Artikel teilen
Artikel
Jetzt amtlich bestätigt: So trickst die Schweiz
26.03.2018, Klimagerechtigkeit
«Mehr als 60% des Treibhausgas-Fussabdrucks entstehen im Ausland.» So schreibt das Bundesamt für Statistik (BFS) im Titel seiner Publikation im Februar 2018. Damit anerkennt die offizielle Schweiz endlich ihre Klimaverantwortung in der Welt.

Eine Erhöhung des Benzinpreises ist politisch kaum mehrheitsfähig. Vielversprechende Instrumente zur Finanzierung des Schweizer Klimabeitrags hat der Bund jedoch 2011 schubladisiert.
© Daniel Rihs
von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»
Das Bundesamt für Statistik (BFS) steht für Sachlichkeit und Präzision; seine Erhebungen sind unbestechlich und dienen den politischen und wirtschaftlichen Kräften unseres Landes als analytische Grundlage. Nun legt das BFS erstmals Zahlen vor, die eine seit Jahren vorgebrachte, zentrale Kritik von Alliance Sud bestätigen: Es ist unhaltbar, dass die offizielle Schweiz ihre Klimaverantwortung mit der Treibhausgasbilanz gleichsetzt.
In einer Erhebung stellt das BFS fest, dass die «im Ausland aufgrund der Schweizer Endnachfrage entstandenen Emissionen» mit 76 Mio. Tonnen CO2eq pro Jahr fast doppelt zu Buche schlagen wie der Treibhausgasausstoss innerhalb der Landesgrenzen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass wir immer mehr unserer energie- und emissionsintensiven Produktion ins Ausland verlagern.
Das Treibhausgasinventar wird regelmässig im Rahmen der Berichterstattung zum Kyoto-Protokoll erstellt. Es basiert auf dem Territorialprinzip, erfasst also nur Emissionen, die innerhalb der Landesgrenzen entstehen. Es blendet somit den Konsum von Importwaren genau so aus, wie Emissionen, die durch Flüge und Autofahrten ins Ausland verursacht werden. Ebenso wenig erfasst werden die Emissionen von Schweizer Unternehmen, die beispielsweise bei der Ausbeutung und Umwandlung von Rohstoffen oder der Produktion von Waren und Dienstleistungen im Ausland entstehen. Für Staaten wie die Schweiz, die zunehmend Emissionen ins Ausland verlagern statt diese zu vermeiden, wirkt sich diese statistische Verfälschung «günstig» aus.
Wie gesagt, neu ist diese Erkenntnis nicht: In ihrem Masterplan forderte auch die Klimaallianz 2016, dass die Klimapolitik der Schweiz an ihrem Gesamteintrag in die Atmosphäre weltweit ausgerichtet werden muss. Alliance Sud kritisiert seit Jahren, dass der Bundesrat insbesondere bei der Abschätzung ihrer gemäss Pariser Klimaübereinkommen geschuldeten Klimafinanzierungs-Beiträge zwar immer das Verursacherprinzip beschwört, dabei aber nur jenes Drittel der Schweizer Emissionen berücksichtigt, das innerhalb der Landesgrenzen emittiert wird.
Neu ist, dass nun endlich auch von offizieller Seite her eine Gesamtschau postuliert wird. Das sei «gerade in einem Land wie der Schweiz, das intensive weltweite Handelsbeziehungen unterhält» zentral, schreibt das BFS. Dadurch könne Kohärenz zur sogenannten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erzielt werden, einer OECD-weiten Methodik, die ebenfalls dem sogenannten Residenzprinzip folgt.
Das BFS hat jetzt den Grundstein gelegt für eine verlässliche Abschätzung der «gemeinsamen aber differenzierten» Klimaverantwortung der Schweiz. Seine Modellierung hat errechnet, dass sich die Schweizer Emissionen auf fast das Dreifache dessen belaufen, woran sich der Bundesrat bis anhin orientierte. Der von der Schweiz zu leistende Anteil an der internationalen Klimafinanzierung erhöht sich demnach auf 900 Millionen Franken pro Jahr; zur Erinnerung: in seinem Bericht vom 10. Mai 2017 ging der Bundesrat noch von 450 bis 600 Millionen aus.
Die Diskussion um den «fairen» Anteil der Schweiz an der Klimafinanzierung kann und muss damit ad acta gelegt werden. Das Augenmerk sollte endlich auf die dringend notwendige Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel gelegt werden.
Das Prinzip «Common but Differentiated Responsibility»
js. Seit der Rio-Erklärung zu Umwelt und Entwicklung von 1992 nimmt das Prinzip der gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung (engl. CBDR) eine bedeutende Rolle in der internationalen Klimadebatte ein. Dem CBDR-Prinzip liegt die Erkenntnis zugrunde, dass globale Umweltbedrohungen wie Klimaveränderungen, Biodiversitätsverlust oder Desertifikation nur durch gemeinsames Handeln angegangen werden können. Weil die verschiedenen Länder jedoch in unterschiedlichem Masse dafür verantwortlich sind, müssen die Lasten bei Vorbeugung und Bekämpfung unterschiedlich verteilt werden.
Artikel
Die Schweiz im Porzellanladen der COP 23
22.11.2017, Klimagerechtigkeit
An der Klimakonferenz COP 23 lobte Bundespräsidentin Leuthard die Schweiz als Vorbild für andere Länder. Das sieht Jürg Staudenmann, Klimaexperte bei Alliance Sud, im Interview mit kath.ch anders.

© admin.ch
Laut Bundespräsidentin Leuthard hat die Klimakonferenz gezeigt, dass die Staaten willens sind, sich für den Klimaschutz zu engagieren und das Übereinkommen von Paris umzusetzen. Auch Ihre Meinung?
Im Grossen und Ganzen ja. Einmal abgesehen von den paar wenigen Staaten, die sich noch immer mit der Ablösung ihrer Volkswirtschaften von der Erdöl-Abhängigkeit schwertun.
Worin unterscheiden sich die Länder?
Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Elemente des Pariser Klimaübereinkommens die vordringlichsten sind. Für die Schweiz – das kam aus der Rede der Bundespräsidentin klar zum Ausdruck – geht es in erster Linie darum, ein möglichst striktes Regelwerk zur Eindämmung der Emissionen zu beschliessen.
Für Länder wie Tuvalu oder das präsidierende Fidschi stehen konkrete Fragen des Umgangs mit Klimaveränderungen, klimabedingten Schäden und Verlusten im Vordergrund. Sie verursachen wenig Emissionen, spüren aber die Auswirkungen unserer Emissionen an Leib und Leben.
Was wollen denn die Entwicklungsländer?
Sie monieren genauso wie die Schweiz, dass nicht alle Parteien ihre Verantwortung und Verpflichtungen ernst genug nehmen. Dabei beziehen sie sich auf die in Paris beschlossenen Klimafinanzierungsgelder der Industriestaaten, die im Bereich Klima-Anpassung auch nach fast zehn Jahren erst spärlich fliessen. Und sie verlangen Unterstützung für Schäden und Verluste, die etwa bei so starken Hurrikans und Überschwemmungen wie in diesem Sommer entstehen.
Leuthard fordert verbindliche Regeln und Transparenz zur Umsetzung des Klimaabkommens. Auch die Meinung von Alliance Sud?
Sicher, aber das gilt nicht nur für die Mitigation. Denn die Reduktion von Emissionen ist nur ein Teil des Pariser Klimaübereinkommens, wenn auch ein wichtiger. Daneben gilt es aber auch, den zweiten und dritten Pfeiler des Pariser Klimaübereinkommens vorwärts zu bringen: die Adaptation an die bereits einsetzenden Klimaveränderungen und die Klimafinanzierung. Gerade Klarheit darüber, wann und wie die Entwicklungsländer mit finanzieller und anderer Unterstützung im Kampf gegen den Klimawandel rechnen können, ist zentral für ihre Planung und die Festlegung von verpflichtenden Zielen. Deshalb fordern die Entwicklungsländer, dass auch die Klimafinanzierung gleichberechtigt im Regelwerk berücksichtigt wird, wie das im Pariser Klimaübereinkommen ja auch vorgesehen ist.
Leuthard findet, die Schweiz könnte als Vorbild dienen, denn es sei gelungen, Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen voneinander zu entkoppeln.
Von Vorbild zu sprechen, ist gelinde ausgedrückt mutig. Die leichte Senkung der Emissionen pro Kopf oder pro erwirtschaftetem Franken haben auch andere Staaten geschafft; und nicht wenige in Europa sogar noch deutlich besser als die Schweiz. Ausserdem ist es etwas zynisch von «Entkopplung» zu sprechen, wenn dabei nur die im nationalen Treibhausgasinventar aufgeführten Emissionen angeschaut werden. Denn die Gesamt-Emissionen – also inklusiv Flüge und mit importierten Gütern konsumierte «graue Emissionen» – stagnieren.
Wie schätzen Sie unser ökologisches Verhalten ein?
Nach wie vor fahren Schweizerinnen und Schweizer mehr und vor allem schwerere Autos, fliegen rund doppelt so viele Meilen pro Jahr und konsumieren mehr importierte Güter und Dienstleistungen als die Menschen in unseren Nachbarländern.
Wo hapert es?
Die Schweiz ist noch deutlich nicht auf einem 2-Grad-, geschweige denn 1,5-Grad-kompatiblen Pfad. Auch die bevorstehende CO2-Gesetzesrevision wird diese Lücke bei weitem nicht schliessen, wenn man sieht, was in die Vernehmlassung geschickt wurde. Im Gegenteil: Im Vergleich zu den Jahren unter dem Kyoto-Protokoll ist die Schweizer Emissionsreduktion auf fast die Hälfte zurückgegangen.
Auch hat die Schweiz nach wie vor keine Langzeit-Klimastrategie, wie dies das Pariser Klimaübereinkommen fordert. Ebenso wenig scheint der Bundesrat zu beabsichtigen, eine eigenständige, umfassende Klimagesetzgebung in Angriff zu nehmen.
