll die Schweiz auf internationaler Ebene vorantreiben …
1. Ein UNO-Rahmenwerk über Rohstoffrenten anstreben
Wenn ein Rohstoffunternehmen neue Minen eröffnen und betreiben will, muss es mit dem Staat verhandeln, in dem die betroffenen Rohstoffvorkommen liegen. Es geht um die Bedingungen für die Vergabe von exklusiven Förderlizenzen, um anfallende Steuern und die Verteilung der Rohstoffrenten. Zu oft ist dabei das Förderland in einer schlechten Verhandlungsposition, weil es abhängig vom Rohstoffexport ist und das Rohstoffunternehmen stattdessen auch in anderen Förderländern investieren könnte. So werden Förderlizenzen oft ohne Mitsprache der betroffenen Bevölkerung, ohne genügende Umweltauflagen und unter viel zu vorteilhaften Bedingungen vergeben. Dieses «race to the bottom» als Folge der Konkurrenz zwischen den ärmsten Ländern müsste nicht sein, wenn es globale Mindestanforderungen an Förderlizenzen, Vorgaben zur Teilung der Rohstoffrenten (Royalties) und gerechte Steuerregeln gäbe. Die Schweiz soll sich international, zusammen mit Ländern des Globalen Südens, für ein neues UNO-Rahmenwerk einsetzen, das transparent garantiert, dass die Rohstoffländer einen gerechten Anteil an den Einnahmen aus der Förderung ihrer Rohstoffe erhalten. Ein faires Besteuerungsmodell muss schliesslich über die UNO-Steuerkonvention ermöglicht werden (siehe Kapitel «Die UNO-Steuerkonvention und ihre nationale Umsetzung»). Im Gegenzug müssen diese Länder die lokale und indigene Bevölkerung in den Entscheidungsprozess einbeziehen und sicherstellen, dass diese Einnahmen zu deren Wohl eingesetzt werden. Ausserdem braucht es strenge soziale und Umweltauflagen, die Unternehmen erfüllen müssen, um Eingriffe in Ökosysteme und in die Lebensgrundlagen der Menschen so klein wie möglich zu halten. Ein UNO-Rahmenwerk wäre auch für verantwortungsvolle Unternehmen von Vorteil, weil es für alle gleiche Bedingungen schaffen würde.
2. Kerosin im internationalen Flugverkehr angemessen besteuern
Weltweit werden fossile Energieträger massiv subventioniert. Gemäss dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erreichten die direkten und indirekten Subventionen für fossile Energieträger 2022 mit 7 Billionen Dollar ein Allzeithoch. Diese Subventionen müssen abgebaut und wo nötig durch sozialpolitische Programme ersetzt werden, damit der Ausstieg aus den fossilen Energien gelingt.
Die Schweiz hat 2023 fossile Energieträger mit 2,7 Mia. Dollar subventioniert, davon ungefähr 1,5 Mia. durch die Steuerbefreiung auf Kerosin. Dass Flugbenzin kategorisch von der Mehrwert- sowie der Mineralölsteuer ausgenommen wird, haben wir einem internationalen Abkommen aus der Nachkriegszeit zu verdanken. Dieses muss geändert werden, damit Kerosin künftig angemessen besteuert wird. Mit jedem Subventionsabbau für fossile Energieträger werden Gelder frei, die stattdessen investiert werden können, um die gerechte Transition zu unterstützen.
3. Klimadiplomatie – globale Umsetzung des Pariser Klimaabkommens
Die Schweiz soll Brückenbauerin bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens sein und mithelfen, Barrieren zu identifizieren und Lösungen zu finden. Sie soll sich in allen bilateralen Treffen und multilateralen Gremien mit ihrer ganzen diplomatischen Stärke für einen weltweiten Klimaschutz einsetzen, der es ermöglicht, das 1.5-Grad-Ziel einzuhalten. Dazu gehört auch der Einsatz für die notwendigen Massnahmen zur Klimafinanzierung.
4. Vertrag über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe
Inspiriert von «Non-Proliferation-Treaties» im Waffen-Bereich fordern die pazifischen Inselstaaten Vanuatu und Tuvalu von der Weltgemeinschaft, einen Vertrag auszuhandeln, der auf die Nichtverbreitung von fossilen Brennstoffen abzielt. Damit sollen insbesondere neue Investitionen in fossile Energieträger unterbunden werden. Der Vertrag soll eine wichtige Lücke schliessen, die im Pariser Klimaabkommen nicht vereinbart wurde. Die Schweiz unterstützt Vanuatu bereits bei dessen oft innovativer Arbeit in der UNO. Ihre Unterstützung auch dieses Vertrags könne dem Vorhaben weiteren Schwung verleihen.
… und dies soll die Schweiz zu Hause umsetzen
1. Eine Aufsicht für den Rohstoffhandelsplatz Schweiz
Auch innenpolitisch hat die Schweiz gewichtige Hebel, um für mehr Gerechtigkeit im Rohstoffsektor zu sorgen, denn sie kann die zahlreichen Firmen, die Rohstoffe fördern und handeln, regulieren. Die Rohstoffförderung ist zweifellos ein Hochrisikosektor in Bezug auf Zerstörung und Menschenrechtsverletzungen. Auch die Liste von Verurteilungen oder Schuldeingeständnissen von Schweizer Rohstoffkonzernen wegen Korruption wird immer länger. Daher braucht die Schweiz eine öffentliche Aufsichtsbehörde, die Massnahmen gegen den Rohstofffluch ergreift, unter anderem mittels Sorgfaltsprüfungen bezüglich der Geschäftspartner. So können unerlaubte Geschäfte mit politisch exponierten Personen verhindert werden, die auf Kosten der Bevölkerung in ihre eigenen Taschen wirtschaften.
Die Schweiz ist einer der wichtigsten Umschlagplätze für Kohle und Erdöl. Von den Rohstoffunternehmen sollte die Schweiz Transitionspläne einfordern, die mit dem Pariser Abkommen und dem 1.5-Grad-Ziel vereinbar sind. Neue Investitionen in Kohle, Öl und Gas wären verboten. Die Aufsichtsbehörde würde deren Umsetzung prüfen.
2. Mit Rohstoffen haushälterisch umgehen
Die Schweiz soll eine Strategie mit sozial- und umweltverträglichen Massnahmen entwickeln, um ihren Ressourcenverbrauch auf ihren bevölkerungsmässigen Anteil des Ressourcenbudgets für einen Planeten zu senken. Dazu sind Effizienzgewinne beim Energie- und allgemeinen Ressourcenverbrauch unerlässlich. Technologische Fortschritte machen Einsparungen fortlaufend möglich. Damit sie aber wirklich erzielt werden, braucht die Schweiz verbindliche Mindeststandards, die sich mit der Zeit verschärfen, damit nur die effizientesten Produkte im Verkauf landen. Dies würde einen Anreiz für Firmen schaffen, möglichst effiziente Güter zu entwickeln. Zur Förderung der Kreislaufwirtschaft müssten Hersteller die Langlebigkeit und Reparierfähigkeit ihrer Produkte gewährleisten, damit sie in der Schweiz verkauft werden dürfen.
3. Dekarbonisierung der Schweiz
Um ihren fairen Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele zu leisten, ist es unabdingbar, dass die Schweiz ihre eigene Dekarbonisierung beschleunigt. Die Klima-Allianz Schweiz zeigt in ihrem Masterplan auf, wie die Schweiz innerhalb von zehn Jahren Netto-Null-Emissionen erreichen kann.
In den Sundarbans, Bangladesch, ist der Bedarf nach Schutz vor der Klimakatastrophe riesig. © GMB Akash/Panos Pictures
Mehr als Almosen: Gerechte Transition im Globalen Süden unterstützen
In unserem aktuellen Finanz- und Wirtschaftssystem fliessen mehr finanzielle Mittel aus dem Globalen Süden in den Norden, als Entwicklungsgelder oder Rücküberweisungen in den Süden fliessen. Die Schweiz spielt hier als Tiefsteuergebiet und Profiteurin von Gewinnverschiebungen eine zentrale Rolle. Um einen fairen Beitrag zu leisten, der ihrem übermässig grossen Klima-Fussabdruck und der Tatsache Rechnung trägt, dass sie zu den grossen Globalisierungsprofiteuren gehört, muss die Schweiz sowohl ihren Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung wie auch ihren Beitrag zur öffentlichen Entwicklungsfinanzierung ausbauen.
