Medienmitteilung

Die Schweiz muss mehr für den Globalen Süden tun

03.11.2022, Klimagerechtigkeit

Alliance Sud fordert, dass die Schweizer Delegation an der COP27 in Ägypten nicht nur zu einem ambitionierten Mitigationsprogramm beiträgt, sondern sich auch in Finanzierungsfragen für eine verstärkte Unterstützung des Globalen Südens einsetzt.

 

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

+41 31 390 93 42 delia.berner@alliancesud.ch
Die Schweiz muss mehr für den Globalen Süden tun

© Alliance Sud

Die Klimakrise führt zu unberechenbaren Extremereignissen wie Überschwemmungen, Dürre, Stürmen, lässt den Meeresspiegel ansteigen und die Gletscher schmelzen. «Immense Schäden wie zum Beispiel in Pakistan oder die Zunahme von Hunger und Mangelernährung in weiten Teilen Afrikas als Folge von Trockenheit zeigen, dass die Bekämpfung der globalen Klimaerwärmung an Dringlichkeit nicht zu überbieten ist», sagt Delia Berner, Klimaexpertin von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. An der diesjährigen Konferenz der Vertragsparteien der UNO-Klimakonvention (COP27) vom 6.-18. November 2022 in Ägypten muss die Schweiz mithelfen, noch mehr auf die Bedürfnisse des globalen Südens einzugehen.

Weg von fossilen Energien und deren Subventionen

An der Klimakonferenz müssen die Anstrengungen zum Ausstieg aus fossilen Energien und zu einer raschen und fairen Umstellung bedeutend verstärkt werden, damit das Ziel einer maximalen Erwärmung um 1.5°C eingehalten werden kann. Aktuell wird ein Arbeitsprogramm zu Mitigation verhandelt, um in der Reduktion von Treibhausgasen schneller voranzukommen. «Das Mitigation Work Programme kann einen wichtigen Beitrag zur Erreichung des 1.5°C-Ziels leisten. Dazu muss in Ägypten die Chance genutzt werden, um den Ausstieg aus fossilen Energieträgern in sektoriellen Strategien festzuhalten, zusammen mit einem Fahrplan und klaren Verantwortlichkeiten», sagt David Knecht, Verantwortlicher für Energie und Klimagerechtigkeit bei Fastenaktion. Sektorielle Dekarbonisierung zum Beispiel im Energiesektor bedingt eine gezielte Strategie und eine transparente Berichterstattung. «Transparenz ist der Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung von klimapolitischen Zielen», ergänzt Knecht, der als Beobachter in Ägypten sein wird.

Die Reaktion der Weltgemeinschaft auf die Klimakrise darf sich keinesfalls auf ökologische Massnahmen beschränken. «Der ökologische Wandel muss gerecht und sozialverträglich sein», wie Cyrill Rogger von Solidar Suisse unterstreicht; «es ist allgemein bekannt, dass die Menschen in den ärmeren Weltregionen den höchsten Preis zahlen.»

Ungenügende Finanzierung des Nordens ist ein Knackpunkt für den Süden
Die COP27 muss wegweisend sein für eine verstärkte finanzielle Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Umsetzung ihres Beitrags zur klimaneutralen Welt sowie von dringend benötigten Anpassungsmassnahmen in ihren Ländern. Die Schweiz muss ihre finanzielle Unterstützung dringend ausbauen und sich in den Verhandlungen für ein stärkeres Engagement aller grossen Verursacher-Staaten einsetzen. Sonja Tschirren, Expertin für Klima und ökologische Landwirtschaft bei SWISSAID, erklärt: «Der Wohlstand, den wir uns in den letzten 200 Jahren erarbeitet haben, ging auch zulasten der Umwelt. Wir haben zusammen mit den anderen Industriestaaten die nie da gewesene Beschleunigung des Klimawandels verursacht, worunter die ärmsten Länder in exponierten Staaten bitter leiden. Ein proaktives Engagement der Schweiz, um diese Länder angemessen zu unterstützen, ist zwingend.»

Für die am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder ist die Verhandlung über eine finanzielle Unterstützung für erlittene Schäden und Verluste besonders wichtig, zumal die Verursacher-Staaten sich bisher weigern, finanzielle Zusagen zu machen. Dabei ist es zentral, die Bedürfnisse dieser Länder auf Augenhöhe zu berücksichtigen. «Den Stimmen der Betroffenen muss bei der Erarbeitung von Lösungen Gehör verschafft werden», betont Christina Aebischer, die für Helvetas an der COP teilnimmt. Die Schweiz muss als konstruktive Brückenbauerin Konsenslösungen aktiv stützen.

Aber auch Schweizer Konzerne, die massgeblich zum Klimawandel beitragen, stehen in der Pflicht, findet Yvan Maillard Ardenti, Programmverantwortlicher für Klimagerechtigkeit bei Heks: «Nicht nur Staaten, sondern auch private Verursacher wie Konzerne sollten sich an einem Fonds für die Kompensierung von klimabedingten Schäden und Verlusten beteiligen».

Symptomatisch für die schlechte Zahlungsmoral der grossen EmittentInnen wie der Schweiz ist die Umsetzung des aktuellen Finanzierungsziels von 100 Milliarden Dollar ab 2020 pro Jahr für Mitigations- und Anpassungsmassnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern (die sogenannte ‘Klimafinanzierung’): Es wurde um mindestens 16.7 Milliarden Dollar verfehlt und zu 71% in Darlehen geleistet, die zurückbezahlt werden müssen bzw. sich als Schulden anhäufen. Auch die Schweiz kommt ihren Verpflichtungen nur unzureichend nach: Statt neue, zusätzliche Mittel bereitzustellen setzt sie dafür vorwiegend Gelder ein, die für die Entwicklungszusammenarbeit budgetiert waren. «Damit werden Klimaschutz und Armutsbekämpfung gegeneinander ausgespielt», kritisiert Angela Lindt von Caritas Schweiz.

Jetzt die Weichen für das nächste Finanzierungsziel stellen

In Ägypten werden Verhandlungen für ein nächstes Finanzierungsziel nach 2025 geführt. Auch wenn hier noch kein Durchbruch erwartet wird, muss die Schweiz sich dafür einsetzen, dass die Lehren aus dem Scheitern des jetzigen Ziels gezogen werden. «Die kollektive Verantwortung wird auch bei einem nächsten Finanzierungsziel scheitern, wenn dieses nicht verbindlicher vereinbart wird», befürchtet Delia Berner, Klimaexpertin von Alliance Sud. Es muss klar sein, wie sich der faire Anteil jedes Staats am gemeinsamen Ziel berechnen lässt, damit die nötige Gesamtsumme zustande kommt.

Für weitere Informationen:
Fastenaktion, David Knecht, Verantwortlicher für Energie und Klimagerechtigkeit, Tel. +4176 436 59 86, knecht@fastenaktion.ch
Solidar Suisse, Cyrill Rogger, Desk Officer Südosteuropa, Tel. +4144 444 19 87, cyrill.rogger@solidar.ch
SWISSAID, Sonja Tschirren, Expertin für Klima und ökologische Landwirtschaft, Tel. +4179 363 54 36, s.tschirren@swissaid.ch
Helvetas, Katrin Hafner, Coordinator Media Relations, Tel. +4144 368 67 79, katrin.hafner@helvetas.org
Heks, Yvan Maillard Ardenti, Programmverantwortlicher für Klimagerechtigkeit, Tel. +4179 267 01 09, yvan.maillard@heks.ch
Caritas Schweiz, Angela Lindt, Leiterin Fachstelle Entwicklungspolitik, Tel. +4141 419 23 95, alindt@caritas.ch
Alliance Sud, Delia Berner, Klimaexpertin, Tel. +4177 432 57 46, delia.berner@alliancesud.ch

Side-Events während der COP27:
-    07.11.22: Climate Symposium von Caritas Schweiz zum Thema «The Role of International Development NGOs in Climate Change Adaptation», Hotel Bern in Bern. Der Anlass ist offen für interessierte Medienschaffende.
-    10.11.22: Side Event zu «Dealing with Losses and Damages», organisiert durch HELVETAS und Ministerium für Umwelt und Wasser Ecuador. 13:15 – 14:45 Cairo Time, Livestream auf Youtube, Link via www.helvetas.org/cop27

Zum Weiterlesen siehe auch das Faktenblatt von Alliance Sud zum Schweizer Beitrag an die internationale Klimafinanzierung

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Fossile Brennstoffe im Boden lassen!

06.04.2015, Klimagerechtigkeit

Sinnvoller als um den CO₂-Ausstoss in den einzelnen Ländern zu feilschen, wäre es, die fossilen Energiereserven gar nicht erst zu fördern. Vielleicht gibt eine Studie von «Nature» den Anstoss dazu.

Fossile Brennstoffe im Boden lassen!

© Dieter Schütz/pixelio.de

Der letzte Uno-Sachstandsbericht hält fest: Aus der Verbrennung fossiler Energien dürfen in Zukunft höchstens noch etwa 1‘000 Gigatonnen CO₂ emittiert werden, wenn die globale Klimaerwärmung 1.5 bis maximal 2° Celsius nicht überschreiten soll. Auf dem Niveau des derzeitigen Verbrauchs an Öl, Erdgas und Kohle werden die kumulierten Emissionen diesen Wert jedoch bereits in 25 bis 30 Jahren überschreiten.