Und wo steht die Schweiz betreffend Klimafinanzierung?
Da fällt unser Land noch weiter zurück. Der Bericht an die aussenpolitische Kommission vom Mai dieses Jahres zeigt im Prinzip, dass der Bundesrat noch immer keinen konkreten Plan hat, wie er bis in zwei Jahren jährlich wiederkehrende Beiträge in dreifacher Millionenhöhe zur Unterstützung von Klimaschutz- und Anpassungsprojekten in Entwicklungsländern mobilisieren will.
Denn er sagt im Wesentlichen, dass er die Mittel aus dem bestehenden Budget der Entwicklungszusammenarbeit abzweigen will und auf zusätzliche Mittel des Privatsektors hofft. Dafür legte er im Bericht aber keinerlei Lösungsansätze vor.
Was hat Sie besonders irritiert?
Die Aussage der Bundespräsidentin vor den Medien, dass die Schweiz nicht gedenke, ihre Klimaziele von 2030 zu überprüfen und gegebenenfalls nach oben anzupassen, ist besonders besorgniserregend. Denn gemäss Pariser Klimaübereinkommen – für dessen strikte Umsetzung sich die Schweiz ja laut Leuthard so sehr engagiert – müssen das alle Länder alle fünf Jahre machen. Das erste Mal 2018 mit Blick auf 2020.
Die Schweiz will die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 50 Prozent senken. Was halten Sie davon, dass 20 Prozent davon im Ausland erfolgen sollen?
Vorausgesetzt, dass für den Zukauf von Emissionreduktionsbescheinigungen aus dem Ausland die noch ausstehenden Regeln auch wirklich zustande kommen, kann das rein juristisch-technisch betrachtet für eine erste, aber wahrscheinlich eher kurze Zeit funktionieren. Aber das ist Augenwischerei. Denn das Pariser Klimaübereinkommen verlangt, dass bis 2050 alle Länder ihre Emissionen auf Null absenken.
Da wird es schon bald nichts mehr zu kaufen geben, denn die anderen Länder werden sich alle erzielten Fortschritte diesbezüglich selber anrechnen wollen. Nichts führt für die Schweiz darum herum, eben auch im Inland die Emissionen tatsächlich zu senken – und zwar um drei bis vier Prozent pro Jahr, wenn wir die Klimaziele von Paris tatsächlich umsetzen wollen.
Das Interview führte Regula Pfeifer, veröffentlicht wurde es auf kath.ch
Artikel teilen
Artikel
Das arme Bangladesch geht voran
11.12.2017, Klimagerechtigkeit
Der arme und bereits heute von einschneidenden Klimaveränderungen gezeichnete Staat kann und will nicht auf überfällige Klimazahlungen aus dem Norden warten. Alliance Sud sprach mit Saleemul Huq, Klima- und Entwicklungsforscher.

Saleemul Huq ist Direktor des International Centre for Climate Change and Development (ICCCAD) in Dhaka, Bangladesch, sowie Senior Fellow am International Institute for Environment and Development (iied) in London. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Klimawandel und nachhaltige Entwicklung aus der Perspektive der ärmsten Länder in Afrika und Südasien.
© zVg
von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»
Bangladesch stand bereits früh vor der Herausforderung, Land und Leute gegen Klimaveränderungen zu schützen. Ein umfassender «Climate Change Strategy and Action Plan» (CCSAP) gab 2009 sechs strategische Richtungen vor für dringlichste Klimaanpassungs-Interventionen und zur eigenen Emissionsreduktion. Zur Umsetzung des Aktionsplans sah sich die Regierung mangels internationaler Gelder gezwungen, einen eigenen Staatsfonds einzurichten. So finanziert die eigene Bevölkerung Bangladeschs seit Jahren dringende Klimaschutzmassnahmen – wie z.B. die Erhöhung der Deiche um Dhaka aus den Sechzigerjahren – mit jährlich 100 Mio. US-Dollar selber.
Währenddessen spielen die Industrieländer noch immer auf Zeit. Gemäss Pariser Abkommen müssten sie die globalen Kosten mit Klimafinanzierungsbeiträgen bis mindestens 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr decken.
Alliance Sud: Wieso finanziert Bangladesch – eines der ärmsten Länder der Welt – seine Klimaanpassungs-Massnahmen seit 2009 aus dem eigenen Staatshaushalt?
Saleemul Huq: Es standen damals noch keine grossen Klimafinanzierungs-Instrumente zur Verfügung. Wir wussten: Wir brauchen die internationalen Fonds, aber wir werden nicht auf sie warten.
Bangladesch hatte angesichts der fortschreitenden Klimaveränderungen ja auch nicht die Zeit dazu...
Genau. Die Philosophie war: Wir machen vorwärts, während wir die Forderung nach Unterstützung aufrechterhalten. Das eigene Geld wurde im «Climate Change Trust Fund» gesammelt. Hinzu kamen später bilaterale Beiträge von Geberländern wie Dänemark, Grossbritannien, den USA, Australien oder der EU im «Climate Change Resilience Fund». So kamen bis heute rund 700 Millionen US-Dollar im eigenen plus etwa 300 Millionen US-Dollar im Geber-Fund zusammen. Beide Fonds finanzierten aber dieselben Massnahmen des Aktionsplans. Jetzt endlich ist auch der Green Climate Fund (GCF) bereit und Bangladeschs relevante zwei Institutionen sind akkreditiert; wir haben einen ersten Antrag eingereicht.
Bangladesch hat in Bonn den Bangla Desh Climate Finance Transparency Mechanism lanciert, der Staats- und Geber-Ressourcen kombiniert. Wieso?
Neu ist die Zivilgesellschaft involviert im Monitoring der Aktivitäten. Damit sorgen wir für mehr Transparenz und einen besseren Nutzen der eingesetzten Klimafinanzierungsgelder. Die Idee ist aber nicht eine erhöhte Rechenschaft gegenüber den Geberländern, sondern gegenüber der eigenen Bevölkerung – wir nennen das downward accountability.
Lässt sich dieses Modell auf andere Länder übertragen?
Das hoffe ich, ja! Alle 48 im Climate Vulnerable Forum zusammengeschlossenen Länder (Bangladesch ist einer der Gründer) haben beschlossen, auf 100% Erneuerbare umzusteigen – und zwar ohne Wenn und Aber; also nicht «falls ihr uns Geld oder Technologie gebt». Das ist unser Versprechen, unsere Aspiration! Und wir wollen, dass die anderen uns folgen.
Die am stärksten verwundbarsten Länder übernehmen hier moralische Leadership, machen ernst mit der Transition. Wir wollen diesen Weg gehen, weil es der einzige Weg in die Zukunft ist!
Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen Entwicklung und Klimaschutz?
Die Entwicklungsländer haben über Jahre gekämpft für neue, zusätzliche Finanzmittel für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen, über die versprochenen öffentlichen Entwicklungsgelder (APD) hinaus. Nach meiner Einschätzung haben wir diesen Kampf verloren. Jedes Geberland hat seine eigene Interpretation von Klimafinanzierung und vermischt die Gelder.
Das heisst, Sie unterscheiden nicht mehr zwischen Entwicklungs- und Klimafinanzierung?
Ich habe hier eine vielleicht etwas radikalere Position als andere: Man hat zwar 0.7% (des Nationaleinkommens der reichen Länder als Entwicklungsgelder) versprochen, aber niemand hält sich daran. Auch wählt ihr Geber die Länder, die Schwerpunkte, wie es euch gefällt. Aber das ist ok. Solange es um freiwillige Beiträge geht, ist das legitim; wir können dafür niemanden zur Rechenschaft ziehen.
Klimafinanzierung hingegen ist Teil eines internationalen Vertrags; der Klima-Rahmenkonvention und des Pariser Klimaübereinkommens. Es geht um eine Zahlung nach dem Verursacherprinzip, nicht um Charity. APD ist Wohltätigkeit, Klimafinanzierung dagegen ist eine vertragliche Verpflichtung.
Wenn also die DEZA nach Bangladesch kommt, dann ist die Schweiz eine Wohltäterin. Wenn die Schweiz aber an den Klimaverhandlungen teilnimmt, dann ziehen wir sie als Vertragspartnerin zur Rechenschaft, weil sie einen Schaden mitverursacht hat.
Alle haben die Verzögerungstaktik satt
js. Die Schweiz und Bangladesch wären sich um Grundsatz einig: Bei der Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens fehlt es an Ambition und Verantwortungsbewusstsein. Doch schuld daran sind immer die anderen.
Die Bundespräsidentin Doris Leuthard nahm in ihrer Rede an die versammelte Weltgemeinschaft kein Blatt vor den Mund: Wir bräuchten «weltweite Verbindlichkeit und Transparenz». Die «Zeit der Diskussionen» sei vorüber und es müssten jetzt endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden.
Schon im Vorfeld der von Fidschi präsidierten 23. Klimakonferenz in Bonn hatte die Schweizer Delegation diese als «technische COP» bezeichnet. Es gehe schlicht darum, das Regelwerk zum Pariser Klimaübereinkommen vorzubereiten. Entsprechend rational und nüchtern waren die Erwartungen, gerade so als wären die Staaten klimapolitisch seit Paris auf derselben Wellenlänge. Signale von Staaten, die zunehmend von Klimaveränderungen betroffen sind, wurden ignoriert.
Die Schweiz und andere westliche Länder reagierten denn auch gereizt, als bereits am ersten Tag der Konferenz politische Forderungen auf dem Tisch lagen. Diese verlangten nicht nur die Emissionsminderung nach 2020, sondern auch die schleppende Unterstützung der Entwicklungsländer im Kampf gegen die Klimaveränderung zu thematisieren. Die Inselstaaten wollten Fragen von loss and damage gleichberechtigt in der Verhandlungsagenda festschreiben; also die finanzielle Unterstützung bei Klimaschäden und drohenden territorialen Verlusten.
