Medienmitteilung

Verpasste Chancen in Addis Abeba

16.08.2015, Entwicklungsfinanzierung

Die Addis Abeba Action Agenda ist unter Dach und Fach. Während die Diplomaten die Verhandlungen als Erfolg feiern, kritisiert die Zivilgesellschaft das Resultat als ungenügend.

Verpasste Chancen in Addis Abeba

von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

Die internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba war geprägt vom Streit um unlautere Finanzflüsse und Steuerfragen. Die Entwicklungsländer forderten ein neues intergouvernementales Gremium, um bei der internationalen Zusammenarbeit gegen die Steuerflucht und die Steuervermeidungspraktiken multinationaler Konzerne endlich gleichberechtigte Mitsprache zu erhalten. Die Industrieländer blockierten dieses wichtige Anliegen jedoch erfolgreich. Das bereits bestehende Steuerkomitee der Uno wird zwar mit mehr Ressourcen ausgestattet, aber die wichtigen politischen Entscheidungen werden weiterhin in der OECD fallen – unter Ausschluss des globalen Südens.

Doch nicht nur in der Steuerfrage mussten die Entwicklungsländer klein beigeben. Die reichen Industrieländer sind auch nicht bereit, sich auf eine Frist für das vor Jahrzehnten gegebene Versprechens einzulassen, 0.7% ihres jeweiligen Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Zwar bestätigen sie im heutigen Schlussdokument der Konferenz das 0.7%-Ziel; ohne einen verbindlichen Zeitrahmen ist dieses Versprechen jedoch nur wenig wert.

Immerhin konnten die Entwicklungsländer in Addis Abeba durchsetzen, dass es im Uno-Rahmen weiterhin eigenständige Konferenzen zur Entwicklungsfinanzierung geben wird. Auch soll an diesen Konferenzen weiterhin über die grossen Fragen der Weltwirtschaft und die Mitsprache der Entwicklungsländer in der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds diskutiert werden. Dafür gelang es den reichen Industrieländern, weitere Diskussionen um ein geregeltes Verfahren zur Restrukturierung von Staatsschulden abzublocken. Die Entwicklungsländer werden also ähnlich wie Griechenland weiterhin neue Kredite aufnehmen müssen, um alte und oft illegitime Schulden abzustottern.

Für Alliance Sud sind an der Konferenz von Addis Abeba wesentliche Chancen verpasst worden, um eine nachhaltige Zukunft zu finanzieren. Die Ablehnung der Hauptforderungen der Entwicklungsländer wird an der Klimakonferenz vom Dezember in Paris den Druck erhöhen, weitere Mittel im Kampf gegen den Klimawandel zu generieren. Notabene sind die Entwicklungsländer speziell von den Folgen des Klimawandels betroffen. Ein weiteres Mal dürfen sich die Industrieländer also nicht vor der Verantwortung drücken, ihren Teil zu einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung beizutragen.

Medienmitteilung

Ringen um Entwicklungsfinanzierung

13.07.2015, Entwicklungsfinanzierung

Heute beginnen in Addis Abeba die Verhandlungen um einen Finanzierungsrahmen für nachhaltige Entwicklung. Über 600 NGOs rufen dazu auf, die nötigen Finanzen sicherzustellen.

Ringen um Entwicklungsfinanzierung

Im September sollen die Uno-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) verabschiedet werden. Bereits heute wird in Addis Abeba, Äthiopien, über einen Rahmen zur Finanzierung dieser Ziele verhandelt. Aus Sicht von Alliance Sud sind die bisherigen Verhandlungsergebnisse allerdings enttäuschend. Einigkeit herrscht bloss bezüglich der Tatsache, dass enorme Summen notwendig sein werden, um die Ziele zu erreichen. Aber woher soll das Geld kommen? Mit Ausnahme von einigen wenigen Ländern sind die reichen Industrieländer nicht bereit, ihr Versprechen einzulösen und 0.7% ihres Nationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Einspringen soll einerseits der Privatsektor, andererseits die Entwicklungsländer selber, die durch effizientere Verwaltungen ihre Steuereinnahmen erhöhen sollen.

