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Medienmitteilung
Falsche Entwicklung: NEIN zu No Billag!
30.01.2018, Agenda 2030
Weltweit zeichnen sich entwickelte Gesellschaften durch Meinungsvielfalt und den freien Zugang zu hochwertiger Information aus. Beides setzt die No Billag-Initiative in der Schweiz aufs Spiel. Alliance Sud empfiehlt ein Nein zum Volksbegehren.

Weltweit zeichnen sich entwickelte Gesellschaften durch Meinungsvielfalt und den freien Zugang zu hochwertiger Information aus. Beides setzt die No Billag-Initiative in der Schweiz aufs Spiel. Alliance Sud, der Think and Do Tank der Schweizer Entwicklungsorganisationen, empfiehlt deshalb die Ablehnung des Volksbegehrens.
Die No Billag-Initiative untergräbt die Prinzipien, für die sich die Entwicklungsorganisationen der Schweiz einsetzen: Chancengleichheit, Solidarität, freie demokratische Willensbildung und der Kampf gegen übermächtige Interessen politischer und wirtschaftlicher Eliten. Die Initiative benachteiligt sprachliche Minderheiten und setzt auf die Kommerzialisierung von Informations-, Bildungs- und Kulturangeboten. Sie stellt die Prinzipien und Werte in Frage, die eine wesentliche Grundlage der Entwicklungszusammenarbeit sind.
Fernseh- und Radiobeiträge, die über die Lebenssituation der Menschen in Entwicklungsländern berichten, sind heute rar. Auch auf aufgrund der hohen Produktionskosten sind sie vor allem auf gebührenfinanzierten Kanälen zu finden. Wenn diese Berichterstattung auch die Entwicklungszusammenarbeit beleuchtet, so wird sie nach journalistischen Kriterien kritisch gestaltet. Für Bürgerinnen und Bürger, die sich ein Bild von der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit machen wollen, sind die SRG SSR, aber auch gebührenfinanzierte Privatsender, unerlässliche Informationsquellen. Das radikale Verbot jeglicher Finanzierung elektronischer Medienangebote durch Gebühren wie es die No Billag-Initiative verlangt, würde ohne Not empfindliche Lücken in die internationale Berichterstattung des Schweizer Mediensystems reissen.
Die No Billag-Initiative gefährdet auch die Glückskette, die mit nationalen Sammeltagen auf humanitäre Krisen im In- und Ausland reagiert. Die Glückskette geniesst in der Schweizer Bevölkerung grossen Rückhalt, denn sie nimmt nicht nur Spenden entgegen, sie evaluiert auch Projekte und prüft mit Fachleuten vor Ort, ob in der Schweiz gesammelte Gelder effizient eingesetzt werden.
Die No Billag-Initiative widerspricht der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I). Diese legen fest, dass die Mitgliedstaaten eine positive Verpflichtung zur Gewährleistung der Vielfalt im Bereich der audiovisuellen Medien haben (EMRK) bzw. über die Kulturförderung ein Fundament für Pluralismus, Toleranz und lebhafte demokratische Partizipation legen müssen (UNO-Pakt I). Während sich die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) für leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aussprechen, würde die Schweiz bei einer Annahme der No Billag-Initiative just den entgegengesetzten Weg einschlagen.
Last but not least würde die No-Billag-Initiative die Berichterstattung über die Entwicklungsfolgen der Schweizer Handels-, Klima- oder Finanzplatzpolitik beeinträchtigen. Alliance Sud sieht die diesbezüglichen heutigen Leistungen der SRG SSR mitunter auch durchaus kritisch. Eine alleine durch den Markt finanzierte Berichterstattung wäre jedoch mit grösster Wahrscheinlichkeit deutlich einseitiger und unbefriedigender.
Aus all diesen Gründen empfiehlt Alliance Sud den Stimmberechtigten am 4. März zur No Billag-Initiative ein NEIN einzulegen.
Unter diesem Link finden Sie das ausführliche Positionspapier von Alliance Sud.
Publikation
Offener Brief gegen erleichterten Waffenexport
09.02.2018, Agenda 2030
Über zwei Dutzend Organisationen, die sich für Frieden, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung einsetzen, haben einen offenen Brief der GSoA gegen eine Erleichterung von Waffenexporten in Bürgerkriegsländer unterzeichnet.

Offener Brief der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) vom 7. Februar 2018
Sehr geehrter Bundesrat
Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident
Sehr geehrte Kommissionsmitglieder
Wie wir der Medienberichterstattung von Anfang November entnehmen konnten, haben sich 13 Rüstungsunternehmen an Sie gewandt, mit der Bitte, auch in Bürgerkriegsländer exportieren zu dürfen. Mit grosser Bestürzung haben wir vernommen, dass eine Delegation dieser Unternehmen in einer offiziellen SiK-S-Sitzung angehört wurde und, wie letzte Woche bekannt wurde, das zuständige Departement dem Bundesrat demnächst eine entsprechende Verordnungsänderung beantragen wird.
