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Medienmitteilung
Kein Fortschritt im öffentlichen Beschaffungswesen
17.02.2017, Agenda 2030
Nachhaltige Beschaffung ist ein erklärtes Staatsziel. Die konkrete Umsetzung in der Botschaft des Bundesrat zum Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) sucht man allerdings vergeblich.

Arbeiterinnen bei Foxconn in Guangzhou in der chinesischen Provinz Shenzen.
© Wang Yishu/Keystone/China Photopress
Obwohl nachhaltige Beschaffung ein erklärtes Staatsziel ist, sucht man die konkrete Umsetzung vergeblich in der gestern vom Bundesrat veröffentlichten Botschaft zum Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB). Eine rechtliche Grundlage wäre jedoch dringend nötig, damit Beschaffungsstellen beim Einkauf soziale und ökologische Kriterien tatsächlich einfordern und überprüfen können. Jetzt muss das Parlament aktiv werden.
Bund, Kantone und Gemeinden beschaffen jährlich Güter und Dienstleistungen im Wert von rund 40 Milliarden Franken: Gerade Konsumgüter wie Textilien, Elektronikprodukte, Natursteine oder Sportartikel werden häufig unter problematischen Bedingungen im Ausland hergestellt. Ungeachtet von Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen bekommt allzu oft das billigste Angebot den Zuschlag. Dies setzt ein falsches Signal, und es verzerrt den Wettbewerb, wenn Dumpingprodukte bevorzugt und Nachhaltigkeitsbemühungen von engagierten Unternehmen nicht berücksichtigt werden.
Zwar wird im vorliegenden Entwurf des BöB Nachhaltigkeit in ihren drei Dimensionen – sozial, ökologisch und wirtschaftlich – im Zweckartikel als generelle Absichtserklärung festgeschrieben. In den konkretisierenden Artikeln zur Bewertung der Angebote fehlt jedoch eine klare Verankerung sozialer Nachhaltigkeitskriterien. „Weil die gesetzliche Grundlage fehlt, ist es für Beschaffende schwierig, Kriterien zu setzen und Nachweise zu verlangen, die sicherstellen, dass ihre Lieferanten nicht direkt oder indirekt gegen Arbeits- und Menschenrechte verstossen. Dies widerspricht nicht nur den Nachhaltigkeitszielen der der Schweiz, sondern birgt auch ein erhebliches Reputationsrisiko für die öffentliche Hand“, meint Katja Schurter von der NGO-Koalition „Öffentliche Beschaffung“ (Helvetas, Brot für alle, Fastenopfer, Solidar, Public Eye, Swiss Fair Trade, Max Havelaar)
Die NGO-Koalition zeigt sich besorgt darüber, dass der Bundesrat Beschaffende, die sich schon heute um sozial nachhaltige Produkte bemühen, weiterhin in einem gesetzlichen Graubereich belässt. Um seiner Pflicht nachzukommen, müsste der Bundesrat im Gesetz die Berücksichtigung von sozialen Nachhaltigkeitskriterien, wie z.B. würdige Arbeitsbedingungen in der Produktion, zumindest ermöglichen. Denn die Einhaltung der im Gesetz integrierten ILO-Kernarbeitsnormen beinhalten keine Vorgaben zur Verhinderung weit verbreiteter Missstände wie gesundheitsgefährdende Arbeitsplätze, Löhne weit unter dem Existenzminimum oder überlange Arbeitszeiten. Wichtig ist zudem, dass die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien kontrolliert wird. Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Selbstdeklaration der Anbieter reicht dazu nicht aus. Stattdessen braucht es aussagekräftige Nachweise wie Sozialmanagementsysteme und andere Zertifizierungen sowie Stichprobenkontrollen.
Wir fordern deshalb das Parlament auf, den vorliegenden Gesetzesentwurf in der Debatte nachzubessern mit:
- der konsequenten Verankerung der Nachhaltigkeit in allen drei Dimensionen
- der Ausweitung der sozialen Mindestanforderungen über die ILO-Kernarbeitsnormen hinaus
- der Überprüfung ihrer Einhaltung.
Nur so wird Rechtssicherheit geschaffen, damit die Beschaffungsstelle ihre Verantwortung für Nachhaltigkeit als Grosskonsumentin wahrnehmen kann und nicht ein gefährliches Reputations-Risiko eingeht.
Artikel, Global
Dem Papiertiger Krallen geben
28.03.2017, Agenda 2030
Alliance Sud engagiert sich für die Umsetzung des ambitionierten globalen Referenzrahmens der Agenda 2030. Das sind die Knackpunkte aus entwicklungspolitischer Perspektive.

Der steigende Meeresspiegel verunmöglicht in Bangladesh zunehmend den Reisanbau. Stattdessen werden Shrimps-Farmen angelegt. Bild: Shrimps-Verarbeitung für den Export, Jilangja, Cox’s Bazar, Bangladesh.
© Panos/G.M.B Akash
Wenig beachtet von den Medien und der breiten Öffentlichkeit hat die internationale Staatengemeinschaft im September 2015 die Uno-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Für Alliance Sud hat das Dokument das Potential wesentlich zu einer gerechten Welt beizutragen.
Ein zentraler Anknüpfungspunkt zwischen unserer bisherigen Tätigkeit und der Agenda 2030 ist das SDG 17. Hier ist die Rede von den finanziellen und nicht finanziellen Mitteln, die es zur Umsetzung braucht. Bei den finanziellen Mitteln stehen Steuerfragen sowie die öffentlichen Entwicklungsgelder im Vordergrund. Bei den nicht finanziellen Mitteln ist es eine gerechte Ausgestaltung der Handelspolitik.
Vor allem aber wird im (Unter-)Ziel 17.14 formuliert, dass die Stärkung der Politikkohärenz eine Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung ist. Es ist das erste Mal, dass dieses Ziel in einem globalen Referenzrahmen explizit aufgenommen wird. Die Staaten erklären sich damit bereit, ihre Aussenhandels- und Steuerpolitik im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu gestalten. Sie verpflichten sich damit, ihre Politiken auf Auswirkungen in anderen Bereichen zu analysieren und Massnahmen zu ergreifen, die auch anderen Akteuren eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen.
Die fünf Alliance Sud-Tätigkeitsfelder im Lichte der Agenda 2030:
1. Steuer- und Finanzpolitik
Aus Sicht der internationalen Steuer- und Finanzpolitik stellen sich insbesondere zwei Fragen: Jene nach der Verteilung von Reichtum und Vermögen, sowie die Frage nach der Finanzierung der Umsetzung der Agenda 2030. SDG 10 setzt das Ziel, Ungleichheit in und zwischen den Ländern zu verringern, Unterziel 10.4 spricht explizit die Steuerpolitik an. Mit über 3000 Milliarden CHF verwalteten ausländischen Vermögen ist der Schweizer Finanzplatz weiterhin der grösste Offshore-Hafen der Welt und eines der bevorzugten Tiefsteuergebiete für globale Konzerne weltweit. Dieses «Geschäftsmodell» verstärkt nicht nur die Vermögens-Ungleichheit im Inland, sie ist auch ein wesentlicher Treiber der globalen Ungleichheit.
Die Realisierung der verschiedenen SDG benötigt gemäss Schätzungen der UNO jährlich Investitionen von 5‘000-7‘000 Milliarden USD. Diese Mittel sollen zu einem grossen Teil in den Ländern selber mobilisiert werden (SDG 17.1). So sollen Entwicklungsländer in der Lage sein, durch Steuern und andere staatliche Einnahmen selbstbestimmt und selbstfinanziert die für ihre nachhaltige Entwicklung benötigte Infrastruktur und Grundversorgung zu finanzieren. Voraussetzung dafür ist nicht nur technisches Know-how in den Steuerverwaltungen und beim Aufbau der Steuergesetzgebung; ebenso wichtig ist, dass die massiven Abflüsse von Steuersubstrat durch Gewinnverschiebungen ins Ausland und die Ausnützung von Steuerschlupflöchern, illegalen oder legalen, verhindert werden. Mit ihrer aggressiven Tiefsteuerpolitik für private Vermögen und für multinationale Konzerne ist die Schweiz nach wie vor ein starker Magnet für solche unlauteren Finanzflüsse. Mit dem SDG 16.4 setzt die Agenda 2030 auch für die Schweiz das klare Ziel, hier entschieden andere Wege zu beschreiten.
2. Handelspolitik und Investitionen
Handelspolitik kann den politischen Spielraum von Staaten bei der Festlegung und Umsetzung ihrer nachhaltigen Entwicklung stark einschränken. SDG 17.15 fordert, diesen Spielraum jeden Landes zu respektieren. Bereits abgeschlossene und zukünftige Freihandels- oder Investitionsabkommen müssen an diesem Grundsatz gemessen werden. Voraussetzung dafür sind verbindliche Nachhaltigkeitskapitel in den Abkommen, welche die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten sowie Umweltstandards einfordern.
