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«Klimazahlungen aus Entwicklungshilfe finanzieren»

18.06.2015, Klimagerechtigkeit

Bafu-Direktor Oberle geht im GLOBAL+-Gespräch in die Offensive: Die Deza werde umdenken müssen. Statt auf Gender oder Gouvernanz zu setzen, soll die Schweizer EZA auf Klima umgepolt werden.

«Klimazahlungen aus Entwicklungshilfe finanzieren»

© Daniel Rihs/Alliance Sud

GLOBAL+: Was braucht es, damit der Klimagipfel in Paris in sechs Monaten nicht krachend scheitert wie jener in Kopenhagen (2009)?

Bruno Oberle: Wir erwarten nicht, dass in Paris alle anstehenden Probleme gelöst werden. Wir müssen aber vermeiden, allzu hohe Erwartungen zu wecken, um Enttäuschungen vorzubeugen. Ich fand das Ergebnis von Kopenhagen allerdings gar nicht so schlecht. Immerhin haben wir 100 Milliarden US-Dollar Klimafinanzierung pro Jahr für arme Entwicklungsländer ab 2020 beschlossen; und wir hatten die Staatsoberhäupter versammelt, also das Thema dort platziert, wo es hingehörte.

Paris soll nun konkretisieren, was man sich in Durban (2011) vorgenommen hat: Die Aufteilung der Welt zu überwinden in eine Hälfte, die reich und schuldig ist und liefern muss. Und eine andere, die arm und unschuldig ist und abwarten darf. 

Ein zentraler erster Pfeiler dazu sind die INDC, die Intended Nationally Determined Contributions. Mit diesen kann jedes Land selber sagen, wieviel zu reduzieren es bereit ist. Ein wichtiger zweiter Pfeiler sind die Regeln: MRV steht für Measurable, Reportable, Verifyable, das heisst, die Ziele sind zwar nicht verpflichtend, müssen aber überprüfbar sein. Diese neu vereinbarten Zielvorgaben und prozeduralen Regeln erlauben es reichen Staaten wie den USA und gewissen Entwicklungsländern, an Bord zu kommen und jenes Tempo anzuschlagen, das sie selbst für angebracht halten.
Ein wichtiger dritter Pfeiler ist die Finanzierung, die in Kopenhagen beschlossen wurde. Dazu dienen verschiedene Quellen, der Green Climate Fund ist eines der Instrumente. Frankreich hat jetzt noch einen vierten Pfeiler definiert, und den finde ich klug: Nach dem Motto «Lasst tausend Blumen spriessen» will man schauen, was der private Sektor, was alternative Initiativen ausrichten können.

Klimakonferenzen setzen den Konsens aller Länder voraus, weshalb man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt.

Über die einzelnen Staaten hinaus sind aber viele andere Player aktiv. Die Welt besteht nicht bloss aus einer Anzahl Regierungen. Man hat immer gewusst, dass der US-Senat die Kyoto-Verpflichtung nie ratifizieren wird. Hingegen sind US-Bundesstaaten so gross wie europäische Länder und eine Vielzahl privater Akteure aktiv geworden.  Generell gibt es überall lahme Enten und Pioniere. Die Pioniere handeln aus Überzeugung, weil sie wissen, dass es sie in der künftigen Welt konkurrenzfähiger macht.
Im Zuge der Klimakonferenz in Paris öffnet man jetzt quasi ein grosses Buch, in das jedes Land sein Reduktionsziel eintragen kann. Darin kann man später nachschauen und die Länder auf ihrem Wort behaften.

Aber dabei gerät doch das Ziel aus den Augen, dass der globale Temperartur-Anstieg 2 Grad Celsius nicht übersteigen darf?

Das ist natürlich das alles überstrahlende Ziel, das stellt niemand in Abrede. Aber das Klima ist nur ein Element in einer viel breiteren Agenda, in deren Richtung wir uns entwickeln sollten. Nämlich die der Sustainable Development Goals (SDG). Das ist «The World We Want» bzw. «The World We Need». 

Wenn wir Sie richtig verstehen, schwingt eine gewisse Desillusionierung über die Regierungsebene mit: Die Einigung auf ein griffiges Abkommen mit ausreichenden reduktions- und eben auch finanziellen Zielvorgaben halten Sie für eine überzogene Erwartung.

Wenn Sie es so formulieren, machen Sie wieder nichts anderes, als die Enttäuschung vorweg zu nehmen. Was ich sage ist: Um Resultate zu erzielen, brauchen wir die Mitwirkung von ganz vielen. Mit dem erwähnten Buch geben Staatsvertreter und führende Vertreter des privaten Sektors die allgemeine Richtung an und signalisieren, dass die Fragestellung relevant ist. Die Problemstellung, also das 2-Grad-Ziel, ist bekannt. Aber Merkel, Putin, Modi und Obama werden das Problem nicht alleine lösen. Sie werden quasi der Welt verkünden: «Dies ist ein wichtiges Thema, dieses Ziel müssen wir anstreben, es geht in diese Richtung». Und dann werden sie, aber auch andere, ihre Beiträge liefern.

Es könnten sich ja auch einzelne Länder oder Gruppen quasi als «fortschrittliche Klima-Clubs» in dieses Buch eintragen und signalisieren: «Selbst wenn Ihr noch nicht so weit seid, wir schreiten voran».

Es können sich schon Koalitionen von Willigen bilden, aber wichtig bleibt, dass diese eine gewisse Durchschlagskraft haben. Wenn sich Vanuatu, Tonga und die Schweiz zusammenschliessen, dann werden sie die Welt nicht ändern. Man weiss, welches die grossen CO₂-Emittenten sind. Wenn die nicht ein Teil dieser Initiativen sind, dann könnte es bei schönen Worten bleiben.

Verglichen mit unseren europäischen Nachbarn sind die Ziele der Schweiz weit weniger ambitiös. Würden wir uns mit Deutschland oder anderen grösseren Akteuren zusammentun, könnten wir auch als kleines Land viel mehr erreichen.

Die inländischen Pro-Kopf Emissionen der Schweiz sind knapp die Hälfte geringer als jene Deutschlands. Die zwei Länder sind sich sehr ähnlich – doch wir emittieren nur gut halb so viel wie sie. Jetzt kann man uns nacheifern, oder auch nicht. Ein Element, das hilft, Probleme zu lösen, sind Technologien; die Schweiz entwickelt und exportiert solche. China etwa produziert massenhaft Sonnenkollektoren, zu denen die Schweizer Wirtschaft massgebliche Technologie geliefert hat.

Ihr Vergleich mit Deutschland unterschlägt allerdings, dass die Schweiz durch ihren viel höheren Konsum von importierten Gütern pro Kopf nochmals so viele Emissionen im Ausland erzeugt wie im Inland.

Kyoto und UNFCCC (UN-Klimarahmenkonvention) sehen vor, dass die Rechnung nur die nationalen Emissionen erfassen. Würden alle Emissionen erfasst, für die wir verantwortlich sind, dann müsste der Staat ein Steuerungsinstrument besitzen, also Importe mit viel grauer Energie verbieten können. Damit würde man aber gegen Handelsabkommen verstossen.