Bereits jetzt wird Kriegsmaterial in Länder exportiert, die in einen bewaffneten Konflikt involviert sind, der aber nicht auf ihrem Staatsgebiet stattfindet. Damit wird die bestehende Gesetzesgrundlage schon heute missachtet. Ein Export von Kriegs-material in Staaten, die Krieg führen, birgt viele Risiken und trägt auf keinen Fall zu einer friedlichen Lösung des Konflikts bei. Zum einen muss davon ausgegangen werden, dass das exportierte Material auch wirklich eingesetzt wird und dabei Menschen getötet werden. Daneben besteht das Risiko, dass damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden.
Das Ziel einer schweizerischen Neutralitätspolitik kann nicht sein, die eigene Rüstungsindustrie zu unterstützen und dabei die Stabilität anderer Länder zu gefährden. Was im EDA durch «Gute Dienste», Vermittlungsprozesse und diplomatisches Geschick erreicht wird, würde bei einer Lockerung der Kriegsmaterialverordnung zunichte gemacht. Gemäss dem UNHCR sind täglich 28’300 Menschen gezwungen, ihr Zuhause wegen Krieg und Verfolgung zu verlassen. Der Export von Kriegs-material in Kriegsgebiete trägt unter keinen Umständen dazu bei, dass sich die Lage dort beruhigt oder eine zivile Konflik-tlösung gesucht wird. Stattdessen werden bewaffnete Konflikte weiter angetrieben und noch mehr Leute gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen und einen äusserst gefährlichen Weg der Flucht auf sich zu nehmen.
Was die Forderung der Rüstungsunternehmen treibt, ist eine egoistische, wirtschaftszentrierte Sicht, welche die Auswirkun-gen ihrer Tätigkeit verkennt und die Arbeitsplätze in der Schweiz höher gewichtet als die Menschenrechte und die globale Stabilität. Ausnahmsweise kennt die Schweiz striktere Gesetze als die europäischen Nachbarstaaten und könnte damit in einem wichtigen Politikbereich eine Vorreiterrolle spielen. Wir bitten Sie daher, der globalen Situation und den gesamt-schweizerischen Interessen Rechnung zu tragen, nicht auf die Wünsche der Rüstungsindustrie einzugehen und von einer entsprechenden Verordungsänderung abzusehen.
Wir danken Ihnen für die Kenntnisnahme unserer Anliegen. Für Fragen oder ein Gespräch stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen
Eva Krattiger, Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA)
Mark Herkenrath, Alliance Sud
Heinz Bichsel, Bereich OeME-Migration der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn
Urs Sekinger, Brückenschlag Zürich <–> Amed/Diyarbakir
Carmen Meyer, cfd – die feministische Friedensorganisation
Teres Steiger-Graf, comundo
Melanie Aebli, Demokratische Jurist_innen Schweiz
Dorothea Forster, Evangelische Frauen Schweiz
Bernd Nilles, Fastenopfer / Action de Carême
Christoph Wiedmer, Gesellschaft für bedrohte Völker
Melchior Lengsfeld, HELVETAS Swiss Intercooperation
Alex Sutter, humanrights.ch
Sevim Kalkan, Internationale Widerstandsplattform Efrin (Schweiz)
Wolfgang Bürgstein, Justitia et pax
Therese Vögeli, medico international schweiz
Karl Heuberger, Peace Watch Switzerland
Andreas Missbach, Public Eye
Hanna Götte, Religiös-Sozialistische Vereinigung der Deutschschweiz
Julia Hoppe, Schweizerische Friedensbewegung
Simone Curau-Aepli, SKF SchweizerischerKatholischer Frauenbund
Amanda Ioset, Solidarité sans frontières
Aurora García, SOLIFONDS
Judith Schmid, Stand Up for Refugees
Jeremias Blaser, swissaid
Franziska Lauper, terre des hommes schweiz
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Artikel
WSF: Agonie oder neue Hoffnung?
20.02.2018, Agenda 2030
Vom 13. bis 17. März findet im brasilianischen Salvador de Bahia eine weitere Ausgabe des Weltsozialforums (WSF) statt. Interview mit Bernd Nilles, Direktor des Fastenopfers.

Seit der Gründung des Weltsozialforums (WSF) wird es von zahlreichen unterschiedlichen internationale Organisationen der globalisierungskritischen Bewegung unterstützt und inspiriert. Viele von ihnen sparen zwar nicht mit Kritik, sehen jedoch in dieser Plattform weiterhin ein Zeichen der Hoffnung, bei der Suche nach einer systemischen Alternative. „Obwohl es Anzeichen einer Agonie gibt, besteht doch auch ein Potential der «Auferstehung» und des Weiterkommens“, bestätigt Bernd Nilles, der seit April 2017 Direktor von Fastenopfer, dem Hilfswerk der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz ist.
Nilles war er neun Jahre lang Generalsekretär der CIDSE, der internationalen Allianz katholischer Entwicklungsorganisationen, zu denen auch Fastenopfer gehört. Beide beteiligen sich aktiv am 2001 in Porto Alegre in Brasilien geborenen Prozess. Die CIDSE verfügt überdies über einen Sitz im Internationalen Rat, der Instanz, die das WSF jeweils koordiniert. Fastenopfer ist nicht nur Teil der Schweizer Delegationen bei allen Weltsozialforen, sondern war aktiv an der Einberufung der beiden Schweizer Sozialforen beteiligt, die seit 2003 durchgeführt werden.