Eine kürzlich in «Nature» veröffentlichte Studie beleuchtet diese Problematik. Damit die zukünftig in die Atmosphäre emittierte Menge an fossilem CO₂ die Gesamtmenge von 1‘100 Gigatonnen nicht überschreitet, müssten von den heute erschliessbaren Weltreserven ein Drittel der Öl-, die Hälfte aller Gas- und über 80% der globalen Kohlevorkommen unangetastet im Boden bleiben.

Das heisst nichts anderes, als dass die klassische Frage nach der Endlichkeit der fossilen Energieressourcen eigentlich die falsche ist. Das wahre Problem ist, dass ein Grossteil der fossilen Ressourcen in Zukunft gar nicht mehr genutzt werden darf. Denn bei vollständiger Verbrennung der bereits erschlossenen fossilen Energiereserven entstünden CO2-Emissionen, welche die maximal tolerierbare CO₂-Menge um ein Dreifaches übersteigen würden. Nimmt man die erst vermuteten fossilen Ressourcen der Erde dazu, so würde dies zu einer geschätzten Gesamt-Emission von 11‘000 Gigatonnen CO2 führen. 

Die De-Investition ins Öl hat begonnen

Beschlösse die Weltgemeinschaft, dass der Grossteil der globalen fossilen Ressourcen im Boden bleiben sollen, so verlören diese an Wert.  Bereits heute stellen die gestiegenen Produktionskosten für die Erschliessung und Förderung von Öl-, Erdgas- und Kohlereserven, aber auch die kontinuierlich sinkenden Kosten für erneuerbare Energien die Rentabilität der Fossilindustrie in Frage. Der Ölpreiszerfall der letzten Monate, auch wenn unterschiedlichste Gründe dafür geltend gemacht werden, zeigt exemplarisch, welche Auswirkungen der Ölpreis auf Investitionen und die Weltwirtschaft hat. Bleibt der Ölpreis unterhalb von 60 US-Dollar pro Fass, so wurden gemäss Schätzungen von «Carbon Tracker» bereits Förder-Investitionen im Wert von 10 Mrd. US-Dollar in den Sand gesetzt. Die Energie- und Finanzindustrie hat reagiert und bereits bewilligte Förderprojekte im Umfang von schätzungsweise 75 Mrd. US-Dollar wieder sistiert. Der deutsche Energieriese E-On verkündete Ende 2014, sein fossiles Portfolio abzustossen. Auch die Rockefeller Foundation hat verlauten lassen, in Zukunft nur noch in Kohlenstoff-freie Projekte zu investieren. Und Warren Buffet, dessen Entscheide in der Finanzwelt als wegweisende Orakel gelten, verkaufte unlängst mehrere Millionen Aktien von Exxon-Mobil und anderen Ölfirmen.

Trotz der alarmierenden Befunde der Klimaforschung treiben die meisten Länder die schnelle und vollständige Erschliessung ihrer nationalen Vorkommen weiterhin voran, auch mit Unterstützung öffentlicher Gelder. Dabei stellt der absehbare Wertzerfall der fossilen Ressourcen staatliche Förderprogramme grundsätzlich in Frage. Die Ver(sch)wendung weiterer öffentlicher Gelder für Energien der Vergangenheit ist entsprechend politisch unverantwortlich. Dennoch besteht die Gefahr, dass Staaten, die über fossile Bodenschätze verfügen, die weitere Förderung – quasi im Endspurt um den letzten, noch verfügbaren «Atmosphärenplatz» – gar zu beschleunigen versuchen. Und Entwicklungsländer argumentieren, dass sie auf ihre fossilen Ressourcen angewiesen sind um das vorrangige Ziel – die Bekämpfung der Armut – zu erreichen. Da heute die technischen Möglichkeiten für eine klimaneutrale Energie-Versorgung existieren und diese auch finanzierbar wären, ist dieses Argument aber nicht stichhaltig.

Es bleibt darum die Frage, unter welchen Voraussetzungen «aufholende Volkswirtschaften» auf relativ einfach zugängliche fossile Energievorräte und die damit verbundene (wenn auch schrumpfende) Wertschöpfung verzichten würden. Dass eine internationale «Verteilung von Förderrechten» über den Weg der Klimaverhandlungen erzielt, geschweige denn durchgesetzt werden könnte, ist unrealistisch. Der vielversprechendste Weg wäre die rasche Bereitstellung ausreichender technologischer und finanzieller Mittel durch die wohlhabenden Länder, die über die klassische Entwicklungshilfe hinausgeht.

Klimafinanzierung neu denken

Die «Nature»-Studie unterstreicht damit die Bedeutung der internationalen Klimafinanzierung. Die reichen Länder haben im Zuge ihrer Industrialisierung bereits über 2‘000 Gigatonnen CO₂ emittiert und tragen damit die Hauptverantwortung für den Klimawandel. Sie haben denn auch den Entwicklungsländern ab 2020 Finanzhilfen von 100 Mrd. US-Dollar versprochen, allerdings ohne konkrete Verpflichtungen und einem Plan, wie diese zusätzlichen Gelder mobilisiert werden sollen. Dies auch darum, weil auch Schwellenländer Zugang zu diesen Hilfsleistungen verlangen. Weil gerade dort der Verbrauch fossiler Energien und die damit zusammenhängenden Treibhausgas-Emissionen rasant ansteigen, müsste das Konzept der Klimafinanzierung womöglich überdacht werden. Denn bereits liegen erste Entschädigungs-Forderungen für den (zukünftigen) Verzicht auf fossile Energien auf dem Tisch. Mit Bezug auf Artikel 8(h) im Entwurf des Uno-Klimaschutzabkommens, das sich auf die «nationalen Besonderheiten von Staaten, deren Wirtschaft stark von Einnahmen aus Produktion, Verarbeitung und Export fossiler Brennstoffe abhängen» bezieht, verweisen beispielsweise Golfstaaten auf die schrumpfenden globalen Märkte als Folge von Mitigations-Massnahmen. Erinnert sei auch an Ecuador, das (vergeblich) auf Kompensation für den Verzicht auf Ölförderung in einem Naturschutzgebiet gepocht hatte.

Es ist absehbar, dass solche oder ähnliche Forderungen im Zuge des knapper werdenden «Atmosphären-Budgets» in Zukunft lauter werden. Der Wandel des Weltmarkts für fossile Energieträger ist im Gang, was dieser alles nach sich zieht, ist aber weitgehend offen. Zwar muss der Anspruch bestehen bleiben, die Klimafinanzierung auf die Unterstützung der ärmsten und verwundbarsten Staaten auszurichten. Zusätzlich muss aber auch diese Frage in Zentrum rücken: Wie sollen Länder entschädigt werden, die – gleich wie der Norden – ihre Entwicklung (noch) einseitig auf nicht erneuerbare Ressourcen ausgerichtet haben? 

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Wermutstropfen im Champagner

12.12.2015, Klimagerechtigkeit

Der relative Erfolg der Klimakonferenz in Paris darf nicht darüber hinwegtäuschen: Hunderte Millionen von Menschen in Entwicklungsländern hofften vergebens auf konkrete Lösungen.

Wermutstropfen im Champagner

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»


An den Pariser Klimaverhandlungen wird der Champagner kühl gestellt. Der sich abzeichnende diplomatische Erfolg soll gefeiert werden. Doch einer Mehrheit der Weltbevölkerung ist nach wie vor kaum zum Feiern zumute. Denn im besten Fall wird der neue Klimavertrag kaum mehr sein als ein  – wenn auch wichtiger – Zwischenschritt in der globalen Klimadiplomatie. Hunderte Millionen von Menschen hofften vergebens auf konkrete Lösungen, wie ihre bedrohten Lebensgrundlagen gesichert werden.

Die Pariser Klimaverhandlungen sind in der Nachspiel-Phase. Nach zwei Wochen zäher Verhandlungen hat die französische Präsidentschaft am Donnerstagabend einen zweiten «definitiven » Vertragsentwurf vorgelegt. Dieser enthält zwar alle Elemente, die für einen ambitiösen, umfassenden und bindenden neuen Klimavertrag notwendig sind. Doch entschieden ist noch nichts. Die immer noch enthaltenen «Optionen» im Entwurf sind lediglich das Abbild der bis an diesen Punkt eingedampften, kaum vereinbaren Verhandlungspositionen der Länderdelegationen.

Die in den Pariser Vorort Le Bourget zurückgekehrten Ministerinnen und Minister treffen sich in zahlreichen bi- und multilateralen Konstellationen. Sie müssen darüber entscheiden, welche Passagen beibehalten oder unter dem sich zuspitzenden Erfolgs- und Zeitdruck rausgestrichen werden. Für konstruktive Kompromissformulierungen bleibt immer weniger Zeit. In den kommenden Stunden wird sich weisen, ob das neue Klimaabkommen tatsächlich den erhofften Grundstein legen kann für eine Kehrtwende nach zwanzig Jahren schleppender globaler Klimadiplomatie.
Vor allem sinkt die Hoffnung, dass das neue Abkommen umgehend dringende Massnahmen in Entwicklungsländern auslösen wird. Denn das hiesse, dass der Vertrag an den Prinzipien globaler Gleichbehandlung ausgerichtet sein müsste. Für die westlichen Staaten – und da spielte die Schweiz in der ersten Reihe mit – geht es prioritär darum, einen effektiven Mechanismus für ambitionierte Treibhausgasreduktionen festzulegen. Wenn alles gut geht, werden denn auch alle Länder im Fünfjahresabstand Pläne vorlegen müssen, wie sie ihre CO₂-Emissionen reduzieren. Diese Pläne sollen überprüft und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen nach und nach verschärft werden. Das ist ein wichtiger Schritt bei der Ursachenbekämpfung des Klimawandels und auf dem Weg zum Ziel, die 1,5-Grad-Marke nicht zu überschreiten. Doch wird damit nur eine Seite der sich zuspitzenden Klimamisere abgedeckt.