Für Alliance Sud braucht es eine klare Frist zur Erreichung des 0.7%-Ziels. Ohne Frist ist eine Bekräftigung des vor Jahrzehnten gegebenen Versprechens nichts wert. Zweitens braucht es ein universelles, intergouvernementales Gremium für Steuerfragen. Um das Potential selber generierter Steuereinkommen auszunutzen, müssen Entwicklungsländer nicht nur nationale Steuergesetze besser umsetzen, sondern auch die internationalen Regeln in Steuerfragen mitbestimmen können. Durch Steuerhinterziehung entgehen den Entwicklungsländern jährlich Einnahmen in Milliardenhöhe. Und drittens braucht es für private Investitionen nicht nur Anreize, sondern klare Rahmenbedingungen, um diese in nachhaltige Projekte zu lenken.

Am Vorabend der Konferenz verabschiedete Alliance Sud gemeinsam mit über 600 zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Erklärung. Darin wird die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, mit einem ambitionierten Schlussdokument ein starkes Zeichen zu setzen. Ein solches ist notwendig für die Glaubwürdigkeit, dass es der Staatengemeinschaft ernst ist mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung und der Bekämpfung des Klimawandels, über die später im Jahr verhandelt wird.

Artikel

Ein (zu) kleiner Schritt

21.07.2015, Entwicklungsfinanzierung

Nach der Konferenz ist vor der Konferenz. Eva Schmassmann über das magere Ergebnis der Konferenz für Entwicklungsfinanzierung vom Juli 2015 in Addis Abeba. Und die Aussichten für die nachhaltigen Entwicklungsziele.

Ein (zu) kleiner Schritt

von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

«Wir sind die erste Generation, die der Armut ein Ende setzen kann, und die letzte, die die schlimmsten Folgen des Klimawandels abwehren kann.» Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon wird nicht müde, mit diesen Worten auf die Chance und die Dringlichkeit hinzuweisen, mit der wir konfrontiert sind. Die internationale Staatengemeinschaft hat dieses Jahr die Gelegenheit, an drei Konferenzen Ban Ki-moons Appell Folge zu leisten. Letzte Woche fand in Addis Abeba die dritte internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung statt. Im September sollen in New York die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung verabschiedet werden, und im Dezember findet der Klimagipfel in Paris statt.

Die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) sollen die dieses Jahr auslaufenden Millennium-Entwicklungsziele ablösen. Die SDG sind ein ambitioniertes Rahmenwerk, um die Welt bis 2030 in eine nachhaltige Zukunft zu führen. Dazu gehört unter anderem die Ausrottung extremer Armut, der Schutz und Erhalt unserer Ökosysteme, aber auch der Wandel hin zu nachhaltigen Produktions- und Konsumstrukturen. Die Entwicklungsländer konnten sich mit ihrer Forderung durchsetzen, bereits vor der Verabschiedung der SDG durch die Uno-Generalversammlung über die Finanzierung dieser globalen Agenda zu diskutieren. Denn, soweit sind sich alle einig, zur Erreichung der SDG werden enorme Summen Geld benötigt.
Das Gastgeberland der Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung, Äthiopien, ist selbst eines der ärmsten Länder der Welt, das vor kapitalen Herausforderungen steht. Rund zwei Drittel der Bevölkerung muss mit täglich weniger als zwei US-Dollar überleben. Analphabetenrate und Kindersterblichkeit sind enorm hoch. Die Konferenz in Addis Abeba hatte sich nicht das Ziel gesetzt, eine konkrete Summe Geld zu sprechen. Denn Geld allein reicht nicht, um die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Die Konferenz sollte vielmehr aufzeigen, welche Voraussetzungen es für nachhaltige Entwicklung braucht. Eine zentrale Rolle spielen dabei Änderungen im internationalen Finanzsystem, um bestehende Geldflüsse für die Entwicklung verfüg- und nutzbar zu machen. Doch just hier hat es die Konferenz verpasst, notwendige strukturelle Änderungen voranzutreiben.