Fastenopfer nimmt seit der Gründung am Prozess des WSF teil. Wie hat Ihre Organisation von diesen Teilnahmen profitiert?
Bernd Nilles: Es war stets eine einzigartige Chance, sich mit Personen zu treffen, die sich als Alternative zu einer rein kapitalistischen für eine andere, sogenannt solidarische Welt einsetzen. Konkret: Die regelmässige Teilnahme am WSF ermöglicht es uns, unser thematisches Netzwerk weltweit zu verstärken. Sie erleichtert auch die Suche nach Synergien mit unseren Partnerorganisationen.
Dank dieser Teilnahme haben wir innovative Ideen für die Lösung von konkreten Problemen, unterschiedliche politische Analysen und Meinungen kennengelernt und konnten gemeinsam Aktivitäten auf globaler Ebene planen. Das WSF erlaubte es uns – vor allem, als es parallel zum World Economic Forum WEF in Davos stattfand – mit den Medien über globale Ungerechtigkeiten sprechen und Verbindungen zwischen den Journalisten und unseren Partnerorganisationen aufzubauen.
Manche sagen, das WSF liege auf dem Sterbebett, andere, darunter die Organisatoren des Forums 2018 in Salvador de Bahia, unterstreichen weiterhin die Bedeutung dieser Plattform für die internationale Zivilgesellschaft. Wie beurteilen Sie seinen Gesundheitszustand?
Die Agonie – und das WSF ist in einem sterbeähnlichen Zustand – kann als eine Lebensphase mit Potential zur Wiedergeburt oder dann als Phase des fast Sterbens betrachtet werden. Sicher ist, dass sich das WSF in einer komplexen Situation befindet: Entweder gelingt es dieses Jahr die Aufmerksamkeit der Medienwelt und einer neuen Generation darauf zu ziehen, oder es muss zugegeben werden, dass das Verhältnis zwischen der Investition (menschlicher und finanzieller Ressourcen) und den Ergebnissen des Treffens in Bezug auf konkret daraus resultierenden Aktionen seinen Erhalt nicht mehr rechtfertigt.
Für mich ist es wünschenswert, dass das WSF weiterhin ein Begegnungsort für Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft bleibt, der eine Hilfe bei der Suche nach Synergien in den politischen Kämpfen für eine gerechtere Welt bietet. Eine interessante Entwicklung kann in Bezug auf die thematischen Foren beobachtet werden. Sie ermöglichen mit Sicherheit eine spezifische und klare Analyse, sowie die Planung von nachhaltigen Aktionen und dadurch eine verstärkte Sichtbarkeit.
Der Nachteil besteht darin, dass dadurch auf eine gewisse Weise die Interdisziplinarität, das holistische Denken und vielleicht auch die globale Kritik am System geopfert werden. Ich bin davon überzeugt, dass es auch weiterhin Plattformen geben muss, in denen wir darauf bestehen, dass „eine andere Welt möglich ist“ und die zentrale Kraft des WSF weiterhin gefordert ist. Es ist wichtig, Möglichkeiten zu finden, um die Debatten und die Ergebnisse des WSF nachhaltig sichtbar zu machen. Beispielsweise indem deren Weiterverfolgung auf regionaler Ebene geschieht und somit dezentralisiert Verbreitung findet, damit der Kern der WSF-Bewegung leben kann und auch weiterhin zweijährlich eine spezifische Veranstaltung durchgeführt wird.
Fastenopfer nimmt mit einer Fünfergruppe am WSF 2018 teil. Welche Erwartungen verbinden Sie damit?
Unsere Strategie sieht vor, „unsere Aktivitäten systematisch auf Transformation hin auszurichten“. Wir suchen also in Salvador de Bahia Verbündete, die bereit sind, mit uns vorwärts zu gehen, um unsere Realitäten hin zu einer gerechteren und gleichwertigeren Gesellschaft zu transformieren. Denn wir sind davon überzeugt, dass eine Änderung auf individueller und auf gesellschaftlicher Ebene nötig ist, um „el buen vivir“, ein „gutes Leben“ für alle, gerade auch für künftige Generationen möglich zu machen.
Eine besondere Herausforderung für uns wird sein, zusammen mit anderen Partnern, unser künftiges Programm „wirtschaftliche Alternativen“ weiter zu planen - ein Thema, das uns für die Zukunft entscheidend scheint. Das WSF war stets eine Wiege von Innovation, Aktion und Netzwerkarbeit. Wir wollen, mit Experten und Partnerinnen und Partnern aus der ganzen Welt, einen Austausch zum Thema „Neue Paradigmen für eine mögliche andere Welt“ organisieren, um die Reflexion und das Engagement für einen systemischen Wandel zu fördern.
Eine Delegation von rund 30 Personen mit Schweizer Persönlichkeiten, organisiert von E-CHANGER, wird am WSF 2018 teilnehmen. Was halten Sie davon?