Denn die Entwicklungsländer sehen sich einer doppelten Herausforderung gegenüber. Der neue Klimavertrag wird sie in die Pflicht nehmen, ihren zukünftigen Fortschritt – anders als wir es getan haben – weitgehend ohne das Verbrennen fossiler Brennstoffe voranzutreiben. Gleichzeitig müssen sie den Schutz ihrer Bevölkerung und Wirtschaft vor den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels sicherstellen. Beides braucht bedeutende, zusätzliche Mittel. Uno-Generalsekretär Ban-Ki Moon hatte den Staatschefs zu Beginn der Konferenz nochmals in Erinnerung gerufen, dass die dafür notwendige Unterstützung nicht mit Wohltätigkeit zu verwechseln sei, sondern eine Pflicht der wohlhabenden Staaten darstelle. Denn insbesondere in Inselstaaten und bevölkerungsreichen Regionen nahe dem Meeresspiegel müssen umgehend Klimaanpassungsmassnahmen in die Wege geleitet werden. Dasselbe gilt für Weltgegenden, die heute schon von Trockenheit und sich verändernden Regenzyklen bedroht sind. Denn die Emissionen werden nicht von heute auf morgen gestoppt werden können.

Wer in diesem Punkt noch immer auf konkrete Fortschritte im neuen Klimavertrag hofft, wird höchstwahrscheinlich enttäuscht werden. Ausser einer Bestätigung des Grundprinzips der Lastenteilung, welches schon 1992 in der Klimakonvention festgelegt wurde, hatten bereits die dreijährigen Vorbereitungen zum Pariser Gipfel keine Fortschritte gebracht. Das bedeutet, dass das Schicksal von Hunderten von Millionen der Ärmsten dieser Welt weiterhin durch den Willen der 20% Wohlhabendsten der Welt, die für 80% der Treibhausgase verantwortlich sind, bestimmt werden wird.

Das werden die Wermutstropfen im Champagner zum Ende der Klimakonferenz sein. Bei der Klimagerechtigkeit ist die Welt nach drei Jahren noch immer auf Feld eins. Die Sicherung der Lebensgrundlage eines Grossteils der Weltbevölkerung wird trotz neuem Klimavertrag der Spielball westlicher (Real-)Politik bleiben.

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Klimapolitik: Versprechen und kaum Geld dafür

20.01.2016, Klimagerechtigkeit

Der Kampf gegen die Klimaerwärmung ist von höchster Dringlichkeit. Ohne Klimagerechtigkeit ist eine Katastrophe unvermeidlich. Doch die Entscheidungen und die Versprechen der Industriestaaten reichen in keiner Weise aus.

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Experte für Klimapolitik bei Alliance Sud

Seit der Konferenz von Kyoto 1997 gab es jedes Jahr eine Weltklimakonferenz. Und dies ohne substantielle Fortschritte bis zur COP21 (Conference of the Parties) 2015 in Paris. Ob in Durban (2011), Doha (2012), Warschau (2013) oder in Lima (2014), es gelang den Staaten nie, sich auf eine verpflichtende Begrenzung des Ausstosses schädlicher Treibhausgase zu einigen.

Seit dem 12. Dezember 2015 gibt es einen Hoffnungsschimmer: Der internationale Klimavertrag von Paris, der das Kyoto-Protokoll ablösen und ab 2020 für alle Länder verbindlich angewendet werden muss, vereinbart als Ziel eine Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1.5 bis 2.0°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Die guten Absichten könnten allerdings toter Buchstabe bleiben. Konkrete Massnahmen und deren Finanzierung, um die Klimaerwärmung und deren negative Auswirkungen tatsächlich in den Griff zu bekommen, bleiben vage. Das von 195 Staaten unterzeichnete Abkommen bleibt zudem weit vom Konzept der Klimagerechtigkeit entfernt.


Klimagerechtigkeit: Verschmutzer in die Pflicht nehmen

Neben dem Vorsorgeprinzip – das heisst die Ursachen der Klimaerwärmung anzugehen – steht das zentrale Prinzip im Zentrum, wonach der Verursacher eines Schadens diesen auch bezahlen soll: Staaten und einzelne Akteure, die viel Treibhausgasemissionen verursachen, müssen entsprechend mehr beitragen zur Finanzierung von Klimaschutz- und -anpassungsmassnahmen; insbesondere in den Entwicklungsländern, deren Bevölkerungen weitgehend unverschuldet den Folgen des Klimawandels ausgesetzt sind. Es wäre ebenso aussichtslos wie ungerecht, wenn der globale Kampf gegen die Klimaerwärmung und ihre Folgen primär auf Kosten der Ärmsten und Exponiertesten in Entwicklungsländern geführt würde.


Hohle Versprechen

Es geht einerseits um die Finanzierung von Massnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen, insbesondere die komplette Vermeidung des CO₂-Ausstosses bis 2050. Andererseits aber auch um Anpassung an die unvermeidlichen Folgen des bereits stattfindenden Klimawandels. 2010, anlässlich der gescheiterten Klimakonferenz von Cancún, versprachen die reichen Länder finanzielle Beiträge für Klimamassnahmen zur Verfügung zu stellen, die bis ins Jahr 2020 auf 100 Milliarden Dollar pro Jahr anwachsen sollten. Seither weigerten sie sich allerdings, einen verbindlichen Zeitplan festzulegen. Die bisherigen Zahlungen an den dafür geschaffenen Green Climate Fund bleiben mit gesamthaft knapp über 10 Milliarden US-Dollar (Stand Mitte 2016) weit hinter diesem Versprechen zurück.


Unsichere Finanzierung

Eine von der Weltbank veröffentlichte Studie geht davon aus, dass die globale Erwärmung der Atmosphäre in den kommenden 15 Jahren 100 Millionen Menschen neu in die extreme Armut treiben könnte, namentlich in Subsahara-Afrika und in Asien. Zur Abwendung dieses Risikos gibt es, anders als etwa bei der Umstellung auf erneuerbare Energien, kaum Hoffnung auf private, also gewinnorientierte Investitionen. Denn auch in der Schweiz wäre es undenkbar, dass Firmen von sich aus beispielsweise in den kommunalen Hochwasserschutz investieren. Die Finanzierung dieser Aufgaben durch die öffentliche Hand ist darum zwingend.  

Gemäss dem «Adaptation Finance Gap Report» der Uno-Umweltbehörde (UNEP) von 2016 werden die durchschnittlichen Kosten für Klimaanpassungsmassnahmen alleine in den Entwicklungsländern bis 2030 auf jährlich 140 bis 300 Milliarden Dollar ansteigen. Zurzeit sind wir von einer gesicherten Finanzierung jedoch weit entfernt. In den Jahren bis und mit 2014 flossen über bilaterale und multilaterale Kanäle insgesamt gerade mal 22.5 Milliarden US-Dollar für Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländer.


Klima-Petition mit über 100‘000 Unterschriften

Alliance Sud hat an mehreren Weltklimakonferenzen als Vertreterin der Zivilgesellschaft teilgenommen. Am 28. Mai 2015 überreichte sie zusammen mit dem WWF und im Namen von rund sechzig in der Klimaallianz Schweiz zusammengeschlossenen Organisationen die «Petition für eine gerechte Klimapolitik». Diese verlangt vom Bundesrat und den eidgenössischen Räten, sich für einen effektiven und gerechten Klimaschutz auf nationaler und internationaler Ebene zu engagieren. Das heisst zum einen, die nationale Energieversorgung bis 2050 vollständig auf erneuerbare Energiequelle umzustellen. Zum andern muss die Schweiz angemessen zum Schutz der Bevölkerung armer Länder vor den Folgen des fortschreitenden Klimawandels beitragen. An jenen 100 Milliarden Dollar, welche die industrialisierten den Entwicklungsländern für Treibhausgasreduktions- und Klimaanpassungsmassnahmen versprochen haben, muss sich die Schweiz mit rund 1% – also bis spätestens 2020 mit rund 1 Milliarde Franken pro Jahr – beteiligen.

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COP22: Überraschende Wende am Klimagipfel

21.11.2016, Klimagerechtigkeit

48 der ärmsten Länder wollen bis 2050 vollständig auf erneuerbare Energien setzen. Damit steigt der Druck auf die reichen Länder, mit der versprochenen finanziellen Unterstützung ernst zu machen.

COP22: Überraschende Wende am Klimagipfel

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Nicht die US-Wahlen gaben bei den Klimaverhandlungen in Marrakesch (COP22) am meisten zu reden. Es war die gemeinsame Erklärung von 48 der ärmsten und am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder: Sie kündigten an, bis spätestens 2050 ihre Energieversorgung zu 100 Prozent auf erneuerbare Quellen umzustellen. Das kommt einer Ohrfeige für wohlhabende Staaten wie der Schweiz gleich, welche die Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens nur zögerlich angehen.