Die steigenden Rüstungsausgaben, die mit Verweis auf den Krieg in der Ukraine gefordert werden, sowie zunehmende nationalistische und rechtspopulistische Strömungen haben in den letzten Jahren zu einer Schwächung der internationalen Zusammenarbeit geführt. Verschiedene Länder, unter ihnen auch die Schweiz, haben ihre Entwicklungsausgaben bereits stark gekürzt, um gleichzeitig in die Aufrüstung zu investieren. Seit dem Amtsantritt von Donald Trump hat sich die Krise der internationalen Zusammenarbeit weiter verschärft. Die USA, welche für etwa einen Drittel der gesamten internationalen Entwicklungsfinanzierung aufkamen, haben sich nicht nur aus dem Pariser Klimaabkommen verabschiedet, sondern sich auch mehr oder weniger komplett aus der Entwicklungszusammenarbeit zurückgezogen.
Die Schweiz muss sich in dieser polarisierten, vermehrt auf Eigeninteressen fokussierten Welt klar positionieren und sich auf die Seite von Demokratie, Menschenrechten und Multilateralismus stellen. Als Gaststaat von multilateralen humanitären Organisationen und eines der reichsten Länder der Welt muss die Schweiz eine Vorreiterrolle bei der internationalen Zusammenarbeit und der Klimafinanzierung übernehmen.
Internationale Klimafinanzierung für Mitigation
Eine umfassende Transition im Globalen Süden ist im Interesse der Schweiz. Diese kann aber nur stattfinden, wenn rechtzeitig genügend internationale Klimafinanzierung dafür bereitgestellt wird. Allein für den Energiesektor braucht es grosse öffentliche und private Investitionen, um das Wirtschaftswachstum mit Solar- und Windenergie und intelligenten Speicherlösungen anzukurbeln anstatt mit zusätzlichem Kohlestrom. Die ärmsten Bevölkerungsschichten gilt es zudem überhaupt erst mit Strom zu versorgen, beispielsweise mittels dezentraler Solar-Mininetze in ländlichen Gebieten. Aber auch weitere Sektoren wie Mobilität, Abfallverwertung oder Landwirtschaft benötigen finanzielle Unterstützung, damit sie sich klimafreundlich weiterentwickeln. Was an «Kosten» für die Transition anfällt, rechnet sich durch die Einsparung von Klimafolgeschäden und trägt zudem zur nachhaltigen Entwicklung bei.
Die Schweiz muss entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einen höheren Beitrag an die Mitigationsfinanzierung aufbringen, d. h. 3 Mia. Dollar (2,6 Mia. CHF), was etwa 1% des Unterstützungsbedarfs im Globalen Süden entspricht.
Internationale Klimafinanzierung für Adaptation und «Loss and Damage»
Zur internationalen Klimafinanzierung gehört auch die finanzielle Unterstützung der Länder im Globalen Süden bei der Anpassung an die veränderten klimatischen Bedingungen sowie zur Deckung von klimabedingten Schäden und Verlusten (Loss and Damage). Diese Unterstützung ist durch die historische und aktuelle Verantwortung der reichen Länder im Globalen Norden für die Entstehung der Klimakrise gerechtfertigt. Die Anpassungsfinanzierung ist auch im Schweizer Interesse, kann sie doch humanitäre Krisen, Konflikte und Fluchtgründe mindern. Jede Milliarde., die in Anpassung investiert wird, verhindert laut dem «UN Adaptation Gap Report» 14 Mia. Dollar wirtschaftliche Schäden. Laut dem Bericht fehlen bis 2030 zur Finanzierung von Anpassungsmassnahmen im Globalen Süden rund 300 Mia. Dollar jährlich. Ein Finanzierungsbedarf von weiteren 400 Mia. Dollar wird in Studien zur Schätzung von Schäden und Verlusten genannt. Ist die Schweiz für 1% des Finanzierungsbedarfs von 700 Mia. Dollar verantwortlich, würde sie jährlich 7 Mia. Dollar (6,2 Mia. CHF) beitragen müssen. Da das internationale Klimafinanzierungsziel der COP29 in Baku von 300 Mia. Dollar jährlich für Mitigation und Adaptation den Finanzierungsbedarf bei weitem nicht decken kann, soll die Schweiz ihren «fairen Anteil» am Finanzierungsbedarf und nicht am Baku-Ziel ausrichten.
Fonds für eine gerechte Transition
Der Ausstieg aus der Förderung und Verbrennung fossiler Energien birgt für die Länder im Globalen Süden grosse, aber sehr unterschiedliche Herausforderungen, für die es bisher keine international vereinbarte Finanzierung gibt. Die Schweiz sollte sich deshalb international für einen «Fonds für Just Transition» einsetzen und im Sinne einer Anschubfinanzierung 1 Mia. Franken zur Verfügung stellen. Dieser Fonds sollte zusätzliche Massnahmen finanzieren, damit die Transition nicht auf Kosten der Ärmsten geschieht:
1. Ausgleichszahlungen für ärmere Länder, die besonders abhängig vom Abbau und Export fossiler Energieträger sind. Diese Länder müssen mit dem Aufbau von alternativen Wirtschaftszweigen Einnahmen und Devisen generieren können.
2. Ausgleichszahlungen für ärmere Länder, die für das Weltklima relevante Wälder haben, damit sie diese weder abholzen, intensiv nutzen noch für CO2-Kompensation verpachten, sondern diese im Einklang mit ihren Bewohner:innen schützen.
3. Sozialprogramme in Ländern, die ihre Arbeitsplätze vom fossilen Energie-Sektor in andere Sektoren umstrukturieren müssen. Diese sind oft in Ländern mittleren Einkommens nötig, weil zwar Investitionen in erneuerbare Energieträger getätigt werden, aber die soziale Absicherung für den Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung nicht finanziert werden kann, da sie keine Renditen abwirft.
Stimme aus Uganda
Der Globale Norden hat den Globalen Süden immer wieder im Stich gelassen: leere Versprechen, kein Handeln, mehr Abbau, mehr Ausbeutung, mehr Ausschluss von Entscheidungsprozessen. Die Länder des Globalen Nordens sollten dem Globalen Süden erst einmal beweisen, dass sie ihre Verpflichtungen zur Klimafinanzierung erfüllt haben. Ohne die Zahlung der vergangenen Klimafinanzierungsversprechen ist die Hoffnung auf eine Einigung sehr gering. Ein gerechter Übergang wird ohne gerechte und faire Zahlungen und Verteilung der Klimafinanzierung für Mitigation, Anpassung, Schäden und Verluste nicht möglich sein.
Die Schweiz sollte in Erwägung ziehen, durch ihre Unterstützung Grassroots-Bewegungen zu fördern und dafür zu sorgen, dass diese dort vertreten sind, wo globale Entscheide getroffen werden. Damit ihre Stimmen gehört werden und sie ihre Geschichten erzählen können. Die Schweiz sollte ein führendes Zentrum für effektive Klimadiskussionen werden. Der Globale Süden muss in diese Diskussionen ausreichend einbezogen werden, und sie müssen zu konkretem Handeln führen.

Evelyn Acham, Klimaaktivistin
Öffentliche Entwicklungsfinanzierung ausbauen
Zusätzlich zur internationalen Klimafinanzierung braucht es für die gerechte Transition auch weiterhin die öffentliche Entwicklungsfinanzierung (Aide publique au développement, APD) für die Unterstützung von Ländern des Globalen Südens in akuten Notsituationen und Konflikten sowie bei der Bewältigung ihrer öffentlichen Ausgaben. Dies gilt insbesondere für Länder, die gegenwärtig u. a. wegen Steuerflucht nicht genug eigene Mittel (Domestic Resource Mobilization) für ihre Entwicklung aufbringen können, vom globalisierten Handelssystem abgehängt wurden und unter der Schuldenlast ächzen.
Wer mehr nimmt, muss mehr geben
Die Schweiz wirtschaftet besonders stark auf Kosten des Globalen Südens – so liegt sie im internationalen Vergleich bei den negativen Auswirkungen, die sie auf andere Länder hat (so genannte Spillovers), jeweils auf den hintersten Rängen, dies vor allem wegen ihres Finanzplatzes und ihrer Rolle als Rohstoffhandelsdrehscheibe. Bis dieser Missstand korrigiert ist, muss sie besonders solidarisch sein und mehr als die international vereinbarten 0.7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) an öffentlicher Entwicklungsfinanzierung beitragen.
Die Schweiz soll deshalb 1% des BNE für die öffentliche Entwicklungsfinanzierung (ohne die Anrechnung der im Inland verbleibenden Asylkosten) zur Verfügung stellen. Für 2024 wären das Mittel im Umfang von ungefähr 7,9 Mia. Franken gewesen.
Die bereitgestellten Mittel müssen auf diejenigen Länder konzentriert werden, in denen Armut und Not am grössten sind und gleichzeitig die Möglichkeit klein ist, private Mittel zu mobilisieren. Deshalb sollen mindestens 0.5% des BNE in die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDCs) investiert werden. Gleichzeitig sollen auch Projekte der internationalen Zusammenarbeit in Ländern mit mittlerem Einkommen einen starken Fokus auf die ärmsten und am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen haben. Wo immer möglich sollen sowohl Konzeption wie auch Umsetzung der Projekte direkt an lokale Organisationen delegiert werden.