Noch immer fliessen mehr Gelder vom globalen Süden in den Norden als umgekehrt. Laut einem Uno-Bericht verliert Afrika jährlich rund 50 Milliarden US-Dollar durch unlautere Finanzflüsse. Das ist doppelt so viel, wie der Kontinent jährlich an Entwicklungsgeldern erhält. Die Datenlage ist allerdings schwach und es ist anzunehmen, dass die Finanzabflüsse sogar weit grösser sind.
Eine zentrale Forderung von Alliance Sud ist darum, diese unlauteren Finanzflüsse wirksam zu bekämpfen, zu verhindern, dass unversteuerte oder illegal erworbene Vermögen in ausländische Steueroasen verfrachtet werden. Dafür braucht es die enge Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Zielländern der dubiosen Gelder. Bis heute werden die Regeln für internationale Steuerpolitik von den reichen Industrieländern in der OECD bestimmt. Entwicklungsländer fordern darum seit langem eine Zusammenarbeit in Steuerfragen auf Augenhöhe im Rahmen der Uno. In Addis Abeba hätte die Gelegenheit genutzt werden können, um endlich ein zwischenstaatliches Gremium für Steuerfragen zu schaffen. Dies umso mehr als die Industrieländer verlangen, dass die Entwicklungsländer vermehrt eigene Ressourcen mobilisieren, sprich die nationalen Steuereinnahmen erhöhen. Dabei sind legale Steuervermeidungspraktiken und die Steuerflucht multinationaler Firmen nachweislich die Haupthindernisse bei der einheimischen Ressourcenmobilisierung. Doch die OECD-Länder beharrten auf ihrer Machtposition und haben die Schaffung dieses neuen Gremiums bis zur letzten Minute bekämpft. Auch auf die Gefahr hin, die Konferenz scheitern zu lassen. Zum Schluss haben die Entwicklungsländer klein beigegeben und in ein Abschlussdokument ohne Steuergremium eingewilligt.

Äthiopien stand dabei besonders unter Druck – und hat den Druck afrikanischen und anderen Entwicklungsländern weitergegeben. Als Gastgeberland lag ihm daran, die Konferenz zu einem Abschluss zu bringen. Die nächsten zwei Konferenzen finden in New York und Paris statt. Wie wird es dort um die Kompromissbereitschaft des Nordens bestellt sein? Denn eines ist nach Addis Abeba klar: Ban Ki-moons Wunsch wurde (noch) nicht erfüllt. Es sind noch viele, grössere Schritte notwendig, um der Armut ein Ende zu setzen und den Klimawandel zu bekämpfen.

Meinung

Mikrokredite: Das Banking mit den Armen

16.03.2017, Entwicklungsfinanzierung

Mikrokredite und ihre Institutionen stehen im Ruf eine Erfolgsgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit zu sein. Doch es gibt zahlreiche Schattenseiten.

Mikrokredite: Das Banking mit den Armen

© PANOS/Petterik Wiggers

von Bruno Stöckli, ehemaliger Mitarbeiter Alliance Sud

In den südlichen Hemisphären war es lange den nationalen Agrar- und Gewerbebanken vorbehalten, die Kleinunternehmen mit Krediten zu versorgen. Ende der 1980er-Jahre kam das Ende dieser als «Durchlaufsysteme für subventionierte Entwicklungskredite» geschaffenen Banken. Miserable Rückzahlungsquoten waren dafür verantwortlich, aber auch die Tatsache, dass die günstigen Krediteon den Eliten abgeschöpft wurden.

Der Zusammenbruch der Kredit-Durchlaufsysteme war die Geburtsstunde der Mikrofinanzinstitutionen (MFI). Gegen 70’000 mit Millionen von Kunden und Kundinnen sollen es heute sein. Drei Erfolgsfaktoren erklären ihre weltweite Verbreitung:

  1. Dank konsequenter Verbindung des Passiv- und Aktivgeschäfts konnte die Palette von Finanzdienstleistungen den Bedürfnissen der Klientel angepasst und um das Spar- und Versicherungsgeschäft erweitert werden.
  2. Ihre Kundennähe senkt Transaktionskosten – je näher beim Kunden, umso kleiner die Kosten und Ausfallrisiken eines MFI; und
  3. Viele MFI investieren in die Selbsthilfebemühungen ihrer Klientel, zum Beispiel im Aufbau von Verkaufsgenossenschaften, ganz nach dem Motto: «Gute Produzenten sind gute Risiken.»