Die erste Klimakonferenz nach Inkrafttreten des Pariser Abkommens stand im Zeichen von dessen Umsetzung. Bis 2018 muss einerseits das sogenannte Regelwerk verhandelt werden. Es beschreibt, wie die Staatengemeinschaft den Klimawandel möglichst rasch bremsen will. Andererseits muss bis dann gewährleistet werden, dass den am stärksten betroffenen Bevölkerungen die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um sich gegen die voranschreitenden Auswirkungen des Klimawandels zu wappnen. Die wohlhabenden Staaten haben sich in Paris verpflichtet, bis 2020 mindestens 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr dafür einzusetzen.

Paukenschlag der Ärmsten

Am letzten Tag der Verhandlungen kündigten die 48 der ärmsten und verwundbarsten Länder überraschend an, ihre nationalen Energieversorgungen in den kommenden 15 bis 35 Jahren vollständig auf erneuerbare Energiequellen umzustellen. Die im «Climate Vulnerable Forum» organisierten Staaten haben die Zeichen der Zeit erkannt, denn der Zubau von Wind- und Solarkraftwerken überstieg bereits im vergangenen Jahr jenen von Kohlekraftwerken. Vor allem aber stufen diese Länder Klimaschutz nicht als kostspieliges Hemmnis ein, sie sehen darin vielmehr eine Chance, ihre Entwicklung und die angestrebte Nachhaltigkeit zu beschleunigen.
Spätestens jetzt muss ein Ruck durch den Kreis der etablierten, sich selber stets als «Klimapioniere» feiernden Industrieländer gehen. Bis anhin hatten diese «den Entwicklungsländern» stets vorgeworfen, für den Kampf gegen die Folgen des einsetzenden Klimawandels zwar finanzielle Unterstützung zu fordern, sich gleichzeitig aber davor zu drücken, kohlestofffreie Entwicklungspfade in Betracht zu ziehen.

Die Konstellation im globalen Klimapoker hat sich mit diesem Paukenschlag verändert: Wenn die am wenigsten entwickelten und für den Investitionsmarkt minder attraktiven Länder sich zu ehrgeizigeren Zielen bekennen als das Gros der Industrieländer, dann kommen letztere unter Zugzwang. Denn nur die reichen Länder besitzen das Know-how, das Kapital und die Innovationskraft, um die nötige Transformation der Energiepolitik voranzutreiben. Das Mantra, dass die Entwicklungsländer zuerst eine ambitionierte Klimapolitik vorlegen müssten, bevor sie dafür Gelder von den Industrieländern fordern könnten, hat ausgedient.

Nicht die schwer einzuordnende Präsidentenwahl in den USA hat das Fundament der globalen Klima-Architektur erschüttert. Sondern, erfreulicherweise, das Vorangehen derer, die den Klimawandel nicht nur wortreich debattieren, sondern dessen Folgen bereits am eigenen Leib spüren. Ausreden der Industrieländer gelten jetzt nicht mehr. An der nächsten Klimakonferenz, die in einem Jahr unter der Schirmherrschaft von Fidschi in Bonn stattfindet, müssen sie endlich aufzeigen, wie sie die versprochenen Unterstützungsgelder bereitstellen werden.

Auch Schweiz kann sich nicht mehr verstecken

Das gilt auch für die Schweiz, die im internationalen Klimapoker eine zwiespältige Rolle spielt: Zwar hat Bundesrätin Doris Leuthard recht, wenn sie die schleppende Umsetzung der Pariser Beschlüsse beklagt. Gleichzeitig gehört gerade unser Land in der Finanzierungsfrage zu den Bremserinnen. In der Diskussion, woher die bis 2020 auf rund 1 Milliarde Franken pro Jahr geschätzten Beiträge der Schweiz ans internationale Klimaregime kommen sollen, setzt der Bundesrat auf den Privatsektor. Die von den OECD-Staaten vorgelegte «100 Billion Roadmap» kommt aber zum Schluss, dass gerade für dringende Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern kaum private Investitionen zu mobilisieren sind. Die Prognose der OECD rechnet damit, dass bis 2020 nicht einmal die Hälfte der versprochenen Gelder zusammenkommt.
Die globale Transition hin zu einer kohlestofffreien Welt bis Mitte dieses Jahrhunderts kann nur mit gemeinsamen Anstrengungen aller Länder und Akteure bewerkstelligt werden. Wenn die Ärmsten mit zielführenden Rezepten vorangehen, sollte die reiche Schweiz nicht abseits stehen. Vor allem aber darf sie sich nicht länger um Ihre Verantwortung drücken.

Meinung

Trump in Uganda

05.12.2016, Klimagerechtigkeit

Die Schockwelle des Wahlsiegs von Donald Trump war auch im globalen Süden zu spüren. Aber anders.

Trump in Uganda

«Trump versteht was von Kohle.» Wahlhelferin im Bundesstaat West Virginia.

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Donald Trump hat gewonnen. Zumindest die Stimmenmehrheit der weissen männlichen Wähler in massgebenden Bundesstaaten. Verloren haben u.a. der Klimaschutz, der politische Anstand, die Muslime und wir, der afrikanische Kontinent. So und ähnlich lautet der Tenor der Kommentare zu den US-Wahlen in den Online-Medien in Kenia, Nigeria und Uganda.

Ein Blick in die Wahlberichterstattung und LeserInnen-Beiträge ausserhalb des reichen Nordens lohnt sich. Wie berichten eigentlich die Medien in Entwicklungs- und Schwellenländern, die von der US-Politik genauso betroffen sind wie wir?

In Bangladesch zeugen zahlreiche Beiträge von der massiven (und wohl berechtigten) Furcht, dass sich der Klimawandel nochmals verschärfen könnte. Trump hält die globale Erwärmung bekanntlich für eine hässliche Erfindung der chinesischen Propaganda. Was kümmert ihn, dass in Bangladesch der Anstieg des Meeresspiegels bereits Auswirkungen zeigt und Sturmfluten zunehmen? Immerhin haben die Entwicklungsländer an der jüngsten Klimakonferenz in Marrakesch bekannt gegeben, dass sie nun umso ambitioniertere eigene CO₂-Reduktionsziele verfolgen wollen. Und umso dringender ist, dass andere reiche Länder als Trumps USA sie jetzt dabei unterstützen und die dafür versprochenen Mittel bereitstellen. Bedenklich: In der Schweiz hat der Bundesrat 2011 entsprechende Vorschläge in der Schublade verschwinden lassen.

Zurück zu Trump. Nicht nur in Bangladesch, auch in Mexiko und anderswo ist man besorgt über Trumps Pläne zur Ausschaffung der sogenannt illegalen Einwanderer. Wohin mit Zehntausenden von Landsleuten, die möglicherweise zurückkehren müssen? Was tun ohne die Geldüberweisungen der Familienmitglieder? Was wird mit der US-amerikanischen Entwicklungszusammenarbeit geschehen? Und was mit Exporten in die USA, die wieder mit hohen Zöllen belegt werden sollen?

Daniel Kalinaki beschreibt die Wahl Trumps in Kenias Daily Nation als die wohl afrikanischste in der Geschichte der USA. Einige LeserInnen widersprechen: Immerhin habe die unterlegene Partei die Niederlage anerkannt, ohne eine Revolte anzuzetteln.

Sicher berechtigt ist die Frage, die Owei Lakemfa in der nigerianischen Premium Times stellt: Wie sollen wir uns ein Vorbild nehmen an der Demokratie eines Landes, das zutiefst gespalten ist und der Welt einen frauenfeindlichen, xenophoben Steuerhinterzieher vor die Nase setzt? Die Dhaka Tribune teilt die Befürchtung vieler KommentatorInnen in Nord und Süd, das Beispiel Trump könnte Schule machen und fremdenfeindlichen verlogenen Demagogen dieser Welt massiven politischen Auftrieb geben.

Es wurde x-fach gesagt: Jetzt soll die neue Administration ihre Arbeit aufnehmen, bevor sich zeigt, wohin sich die Politik der USA bewegt. Anlass für Optimismus gibt es dabei kaum. Eines ist aber sicher: Die gewisse moralische Autorität, welche die USA mit der Wahl des ersten schwarzen Präsidenten vor acht Jahren gewonnen hatte, ist verspielt und breitester Ernüchterung gewichen.

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COP 23 in Bonn – Vorgeschmack auf Klima-Migration

09.10.2017, Klimagerechtigkeit

Kein Wunder soll die «COP 23» auf das Thema Schäden und Verluste fokussieren. Für den Inselstaat Fidschi, der dieses Jahr den Vorsitz hat, gehen die Klimaveränderungen längst ans Lebendige. Verluste und Umsiedlungen bzw. Flucht sind bereits Realität.