Gemeinsam statt exklusiv
Die Schweiz muss sich dafür einsetzen, dass der Globale Süden bei der Diskussion zur Zukunft der internationalen Zusammenarbeit mit am Tisch sitzt. Deshalb sollen die Diskussions- und Entscheidungsforen zur Ausgestaltung der internationalen Zusammenarbeit und öffentlichen Entwicklungsfinanzierung von der OECD (dem exklusiven «donors club») hin zur UNO verlagert werden. So wird auch sichergestellt, dass ausschliesslich konzessionäre Finanzflüsse mit grenzüberschreitender Wirkung den Entwicklungsausgaben angerechnet werden können. Damit wäre es den Geberländern nicht mehr möglich, ihre Beiträge über zweifelhafte und kreative Buchführungspraktiken (wie das Anrechnen von Asylkosten im Inland) künstlich in die Höhe zu treiben. Ebenso wichtig ist es, dass die Schweiz ihren Einsitz in der Weltbank und anderen Entwicklungsbanken dazu nutzt, die Machtverhältnisse von den Geber- hin zu den Empfängerländern zu verschieben und sich für gezielte Entschuldungsmassnahmen sowie strikte soziale und Umweltvorgaben bei den unterschiedlichen Finanzierungsmodellen einsetzt (siehe Kapitel «Das weite Feld der Entwicklungsfinanzierung»).
Mit der Umsetzung aller in diesem Magazin skizzierten Massnahmen würden sich die negativen Spillovers der Schweiz auf andere Länder markant reduzieren und es würde zu mehr globaler Gerechtigkeit führen. Damit wäre weniger internationale Zusammenarbeit notwendig und es könnte langfristig über einen langsamen Absenkpfad der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung diskutiert werden.
Fairer Beitrag der Schweiz pro Jahr:
Klimafinanzierung: Mitigation | CHF 2,6 Mia. |
Klimafinanzierung: Adaptation und «Loss and Damage» | CHF 6,2 Mia. |
Klimafinanzierung: «Fonds für Just Transition» | CHF 1 Mia. |
Öffentliche Entwicklungsfinanzierung (ohne Klimafinanzierung und ohne Anrechnung der im Inland anfallenden Asylkosten) |
CHF 8 Mia. |
Total (jährlich): | CHF 17,8 Mia. |
Solarpanels versorgen das ländliche Munsigani, Bangladesch, mit Strom. © GMB Akash/Panos Pictures
Technologien für die gerechte Transition
Die koloniale Arbeitsteilung überliess den meisten Ländern des Globalen Südens lediglich die Lieferung von Rohstoffen, die Verarbeitung geschah in den industriellen Zentren des Nordens. Ohne Technologie keine Industrialisierung, deshalb ist Technologietransfer seit der Dekolonisierung eine immer wiederkehrende Forderung der Länder des Globalen Südens. Der Klimawandel erfordert den schnellen Umbau der Energie- und Produktionssysteme weltweit. Technologietransfer wird dadurch von einer Forderung zu einer Notwendigkeit, denn Technologien, die zum Umbau beitragen können, müssen sich so schnell wie möglich weltweit verbreiten.
Schon die Klimarahmenkonvention von 1992 nennt das Ziel, die «Weitergabe von umweltverträglichen Technologien und Know-how an (…) Entwicklungsländer (…) zu fördern, zu erleichtern und zu finanzieren», und fordert «die Entwicklung und Stärkung der im Land vorhandenen Fähigkeiten und Technologien» der «Entwicklungsländer». Doch die Industrieländer beschränkten sich darauf, die Bedeutung des Technologietransfers anzuerkennen und zu versprechen, dass Direktinvestitionen aus dem Norden zur Diffusion von Technologien führen würden. Das klappte in China, aber nur weil das Land gleichzeitig schweres industriepolitisches Geschütz auffuhr, um den Transfer zu erzwingen. Es klappt nicht für Länder, die entweder kaum ausländische Industrieinvestitionen erhalten oder nicht stark genug sind, industriepolitische Massnahmen zu ergreifen. Trotz mehreren Anläufen ist es nicht gelungen, etwa in der Frage der Aufweichung des Patentschutzes Fortschritte zu erzielen. Dies ist aber dringend nötig, denn der Grossteil der Patente, die für die Transition nötig sind, halten Unternehmen aus der EU, den USA, Japan und der Schweiz. Patente aus Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen gibt es – mit Ausnahme von China – kaum.
Die Krise der Welthandelsorganisation (WTO) bietet die Möglichkeit, die Regeln so zu verändern, dass sie den ärmeren Ländern entgegenkommen und zur Verbreitung neuer Technologien beitragen. Die Schweiz soll sich gemeinsam mit Ländern des Globalen Südens für die Reform der relevanten Abkommen und Regeln einsetzen. Damit sie dabei glaubwürdig ist, muss sie die Weitergabe von Technologien auch finanziell unterstützen.
Das braucht es auf internationaler Ebene:
1. Flexibilität beim Patentschutz
Im Rahmen der WTO braucht es neue Regeln, damit die Entwicklungsländer Zugang zu den Technologien für eine grüne Industrialisierung erhalten. Deshalb soll eine Liste von Technologien erstellt werden, die als globale öffentliche Güter gelten. Das WTO-Patentabkommen TRIPS soll daraufhin mehr Flexibilität zulassen, um den Transfer der identifizierten Technologien zu erleichtern. Ziel ist es, sie erschwinglicher für ärmere Länder zu machen, was nicht unbedingt bedeutet, dass sie kostenlos sind.
2. Finanzierung des Technologietransfers
Im Rahmen der UNCTAD, der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung, soll ein «Investitionsfonds für unsere gemeinsame Zukunft» geschaffen werden. Der Name bezieht sich auf den Titel des bahnbrechenden Berichts der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung von 1987 (Our Common Future), der «nachhaltige Entwicklung» auf die Agenda der Weltgemeinschaft setzte. Eine grosse Hürde für den Technologietransfer sind häufig die hohen Lizenzgebühren, die für die Nutzung der Patente entrichtet werden müssen. Der Fonds würde dazu dienen, den Technologietransfer zu koordinieren und mittels Ausgleichszahlungen sicherstellen, dass neue Technologien auch den ärmsten Ländern zur Verfügung stehen, die sich diese sonst nicht leisten können. Damit könnte auch verhindert werden, dass durch den Technologietransfer kommerzielle Forschung weniger attraktiv wird. Schliesslich soll dieser Fonds den Ländern des Globalen Südens (primär den LDCs) helfen, die technischen Kapazitäten zu entwickeln, die für den Aufbau einer klimafreundlichen Infrastruktur und einer grünen Industrialisierung erforderlich sind. Das Geld würde an Regierungsprogramme, lokale Start-ups und Unternehmen, Universitäten und Forschungsinstitute fliessen.
Und das kann die Schweiz auch noch tun:
- Im Rahmen der Forschungsförderung soll die Schweiz einen verstärkten Schwerpunkt auf Forschungspartnerschaften mit Wissenschaftler:innen aus dem Globalen Süden legen, die traditionelle und moderne Techniken für den Klimaschutz und zur Förderung der Agrarökologie nutzbar machen.
- Schliesslich soll die Schweiz sicherstellen, dass Wissen und Technologien, die durch öffentlich finanzierte Forschung an Hochschulen entstanden sind, nicht privatisiert werden (z. B. durch Start-ups der Forschenden), sondern für die Weitergabe in Länder des Globalen Südens zur Verfügung stehen.
Friedhof des globalen Handels: Containerschiff-Abwrackplätze am Golf von Bengalen sind tödliche Arbeitsplätze. © Keystone/Biosphoto/Pierre Torset
Handelsregeln für die gerechte Transition
Handel kann für ärmere Länder des Globalen Südens eine Chance für eine gerechte Transition sein, aber ungebremster Freihandel reicht dafür nicht. Sie brauchen flexible Regeln, um eine eigenständige Wirtschafts-, Technologie- und Finanzpolitik zu etablieren. Dies ermöglicht eine grüne Industrialisierung, die Produktion von sauberer Energie und die Schaffung der dringend benötigten Arbeitsplätze. Die Länder des Globalen Südens müssen auch mehr politischen Spielraum erhalten, um ihre eigene Produktion fördern zu können. Die Handelsregeln sollten es den schwächeren Ländern ermöglichen, aufstrebende grüne Industrien durch Zölle und Subventionen zu schützen sowie durch die Vergabe öffentlicher Aufträge zu fördern. Massnahmen also, die auch von den Industrieländern angewendet wurden und teilweise immer noch werden. Gleichzeitig brauchen sie für ihre Exporte präferentiellen Zugang zu den Märkten der Industrieländer. Das Gegenteil dessen also, was die Regierung Trump aufführt.