Wir waren schon immer daran interessiert, Teil dieser Schweizer Delegation zu sein, die Menschen aus Politik, Medien, Staat und Zivilgesellschaft vereint. Es war, und ich hoffe, es wird auch in Zukunft so sein, eine einzigartige Gelegenheit, Verbindungen innerhalb des WSF zu knüpfen, nicht nur auf globaler, sondern auch auf nationaler Ebene. Während einiger Tage zusammen zu sein, von einer gemeinsamen Analyse der globalen Herausforderungen zu profitieren und nach weiterführenden Aktivitäten für die Zukunft zu suchen, ist eine seltene Möglichkeit, die uns diese Reise bietet. Nach unserer Rückkehr in die Schweiz werden wir Erfahrungen gemeinsam weitergeben und Anregungen zur Reflexion, über die Agenda 2030 hinaus machen.
Ein abschliessender Gedanke?
Es gibt innerhalb des WSF zwei verschiedene Tendenzen: diejenige, die möchte, dass das Forum mit einer einzigen Stimme spricht und als solche öffentlich, politisch Stellung bezieht. Und diejenige, welche die Diversität innerhalb der Zivilgesellschaft anerkennt und respektiert, und demzufolge zur Synergie und zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch all jener auffordert, die das wünschen. Fastenopfer und unsere europäische Plattform CIDSE haben schon immer die zweite Tendenz bevorzugt, denn sie scheint uns realistisch. Wir hoffen also, dass es am Weltsozialforum in Salvador de Bahia gelingen wird, die Menschen, die sich zusammenschliessen wollen mit gutem Willen zu vereinigen, für verschiedene Kämpfe zugunsten eine anderen möglichen und gerechteren Welt.
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Artikel, Global
«Gutschweizerischer Kompromiss» wäre fatal
26.03.2018, Agenda 2030
Die Schweizer Bundesverwaltung ist sich uneins, wer die Federführung für die Umsetzung der Agenda 2030 in und durch die Schweiz übernehmen soll. Es braucht dringend eine hochrangige, direkt dem Bundesrat unterstellte Person.

Mark Herkenrath, Geschäftsleiter Alliance Sud.
© Daniel Rihs/Alliance Sud
Die Welt auf gerechten und ökologisch nachhaltigen Kurs bringen. Mit dieser ambitiösen Absicht unterschrieb die internationale Gemeinschaft im September 2015 einen gemeinsamen Plan — die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für die globale nachhaltige Entwicklung. Sie strebt bis 2030 eine ökologisch und sozial nachhaltige Welt in Frieden, Stabilität, Sicherheit und Wohlstand an.
Die Schweiz hat massgeblich zum erfolgreichen Verhandlungsabschluss beigetragen. Als kleines, global stark vernetztes Land hat sie ein grosses Interesse an einem stabilen und nachhaltigen globalen Umfeld. Eine Welt in Wohlstand und Frieden entspricht nicht nur unserer humanitären Tradition, sondern kommt auch den international tätigen Schweizer Unternehmen entgegen. Allerdings mehren sich die Zeichen, dass die Spitzen der Schweizer Bundesverwaltung der Umsetzung der Agenda 2030 nicht das politische Gewicht geben wollen, das sie eigentlich haben müsste.
Im Juli dieses Jahres wird die Schweiz anlässlich des Hochrangigen Politischen Forums für Nachhaltige Entwicklung (High-Level Political Forum, HLPF) bei der UNO in New York über ihre bisherigen Fortschritte auf dem Weg zur Agenda 2030 berichten. Der Bundesrat muss bis dahin entschieden haben, wer in der schweizerischen Bundesverwaltung die Gesamtverantwortung für die Umsetzung der Agenda 2030 in der Schweizer Innen- und Aussenpolitik haben soll. Mit einer hochrangigen Verankerung — etwa bei einem direkt dem Bundesrat unterstellten Delegierten — könnte die Schweiz ein wichtiges Zeichen setzen, dass sie international in Sachen nachhaltige Entwicklung eine führende Position einnehmen will.
Andere Länder gehen bereits mit gutem Beispiel voran. Sie haben die Zuständigkeit für die Agenda 2030 dem Kanzleramt, einem Minister oder einem Delegierten der Regierung zugewiesen — einer Stelle also, die direkt mit der Regierung verbunden ist und Ämter aus verschiedenen Ministerien zur Rechenschaft ziehen kann. Das ist deshalb wichtig, weil die Agenda 2030 sämtliche Bereiche der Politik eines Landes betrifft und ihre Umsetzung ein koordiniertes Vorgehen über alle Ämter hinweg verlangt.
In der Schweizer Bundesverwaltung hingegen besteht Uneinigkeit darüber, welche Instanz die Federführung für die Agenda 2030 übernehmen soll. Die Vorstellung, es könnte ihnen eine übergeordnete Koordination vor die Nase gesetzt werden, ärgert Spitzenfunktionäre einzelner Ämter gehörig. Es besteht deshalb die Gefahr, dass strategische Entscheidungen zur Agenda 2030 einer Ämterkonferenz der Direktorinnen und Direktoren zugewiesen werden könnten. Praktische Koordinationsaufgaben würde eine gemischte Arbeitsgruppe verschiedener Departemente übernehmen.
Mit einem solchen «gutschweizerischen Kompromiss» wären letztlich alle Bundesämter ein bisschen für die Agenda 2030 zuständig — aber niemand trüge wirklich Verantwortung. Den Kantonen, aber auch den zivilgesellschaftlichen Organisationen und allen Unternehmen, die sich partnerschaftlich an der Umsetzung der Agenda 2030 beteiligen möchten, würde eine klar definierte Ansprechperson fehlen. Sie wünschen sich eine hochrangige Verankerung der Agenda 2030 mit klaren Kompetenzen. Dem Bundesrat bleibt nicht mehr viel Zeit, um eine vernünftige Lösung zu finden.