COP 23 in Bonn – Vorgeschmack auf Klima-Migration

Dhaka, die zwei Meter über dem Meeresspiegel gelegene Hauptstadt von Bangladesch, im Monsunregen vom 26. Juli 2017.
© Abir Abdullah / EPA / Keystone

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»
 

Im Vorfeld der 23. Conference of the Parties (COP 23) vom 6. bis 17. November haben durch den Klimawandel verstärkte Wetter-Extremereignisse die medialen Schlagzeilen bestimmt. Während Tagen lieferten katastrophale Stürme in der Karibik und den USA dramatische Bilder in unsere Wohnzimmer, während der ebenso verheerende Extrem-Monsun im Golf von Bengalen, aber auch in Mumbai eine Randnotiz blieb. Die diesjährige, verheerende Trockenheit in Italien wurde durch zerstörerische Regenfluten abgelöst, was hierzulande medial allerdings von Bergstürzen und Gletscherabbrüchen überlagert wurde.

Allen gemeinsam ist die Frage, wie mit den durch den Klimawandel verursachten oder verstärkten Schäden und Verlusten (sog. loss and damage) umgegangen werden soll: Woher die Mittel für den Wiederaufbau nehmen? Wie unwiderruflich zerstörte Lebensgrundlagen von Menschen ersetzen, die bereits vorher am Rande der Armut lebten? Oder, wie ein Artikel zu den verheerenden Überschwemmungen in Südasien, die Tausenden von Menschen das Leben gekostet und Abermillionen in den Ruin getrieben haben, lakonisch titelte: Wohin mit all den Klima-MigrantInnen aus Bangladesch?

Denn: Der permanente Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter wird innerhalb weniger Jahrzehnte 30 Millionen Bangladeschi wortwörtlich den Boden entziehen. Sie werden zu «Klimaflüchtlingen». Wobei dieser Begriff offiziell gar (noch) nicht existiert; Menschen, die durch Desaster und Klimaveränderung vertrieben werden, gelten bisher nicht als «echte» Flüchtlinge. Auch wenn die Nansen-Initiative (unter Beteiligung der Schweiz) bereits seit 2010 diese Frage debattiert.  

Alle Augen auf Frank from Fidji

Angesichts dieser sich zuspitzenden Fragestellungen richten sich die Augen auf den diesjährigen Klimagipfel, der von Fidschi präsidiert wird. Die COP 23 findet aber nicht im Pazifik statt, sondern wurde nach Bonn verlegt. Fast ist man versucht, in der Umsiedlung der Konferenz ins klima-resilientere Rheinland etwas prä-apokalyptische Symbolik zu erkennen.

Fidschis Premierminister Josaia Voreqe Bainimarama hat angekündigt, als COP 23-Präsident das Thema loss and damage voranzutreiben. Er weiss, wovon er spricht. In Fidschi, bestehend aus 332, meist nur wenige Meter aus dem Meer ragenden Atollen, hinterliess der Sturm Winston 2016 Schäden von 1.4 Mrd. US-Dollar, was einem Drittel des BIPs entspricht. – Bereits bei seinem ersten Auftritt als COP 23-Präsident am G-20-Gipfel dieses Jahres sicherte Frank from Fidji, wie er sich gerne vorstellt, allen Einwohnern von Kiribati und Tuvalu das permanente Aufenthaltsrecht auf Fidschi zu. Und forderte von den USA eine analoge, unbefristete Verlängerung des 2023 auslaufenden Aufenthaltsrechts für alle Einwohner der Marshall-Inseln, das ihnen vor Jahrzehnten als Abgeltung für die Zerstörung und Verstrahlung mehrerer ihrer Atolle zugestanden wurde.

Als erstes Land der Welt, das das Pariser Klimaübereinkommen ratifiziert hat, machte sich Fidschi im Rahmen der Staatengruppe des Climate Vulnerable Forum bereits vor «Paris 2015» für die Frage klimabedingter Schäden und Verluste stark. Mit Erfolg: Das Pariser Klimaübereinkommen widmet loss and damage ein eigenständiges Kapitel. Trotz dieses diplomatischen Durchbruchs vor zwei Jahren werden die damit zusammenhängenden Fragen nach der Verantwortung und den Ansprüchen auf Kompensation von den Industriestaaten, den Hauptverursachern des Klimawandels, noch immer tabuisiert.

Dabei stehen mindestens zwei konkrete Traktanden ganz oben auf der globalen Klima-Agenda: Zum einen kam mit dem erwähnten loss and damage-Kapitel des Pariser Abkommens endlich die Frage offiziell auf dem Tisch, wie mit migrierenden oder vertriebenen Menschen umgegangen werden soll, die ihre Lebensgrundlage durch Klimaveränderungen verlieren. Zum andern wurde bereits vor vier Jahren das Exekutiv-Komitee des Warsaw Implementation Mechanisms (WIM) mit der Evaluierung der Bedeutung und Tragweite von loss and damage mandatiert. Nun müssen endlich auch Fragen der Schadensbehebung oder Kompensation bei Verlusten aufs Tapet.

Dafür braucht es auch dringend einen Finanzierungsplan zu Gunsten der ärmsten und weitgehend unverschuldet zu Schaden gekommenen Bevölkerungen im globalen Süden. Denn – im Gegensatz zur Klimafinanzierung und den bereits beschlossenen 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für Mitigation und Adaptation – wurde im Pariser Klimaübereinkommen keine finanzielle Unterstützung für erlittene Schäden und Verluste festgelegt. Diesem Manko vorgelagert ist die tabuisierte Frage nach den Verantwortlichkeiten.  

Vieles hängt mit den diametral auseinanderliegenden Interessen zusammen, angefangen bei der Abgrenzung von loss and damage gegenüber Adaptation. Die Vorschläge der Hauptverursacher, allen voran Industrieländer wie die Schweiz, liegen meilenweit von den Bedürfnissen der Betroffenen, allen voran der kleinen Entwicklungs-Inselstaaten wie Fidschi, entfernt.

Die COP 23 muss diesem unwürdigen Eiertanz auf Kosten der Schwächsten endlich ein Ende setzen. Angesichts der Katastrophen der vergangenen Wochen und Monate müssen in Bonn konkrete Pflöcke eingeschlagen werden. Denn in der Öffentlichkeit ist die Dringlichkeit, dass mit den durch die Klimakrise angerichtete Schäden und Verlusten gerecht umgegangen werden soll, längst angekommen.

 

Was die COP 23 im Bereich Schäden und Verluste erreichen muss

js. Trotz Trump’scher Obstruktion aus den USA arbeitet die Welt-Klimagemeinschaft mit fast demonstrativer Geschlossenheit in rund einem Dutzend workstreams am Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens. Die COP 23 soll davon einen ersten, umfassenden Entwurf hervorbringen. – Aus Sicht von Alliance Sud kann die COP 23 aber nur dann als Erfolg gewertet werden, wenn auch im Bereich loss and damage konkrete Fortschritte erzielt werden: 

  • Loss and damage, als ebenbürtiger Pfeiler des Pariser Abkommens, muss auch mit derselben Priorität behandelt werden wie die anderen. Dazu gehören die Erarbeitung von Kriterien („Positivliste“) für zu vergütende Schäden & Verluste und eine wissenschaftlich fundierte Abschätzung der zu erwartenden Kosten und Optionen verursachergerechter Finanzierung.
  • Ein «Fidschi Finanzierungs-Mechanismus für Schäden und Verluste» sollte vorbereitet und verursachergerecht, ab 2020 mit jährlich 50 Mrd. und bis 2030 mit 200-300 Mrd. US-Dollar dotiert werden. Dieser Mechanismus soll auch eine Versicherung zugunsten der vom Klimawandel bedrohten pazifischen Inseln ermöglichen.
  • Das Exekutivkomitee des Warsaw Implementation Mechanisms (WIM) muss mit mehr Mitteln ausgestattet werden, Klimaversicherungs-Bedingungen zu Gunsten der Ärmsten verankern und den verwundbarsten Bevölkerungen direkt zur Seite stehen können.
  • Das Thema klimabedingter Migration, Vertreibung und Umsiedlung muss ab 2018 in den Verhandlungen intensiviert werden. Dabei müssen nebst Versicherungslösungen auch weitere Optionen des (lokalen) Risikomanagements vorangetrieben werden.

Artikel

Auf Frauen hören bei der Bekämpfung der Klimakrise

14.06.2019, Klimagerechtigkeit

Die Klimakrise und der Kampf um Frauenrechte haben mehr miteinander gemeinsam als auf den ersten Blick ersichtlich. Denn Klimaveränderungen verstärken Diskriminierungen – auch im globalen Süden.

Auf Frauen hören bei der Bekämpfung der Klimakrise
Frauen auf dem Weg zur Arbeit in Jamshedpur im indischen Bundesstaat Jharkhand, der stark vom Stahl- und Mischkonzern Tata geprägt ist.
© Penny Tweedie/Panos

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Frauen nehmen die bedrohliche Klimathematik ernster als Männer. Frauen wollen eher Ressourcen schonen und sind eher bereit, ihr Verhalten zu ändern. Männer dagegen neigen eher zu riskanten technischen Lösungsansätzen der Klimakrise.[1] Studien zufolge haben Frauen eine bessere CO2-Bilanz als Männer, sie fahren weniger und sparsamere Autos, essen häufiger vegetarisch und achten beim Einkauf vermehrt auf ökologische Produkte.

Gleichzeitig sind Frauen und Mädchen überproportional von den Auswirkungen der Klimaveränderung betroffen; vor allem in Entwicklungsländern. Und trotzdem werden lokale, von Frauen geprägte Lösungsansätze oft ignoriert.