Bei der Schweizer Handelspolitik besteht auch in anderen Bereichen Handlungsbedarf. So postuliert SDG 2.b u.a. die Abschaffung aller Formen von Agrarexportsubventionen und von Exportmassnahmen mit gleicher Wirkung. In der Schweiz ist hier namentlich das «Schoggigesetz» betroffen.
3. Unternehmen und Menschenrechte
Bei der Umsetzung der Agenda 2030 wird von der Privatwirtschaft sehr viel erwartet. Als Kapitalbringer und Steuerzahler, als Arbeitgeber und Motor für technologischen Fortschritt sehen zahlreiche Regierungen eine zentrale Rolle für den Privatsektor in der Umsetzung der Agenda 2030. Im Widerspruch dazu werden die transnational operierenden Konzerne in den 17 SDG nur ein einziges Mal erwähnt, im SDG 12.6 zu nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern. Dabei werden sie zu nichts verpflichtet, sondern nur dazu ermutigt, «nachhaltige Verfahren einzuführen und in ihre Berichterstattung Nachhaltigkeitsinformationen aufzunehmen.» Es sind dafür aber weder Kriterien noch ein Monitoring vorgesehen.
Alliance Sud fokussiert ihre Arbeit in diesem Bereich einerseits auf die notwendige Regulierung durch den Staat, andererseits auf den Dialog mit VertreterInnen der Privatwirtschaft. Dabei haben wir zwei zentrale Erwartungen an den Privatsektor: Erstens sollen sie wichtige Steuerzahler sein und dazu beitragen, dass Staaten über die nötigen Mittel verfügen, um ihre nachhaltige Entwicklung selbständig definieren und realisieren zu können. Dazu gehört, dass sie die Steuern dort zahlen, wo die Wertschöpfung passiert. Zweitens müssen auch private Unternehmen die Universalität und Vernetztheit der Agenda 2030 umsetzen. Hierfür sollen Firmen nicht nur ausweisen, zu welchen SDG sie einen positiven Beitrag leisten, sondern es braucht eine umfassende Analyse. So darf es nicht sein, dass beispielsweise durch die Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion Hunger bekämpft wird, dies aber mit Land grabbing einher geht oder die Gesundheit der Anwohner belastet.
Um die Agenda 2030 umzusetzen braucht es auch staatliche Regulierungen. In der Schweiz sind Regierung und Verwaltung jedoch nur sehr zögerlich bereit, die entsprechenden Massnahmen zu ergreifen. Das hat sich zuletzt bei der Verabschiedung des lange erwarteten Schweizer Aktionsplans zur Umsetzung der Uno-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte gezeigt.
4. Klima- und Umweltpolitik
In diesem Bereich stehen für Alliance Sud politische Entscheide und Aktivitäten der Schweiz im Zentrum, die das globale öffentliche Gut Umwelt tangieren und direkte oder indirekte Auswirkungen auf Umwelt- und Ökosysteme im Ausland haben. Dies ist beispielsweise bei der grenzüberschreitenden Umweltbelastung durch den CO2-Ausstoss der Fall. Mit ihrem ökologischen Fussabdruck von 3,3 Erden ist die Schweiz weit von einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen entfernt, so wie es das SDG 12.2 verlangt.
Aktuell im Fokus steht die Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens in die nationale Politik (Ziel 13.2). In der Schweiz kommt diese nur schleppend voran und genügt den Vorgaben nicht. Um dem Pariser Ziel zu entsprechen, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu stabilisieren, müsste der Bundesrat eine CO2-Emissionsreduktion im Inland bis 2030 von -60% gegenüber 1990 anstreben. In der für die Herbstsession traktandierten CO2-Gesetzrevision schlägt der Bundesrat mit
-30% gerade mal halb so ambitionierte Ziele vor.
Kommt dazu, dass die Schweiz weder eine langfristige Klimastrategie hat noch über einen Plan verfügt, wie sie zusätzliche Mittel für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern mobilisieren will. SDG 13.a bestätigt die Unterstützung der Entwicklungsländer durch die OECD-Staaten mit 100 Milliarden USD pro Jahr. Gemäss unseren Berechnungen muss die Schweiz in der Grössenordnung von jährlich 1-1.3 Milliarden CHF dazu beitragen. Die Berechnungen orientieren sich an der Schweizer Wirtschaftsstärke, die 1% der OECD-Wirtschaftsleistung entspricht, und der Gesamtverantwortung der Schweiz am CO2-Ausstoss von knapp 15 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr.
5. Entwicklungszusammenarbeit
Die staatlichen Akteure der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit sind innerhalb der Bundesverwaltung bereits gut vertraut mit der Agenda 2030. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) hat sich bei der Ausarbeitung der Agenda 2030 stark engagiert und die Orientierung an einem globalen Referenzrahmen nach den Millenniumszielen ist für sie nichts Neues. Doch bestehende Programme sollen nicht einfach weitergeführt werden wie bisher. Auch die Entwicklungszusammenarbeit muss die zentralen Neuerungen der Agenda 2030 aufnehmen und ihre Aktivitäten vernetzt und partnerschaftlich angehen. Zentral ist, dass die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit in der politischen Debatte aktiv auf die Politkohärenz aus entwicklungspolitischer Perspektive pochen.
Die Agenda 2030 macht zwar klar, dass öffentliche Entwicklungsgelder (APD, aide publique au développement) nicht ausreichen, um die Umsetzung der SDG zu finanzieren. Insbesondere in den ärmsten Ländern und in Service Public-Bereichen wie der Bildung und der Gesundheit wird die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit jedoch weiterhin eine wichtige Rolle spielen müssen. Dazu ist es notwendig, die APD-Quote zu erhöhen. So wird das jahrzehntealte Versprechen, die APD-Quote auf 0.7% der Wirtschaftsleistung zu erhöhen in der Agenda 2030 erneuert (SDG 17.2). Doch die reiche Schweiz hat den Rückwärtsgang eingelegt: Nachdem 2014 das vom Parlament festgelegte Ziel von 0.5% erreicht wurde, hat der Bundesrat für die nächsten vier Jahre die Quote auf rund 0.48% der Wirtschaftsleistung gesenkt. Wobei die tatsächlichen Mittel, die für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen noch wesentlich tiefer liegen, da auch Kosten für Asylsuchende im ersten Jahr ihrer Unterbringung in der Schweiz angerechnet werden. So bleibt jeder siebte APD-Franken in der Schweiz und deckt die notwendigen, jedoch nicht entwicklungsrelevanten Kosten im Asylbereich.
Für die Schweiz bleibt viel zu tun
Diese grobe Analyse des Agenda 2030-Handlungsbedarfs aus entwicklungspolitischer Sicht zeigt klar, dass sich die Schweizer Politik aktuell nicht auf dem Weg der Nachhaltigkeit befindet. Im Gegenteil: In der internationalen Steuerpolitik und der Handelspolitik bewegt sie sich in die entgegengesetzte Richtung. In der Klimapolitik sowie im Bereich Unternehmen und Menschenrechte ist zwar der Handlungsbedarf erkannt, die notwendigen Massnahmen werden allerdings viel zu langsam ergriffen.
Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung haben die Staaten erkannt, welcher Kurs auf dem Weg zu einer gerechten Welt einzuschlagen ist. Nebst den Erkenntnissen, die in diesem Referenzrahmen festgehalten sind, braucht es jetzt vor allem politischen Willen, sich tatsächlich daran auszurichten. Und damit den langfristigen gemeinsamen Interessen an einer nachhaltigen Welt in Frieden gegenüber kurzfristigen Eigeninteressen den Vorrang zu geben.
Alliance Sud und die Agenda 2030
es. Alliance Sud fokussiert in der Diskussion zur Umsetzung der Uno-Agenda 2030 in der Schweiz und durch die Schweiz auf die entwicklungspolitische Perspektive. «Nachhaltige Entwicklung» ist ein Konzept, das der Entwicklungszusammenarbeit und den Entwicklungsagenturen einen neuen Referenzrahmen gibt. Die wichtigste Neuerung betrifft die Universalität der Agenda 2030 und das Zusammenführen von verschiedenen Prozessen auf globaler Ebene. Sie betrifft neben der klassischen Entwicklungszusammenarbeit ebenso die nationale Politik, sei es die Sozialpolitik, den Umweltschutz, den Ressourcenverbrauch oder die Verteilung von Vermögen und Einkommen. Mit der Zusammenführung des Rio-Prozesses (1992) und der Millenniumsentwicklungsagenda (MDG, 2000) hebt die Agenda 2030 die Arbeit in Silos und parallelen Prozessen auf. Dass dies nicht bloss Theorie bleibt, dafür setzt sich Alliance Sud ein.