Industrieländer, darunter die Schweiz, bezichtigte gewisse Entwicklungsländer gar der «Sabotage» der Verhandlungen, und warfen diesen vor, dass sie das Pariser Klimaübereinkommen «uminterpretieren» wollten. Dabei seien die Entwicklungsländer nicht bereit, sich selber ambitionierte Klimaziele zu stecken. Sie wollten immer mehr Geld und Zugeständnisse, obschon Adaptationspläne fehlten und die Länder bereits vorhandene Klimafinanzierung nicht einzusetzen wüssten.
Dass das so nicht stimmt und wie ein unmittelbar vom Klimawandel betroffenes Land wie Bangladesch die Lage sieht, zeigt das oben stehende Interview. Auch die 47 anderen Entwicklungsländer des Climate Vulnerable Forums (CVF) warten noch immer auf die ihnen vertraglich zustehende Unterstützung durch die Hauptverantwortlichen des Klimawandels.
In gewisser Weise können darum die CVF-Mitglieder der Analyse der Bundespräsidentin zustimmen: Trotz historischem Durchbruch in Paris behindern noch immer Eigeninteressen und Taktik die Klimadebatte. Und immer noch fehlt es an Ambition und Verantwortungsbewusstsein. Nur dass die Menschen im globalen Süden dies im Gegensatz zu uns zunehmend an Leib und Leben zu spüren bekommen.
Artikel teilen
Artikel
Verursachergerechte Klimafinanzierung ist möglich
19.09.2018, Klimagerechtigkeit

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»
Arme Menschen im globalen Süden sind weitaus stärker und häufiger von gravierenden Folgen des Klimawandels betroffen als wir. Das hat neben geographischen vor allem polit-ökonomische Gründe: Den Entwicklungsländern fehlen die Ressourcen, um dringend notwendige Anpassungsmassnahmen in Angriff zu nehmen und die Bevölkerung gegen fortschreitende Klimaveränderungen zu wappnen.
Weil viele der exponiertesten Länder selber wenig zur Klimakrise beigetragen haben, nimmt das Pariser Klimaübereinkommen im Sinne einer ausgleichenden Klimagerechtigkeit die wohlhabenden Industrieländer in die Pflicht. Sie müssen ihre Beiträge an die sogenannte «internationale Klimafinanzierung» steigern. Ab 2021 sollen die ärmsten und verwundbarsten Entwicklungsländer mit insgesamt 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für Klimaschutz und vor allem für dringende Anpassungsmassnahmen unterstützt werden. Die Schweiz erwirtschaftet rund 1% der nationalen Einkommen aller Industrieländer und ist gleichzeitig für mindestens 1% von deren gesamtem Klimafussabdruck verantwortlich. Sie muss sich darum fairerweise auch mit jährlich mindestens 1 Milliarde Franken an der internationalen Klimafinanzierung beteiligen.
Für Alliance Sud ist klar: Die dafür notwendigen Mittel dürfen auf keinen Fall durch Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit kompensiert werden. Denn die Bewältigung dieser zusätzlichen, klima-bedingten Herausforderungen benötigt zusätzliche Gelder. Aus diesem Grund müssen dringend neue Finanzierungsquellen geprüft werden. Doch der Bundesrat hat bisher weder konkrete Lösungsansätze noch eine Strategie vorgelegt, wie zusätzliche Finanzmittel verursachergerecht mobilisiert werden könnten.
Alliance Sud schliesst diese Lücke mit der neuen Studie, die sie bei der unabhängigen Klima-Analystin Anja Kollmuss in Auftrage gegeben hat. Unter dem Titel „Die Schweiz und ihre Klimaverpflichtungen im Ausland“ werden elf innovative, politisch plausible Ansätze analysiert. Im Fokus standen deren Klimarelevanz und Verursachergerechtigkeit, die zu erwartende Höhe der Einnahmen, die gesetzgeberische Umsetzbarkeit sowie ihre Einbettung im internationalen Kontext.
Die Studie kommt zum Schluss, dass die Mobilisierung von 1 Milliarde CHF pro Jahr mit den analysierten Instrumenten grundsätzlich möglich, gesetzgeberisch machbar und aufgrund der zu erwartenden Lenkungswirkung weitgehend sinnvoll erscheint. Im Kontext der Revision des CO2-Gesetzes schlägt die Studie eine Auswahl von Ansätzen zur weiteren Prüfung vor. Mit einer Kombination folgender Massnahmen liesse sich die Schweizer Klimafinanz-Milliarde verursachergerecht und auf verschiedene Sektoren abgestützt sicherstellen:
- Die Einführung einer Flugticketabgabe von 25 CHF für europäische, respektive 100 CHF für interkontinentale Flüge würde jährlich rund 1 Milliarde CHF generieren;
- Mit der Ausweitung der CO2-Abgabe auf fossile Treibstoffe liessen sich bei einem Klima-Aufpreises von 5 bis 10 Rappen pro Liter Benzin oder Diesel jährlich 300 bis 600 Mio. CHF mobilisieren;
- Die weitergehende Zweckbindung der bestehenden CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe könnte erweitert werden; damit stünden zusätzlich bis zu 450 Mio. CHF pro Jahr bereit;
- Eine Klimafinanz-Abgabe auf ausländischen Emissionsgutschriften erzeugte bei einem Aufpreis von 25 CHF pro Zertifikat (pro Tonne CO2) rund 300 Mio. CHF pro Jahr;
- Die Einführung einer Ersatzabgabe fürCO2-Abgabe-befreite Unternehmen würde bei einem Preis von 20 Franken pro Tonne CO2eq derzeit rund 144 Mio. CHF pro Jahr generieren.
Alliance Sud wird in einer weiterführenden, juristischen Prüfung insbesondere verfassungsrechtliche Fragen bezüglich der Verwendung solcher Einnahmen für Klima-Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern klären. Erste Abklärungen haben ergeben, dass sich oft vorgebrachte verfassungsrechtliche Bedenken als gegenstandslos herausstellen könnten.
Artikel teilen
Artikel
Ein Sommer als Lehrstück
07.10.2018, Klimagerechtigkeit

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»
Der Hitzesommer 2018 hat vor Augen geführt, wie verwundbar der Planet Erde ist. Die Medien überschlagen sich mit bebilderten Meldungen zu Gluthitze, ausgetrockneten Bächen und anhaltender Dürre, die selbst die westliche Agrarindustrie in die Knie zwingt. Katastrophale Grossbrände in Griechenland, Kalifornien und – zum ersten Mal überhaupt – am schwedischen Polarkreis können quasi live mitverfolgt werden.
Die mediale Aufmerksamkeit richtete sich auf nicht bloss auf die verschiedenen Wetter-Rekorde und Klima-Extremereignisse, sondern auch auf die Gleichzeitigkeit dieser Extreme und der Tatsache, dass sich diese in der nördlichen Hemisphäre abspielten. Für Abermillionen Menschen im globalen Süden sind durch den Klimawandel verstärkte Wetterkapriolen seit Jahren bittere Realität. Doch die Hilferufe von pazifischen Inselgemeinschaften, akut bedrohten Küstenbewohnern Asiens oder das stumme Leiden von Subsistenz-Bäuerinnen im subsaharischen Afrika dringen kaum je in unsere Stuben. Werden sie in Zukunft im Norden – dort wo Klimapolitik gemacht wird – mehr Gehör erhalten? Es ist kaum anzunehmen: Was die Schweiz angeht, so werden wir den Sommer 2018 primär wegen des angenehm mediterranen Lebensgefühls in Erinnerung behalten.
Medienberichte im Aus- und Inland kommentierten und analysierten ausgiebig. Saleemul Huq schrieb im Daily Star (Dhaka, Bangladesch) vom «Tipping Point»; er meint damit nicht nur, dass sich der Klimawandel nicht mehr abwenden lässt, er weist auch darauf hin, dass die Prognosen der Klimawissenschaft von der Realität eingeholt worden sind. Den Umgang mit Hitze sieht Amy Fleming im Guardian als «das nächste grosse Ungleichheitsthema» und stellt die schutzlos der Hitze ausgesetzten Obdachlosen in Quebec, Gebärenden in Manila, urbanen Slumbewohnerinnen in Kairo und 80‘000 Syrien-Flüchtlinge im jordanischen Za’atari gegenüber; und vergisst nicht zu erwähnen, dass die Trockenheit im syrischen Nordosten ein Auslöser für den Bürgerkrieg war.
Grundsätzlicher wird Georg Diez im SPIEGEL, der unter dem Titel «Klimawandel und Kapitalismus» fordert, unser Lebensstil müsse verhandelbar sein. Das Phänomen der Erderwärmung lenke ab vom eigentlichen Thema der sozialen Ungleichheit, die zusammen mit der ökologischen ins Zentrum rücken müsse.Im «postkolonialen Treibhaus» erkennt Charlotte Wiedemann in der taz auchAnzeichen dafür, dass die «vor allem weiße Täterschaft» die Erderwärmung endlich auch als Gerechtigkeitsthema wahrnehme.
In seinem Kommentar «Der Sommer 2018 ist ein Weckruf, der nicht ungehört verhallen darf» spricht NZZ-Wissenschaftsredaktor Christian Speicher vom «Hitzesommer, wie er bald zur Norm werden könnte». Und schreibt einen Satz, den man gerne auf NZZ-Weltformatplakaten lesen würde: «Wir sind noch viel zu wenig an die neue Realität angepasst» – der Klimawandel ist also die neue Realität und wir müssen uns daran anpassen. Beide Botschaften fanden bis jetzt im Bundeshaus (und im Medien-Mainstream) keine Mehrheiten.
Die politische Kaste weltweit hat Markus C. Schulte von Drach im Bund im Visier, wenn er eine «Revolution der Vernunft» anmahnt. Und die Brücke von Klima- und Sozial- zur Entwicklungspolitik schlägt Bettina Dyttrich in der WOZ: Die u.a. vom Finanzplatz abhängige Schweizer Wirtschaft glaube sich wenig verwundbar. Doch statt sich auf die gemeinsame Herausforderung im «Raumschiff Erde» zu besinnen, dominierten hierzulande wie im globalen Norden generell weiterhin Egoismus und Abschottung.