Kein grüner Protektionismus auf Kosten des Globalen Südens
Seit 2023 ist in der Europäischen Union ein «CO2-Grenzsteuerausgleich» in Kraft (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Er soll durch die Besteuerung umweltschädlicher Importe an der Grenze verhindern, dass die an Emissionsobergrenzen gebundenen energie- und CO2-intensive Industrien der EU in Länder mit weniger strengen Auflagen verlagert werden. Grundsätzlich ist es wichtig, dass die energie- und CO2-effizientesten Unternehmen nicht unfair konkurriert werden, aber der Ansatz der EU wird von den Ländern des Globalen Südens stark kritisiert. UNCTAD hat berechnet, dass CBAM das Einkommen der Industrieländer um 2,5 Mrd. USD erhöhen und das der Entwicklungsländer um 5,9 Mrd. USD senken dürfte. Massnahmen wie der CBAM sollten deshalb so ausgestaltet werden, dass die Einnahmen vollumfänglich in die betroffenen Länder zurückfliessen und dort für die Modernisierung der Produktions- und Energieinfrastruktur eingesetzt werden. Dabei sollte die Rückerstattung an die ärmsten Länder höher ausfallen. Geregelt werden könnte dies im Rahmen des «Investitionsfonds für unsere gemeinsame Zukunft».
Schutz des Planeten statt Investitionsschutz
Auch bei Investitionsschutzabkommen (ISA) braucht es grundsätzliche Reformen, denn diese enthalten heute weitgehende Möglichkeiten für Unternehmen, gegen Staaten zu klagen, wenn sie durch politische Massnahmen ihre Gewinne geschmälert sehen. Klagen vor Schiedsgerichten richten sich auch gegen umwelt- und klimapolitische Massnahmen. So hat etwa Glencore gestützt auf das ISA zwischen der Schweiz und Kolumbien gegen das Land geklagt und eine Entschädigung gefordert. Es ging um die Entscheidung des kolumbianischen Verfassungsgerichts, den Ausbau der Mine El Cerrejón, Lateinamerikas grösstem Kohletagebau, auszusetzen. Anlass dafür war die Umleitung eines Nebenflusses des Rio Rancheria, die gravierende Auswirkungen auf die Umwelt und die indigene Bevölkerung hatte. Glencore verlangt 489,20 Mio. USD, das Verfahren ist noch hängig.
Und das muss die Schweiz tun:
- Auch angesichts einer globalen Handelsordnung, die in Trümmern liegt, muss sich die Schweiz gemeinsam mit Europa für eine multilaterale Ordnung einsetzen, die auch schwächeren und verwundbaren Ländern nützt.
- In den Freihandelsabkommen, die sie mit Ländern des Globalen Südens aushandelt, muss die Schweiz die Menschen- und Arbeitsrechte sowie den Umweltschutz fördern. Dies beinhaltet die Aufnahme eines robusten Kapitels über nachhaltige Entwicklung inklusive Sanktionsmöglichkeiten. Dafür braucht es vorgängig menschenrechtliche Folgenabschätzungen. Wenn sich herausstellt, dass etwa die Ausweitung des Agrobusiness oder des Bergbaus Kleinbauernfamilien oder indigenen Gemeinschaften schadet, soll sie auf den Abschluss des Freihandelsabkommens verzichten.
- Die Schweiz muss ihre Investitionsschutzabkommen reformieren, damit sie umwelt- und klimaverträglich werden. Entsprechend schränkt sie die Klagemöglichkeit ein. Sie soll wie die EU die Energiecharta (Energy Charter Treaty), die umfassende Klagemöglichkeiten für Investor:innen auch in fossile Energieträger beinhaltet, künden.
Fossile Sektoren fördern, verschärft Ungleichheit: Nigeria will mehr Investitionen in Flüssiggas und Öl anziehen. © George Osodi/Panos Pictures
Privatsektor:
Von falschen Freunden und frommen Wünschen
Der Privatsektor (auf gut Deutsch gewinnorientierte Unternehmen) wird oft als Wunderlösung für die Probleme der nachhaltigen Entwicklung und des Klimawandels dargestellt. Dies betrifft sowohl die generelle Rolle von Unternehmen in einer Volkswirtschaft als auch private Kapitalflüsse von Banken und Investoren zur Entwicklungs- und Klimafinanzierung. Dabei wird oft die Rolle unterschlagen, die Regierungen spielen müssen. Viele Herausforderungen für eine gerechte Transition sind zutiefst systemisch und erfordern umfassende politische und strukturelle Veränderungen. Regierungen müssen rechtliche Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen, die die Energiewende unterstützen, natürliche Ressourcen schützen und faire Arbeitspraktiken gewährleisten. Nur sie sind in der Lage, Transparenz und Rechenschaftspflicht durchzusetzen und so sicherzustellen, dass private Projekte verantwortlich umgesetzt werden und so der ganzen Gesellschaft und vor allem den Ärmsten zugutekommen.
Staatliche, parastaatliche und kommunale Institutionen spielen eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung öffentlicher Güter und Dienstleistungen. In der Schweiz etwa ist die Wasserversorgung ganz in öffentlicher Hand, im Bildungswesen, beim öffentlichen Verkehr, bei Energie oder Infrastruktur spielt sie eine entscheidende Rolle. Genau in diesen Bereichen sind die ungedeckten Bedürfnisse in den Ländern des Globalen Südens riesig. Öffentliche Investitionen in Bereichen wie soziale Infrastruktur, Bildung und Gesundheit sind für die gerechte Transition und die Armutsbekämpfung entscheidend. In diesen Bereichen auf gewinnorientierte Investitionen zu setzen, ignoriert, dass diese oft nicht rentabel sind oder nur dann, wenn hohe Preise und Gebühren verlangt werden, die für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung unbezahlbar sind. Der wichtigste Beitrag der Unternehmen im Bereich Bildung und Gesundheit besteht deshalb darin, Steuern zu zahlen, also auf Steuerflucht zu verzichten und so zur Finanzierung öffentlicher Investitionen beizutragen. Die einseitige Fokussierung auf gewinnorientierte Unternehmen verkennt zudem nicht nur die Bedeutung staatlicher Institutionen, sondern auch die Rolle, die genossenschaftliche und zivilgesellschaftliche Initiativen spielen können.
Je knapper die Kassen, desto mehr versprechen sich staatliche und multilaterale «Geber» von der «Mobilisierung privater Ressourcen». Dabei wird oft kaum unterschieden zwischen dem lokalen Privatsektor und ausländischen multinationalen Unternehmen. Während letztere oft durch verschiedene Anreize bevorzugt behandelt werden (häufig auch auf Druck der internationalen Finanzinstitutionen), bleibt der lokale Privatsektor, der am meisten Arbeitsplätze schafft, strukturell benachteiligt. Beim Tunnelblick auf ausländisches Kapital geraten die Reformen aus dem Blickfeld, die es braucht, damit die Länder des Globalen Südens selbst sehr viel mehr eigene Mittel generieren können.
Die Rolle privater Finanzflüsse
Der Finanzierungsbedarf für die gerechte Transition in den Ländern des Globalen Südens ist unbestritten riesig. Oft folgt daraus aber ein intellektueller Kurzschluss: Privates ausländisches Kapital gleich Investitionen gleich neue Arbeitsplätze gleich Armutsbekämpfung. Die Weltbank hat 2015 für die Finanzierung der Agenda 2030 die Losung für die «Mobilisierung» von privatem Kapital ausgegeben: «From billions to trillions». Für die am wenigsten entwickelten Länder ist davon allerdings wenig zu sehen. Seit 2015 sind die Direktinvestitionen in LDCs um 6 Mia. Dollar zurückgegangen, ihr Anteil an den ausländischen Direktinvestitionen in alle Entwicklungsländer ging von 5,1% auf 3,6% zurück. Die Gelder der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung bleiben mit Abstand die wichtigste externe Finanzierungsquelle. Aber auch für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (Low- and Middle-Income Countries, LMICs) sind die Überweisungen von Migrant:innen inzwischen am wichtigsten, wie folgende Grafik zeigt.
Fluss ist nicht gleich Fluss
Private Kapitalflüsse sind sehr unterschiedlich und haben auch negative Auswirkungen. Die beiden wichtigsten grossen Kategorien sind Portfolio-Investitionen und ausländische Direktinvestitionen (Foreign Direct Investments, FDI):
Portfolio-Investitionen umfassen alle Anlagen in Wertpapieren, d. h. in Aktien, in Unternehmensobligationen und in Staatsanleihen. Sie sind die Kehrseite der Schuldenlast. Diese ausländischen Investitionen sind flüchtige Freunde. Bei nationalen oder internationalen Krisen wird Kapital sehr schnell abgezogen. Steigende Zinssätze und Rückzahlungen von Anleihen und Krediten führten etwa im Jahr 2023 dazu, dass fast 200 Mia. Dollar aus den Entwicklungsländern an private Gläubiger flossen. Der frühere Weltbank-Chefökonom und US-Finanzminister Larry Summers bilanzierte deshalb, dass aus «billions to trillions» «millions in, billions out» geworden sei.