Die Erfolgsstory hat aber auch Schattenseiten. Nicht alle MFI schaffen innerhalb nützlicher Frist den Turnaround zur finanziellen Unabhängigkeit. Viele MFI bleiben abhängig von Entwicklungsagenturen, verbunden mit dem Risiko der Fremdbestimmung.

Aus entwicklungspolitischer Sicht ist die entscheidende Frage heute nicht mehr, ob Kredite armutswirksam sind, sondern welche finanzielle Infrastruktur die Ökonomien der Mittellosen stärkt. Klar, der Kleinkredit ist Bestandteil davon. Nur müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass Geldpumpen die Armutsprobleme vor Ort lösen. Das Wirtschaften in Armut ist vielschichtiger und verlangt ein breites Set an Finanzdienstleistungen. Zudem gilt es, Grenzen und Gefahren zu erkennen.

Für viele MFI sind «soziale Kredite» kein Tabu mehr; auch die ­Grameen Bank hat damit experimentiert. Entwicklungspolitisch ist diese Entwicklung fragwürdig, nicht nur, weil solche Investitionen keinen Ertrag für die Rückzahlung garantieren. Gesundheitsversorgung und Bildung sind die Kernaufgaben jedes Staates und dürfen nicht an das Mikrofinanzwesen delegiert werden.

Die Mobilisierung interner Ersparnisse ist entwicklungspolitisches Kredo ersten Ranges. Das «social investment» soll helfen, das lokale Investitionskapital zu erhöhen, darf aber nicht dazu führen, die interne Grundlage dazu zu substituieren. Die Mikrokreditfonds müssen sich ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung und Verantwortung bewusst sein.

Die Liste von MFI, die lange erfolgreich gewirtschaftet haben und trotzdem in finanzielle Schieflage geraten sind, ist lang. Verantwortlich sind mitunter externe Investoren und Entwicklungsagenturen, die in grossem Massstab Kreditlinien durch MFI kanalisierten und sie damit operativ überforderten und die Kreditausfallraten hochschnellen liessen.

Im Namen der Entwicklung werden auch Investitionen getätigt, die entwicklungspolitisch mehr als fragwürdig sind. So stecken hinter dem weit verbreiteten Phänomen des «land grabbing» (Landentnahme) auch lokale Eliten. Nur effektive Massnahmen, die eine konsequente Zielgruppenorientierung (targeting) ermöglichen, können dies unterbinden.

Autor Bruno Stöckli ist Agrarökonom und hat in den 80ern zum Thema ländliches Finanzwesen in Afrika promoviert und später verschiedene MFI in Afrika begleitet. Zudem war er 15 Jahre bei Alliance Sud für Themen wie Verschuldung und Zivilgesellschaft verantwortlich.

Dieser Artikel wurde in der KMU Rundschau (Ausgabe 1/2017) publiziert.

Mobilisierung inländischer Ressourcen

Mobilisierung inländischer Ressourcen

Alliance Sud unterstützt internationale Bestrebungen hin zu mehr Transparenz und besseren Regulierungen im globalen Steuerwettbewerb, damit die Gewinne da versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden und die Länder des Globalen Südens ihre eigenen Mittel für nachhaltige Entwicklung aufbringen können.

Worum es geht >

Worum es geht

Die Mobilisierung inländischer Ressourcen in den Entwicklungsländern selbst («Domestic Resource Mobilisation, DRM») ist ein zentraler Teil der internationalen Entwicklungsfinanzierung. Die Steuereinnahmen sind in den Ländern des Globalen Südens deutlich geringer als in den meisten OECD-Ländern; dies zu einem grossen Teil aufgrund von Steuerflucht und Gewinnverschiebungen in Steueroasen wie die Schweiz. Alliance Sud kritisiert die schädliche Rolle der Schweiz, die sich auf Kosten der Ärmsten ein Steuerdumpingregime leisten kann, das nur deshalb funktioniert, weil Steuersubstrat aus aller Welt angezogen wird.

Deshalb unterstützt Alliance Sud internationale Bestrebungen hin zu mehr Transparenz und besseren Regulierungen im globalen Offshore-System und stellt sicher, dass die Verwaltung und das Parlament positive Entwicklungen wie die Verhandlungen zu einer UNO-Steuerkonvention oder den internationalen Trend hin zu öffentlichen Registern wirtschaftlich Berechtigter (Besitzern) von Firmen nicht einfach ignorieren können.