Fernsehen SRF berichtet über das Dilemma des Landwirtes und Chefs der Emmentaler SVP-Sektion, Nationalrat Andreas Aebi, der merkt, «dass etwas passiert», die Parteilinie verlässt und zu Protokoll gibt, den Klimawandel auf dem eigenen Hof zu spüren.
Bewegt sich die Schweizer Politik?
Noch in den Sommerferien meldet sich der Bauernverband zu Wort. Nach dem Kältefrühling 2017, der grosse Teile der Obsternte vernichtet hat, kommen die Bauern und Bäuerinnen ob der diesjährigen, regenfreien Rekordhitze zunehmend ins Schwitzen. Heuwiesen verwandeln sich in mediterrane Staublandschaften, das Winterheu muss verfüttert statt aufgestockt, vereinzelt gar Vieh notgeschlachtet werden. Der Ruf nach staatlicher Nothilfe – eine Lockerung der Zölle für Heuimporte und sofortige Subventionen – just aus jener politischen Ecke, die sich einer kohärenten Klimapolitik bis heute verweigert hat, lässt aufhorchen.
Auch in der ersten Sitzung der Umweltkommission des Nationalrats nach der Sommerpause hinterlässt die Hitze Spuren. Entgegen der bundesrätlichen Vorlage ist die Besteuerung von Kerosin und Treibstoffen, ja gar die Finanzierung von Klima-Anpassungsmassnahmen plötzlich kein Tabu mehr. Beginnt die Vernunft gegenüber den Interessen der Erdöl- und Autolobby die Überhand zu gewinnen? Deren Versuch, sprithungrigen SUVs auch im neuen CO2-Gesetz freie Fahrt in den Schweizer Markt zu verschaffen, scheitert fürs Erste. Doch die Ernüchterung folgt auf dem Fuss: Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) gibt bekannt, dass es neue Strassennormen brauche, sprich breitere Strassen, weil ja die Autos immer grösser würden.
Dass der Hitzesommer dazu beiträgt, dass die Schweizer Politik in Zukunft über den Tellerrand – sprich die Landesgrenzen – hinaus schaut, dass der Klimawandel nicht nur als Phänomen der Südhalbkugel gesehen wird, bleibt einstweilen eine vage Hoffnung. Sicher ist, dass die helvetische Erinnerung an den Sommer 2018 davon geprägt sein wird, dass man «trotz herrlichem Sommerwetter» nicht grillieren und kein 1. August-Feuerwerk zünden durfte. Es ist diese bestbekannte Mischung aus Ignoranz und Opportunismus, die schon bald wieder die politischen (und viele privaten) Agenden bestimmen wird. Oder um nochmals Bettina Dyttrich zu zitieren:«Viele europäische Linke empören sich über koloniales Unrecht und finden es gleichzeitig völlig normal, mehrmals im Jahr um die halbe Welt zu fliegen.»
Politorakel Claude Longchamp prophezeit im Gespräch mit Dennis Bühler von der Republik, dass sich der Klimawandel kaum gegen andere Themen wie das Verhältnis zur EU, die Rentenreform oder die Unternehmensbesteuerung bis zu den Parlamentswahlen wird behaupten können; es sei denn, wir erlebten 2019 «eine Wiederholung dieses Sommers». Im Interview mit der SonntagsZeitung bedauert die Psychologin Vivianne Visschers, dass der Klimawandel eben nur einer von vielen Faktoren sei, die unser Verhalten bestimmten. Eine Verhaltensänderung scheitere zunächst am damit verbundenen Preis – im monetären und im übertragenen Sinn. Komme dazu, dass der Mensch den unmittelbaren Nutzen seines heutigen Handelns viel stärker gewichte als dessen zukünftige Auswirkungen.
Der Nord-Süd-Unterschied
Zu hoffen ist, dass sich nicht nur beim Bauernverband die Einsicht durchsetzt, dass sich Geschäft und Gesellschaft an die unvermeidbaren Klimaveränderungen anpassen müssen. Eine Erkenntnis notabene, die für bäuerlich geprägte Gesellschaften im globalen Süden längst zur Priorität geworden ist. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass diese nicht auf staatliche Nothilfe, geschweige denn auf systematische Unterstützung in ihrem Kampf gegen die Klimaveränderungen setzen können.
Genau darum verpflichtete das Pariser Klimaübereinkommen die westliche Welt, jährlich mindestens 100 Milliarden US-Dollar für die internationale Klimafinanzierung bereit zu stellen. Wie Alliance Sud seit Jahren betont, beträgt der gerechte Anteil der Schweiz daran rund 1 Milliarde Franken pro Jahr. Dies entspricht nicht nur unserem Anteil von 1% am Einkommen der Industriestaaten, sondern auch unserem Klimafussabdruck. Es darf nicht länger sein, dass die ausserhalb der Landesgrenzen entstehenden, fast doppelt so grossen grauen Emissionen unserer importierten Konsumgüter weiterhin ausserhalb des nationalen Verantwortungsbewusstseins des politischen Mainstreams liegen. Es ist höchst zynisch, die Finanzierung von Massnahmen gegen die katastrophalen Auswirkungen der hauptsächlich vom Westen verursachten Klimaveränderung weiterhin als «Angelegenheit der Entwicklungsländer» abzutun. Oder wie es Dietmar Mirkes im luxemburgischen Magazin «Brennpunkt Drëtt Welt» treffend ausdrückt, dass wir weiterhin Tag für Tag «Fahrerflucht begehen».
Ein in der Schweiz mantramässig ins Feld geführtes Argument gegen die Aufstockung unserer völkerrechtlich geschuldeten Klimafinanzhilfe – der angebliche Widerstand des Volkes gegen jegliche Mobilisierung von zusätzlichen Finanzmitteln – ist diesen Sommer widerlegt worden. Gemäss einer Umfrage der Schweizerischen Energiestiftung (SES) finden sechzig Prozent der Bevölkerung, dass zum Beispiel die derzeitige Steuerbefreiung und Subventionierung des Flugverkehrs nicht nur abgeschafft, sondern – im Gegenteil – eine Flugticketabgabe eingeführt werden soll. Ein Drittel der Befragten wäre bereit, für einen innereuropäischen Flug fünfzig Franken oder mehr zu bezahlen. Und knapp die Hälfte würde mit den Einnahmen (nebst inländischen Klima- und Forschungs-Projekten) explizit Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern unterstützen wollen.
Das passt zur Mitte September von Alliance Sud veröffentlichten Studie (siehe Kastentext). Sie hat verschiedene Instrumente der Mobilisierung zusätzlicher Mittel geprüft und kommt zum Schluss, dass die angestrebte Klimafinanzierungs-Milliarde nicht nur im Bereich des Möglichen liegt, sondern vergleichsweise geringe, verursachergerechte Zusatzkosten mit sich bringen würde. Alleine eine Flugticketabgabe in der gleichen Grössenordnung, wie sie heute in Grossbritannien bereits erhoben wird, könnte bereits 1 Milliarde Franken pro Jahr generieren.
So kann die Schweizer Klimafinanz-Milliarde finanziert werden
dh. Eine neue, von Alliance Sud in Auftrag gegebene Studie zeigt auf, wie zusätzliche Unterstützungsbeiträge an dringend notwendige Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in den ärmsten und verwundbarsten Entwicklungsländern verursachergerecht finanziert werden können.
Die Studie analysiert elf innovative Ansätze und kommt zum Schluss, dass die auf der Basis des Pariser Klimaabkommens zu mobilisierende Klimafinanz-Milliarde der Schweiz politisch plausibel und tragbar ist. Mit einem Mix der vorgeschlagenen Instrumente lassen sich die Kosten – getreu dem Verursacherprinzip – auf verschiedene CO2-Emittenten abwälzen. Womit diese Instrumente auch die erwünschte Lenkungswirkung entfalten würden.
Im Kontext der aktuellen Revision des CO2-Gesetzes stellt die Studie insbesondere die Einführung einer Flugticketabgabe, die Zweckbindung der CO2-Abgabe sowie deren Ausweitung auf Benzin und Diesel, eine Abgabe auf ausländische Emissionszertifikate, die Erhöhung der Mineralölsteuersowie eine Ersatzabgabe für CO2-befreite Unternehmen zur Diskussion.
Gegen einige der in der Studie vorgestellten Finanzierungsinstrumente haben Politik und Verwaltung in den letzten Jahren verfassungsrechtliche Bedenken ins Feld geführt. Alliance Sud wird diesen in Kürze mit einem juristischen Gutachten begegnen.
Artikel teilen
Medienmitteilung
Klimaschutz braucht eine Flugticketabgabe!
07.12.2018, Klimagerechtigkeit
Die verkehrs- und umweltpolitischen Organisationen umverkehR, der VCS Verkehrs-Club Schweiz, WWF Schweiz, die Schweizerische Energie-Stiftung (SES), die Koalition Luftverkehr Umwelt und Gesundheit KLUG, Alliance Sud und die Klima-Allianz (mit über 70 Organisationen) haben mit einer bildstarken Aktion an das Parlament appelliert, eine Flugticketabgabe einzuführen. Zwei «Klimaschutzengel» haben diese Forderung für einen wirkungsvollen Klimaschutz vor das Bundeshaus getragen. Heute wird im Nationalrat im Rahmen der CO2-Gesetzesrevision die Flugticketabgabe behandelt.

Der Luftverkehr ist bereits für über 18% des menschengemachten Klimaeffekts der Schweiz verantwortlich – und die Prognosen zeigen weiter nach oben. Wenn nichts Konkretes unternommen wird, wird der Luftverkehr bis 2030 zum grössten Treiber des Klimaeffekts der Schweiz. Trotz der hohen Treibhausgasemissionen ist der internationale Flugverkehr von der Kerosinsteuer, der Mehrwertsteuer und der CO2-Abgabe befreit. Die Luftfahrt ist also heute erheblich subventioniert, was zu sehr günstigen Flugpreisen führt und die Nachfragezunahme weiter beschleunigt. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die Schweiz die Flugticketabgabe einführt, um ein Minimum an Kostenwahrheit herzustellen und die negativen Auswirkungen des Luftverkehrs auf das Klima zu senken.