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz: SDG) schaffen ein verflochtenes Netz mit zahlreichen Querbezügen. Voraussetzung für die Umsetzung ist ein systemisches Verständnis, dass Wechselwirkungen zwischen den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt berücksichtigt. Das wiederum bedingt eine verstärkte Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Akteuren aus den verschiedensten thematischen Bereichen. Der Austausch erleichtert den Blick über den eigenen Tellerrand und ermöglicht eine Gesamtschau.
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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
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Referenzrahmen für nachhaltige Entwicklung
04.04.2017, Agenda 2030
Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen hat das Potential, eine aus den Fugen geratene Welt wieder auf Kurs zu bringen. Doch dafür braucht es konstanten Druck aus der Zivilgesellschaft.

„Wir sind die erste Generation, die der Armut ein Ende setzen kann und die letzte, welche die schlimmsten Folgen des Klimawandels abwehren kann.“ Der ehemalige UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon wurde nicht müde, mit diesen Worten auf einen neuen Referenzrahmen zu drängen, der Armutsbekämpfung und den Kampf gegen den Klimawandel vereint. Im September 2015 erreichte er sein Ziel: Die UNO-Generalversammlung verabschiedete die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.
Die gesamte Staatengemeinschaft stellt sich damit hinter eine Vision, wie die Welt im Jahr 2030 aussehen soll. Diese wird in 17 Zielen, den Zielen für nachhaltige Entwicklung oder Sustainable Development Goals (SDGs), und 169 Unterzielen (Targets) ausformuliert und ist durchaus ambitioniert: So soll es bis 2030 keine Armut und keinen Hunger mehr geben. Produktion und Konsum sind an die planetaren Grenzen angepasst, Arbeiterinnen und Arbeiter werden nicht mehr ausgebeutet, der Klimawandel bleibt innerhalb der bewältigbaren Grenzen, Ökosysteme sind stabil, Gesellschaften sind partizipativ und inklusiv organisiert, und für die Schwächsten ist gesorgt.
Die Agenda 2030 wurde vielerorts als Paradigmenwechsel gefeiert. Im Vergleich zur Milleniumsentwicklungsagenda und den Milleniumsentwicklungszielen (MDGs) bricht die Agenda 2030 durchaus mit Bestehendem. Insbesondere hervorzuheben ist ihr universeller Charakter, der auch Industrieländer in die Pflicht nimmt und diese zu „Entwicklungsländern“ bezüglich Nachhaltigkeit erklärt. Auch die vielen Querbezüge und explizit benannten Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Zielen sowie der in der Agenda 2030 vollzogene Zusammenzug bisher parallel laufender Prozesse – der sozialen Entwicklung in den MDGs und der Umweltdimension in den Rio-Prozessen – bringen frischen Wind und neue Chancen in den Entwicklungsdiskurs. Diese Errungenschaft ist nicht zuletzt der partizipativen Erarbeitung des Zielkatalogs zu verdanken.
Allerdings ist die Agenda 2030 als Resolution der UNO-Generalversammlung rechtlich nicht verbindlich. Dies war der Preis dafür, überhaupt eine Agenda 2030 als Referenzrahmen für die kommenden 15 Jahre von allen Staaten genehmigen zu lassen. Im Verhandlungsprozess konnten so viele Ziele eingebracht werden, die bei einer grösseren Verbindlichkeit des Dokuments chancenlos gewesen wären. Dies betrifft einerseits Ziele wie beispielswiese das SDG 16, das zu mehr Rechtsstaatlichkeit, inklusiven Gesellschaften und Frieden führen soll, was insbesondere von den reichen Ländern wie der Schweiz gefordert wurde. Es betrifft aber auch Ziele wie das SDG 10, das die Ungleichheit nicht nur in, sondern auch zwischen Ländern verringern will, und vor allem von Entwicklungsländern verlangt wurde. In der Summe entstand so eine Agenda 2030, die für alle akzeptabel war.
Die Verabschiedung durch die UNO-Generalversammlung gibt ihr durchaus Legitimität. Es ist eine Vision der Welt im Jahr 2030, hinter die sich alle Länder stellen. Da es sich bei der Agenda 2030 um ein verhandeltes Dokument handelt, ist es nicht frei von Widersprüchen. So blieben teilweise sich widersprechende Ziele im Schlussdokument stehen. Oder es ergeben sich Zielkonflikte. Je nach Ausgestaltung der Umsetzung einzelner Ziele kann dies die Erreichung anderer Ziele positiv oder negativ beeinflussen.
In den Vorbereitungen der Agenda 2030 setzten die Entwicklungsländer durch, dass bereits vorab über die Mittel zur Umsetzung gesprochen wird. Sie hatten Angst, dass sonst ein schönes Papier mit hehren Zielen verabschiedet wird, aber niemand bereit ist, tatsächlich Geld in die Hand zu nehmen, um diese Ziele auch Realität werden zu lassen. Diese Verhandlungen wurden in Addis Abeba im Juli 2015, zwei Monate vor der Verabschiedung der Agenda 2030 abgeschlossen.
Die Konferenz in Addis Abeba hatte sich jedoch nicht das Ziel gesetzt, eine konkrete Summe Geld zu sprechen. Schätzungen gehen von einem Investitionsbedarf von 5‘000 bis 7‘000 Milliarden USD jährlich aus, allein um die notwendige Infrastruktur zur Erreichung der SDGs aufzubauen. Entwicklungsgelder aus dem Globalen Norden reichen bei weitem nicht aus, um diesen Investitionsbedarf zu decken. Und: Geld allein ist nicht genug, um die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Die Konferenz sollte also vielmehr aufzeigen, welche Voraussetzungen es für nachhaltige Entwicklung braucht. Eine zentrale Rolle spielen dabei Änderungen im internationalen Finanzsystem, um bestehende Geldflüsse für die Entwicklung verfüg- und nutzbar zu machen. Doch hier hat es die Konferenz verpasst, notwendige strukturelle Änderungen voranzutreiben.
Bei der Umsetzung der Agenda 2030 steht das SDG 17.14 für eine verstärkte Politikkohärenz zur nachhaltigen Entwicklung im Zentrum. Es ist das erste Mal, dass dieses Ziel in einem globalen Referenzrahmen explizit aufgenommen wird. Grundsätzlich sind die Staaten damit verpflichtet, ihre Politiken auf Auswirkungen in anderen Bereichen zu analysieren und Massnahmen zu ergreifen, die anderen Akteuren eine nachhaltige Entwicklung ebenfalls ermöglichen. Es setzt voraus, dass man die Querbezüge und Vernetzungen zwischen den SDGs ernst nimmt.
Für die Schweiz besteht hier insbesondere bei der internationalen Finanz- und Steuerpolitik Handlungsbedarf. Der hiesige Finanzplatz ist mit über 3’000 Milliarden USD verwalteten ausländischen Vermögen der grösste Offshore-Hafen der Welt und eines der bevorzugtesten Tiefsteuergebiete für globale Konzerne weltweit. Durch legale und illegale Steueroptimierungen entgehen den Entwicklungsländern Einkommen in Milliardenhöhe, die für die Umsetzung ihrer nachhaltigen Entwicklung fehlen. Auch in der Handelspolitik muss die Schweiz beispielsweise über verbindliche Nachhaltigkeitsbestimmungen zu Menschen- und Arbeitsrechten sowie Umweltstandards oder beim Zugang zu Medikamenten die SDGs als Zielsetzung einbeziehen.
Um den Worten nun Taten folgen zu lassen, braucht es dringend einen konstanten Druck aus der Zivilgesellschaft. Ansonsten besteht das Risiko, dass Bundesämter und auch die Privatwirtschaft aus der Agenda 2030 die „Rosinen“ herauspicken. Die schwierigen SDGs werden so vernachlässigt oder gar nicht angepackt. Für diesen Effort braucht es eine verstärkte Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Akteure aus den verschiedensten thematischen Bereichen. Nur im Austausch ist eine Gesamtschau der Agenda 2030 möglich.
Dieser Artikel ist in der Aprilausgabe von à propos, der Zeitschrift des KOFF (Schweizer Plattform für Friedensförderung) erschienen
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Thematisches Weltsozialforum 2018 in Salvador
22.06.2017, Agenda 2030
Vom 13. bis 18. März 2018 wird in Salvador de Bahia ein thematisches Weltsozialforum (WSF) stattfinden. Das hat ein brasilianisches Organisationskollektiv des WSF beschlossen. Die Zukunft des WSF als Ganzes bleibt in der Schwebe.