Ausländische Direktinvestitionen, d. h. Investitionen in Unternehmen oder Projekte, gelten im Vergleich zu den volatileren Portfolio-Investitionen als günstigeres und risikoarmes Kapital, ihre Bedeutung ist aber für LDCs beschränkt (siehe obenstehende Grafik). Aber auch FDI führen zu substanziellen Devisenabflüssen in Form von Gewinnrücküberweisungen durch Unternehmen. Insbesondere wenn sich die Investitionen auf Wirtschaftszweige konzentrieren, die keine direkten Exporteinnahmen in harter Währung generieren – zum Beispiel der binnenorientierte Energiesektor –, übt dieser Gewinntransfer zusätzlichen Druck auf die Zahlungsbilanz der Länder aus. Der Netto-Nutzen ist nicht in jedem Fall gross und dreht sogar ins Negative, wenn ausländische Konzerne aggressiv Steuern vermeiden. Wenn es um Arbeitsplätze und Armutsbekämpfung geht, braucht es auch eine differenzierte Betrachtung. Investitionen von ausländischen Konzernen können bestehende Ungleichheiten verschärfen, wenn primär Arbeitsplätze geschaffen werden, die hoch qualifizierten Mitarbeitenden aus der Mittelschicht gute Löhne bezahlen. Entscheidend ist auch, in welchen Sektoren investiert wird. Kosten und Nutzen sind völlig unterschiedlich, je nachdem, ob es beispielsweise um eine neue Kohlemine oder einen Clean-Tech-Start-up geht.
Ehrlichkeit statt Geschwätz
Weil das private Kapital nicht wie gewünscht fliesst, setzen multilaterale Entwicklungsbanken und nationale Entwicklungsinstitutionen (auch die DEZA und das SECO) auf den Einsatz von knappen öffentlichen Entwicklungsgeldern für das «De-Risking», um mehr private Gelder zu «mobilisieren». Doch die Evidenz ist enttäuschend. Um es in den Worten des unverdächtigen Larry Summers zu sagen, der lange ein Verfechter dieses Ansatzes war: «Es gibt viel Geschwätz von Leuten, die ambitioniert sein wollen, aber keine öffentlichen Ressourcen zur Verfügung haben und darum den ‘Privatsektor katalysieren’ wollen – gestützt von Akteuren aus dem Privatsektor, die es besser wissen müssten, aber entweder staatsmännisch erscheinen wollen oder auf substantielle Subventionen für ihre Aktivitäten aus sind. Die Zahlen, die als Potenzial zur Mobilisierung von grünem Kapital oftmals erwähnt werden, sind etwa so realistisch, wie wenn ich ankündigen würde, in vier Minuten eine Meile zu laufen.» Larry Summers ist 70 Jahre alt.
Internationale Reformen für eine gerechte Transition
Trotz allen erwähnten Relativierungen wird es auch mehr privates Kapital brauchen, ganz besonders zur Finanzierung der Energiewende. Aber nicht irgendwo und irgendwie, sondern gezielt, um die notwendige positive Hebelwirkung zu gewährleisten und negative Auswirkungen zu vermeiden. Damit Unternehmen stärker zu einer gerechten Transition beitragen können, sind auf internationaler Ebene Reformen nötig. Die Schweiz sollte sich gemeinsam mit europäischen Ländern und Ländern des Globalen Südens für eine UNO-Rahmenkonvention für verantwortungsbewusste Investitionen einsetzen. Darin können Kriterien festlegt werden, damit private Investitionen tatsächlich zu einer gerechten Transition, zur Dekarbonisierung der Wirtschaft und zur wirksamen Bekämpfung der Armut beitragen. Diese Konvention müsste die folgenden Elemente beinhalten:
1. Dekarbonisierung
Die Staaten verpflichten sich mit der Unterzeichnung der Konvention, von ihren Unternehmen verbindliche Transitionspläne zu verlangen, die für alle Unternehmen gelten und einen Mechanismus zur Überwachung und Sanktionierung auf nationaler Ebene enthalten.
2. Präzise und messbare Ziele festlegen
Die Konvention legt eine international harmonisierte Klassifizierung von Sektoren und Aktivitäten fest (Taxonomie), in die investiert werden soll, um private Investitionen mit den Zielen einer gerechten Transition in Einklang zu bringen. Sie setzt Standards für Transparenz- und Rechenschaftspflichten für die Investitionen der Unternehmen in diesen Sektoren.
3. Unternehmen in die Pflicht nehmen
Die Staaten verpflichten sich mit der Unterzeichnung der Konvention, bindende Sorgfaltspflichten zu Menschenrechten und Umweltstandards einzuführen, Sanktionen gegen Unternehmen, die diese verletzen, festzulegen und Opfern die Wiedergutmachung zu ermöglichen.
4. Fonds zur Förderung von privaten Investitionen für eine gerechte Transition
Die Konvention sieht die Einrichtung eines öffentlich-privaten Fonds unter der Schirmherrschaft der UNO vor, um zusätzliche private Ressourcen zu mobilisieren und die Risiken von Investitionen in Transitionsprojekte zu reduzieren. Die öffentlichen Mittel dafür sind zusätzlich zu den IZA-Mitteln aufzubringen und es wird verhindert, dass die Risiken mit öffentlichen Geldern getragen und die Gewinne privatisiert werden.
Diese Mittel sollen nur Unternehmen zugutekommen, die einen Beitrag zur gerechten Transition leisten, indem sie:
- in Aus- und Weiterbildung investieren, um Arbeitskräfte auf grüne Arbeitsplätze und neue Technologien vorzubereiten.
- durch die Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen zum Transfer sauberer und nachhaltiger Technologien in Länder des Globalen Südens beitragen.
- lokale Forschung und Entwicklung im Bereich grüner und nachhaltiger Technologien fördern, indem sie deren Ergebnisse zur Marktreife bringen und skalieren.
- lokale Gemeinschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen an der Planung und Umsetzung von Projekten beteiligen und an den Gewinnen teilhaben lassen.
Schliesslich müssen die begünstigten Unternehmen regelmässig Berichte über die Fortschritte bei der Erreichung der Ziele für eine gerechte Transition veröffentlichen, die wichtige Leistungsindikatoren enthalten.
Die Schweiz soll bereits jetzt die Aspekte dieser Konvention umsetzen, indem sie von den Unternehmen verbindliche Transitionspläne einfordert und verbindliche Sorgfaltspflichten, Aufsicht, Haftung und Regeln zur Wiedergutmachung erlässt, wie es die Konzernverantwortungsinitiative vorsieht.
Weil im Bildungssektor kaum Rendite winkt, bleiben private Investitionen aus. Schule in Mekele, Äthiopien.
© Eduardo Soteras Jalil/Panos Pictures
Kenia bedient mit über einem Viertel seiner Einnahmen horrende Schuldzinsen. © Keystone/AFP/Kabir Dhanji
Das weite Feld der Entwicklungsfinanzierung
Entwicklungsfinanzierung bedeutet weit mehr als Geld für die Internationale Zusammenarbeit und Klimafinanzierung. Dies zeigt sich im «Financing for Development»-Prozess der UNO mit bisher vier grossen Konferenzen: Monterrey (2002), Doha (2008), Addis Abeba (2015) und Sevilla (2025). Es geht um die Reform des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, das Thema Schulden und Entschuldung, Handelsfragen sowie ein neues Steuerregime. Dies entscheidet letztlich viel stärker darüber, welche Mittel den Ländern des Globalen Südens für die gerechte Transition zur Verfügung stehen als die (dringend nötige) Erhöhung der Zahlungen aus dem Globalen Norden. In den Worten von UNO-Generalsekretär António Guterres: «The global financial architecture does not need a simple evolution; it needs a radical transformation. (…) A new commitment to place the dramatic needs of developing countries at the centre of every decision and mechanism of the global financial system.»
Reform der internationalen Finanzinstitutionen
Die beiden Schlüsselinstitutionen der globalen Finanzarchitektur, der IWF und die Weltbank, wurden schon während des zweiten Weltkriegs entworfen. Mit Ausnahme Lateinamerikas waren die Länder des Globalen Südens alle noch Kolonien der imperialen Mächte. Entsprechend ungleich sind die Entscheidungsstrukturen: Traditionellerweise stellt immer die EU die Präsident:in des IWF, ebenso traditionellerweise kommt der Vorsitz der Weltbank immer aus den USA. Sowohl die USA als auch die Länder der EU gemeinsam haben bei wichtigen Entscheiden faktisch ein Veto. Auch bei der Weltbank entsprechen die Stimmrechte nicht dem wirtschaftlichen Gewicht.