Das Parlament hat die Möglichkeit, mit der Einführung einer Flugticketabgabe im Rahmen der Revision des CO2-Gesetzes einen ersten Schritt in die richtige Richtung zu tun. Eine ähnliche Abgabe existiert bereits in zahlreichen europäischen Ländern wie England und in sämtlichen Nachbarländern.
In der Schweiz ist eine CO2-Abgabe auf Heizöl längst als Lenkungsmassnahme akzeptiert. Dass die Akzeptanz einer Flugticketabgabe in der Bevölkerung hoch ist, belegen Umfragen des Forschungsinstituts gfs-zürich im Auftrag der SES. Eine Mehrheit befürwortet die Einnahmen aus einer Flugticketabgabe in Klimaschutzprojekte in der Schweiz zu investieren.
Will die Schweiz die Pariser Klimaziele erreichen, muss sie ihre Verkehrs- und Klimapolitik zwingend anpassen. Die Pariser Klimaziele wollen die Klimaerwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius und besser 1,5 Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Zeitalter begrenzen. Ohne Reduktion der Flugverkehrs-Emissionen kann dieses Ziel nicht erreicht werden.
Die Organisationen umverkehR, VCS Schweiz, WWF Schweiz, die Schweizerische Energie-Stiftung, die Koalition KLUG, Alliance Sud und die Klima-Allianz (mit über 70 Organisationen) fordern, dass das Parlament jetzt Verantwortung übernimmt. Will die Schweiz eine wirkungsvolle Klimaschutzpolitik umsetzen, muss sie eine Flugticketabgabe einführen.
Artikel teilen
Artikel
Klimapolitik auf der Kriechspur
10.12.2018, Klimagerechtigkeit

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»
Adventszeit ist auch 2018 wieder Klimagipfel-Zeit. Doch weder für Besinnung, Verantwortungsgefühl oder gar Solidarität mit den Ärmsten wird in der Kohlestadt Kattowitz Platz sein. Und trotz des alarmierenden 1.5-Grad-Sonderberichts des Weltklimarats (IPCC) vom 8. Oktober wird die breite Öffentlichkeit von der COP 24 (Conference of the Parties, Vertragsstaatenkonferenz) absehbar wenig Notiz nehmen. Doch deren Ausgang wird ein Lackmustest für die Konkretisierung des Pariser Klimaübereinkommens. Denn bei dessen Unterzeichnung vor drei Jahren setzten sich die Staaten das Ziel, bis Ende 2018 das sogenannte Rule Book, das Regelwerk zur Umsetzung des historischen Abkommens von 2015, zu beschliessen. Es geht darum, die Kriterien und Methoden für die Zielsetzung, Überprüfung und Berichterstattung der Partnerländer in den verschiedenen Bereichen des Klimaabkommens festzulegen.
Christiana Figueres, die frühere Generalsekretärin der Uno-Klimarahmenkonvention, gibt sich zweckoptimistisch: Die COP 24 werde «eine technische COP», sei das Regelwerk erst einmal unter Dach und Fach, gebe es Platz «für ein politischeres nächstes Jahr». Verhalten zuversichtlich beurteilt auch die Schweizer Delegation die Vorverhandlungen: Es lägen «brauchbare Verhandlungstexte» vor, wobei die Differenzen – falls überhaupt (Red.) – wohl erst in der zweiten Konferenzwoche gelöst würden, wenn die MinisterInnen dazu stossen. Aber keine Ergebnisse seien immer noch besser als schlechte, heisst es in Bern. Übersetzt heisst das: Es liegen sich zum Teil diametral widersprechende Textvorschläge auf dem Tisch. Entsprechend nüchtern schätzt der für die Konferenz zuständige polnische Präsident, Michał Kurtyka, die Lage ein: Es werde «eine enorme Herausforderung», man müsse jetzt «an Hunderten von Seiten eines schwierigen, technischen Verhandlungstexts arbeiten».
Nord-Süd: Treten an Ort
Was diese Einschätzungen gemeinsam haben: Sie blenden die entwicklungspolitisch brisanten, auch nach Jahren ungelösten Differenzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern rundweg aus. So beharren die Industrieländer darauf, dass für alle Länder die gleichen Anforderungen an die Emissionsreduktion festgelegt werden; mit strengen Kriterien für die Klimazielsetzung, Überprüfung und Berichterstattung. Von der «Kooperationsbereitschaft der Entwicklungsländer» machen sie weitere Schritte im – im Abkommen gleichgestellten! – Bereich der Klimafinanzierung und der Anpassung an fortschreitende Klimaveränderungen abhängig.
Die Verantwortung für die bisherigen, vom globalen Norden zu verantwortenden Klimaveränderungen wird weiterhin verdrängt; die Dringlichkeit der Finanzierung sofortiger Massnahmen in den ärmsten, von der Klimaveränderung gebeutelten Gesellschaften des globalen Südens wird zum Poker-Chip in den Verhandlungen degradiert. Das ist umso stossender, als im Pariser Klimaabkommen klipp und klar steht, dass die Industrieländer gemäss dem Verursacherprinzip die immer dringender werdenden Anpassungsmassnahmen in den ärmsten und verwundbarsten Länder ohne Wenn und Aber ausreichend unterstützen müssen. Zur Erinnerung: Der faire Anteil der Schweiz dafür wird sich jährlich auf rund 1 Milliarde CHF belaufen.
Auch wenn die EU anfangs November in einer Resolution die Bedeutung und Stärkung ihrer Klimafinanzierungsbeiträge mit Fokus auf Anpassungsmassnahmen in den ärmsten Ländern bekräftigt habt: Eine Lösung der Differenzen zwischen Nord und Süd ist in Kattowitz nicht zu erwarten.
Auch die jüngsten politischen Entwicklungen geben wenig Anlass für Optimismus, dass die internationale Klimapolitik bald von der Kriech- auf die Überholspur wechseln könnte. In Europa lahmt mit Deutschland das Zugpferd einer ambitionierten Klimapolitik und in Brasilien – eines der Schwellenländer, dessen Klimaverantwortung längst nicht mehr die eines armen Entwicklungslandes ist – hat ein umweltfeindlicher Populist die Präsidentschaft übernommen, der wie sein US-Vorbild aus dem Klimaübereinkommen auszusteigen droht. Dass die COP 25 im November 2019 wie eigentlich vorgesehen in Brasilien stattfinden soll, erscheint unter diesen Vorzeichen nachgerade zynisch.
Die Schweiz bremst weiter
Und wie steht es in der Schweiz, wo das revidierte CO2-Gesetz das Herzstück einer Paris-kompatiblen Klimapolitik werden soll? Der Bundesrat schlägt vor, die Inland-Emissionen ab 2020 um jährlich gerade mal 1% zu reduzieren und bricht damit seine in Paris gemachte Zusage. Zwar weckte der Hitzesommer 2018 die Hoffnung auf einen politischen Stimmungswandel (siehe global 71/2018), doch in der nationalrätlichen Umweltkommission folgte die Enttäuschung auf dem Fuss: Der klima- wie entwicklungspolitisch vielversprechendste Vorschlag, die Einführung einer Flugticketabgabe mit Zweckbindung für Klimaschutzmassnahmen, unterlag knapp mit 12 zu 13 Stimmen. Die Nachbarn der Schweiz sind da schon deutlich weiter, in Frankreich wird die bereits eingeführte Flugticketabgabe sogar explizit für Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt. Ob es das von bürgerlichen Parteien dominierte Parlament hierzulande letztlich doch noch schaffen wird, ein griffigeres neues CO2-Gesetz zu formulieren, das die Verpflichtungen der Schweiz im Bereich internationale Klimafinanzierung nicht einfach ausblendet, bleibt abzuwarten. Zu hoffen ist, dass nach den Wahlen vom kommenden Herbst die Volksvertretung klimapolitisch fortschrittlicher zusammengesetzt ist.
Artikel teilen
Artikel
Der Weg ist frei für eine neue Klimapolitik
25.03.2019, Klimagerechtigkeit

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»
Die Sitzung der Umweltkommission des Ständerats (UREK-S) vom 11. Februar 2019 könnte als Wendepunkt in die Geschichte der Schweizer Klimapolitik eingehen. Bei der Beratung des neuen CO₂-Gesetzes hat die Kommission Positionen übernommen, für die Alliance Sud und die Klimaallianz seit Jahren gekämpft haben: Sie will die Vorlage des Bundesrats deutlich verschärfen und die Ziele des Pariser Klimaübereinkommens explizit im nationalen Recht verankern. Gemäss Medienmitteilung der UREK-S habe die Kommission «ohne Gegenstimme beschlossen, dass mit dem Gesetz ein Beitrag geleistet werden soll, den Anstieg der Erdtemperatur auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel zu erhöhen.»
Dass zudem «die Finanzmittelflüsse mit der angestrebten emissionsarmen Entwicklung in Einklang gebracht werden sollen», mutet angesichts der bisherigen kategorischen Blockade der Bürgerlichen bei diesem Thema geradezu revolutionär an. Denn es bedeutet nichts anderes als dass der weltweit grösste Offshore-Investitions- und Finanzplatz auf Klimaverträglichkeit getrimmt werden soll. Wie, das will die Kommission an ihrer Sitzung vom 1. April besprechen. Ob der Kommissionsvorschlag in der Ratsdebatte der absehbaren Gegenattacke der einflussreichen Finanzlobby standhalten wird, bleibt abzuwarten.