Wie dem auch sei, Ende Mai ist Deutschland der «Carbon Pricing Leadership Coalition» beigetreten. Das gibt der ursprünglich schweizerischen Idee eines globalen CO2-Preises wieder Aufwind: Wäre die Zeit nicht reif für die Schweiz, den Vorschlag erneut aufzutischen?

In letzter Zeit gibt es ermutigende Signale. Es spricht nach wie vor sehr viel für einen globalen CO₂-Preis, weil das ein ordnungspolitisch sauberes Instrument und eine ideale Quelle für notwendige globale Investitionen wäre. Unser Vorschlag ging aber davon aus, dass alle Emissionen in allen Ländern einer Abgabe unterworfen wären. Um den Entwicklungsländern entgegenzukommen, hatten wir einen unterschiedlichen Abgabesatz für reiche und weniger reiche Länder vorgesehen. Zudem schlugen wir vor, dass die Erträge aus der Abgabe von Entwicklungsländern in nationalen Fonds verwaltet und für lokale Klimamassnahmen verwendet werden sollten.

Kommen wir zur internationalen Klimafinanzierung: Die 100 Mrd. Dollar sind zwar versprochen, aber es gibt keinen Fahrplan, wie wir bis 2020 dorthin kommen sollen. Deutschland hat vor kurzem angekündigt, ab 2020 jährlich 4 Mrd. Euro an öffentlichen Geldern bereit zu stellen. Auf die Schweiz umgerechnet, würde das 750 bis 800 Mio. CHF pro Jahr entsprechen. Ist die Schweiz bereit, Deutschland zu folgen? Das würde den Entwicklungsländern Mut machen, sich ebenfalls zu ambitiösen Reduktionsmassnahmen zu verpflichten.

Differenzieren wir: «Die Entwicklungsländer» gibt es nicht. Es besteht absolut kein Zweifel, nirgendwo, dass die LDC, die Least Developed Countries, unterstützt werden müssen und dass sie, zumindest heute, so gut wie nichts beitragen zur Klimaerwärmung. Das gilt aber nicht zwingend für alle G77-Staaten. Grosse, aufstrebende Industrieländer wie China, Brasilien oder Südafrika sind nicht mehr im selben Ausmass auf ökonomische Hilfe angewiesen. Es wird im Gegenteil darüber diskutiert werden, inwiefern sich diese Länder künftig an der Klimafinanzierung beteiligen.

Klar, wir sprechen von den ärmeren Entwicklungsländern. Aber gerade von diesen wird erwartet, dass sie das zustande bringen, was wir nicht schafften: Sich zu entwickeln, ohne auf diesem Weg massiv mehr Klimagase zu emittieren.

Um die Menschheit auf diesem Planeten nachhaltig und würdig zu organisieren, braucht es ausserordentlich grosse Finanzmittel. Heute ist dies dringender denn je, weil wir alle die negativen Folgen des Klimawandels zu spüren beginnen. Eine Verzögerung der nötigen Investitionen würde uns enorm viel Geld kosten, ganz abgesehen von Menschenleben. In einer solchen Situation sind die öffentlichen Finanzen schlicht und einfach überfordert.

Das Problem ist nicht die Höhe der benötigten Finanzen. Es werden sowieso Aber-Milliarden in Infrastrukturen, Transport- und Produktionssysteme investiert. Es geht doch darum, sie in die richtige, treibhausgasarme Richtung zu lenken. Und um solche notwendigen Anreize zu schaffen, braucht es öffentliche Gelder.

Ja, es sind sehr hohe Beträge im Klimabereich, aber auch in anderen Bereichen der Nachhaltigkeit. Und nein, es braucht nicht nur öffentliche Gelder. Sie werden ein Teil der Lösung sein, aber auch private Investoren müssen davon überzeugt werden, sich in diesen Bereich zu engagieren. Investoren, private und öffentliche, verlangen aber klar strukturierte Projekte, eine vertrauenserweckende Gouvernanz und eine Rendite.

Das ist ja der Punkt: Um private Investoren «zu überzeugen», sind öffentlich finanzierte Marktsteuerungsmassnahmen notwendig. Das macht der Privatsektor nicht alleine. Aber solche dürfen und können nicht aus dem Entwicklungshilfe-Budget finanziert werden, weil dies auch dem Entwicklungshilfegesetz widerspricht… 

Zurück zur Frage der 100 Mrd. Dollar für die Klimafinanzierung. Unsere Position unterscheidet sich von jener Deutschlands. Deutschland übernimmt 10% der 100 Milliarden, und zwar zu 40% mit öffentlichen, zu 60% mit privaten Geldern. Die Schweiz macht bei der Bestimmung des eigenen Anteils an den 100 Milliarden eine Mischrechnung zwischen der Höhe des Bruttosozialprodukts und unserem inländischen Anteil an den Emissionen. Das entspricht der schweizerischen Gesetzgebung und ergibt einen Beitrag von grob geschätzt einer halben Milliarde. Davon sind ein Drittel öffentliche, zwei Drittel private Gelder.

Versprochen wurden die 100 Mrd. Dollar aber als zusätzliche Gelder zur bestehenden Entwicklungshilfe.

Die öffentlichen Mittel sind, wie in Kopenhagen beschlossen, neu und zusätzlich, und zwar im Rahmen der Aufstockung des ODA-Rahmenkredites (ODA = Official Development Assistance) auf 0.5% des BSP. Sie sind in der Finanzplanung entsprechend vorgesehen.

Das war bis jetzt vielleicht so. Und wenn auf die international vereinbarten 0.7% des BNE für ODA aufgestockt würde, könnte man diese Argumentation sogar weiterziehen. Aber weil die schweizerische ODA auf 0.5% plafoniert ist, ginge die Finanzierung der internationalen Klimabeiträge ab 2020, wie Sie sie skizzieren, auf Kosten von Nahrung, Bildung Gesundheit oder anderer klassischer Entwicklungsprojekte.

Ja, das kann sein. Doch was heisst denn «klassische Entwicklungshilfe»? Die Prioritäten der ODA werden sowieso in Zyklen immer wieder neu gesetzt: Es war schon Gender, oder auch Dezentralisierung oder Demokratieförderung. Im Moment ist das Klima im Fokus. Und es wurde entschieden, dass die Klimafinanzierung im Rahmen der ODA stattzufinden hat. Im Übrigen ist dies voll und ganz im Interesse der Ärmsten, denn sie werden von den Folgen des Klimawandels am härtesten getroffen.

Wir sind gespannt zu erfahren, was die Deza von Ihrer Interpretation hält, was ODA ist und was daraus bezahlt wird.

Die Entwicklungsleute sind eine Community, die lernen wird, mit diesen neuen Aufgaben umzugehen. Sie müssen, weil das die Verpflichtungen sind, weil das die Richtung ist, die die Politik vorgibt. Das ist eine vernünftige Politik und wieso sollte sich diese Community auf die Länge dagegen sperren, ein Instrument einer guten Entwicklung zu sein?

Bruno Oberle, danke für dieses Gespräch.

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Bundesrat soll Farbe bekennen

07.07.2015, Klimagerechtigkeit

Wie werden die Beiträge an den internationalen Klimaschutz bezahlt? Alliance Sud nahm in der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats Stellung zu dieser Frage. Jetzt verlangt diese Klarheit vom Bundesrat.