Auch wenn sich die beiden Institutionen im Laufe der Zeit gewandelt haben, ihr Engagement mit der Zivilgesellschaft ausgebaut haben und beispielsweise Klima und Nachhaltigkeit stärker gewichten, tragen sie nach wie vor dazu bei, ungerechte globale Wirtschaftsbeziehungen zu verfestigen und den Klimawandel weiter anzufeuern. Die neue US-Regierung hat zudem angekündigt, die beiden Institutionen wieder stärker auf ihr ursprüngliches Mandat zu behaften, sprich Bemühungen im Bereich der Klimafinanzierung, Geschlechtergerechtigkeit oder Reduktion der Ungleichheit nicht länger zu unterstützen.
Obwohl die Weltbank ihren Anteil an der globalen Klimafinanzierung in den letzten Jahren stark ausgebaut hat, fördert sie durch die Hintertür, z. B. über Beratungsdienstleistungen oder Kredite an Finanzintermediäre) weiterhin Investitionen in fossile Energien. Gleichzeitig trägt ihr starker Fokus auf private Investitionen, der unter dem aktuellen Weltbank Präsidenten Ajay Banga noch verstärkt wurde, zu steigender Ungleichheit und zur Privatisierung wichtiger öffentlicher Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsversorgung bei.
Der IWF, welcher aufgrund der von ihm verordneten Austeritätspolitik in der Vergangenheit bereits in verschiedenen Ländern zu wachsender Armut und politischen Unruhen beigetragen hat, knüpft seine Kredite nach wie vor an harte Bedingungen. Diese gehen auf Kosten der Ärmsten, wenn z. B. Konsumsteuern erhöht, Subventionen oder Sozialabgaben abgebaut werden. Auch die Entwicklungsbanken knüpfen Kreditvergaben teilweise an problematische Konditionalitäten.
Und das muss die Schweiz tun:
- Die Schweiz soll sich für eine grundlegende Reform der internationalen Finanzinstitutionen einsetzen, angefangen bei einer Neuverteilung der IWF-Quoten und -Stimmrechte. Sie soll sich dafür einsetzen, dass die Stimmrechte der heutigen wirtschaftlichen Bedeutung der Länder entsprechen.
- Zudem soll sie sich dafür einsetzen, dass IWF-Kredite nur noch an Bedingungen geknüpft werden, die eine gerechte Transition begünstigen. Negative Auswirkungen auf die Bevölkerung, auf Nachhaltigkeit und auf Klimaschutz müssen geprüft werden und gegebenenfalls wird auf Bedingungen verzichtet, die den Ärmsten schaden.
- Dem Backlash der USA soll sich die Schweiz klar entgegenstellen und dafür eintreten, dass Investitionen in fossile Energien über alle Instrumente hinweg untersagt werden und die multilaterale Klimafinanzierung der Weltbank qualitativ und quantitativ verbessert wird.
Geschwächt zieht sich Kenias Staat aus sozialen Aufgaben zurück. Mathare-Slum, Nairobi. © Keystone/EPA/Kabir Dhanji
Die Schuldenbombe entschärfen
Nach Angaben der UNCTAD haben 68 Entwicklungsländer ernsthafte Schuldenprobleme. 61 Prozent der Schulden aller Entwicklungsländer bestehen gegenüber privaten Gläubigern. Die Zinssätze, die Entwicklungsländer bezahlen müssen, sind viel höher als in den USA und der EU. In 48 Ländern des Globalen Südens, in denen 3,3 Mia. Menschen leben, sind die Zinszahlungen höher als die Ausgaben für Bildung oder Gesundheit.
Ohne Entschärfung der Schuldenbombe keine gerechte Transition. Eine UNO-Rahmenkonvention, wie sie die Zivilgesellschaft vorgeschlagen hat, könnte das leisten.
Und das muss die Schweiz tun:
- Die Schweiz soll sich gemeinsam mit Ländern des Globalen Südens für eine Rahmenkonvention zu Schulden einsetzen und setzt die notwendigen nationalen Gesetze um.
- Die Sonderziehungsrechte, die die Schweiz im Rahmen von IWF-Ausschüttungen erhielt und weiter erhalten wird, stellt sie über multilaterale Fonds am wenigsten entwickelten Ländern zur Verfügung.
- Die Schweiz soll private Gläubiger von Ländern des Globalen Südens (Banken, Vermögensverwalter, Hedge Funds, Rohstoffkonzerne) mit Sitz in der Schweiz dazu verpflichten, im Falle einer Überschuldung eines Entwicklungslandes umfassende Schuldenerlasse zu gewähren. Das finanzielle Risiko der entsprechenden Kredite darf dabei nicht von den Gläubigern auf den Schweizer Fiskus überwälzt werden.
Die UNO-Steuerkonvention und ihre nationale Umsetzung
Im Unterschied zu anderen Konventionen, die in diesem Text vorgeschlagen werden, laufen die Verhandlungen über die UNO-Steuerkonvention bereits. Die Schweiz soll sich durch Zugeständnisse an den Globalen Süden für deren Gelingen einsetzen. Ein gerechtes globales Steuersystem im Rahmen der UNO muss mit entsprechenden steuerpolitischen Reformen im Inland einhergehen. Progressive Steuerreformen auf nationaler Ebene setzen ihrerseits wiederum die entsprechenden globalen Regeln voraus, damit sie effektiv zu mehr Steuereinnahmen im Inland führen. Bisher setzte die Schweiz auf tiefe Steuern für multinationale Konzerne und Offshore-Banking für Vermögende. Wenn die Schweiz dieses Geschäftsmodell aufgibt, besteht die Gefahr, dass andere Staaten ihre entsprechenden Angebote übernehmen. Deshalb braucht es neue multilaterale Regeln, die diese Praxen schon auf internationaler Ebene unterbinden.
UNO-Steuerkonvention | Nationale Reformen |
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Gerechte Konzernbesteuerung: Faire Zuteilung von Besteuerungsrechten (gemäss effektiver Wertschöpfung), Steuertransparenz und eine höhere Mindeststeuer |
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Effektive globale Besteuerung von hohen Privatvermögen |
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Bekämpfung unlauterer Finanzflüsse |
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Steuerliche Massnahmen tragen zur Bewältigung ökologischer Herausforderungen bei |
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Steuertransparenz |
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Noch immer entzieht der berüchtigte Schweizer Finanzplatz dem Süden enorme Einnahmen. Quartier des Banques in Genf. © Mark Henley/Panos Pictures
Es ist genug für alle da
Die Schweiz finanziert sich heute zu einem wesentlichen Teil mit Wirtschaftsleistungen, die im Ausland erbracht werden. Indem Konzerne Gewinne in der Schweiz verbuchen, die im Ausland erarbeitet wurden, oder vermögende Privatpersonen aus dem Ausland ihr Geld in die Schweiz bringen, erhält die Schweiz Steuereinnahmen, die eigentlich anderen Ländern zustehen. Soll die Schweiz in Zukunft weniger auf Kosten von anderen leben, muss sie ihre Tiefsteuer- und Offshore-Banking-Strategie abwickeln. Weil sie damit für ausländische Steuerflüchtige weniger attraktiv wird, werden die Steuereinnahmen sinken. Sie muss deshalb ihr volkswirtschaftliches Geschäftsmodell gleichzeitig so umbauen, dass sie die sinkenden Steuereinnahmen mit der besseren Besteuerung inländischer Quellen kompensieren kann. Die folgenden Massnahmen zeigen, wie dieser Umbau finanzier- und also auch realisierbar ist.
Die Schweiz grast unter dem Zaun
Die Schweiz profitiert stark von Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne aus anderen Ländern. Gemäss Berechnungen des französischen Ökonomen Gabriel Zucman erzielen Bund, Kantone und Gemeinden mit der Besteuerung von Konzerngewinnen, die aus dem Ausland in die Schweiz verschoben werden, ca. 9 Mia. Franken Steuereinnahmen jährlich. Diese basieren auf über 110 Mia. Franken Unternehmensgewinnen, die vom hiesigen Niedrigsteuerumfeld angelockt werden. Wie viele Gewinne Konzerne aus den Ländern des Globalen Südens in die Schweiz verschieben, ist auf Grund der extremen Intransparenz von Finanzflüssen innerhalb von Konzernen nicht zu eruieren. Sie dürften aber hoch sein, da im Rohstoffhandel viele Gewinne aus Rohstoffabbauländern in die Schweiz verschoben werden.