Artikel, Global

Noch keinen Cent zurückgegeben

27.03.2023, Entwicklungsfinanzierung

Die im September zur Verwaltung von 3,5 Milliarden USD der afghanischen Zentralbank gegründete Stiftung mit Sitz in Genf geht auf Nummer sicher – und bleibt untätig. Die Schweiz scheint sich der amerikanischen Position anzuschliessen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Noch keinen Cent zurückgegeben
Ein Teil der Auslandsreserven der afghanischen Zentralbank liegt nun in der Schweiz.
Im Archivbild: Ein Mann bewacht die alte Währung in Kabul.
© KEYSTONE / AP / MANISH SWARUP

Am 14. September kündigte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) überraschend die Gründung einer Stiftung namens «Fund for Afghan People» in Genf an, die von den USA und der Schweiz unterstützt wird. Trotz des etwas irreführenden Namens handelt es sich um eine Stiftung nach Schweizer Recht zur Verwaltung von Auslandreserven der Zentralbank von Afghanistan (DAB) im Umfang von 3,5 Milliarden USD, die in den USA eingefroren waren. Als die Taliban im August 2021 Kabul zurückeroberten, blockierte Washington die 7 Milliarden USD der afghanischen Zentralbank, die in den USA gelagert sind. Grundlage dafür war ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz, das das Einfrieren von Geldern von Staaten ermöglicht, die den Terrorismus unterstützen. Die Hälfte davon wird für die Familien der Opfer des 11. Septembers zurückgehalten; ob diese Summe tatsächlich freigegeben wird, ist unklar. Solange die Beteiligung der Taliban am Anschlag nicht bewiesen ist, dürfte das Geld nicht verfügbar sein.

Bleiben also noch die 3,5 Milliarden, die langfristig an die DAB zurückerstattet werden müssen. Derzeit liegen sie auf einem Konto der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit Sitz in Basel. Die Stiftung bzw. der «Afghan Fund» beabsichtigt, die Gelder häppchenweise zurückzugeben. Ihr Zweck ist nicht die Finanzierung humanitärer Hilfe, sondern die Stärkung der makroökonomischen Stabilität Afghanistans, das Drucken neuer Banknoten, das Begleichen von Zahlungsrückständen oder die Finanzierung von Stromimporten. All dies soll es dem Land ermöglichen, seinen Sitz in den internationalen Finanzinstitutionen zu halten und somit humanitäre Hilfe zu erhalten.

Veto der USA möglich

Der Stiftungsrat besteht aus vier Personen: auf Schweizer Seite Botschafterin Alexandra Baumann, Leiterin der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit des EDA; auf afghanischer Seite zwei Wirtschaftswissenschaftler, Anwar-ul-Haq Ahady, ehemaliger Leiter der DAB und ehemaliger Finanzminister, und Shah Merhabi, Professor am Montgomery College; auf amerikanischer Seite ein Vertreter des Finanzministeriums, Andrew Baukol. Die Entscheidungen werden einstimmig getroffen; wenn eines der vier Mitglieder sich gegen einen Vorschlag ausspricht, geschieht nichts.

Doch die Zeit vergeht und bisher hat Afghanistan noch keinen Cent gesehen. Der Stiftungsrat hielt seine erste Sitzung am 21. November in Genf ab, wo er beschloss, eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu beauftragen und einen Exekutivsekretär einzustellen. Es wurden aber keine Auszahlungsbeschlüsse gefasst, und das ist in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten.

Dr. Merhabi, Professor für Wirtschaftswissenschaften, wird langsam ungeduldig. Er erklärte gegenüber der Online-Zeitung «In These Times», dass angesichts der katastrophalen Lage in Afghanistan dringend mindestens 100 Millionen US-Dollar pro Monat benötigt würden, um die Inflation einzudämmen, den Wechselkurs zu stabilisieren und die Importe zu bezahlen. Die USA verlangen jedoch äusserst strenge Garantien: Die DAB muss ihre Unabhängigkeit von politischen Instanzen nachweisen, angemessene Kontrollen gegen Geldwäscherei und Terrorismusbekämpfung durchsetzen und ein externes Audit durchführen.