Bundesrat soll Farbe bekennen

Die Fläche der Gletscher ist in den letzten dreissig Jahren um 22 Prozent zurückgegangen. Der Hualca-Gletscher wird mit Unterstützung der Deza erforscht.
© Mariano Bazo/Reuters

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»


In einem einstimmig (24:0) überreichten Postulat ersucht die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK-N) den Bundesrat, in einem Bericht aufzuzeigen, zu welchen Beiträgen an die internationale Klimafinanzierung die Schweiz verpflichtet werden könnte und wie diese zu finanzieren wären. Bisher wurden die Beiträge (CHF 140 Mio./Jahr) vorwiegend aus dem Budget der Deza bzw. des Seco finanziert. Das gefährdet mittelfristig die Kernaufgaben der Entwicklungszusammenarbeit, denn es muss mit ansteigenden jährlichen Beiträgen von bis über 1 Mrd. Franken ab 2020 gerechnet werden.
Der Bundesrat wird sehr gute Argumente vorbringen müssen, wenn er dem einstimmigen Auftrag der APK-N keine Folge leisten möchte. Bis jetzt hat sich die Regierung am Prinzip Hoffnung anstatt an klaren Szenarien orientiert und es vorgezogen, diese brennenden Fragen auf die lange Bank zu schieben.

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Neues Energielenkungssystem ist ungenügend

07.09.2015, Klimagerechtigkeit

Alliance Sud hat sich an der Vernehmlassung des «Klima- und Energielenkungssystem»-Vorschlages (KELS) des Bundesrats beteiligt. Und findet: eine verpasste Chance.

Neues Energielenkungssystem ist ungenügend

© Daniel Hitzig/Alliance Sud

Obschon das Klima- und Energielenkungssystem (kurz KELS) als Instrument einen Beitrag zu den Klima- und Energiezielen des Bundes leisten kann, kritisiert Alliance Sud die vorgesehene vollständige Rückverteilung der Erträge. Denn damit wird die Chance verpasst, die zukünftigen Schweizer Beiträge an den internationalen Klimaschutz verursachergerecht zu finanzieren, anstatt das Entwicklungsbudget unnötig zu belasten.

Hier kann die Vernehmlassung heruntergeladen werden.

Medienmitteilung

Klimagipfel: Schweiz muss dringend mehr tun

16.11.2015, Klimagerechtigkeit

Die Schweiz riskiert ihre internationale Glaubwürdigkeit und das Zustandekommen eines ausreichenden neuen Klimavertrags in Paris zu gefährden. Der Bundesrat muss sein Verhandlungsmandat nachbessern.

Klimagipfel: Schweiz muss dringend mehr tun

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»


Zwei Wochen nach den verheerenden Terroranschlägen wird sich die Welt an der Klimakonferenz COP21 in Paris treffen. Die schrecklichen Ereignisse zeigen einmal mehr, wie wichtig es ist, dass die Staatengemeinschaft solidarisch handeln kann. Es muss gelingen, einen neuen, zukunftsfähigen und gerechten internationalen Klimavertrag zu verabschieden. Die Schweiz riskiert mit ihrer Position allerdings, ihre internationale Glaubwürdigkeit zu untergraben und das Zustandekommen eines ausreichenden neuen Vertrags zu gefährden. Und die Zeit für einen Kurswechsel läuft aus: Morgen Mittwoch verabschiedet der Bundesrat das Verhandlungsmandat der Schweizer Delegation.

Der Vorhang über dem Pariser Treffen beginnt sich zu lüften: Die pro Land eingereichten Treibhausgas-Reduktionspläne reichen bei weitem nicht, um die vereinbarte Begrenzung der Erderwärmung auf 2°C einzuhalten. Wird dieses gemeinsame Ziel verpasst, so wird die Folge eine massive Zunahme von Schäden und Verlusten sein, die direkt auf den Klimawandel zurückzuführen sind.

Auch liegt immer noch kein konkreter Plan vor, wie die versprochenen 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr (ab 2020) für dringende Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern bereitgestellt werden sollen. Dabei müssten Industrieländer wie die Schweiz jetzt dringend Vertrauen schaffen, indem sie ausreichende und verlässliche Unterstützung zusagen. Tun sie das nicht, wird es nicht zu einem umfassenden neuen Klimavertrag kommen.

Um ihren Teil zur Lösung des Problems beizutragen, muss die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 60% reduzieren. Und sie muss das im Inland tun. Reduktionsmassnahmen im Ausland sind zwar zu unterstützen, sich solche anrechnen zu lassen, gleicht jedoch einem Taschenspielertrick. Schliesslich muss die Schweiz bis 2050 vollständig aus fossilen Energien aussteigen. Zudem muss die Schweiz dringend konkrete finanzielle Unterstützung in der Grössenordnung von mindestens 1 Milliarde Franken pro Jahr ab 2020 in Aussicht stellen.
Weil der vorliegende Pariser Vertragsentwurf noch immer widersprüchliche Text-Varianten enthält, ruhen die Hoffnungen der Weltbevölkerung ganz auf den in Paris zusammenkommenden Staats- und RegierungschefInnen. Auch die Schweiz muss ihre Position und Zielsetzungen dringend überarbeiten, um das Zustandekommen eines griffigen neuen Klimaabkommens nicht zu gefährden.

Die Klimaallianz fordert deshalb vom Bundesrat, die Schweizer Verhandlungsposition für den Pariser Klimagipfel nachzubessern. 

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COP21 in Paris: Das Klima-Schwarzpeter-Spiel

08.12.2015, Klimagerechtigkeit

In den Entwicklungsländern werden Klimaschutzmassnahmen hohe dreistellige Milliardenbeträge kosten. Die Industrieländer werfen den Entwicklungsländern Opportunismus vor. Mit welchem Recht?

COP21 in Paris: Das Klima-Schwarzpeter-Spiel

Die Lebensgrundlage der Inuit in Grönland ist brüchig geworden.
© Markus Bühler-Rasom

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Vor sechs Jahren haben die wohlhabenden Länder versprochen, ab 2020 pro Jahr 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in den Entwicklungsländern bereitzustellen. Doch bis heute verweigern sie sich einem verbindlichen Fahrplan. Und die Zahlungen an den dafür eingerichteten Green Climate Fonds liegen weit hinter dem Ziel: Am eigens dafür einberufenen Treffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Lima anfangs Oktober sprachen die Minister der Industriestaaten gerade mal 77 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von fünf Jahren.
Schlimmer noch: Statt Mechanismen zu verhandeln, wie zusätzliche Gelder verursachergerecht mobilisiert werden können, konzentriert man sich in OECD-Kreisen auf neue Anrechnungsmethoden für private Geldflüsse. Zusammen mit den USA legte die Schweiz im Vorfeld von Paris eine «transparente Methodologie» vor, eine Art kreativer Aufrechnung von Finanzflüssen, wonach bereits aktuell über 60 Milliarden Dollar pro Jahr bezahlt würden. Tatsächlich floss aber nur ein geringer Teil davon als tatsächliche Bar-Beträge. Der Grossteil dieser virtuellen Summe setzt sich zusammen aus bereits bestehenden privaten Investitionen, rückzahlbaren Darlehen und selbst Exportrisikogarantie-Beträgen, die gar nie bei den Entwicklungsländern ankommen – geschweige denn den ärmsten und vom Klimawandel am meisten betroffenen Bevölkerungsschichten zugutekommen.
Kein Wunder, hatten sich in der darauffolgenden COP21-Vorverhandlungsrunde Ende Oktober in Bonn die Ränge der G77 – darunter das Schwergewicht China – wieder geschlossen: Der Textentwurf zum Pariser Abkommen, den die Industrieländer schon fast in trockenen Tüchern gewähnt hatten, wurde dezidiert zurückgewiesen. Was beinahe zum Eklat geführt.hätte