Abschaffung der kantonalen Steuerkonkurrenz
Seit Jahrzehnten tobt zwischen den Schweizer Kantonen ein erbarmungsloser Steuerwettbewerb. Sowohl die Gewinnsteuersätze für Unternehmen als auch die Einkommens- und Vermögenssteuersätze für natürliche Personen sind in den letzten Jahrzehnten massiv gesunken. Kantone und Gemeinden buhlen um Unternehmen und «gute» Steuerzahler:innen und treiben einander so zu immer tieferen Steuersätzen. Unter dem Strich verlieren alle: Immer mehr Lohn-, Vermögens- und Gewinnanteile werden schweizweit immer weniger besteuert. Der Föderalismus in der Schweiz ist eine heilige Kuh, er gilt als einer der grossen Segen dieses Landes. Vom Steuerföderalismus profitieren aber vor allem Reiche und Konzerne. Hier braucht es eine Schubumkehr durch eine generelle schweizweite Steuerharmonisierung: Gewinn-, Einkommens- und Vermögenssteuern müssen harmonisiert, das unsolidarische Abjagen von Steuersubstrat unterbunden werden.
Eine Mindeststeuer gegen Gewinnverschiebung
Damit die Schweiz für Gewinnverschiebung aus dem Ausland weniger attraktiv ist, muss der Bund landesweit (d. h. Bund Kantone, Gemeinden) einen effektiven Mindeststeuersatz von 19% für die Gewinnbesteuerung von Unternehmen festlegen, bei dem die direkte Bundessteuer für Unternehmen 15% beträgt. Dies entspricht in etwa dem heutigen Durchschnitt in den Gemeinden des Kantons Zürich. Dieser ist heute nach Bern der Kanton mit dem zweithöchsten Gewinnsteuersatz in der Schweiz und trotzdem einer der Wirtschaftsmotoren des Landes. Sämtliche Einnahmen aus der Gewinnbesteuerung sollen in den ordentlichen Haushalt von Bund, Kantonen und Gemeinden fliessen. Öffentliche Fördermassnahmen für grosse Konzerne werden verboten. Diese haben heute im Rahmen der OECD-Mindeststeuer nur den Zweck, Steuereinnahmen an die Konzerne zurückzuspielen.
Natürlich würde das auch beträchtliche Mehreinnahmen bringen. Durch eine Erhöhung der direkten Bundessteuer für Unternehmen von heute 8,5% auf 15% und basierend auf den Einnahmen von 2024 würden die Gewinnsteuer-Einnahmen des Bundes von heute 15,5 Mia. Franken auf 27,35 Mia. ansteigen, also jährlich ca. 12 Mia. Franken mehr betragen. Davon müssten in diesem Szenario allerdings die wegfallenden Einnahmen aus den Gewinnverschiebungen auf Bundesebene wieder abgezogen werden. Diese lassen sich nur schätzen, die 40% aus der Berechnung der Gewinnverschiebung von Gabriel Zucman scheinen auch hier realistisch. Unter dem Strich bleiben also Mehreinnahmen von 7,2 Mia. Franken.
Ob Stadtbild oder Tiefsteuerpolitik: In Basel reden die Pharmamultis mit. Novartis-Campus und Roche-Türme.
© Keystone/Stefan Bohrer
Aufhebung inländisches Bankgeheimnis
Der Lausanner Ökonom Marius Brülhart schätzt, dass in der Schweiz Vermögen in der Höhe von 400 Mia. Franken vor dem Fiskus versteckt werden. Das wären ungefähr 60% des Bruttoinlandprodukts unseres Landes. Verschiedene weitere ökonomische Studien stützen diese Einschätzung. Diese kommen auch zum Schluss, dass die 0,1% Vermögendsten in der Schweiz möglicherweise 25% ihres Vermögens nicht deklarieren. Um eine effektive Besteuerung hoher Vermögen zu ermöglichen und Steuerhinterziehung so weit als möglich zu unterbinden, muss das inländische Bankgeheimnis aufgehoben werden. Dies würde bedeuten, dass die Banken dem Steueramt Vermögensbestände und -erträge melden, so wie heute Löhne mit dem Lohnausweis dem Steueramt gemeldet werden. Damit würden alle Einkommensarten gleichbehandelt. Allein diese Massnahme würde gemäss Ökonom Brülhart Mehreinnahmen bei Bund und Kantonen von mindestens 2,5 Mia. Franken generieren.
Erhöhung und Harmonisierung der Vermögenssteuer
Noch viel mehr Zusatzeinnahmen können auf Bundesebene mit der Einführung einer moderaten Vermögenssteuer für die Reichsten generiert werden. Gemäss der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur wäre dafür ein Steuersatz von 2,7% für die reichsten 0,1% ideal – er stellt die perfekte Mitte zwischen Abwanderungsrisiko dieser Vermögen (umso mehr, desto höher) und effizienter Ausschöpfung einer steuerlichen Ressource dar (die heute mit einem durchschnittlichen kantonalen Vermögenssteuersatz von 0,4% gemäss der Literatur nicht gegeben ist). Basierend auf den letzten verfügbaren Zahlen zu den Vermögenssummen der reichsten 0,1% kann der Bund so jährlich mit Mehreinnahmen von über 10 Mia. Franken rechnen. Die Einführung einer Bundesvermögenssteuer bei gleichzeitiger Aufhebung des inländischen Bankgeheimnisses könnte also bereits die Verluste bei den Steuereinnahmen kompensieren, die in der Schweiz entstehen würden, wenn sie ihr steuerpolitisches Geschäftsmodell als Tiefsteuergebiet für multinationale Konzerne aufgibt. Unter dem bisherigen Besteuerungsregime kommen durch die Abschaffung des inländischen Bankgeheimnisses von den bisher unversteuerten 25% Vermögen schätzungsweise weitere 2,25 Mia. Franken neue Steuereinnahmen hinzu. Der Bund weist für 2024 Vermögenssteuereinnahmen bei Kantonen und Gemeinden von 9 Mia. aus. Mit einem Viertel mehr wäre die erwähnte Summe erreicht.
Die folgende Tabelle zeigt, wie viel zusätzliches Steuersubstrat mit ausgewählten Massnahmen generiert werden könnte. Es sind darin nur aktuell schätzbare Massnahmen enthalten. Weitere neue progressive fiskalische Massnahmen wie eine Erbschaftssteuer, der Wegfall steuerfreier Dividenden, eine spezifische zusätzliche Besteuerung von Gewinnen aus dem Handel mit fossilen Rohstoffen oder eine Finanztransaktionssteuer könnten jährlich weitere Milliarden in die öffentlichen Kassen in der Schweiz spülen.
Massnahme | Mehreinnahmen Bund* (brutto in CHF pro Jahr) |
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Mindestbesteuerung für Unternehmen von 19% | 7,2 Mia. |
2,3 % Bundessteuer auf sehr hohen Vermögen und Aufhebung inländisches Bankgeheimnis | 10 Mia. (+ 2,25 Mia. gehen an Kantone und Gemeinden == 12,25 Mia.) |
Aufhebung der Steuerbefreiung von Kerosin | 1,5 Mia. |
Flugticketabgabe | 800 Mio. |
Total | 19,5 Mia. (+ 2,25 Mia. an Kantone und Gemeinden) |
Die Zukunftsbremse lösen
Natürlich könnte ein solcher finanz- und wirtschaftspolitischer Umbau nicht von heute auf morgen geschehen und vorübergehend könnten Einnahmen auch fehlen. Hier kommt unsere beste Freundin ins Spiel, die Schuldenbremse. Sie hilft, indem wir sie lösen.
Der Bund hat eine der strengsten Schuldenbremsen weltweit und gleichzeitig eine im internationalen Vergleich extrem tiefe Netto-Schuldenquote (17,2% im Jahr 2024). Die Schuldenbremse ist also in Wirklichkeit eine Zukunftsbremse. Alliance Sud hat verschiedene Szenarien erstellt, die zeigen, wieviel der Bund bei einer entsprechenden Erhöhung der Schuldenquote und einer folgenden Stabilisierung der Staatsverschuldung auf dem neuen, höheren Niveau an zusätzlichem finanziellem Spielraum gewinnen würde. Allein mit einer Rückkehr auf das Verschuldungsniveau bei Einführung der Schuldenbremse von 24,9% im Jahre 2005 würde der Bund bis 2035 einen zusätzlichen Investitionsspielraum in der Höhe von 146,6 Milliarden Franken gewinnen. Das wären also rund 14,6 Milliarden pro Jahr. Eine Stabilisierung der Schuldenquote in dieser Höhe war damals auch das deklarierte Ziel von Bundesrat, Parlament und Stimmbevölkerung. Von einem automatischen Abbau, zu dem ihr heutiger Mechanismus führt, war damals nicht die Rede. Würde der Bund seine Schuldenquote bis 2035 gar auf die in der EU zulässige Schuldenquote von 60% erhöhen – die nur 15 von 27 EU-Staaten einhalten –, würde der Investitionsspielraum auf 580 Milliarden Franken anwachsen.