Schweiz auf einer Linie mit den USA

Was ist die Haltung der Schweiz? Bei einem Treffen mit Alliance Sud im September hatte das EDA versichert, dass die Stiftung völlig transparent verwaltet werde. Vor kurzem bestätigte Alexandra Baumann, dass die Sitzungsprotokolle veröffentlicht werden sollen und dass eine Website im Aufbau sei.

In Bezug auf die Frage, ob der Fonds nicht damit beginnen sollte, das Geld zurückzuzahlen, schliesst sich die Botschafterin voll und ganz der offiziellen Position des Fonds an – und damit augenscheinlich jener der USA. «Der Stiftungsrat verfolgt den Stiftungszweck, der darin besteht, einen Teil der derzeit in den USA blockierten DAB-Gelder zu übernehmen, sie zu schützen, für die Zukunft zu bewahren und teilweise freizugeben. Das langfristige Ziel ist es, die nicht verwendeten Gelder an die DAB zu überweisen», so Baumann. Sie fügte hinzu, dass dies nur dann der Fall sein werde, wenn die DAB glaubhaft nachweisen könne, dass sie unabhängig sei und angemessene Kontrollen eingeführt habe. «Die Stiftung und ihr Stiftungsrat handeln unabhängig nach Schweizer Recht. Ich kann bestätigen, dass ich mich für die oben genannten Ziele einsetze», schloss Alexandra Baumann.

Moralisch fragwürdige Beschlagnahmung

Dennoch beginnt das Thema, die Gemüter der Zivilgesellschaft zu erhitzen. Norah Niland, Vorsitzende des Afghanistan-Task-Teams von United Against Inhumanity (UAI), einer internationalen Bewegung von Persönlichkeiten, die sich gegen Kriegsgräuel einsetzen, sagt: «Es ist sehr beunruhigend, dass der Afghanistan-Fonds untätig bleibt und anscheinend auch nicht daran interessiert ist, die DAB zu rekapitalisieren. Die DAB muss in der Lage sein zu funktionieren, um Liquiditätsprobleme zu lösen und beim Wiederaufbau der zusammengebrochenen Wirtschaft und des Bankensystems zu helfen. Wir stimmen Dr. Mehrabi zu, dass ein relativ kleiner monatlicher Betrag von beispielsweise 150 Mio. USD kontrolliert freigegeben werden sollte, da die Bank Bedenken hinsichtlich der Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung auszuräumen vermag.»

Die erfahrene humanitäre Helferin, die in Afghanistan gearbeitet hat, fügt hinzu, dass humanitäre Massnahmen, so wirksam sie auch sein mögen, kein Ersatz für eine funktionierende Wirtschaft sein können. Und dass die «unmoralische» Beschlagnahmung der afghanischen Auslandsreserven auch jene Afghanen und Afghaninnen kollektiv bestraft, die nicht für die Rückkehr der Taliban nach Kabul verantwortlich sind. «Die UAI zeigt sich sehr besorgt über die wachsende Armut, die Verschuldung, den Verlust von Lebensgrundlagen, den Hunger und den sehr harten Winter, die das Elend des afghanischen Volkes noch verschlimmern und es zu Anpassungsmassnahmen zwingen, die seine Lage weiter verschlechtern.»

Die Schweiz muss sich engagieren, um mit der Rückgabe der Gelder zu beginnen

Dieser Ansicht ist auch Unfreeze Afghanistan, eine internationale Kampagne von Frauen, die Präsident Joe Biden dazu auffordert, die in den USA blockierten afghanischen Gelder freizugeben. Für Alliance Sud ist der Versuch, zumindest einen Teil der Gelder «in Sicherheit» zu bringen, durchaus lobenswert. Allerdings nur dann, wenn sie im Interesse der afghanischen Bevölkerung verwendet werden können. Da die Bedingungen für eine Rückgabe jedoch fast unmöglich zu erfüllen sind – die DAB war nie unabhängig von der Staatsmacht, auch nicht vor der Übernahme durch die Taliban –, braucht es Flexibilität in den Verhandlungen mit der afghanischen Regierung. Alliance Sud fordert die Schweiz auf, sich mit der gebotenen Vorsicht für eine rasche Rückgabe von genügend Geld an Afghanistan einzusetzen, damit die Wirtschaft im Interesse der Bevölkerung wieder in Gang kommen kann.