Die Weigerung, neue und zusätzliche Mittel zur Klimafinanzierung zu mobilisieren, zeigt sich auch in einem anderen Punkt: Die bisherigen Zahlungen der OECD-Länder werden fast ausschliesslich aus Entwicklungsbudgets entnommen. Dass sich die Geberländer damit über kurz oder lang ins eigene Fleisch schneiden, wird ausgeblendet. Denn wer Armutsbekämpfung gegen Klimaschutzprojekte ausspielt, löst Probleme nicht, sondern er verlagert sie – bestenfalls. 
Die Weltgemeinschaft kann den Klimawandel nur in den Griff bekommen, wenn weltweit Investitionen in Billionenhöhe in die Umstellung auf klimafreundliche Technologien und eine kohlenstoffarme Entwicklung mobilisiert werden. Der Löwenanteil dieser Investitionen wird durch ein gezieltes Umlenken privater Mittel in entsprechende Energie- und andere Infrastrukturprojekte aufgebracht werden müssen. Damit dies gelingt, müssen Anreize geschaffen (und auch finanziert!) werden, das heisst es braucht neue, geeignete staatliche, marktwirtschaftliche und Fiskalinstrumente. Und zwar in Industrie- wie auch in Entwicklungsländern.

Die Industrieländer haben ihre kohlenstoffintensive Produktion inzwischen grossenteils in weniger entwickelte Drittländer verlagert. Es ist also nur logisch, dass wohlhabenden Staaten dort in Reduktionsmassnahmen investieren, wo ihre Güter hergestellt werden und die Atmosphäre belasten. Es liegt auch in unserem ureigenen Interesse, die Schwellen- und Entwicklungsländer dabei finanziell und technologisch zu unterstützen, weil das uns im Norden zusätzlich Luft bei der eigenen Umstellung auf eine kohlestofffreie Energieversorgung und Wirtschaft verschafft. 

Anpassung an Klimawandel: Leider kein Business Case

Der sukzessive Umstieg auf eine Wirtschaft, die ohne das Verbrennen fossiler Energieträger auskommt, ist nicht nur plausibel, sondern mit politischem Willen auch machbar. Voraussetzung ist, dass Privatinvestitionen durch geeignete Steuer- und Lenkungsmassnahmen in zukunftsfähige Bahnen gelenkt werden.
Ganz anders sieht es bei Anpassungsmassnahmen aus, die jene Bevölkerungen dringend benötigen, die den zunehmenden negativen Auswirkungen des Klimawandels ausgesetzt sind. Denn im Gegensatz zu neuen Energieprojekten versprechen solche keinen Return on Investment. Welches Unternehmen in der Schweiz würde schon in Lawinenverbauungen oder Hochwasserschutzdämme investieren? Es ist klar, dass dies durch die öffentliche Hand finanziert werden muss. Und was bei uns einleuchtet, trifft erst recht für Entwicklungsländer zu.
Es fehlt also der treibende Business Case, um bei Anpassungsmassnahmen auf den Privatsektor zu hoffen. Schätzungen der Uno zufolge wären zusätzlich mindestens 100-150 Milliarden Dollar pro Jahr für Massnahmen in Entwicklungsländern zum Schutz gegen die unvermeidlichen Folgen des Klimawandels notwendig. Eine neue Weltbankstudie prognostiziert, dass der einsetzende Klimawandel in 15 Jahren zusätzlich 100 Millionen Armutsfälle – vor allem in Subsahara-Afrika und Asien – hervorbringen könnte. Die Weltbank geht davon aus, dass Ernteausfälle die Nahrungsmittelpreise in Subsahara-Afrika bis 2030 um 12% ansteigen lassen werden. Weil arme Haushalte bis zu 60% für Ernährung ausgeben, könnte dies in einigen Ländern zu einer Zunahme extremer Unterernährung um fast ein Viertel führen. Die globale Erwärmung um 2-3° Celsius würde zusätzliche 150 Millionen Menschen dem Malariarisiko aussetzen. Die prognostizierte, erhöhte Wasserknappheit würde sich auf die Trinkwasserqualität auswirken und damit zu mehr Durchfallerkrankungen führen. Es müsste mit 48‘000 zusätzlichen Kindstoden pro Jahr gerechnet werden.
Die Länder des Nordens haben mit der Industrialisierung enormen Wohlstand erzielt, diesen aber mit zwei Dritteln der Treibhausgasemissionen erkauft, welche die Erde maximal verkraften kann. Im Grundsatz ist unbestritten und in der Klimakonvention geregelt, dass wir diese Verantwortung zu tragen und die daraus entstehenden Kosten übernehmen müssen.

Neben der moralischen Frage geht es aber um viel mehr. Es gilt, einer zusätzlichen Verschlechterung der ohnehin schon prekären Lage in Entwicklungsländern vorzubeugen. Neben baulichen Massnahmen – etwa um zunehmende Dürreperioden oder ansteigende Meeresspiegel zu bewältigen – sind auch Zusatzinvestitionen in Gesundheits- und Bildungsprogramme notwendig. Damit kann die Lage von Entwicklungsländern aber lediglich stabilisiert werden, bestehende Armutsprobleme werden dadurch nicht angegangen, geschweige denn gelöst.
Notwendig ist also eine Kombination von Armutsbekämpfungs- und Klimaanpassungsmassnahmen. Sicher, durch konsequentes Mainstreaming klimarelevanter Aspekte in allen Entwicklungsprogrammen können in gewissen Bereichen Synergien geschaffen werden. Als Beispiel mag die Förderung von dürreresistente statt herkömmlichen Sorten in geplanten Landwirtschaftsprojekten dienen. Ohne ergänzende, die herkömmlichen Projekte begleitende Schutzmassnahmen – wie z.B. Hochwasserschutzdämme oder Küstenbefestigungen – werden jedoch mühsam erzielte Fortschritte in der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) gefährdet.