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Artikel
Die Zukunft des Weltsozialforums offener denn je
04.04.2018, Agenda 2030
Das Weltsozialforum ist 2018 nach Brasilien zurückgekehrt. Das Treffen hat an Sichtbarkeit verloren, bleibt aber wichtig für den Austausch über Alternativen für eine «andere Welt».

Demonstrationszug zur Eröffnung des Weltsozialforums 2018 in Salvador de Bahia, Brasilien.
© Douglas Mansur
Bei tropischen Temperaturen haben sich Mitte März nach Angaben der Veranstalter rund 80.000 Menschen in der nordbrasilianischen Hafenstadt Salvador de Bahia am Weltsozialforum (WSF) beteiligt – das waren mehr als doppelt so viele Teilnehmer als vor zwei Jahren im kanadischen Montreal. Auf dem weitläufigen Campus der staatlichen Universität von Bahia fanden an fünf Tagen insgesamt 2000 Veranstaltungen zu 19 Themenschwerpunkten statt – zu Menschenrechten, Gender, Umwelt, Migration, Frieden und Solidarität. Nicht alle Veranstaltungen erfüllten den Anspruch eines globalen Treffens mit internationaler Ausstrahlung. Doch seit seiner Gründung 2001 in Porto Alegre bietet das Forum auch regionalen Initiativen ein Schaufenster und die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen.
In Salvador de Bahia besonders präsent waren afrobrasilianische Organisationen und Themen rund um Rassismus gegen Schwarze und Diskriminierung von Frauen. Entsprechend aufgewühlt und empört reagierten viele Forumsteilnehmer auf die Ermordung der linken Kommunalpolitikerin Marielle Franco in Rio de Janeiro am 14. März. Die in einer Favela aufgewachsene Menschenrechtlerin war eine Hoffnungsträgerin für Frauen, Schwarze und Ausgegrenzte in ganz Brasilien.
Das Weltsozialforum in Salvador de Bahia stand unter dem Motto „Widerstand heißt Aufbau, Widerstand heißt Transformation“. Die meisten Debatten lösten den Anspruch ein, über die Globalisierungskritik hinaus Alternativen für eine „andere Welt“ zu entwickeln. So zum Beispiel das internationale Treffen zu „Neuen Paradigmen“, gemeinsam getragen von der brasilianischen Vereinigung nichtstaatlicher Organisationen (Abong) sowie den drei katholischen Hilfswerken Misereor, Dreikönigsaktion und Fastenopfer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Prinzip der „glücklichen Genügsamkeit“
Dabei wurden Ansätze für eine nachhaltige Entwicklung diskutiert, die auf dem Prinzip einer „glücklichen Genügsamkeit“ basieren, wie der französische Philosoph Patrick Viveret das Konzept des „Buen vivir“ bezeichnete. Unter anderem wurde eine Datenbank lanciert, die Informationen zu alternativen Praktiken sammelt, etwa in der ökologischen Landwirtschaft und zur umweltfreundlichen Energiegewinnung, und dieses Wissen anderen Interessierten zugänglich macht. Der ehemalige UN-Botschafter Boliviens, Pablo Solón, plädierte für Alternativen zu einem einseitig auf Produktion ausgerichteten System. Der Öko-Aktivist und frühere Minister ist bei der bolivianischen Regierung in Ungnade gefallen, nachdem er den Bau von großen Staudämmen kritisiert hatte.
Mit dem Austragungsort in Salvador de Bahia kehrte das Weltsozialforum wieder in den Süden zurück – 2016 hatte es in Kanada und damit erstmals in einem Industriestaat des Nordens stattgefunden. Die Aktivisten der studentischen „Occupy“-Bewegung hatten das Forum nach Montreal geholt, was im Vorfeld für Kontroversen gesorgt hatte. Die Befürchtung damals, dass Teilnehmern aus Ländern des Südens die Einreise wegen Visumsbeschränkungen verwehrt bleiben könnte, traf tatsächlich ein. Medienberichte führten immerhin dazu, dass die kanadische Regierung ihre Visapolitik lockern musste. Mit 30.000 Teilnehmern war das Forum in Kanada aber deutlich kleiner geblieben als das diesjährige in Brasilien. Der Abstecher nach Nordamerika trug jedoch zu einer Verjüngung des Weltsozialforums bei, und die kanadische Delegation war in Salvador de Bahia eine der aktivsten.
Manche zweifeln an der Zukunft des Formats
Trotzdem ist die Zukunft des Weltsozialforums offener denn je. „Wir sind in einer schwierigen Phase unseres Kampfs“, sagt Chico Whitaker, Mitbegründer des Forums von Porto Alegre und Mitglied des Internationalen WSF-Rates. Aus seiner Sicht hat das Forum nur eine Zukunft, wenn es eine offene Plattform des Austausches bleibt und nicht zu einer Politorganisation umfunktioniert wird, die Resolutionen beschließt.