Chico Whitaker
© Senado federal / creative commons
Das Forum in Salvador soll sich thematisch um Landfragen und die Organisation des Widerstands drehen. In einem anfangs Juni publizierten Communiqué von rund hundert brasilianischen NGOs werden bereits mögliche Slogans des Treffens wie «Widerstand heisst Transformation» genannt. Im Ausschuss des Kollektivs wirken VertreterInnen sozialer Bewegungen aus dem Bundesstaat Bahia, solche von auf brasilianischer Bundesebene engagierter NGOs, aber auch AktivistInnen aus dem internationalen Rat des WSF mit. Ihr erklärtes Ziel ist, dass im März 2018 auch eine grosse Zahl internationaler Delegationen nach Salvador reise.
Die Vision eines Gründungsmitglieds
Francisco «Chico» Whitaker, prominenter Mitgründer des Weltsozialforums, schreibt in einem Text, der im internationalen Rat des WSF diskutiert werden soll, «die Einberufung eines thematischen Forums in Salvador sei der Beweis für den Willen einer planetarischen Mobilisierung zur Überwindung des Kapitalismus.» Die Herausforderungen, mit denen die sozialen Bewegungen in Brasilien konfrontiert sind, seien dieselben wie jene der Parteien und Bewegungen der Linken weltweit. Das Projekt Donald Trumps in den USA «ist nur ein besonders offensichtliches Beispiel dafür, was vielerorts geschieht: ein Erstarken des Faschismus und des Fremdenhasses.» Ein globales Treffen all jener, die dagegen kämpfen sei extrem wichtig, um Erfahrungen über den Widerstand auszutauschen und neue Allianzen zu bilden, schreibt Whitaker weiter.
Konzepte und Strategien klären
Für Whitaker, den Gewinner des alternativen Nobelpreises 2006, stehen in der jetzigen Phase der Einberufung des Treffens von Salvador de Bahia zwei Dinge im Vordergrund: a) die konkrete Art dieses Forums und b) wie es sich einreiht in die Zukunft des eigentlichen Weltsozialforums, mit denen sich der internationale Rat befasst.
Der Vorschlag «Bahia 2018» erfolge in Einklang mit der Idee, dass die Zukunft der Bewegung thematischen Foren gehöre. Wie bei lokalen, regionalen, nationalen Foren gehe es darum «offene Räume bereitzustellen, in denen basisdemokratisch und selbstverwaltet» zu Themen gearbeitet werde. Whitaker ist optimistisch, dass «es mit dem Fokus auf konkrete Kämpfe leichter falle, konkrete Vorschläge und klare Aktionen zu erarbeiten.» Es spreche nichts dagegen, dass ein Forum wie das im März 2018 im Titel die «Welt» trügen, schon heute seien alle Sozialforen global ausgerichtet. Wie etwa das für November 2017 in Paris geplante Antinuklear-Weltsozialforum. Die Vervielfachung von thematischen globalen Foren sei eine gute Methode, um die planetare Verbreitung und Vernetzung zu unterstützen, um dem kapitalistischen Monster effektiv entgegenzutreten, sagt Whitaker.
Whitaker reagiert damit implizit auch auf Kritik, die Weltsozialforen – das letzte hatte 2016 in Montreal erstmals in der nördlichen Hemisphäre stattgefunden – habe sich tot gelaufen, es sei immer dasselbe und es leide unter einer Bürokratisierung der Abläufe und Prozesse.
Die Aufgabe neu definieren
Thematische Foren könnten den Ausweg aus der Krise weisen, in welcher der internationale Rat des WSF seit einiger Zeit steckt, findet Whitaker. Der internationale Rat war nach der ersten Austragung eines Weltsozialforums 2001 in Porto Alegre – damals quasi als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum WEF in Davos gegründet – ins Leben gerufen worden. Beim letzten Treffen des internationalen Rats im Januar 2017 in Porto Alegre waren nur dreissig von 170 Delegierten erschienen. Whitaker hatte schon am WSF 2015 in Tunis konstatiert, dass der internationale Rat ein unbewegliches, schwer steuerbares Gremium fast ohne Reaktionsfähigkeit geworden sei.
Als Mitgründer der Bewegung schlägt der brasilianische Antiatom-Aktivist Whitaker vor, dass der Rat in Zukunft einmal jährlich für eine Woche tagen soll, um die globale Entwicklung und Strategien im Kampf gegen den Neoliberalismus zu diskutieren. Er soll allen offen stehen, die in ihren Regionen daran arbeiteten, dass «eine andere Welt möglich ist». Wenn es dann – aufgrund real existierender Dynamiken – für zielführend erachtet werde, dann solle dereinst auch wieder ein eigentliches Weltsozialforum durchgeführt werden, das offen ist für alle Themen.
Chico Whitaker studiert nicht nur an neuen Formen und Aufgaben des Weltsozialforums herum. Wichtig sei auch die Symbolik: «Wieso führen wir eine solche Woche eines neuen internationalen Rats nicht im Januar 2018, parallel zum WEF in Davos, wieder in Porto Alegre durch?»
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Tourismus: Qualität statt Quantität!
26.06.2017, Agenda 2030
Das laufende Uno-Jahr des nachhaltigen Tourismus soll einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Agenda 2030-Ziele leisten. Doch das Jahr droht als reine Tourismusförderung missbraucht zu werden.

Wer erhält, wohin fliesst das Geld für touristische Dienstleistungen? Je weniger Intermediäre wie Agenturen oder Zwischenhändler mitverdienen, desto besser.
© CC0 Public Domain / Simon Steinberger
Das von der Uno-Generalversammlung zum internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus erklärte Jahr 2017 sollte das Bewusstsein stärken für den Beitrag des Tourismus zur Erreichung der UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung. Doch bei Halbzeit gibt es keine Hinweise für die notwendigen Verhaltensänderungen in Politik, der Tourismusbranche oder bei den Reisenden.
Gemäss UNWTO (UN World Tourism Organisation) trägt der Tourismus 10% zum globalen Einkommen bei. Jede 11. Stelle ist im Tourismusbereich angesiedelt. Wird der Tourismus anders gestaltet und entwickelt, so hat er grosses Potenzial, einen signifikanten Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung zu leisten. Dies wurde bereits in der Ausarbeitung der Agenda 2030 erkannt. Drei der darin enthaltenen siebzehn Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) beziehen sich explizit auf den Tourismus; namentlich das SDG 8 zu Arbeit in Würde, SDG 12 zu nachhaltigen Produktions- und Konsummustern sowie SDG 14 zu Meeresökosystemen. Indirekt ist der Tourismus aber noch wesentlich stärker mit der Agenda 2030 verknüpft.
So braucht es in Bezug auf weitere Ziele der Agenda 2030 – von Anstellungsbedingungen (Lohn, Weiterbildung, Frauenförderung) über die Nutzung der Ressourcen (Wasserverbrauch, Umwelt- und Gewässerschutz, CO2-Emissionen, Nutzung erneuerbarer Energien) bis zur Steuermoral – verstärkte Anstrengungen.
Die bisherige Kampagne der UNWTO zum internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus lässt eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Themen jedoch vermissen. Vielmehr ist die Rede vom Wachstumspotenzial im Tourismussektor. So wird auf den erwähnten, eindrücklichen Beitrag des Tourismussektors zum Welteinkommen und im Stellenmarkt verwiesen. Und auf das weiterhin ungebremste Wachstum bei der Anzahl TouristInnen weltweit. Damit wird aber höchstens ein Beitrag des Tourismus an die wirtschaftliche Entwicklung gemessen, nicht jedoch auf die soziale oder die ökologische. Im Rahmen der Agenda 2030 müssen jedoch alle drei Ebenen dringend verbunden werden. Es muss also auch diskutiert werden, wie viele Ressourcen der Tourismus verbraucht, ob Menschenrechte respektiert werden und welche Auswirkungen Tourismus auf eine Gesellschaft und deren sozialen Zusammenhalt hat.
Wer reist?
2015 zählte die UNWTO 1.3 Milliarden internationale Touristen. Gemäss Prognosen wird dieser Wert bis 2030 auf 1.8 Milliarden steigen. Bis 2050 ist mit einer Verdoppelung zu rechnen. Gemessen an der Weltbevölkerung von rund 7.5 Milliarden scheint dies ein grosser Anteil zu sein. Diese Statistik zählt jedoch grenzüberschreitende Reisen und nicht Individuen, letztere werden also oft mehrfach gezählt. Schätzungen bezüglich Reisenden gehen davon aus, dass sich höchstens 5% der Weltbevölkerung Reisen über die Landesgrenzen hinaus überhaupt leisten können.