Das sind einige der Themen, mit denen sich das globale Frauen-Netzwerk Women Engage for a Common Future (WECF) befasst und die es u.a. auf grossen, informativen «Educational Posters» ins öffentliche Bewusstsein bringt.

Alliance Sud befragte Katharina Habersbrunner und Anne Barre vom WECF, die dort für die Umsetzung geschlechtergerechter Klima- und Energieprojekte bzw. eine gendergerechte Ausgestaltung der Klimapolitik zuständig sind.

 

Alliance Sud: Warum braucht es einen feministischen Zugang zur Klimakrise?

WECF: Es geht nicht darum, Stereotype zu bedienen, aber patriarchal geprägte Handlungsmuster wirken sich direkt auf die Klimakrise und den Umgang damit aus. Die Klimaveränderung ist nicht geschlechtsneutral, weder im globalen Norden noch im Süden.

Nicht nur in Entwicklungsländern haben Frauen weniger politische Entscheidungsmacht, weniger Zugang zu Ressourcen, von Finanzmitteln über Eigentum bis hin zu Bildung und Information. Gleichzeitig erreichen neue Entwicklungen wie etwa erneuerbare Energien die Frauen meist schlechter oder später als Männer. Bei der Planung, Implementierung und Evaluation von klimafreundlichen Techniken oder Projekten werden sie kaum eingebunden, obwohl Frauen die Bedürfnisse ihrer Familien besser kennen und damit die direkteren Nutzerinnen von Energie sind. Es fließen derzeit nur gerade 0,01% der gesamten Klimafinanzierung in explizit geschlechtersensible Klimalösungen.

Welches sind aus Frauensicht die Herausforderungen oder auch Chancen im Zusammenhang mit der Klimakrise und nachhaltiger Entwicklung?

Weil Frauen der Zugang zu Information oder Unwetterwarnungen vorenthalten wird, sterben sie bis zu 14-mal häufiger als Männer an den Folgen von Klimakatastrophen.[2] In vielen Ländern dürfen Frauen nicht alleine auf die Strassen gehen, sie sind in der Regel weniger mobil und werden weniger in überlebensrettende Trainings einbezogen als Männer. Den Tsunami in Südostasien 2004 überlebten nach Schätzungen von Oxfam fast vier Mal mehr Männer, weil sie im Gegensatz zu Frauen schwimmen konnten.

Vor allem aber zwingen die schleichenden Klimaveränderungen in armen Ländern den Frauen und Mädchen immer längere und beschwerlichere Arbeit auf, um die Felder zu bewirtschaften oder den Haushalt mit Energie und Wasser zu versorgen. Sie sind es, die infolge der Klimaveränderung zuerst ihr Einkommen verlieren, vorzeitig die Schule verlassen müssen oder zwangsverheiratet werden.

Obwohl Frauen in vielen Ländern für die (Subsistenz-)Landwirtschaft und damit für die Ernährung der Familien zuständig sind, haben sie oft weder Grundbesitz- noch Entscheidungsrechte was den Boden angeht, den sie bearbeiten. Das gilt auch für die Wasserversorgung. Liegt der Fokus bei Anpassungsmaßnahmen auf rein technischen Lösungen, so werden die Bedürfnisse der Direktbetroffenen, also von Frauen und Mädchen, viel zu oft ausgeblendet.

Noch bezeichnender sind fehlkonstruierte Zyklon-Notunterkünfte in Bangladesch: Weil gender-spezifische Bedürfnisse nicht in die Planung einflossen, sind Frauen während Unwettern vermehrt sexuellen Belästigungen von Männern ausgesetzt, etwa wenn Sanitäranlagen ohne Beleuchtung und weit von den Aufenthaltsräumen entfernt liegen.

Oft wird Frauen auch schlicht der Zugang zu Lösungen verwehrt: In Georgien hat WECF mit lokalen PartnerInnen Solarkollektoren für Warmwasser entwickelt, die vor Ort produziert werden. Das reduziert die Abholzung, spart vor allem Frauen Zeit und Geld. Doch leider stockt die Umsetzung, denn die Frauen bekommen anders als Männer mit weniger Einkommen kaum Darlehen; oder es werden viel höhere Zinssätze verlangt als bei Männern.                      

Frauen wird oft eine besondere Rolle in der Bewältigung der Klimakrise zugeschrieben…

Frauen sind aufgrund ihrer Rolle als Familienmanagerinnen und Care-Arbeiterinnen oft viel direkter darauf angewiesen, praktische Alltagslösungen auf Klimaveränderungen zu entwickeln. Weil sie Gemeinschaften mobilisieren können, werden sie oft als change agents gesehen. Tatsächlich setzen sich Frauen in allen Teilen der Welt für innovative, effektive und bezahlbare Strategien vor Ort ein. Doch solche lokalen low-tech Ansätze erhalten in der Regel viel weniger politische Unterstützung und Finanzierung als hoch-technische und kommen somit kaum im notwendigen grossen Stil zur Anwendung.

Auf der letztjährigen Weltklimakonferenz in Kattowitz wurde ein Gender-Aktionsplan (GAP) verabschiedet. War das ein Wendepunkt für eine geschlechtergerechtere Klimapolitik?

Die konsequente Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau, das sogenannte  gender mainstreaming wurde im über 25-jährigen Prozess der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) erst spät anerkannt. Und dies obwohl gender-gerechte Massnahmen einen wichtigen Beitrag zur Wirksamkeit der Klimapolitik leisten. In der Präambel des Pariser Klimaübereinkommens wird nun völkerrechtlich verbindlich gefordert, Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit und die stärkere Teilhabe von Frauen in allen Aktivitäten zur Bekämpfung der Klimaveränderung zu berücksichtigen.  

Der GAP konkretisiert diese Forderungen in fünf Kernbereichen: Kapazitätsaufbau, Wissensaustausch und Kommunikation zum Beispiel durch Gender-Trainings in den Uno-Institutionen; Geschlechterparität in Führungspositionen bei den Klimakonferenzen und in den Ländern; Kohärenz, dass Beschlüsse zu Geschlecht und Klimawandel auch in den Massnahmen der übrigen Uno-Organisationen umgesetzt werden; gendersensible Umsetzung inklusive der dafür notwendigen Mittel sowie gendersensibles Monitoring und Berichterstattung über getroffene Klimamassnahmen.

Weil die Vertragsstaaten geschlechtsspezifische Daten erheben und ihre Klimapolitik einer Genderanalyse unterziehen müssen, werden Regierungen dazu gebracht, Genderpolitik und Klimapolitik zusammen zu denken. Der GAP bildet also die Basis für eine geschlechtergerechte(re) Klimapolitik. Aber es braucht noch deutliche Fortschritte in der Umsetzung sowie ambitioniertere Entscheidungen in den kommenden Klimakonferenzen.

Es gibt aber auch Wissenschafterinnen, die Kritik an der «Feminisierung der Klimakrise» üben. Sie zielt u.a. darauf, dass die Arbeitsteilung nach Geschlechtern zementiert würde, während Frauen von den zentralen Verhandlungen über die internationale Klimapolitik nach wie vor weitgehend ausgeschlossen bleiben. Wie beurteilen sie diese Thesen?

Werden bestehende Strukturen innerhalb einer Gemeinschaft oder eines Haushalts ausgeblendet, so pflanzen sich vorherrschende Machtstrukturen und soziale Ungleichheiten in Projekte und Politiken fort oder werden gar noch verstärkt. So betrachtet verlangsamt eine genderblinde Klimapolitik tatsächlich das Finden von Lösungen zur Eindämmung der Klimakrise. Insofern stimmen wir der These der «Feminisierung der Klimakrise» absolut zu. Die Klimaveränderung wirkt wie ein Risikomultiplikator und verstärkt bestehende Diskriminierungen, die Frauen aufgrund ihres geringen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Status erfahren. Es ist darum wichtig zu betonen, dass Frauen vor allem aufgrund traditioneller Rollenverteilung in den meisten Gesellschaften anfälliger sind für die Auswirkungen des Klimawandels. Darum ist die verbindliche Umsetzung des GAP mit seinen verschiedenen Ebenen so wichtig. Je mehr Frauen auf allen Ebenen in die Entscheidungen miteingebunden werden, desto erfolgreicher die Klimapolitik.

 
Women Engage for a Common Future

WECF ist ein internationales Netzwerk von mehr als 150 Frauen- und Umweltorganisationen in 50 Ländern. WECF setzt sich für die lokale Umsetzung nachhaltiger Klimalösungen und die Förderung geschlechtergerechter politischer Rahmenbedingungen weltweit ein. Als Gründungsmitglied der Women and Gender Constituency des UNFCCC (Uno-Klimarahmenkonvention) und offizieller Partner des Uno-Umweltprogramms UNEP implementiert WECF in den Bereichen Klima und Gender Politiken, die eng miteinander verzahnt sind und die Kapazitäten von Frauen durch Klimaprojekte vor Ort stärkt.

 

 

[1] World Bank, World Development Report 2012

[2] UNFPA, Women on the frontline

Artikel

Kommt die Impfung gegen die Klimakrise?

22.06.2020, Klimagerechtigkeit

Die Corona- und die Klimakrise sind nicht zuletzt Gerechtigkeitskrisen. Der globale Süden ist zweifach dringend auf Unterstützung angewiesen. Auch darum sind die beiden Krisen vernetzt anzugehen. Ein Plädoyer, jetzt die Weichen richtig zu stellen.