Die Forderung nach einer stärkeren Durchschlagskraft des WSF wird seit den Anfängen immer wieder laut. „Doch das Weltsozialforum schafft keine Bewegungen, sondern kann nur verstärken, was existiert“, sagt Whitaker, der bedauert, dass das Forum in den vergangenen Jahren nicht mehr gleichzeitig mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos stattgefunden hat. Die anfängliche Positionierung als „Anti-Davos des Südens“ hatte für mehr Sichtbarkeit und mediale Präsenz gesorgt.
Ohnehin steht der 84-jährige brasilianische Aktivist der ersten Stunde globalen Treffen mittlerweile skeptisch gegenüber. Whitaker sieht die Zukunft eher in thematischen Foren. So fand unmittelbar im Anschluss an das WSF in Bahia ein alternatives Wasserforum in Brasília statt – als Gegenveranstaltung zum 8. offiziellen Weltwasserforum des World Water Council.
Dieser Artikel ist beim Magazin Welt-Sichten erstmals publiziert worden.
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Meinung
Lobbying: Gleiche lange Spiesse für alle
26.04.2018, Agenda 2030
Alliance Sud setzt sich für Chancengleichheit ein, auch beim Lobbying. Finanzschwache Vertreter ideeller Interessen dürfen nicht benachteiligt werden. Vernehmlassung zum Kommissionsentwurf.

© Michael Stahl/Keystone
Die Stellungnahme von Alliance Sud zum Vorentwurf «Eine Regelung für transparentes Lobbying im eidgenössischen Parlament» (PA.IV. 15.438) der Staatspolitischen Kommission des Ständerates im Wortlaut.
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Medienmitteilung
Nachhaltigkeit ist Bundesrat magere 24 Seiten wert
20.06.2018, Agenda 2030
Mitte Juli wird die Schweiz ihren Fortschrittsbericht zur Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung vor der UNO in New York präsentieren. Heute hat der Bundesrat diesen Bericht verabschiedet. Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft wurden zwar konsultiert, davon ist jedoch so gut wie gar nichts in den Bericht eingeflossen. Namentlich fehlt eine ernsthafte Analyse, wo es in der Schweiz Handlungsbedarf gibt bei der Umsetzung des globalen Rahmenwerks für nachhaltige Entwicklung. Auf diese Fragen wird ein Bericht der Plattform Agenda 2030 Antworten geben, der am 3. Juli veröffentlicht wird.

Die Weltgemeinschaft hat 2015 unter aktiver Mitwirkung der Schweiz die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Auch der Bundesrat anerkennt diese explizit als neuen universellen Referenzrahmen für den Beitrag der Schweiz zur Förderung des menschlichen Wohlergehens, einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung sowie zum Schutz der Umwelt – sowohl weltweit als auch im eigenen Land.
Über 170 Akteure aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft haben in einer aufwändigen Online-Befragung Herausforderungen und Chancen des Schweizer Beitrags zur Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen und 169 Unterzielen evaluiert. Die Bundesverwaltung setzte eigens eine hochrangig besetzte Begleitgruppe ein, um diesen Prozess zu begleiten. Doch das Resultat dieser Vorarbeit spiegelt sich im Bericht kaum wieder: Auf gerade einmal 24 Seiten will der Bundesrat im Juli der UNO die Schweizer Aktivitäten zur Umsetzung der Agenda 2030 darlegen.
Für die zivilgesellschaftliche Plattform Agenda 2030 – ein Zusammenschluss von mehr als 40 Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechte, Frieden, Gewerkschaften und kollaborativer Wirtschaft – ist dieser Bericht klar ungenügend. Namentlich hat es der Bundesrat verpasst, wesentliche Lücken bei der Schweizer Umsetzung der Agenda 2030 zu identifizieren, und es fehlen jegliche Hinweise, ob und wie der Bundesrat die notwendigen politischen Massnahmen einleiten will. Ebenso wenig gibt der Bericht Auskunft darüber, welche Bundesstelle die Kompetenz haben soll, die Umsetzung der Agenda 2030 voranzubringen und zu überprüfen.
Offen bleibt auch die Frage, warum der Bundesrat die oft erwähnte «umfassende Bestandesaufnahme», die seinem sehr spärlichen Bericht zugrunde liegen soll, nicht mitveröffentlicht.
Die Resultate der zivilgesellschaftlichen Bestandsaufnahme werden anlässlich einer Medienkonferenz am 3. Juli präsentiert. Die Analyse der Plattform Agenda 2030 wird das Engagement der Schweiz in weit weniger rosigem Licht erscheinen lassen als der Bericht des Bundesrats.
Für weitere Informationen:
Eva Schmassmann (Präsidentin Plattform Agenda 2030, Alliance Sud): 076 458 89 52
Friedrich Wulf (AG Umwelt der Plattform Agenda 2030, Pro Natura): 061 317 92 42 bzw. 079 216 02 06
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Artikel, Global
Nachhaltigkeit im Zentrum der Macht?
24.06.2018, Agenda 2030
Die Umsetzung der Agenda 2030 – dieser Verfassung für eine globale Weltinnenpolitik – ist organisatorisch eine Knacknuss. Entsprechend schwer tut sich damit (auch) die Schweiz. Wer soll diese Aufgabe übernehmen? Und wieviel Kompetenzen braucht es?