Ressourcenverbrauch im Tourismus
Bei Auswirkungen des Tourismus auf die Umwelt denken heute wohl die meisten an den CO2-Ausstoss. Im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren verursacht der Tourismus allerdings nur 5% der weltweiten Emissionen (2011). Doch sind die gerade die Flugverkehrsemissionen – sie entsprechen 40% der dem Tourismus zugeschriebenen Emissionen – besonders klimaschädlich. Sie finden in einer Höhe statt, wo sie den Treibhausgaseffekt wesentlich stärker beeinflussen als Emissionen an der Erdoberfläche. Hinzu kommt, dass sich die Emissionen trotz Effizienzsteigerungen im Transportwesen bis 2040 verdoppeln werden. Der Anstieg bei der Anzahl Reisenden übersteigt die Effizienzgewinne also bei weitem.
Der Ressourcenverbrauch im Tourismus ist aber auch in anderen Bereichen enorm. Problematisch ist insbesondere der Wasserverbrauch. Wobei das Luxushotel mit Wellnessanlage natürlich wesentlich stärker zu Buche schlägt als die kleine Pension ohne Swimmingpool. So wird der Wasserverbrauch im Tourismus zwischen 94 und 3‘300 Litern pro Person und Tag beziffert. Prognosen gehen von einer Verdoppelung des Wasserverbrauchs bis 2050 aus. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Wasserverbrauch in der Schweiz liegt bei ca. 170 Litern.
Oft unterschätzt wird der Landverbrauch. Tourismus ist auf Infrastruktur wie Flughäfen, Strassen, Hotelanlagen, Skigebiete, Golfplätze und anderes angewiesen. Für die Nahrungsmittelproduktion und insbesondere die Abfallentsorgung braucht es zusätzlich Boden. In Gegenden mit hohem Touristenaufkommen reichen für die lokale Bevölkerung gebaute Deponien nicht aus. Beim Landverbrauch gehen Prognosen von einer Verdoppelung bereits bis 2040 aus, bis 2050 wird sogar mit einer Verdreifachung gerechnet.
Wer profitiert? Und wer trägt die Kosten?
Die Nutzniesser des Tourismus können relativ einfach identifiziert werden: Werden Nahrungsmittel auf lokalen Märkten gekauft? Werden Angestellte auf dem lokalen Arbeitsmarkt rekrutiert? Zu welchen Bedingungen? Erhalten sie Weiterbildung und Zugang zu Stellen im oberen Management? Wo werden die Steuern bezahlt? Gehört der Tourismusanbieter zu einem internationalen Konsortium mit Sitz in einer Steueroase? Für den Touristen und die Touristin sind die Informationen zwar nicht immer gleich gut zugänglich, doch Nachfragen kostet nichts.
Eine umfassende Analyse der Kosten ist meist schwieriger. Klar ist jedoch, dass viele Kosten von der lokalen Bevölkerung getragen werden, Infrastruktur wird von den lokalen Steuerzahlenden finanziert. Deshalb ist es unerlässlich, dass die Tourismusanbieter auch vor Ort ihre Steuern entrichten. Anfallende Gesundheitskosten durch Luftverschmutzung und Lärmbelastung sind schwer zu beziffern. Auch sie werden aber von der Allgemeinheit getragen.
Recherchen zu den Panama Papers haben ergeben, dass zahlreiche Tourismusanbieter ihre Geschäfte über Steueroasen abwickeln. Sie profitieren von einer vom Staat finanzierten Infrastruktur, ausgebildeten Arbeitskräften und Nationalparks, verweigern dem gleichen Staat jedoch einen fairen Anteil am Gewinn, den sie daraus erwirtschaften. Nachhaltig geht anders.
Tourismus steht auch regelmässig in der Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Über Land- oder Oceangrabbing werden lokale Gemeinschaften enteignet. Nachhaltiger Tourismus muss aber Perspektiven auch für AnwohnerInnen schaffen. Im internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus gehört entsprechend auch der Respekt für Menschenrechte und Kinderrechte – Stichwort Kinderprostitution – auf die internationale Agenda.
Zum einen braucht es rechtliche Rahmenbedingungen, welche die Tourismusanbieter in die Pflicht nehmen. Ebenso wichtig sind jedoch wir selbst, wir alle: Als verantwortungsvolle Reisende, die Fragen stellen bezüglich Umweltschutz, Arbeitsrechten und lokalen Produkten.
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Schulterschluss in der Schweizer Zivilgesellschaft
25.09.2017, Agenda 2030
Rund 40 Schweizer Organisation haben die zivilgesellschaftliche Plattform Agenda 2030 gegründet. Sie will dafür sorgen, dass echte Nachhaltigkeit auf allen Ebenen zur obersten Handlungsmaxime des Bundes und anderer EntscheidungsträgerInnen wird.

Schweizer NGOs engagieren sich gemeinsam für die Umsetzung der UNO-Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. In Bern wurde heute eine Plattform gegründet, die dafür sorgen will, dass echte Nachhaltigkeit auf allen Ebenen zur obersten Handlungsmaxime des Bundes und anderer EntscheidungsträgerInnen wird.
Schweizer NGOs engagieren sich gemeinsam für die Umsetzung der UNO-Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. In Bern wurde heute eine Plattform gegründet, die dafür sorgen will, dass echte Nachhaltigkeit auf allen Ebenen zur obersten Handlungsmaxime des Bundes und anderer EntscheidungsträgerInnen wird.
Die Schweiz hat sich bei der Formulierung der ehrgeizigen Ziele der Weltgemeinschaft stark engagiert. Und vor exakt zwei Jahren, am 25. September 2015, kamen in New York fast alle Staats- und Regierungschefs zusammen, um die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu unterzeichnen.
Um sicherzustellen, dass die Schweiz den Worten auch Taten folgen lässt, haben heute rund 40 Organisationen der Schweizer Zivilgesellschaft eine gemeinsame Plattform gegründet. Sie soll ihren Forderungen zur Implementierung der Agenda 2030 in der und durch die Schweiz Nachdruck verleihen.
Der Sonderbeauftragten des Bundes für nachhaltige Entwicklung, Botschafter Michael Gerber, begrüsste die Anwesenden von Entwicklungs-, Menschenrechts-, Friedens-, Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften und zeigte sich erfreut über diesen Schulterschluss: «Ohne die aktive Beteiligung und den Druck der Zivilgesellschaft werden wir die ambitionierten Ziele der Agenda 2030 nicht erreichen können.» Unterstützung erfuhr die Plattform an ihrer Gründungsversammlung auch aus der Wissenschaft. Peter Messerli, Professor am Center for Development and Environment (cde) der Universität Bern und Co-Vorsitzender des wissenschaftlichen Expertengremiums, das im UNO-Auftrag den globalen Nachhaltigkeitsbericht verfasst: «Das grösste Transformationspotential der Agenda 2030 liegt in der engen Verflechtung der 17 Ziele. Dazu braucht es die universelle Verantwortung für die Umsetzung und den Einbezug dezentraler Netzwerke von Akteuren. Staatliche, zivilgesellschaftliche und private Entwicklungspartner müssen ihre Strategien überdenken und erneuern».
Der erstmals gewählte Vorstand der Zivilgesellschaftlichen Plattform Agenda 2030 weiss mit den Forderungen nach echter Nachhaltigkeit in der Schweizer Politik einen grossen Teil der Schweizer Bevölkerung hinter sich. Entsprechend genau wird die Plattform verfolgen, wie konsequent der Bund die Umsetzung der Agenda 2030 vorantreibt. Eva Schmassmann von Alliance Sud, dem Think and Do Tank der Schweizer Entwicklungsorganisationen und Präsidentin der Plattform dazu: «Schon Mitte nächstes Jahr wird die Schweiz vor der UNO über ihre Fortschritte bei der Umsetzung dieser Agenda berichten müssen. Bisher sind die eidgenössischen Fortschritte leider sehr überblickbar geblieben.» Die Plattform wird in den nächsten Wochen und Monaten,
- Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der Agenda 2030 zuhanden der Schweizer Politik und Verwaltungen sowie weiterer EntscheidungsträgerInnen erarbeiten.
- den Dialog und Austausch über die Sektorgrenzen hinaus fördern und den Einbezug von unterschiedlichen Perspektiven ermutigen.
- die Öffentlichkeit über die Agenda 2030 sensibilisieren und informieren.
für weiterführende Informationen:
Sara Frey, Dossierverantwortliche Agenda 2030, Alliance Sud, Tel. +41 76 388 93 31
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Artikel, Global
Die öffentliche Hand soll nachhaltig einkaufen!