Klimafinanzierung muss EZA ergänzen – nicht ersetzen

Aus diesen Gründen braucht es neue Mittel, die zusätzlich zur EZA zur Verfügung gestellt werden. Ein Umlenken bestehender Mittel wäre kontraproduktiv. Wie der Weltbank-Bericht eindrücklich darlegt, sollten sich EZA und Klimaschutz konzeptionell ergänzen, dürfen finanziell aber nicht gegeneinander ausgespielt werden. Denn Klimaschutz kann Armutsbekämpfung nicht ersetzen – und vice versa. Wem nützt eine energiesanierte, hochwassergeschützte Schule ohne Lehrer? Was nützen moderne Lehrmittel in einer Schule, die vom Hochwasser überschwemmt wird?
Um weitere Fortschritte in der Entwicklungszusammenarbeit zu machen und Erreichtes vor den Folgen des Klimawandels zu schützen sind also Mittel für beide Stränge notwendig. An dieser Einsicht führt kein Weg vorbei, da helfen weder kreative Rechenmethoden noch die Hoffnung auf den Privatsektor.
Ebenso klar ist: Den Entwicklungsländern vorzuwerfen, dass sie nur aus Opportunismus oder Eigennutz auf ihrer Forderung nach zusätzlichen Mitteln für diese zusätzlichen Aufgaben bestehen, ist scheinheilig angesichts der kombinierten Herausforderung durch Unterentwicklung und zunehmendem Klimawandel. Im Gegenteil: Unter Druck der wohlhabenden Industrienationen haben inzwischen die Mehrzahl der Entwicklungsländer eigene CO₂-Reduktionspläne vorgelegt. Zu deren Umsetzung – was auch im Interesse der Industriestaaten liegt – sind sie aber dringend auf die Unterstützung durch den globalen Norden angewiesen. Ihnen dies weiterhin zu verwehren ist nicht nur zynisch, sondern auch kurzsichtig.
Hier muss die Schweiz ihre bisherige Position dringend überdenken; gerade weil sie sich auch im Rahmen der von ihr mitlancierten Nansen-Initiative für die Anerkennung von Klimaflüchtlingen einsetzt. Sie kann sich nicht weiter gegen angemessene öffentliche Beiträge an den Klimaschutz in Entwicklungsländern stemmen. Tut sie das, gefährdet sie nicht nur dringend benötigte Fortschritte in der angehenden Klimadebatte, sondern über kurz oder lang auch ihre Glaubwürdigkeit als ehrliche und konsequente Verhandlungspartnerin.

Dieser Artikel ist in GLOBAL+ (Winter 2015/2016) publiziert worden.

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Wermutstropfen im Champagner

12.12.2015, Klimagerechtigkeit

Der relative Erfolg der Klimakonferenz in Paris darf nicht darüber hinwegtäuschen: Hunderte Millionen von Menschen in Entwicklungsländern hofften vergebens auf konkrete Lösungen.

Wermutstropfen im Champagner

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»


An den Pariser Klimaverhandlungen wird der Champagner kühl gestellt. Der sich abzeichnende diplomatische Erfolg soll gefeiert werden. Doch einer Mehrheit der Weltbevölkerung ist nach wie vor kaum zum Feiern zumute. Denn im besten Fall wird der neue Klimavertrag kaum mehr sein als ein  – wenn auch wichtiger – Zwischenschritt in der globalen Klimadiplomatie. Hunderte Millionen von Menschen hofften vergebens auf konkrete Lösungen, wie ihre bedrohten Lebensgrundlagen gesichert werden.

Die Pariser Klimaverhandlungen sind in der Nachspiel-Phase. Nach zwei Wochen zäher Verhandlungen hat die französische Präsidentschaft am Donnerstagabend einen zweiten «definitiven » Vertragsentwurf vorgelegt. Dieser enthält zwar alle Elemente, die für einen ambitiösen, umfassenden und bindenden neuen Klimavertrag notwendig sind. Doch entschieden ist noch nichts. Die immer noch enthaltenen «Optionen» im Entwurf sind lediglich das Abbild der bis an diesen Punkt eingedampften, kaum vereinbaren Verhandlungspositionen der Länderdelegationen.

Die in den Pariser Vorort Le Bourget zurückgekehrten Ministerinnen und Minister treffen sich in zahlreichen bi- und multilateralen Konstellationen. Sie müssen darüber entscheiden, welche Passagen beibehalten oder unter dem sich zuspitzenden Erfolgs- und Zeitdruck rausgestrichen werden. Für konstruktive Kompromissformulierungen bleibt immer weniger Zeit. In den kommenden Stunden wird sich weisen, ob das neue Klimaabkommen tatsächlich den erhofften Grundstein legen kann für eine Kehrtwende nach zwanzig Jahren schleppender globaler Klimadiplomatie.
Vor allem sinkt die Hoffnung, dass das neue Abkommen umgehend dringende Massnahmen in Entwicklungsländern auslösen wird. Denn das hiesse, dass der Vertrag an den Prinzipien globaler Gleichbehandlung ausgerichtet sein müsste. Für die westlichen Staaten – und da spielte die Schweiz in der ersten Reihe mit – geht es prioritär darum, einen effektiven Mechanismus für ambitionierte Treibhausgasreduktionen festzulegen. Wenn alles gut geht, werden denn auch alle Länder im Fünfjahresabstand Pläne vorlegen müssen, wie sie ihre CO₂-Emissionen reduzieren. Diese Pläne sollen überprüft und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen nach und nach verschärft werden. Das ist ein wichtiger Schritt bei der Ursachenbekämpfung des Klimawandels und auf dem Weg zum Ziel, die 1,5-Grad-Marke nicht zu überschreiten. Doch wird damit nur eine Seite der sich zuspitzenden Klimamisere abgedeckt.

Denn die Entwicklungsländer sehen sich einer doppelten Herausforderung gegenüber. Der neue Klimavertrag wird sie in die Pflicht nehmen, ihren zukünftigen Fortschritt – anders als wir es getan haben – weitgehend ohne das Verbrennen fossiler Brennstoffe voranzutreiben. Gleichzeitig müssen sie den Schutz ihrer Bevölkerung und Wirtschaft vor den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels sicherstellen. Beides braucht bedeutende, zusätzliche Mittel. Uno-Generalsekretär Ban-Ki Moon hatte den Staatschefs zu Beginn der Konferenz nochmals in Erinnerung gerufen, dass die dafür notwendige Unterstützung nicht mit Wohltätigkeit zu verwechseln sei, sondern eine Pflicht der wohlhabenden Staaten darstelle. Denn insbesondere in Inselstaaten und bevölkerungsreichen Regionen nahe dem Meeresspiegel müssen umgehend Klimaanpassungsmassnahmen in die Wege geleitet werden. Dasselbe gilt für Weltgegenden, die heute schon von Trockenheit und sich verändernden Regenzyklen bedroht sind. Denn die Emissionen werden nicht von heute auf morgen gestoppt werden können.

Wer in diesem Punkt noch immer auf konkrete Fortschritte im neuen Klimavertrag hofft, wird höchstwahrscheinlich enttäuscht werden. Ausser einer Bestätigung des Grundprinzips der Lastenteilung, welches schon 1992 in der Klimakonvention festgelegt wurde, hatten bereits die dreijährigen Vorbereitungen zum Pariser Gipfel keine Fortschritte gebracht. Das bedeutet, dass das Schicksal von Hunderten von Millionen der Ärmsten dieser Welt weiterhin durch den Willen der 20% Wohlhabendsten der Welt, die für 80% der Treibhausgase verantwortlich sind, bestimmt werden wird.

Das werden die Wermutstropfen im Champagner zum Ende der Klimakonferenz sein. Bei der Klimagerechtigkeit ist die Welt nach drei Jahren noch immer auf Feld eins. Die Sicherung der Lebensgrundlage eines Grossteils der Weltbevölkerung wird trotz neuem Klimavertrag der Spielball westlicher (Real-)Politik bleiben.