Auf 17 Ziele und 169 Unterziele zur globalen nachhaltigen Entwicklung konnte sich die Staatengemeinschaft einigen. Der Katalog listet so unterschiedliche Bereiche auf wie den Schutz der Biodiversität, die Regulierung der Finanzmärkte oder das Erreichen von Geschlechtergerechtigkeit. Wer die Ziele ernst nimmt, weiss, dass sich die Umsetzung einzelner Ziele gegenseitig beeinflussen, sich verstärken, sich aber auch widersprechen kann. Entscheidend ist darum, dass die Umsetzung an möglichst kompetenter und einflussreicher Stelle koordiniert wird. Die OECD empfiehlt, die Umsetzung der Agenda 2030 im «Zentrum der Regierung» (Centre of Government) anzusiedeln.
Und in der Schweiz? Der Bundesrat plant offenbar, dass sich eine Konferenz von Amtsdirektoren der Umsetzung der Agenda 2030 annehmen soll. Ein Gremium also, das darauf ausgelegt ist, einen Minimalkonsens zu erreichen; nicht mehr. Absehbar ist, dass dieser Konferenz die nötige starke Führung fehlt, die über «power, people and pennies» verfügt, wie es ein niederländischer Minister treffend umschrieben hat.
Viele Länder sind laut OECD-Quellen der Schweiz hier mindestens einen Schritt voraus:
- Mexiko hat ein technisches Komitee eingesetzt, das unter der Leitung des Staatspräsidenten steht. Es schliesst verschiedene involvierte Ministerien ein und hat unter anderem die Kompetenz festzulegen, wie Fortschritte gemessen werden und wie darüber berichtet wird.
- Tschechien hat einen Nachhaltigkeitsrat und thematische Komitees ins Leben gerufen, die Hunderte von ExpertInnen versammeln. Der Rat wird vom Ministerpräsidenten geleitet und hat auch die Aufgabe, die Umsetzung der Agenda in und durch Tschechien zu überprüfen (review and follow up).
- Deutschland hat die Federführung zur Umsetzung der Agenda im Stab des Bundeskanzleramts, dem Zentrum der Macht, angesiedelt. Allerdings greift das Kanzleramt nur in Ausnahmefällen direkt in die politischen Prozesse ein.
Jedes politische System hat seine Eigenheiten und für ausnahmslos alle Staaten stellt die konsequente ernsthafte Umsetzung der Agenda 2030 eine grosse Herausforderung dar. Klar ist: Der Schutz des Planeten, das Erreichen sozialer Gerechtigkeit und die nachhaltige Finanzierbarkeit der Agenda 2030 verlangen Kreativität.
Im Schweizer Politsystem gäbe es durchaus entsprechenden Spielraum: Die Bundeskanzlei als Schnittstelle der Macht oder einE unabhängige BundesdelegierteR mit weitreichenden Befugnissen wären nur zwei Wege, die vielversprechender gewesen wären als die vom Bundesrat gewählte Variante.
Die Alliance-Sud-Position:
Wer die Umsetzung der Agenda 2030 steuert, muss:
- die Federführung haben bei der Umsetzung sowie der Überprüfung von deren Fortschritten, und befugt sein, darüber zu informieren.
- Zielkonflikte – nicht zuletzt zwischen den Departementen – erkennen und angemessen darüber informieren können.
- die Kompetenz haben, bei Zielkonflikten im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit zu entscheiden bzw. die gesellschaftliche Aushandlung des Konflikts in die Wege leiten können.
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Grosser Auftritt, kleine Schweiz...
24.06.2018, Agenda 2030
Die Schweiz riskiert mit ihrem Agenda 2030-Länderbericht einen peinlichen Auftritt vor der UNO. Sie dient als schlechtes Beispiel für Staaten, die es mit dem Kampf um die Erfüllung der Ziele für nachhaltige Entwicklung noch weniger ernst nehmen.

Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud.
© Daniel Rihs/Alliance Sud
Am 17. Juli hat die Schweiz ihren grossen Auftritt: Am UNO-Hauptsitz in New York, wo vor drei Jahren die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet worden ist, berichtet sie über ihre Fortschritte bei der Umsetzung. Die internationale Staatengemeinschaft wartet gespannt auf den Bericht, denn die Schweiz hatte sich bei den Verhandlungen zur Agenda 2030 als starke Verfechterin einer globalen nachhaltigen Entwicklung hervorgetan. Seit dem Verhandlungsabschluss hat sie die anderen Staaten immer wieder mit Nachdruck aufgefordert, umfassende und selbstkritische Rechenschaft über die Umsetzung abzulegen.
Zuletzt ist die Schweiz bei den Vereinten Nationen aber in ein schiefes Licht geraten. Grund dafür ist Bundesrat Cassis‘ im Alleingang geäusserte Kritik an der UNO-Nahostpolitik. Umso mehr interessiert in New York nun, wie sich die Schweiz unter ihrem neuen Aussen- und Entwicklungsminister zur globalen nachhaltigen Entwicklung positioniert.