Kommt die Impfung gegen die Klimakrise?

«Vor dem Flug entfernen» steht auf der Markierung bei einer vorübergehend gegroundeten SWISS-Maschine.
© Ennio Leanza/Keystone

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Die Klimakrise macht keine Pause während der Coronakrise. Im Gegenteil: Gemeinschaften, die bereits Klimarisiken ausgesetzt waren, trifft die Coronakrise doppelt. Hygienemassnahmen sind in ariden Gegenden, wo Wasser an gemeinsamen Brunnen von Hand geschöpft und in stundenlangen Märschen nach Hause getragen werden muss, viel schwerer einzuhalten. Die Überschwemmungen nach der Heuschreckenplage in Ostafrika oder der Zyklon Amphan im Golf von Bengalen trafen bereits geschwächte Gesundheitssysteme mit voller Wucht. Die durch das Virus ausgelöste Mehrfachkrise hat für die Ärmsten und Verwundbarsten katastrophale Konsequenzen: Sie trifft Menschen in klimaexponierten, Infrastruktur- und finanzschwachen Entwicklungsländern, deren ohnehin prekäre Einkommenssituation durch die Pandemie noch vollends zusammenbricht. Es ist kein Zufall, dass der von Germanwatch ermittelte Klimarisikoindex eng mit der Verletzlichkeit gegenüber Epidemien korreliert.

Krise als Chance – was ist dran?

Die Klimakrise wird immer noch da sein, wenn die Weltgemeinschaft das Virus in den Griff bekommen hat, darin sind sich alle einig. Gestritten wird darüber, inwiefern die Coronakrise als Augenöffner dient und ob es legitim und zweckmässig ist, die abgedroschene Phrase von der «Krise als Chance» zu bemühen. Immerhin zeigt der Umgang mit Covid-19 durchaus eine Reihe von wichtigen Perspektiven auf, wie mit der globalen Klimakrise politisch umzugehen ist.

Im Zentrum stehen Fragen, die beiden Krisen gemein sind, wie jene nach deren grenzüberschreitenden Ursachen und Auswirkungen sowie nach der Resilienz von Gesellschaften und deren Kapazitäten, Krisen zu bewältigen. Wir haben gesehen, dass fehlende Investitionen in der Krisenprävention und Pandemie-Vorsorge zu gravierenden Engpässen, auch solchen mit tausendfacher Todesfolge, geführt haben. Die Lehre daraus: Notmassnahmen, ihre Folgekosten und Rettungspakete kommen eine Gesellschaft sehr viel teurer zu stehen als Prävention und frühzeitig ergriffene Vorsorgemassnahmen. Nicht anders verhält es sich damit in Bezug auf Auswirkungen der Klimakatastrophe. Verglichen mit Covid-19 kommt diese quasi im Zeitlupentempo auf uns zu. Aber selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO rechnet ab 2030 mit bis zu 250 000 zusätzlichen Todesopfern pro Jahr, wenn sich die Klimaveränderung im heutigen Tempo ungebremst fortsetzt.  

Anlass zu leiser Hoffnung, dass die Weltgemeinschaft Lehren aus der Coronakrise zieht, gibt die Tatsache, dass sich die Politik bei der Bekämpfung der Pandemie auf die Erkenntnisse der Wissenschaft abgestützt und schnelle und einschneidende Massnahmen getroffen hat. Und dies, obwohl die Wissenschaft zwar viel über Virologie und Epidemiologie, aber (noch) fast nichts über den neuen Erreger SARS-CoV2 wusste. Genau umgekehrt verhält es sich mit der Klimawissenschaft: Wiewohl hochkomplex, sind die Ursachen und Mechanismen der Klimaveränderung heute bestbekannt; es führt kein Weg an der Dekarbonisierung vorbei. Der entscheidende Unterschied zwischen Corona- und Klimakrise ist die unmittelbare Bedrohung und deren globale Ausprägung: Auf der ganzen Welt wurde die Pandemie als (gleichermassen) lebensbedrohend erkannt und dementsprechend gehandelt. Bei der Klimakrise dagegen fällt die Bedrohungslage geographisch und sozio-ökonomisch bedingt unterschiedlich aus. Während die BewohnerInnen der Pazifikinseln und anderer bereits unmittelbar von der Klimaveränderung betroffener Regionen zunehmend verzweifelt nach Unterstützung in der Klimakrise rufen, dominiert bei vielen VerantwortungsträgerInnen in den Verursacherländern immer noch die Einstellung, dass es schon nicht so schlimm kommen werde. Es ist zu hoffen, dass diesbezüglich eine repräsentative SPIEGEL-Umfrage mehr ist als eine Momentaufnahme; über 90 Prozent der Befragten wollen, dass sich die Politik in Zukunft mehr auf wissenschaftliche Einschätzungen abstützt. Und eine deutliche Mehrheit (59 Prozent) hält den Klimawandel längerfristig für wirtschaftlich und gesellschaftlich folgenreicher als die Coronakrise.

Zuversichtlich könnte stimmen, dass es einigen Regierungen – im Norden und im Süden – in den letzten Monaten gelungen ist, ihren Bevölkerungen selbst einschneidende Massnahmen nachvollziehbar zu erläutern und diese umzusetzen. Demgegenüber wird sich die Erkenntnis erst noch durchsetzen müssen, dass sich die Klimakrise im Gegensatz zur Pandemie nicht „aussitzen“ lässt; gegen Viren lassen sich Impfungen und Medikamente entwickeln, was für Treibhausgase nicht gilt. Deren erhöhte Atmosphärenkonzentration und damit die Klimaveränderungen verschwinden nicht wieder von selbst. Auch wird sich keine Immunität dagegen einstellen; vielmehr sind kostspielige Anpassungen in Infrastruktur und im Ernährungssystem notwendig. Die Klimakrise erfordert strukturelle Anpassungen statt kurzfristig anberaumter Lockdowns.

Build back better

Angesichts der grossen Opfer, welche die Coronakrise weltweit immer noch fordert, mag es zynisch klingen, ein «gestärkt aus der Krise hervorgehen» zu postulieren. Doch die Milliarden, die weltweit zur Bewältigung der Krise bereitgestellt werden, erlauben keinen Aufschub der Debatte. Welche Art der Unterstützung ist auch aus globaler Klimaperspektive nachhaltig? Wie kann die blosse Aufrechterhaltung von (fossil befeuerten) Strukturen aufgebrochen werden? Aus Sicht von Alliance Sud lautet das Gebot der Stunde build back better oder wie es der ETH-Forscher im Bereich Nachhaltigkeit und Technologie Jochen Markard vorschlägt: Es gelte jetzt, «Disruption punktuell walten zu lassen», also beschädigte oder zerstörte, schon vor der Pandemie nicht zukunftsfähige Strukturen, bewusst nicht zu retten. Denn allzu offensichtlich wäre es ein kostspieliger Leerlauf, mit Coronamitteln Strukturen zu retten, nur um sie möglichst bald mit nochmals zusätzlichen Geldern klimaverträglich umbauen zu müssen. Es liegt auf der Hand, den direkten Weg zu wählen und sämtliche Investitionen zur Rettung der Weltwirtschaft auch gegen zukünftige Schocks abzusichern.

Das umfasst nicht nur virologische, sondern auch die sich abzeichnende Klimabedrohung. Die völkerrechtliche Grundlage dafür existiert: Das Pariser Klimaübereinkommen verlangt in Artikel 2.1.c, dass sämtliche Finanzströme «auf Kurs in Richtung niedriger Treibhausgasemissionen und klimabeständiger Entwicklung» zu bringen seien. In einer Krise, die wie die Klimakrise schon heute den Fortbestand eines Teils der Menschheit bedroht, ist es legitim, wenn nicht gar ein Imperativ, dass die öffentliche Hand als investor of last resort im Namen des Gemeinwohls Einfluss auf eine im Interesse aller zu rettende Wirtschaft nimmt. Oder in den Worten von UN-Generalsekretär António Guterrez: “Public funds should be used to invest in the future, not the past.”

So notwendig kurzfristig aufgelegte Notfallmassnahmen waren, um unmittelbar vom Lockdown Betroffenen über die Runde zu helfen, so wenig dürfen mittelfristig Unternehmen oder Aktivitäten mit Coronahilfsgeldern unterstützt werden, die nicht mit der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung vereinbar sind.

Die gute Nachricht: Resilienz gegen künftige Pandemien geht in vielen Belangen mit Klimaresilienz Hand in Hand: Gesicherter Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen etwa, oder die Stärkung der Ernährungssicherheit durch Förderung lokal-regionaler, weniger vom globalen Markt abhängiger Versorgung, sind zentrale Elemente der Epidemie- wie der Klimavorsorge. Wenn die Coronamilliarden auch nach Kriterien der (Klima-)Resilienz und Nachhaltigkeit vergeben werden, lassen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Der grosse Vorteil ist, dass die meisten Massnahmen zur Prävention und Anpassung an die Klimakrise sogenannte No-regret-Investitionen darstellen. Im Gegensatz zu den Kosten für reine Pandemieprävention haben sie einen unmittelbaren, spürbaren Nutzen für die Gesellschaft.