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Klimapolitik: Versprechen und kaum Geld dafür

20.01.2016, Klimagerechtigkeit

Der Kampf gegen die Klimaerwärmung ist von höchster Dringlichkeit. Ohne Klimagerechtigkeit ist eine Katastrophe unvermeidlich. Doch die Entscheidungen und die Versprechen der Industriestaaten reichen in keiner Weise aus.

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Experte für Klimapolitik bei Alliance Sud

Seit der Konferenz von Kyoto 1997 gab es jedes Jahr eine Weltklimakonferenz. Und dies ohne substantielle Fortschritte bis zur COP21 (Conference of the Parties) 2015 in Paris. Ob in Durban (2011), Doha (2012), Warschau (2013) oder in Lima (2014), es gelang den Staaten nie, sich auf eine verpflichtende Begrenzung des Ausstosses schädlicher Treibhausgase zu einigen.

Seit dem 12. Dezember 2015 gibt es einen Hoffnungsschimmer: Der internationale Klimavertrag von Paris, der das Kyoto-Protokoll ablösen und ab 2020 für alle Länder verbindlich angewendet werden muss, vereinbart als Ziel eine Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1.5 bis 2.0°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Die guten Absichten könnten allerdings toter Buchstabe bleiben. Konkrete Massnahmen und deren Finanzierung, um die Klimaerwärmung und deren negative Auswirkungen tatsächlich in den Griff zu bekommen, bleiben vage. Das von 195 Staaten unterzeichnete Abkommen bleibt zudem weit vom Konzept der Klimagerechtigkeit entfernt.


Klimagerechtigkeit: Verschmutzer in die Pflicht nehmen

Neben dem Vorsorgeprinzip – das heisst die Ursachen der Klimaerwärmung anzugehen – steht das zentrale Prinzip im Zentrum, wonach der Verursacher eines Schadens diesen auch bezahlen soll: Staaten und einzelne Akteure, die viel Treibhausgasemissionen verursachen, müssen entsprechend mehr beitragen zur Finanzierung von Klimaschutz- und -anpassungsmassnahmen; insbesondere in den Entwicklungsländern, deren Bevölkerungen weitgehend unverschuldet den Folgen des Klimawandels ausgesetzt sind. Es wäre ebenso aussichtslos wie ungerecht, wenn der globale Kampf gegen die Klimaerwärmung und ihre Folgen primär auf Kosten der Ärmsten und Exponiertesten in Entwicklungsländern geführt würde.


Hohle Versprechen

Es geht einerseits um die Finanzierung von Massnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen, insbesondere die komplette Vermeidung des CO₂-Ausstosses bis 2050. Andererseits aber auch um Anpassung an die unvermeidlichen Folgen des bereits stattfindenden Klimawandels. 2010, anlässlich der gescheiterten Klimakonferenz von Cancún, versprachen die reichen Länder finanzielle Beiträge für Klimamassnahmen zur Verfügung zu stellen, die bis ins Jahr 2020 auf 100 Milliarden Dollar pro Jahr anwachsen sollten. Seither weigerten sie sich allerdings, einen verbindlichen Zeitplan festzulegen. Die bisherigen Zahlungen an den dafür geschaffenen Green Climate Fund bleiben mit gesamthaft knapp über 10 Milliarden US-Dollar (Stand Mitte 2016) weit hinter diesem Versprechen zurück.


Unsichere Finanzierung

Eine von der Weltbank veröffentlichte Studie geht davon aus, dass die globale Erwärmung der Atmosphäre in den kommenden 15 Jahren 100 Millionen Menschen neu in die extreme Armut treiben könnte, namentlich in Subsahara-Afrika und in Asien. Zur Abwendung dieses Risikos gibt es, anders als etwa bei der Umstellung auf erneuerbare Energien, kaum Hoffnung auf private, also gewinnorientierte Investitionen. Denn auch in der Schweiz wäre es undenkbar, dass Firmen von sich aus beispielsweise in den kommunalen Hochwasserschutz investieren. Die Finanzierung dieser Aufgaben durch die öffentliche Hand ist darum zwingend.  

Gemäss dem «Adaptation Finance Gap Report» der Uno-Umweltbehörde (UNEP) von 2016 werden die durchschnittlichen Kosten für Klimaanpassungsmassnahmen alleine in den Entwicklungsländern bis 2030 auf jährlich 140 bis 300 Milliarden Dollar ansteigen. Zurzeit sind wir von einer gesicherten Finanzierung jedoch weit entfernt. In den Jahren bis und mit 2014 flossen über bilaterale und multilaterale Kanäle insgesamt gerade mal 22.5 Milliarden US-Dollar für Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländer.


Klima-Petition mit über 100‘000 Unterschriften

Alliance Sud hat an mehreren Weltklimakonferenzen als Vertreterin der Zivilgesellschaft teilgenommen. Am 28. Mai 2015 überreichte sie zusammen mit dem WWF und im Namen von rund sechzig in der Klimaallianz Schweiz zusammengeschlossenen Organisationen die «Petition für eine gerechte Klimapolitik». Diese verlangt vom Bundesrat und den eidgenössischen Räten, sich für einen effektiven und gerechten Klimaschutz auf nationaler und internationaler Ebene zu engagieren. Das heisst zum einen, die nationale Energieversorgung bis 2050 vollständig auf erneuerbare Energiequelle umzustellen. Zum andern muss die Schweiz angemessen zum Schutz der Bevölkerung armer Länder vor den Folgen des fortschreitenden Klimawandels beitragen. An jenen 100 Milliarden Dollar, welche die industrialisierten den Entwicklungsländern für Treibhausgasreduktions- und Klimaanpassungsmassnahmen versprochen haben, muss sich die Schweiz mit rund 1% – also bis spätestens 2020 mit rund 1 Milliarde Franken pro Jahr – beteiligen.

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Das Silodenken überwinden

30.06.2016, Klimagerechtigkeit

Anhand der Umsetzung einer zukunftsfähigen, verantwortungs- und wirkungsvollen Klimapolitik der Schweiz lässt sich aufzeigen, dass einzelne Ziele der Agenda 2030 nicht isoliert voneinander betrachtet oder erreicht werden können.