Als Zeichen der sich abzeichnenden Trendwende in der Schweizer Klimapolitik ist auch die Ankündigung von FDP-Präsidentin Petra Gössi Mitte Februar einzuordnen, sie wolle ihre Partei auf einen klimafreundlichen Kurs einschwören. Ob die Forderung, dass «eine verursachergerechte Finanzierung der ohnehin zu leistenden internationalen Klimafinanzierung» zu prüfen sei – notabene eine der Hauptforderungen von Alliance Sud –, mehr als nur Wahltaktik ist, wird sich vielleicht erst im neuen Parlament zeigen. Nach der unrühmlichen Rolle, durch welche die FDP das CO₂-Gesetz im Nationalrat zu Fall brachte, sind begründete Zweifel angebracht.
Lenkungsabgaben mit Zweckbindung
Von bedeutend grösserer Tragweite als der überraschende Salto vorwärts mancher Bürgerlicher ist das neue Rechtsgutachten „Internationale Klimafinanzierung“, das die renommierten Anwaltskanzleien ettlersuter und Hauser Ende Februar vorgelegt haben: Das hochkarätige Team aus Verfassungs- und UmweltjuristInnen begründet minutiös, dass einer zweckgebundenen Verwendung der Einnahmen aus der CO2- oder anderen (etwa auch Flugticket-)Abgaben zugunsten der internationalen Zusammenarbeit im Klimabereich verfassungsrechtlich nichts im Wege steht. Im Gegenteil, das Gutachten argumentiert, es sei nicht nur rechtens, Teile, sondern die gesamten Erträge aus Klima-Lenkungseinnahmen für Klimaschutzmassnahmen in Entwicklungsländern einzusetzen; das schliesst explizit Massnahmen zur Emissionsminderung und zur Anpassung an Klimaveränderungen oder Stärkung der Resilienz besonders betroffener Bevölkerungen und Regionen mit ein.
Was für juristische Laien vor allem kompliziert, aber wenig spektakulär klingen mag, ist jedoch genau das: Das juristische Gutachten legt den Grundstein für einen veritablen Paradigmenwechsel in der Schweizer Klimapolitik. Denn es widerlegt auf 120 Seiten hieb- und stichfest das jahrelang von Politik und Verwaltung vorgebrachte Argument, dass Erträge aus Lenkungsabgaben nicht ohne Verfassungsänderung für internationale Klimafinanzierung eingesetzt werden dürften.
Auch eine mögliche Einschränkung wird relativiert: Die Verfassung kennt einen Vorbehalt für Bundessteuern, um das Steuersubstrat der Kantone zu schützen. Bei einem Betrag von bis zu 1 Milliarde Franken pro Jahr – also dem von Alliance Sud errechneten Beitrag der Schweiz an die internationale Klimafinanzierung – könne dieser Vorbehalt nicht angeführt werden.
Die relevanten Artikel der Bundesverfassung
Die Begründung des Gutachtens stützt sich auf zwei hinlänglich ausreichende Artikel der Bundesverfassung ab:
Artikel 74 BV definiert den Umweltschutz als eine Querschnittskompetenz des Bundes. Dies legitimiere Massnahmen gegen die Klimaveränderung im Sinne eines globalen Umweltproblems, «das sich nur durch internationale Zusammenarbeit und durch Handeln sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene bewältigen lässt».
Artikel 54 BV wiederum weist dem Bund die allgemeine und umfassende Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten zu. Dazu gehören insbesondere auch Fragen des internationalen Klimaregimes. Das Gutachten legt dar, dass Art 54 BV per se bereits eine genügende Grundlage für die Erhebung von Klima-Lenkungsabgaben zwecks Klimafinanzierung bildet. Und weil insbesondere Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern «zur Linderung von Not und Armut» beitragen, können deren Erträge gestützt auf Art. 54 BV explizit auch dafür eingesetzt werden.
Diese Erkenntnisse wendet das von Alliance Sud in Auftrag gegebene Gutachten auch auf die derzeitige CO2-Gesetzesvorlage des Bundesrats an und bemängelt, dass diese weder eine Grundlage für Beiträge an die internationale Zusammenarbeit im Klimabereich bietet, noch besondere Mechanismen im Hinblick auf deren Finanzierung vorsieht.
Besonders hart geht das Gutachten mit dem Bundesratsbericht «Internationale Klimafinanzierung» vom Mai 2017 ins Gericht. Ohne fundierte Untersuchungen zur Frage der Verwendung von Abgabeerträgen stelle sich der Bundesrat darin auf den Standpunkt, dass die meisten Finanzierungsinstrumente eine Verfassungsänderung erfordern würden und darum «kaum realisierbar» seien. Pikant ist, dass sich der Bericht auf eine interdepartementale Analyse von 2011 abstützt, die lange unter Verschluss gehalten worden war. Damit bestätigt sich, was Alliance Sud schon vor 2 Jahren kritisierte: Im Hinblick auf die 2021 fällig werdenden Klimafinanzierungsbeiträge der Schweiz von rund 1 Milliarde Franken pro Jahr verweigert sich der Bundesrat bis heute ernsthaften Anstrengungen, neue Finanzierungsinstrumente zu prüfen um die notwendigen, zusätzlichen Mittel verursachergerecht zu mobilisieren. Stattdessen sollen die Pariser Verpflichtungen zur Bewältigung des Klimanotstands aus den beschränkten Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit bezahlt werden.
Paris auf nationale Ebene heruntergebrochen
In der juristischen Herleitung dieser Standpunkte interpretiert das Gutachten weitere Aspekte des Pariser Klimaübereinkommens, die als Richtschnur dienen, wie die Schweiz ihre Klimapolitik zu gestalten hat.
- Das Pariser Klimaübereinkommen habe «nicht isoliert die Treibhausgasemissionen zum Gegenstand, sondern die Lösung des Klimaproblems insgesamt», wozu sowohl Emissionsminderungs- als auch Anpassungsmassnahmen zählten. Aus dieser Perspektive trage auch eine Lenkungsabgabe auf Treibhausgasemissionen letztlich zur Lösung des Klimaproblems bei.
- Von Menschen herbeigeführte Klimaveränderungen seien keine Naturkatastrophen, Anpassungsmassnahmen könnten nicht mit der Bewältigung der Folgen von Naturkatastrophen gleichgesetzt werden. Weil das Pariser Klimaübereinkommen die Gewichtung der Adaptation gegenüber der Emissionsreduktion verschoben hat, stehe «die präventive Begrenzung der schädlichen Wirkungen der Klimaveränderung und Stärkung der Resilienz» im Vordergrund. Damit könnten auch Anpassungsmassnahmen «durch Erträge einer Klimalenkungsabgabe auf der Emission von Treibhausgasen finanziert werden.»
- Massnahmen zur Emissionsminderung in Entwicklungsländern (Mitigation) setzen deren Stärkung in der Widerstandskraft gegenüber der Klimaveränderung (Resilienz) voraus. Wer die Minderung von Emissionen als oberste Priorität im Klimaschutz im Sinne der Ursachenbekämpfung sieht, muss sich konsequenterweise ebenso stark machen für adäquate Klimafinanzierung – und das insbesondere für die Unterstützung der Anpassung und Stärkung der Resilienz in den einkommensschwächsten Entwicklungsländern (LDC) und kleinen Inselentwicklungsländern (SIDS).
- Klimafinanzierung könne nicht (mehr) nur als «Gegengeschäft» zum Einverständnis der Entwicklungsländer betrachtet werden, ihrerseits Treibhausgase zu reduzieren. Vielmehr stelle sie einen Beitrag der Industrieländer dar, ihren eigenen Fussabdruck und dessen Auswirkung ausserhalb der Landesgrenzen zu verringern. Dies sei «umso wichtiger als viele Industrieländer Produkte mit hoher CO2-Belastung nicht mehr selber produzieren, sondern aus Entwicklungs- und Schwellenländern importieren» und so für deren nationale Emissionen mitverantwortlich sind.
Alliance Sud-Position vollumfänglich bestätigt
Schliesslich hält das Gutachten fest, dass eine Flugticketabgabe als reine Lenkungsabgabe im Einklang mit dem Völkerrecht und der Verfassung eingeführt und deren Erträge für die internationaler Klimafinanzierung eingesetzt werden könne. Das Gutachten widerspricht in diesem Punkt klar der langjährigen Auffassung des Bundesrates in der Beantwortung verschiedener parlamentarischer Vorstösse.
Jahrelang waren Alliance Sud und ihre Alliierten mit der Forderung nach #Klimagerechtigkeit und verursachergerechter #Klimafinanzierung einsame Ruferinnen in der Wüste. Inzwischen finden sich solche Begriffe nicht mehr nur auf Social media und Transparenten klimastreikender SchülerInnen. Der #Klimanotstand hat inzwischen auch Eingang in Wahlkampf-Broschüren gefunden. Sicher, der Beweis, dass der sich in den letzten Wochen abzeichnenden Trendwende auch tatsächlich #ClimateAction folgt, steht noch aus. Letztlich haben es die Stimmberechtigten in der Hand, am 23. Oktober aus einer modischen Hashtag-Terminologie eine #Klimawahl zu machen.
«Wäm sini Zuekunft? Euseri Zuekunft!»
Lange hat es gedauert, doch jetzt ist sie plötzlich da: Die Schweizer Klimabewegung. Es ist müssig zu spekulieren, was seit letztem Dezember Schweizer Jugendliche in allen Landesteilen zu Zehntausenden für eine konsequente Klimapolitik demonstrieren lässt. War es die schamlose Ignorierung des Pariser Klimaabkommens durch den Nationalrat bei der Beratung des neuen CO₂-Gesetzes in der Wintersession oder doch eher das role model #GretaThunberg? Wahlweise schwafeln Klimaleugner und Verschwörungstheoretiker jetzt von der «Wühlarbeit» der NGOs oder vermuten die rot-grünen Jungparteien hinter der dezentralen Jugendbewegung. Dabei blenden sie aus, dass sich eine solche Mobilisierung weder kaufen und erst recht nicht instrumentalisieren lässt. Denn die Stärke der #Klimastreik-Bewegung ist gerade ihre urdemokratische Art der Meinungsbildung, deren – für einmal sei Social Media Dank – breite Vernetzung über tausende Gymnasien und Fachhochschulen und die vielen klugen Köpfe, die den Medien ohne falsche Scheu und Egotrip begegnen.