«Die humanitäre Hilfe allein wird Afghanistan nicht retten können»

Erhard Bauer reiste 14 Jahre lang mehrmals nach Afghanistan, unter anderem unter der ersten Taliban-Regierung. Heute vertritt er die Stiftung Terre des hommes vor Ort. Die Stiftung beschäftigt weiterhin Frauen im Gesundheits- und Bildungswesen und setzt sich dafür ein, alle ihre weiblichen Mitarbeitenden wieder einzustellen. – Interview von Isolda Agazzi

Wie hat sich die Lage seit dem Regimewechsel im August 2021 entwickelt?

Die Regierung war bereits zusammengebrochen, bevor die USA das Land verliessen. Schon der Beginn ihrer Amtszeit im Jahr 2001 stand unter einem schlechten Stern, da grosse Teile der afghanischen Gesellschaft ausgeschlossen wurden – ein Fehler, der nie korrigiert wurde und auch heute noch kaum offen zugegeben wird. Es ist in Anbetracht der aktuell katastrophalen Situation offensichtlich, dass nach Schuldigen gesucht wird. Klar ist es einfach, mit dem Finger auf eine islamistische Bewegung zu zeigen, die die Macht übernommen hat. Allerdings war die allgemeine Lage schon vor August 2021 desaströs. Im Anschluss daran führten die Sanktionen des Westens und die Einstellung der internationalen Zahlungen an die Regierung zum Zusammenbruch des Finanzsystems und eines Grossteils der Regierungsdienste. Auch wir, die humanitären Organisationen, waren nicht mehr in der Lage, Geld zu überweisen, da Afghanistan vom Swift-System abgekoppelt wurde. Für Geldüberweisungen nutzen wir nun ein «inoffizielles» Bankensystem, mit dem Geld von einem Land in ein anderes transferiert werden kann.

Nichtsdestotrotz war die Unterstützung des Westens für Afghanistan gross...

Bereits vor dem Rückzug der USA kontrollierten die Taliban mehr als die Hälfte des Landes. Die als «Erfolg» verbuchte Bildung einer Zivilgesellschaft fand nur in einem Teil des Landes statt. Heute, mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft, befinden sich Städte wie Kabul und Herat in der gleichen Situation wie ein Grossteil der Bevölkerung in den letzten 20 Jahren. Sämtliche Fortschritte zugunsten der Stadtbevölkerung und der Mittelschicht wurden auf einen Schlag zunichte gemacht.

Wie kann die Situation verbessert werden?

Der Handlungsbedarf ist derart immens, dass wir selbst bei einer Aufstockung der humanitären Hilfe nur die dringendsten Bedürfnisse eines Teils der Bevölkerung befriedigen könnten. Afghanistan wird aus dieser massiven Wirtschaftskrise nicht allein durch humanitäre Hilfe herausfinden. Es braucht einen Prozess, in dem alle politischen Kräfte zusammenarbeiten. Ob uns diese Regierung passt oder nicht, ob wir sie als Staatsführung anerkennen oder nicht: Es muss eine Form des Dialogs geben, damit im Interesse der Bevölkerung ein Ausweg aus dieser Situation gefunden wird.

Was für eine Rolle spielen die Sanktionen?

Was dieses Land am Leben erhalten hat ist, dass es noch einen Privatsektor, eine Landwirtschaft, eine wenig Produktion, Importe und Exporte gibt. Die Abschaltung des Bankensystems trifft nicht nur die Taliban, sondern die gesamte Bevölkerung. Die Sanktionen haben auch zu einer hohen Inflation geführt. Vieles wäre ohne sie einfacher. Nach dem Abzug der USA haben viele Menschen das Land verlassen. Die Taliban verfügen nicht über viel Fachwissen in den Bereichen Verwaltung und Management, und dieser «Brain Drain» beschleunigt den Zusammenbruch von Strukturen. Während der ersten Taliban-Regierung (1996– 2001) funktionierte vieles noch, da die Verwaltung grösstenteils mit den verbliebenen Beamten weiterarbeitete.

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