09.10.2017, Agenda 2030
Jährlich kaufen Bund, Kantone und Gemeinden Güter und Dienstleistungen für geschätzte 40 Milliarden Franken ein. Nach welchen Kriterien bestimmt das Beschaffungsrecht. Nun wird es totalrevidiert - die Chance, dieses Geld nachhaltiger einzusetzen.

Was Soldaten der Schweizer Armee als Unterwäsche unter dem Kampfanzug tragen, kommt aus Indien, Bulgarien und Ungarn. Bild: Kaserne Isone/TI
© Christian Beutler / Keystone
Die rund 40 Mrd. CHF, welche die öffentliche Beschaffung in der Schweiz ausmachen, entsprechen laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) 6 % des Bruttoinlandprodukts (BIP). Das ist ein für die Schweizer Volkswirtschaft bedeutendes Volumen. Im OECD-Durchschnitt liegt dieser Wert mit 12.1 % (2013) sogar noch markant höher.
Ein Käufer der Grösse der öffentlichen Hand hat die Pflicht eine Vorbildfunktion zu übernehmen. Als wichtiger Grosskonsument nimmt er Einfluss auf die Produktionsbedingungen von Unternehmen und somit auf die Umwelt und auf die Arbeitsbedingungen vieler Menschen. Die öffentliche Hand legt im Beschaffungsrecht fest, nach welchen Kriterien sie konsumiert. Dies soll in Übereinstimmung mit den politischen Zielen der Nachhaltigkeit geschehen. Die von der Schweiz unterschriebene Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der UNO enthält unter dem Ziel zu nachhaltiger Produktion und nachhaltigen Konsum ein explizites Unterziel (12.7) zur Beschaffung. Dieses besagt: «In der öffentlichen Beschaffung nachhaltige Verfahren fördern, im Einklang mit den nationalen Politiken und Prioritäten».
Diese nachhaltige Beschaffung und die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand sind denn auch in der nationalen Politik, nämlich der Strategie nachhaltige Entwicklung der Schweiz mit den folgenden Worten verankert: „Der Bund berücksichtigt bei seinen öffentlichen Beschaffungen Güter (Produkte, Dienstleistungen, Bauwerke), die über ihren gesamten Lebensweg hohen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Anforderungen genügen. Er nimmt bei seinem Konsumverhalten eine Vorbildfunktion ein ...“
Ökologisch einkaufen!
Vorab, die Annahme, dass nachhaltig per se teurer ist, trifft längst nicht immer zu. Eine von der Organisation Pusch (Praktischer Umweltschutz) in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass sich in verschiedenen Bereichen eine klimaschonendere Beschaffung auch ökonomisch lohnen würde,[1] zum Beispiel in den Bereichen Nahrungsmitteln, Beleuchtung oder Fahrzeuge.[2]
Wie die EU-Regulierung von 2014 (siehe Kasten) ermöglicht auch die vom Bundesrat im Februar 2017 vorgelegte Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) das Denken in Lebenszyklen oder die Möglichkeit, externe Umweltkosten einzubeziehen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, der in der Beratung des Parlaments (frühestens in der Wintersession 2017) zumindest nicht verwässert werden darf und mit verbindlicheren Anforderungen noch ausgebaut werden sollte.
Fair produziert einkaufen!
Im Vorschlag des Bundesrats sind die acht Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation ILO) verankert, die auch schon in der bisherigen Vergabepraxis integriert waren. Sie verbieten u.a. die Kinderarbeit, die Zwangsarbeit und die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf sowie verlangen die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen.
Um menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu garantieren reichen diese aber nicht aus. Gewisse Länder halten zum Beispiel ihren Mindestlohn bewusst tief, um Produzenten und Aufträge anzuziehen. Dies führt zu Löhnen, die kaum zum Leben reichen.
Ein Beispiel das letzten Herbst in den Medien war, betrifft die Beschaffung von Schweizer Armeestiefeln, die für 2 CHF pro Stunde in Rumänien genäht werden. Ein Lohn, der auch in Rumänien kaum für ein menschenwürdiges Leben reicht, dabei aber dem gesetzlich vorgegebenen Mindestlohn entspricht. Die «NGO Koalition öffentliche Beschaffung» (ein Zusammenschluss von Brot für alle, Fastenopfer, Helvetas, der Max Havelaar-Stiftung Schweiz, Public Eye, Solidar Suisse und Swiss Fair Trade) verlangt, dass die Berücksichtigung des Recht auf menschenwürdige und sichere Arbeitsbedingungen, des Rechts auf geregelte, nicht exzessive Arbeitszeit, des Recht auf eine formelle Arbeitsbeziehung und des Rechts auf einen existenzsichernden Lohn ermöglicht werden.
Die Schweiz hat sich zur Nachhaltigkeit verpflichtet, dies sollte umfassende soziale und ökologische Beschaffungskriterien einbeziehen. Die Kriterien für Produkte und Möglichkeiten nachhaltig produzierte Produkte besser zu bewerten, sollten möglichst verbindlich verankert werden, zumindest aber sollten sie nicht verhindert werden.
Viele Beschaffungsstellen auf Ebene Bund, Kantone und Gemeinden möchten schon heute sozial nachhaltig einkaufen, doch das geltende Gesetz setzt ihnen hier sehr enge Grenzen. Nun da die Totalrevision des Beschaffungsrechts ansteht, sollte die Chance als öffentliche Hand tatsächlich voranzugehen, unbedingt genutzt werden. Das heisst fürs Parlament die Nachhaltigkeitsverpflichtungen umsetzen, und auf eine gesetzlich solide Grundlage stellen.
Was ist öffentliche Beschaffung?
Die öffentliche Beschaffung umfasst alles, was die öffentliche Hand in Auftrag gibt. Das kann zum Beispiel der Einkauf von Sachgütern wie Büromöbeln oder auch von Dienstleistungen sein. In der Schweiz tätigt der Bund rund 20 Prozent dieser Ausgaben, auf Kantone und Gemeinden entfallen jeweils ca. 40 Prozent.⁵ Das gesamte Volumen der öffentlichen Beschaffung beläuft sich auf rund 40 Mrd. CHF, das sind laut BAFU rund 6 % des BIPs der Schweiz.[3]
Der rechtliche Rahmen betreffend Arbeitsbedingungen
Der Goverment Procurement Act, ein WTO-Abkommen von 1996 (revidiert 2012), ist der internationale rechtliche Rahmen, der auch für die Schweiz gilt. Dieser Rahmen lässt Spielraum für den Einbezug von Kriterien, die sich nicht nur am Preis orientieren, zum Beispiel Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz oder existenzsichernde Löhne. Die EU hat in einer Richtlinie im Jahr 2014 festgehalten, dass ökologische und soziale Kriterien bei der Vergabe eines Auftrags einbezogen werden können.[4] Das heisst insbesondere, dass nicht nur der Preis ausschlaggebend sein muss.
Das Schweizer Beschaffungsgesetz von 1994 ist momentan in Revision, der Vorschlag des revidierten Gesetzes verankert nun die acht ILO-Kernnormen, die auch schon in der bisherigen Vergabepraxis integriert waren. Diesen müssen sich alle Auftragnehmer verpflichten:
Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen
Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechtes (1948)
Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen (1949)
Beseitigung der Zwangsarbeit
Zwangsarbeit (1930) und Protokoll von 2014 zum Übereinkommen zur Zwangsarbeit
Abschaffung der Zwangsarbeit (1957)
Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf
- Gleichheit des Entgelts (1951)
- Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (1958)
Abschaffung der Kinderarbeit
- Mindestalter (1973)
- Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (1999)
Nicht in den Kernnormen enthalten sind unter anderem die folgenden 4 ILO-Konventionen:
- das Recht auf menschenwürdige und sichere Arbeitsbedingungen (ILO- Übereinkommen 155
- das Recht auf geregelte, nicht exzessive Arbeitszeit (ILO- Übereinkommen 1)
- das Recht auf eine formelle Arbeitsbeziehung (ILO-Empfehlung 198)
- das Recht auf einen existenzsichernden Lohn (ILO Übereinkommen 26 und 131, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 23)
Auch diese Elemente sollten gesetzlich verankert und ihre Einhaltung kontrolliert werden. Grundsätzlich wäre es sehr zu begrüssen, würde eine starke Auffassung von Nachhaltigkeit, deren soziale Aspekte beispielsweise über die ILO-Kernnormen hinausgehen, gesetzlich verbindlich verankert. Für Alliance Sud zumindest ins revidierte Gesetz aufzunehmen ist aber, dass neben dem Preis diese und weitere soziale sowie ökologische Nachhaltigkeitskriterien für die Vergabe eines Auftrags zählen können.