Die vermeintlich plötzliche Politisierung und Radikalisierung Zehntausender, die häufig noch gar nicht wählen dürfen, provoziert bei bürgerlichen PolitikerInnen unterschiedliche Reaktionen: Von plumper Herablassung («Bald steht die nächste Klassenreise im Flugzeug an, der Spuk wird sich von selbst erledigen») bis zu ernsthafter Besorgnis, dass da eine gut ausgebildete Generation heranwächst, die fehlgeleitete Politik («F*** De Planet») erkennt und für alle verständlich benennt.
Medial etwas in den Hintergrund gerückt ist die Tatsache, dass sich in Sachen Klimaprotest Seniorinnen noch vor der Jugend bewegt haben. Seit August 2016 setzt sich der Verein Klimaseniorinnen für «eine unabhängige gerichtliche Überprüfung der Klimapolitik ein». Unser Ziel ist es, heisst es auf ihrer Website, dass der Staat seine Schutzpflichten uns gegenüber wieder wahrnimmt und ein Klimaziel verfolgt, das der Anforderung genügt, eine gefährliche Störung des Klimasystems zu verhindern – im Grunde übrigens dieselbe Forderung wie die der SchülerInnenbewegung, die vom Staat verlangt, den «Klimanotstand» auszurufen. Eine im November 2016 beim Umweltdepartement UVEK eingereichte Klage der Klimaseniorinnen, dass die Schweizer Klimapolitik ihre Grundrechte verletze, wurde am 7. Dezember 2018 auch vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen. Gut denkbar, dass auch das zur Mobilisierung der EnkelInnen der Klima-Grossmütter beigetragen hat. DH
Artikel teilen
Artikel
Auf Frauen hören bei der Bekämpfung der Klimakrise
14.06.2019, Klimagerechtigkeit
Die Klimakrise und der Kampf um Frauenrechte haben mehr miteinander gemeinsam als auf den ersten Blick ersichtlich. Denn Klimaveränderungen verstärken Diskriminierungen – auch im globalen Süden.

© Penny Tweedie/Panos
von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»
Frauen nehmen die bedrohliche Klimathematik ernster als Männer. Frauen wollen eher Ressourcen schonen und sind eher bereit, ihr Verhalten zu ändern. Männer dagegen neigen eher zu riskanten technischen Lösungsansätzen der Klimakrise.[1] Studien zufolge haben Frauen eine bessere CO2-Bilanz als Männer, sie fahren weniger und sparsamere Autos, essen häufiger vegetarisch und achten beim Einkauf vermehrt auf ökologische Produkte.
Gleichzeitig sind Frauen und Mädchen überproportional von den Auswirkungen der Klimaveränderung betroffen; vor allem in Entwicklungsländern. Und trotzdem werden lokale, von Frauen geprägte Lösungsansätze oft ignoriert.
Das sind einige der Themen, mit denen sich das globale Frauen-Netzwerk Women Engage for a Common Future (WECF) befasst und die es u.a. auf grossen, informativen «Educational Posters» ins öffentliche Bewusstsein bringt.
Alliance Sud befragte Katharina Habersbrunner und Anne Barre vom WECF, die dort für die Umsetzung geschlechtergerechter Klima- und Energieprojekte bzw. eine gendergerechte Ausgestaltung der Klimapolitik zuständig sind.
Alliance Sud: Warum braucht es einen feministischen Zugang zur Klimakrise?
WECF: Es geht nicht darum, Stereotype zu bedienen, aber patriarchal geprägte Handlungsmuster wirken sich direkt auf die Klimakrise und den Umgang damit aus. Die Klimaveränderung ist nicht geschlechtsneutral, weder im globalen Norden noch im Süden.
Nicht nur in Entwicklungsländern haben Frauen weniger politische Entscheidungsmacht, weniger Zugang zu Ressourcen, von Finanzmitteln über Eigentum bis hin zu Bildung und Information. Gleichzeitig erreichen neue Entwicklungen wie etwa erneuerbare Energien die Frauen meist schlechter oder später als Männer. Bei der Planung, Implementierung und Evaluation von klimafreundlichen Techniken oder Projekten werden sie kaum eingebunden, obwohl Frauen die Bedürfnisse ihrer Familien besser kennen und damit die direkteren Nutzerinnen von Energie sind. Es fließen derzeit nur gerade 0,01% der gesamten Klimafinanzierung in explizit geschlechtersensible Klimalösungen.
Welches sind aus Frauensicht die Herausforderungen oder auch Chancen im Zusammenhang mit der Klimakrise und nachhaltiger Entwicklung?
Weil Frauen der Zugang zu Information oder Unwetterwarnungen vorenthalten wird, sterben sie bis zu 14-mal häufiger als Männer an den Folgen von Klimakatastrophen.[2] In vielen Ländern dürfen Frauen nicht alleine auf die Strassen gehen, sie sind in der Regel weniger mobil und werden weniger in überlebensrettende Trainings einbezogen als Männer. Den Tsunami in Südostasien 2004 überlebten nach Schätzungen von Oxfam fast vier Mal mehr Männer, weil sie im Gegensatz zu Frauen schwimmen konnten.
Vor allem aber zwingen die schleichenden Klimaveränderungen in armen Ländern den Frauen und Mädchen immer längere und beschwerlichere Arbeit auf, um die Felder zu bewirtschaften oder den Haushalt mit Energie und Wasser zu versorgen. Sie sind es, die infolge der Klimaveränderung zuerst ihr Einkommen verlieren, vorzeitig die Schule verlassen müssen oder zwangsverheiratet werden.
Obwohl Frauen in vielen Ländern für die (Subsistenz-)Landwirtschaft und damit für die Ernährung der Familien zuständig sind, haben sie oft weder Grundbesitz- noch Entscheidungsrechte was den Boden angeht, den sie bearbeiten. Das gilt auch für die Wasserversorgung. Liegt der Fokus bei Anpassungsmaßnahmen auf rein technischen Lösungen, so werden die Bedürfnisse der Direktbetroffenen, also von Frauen und Mädchen, viel zu oft ausgeblendet.
Noch bezeichnender sind fehlkonstruierte Zyklon-Notunterkünfte in Bangladesch: Weil gender-spezifische Bedürfnisse nicht in die Planung einflossen, sind Frauen während Unwettern vermehrt sexuellen Belästigungen von Männern ausgesetzt, etwa wenn Sanitäranlagen ohne Beleuchtung und weit von den Aufenthaltsräumen entfernt liegen.
Oft wird Frauen auch schlicht der Zugang zu Lösungen verwehrt: In Georgien hat WECF mit lokalen PartnerInnen Solarkollektoren für Warmwasser entwickelt, die vor Ort produziert werden. Das reduziert die Abholzung, spart vor allem Frauen Zeit und Geld. Doch leider stockt die Umsetzung, denn die Frauen bekommen anders als Männer mit weniger Einkommen kaum Darlehen; oder es werden viel höhere Zinssätze verlangt als bei Männern.
Frauen wird oft eine besondere Rolle in der Bewältigung der Klimakrise zugeschrieben…
Frauen sind aufgrund ihrer Rolle als Familienmanagerinnen und Care-Arbeiterinnen oft viel direkter darauf angewiesen, praktische Alltagslösungen auf Klimaveränderungen zu entwickeln. Weil sie Gemeinschaften mobilisieren können, werden sie oft als change agents gesehen. Tatsächlich setzen sich Frauen in allen Teilen der Welt für innovative, effektive und bezahlbare Strategien vor Ort ein. Doch solche lokalen low-tech Ansätze erhalten in der Regel viel weniger politische Unterstützung und Finanzierung als hoch-technische und kommen somit kaum im notwendigen grossen Stil zur Anwendung.
Auf der letztjährigen Weltklimakonferenz in Kattowitz wurde ein Gender-Aktionsplan (GAP) verabschiedet. War das ein Wendepunkt für eine geschlechtergerechtere Klimapolitik?
Die konsequente Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau, das sogenannte gender mainstreaming wurde im über 25-jährigen Prozess der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) erst spät anerkannt. Und dies obwohl gender-gerechte Massnahmen einen wichtigen Beitrag zur Wirksamkeit der Klimapolitik leisten. In der Präambel des Pariser Klimaübereinkommens wird nun völkerrechtlich verbindlich gefordert, Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit und die stärkere Teilhabe von Frauen in allen Aktivitäten zur Bekämpfung der Klimaveränderung zu berücksichtigen.
Der GAP konkretisiert diese Forderungen in fünf Kernbereichen: Kapazitätsaufbau, Wissensaustausch und Kommunikation zum Beispiel durch Gender-Trainings in den Uno-Institutionen; Geschlechterparität in Führungspositionen bei den Klimakonferenzen und in den Ländern; Kohärenz, dass Beschlüsse zu Geschlecht und Klimawandel auch in den Massnahmen der übrigen Uno-Organisationen umgesetzt werden; gendersensible Umsetzung inklusive der dafür notwendigen Mittel sowie gendersensibles Monitoring und Berichterstattung über getroffene Klimamassnahmen.
Weil die Vertragsstaaten geschlechtsspezifische Daten erheben und ihre Klimapolitik einer Genderanalyse unterziehen müssen, werden Regierungen dazu gebracht, Genderpolitik und Klimapolitik zusammen zu denken. Der GAP bildet also die Basis für eine geschlechtergerechte(re) Klimapolitik. Aber es braucht noch deutliche Fortschritte in der Umsetzung sowie ambitioniertere Entscheidungen in den kommenden Klimakonferenzen.
Es gibt aber auch Wissenschafterinnen, die Kritik an der «Feminisierung der Klimakrise» üben. Sie zielt u.a. darauf, dass die Arbeitsteilung nach Geschlechtern zementiert würde, während Frauen von den zentralen Verhandlungen über die internationale Klimapolitik nach wie vor weitgehend ausgeschlossen bleiben. Wie beurteilen sie diese Thesen?