Daher dürfen auch keinesfalls bisherige Klimagelder für Entwicklungsländer als «Coronahilfe» umgelenkt werden. Das machte auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel klar, indem sie im Zenit der Pandemie verlangte, die Klimafinanzierung für die verwundbarsten Länder angesichts der doppelten Bedrohung durch Covid-19 und die Klimaveränderung gerade jetzt zu erhöhen.

Kein «Weiter-wie-bisher»

Leider scheint die Schweizer Politik nach einer kurzen Phase von mutigen und weitreichenden Entscheiden noch während des Lockdowns zurück ins politische Weiter-wie-bisher gefallen zu sein. Dass die Unterstützung der privaten SWISS Airlines nicht einmal an minimale Bedingungen geknüpft wurde, war ein klares Indiz dafür. Andere, auch bürgerlich regierte Länder haben die Chance hingegen erkannt und genutzt, um den ökologischen Umbau an die Hand zu nehmen: Frankreichs Flugindustrie darf nach ihrer Rettung die Bahn nicht mehr konkurrenzieren. Kanada verlangt von allen geretteten Unternehmen konsequente Klimamassnahmen. Und auch die EU-Kommission und ihre Mitgliedstaaten signalisieren, dass sie am postulierten Green Deal trotz oder gerade wegen der coronabedingten Turbulenzen festhalten wollen.

Die Wiederbelebung der Wirtschaft, der Schutz der öffentlichen Gesundheit oder die Bekämpfung der Klimakrise konkurrenzieren sich nicht gegenseitig, im Gegenteil, die drei Bereiche zu verlinken, schafft Synergien und eine zukunftsfähige Politik. Ob es in absehbarer Zeit eine Impfung gegen das Coronavirus geben wird, ist keineswegs sicher. Klar ist, dass sich die Welt nie gegen die Klimakrise impfen lassen kann. Aber beide Krisen können nur mit wissenschafts- und vernunftgetriebener Politik und globaler Zusammenarbeit überwunden werden. 

Meinung

Nach Glasgow müssen wir Gas geben

06.12.2021, Klimagerechtigkeit

Mit der Abschlusserklärung der UN-Klimakonferenz ist es noch lange nicht getan: Die Klimakrise spitzt sich zu und das Klimabudget der Schweiz ist bald aufgebraucht. Die Analyse aus Glasgow von Stefan Salzmann, Klimaexperte beim Fastenopfer.

Nach Glasgow müssen wir Gas geben
Die Klimakrise ist für die Inselstaaten bereits heute eine existentielle Bedrohung. Der Aussenminister von Tuvalu hielt deshalb seine COP26-Erklärung an einem besonderen Ort: in Funafuti, mitten im Pazifischen Ozean.
© EyePress via AFP

Hagel und Regen im Sommer in der Schweiz, Hitze in Kanada, Feuer in Griechenland und Russland, Dürre im Iran; im August die wissenschaftlich belegte Alarmstufe Rot im neusten Bericht des Weltklimarates. In deutlichen Worten schreiben KlimatologInnen, dass das Ausmass der anthropogenen Klimaerwärmung seit vielen Jahrhunderten bis Jahrtausenden beispiellos ist. Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen und Starkniederschlägen, landwirtschaftliche und ökologische Dürren werden zunehmen und immer häufiger kombiniert auftreten. Die bereits heute beobachteten Veränderungen werden sich verstärken und unumkehrbar sein. Jedes Zehntelgrad Zunahme der globalen Durchschnittstemperatur macht einen Unterschied – insbesondere für die ärmsten und verwundbarsten Menschen auf der Welt.

Der neue Bericht des UNO-Umweltprogramms (UNEP) vom Oktober, der die Ziele des Pariser Abkommens mit den gemachten Versprechen vergleicht, stellt fest, dass die eingereichten Ziele der Länder eine globale Klimaerwärmung von 2.7 Grad ansteuern. Und parallel, schreibt ebenfalls das UNEP, werden weiterhin nicht genügend finanzielle Mittel für Anpassungsmassnahmen in armen Ländern zur Verfügung gestellt: Der Bedarf ist bis zu zehnmal höher als das, was die verursachenden Industrienationen bereitstellen.

Der Wille ist da – aber niemand bestimmt den Weg

Unter diesen Vorzeichen haben die OrganisatorInnen der 26. Weltklimakonferenz aus Grossbritannien viel guten Willen gezeigt. In der ersten Woche der Konferenz wurden täglich neue globale Initiativen verkündet.  Die Initiativen «Globale Transition von Kohle zu sauberer Energie», «Stopp der globalen Entwaldung» oder «Globale Initiative für grüne Energie-Netze» sind nur eine Auswahl. Euphorisch hat die Internationale Energieagentur errechnet, dass man so auf einen Kurs von nur noch 1.8 Grad Erderwärmung kommen könne – wenn all die Versprechen umgesetzt werden. Und genau da liegt die Schwierigkeit – keine dieser Initiativen hat einen Umsetzungsplan. Die Länder, welche die Versprechen mittragen, sind die gleichen, die es bis 2020 nicht geschafft haben, die bereits 2009 versprochene Klimafinanzierung bereitzustellen. Und wenn Länder wie Brasilien die Entwaldungsinitiative unterzeichnen, dann ist das zwar ein Hoffnungsschimmer, aber realpolitisch betrachtet wohl eher ein Todesurteil für diesen ehrgeizigen Plan, der wie alle anderen ambitionierten Pläne die Umsetzung derselben den freiwilligen politischen Massnahmen der einzelnen Länder überlässt.

Und die Schweiz?

Auch die Schweiz steht unter Druck: Nachdem selbst der kleine Schritt des revidierten CO2-Gesetzes im Juni 2021 für die Mehrheit der Bevölkerung zu gross war, reiste die vom Bundesamt für Umwelt angeführte Delegation mit fehlender gesetzlicher Grundlage nach Glasgow. Hier wurden einmal mehr alle Verhandlungen zu weiteren Klimafinanzen blockiert. Die Gründe sind auf den ersten Blick verständlich – auch reiche Schwellenländer sollen in die Klimafinanzierung einsteigen und es gehe nicht, dass sich China und Singapur als Entwicklungsländer ausgeben und nichts zahlen wollen. Als eines der reichsten Länder der Welt aber so zu argumentieren, nützt denen nichts, deren Lebensgrundlagen von diesen Beschlüssen abhängen – wie die ärmsten und verwundbarsten Menschen auf der Welt. Für sie bedeuten blockierte Verhandlungen, egal von wem, Not, Leid und prekäre Überlebensstrategien.

Schäden und Verluste

Die Lebensgrundlagen vieler stehen auf dem Spiel, von einigen sind sie bereits heute zerstört. Sogenannte «Schäden und Verluste» bezeichnen im Fachjargon durch die Klimaerhitzung verursachte irreversible Probleme: Klimaauswirkungen also, die die Anpassungsfähigkeit von Ländern, Gemeinschaften und Ökosystemen übersteigen. Wenn eine Familie wegen des Meeresspiegelanstiegs ihr Haus verliert, ist es für immer verloren. Solche Schäden und Verluste gibt es bereits heute und mit jedem Zehntelgrad Temperaturanstieg werden sie weiter zunehmen. Deshalb hat die Zivilgesellschaft dieses Thema in Glasgow zur obersten Priorität gemacht.

Das Klimabudget der Schweiz ist bald aufgebraucht

Nicht nur weil die Schweiz eines der reichsten Länder ist, welches historisch viele Treibhausgase ausgestossen hat, wäre es angebracht, anderen bei bereits eingetretenen Schäden beizustehen. Im September haben Sozial-EthikerInnen von zehn kirchlichen Institutionen über ein klimagerechtes CO2-Restbudget diskutiert. Auf der Basis von wissenschaftlich belegten Daten wurde berechnet, welcher Anteil an den global noch zur Verfügung stehenden Gigatonnen CO2 der Schweiz zusteht, wenn sie sich klimagerecht verhalten will. Die Sozial-EthikerInnen haben dabei getan, was die Klimawissenschaft nicht kann: Sie haben Modellrechnungen moralisch gewichtet und interpretiert. Dabei kam heraus, dass eine klimagerechte Restmenge CO2 im Frühjahr 2022 aufgebraucht sein wird. Ein weiterer Beleg dafür, dass die bundesrätliche Strategie, Netto Null Treibhausgasemissionen bis ins Jahr 2050 erreichen zu wollen, mit Gerechtigkeit nichts mehr gemeinsam hat.

Wie weiter?

Es sind Momente wie die Klimakonferenz in Glasgow, in denen die offizielle Schweiz beweisen sollte, dass unserem Land Gerechtigkeit ein Anliegen ist. Finanzen für andere Länder bereitzustellen, ist eine der einfachsten Möglichkeiten, dies zu tun: zusätzliche Mittel zum Entwicklungskredit für Minderung und Anpassung. Und zusätzliche Mittel für bereits eingetretene Schäden und Verluste. Die Grundlagen für solche Verhandlungsmandate werden in der Vorbereitungsphase national gelegt. Gleich wie die nationalen Klimaziele, die ambitionierter werden müssen, auch für die Schweiz, wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch in Reichweite liegen sollen. Die Debatten um den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative sowie die anstehende Neuaufnahme der Revision des CO2-Gesetzes sind die letzten Chancen, bevor es zu spät ist: Es braucht ein Netto-Null-Ziel bis spätestens 2040, einen linearen Absenkpfad dahin und einen konsequenten Ausstieg aus fossilen Energieträgern.