[1] Die AutorInnen rechnen nicht mit der Technologie, welche aus ökologischer Sicht die beste wäre, sondern mit gut verfügbaren Technologien. So rechnen sie beispielsweise nicht mit Elektro- sondern mit Benzin-Hybridfahrzeugen, denn erstere würden zuerst einen Ausbau des Elektrotankstellennetzes verlangen.
[2] Myriam Steinemann et al., «Potenzial einer ökologischen öffentlichen Beschaffung in der Schweiz», Bern 2016
[3] Für ältere und umfassendere Zahlen siehe OECDstat: Government at a Glance – 2015 edition
[4] Marc Steiner, «Die Berücksichtigung Sozialer Aspekte Im Rahmen der öffentlichen Beschaffung», Arbeitspapier (Bern: Interessengemeinschaft Ökologische Beschaffung Schweiz (IGÖB), 2017)
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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
Publikation
«Ja, aber» zu nationaler Menschenrechtsinstitution
01.11.2017, Agenda 2030
Der Bundesrat will eine nationale Menschenrechtsinstitution (NMRI) schaffen. Dem Gesetzesentwurf fehlt es jedoch an Kohärenz, denn er klammert die Menschenrechtsaussenpolitik aus. Die Vernehmlassung von Alliance Sud.

© Daniel Hitzig/Alliance Sud
Download der Vernehmlassung von Alliance Sud vom 31. Oktober 2017.
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Zeit für Nägel mit Köpfen!
11.12.2017, Agenda 2030
Mitte 2018 wird die Schweiz der Uno in New York berichten, wie weit sie mit der Umsetzung der Agenda 2030 ist. Zwar soll es eine Gesamtschau geben, doch die dringend notwendige politische Debatte dazu steht noch aus.

Hochwertige Bildung (SDG 4) soll zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen und Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen (SDG 5). Bild: Aputiri Primary School in Tororo, Uganda.
© Nyani Quarmyne / Panos
Die Schweiz legte der UNO bereits 2016 einen ersten Bericht zur Umsetzung der Agenda 2030 vor; sechs Monate nach Inkrafttreten der neuen Agenda enthielt er verständlicherweise noch keine konkreten Resultate. Lobenswert darum, dass der Bundesrat im Sommer 2018 am jährlich stattfindenden, neuntägigen Hochrangigen Politischen Forum (HLPF) für nachhaltige Entwicklung im Rahmen der UNO-Generalversammlung einen Fortschrittsbericht präsentieren will. 44 Länder, darunter die Schweiz, haben sich freiwillig dafür gemeldet; mehr Staaten könnten aus Zeitgründen gar nicht berücksichtigt werden.
Der Bundesrat will in seinem Bericht auch die Sicht der schweizerischen Zivilgesellschaft einfliessen lassen. Über die vergangenen Sommermonate konnten verschiedene Akteure aus den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt ihre Einschätzungen und Beiträge online übermitteln. Insbesondere Nichtregierungsorganisationen machten rege Gebrauch davon. Auch Alliance Sud beteiligte sich an der Konsultation.
Als Sensibilisierungskampagne lohnte sich der Aufwand zweifellos, auch wenn der Begriff Konsultation in diesem Zusammenhang eher irreführend war. Immerhin: Alliance Sud konnte darlegen, ob die von der Verwaltung in einzelnen Politikfeldern gesteckten Ziele zu weit, genau richtig oder zu wenig weit gehen. Kohärenzfragen sowie die grössten Herausforderungen wurden ebenso abgefragt wie der eigene Beitrag an die 169 Unterziele der Ziele für nachhaltige Entwicklung (engl. Sustainable Developpment Goals SDG). Vor allem aber zwang dieses Vorgehen die verschiedenen Bundesämter, sich mit der Agenda 2030 und ihren Zielen auseinanderzusetzen und bestehende Prozesse und Ziele in das globale Rahmenwerk einzuordnen.
Eine politische Auseinandersetzung zur Frage, was eine konsequente Umsetzung der Agenda 2030 für die Schweiz bedeutet, wurde jedoch noch nicht geführt. Der Blick über die Grenzen darf sich nicht länger auf die Exportchancen der Wirtschaft beschränken. In den Bereichen Konsum, Produktion, aber auch bei den Menschenrechten hat unser Handeln auch Auswirklungen jenseits der Grenze. Dem gilt es mit einer breiten Diskussion und geeigneten Massnahmen Rechnung zu tragen.
Verbesserte entwicklungspolitische Kohärenz
Die im SDG-Unterziel 17.14 geforderte Politikkohärenz ist seit Jahren ein zentrales Anliegen von Alliance Sud. Darunter ist zu verstehen, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht das alleinige Instrument zum Ermöglichen von Entwicklung sein kann. Vielmehr gilt es, auch andere Politikbereiche wie Handels-, Steuer-, Klima-, Landwirtschafts-, Migrations- oder Sicherheitspolitik in die Pflicht zu nehmen, um nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Denn die Ausgestaltung dieser Politikbereiche hat einen massgeblichen Einfluss auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Länder des globalen Südens.
Der Bundesrat begnügte sich bislang damit, die Kohärenz seiner Politik insgesamt zu verbessern – und übersah dabei, dass an entwicklungspolitischer Kohärenz kein Weg vorbei führt. Denn die Kohärenz muss in allen Bereichen im Sinne einer nachhaltigen globalen Entwicklung verbessert werden. Nur so werden neue Möglichkeiten zur Entwicklung geschaffen und Hindernisse zu selbstbestimmter Entwicklung abgebaut.
Spielräume der Länder respektieren
Das zweite zentrale Ziel der Agenda 2030 ist der Schutz des sogenannten policy space der Entwicklungsländer. Deren eigener Handlungsspielraum wird heute immer noch durch Handels- und Investitionsschutzabkommen eingeengt. Entwicklungsländer müssen die Möglichkeit behalten, beispielsweise im Sinne von Umwelt- oder Gesundheitsschutz und Menschenrechten Gesetze zu erlassen, ohne das Risiko einer Milliardenklage vor einem internationalen Schiedsgericht einzugehen.
Parallel dazu muss sich die Zivilgesellschaft in den jeweiligen Ländern frei entfalten können. Nur so ist sichergestellt, dass auch tatsächlich im Interesse einer Mehrheit der Bevölkerung regiert wird. Entsprechend müssen partizipative, transparente und demokratische Mitbestimmung gefördert werden.
Rolle des Privatsektors klären
Aus entwicklungspolitischer Sicht ist die Frage zentral, welchen Beitrag der Privatsektor zur Agenda 2030 leistet. Zwar wird von allen Seiten bekräftigt, dass sich die Agenda 2030 ohne die Privatwirtschaft nicht umsetzen lasse, darüber wie deren Rolle und Beitrag konkret ausfallen muss, schweigt sich die Agenda 2030 praktisch aus.
Als Minimum gilt dabei die Einhaltung des Do no harm-Prinzips. Es besagt, dass auch ein positiver Beitrag zu einem bestimmten Nachhaltigkeitsziel daraufhin überprüft werden muss, ob er nicht einen negativen Effekt auf andere Ziele hat. So kann beispielsweise die Produktion von Nahrungsmitteln ein Beitrag sein zu SDG 2 «den Hunger beenden». Werden für die landwirtschaftliche Nutzung jedoch Land enteignet und Monokulturen angelegt, so ist der Gesamtbeitrag negativ: Menschen haben keinen Zugang mehr zu Land und die Biodiversität leidet.
Finanzierung
Bei der Finanzierung der Agenda 2030 steht die Schweiz dreifach in der Pflicht: Sie muss erstens beherzt Massnahmen gegen unlautere Finanzflüsse beschliessen. Zweitens wurde das Versprechen bekräftigt, 0.7% der Wirtschaftsleistung für die Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Und drittens bekräftigt das Rahmenwerk auch das Versprechen der Industrienationen, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-$ für die internationale Klimafinanzierung bereit zu stellen. Diese Mittel sollten nicht aus den bestehenden Entwicklungsmitteln abgezweigt, sondern zusätzlich verfügbar gemacht werden. In allen Punkten ziert sich die Schweiz, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen. Und dies, obwohl alternative Finanzierungsmodelle bereits erarbeitet worden sind und obwohl der Bundeshaushalt Jahr für Jahr mit Millionenüberschüssen schliesst.
Nationaler Strategieprozess und internationale Berichterstattung als Feedback loop
es. Auf der nationalen Ebene setzt der Bundesrat auf die sogenannte Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE), die jeweils für die vier Jahre einer Legislatur (2015-2019) definiert wird. Alliance Sud hat die SNE bereits wiederholt als ungenügende Strategie zur Umsetzung der Agenda 2030 kritisiert, da sie stark national geprägt ist und Auswirkungen nationaler Politiken im Ausland nur ungenügend berücksichtigt.