Das Silodenken überwinden

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Am 22. April unterzeichnete Bundesrätin Leuthard in New York feierlich das Pariser Klima-Abkommen. Damit verpflichtet sich die Schweiz, gemäss ihrer Verantwortung zur Reduktion des globalen Treibhausgas-Ausstosses bis 2050 auf «Netto-Null» beizutragen. Und sie steuert ihren Anteil bei an die jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in den exponiertesten Ländern. Damit konkretisiert das Pariser Abkommen das SDG-13 zur «Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen». Die Pariser Klima-Zielsetzung ist nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Massnahmen in fast allen SDG-Bereichen zu erreichen: Es gilt, sich vom Silodenken zu verabschieden, wo jeder nur seinem eigenen Erfolg verpflichtet ist. Zu einer kohärenten Klimapolitik gehören darum zwingend Schritte hin zu einem «Nachhaltigen Wirtschaftswachstum» (SDG-8) und zu «Nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern» (SDG-12). Hier stehen den wohlhabenden, viel konsumierenden Ländern wie der Schweiz bedeutende Hebel zu Verfügung: Eine fleischärmere Ernährungsweise etwa trägt nicht nur direkt zur Reduktion von Lachgas- und Methanemissionen – beides potente Treibhausgase – bei. Indirekt reduziert eine geringere Nachfrage nach Futtermitteln den Druck auf intensiv bewirtschaftete Agrarflächen, was wiederum zur Erreichung von SDG-14/15 (Schutz von Land-, Wald- und Meeresökosystemen) beiträgt,

Die Vermeidung zusätzlicher Emissionen muss offensichtlich auch ein zentrales Anliegen bei Massnahmen zu SDG-7 («Energie für alle») oder der Förderung widerstandsfähiger Infrastruktur- und Stadtentwicklung (SDG-9/11) darstellen. Umgekehrt müssen Vorkehrungen gegen den fortschreitenden Klimawandel geschickt mit Massnahmen der Armutsbekämpfung (SDG-1), insbesondere zur Sicherstellung der Ernährungssicherheit (SDG-2) und des Zugangs zu Wasser- und Sanitärversorgung (SDG-6) kombiniert werden.

Trotz der blumigen Rhetorik des Bundesrats zur Agenda 2030 fokussiert die Schweizer Klimapolitik nach wie vor auf einseitige und unzureichende CO2-Reduktionsabsichten im Inland. Eine zielführende und verantwortungsvolle Klimapolitik im Sinne der SDG muss diese Eindimensionalität überwinden. Die Klimaallianz stellte den Medien deshalb am 2. Juni einen «Klima-Masterplan Schweiz» vor. Darin schlagen die 66 Organisationen der Allianz neben politischen Instrumenten zur vollständigen Reduktion der inländischen CO2-Emissionen bis 2050 auch flankierende Massnahmen in den Bereichen Handel, Konsum, Landwirtschaft oder internationale Flugreisen vor. Denn der Klima-Fussabdruck der Schweiz entspricht einem Vielfachen der pro Kopf alleine im Inland emittierten 5 bis 6t CO2 pro Jahr: Durch unseren Konsum von importierten Waren und Dienstleistungen, durch Flugreisen, die nicht in die nationalen Treibhausgasinventare einbezogen werden, indirekt aber auch über den Finanz- und Investitionsplatz Schweiz sind wir für ein Vielfaches an Treibhausgas-Emissionen ausserhalb unserer territorialen Grenzen mitverantwortlich.  

Deshalb geht der Klima-Masterplan auf die dringende Unterstützung von Entwicklungsländern beim Aufbau ihrer Energieversorgung und der Bewältigung der zunehmenden Herausforderungen durch den weitgehend nicht selbst verursachten Klimawandel ein. Er zeigt auf, dass die Schweiz ihren erwarteten Beitrag von jährlich 1 Milliarde CHF verursachergerecht und vor allem ausserhalb des Entwicklungsbudgets über eine (erweiterte) CO2- oder Flugticketabgabe, Erlöse aus dem Emissionshandel oder auch via die Einführung einer Finanztransaktionssteuer mobilisieren kann.

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Nächster Halt: Marrakesch

09.03.2016, Klimagerechtigkeit

«Aktion und Umsetzung» lautet das Motto des ersten Klimagipfels nach Paris. Auf den diplomatischen Durchbruch folgt die Knochenarbeit an den Knackpunkten, die vertagt wurden. Auf der Tagesordnung: der Dauerbrenner «Klimafinanzierung».

Nächster Halt: Marrakesch

Das Pariser Klimaabkommen wird viel früher in Kraft treten als angenommen. Die notwendige Zahl von Ländern (55), die das Abkommen ratifiziert haben und damit die geforderten 55% der weltweiten CO₂-Emissionen abdecken, könnte bereits dieses Jahr erreicht werden. Nachdem die USA und China Anfangs September ihre Ratifikationsdokumente der Uno vorlegten, zogen kurz vor Reaktionsschluss noch Brasilien und Panama nach.

Auch die Weltwirtschaft scheint bereits auf Kurs: 120 globale Unternehmen, die zusammen ein Investitionsvolumen von 13‘000 Milliarden US-Dollar verwalten, appellierten anlässlich des G20-Gipfels in Hangzhou an die Staaten, das Pariser Abkommen noch dieses Jahr zu ratifizieren und verbindliche Vorgaben zu beschliessen, damit klimabedingte Finanzrisiken identifiziert und minimiert werden können.

Das vorzeitige Inkrafttreten des Abkommens löst derweilen Hektik in den Vorbereitungen zur ersten Klimakonferenz (COP22) seit Abschluss des neuen Klimaabkommens aus. Rechnete man in Paris mit Jahren zur Klärung der offen gelassenen Umsetzungsfragen, so steht der Klimagipfel vom 7. bis 18. November in Marrakesch nun schon im Zeichen von dessen Umsetzung. Laurence Tubiana (französische Klima-Sonderbotschafterin) und Hakima El Haité (marokkanische Umweltministerin) – die Vorsitzenden des vergangenen und des kommenden Klimagipfels – sollen als «High-level Champions» eine Situationsanalyse und konkrete Vorschläge vorlegen, wie die Umsetzung des Pariser Abkommens bereits vor 2020 in die Wege geleitet werden kann.  

Klimafinanzierung bleibt die Crux

Die OECD-Länder haben über die Sommermonate die Arbeit an einer «Roadmap» zur Klimafinanzierung aufgenommen. Sie wollen in Marrakesch darlegen, wie sie ihrer Verpflichtung gegenüber den ärmsten und exponiertesten Ländern nachkommen. Seit der COP16 in Cancun (2010) ist das Versprechen der reichen Länder auf dem Titsch, ab 2020 100 Milliarden Dollar pro Jahr zu mobilisieren. In Paris wurde es erneuert.

In einem ersten informellen Austausch dazu mit den Empfängerländern im Juni kam es – wenig überraschend – zum Beinahe-Eklat. Auslöser war die bereits letztes Jahr von den OECD-Staaten (nota bene unter dem Vorsitz der Schweiz und der USA) entwickelte Methodologie. Sie ist höchst kontrovers, denn sie sieht vor, dass nebst tatsächlichen auch rückzahlbare Darlehen und «virtuelle Finanzflüsse» mit an die 100 Milliarden Dollar pro Jahr angerechnet werden dürfen; darunter viele aus bestehenden Entwicklungsbudgets finanzierte Projekte, die nicht direkt auf Klimamassnahmen ausgelegt sind (siehe dazu auch Global+ Nr. 54, Sommer 2014).

Die Entwicklungsländer monierten zurecht, dass sich die wohlhabenden Länder noch immer auf buchhalterische Tricks statt – wie in der Klimakonvention vorgesehen – auf die Mobilisierung neuer, zweckdienlicher Gelder konzentrieren und forderten, den Begriff «Klimafinanzierung» endlich klar und unmissverständlich zu definieren. – Auch das internationale NGO-Netzwerk Climate Action Network (CAN), bei dem Alliance Sud aktiv mitarbeitet, legte der Uno Eckpunkte einer Methodologie vor, die der Klimakonvention gerecht wird. (siehe Kasten)

Und wo steht die Schweiz?