Den zusätzlichen finanziellen Spielraum muss der Bund aber trotzdem sorgfältig einsetzen. Die Giesskanne bleibt verboten. Der Bund sollte sich auf hauptsächlich drei Verwendungszwecke der neu gewonnenen Gelder beschränken:
- Erstens kann er vorübergehend Steuerausfälle kompensieren, die auf Grund des Wegfalls von Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne bei der Unternehmensbesteuerung entstanden sind. Sobald die hier vorgeschlagenen neuen Steuern greifen und die Steuerausfälle aus dem Umbau (über-)kompensieren, muss der Bund diese Budgethilfen wieder einstellen.
- Zweitens kann er in den Aufbau einer grünen Wirtschaft investieren. Die Schweiz wird in ein nachhaltiges Gewerbe, den Care-Sektor und die grüne (Export-)Industrie investieren müssen, um Steuersubstrat und Arbeitsplätze zu erhalten. Im Care-Sektor beispielweise sind massive Investitionen nötig, um die Attraktivität entsprechender Berufe in der Pflege oder der Kinderbetreuung zu erhöhen, in der grünen Industrie, um diese gegenüber der fossilen Wirtschaft konkurrenzfähiger zu machen und die entsprechende Produktion in der Schweiz anzukurbeln. Sobald die entsprechenden Unternehmen profitabel wirtschaften, werden diese schuldenfinanzierten Investitionen neue Unternehmenssteuereinnahmen generieren, die die höheren Kosten des Schuldendienstes des Bundes wieder ausgleichen können.
- Drittens bleibt finanzieller Spielraum für ausserordentliche Ausgaben etwa bei Naturkatastrophen, im Kriegsfall oder sonstigen ausserordentlichen Ereignissen ähnlich der Corona-Pandemie, ohne dass dies Sparmassnahmen im ordentlichen Budget des Bundes zur Folge hätte, wie das heute der Fall ist.
Mission erfüllt, Probleme gelöst
Wie oft haben wir in den letzten Monaten gehört: «Die Schweiz hat kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem.» We could not agree more, wie die Berechnungen von Alliance Sud zeigen. Mit den skizzierten finanzpolitischen Reformen erzielt die Schweiz mehr als genug Einnahmen für eine Transition, die auch global gerecht ist. Die 17,8 Mia. Franken Bedarf an Klima- und Entwicklungsfinanzierung lassen sich damit problemlos decken. Die Schweiz kann sich gleichzeitig vom Geschäftsmodell verabschieden, das auf Kosten von Ländern des Globalen Südens geht – die negativen Spillovers der Schweiz sind Vergangenheit. Und auch das gravierende Ausgabenproblem der Schweiz lässt sich lösen. Es besteht nämlich darin, dass die Schweiz viel zu wenig in ihre eigene Zukunftsfähigkeit investiert. Was fair, richtig und zukunftsfähig ist, kommt letztendlich auch allen Menschen in der Schweiz zu Gute.

Grafiken: Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik, Zürich
Illustrationen: Niels Blaesi
Coverfoto: Abbie Trayler-Smith/Panos Pictures
Glossar
- Aide publique au développement (APD) / Official development assistance (ODA): Messgrösse der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung (siehe unten).
- Bruttonationaleinkommen (BNE): Das BNE erfasst alle Einkommen im Inland, unabhängig davon, ob dieses Einkommen im Inland erzielt wurde oder aus dem Ausland zufliesst. Dies ist der hauptsächliche Unterschied zum geläufigeren Bruttoinlandsprodukt (BIP).
- Domestic Resource Mobilization: Prozesse (u. a. Steuereinnahmen), damit ein Land zur Finanzierung seiner Entwicklungsprojekte und -programme verstärkt auf seine eigenen Ressourcen zurückgreifen kann, anstatt sich auf externe Hilfe oder Kredite zu verlassen.
- Energy Charter Treaty: Die 1998 in Kraft getretene Energiecharta schützt Energie-investitionen und ermöglicht einem Investor, gegen einen Vertragsstaat zu klagen, wenn sich dort die Politik oder die Vorschriften zu Ungunsten des Investors ändern.
- Förderlizenzen: Von staatlicher Stelle (z. B. Bergbauministerium) vergebene Erlaubnis, in einem bestimmten Gebiet und unter bestimmten Bedingungen Rohstoffe zu fördern. Diese folgen oft auf Explorationslizenzen, die die Suche nach Rohstoffen regeln.
- Hedge Funds: oder nicht regulierte Investitionsfonds, die eine Vielzahl von Strategien anwenden und primär sehr reichen Individuen offenstehen und durch die Aufnahme von Krediten die Renditen vervielfachen.
- Konzessionäre Finanzflüsse: Finanzmittel, die zu Vorzugsbedingungen vergeben werden, d. h. reine Zuwendungen (grants) oder Kredite zu Vorzugsbedingungen.
- IWF-Quote: Den Mitgliedern wird eine Quote zugewiesen, die sich nach BIP, den Währungsreserven und dem Aussenhandel richtet. Nach ihr bemessen sich das Stimmrecht in den IWF-Organen und die Zuteilung neu geschaffener Sonderziehungsrechte.
- LDCs: Least Developed Countries, d.h. Länder mit einem Bruttonationaleinkommen von unter 1145 Dollar per capita (2023). Die Gruppe umfasst heute 44 Länder.
- LMICs: Low- and Middle-Income Countries; d.h. Länder mit einem Bruttonationaleinkommen von unter 14005 Dollar per Capita (2023), die Gruppe umfasst heute 136 Länder.
- Loss and Damage: Klimabedingte Verluste und Schäden. Während «Schäden» repariert oder kompensiert werden können, sind «Verluste» unwiederbringlich und werden auch stark mit der Gefährdung von Menschenleben in Verbindung gebracht.
- Öffentliche Entwicklungsfinanzierung: Gelder, die a) von staatlichen oder lokalen Regierungen gewährt werden; b) die Empfängerländer in ihrer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen und c) konzessionär sind.
- Offshore Private Banking: Vermögensverwaltung ausserhalb des Herkunftslandes der Kund:innen. Die Schweiz ist weltweit führend, ein Fünftel aller grenzüberschreitend angelegten Vermögen (rund 2400 Milliarden Dollar) werden so verwaltet.
- Planetare Grenzen: Ökologische Grenzen der Erde, deren Überschreitung die Stabilität des Ökosystems der Erde gefährden. Von neun planetaren Grenzen, die einen sicheren Handlungsspielraum für die Menschheit festlegen sollen, sind sechs überschritten.
- Rohstofffluch: Negative Auswirkungen auf rohstoffabhängige Länder wie geringeres Wirtschaftswachstum, politische Instabilität, Korruption und Konflikte. Das Verhalten ausländischer Konzerne ist für den Rohstofffluch mit verantwortlich.
- Rohstoffrente: Diese bezeichnet die Differenz zwischen dem Wert von Rohstoffen im Boden und den Förderkosten. Sie wird zwischen dem privaten Förderunternehmen und dem Staat geteilt und entscheidet so, wie ein Rohstoffland von seinem natürlichen Reichtum profitiert.
- Royalties: Abgaben auf die produzierte Menge oder den Preis geförderter Rohstoffe. Im Unterschied zu Steuern sind Royalties auf die Rohstoffe bezogen, während Steuern auf der Ebene des Unternehmens anfallen.
- Sonderziehungsrechte: Reserveguthaben beim IWF, die von Ländern bei Bedarf in Hartwährungen getauscht werden können. Durch die Ausgabe von neuen Rechten (z. B. während der Covid-Krise) kann der IWF die Liquidität des Finanzsystems (mit)steuern.
- Spillovers: Tätigkeiten in einem Land, die sich auf andere Länder negativ auswirken, z. B. Steuerflucht in die Schweiz oder Umweltverschmutzung im Ausland durch die Produktion von in der Schweiz konsumierten Gütern und Dienstleistungen.
- TRIPS: Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights. Das WTO-Abkommen von 1995 über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum verpflichtet die Mitgliedstaaten der WTO zum Patentschutz, u. a. auf neue Medikamente.
- UNCTAD: Die Uno-Organisation für Handel und Entwicklung vertritt die Anliegen der Entwicklungsländer in Wirtschafts- und Handelsfragen. Seit 2024 heisst sie «UN Trade and Development» (vorher UN Conference on Trade and Development).
- Unlautere Finanzflüsse: Grenzüberschreitende Geldbewegungen, die in ihrer Herkunft (z. B. Korruption, Schmuggel), in ihrem Transfer (z. B. Steuervermeidung und Geldwäscherei) oder in ihrer Verwendung (z. B. Terrorismusfinanzierung) illegal oder illegitim sind.