Auf internationaler Ebene sieht der Bundesrat vor, alle vier Jahre am High Level Political Forum der UNO einen neuen Bericht zur Agenda 2030 vorzulegen. Dieser Bericht soll jeweils in die Mitte einer laufenden Strategie Nachhaltige Entwicklung fallen. Die Erstellung des Berichts zuhanden des HLPF soll somit als Feedback für die Erarbeitung der folgenden SNE dienen können.
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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
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Agenda 2030: Welche Rolle für Zivilgesellschaft?
23.01.2018, Agenda 2030
Die Schweizer Zivilgesellschaft hat eine gemeinsame Plattform für die Umsetzung der Agenda 2030 gegründet. Um in der zu erwartenden politischen Auseinandersetzung mit dem Bund und dem Privatsektor eine starke Rolle zu spielen.

Packender Vortrag: Peter Messerli, Professor am Centre for Development and Environment (cde) an der Universität Bern, leitet als Co-Vorsitzender das wissenschaftliche Expertengremium, das den UNO-Weltbericht zu den Zielen nachhaltiger Entwicklung verfasst.
© Alliance Sud
Am 25. September 2017 schlossen sich in Bern rund 40 Organisationen zur zivilgesellschaftlichen Plattform Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zusammen. Vertreten sind unter anderem Entwicklungs-, Umwelt-, Friedens- und Frauenrechtsorganisationen sowie Gewerkschaften. Das Datum ist nicht zufällig gewählt: Zwei Jahre zuvor wurde die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch die UNO-Generalversammlung verabschiedet.
Die Agenda 2030 bricht mit verschiedenen bestehenden Paradigmen: Als globale Agenda nimmt sie alle Länder in die Pflicht. Entwicklung ist nicht mehr nur eine Aufgabe für Entwicklungsländer. Bezüglich nachhaltiger Entwicklung besteht auch in den industrialisierten Ländern noch enormer Handlungsbedarf. Weiter fasst die Agenda 2030 verschiedene Zielkataloge zusammen, die bislang in parallelen Prozessen verhandelt wurden: fie Entwicklungsagenda in den Millenniumsentwicklungszielen, Biodiversität und Desertifikation in den Rio-Prozessen und den Klimaverträgen. Damit bringt sie diese Bereiche näher zusammen. Mit zahlreichen expliziten und impliziten Querverbindungen zwischen den einzelnen Zielen schafft die Agenda insgesamt ein Netzwerk an Zielen, die nicht mehr einzeln abgearbeitet werden können, sondern systemisch angegangen werden müssen.
Ausgewiesenes Bedürfnis nach mehr Austausch und Zusammenarbeit
Für Alliance Sud war klar, dass die Agenda 2030 nicht allein aus Entwicklungssicht angegangen werden kann. Gemeinsam mit der Umweltallianz, dem Kompetenzzentrum für Friedensförderung KOFF und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund organisierten wir im Oktober 2016 (Schweizer Zivilgesellschaft organisiert sich) eine erste Konferenz mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen. Im Fokus stand die Diskussion um die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Agenda 2030 in der Schweiz und durch die Schweiz. Das Interesse an einem weiteren Austausch und einer verbesserten Zusammenarbeit war gross. Die Agenda 2030 bringt verschiedene Gesellschaftsbereiche zusammen. Einzelne Akteure sind gezwungen, über den Tellerrand ihrer eigenen Themen und Expertise hinauszuschauen. Ansonsten droht entweder die Überforderung oder ein Weitermachen wie bisher.
Nach intensiven Vorbereitungsarbeiten wurde nun der neue Verein gegründet. Im Vordergrund stehen der Austausch zwischen den Mitgliedern, der Dialog mit weiteren Akteuren (namentlich Verwaltung, Wissenschaft und Privatsektor), sowie das Erarbeiten von Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der Agenda 2030 zuhanden der Schweizer Politik sowie weiteren Entscheidungsträgern. Ebenso will sie die breite Öffentlichkeit zur Agenda 2030 informieren und sensibilisieren.
Die Plattform Agenda 2030 richtet sich damit explizit an die Schweizer – und nicht an eine internationale – Öffentlichkeit.
Grosser Handlungsbedarf auch in der Schweiz
Interesse an vertiefter Zusammenarbeit wurde insbesondere im Bereich einer seriösen Nachhaltigkeitsprüfung bestehender und neuer Gesetze bekundet, im Bereich der Sensibilisierung und im Erstellen eines zivilgesellschaftlichen Schattenberichts anlässlich der Fortschrittsüberprüfung durch die UNO. Die Agenda 2030 sieht keine verbindliche Überprüfung der Umsetzung vor, Länder können sich jedoch freiwillig einer Überprüfung durch das hochrangige Politische Forum für Nachhaltige Entwicklung der UNO stellen. Die Schweiz will im Juli 2018 ihren Bericht vorlegen.
Der Handlungsbedarf ist erwiesenermassen gross: Die Agenda 2030 ist keine Agenda des „reichen Nordens“ für den „armen Süden“. In der Umsetzung sind also nicht primär die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit gefragt. Vielmehr geht es darum, alle Sektoren der Schweizer Politik sowohl national wie auch international auf eine globale nachhaltige Entwicklung auszurichten.
Bei der nationalen Politik gehört die Armutsbekämpfung zu einer der zentralen Herausforderungen der Schweiz. So will die Agenda 2030 nicht nur die extreme Armut – definiert als Tageseinkommen von weniger als 1.90 US$ - ausrotten, sondern auch Armut gemäss nationalen Definitionen halbieren. In der Schweiz sind über eine halbe Million Menschen von Armut betroffen. Auch bezüglich nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster ist der Handlungsbedarf in der Schweiz gross: So gehören wir zu den Spitzenreitern beim Thema Food Waste: Rund ein Drittel der in der Schweiz hergestellten Lebensmitteln geht zwischen Ernte und Mahlzeit verloren. Das ergibt pro Kopf und Tag mehr als 300g Lebensmittel – fast eine komplette Mahlzeit. Die Schweiz verfügt jedoch in beiden Bereichen noch über keine verbindlichen nationalen Zielvorgaben.
Die Schweiz ist keine Insel
Bislang vernachlässigt die Schweiz insbesondere die Auswirkungen ihrer nationalen Politik auf andere Länder. So zitiert der Bundesrat in seinem ersten Bericht zur Agenda 2030 die Strategie Nachhaltige Entwicklung und die Botschaft über die internationale Zusammenarbeit als Umsetzungsstrategien der Schweiz. Die Botschaft gibt allerdings nur die Strategie der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit vor. Nicht davon betroffen sind die Aussenwirtschaftsstrategie oder die internationale Finanz- und Steuerpolitik der Schweiz. Die Strategie Nachhaltige Entwicklung fokussiert stark auf die nationalen, geographischen Grenzen. Gerade im Bereich Konsum und Produktion trägt die Schweiz jedoch auch jenseits unserer Grenzen zu Entwicklung (positiv oder negativ) bei. Massnahmen, diese Auswirkungen im Ausland zu verbessern, fehlen jedoch.
Zentral für die Umsetzung der Agenda 2030 ist eine verbesserte Kohärenz für nachhaltige Entwicklung. Dies bedeutet, dass alle politischen Handlungsfelder auf ihre globalen Auswirkungen auf nachhaltige Entwicklung hin geprüft und angepasst werden müssen. Wie beeinflussen unsere nationalen Entscheide die Möglichkeiten anderer Länder, die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen? Welchen Raum lassen wir Entwicklungsländern, ihre Entwicklung selber zu definieren und selber zu finanzieren? Wie müsste eine Unternehmenssteuerreform oder ein Freihandelsabkommen formuliert sein, um hier positive Wirkung zu zeigen?
Breit abgestützte Initiative
Mit der Gründung der zivilgesellschaftlichen Plattform Agenda 2030 wollen Schweizer Nichtregierungsorganisationen sich aktiv in die Debatte der Rolle der Schweiz für eine globale nachhaltige Entwicklung einmischen. Alliance Sud engagiert sich zusammen mit dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund, CBM Christoffel Blindenmission, dem Kompetenzzentrum für Friedensförderungen und dem Thinkpact Zukunft im Vorstand der neuen Plattform. Die Plattform steht gleichgesinnten zivilgesellschaftlichen Organisationen offen und ist daran interessiert, die Mitgliederbasis weiter zu vergrössern. Interessierte Organisationen können sich für weitere Informationen gerne direkt an die Autorin wenden.
Dieser Artikel wurde für Medicus Mundi, das Netzwerk Gesundheit für alle verfasst.
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