Die bundesrätliche Stellungnahme zum Auftakt der Vernehmlassung zur Klimapolitik nach 2020 − sie beinhaltet die CO2-Gesetzrevision und die Ratifikation des Pariser Abkommens − liest sich derweilen wie eine Broschüre aus dem Antiquariat. Die anvisierten Inland-Reduktionsziele von -30% (gegenüber Stand 1990) bis 2030 sind dieselben, die bereits vor Paris kommuniziert wurden. Sie liegen gegenüber der «Business-as-Usual»-Prognose gerade mal um läppische 4 Prozentpunkte höher. Dabei müssten sie gemäss den Zielen des Pariser Klimaabkommen rund doppelt so hoch sein. Sogar der Bundesrat gibt im erläuternden Text zu, dass damit das Pariser Abkommen nicht vollständig umsetzt wird. Er will die Schweiz auch lediglich «unter den ersten 60 Ländern», die das Pariser Abkommen ratifizieren, sehen. Ein bemerkenswerter Gegensatz zur Schweizer Position in Paris, wo sich die Schweiz unter den «hochambitionierten Ländern» eingereiht hatte. Die Schweiz läuft damit Gefahr, in Marokko den Vertragsstaaten von der Beobachterbank aus zusehen zu müssen, wie sie das Inkrafttreten des Klimaabkommens unter sich verhandeln.

Auf die Frage, wie die Schweiz ihre Klimafinanzierungsbeiträge – der Bundesrat rechnet inzwischen mit 450 bis 1‘100 Millionen Franken pro Jahr – mobilisieren will, geht die CO2-Gesetzesvorlage gar nicht erst ein.

Bleibt die Hoffnung, dass sich Bundesrätin Doris Leuthard bei ihrem Arbeitsbesuch Anfangs September in Schweden – spät aber dennoch – inspirieren liess: Schweden will bis 2030 komplett fossilfrei sein.

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COP22: Überraschende Wende am Klimagipfel

21.11.2016, Klimagerechtigkeit

48 der ärmsten Länder wollen bis 2050 vollständig auf erneuerbare Energien setzen. Damit steigt der Druck auf die reichen Länder, mit der versprochenen finanziellen Unterstützung ernst zu machen.

COP22: Überraschende Wende am Klimagipfel

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Nicht die US-Wahlen gaben bei den Klimaverhandlungen in Marrakesch (COP22) am meisten zu reden. Es war die gemeinsame Erklärung von 48 der ärmsten und am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder: Sie kündigten an, bis spätestens 2050 ihre Energieversorgung zu 100 Prozent auf erneuerbare Quellen umzustellen. Das kommt einer Ohrfeige für wohlhabende Staaten wie der Schweiz gleich, welche die Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens nur zögerlich angehen.

Die erste Klimakonferenz nach Inkrafttreten des Pariser Abkommens stand im Zeichen von dessen Umsetzung. Bis 2018 muss einerseits das sogenannte Regelwerk verhandelt werden. Es beschreibt, wie die Staatengemeinschaft den Klimawandel möglichst rasch bremsen will. Andererseits muss bis dann gewährleistet werden, dass den am stärksten betroffenen Bevölkerungen die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um sich gegen die voranschreitenden Auswirkungen des Klimawandels zu wappnen. Die wohlhabenden Staaten haben sich in Paris verpflichtet, bis 2020 mindestens 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr dafür einzusetzen.

Paukenschlag der Ärmsten

Am letzten Tag der Verhandlungen kündigten die 48 der ärmsten und verwundbarsten Länder überraschend an, ihre nationalen Energieversorgungen in den kommenden 15 bis 35 Jahren vollständig auf erneuerbare Energiequellen umzustellen. Die im «Climate Vulnerable Forum» organisierten Staaten haben die Zeichen der Zeit erkannt, denn der Zubau von Wind- und Solarkraftwerken überstieg bereits im vergangenen Jahr jenen von Kohlekraftwerken. Vor allem aber stufen diese Länder Klimaschutz nicht als kostspieliges Hemmnis ein, sie sehen darin vielmehr eine Chance, ihre Entwicklung und die angestrebte Nachhaltigkeit zu beschleunigen.
Spätestens jetzt muss ein Ruck durch den Kreis der etablierten, sich selber stets als «Klimapioniere» feiernden Industrieländer gehen. Bis anhin hatten diese «den Entwicklungsländern» stets vorgeworfen, für den Kampf gegen die Folgen des einsetzenden Klimawandels zwar finanzielle Unterstützung zu fordern, sich gleichzeitig aber davor zu drücken, kohlestofffreie Entwicklungspfade in Betracht zu ziehen.

Die Konstellation im globalen Klimapoker hat sich mit diesem Paukenschlag verändert: Wenn die am wenigsten entwickelten und für den Investitionsmarkt minder attraktiven Länder sich zu ehrgeizigeren Zielen bekennen als das Gros der Industrieländer, dann kommen letztere unter Zugzwang. Denn nur die reichen Länder besitzen das Know-how, das Kapital und die Innovationskraft, um die nötige Transformation der Energiepolitik voranzutreiben. Das Mantra, dass die Entwicklungsländer zuerst eine ambitionierte Klimapolitik vorlegen müssten, bevor sie dafür Gelder von den Industrieländern fordern könnten, hat ausgedient.

Nicht die schwer einzuordnende Präsidentenwahl in den USA hat das Fundament der globalen Klima-Architektur erschüttert. Sondern, erfreulicherweise, das Vorangehen derer, die den Klimawandel nicht nur wortreich debattieren, sondern dessen Folgen bereits am eigenen Leib spüren. Ausreden der Industrieländer gelten jetzt nicht mehr. An der nächsten Klimakonferenz, die in einem Jahr unter der Schirmherrschaft von Fidschi in Bonn stattfindet, müssen sie endlich aufzeigen, wie sie die versprochenen Unterstützungsgelder bereitstellen werden.

Auch Schweiz kann sich nicht mehr verstecken

Das gilt auch für die Schweiz, die im internationalen Klimapoker eine zwiespältige Rolle spielt: Zwar hat Bundesrätin Doris Leuthard recht, wenn sie die schleppende Umsetzung der Pariser Beschlüsse beklagt. Gleichzeitig gehört gerade unser Land in der Finanzierungsfrage zu den Bremserinnen. In der Diskussion, woher die bis 2020 auf rund 1 Milliarde Franken pro Jahr geschätzten Beiträge der Schweiz ans internationale Klimaregime kommen sollen, setzt der Bundesrat auf den Privatsektor. Die von den OECD-Staaten vorgelegte «100 Billion Roadmap» kommt aber zum Schluss, dass gerade für dringende Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern kaum private Investitionen zu mobilisieren sind. Die Prognose der OECD rechnet damit, dass bis 2020 nicht einmal die Hälfte der versprochenen Gelder zusammenkommt.
Die globale Transition hin zu einer kohlestofffreien Welt bis Mitte dieses Jahrhunderts kann nur mit gemeinsamen Anstrengungen aller Länder und Akteure bewerkstelligt werden. Wenn die Ärmsten mit zielführenden Rezepten vorangehen, sollte die reiche Schweiz nicht abseits stehen. Vor allem aber darf sie sich nicht länger um Ihre Verantwortung drücken.