Werden bestehende Strukturen innerhalb einer Gemeinschaft oder eines Haushalts ausgeblendet, so pflanzen sich vorherrschende Machtstrukturen und soziale Ungleichheiten in Projekte und Politiken fort oder werden gar noch verstärkt. So betrachtet verlangsamt eine genderblinde Klimapolitik tatsächlich das Finden von Lösungen zur Eindämmung der Klimakrise. Insofern stimmen wir der These der «Feminisierung der Klimakrise» absolut zu. Die Klimaveränderung wirkt wie ein Risikomultiplikator und verstärkt bestehende Diskriminierungen, die Frauen aufgrund ihres geringen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Status erfahren. Es ist darum wichtig zu betonen, dass Frauen vor allem aufgrund traditioneller Rollenverteilung in den meisten Gesellschaften anfälliger sind für die Auswirkungen des Klimawandels. Darum ist die verbindliche Umsetzung des GAP mit seinen verschiedenen Ebenen so wichtig. Je mehr Frauen auf allen Ebenen in die Entscheidungen miteingebunden werden, desto erfolgreicher die Klimapolitik.
Women Engage for a Common Future
WECF ist ein internationales Netzwerk von mehr als 150 Frauen- und Umweltorganisationen in 50 Ländern. WECF setzt sich für die lokale Umsetzung nachhaltiger Klimalösungen und die Förderung geschlechtergerechter politischer Rahmenbedingungen weltweit ein. Als Gründungsmitglied der Women and Gender Constituency des UNFCCC (Uno-Klimarahmenkonvention) und offizieller Partner des Uno-Umweltprogramms UNEP implementiert WECF in den Bereichen Klima und Gender Politiken, die eng miteinander verzahnt sind und die Kapazitäten von Frauen durch Klimaprojekte vor Ort stärkt.
[1] World Bank, World Development Report 2012
[2] UNFPA, Women on the frontline
Artikel teilen
Artikel
Gerecht sein, ein moralischer Imperativ
07.10.2019, Klimagerechtigkeit

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»
Im Rahmen der «Fridays for Future»-Klimastreiks, aber auch an der nationalen Demonstration «Klima des Wandels» vom 28. September war der Begriff «Klimagerechtigkeit» omnipräsent. Im Kontext der jugendlich geprägten Streikbewegung zielt «Klimagerechtigkeit» auch auf die ältere Generation: Ihr hinterlässt uns eine Welt am Abgrund, ihr habt ein Problem geschaffen, das wir lösen müssen. Das ist ungerecht.
Klimagerechtigkeit meint aber noch viel mehr: Es geht um eine ethische und politische Herangehensweise an die menschengemachte Klimaveränderung, und zwar im historisch-geographischen Kontext; die einen profitieren, die anderen bezahlen. Darum kann es nicht angehen, die dramatischen Folgen der Erwärmung der Erdatmosphäre als rein technisches Umweltproblem zu betrachten. Auch das wäre ungerecht.
Klimagerechtigkeit als Konzept umfasst also auch globale Verteilungs- und Gleichstellungsfragen. Und der Begriff ist alles andere als neu: Alliance Sud beschäftigt sich seit Jahren mit Fragen von Entwicklung und Gerechtigkeit im Spannungsfeld der globalen Klimaveränderung; und schlägt praktikable Lösungen vor zur Bewältigung der fortschreitenden Klimakrise.
In seinen Ursprüngen geht der Begriff Klimagerechtigkeit auf die Ausarbeitung der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) von 1992 zurück, als erstmals über die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen verhandelt wurde. Geprägt wurde er durch Menschenrechts- und Gleichstellungüberlegungen und der Forderung, dass jedem Erdenbewohner grundsätzlich dasselbe begrenzte «Emissionsbudget» zustehen sollte. Weil die wohlhabenden Länder des Westens ihren Wohlstand im 20. Jahrhundert auf dem Verbrennen billiger fossiler Energieträger aufgebaut hatten, ist es a priori ungerecht, den «nachfolgenden Entwicklungsländern» dasselbe nun zu verwehren. So wurden im Kyoto-Protokoll 1997 die «bereits entwickelten Staaten» in die Pflicht genommen, ihre Emissionen zu reduzieren; Entwicklungsländer sollten fossile Energien vorerst weiter nutzen dürfen.
Angesichts der seither schneller als erwartet fortschreitenden Klimaveränderung muss die Forderung nach globaler Gleichbehandlung von einem Recht in eine Pflicht umgedeutet werden: Jeder Mensch muss sich gleichermassen anstrengen, seinen Klimafussabdruck zu reduzieren. Das heisst, dass viel emittierende Erdenbewohner wie wir SchweizerInnen sehr viel mehr zur weltweiten Reduktion von menschengemachten Treibhausgasen beitragen müssen als die pro Kopf für weitaus weniger Emissionen verantwortlichen Menschen des globalen Südens. Als Prinzip wurde diese Sichtweise notabene schon in der Rahmenkonvention von 1992 im Ansatz der «gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwortlichkeit» verankert. Im Klartext bedeutet das: Will die Weltgemeinschaft die Treibhausgas-Emissionen rasch eliminieren, müssen die wohlhabenden Industrieländer – und zunehmend auch die aufstrebenden Schwellenländer – nicht nur ihren eigenen, viel zu grossen CO₂-Fussabdruck verringern, sondern auch Entwicklungsländer dabei unterstützen, dass sie sich möglichst ohne Treibhausgas-Emissionen entwickeln können.
Klimagerechtigkeit als normatives Konzept muss heute aber noch weiter gedacht werden, über die Frage der Reduktion von Treibhausgas-Emissionen hinaus: Im Grunde geht es um die ungleiche Verteilung von Ursache und Wirkung in der globalen Klimaveränderung. Die fortschreitende Klimakrise manifestiert sich in verschiedenen Gegenden der Welt auf sehr unterschiedliche Weise. Und die Mittel, die Klimaveränderung einzudämmen oder sich gegen deren negative Auswirkungen zu wappnen, sind sehr unterschiedlich verteilt.
Vereinfacht ausgedrückt gipfelt Klimagerechtigkeit im Imperativ, dass jeder Mensch, jedes Land, aber auch jedes Unternehmen Klimaverantwortung übernimmt; sich nach den jeweiligen Mitteln und Möglichkeiten verantwortungsbewusst und verantwortungsvoll an der gemeinsamen Lösung der globalen Klimaproblematik beteiligt.
Klimaverantwortung und Verursachergerechtigkeit
Wer Klimaverantwortung hierzulande ernst nimmt, weiss, dass unser Klimafussabdruck auch Emissionen umfasst, die durch den Konsum von importierten Waren und internationale Flüge ausserhalb der Landesgrenzen entstehen. Im Fall der Schweiz machen diese pro Kopf fast das Doppelte des inländischen Fussabdrucks aus. Klimagerechtigkeit bedeutet in diesem Kontext, die Verantwortung für sämtliche Emissionen des eigenen Lebensstils zu übernehmen. Dabei sind jene Emissionen noch nicht eingerechnet, die durch Anlagen und Investitionen des Schweizer Finanzplatzes verursacht werden. Sie umfassen bekanntlich ein Mehrfaches davon. Die Frage ist brisant: Wer trägt die (Klima-)Verantwortung dafür?
Im Sinne von Verursachergerechtigkeit geht es darum, Verantwortung für die Folgen der eigenen Emissionen für Dritte zu übernehmen: Wenn ausgerechnet die Ärmsten in der Welt, die selber am wenigsten zur Klimaveränderung beigetragen haben, am vehementesten von deren Auswirkungen getroffen werden, müssen sich jene, die diese hauptsächlich zu verantworten haben, finanziell beteiligen. Klimagerechtigkeit bedeutet also auch, die Folgekosten der durch unser Konsumverhalten verursachten Klimaveränderung angemessen mitzutragen.
Der Pudels Kern: Internationale Klimafinanzierung
Globale Klimagerechtigkeit heisst also, die eigene Klimaverantwortung wahr- und ernst zu nehmen. Im Pariser Klimaübereinkommen manifestiert sich dies klipp und klar in der Verpflichtung der Industrieländer, gemeinsam 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern bereitzustellen. Das darf aber nicht auf Kosten der Entwicklungszusammenarbeit geschehen, wie dies die meisten wohlhabenden Länder – auch die Schweiz – tun.
Denn die Unterstützung der ärmsten und verwundbarsten Bevölkerungen im globalen Süden im Kampf gegen die Klimaveränderung ist nicht mit Armutsbekämpfung gleichzusetzen. Die Reduktion von Treibhausgasen (Mitigation) und der Schutz vor den Auswirkungen der fortschreitenden Klimaveränderung (Adaption) können Entwicklungszusammenarbeit zwar ergänzen, aber niemals ersetzen. Es ist daher zynisch, wenn die Schweiz und andere Länder den Entwicklungsländern denselben Franken zwei Mal verkaufen wollen; einmal als öffentliche Entwicklungshilfe und ein zweites Mal als Klimafinanzierung.
Das fordert Alliance Sud
Das Alliance-Sud-Positionspapier «Klimagerechtigkeit und internationale Klimafinanzierung aus entwicklungspolitischer Sicht» geht dem Zusammenhang zwischen Klima- und Entwicklungsaufgaben auf den Grund und schlägt konkrete Lösungen vor, wie jährlich 1 Milliarde Franken verursachergerecht zusätzlich zur Entwicklungszusammenarbeit zur Unterstützung von Klimamassnahmen in Entwicklungsländern mobilisiert werden können. Im neuen CO2-Gesetz muss dafür eine (teil-)zweckgebundene Flugticketabgabe eingeführt, die bestehende CO2-Abgabe auf Brennstoffe erhöht und auf Treibstoffe ausgeweitet werden.
Artikel teilen