Auf grosses Interesse wird sicher auch der Bericht der Schweizer NGOs stossen, der am 3. Juli unter dem Titel «Wie nachhaltig ist die Schweiz?» veröffentlicht wird. Die breit abgestützte zivilgesellschaftliche Plattform zur Agenda 2030 wird darin ihre eigene kritische Einschätzung abgeben, wo die Schweiz bei der Umsetzung dieses wichtigen Zukunftsprojekts steht.
Den offiziellen Schweizer Fortschrittsbericht zur Agenda 2030 wollte der Bundesrat eigentlich schon Anfang Juni verabschieden. Die verzögerte Veröffentlichung lässt auf grundsätzliche Uneinigkeit zwischen den zuständigen Departementen schliessen, was die Schweiz denn überhaupt berichten soll. Inzwischen steht fest, dass vor dem Redaktionsschluss dieses Editorials (am 15. Juni) damit nicht mehr zu rechnen ist.
Gemunkelt wird, der offizielle Schweizer Bericht werde nur wenige Seiten umfassen und im Stil einer Hochglanzbroschüre alle Lücken und Herausforderungen bei der Umsetzung der Agenda 2030 ausklammern. Das würde für einen peinlichen Auftritt vor der UNO sorgen und Staaten als schlechtes Beispiel dienen, die es mit dem Kampf gegen Armut, Ungleichheit, Ausgrenzung und Umweltschäden noch weniger ernst nehmen als die Schweiz.
Erhofft und geplant war ein Bericht, in dem sich die Schweiz selbstkritisch mit ihrem Nachholbedarf in Sachen nachhaltige Entwicklung auseinandersetzt. Um Lücken bei der Umsetzung der Agenda 2030 zu identifizieren, führte die Bundesverwaltung eine breit angelegte Konsultation der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft durch. Die Analysen und Empfehlungen einer hochrangigen Begleitgruppe dürften beim Bundesrat inzwischen auf dem Altpapier gelandet sein.
Die Lektüre unseres neu gestalteten Magazins «global» wird also vermutlich deutlich spannender als der Bundesratsbericht zur globalen Nachhaltigkeit. Wie bisher setzen wir uns darin für eine Schweiz ein, die sich für eine gerechte Welt stark macht. In diesem Sinne: Viel Anregung und Spass beim Lesen!
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«Debatte über die Ungleichheit ist hochbrisant»
24.06.2018, Agenda 2030
Die Agenda 2030 denkt die Welt ganzheitlich. Reiche und arme Länder tragen gleichermassen Verantwortung für die Zukunft der Welt und können anstehende Herausforderungen nur gemeinsam meistern. Interview mit CDE-Forscherin Sabin Bieri.

Sabin Bieri forscht am Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt (CDE) der Universität Bern zu den Themen Ungleichheit, Armut und Nachhaltigkeit.
© Daniel Rihs/13 Photo
global: Inwiefern stehen die aktuellen sozialen Ungleichheitsverhältnisse einer nachhaltigen sozialen und ökologischen Entwicklung der Welt im Weg?
Sabin Bieri: Die Analyse der Ungleichheit nimmt die globalen Machtverhältnisse in den Blick, während Armutsbekämpfung auch möglich ist, ohne an diesen zu rütteln. Mit Machtverhältnissen meine ich die ganz konkreten politischen Gewichte. Die zunehmende Ungleichheit ist beunruhigend, weil sie sowohl Ursache als auch Folge davon ist, dass die politischen Verhältnisse von jenen bestimmt werden, die am oberen Ende der Reichtumsleiter sitzen. Wenn wir die Agenda 2030 vorwärtsbringen wollen, braucht es echte Teilhabe. Unter den gegebenen politischen Verhältnissen wird uns die Umsetzung der Agenda 2030 nicht gelingen.
Wie zeigt sich diese politische und wirtschaftliche Ungleichheit in den wichtigen multilateralen Institutionen?
Das ist eine schwierige Frage. Aus meiner Sicht bekämpft man Ungleichheit am effektivsten auf der nationalen Ebene. Das ist auch ein Problem, dass sich für die Umsetzung der Agenda 2030 stellt: Wir haben eine weltweite Agenda, die Messung ihrer Erfolge wird aber auf der Grundlage von Messwerten aus den Nationalstaaten basieren; in der Verantwortung stehen vor allem nationale Regierungen. Wenn man die nationalen Ungleichheitsverhältnisse genauer anschaut, wird deutlich, dass sich der Reichtum stark zu den Privaten verschoben hat. Und das gilt sowohl für die sogenannten Entwicklungsländer wie für die industrialisierten Staaten. Die Staaten haben immer weniger Geld, wodurch sie ihre Handlungsfähigkeit verlieren. Das steht in einem Widerspruch zum Konzept der Agenda 2030, die ja vor allem die Staaten und ihre Regierungen in die Pflicht nimmt. An dieser Entwicklung haben auch die multilateralen Institutionen wie die Weltbank, die Welthandelsorganisation (WTO) oder der Internationale Währungsfonds (IWF) in den letzten Jahrzehnten aktiv politisch mitgewirkt. Mittlerweile gibt es zwar bei der Weltbank und dem IWF ein rhetorisches Bekenntnis zur Bekämpfung der sozialen Ungleichheit. Wenn wir aber schauen, was etwa die Weltbank auf der praktischen Ebene macht, müssen wir feststellen, dass sie auf der rhetorischen Ebene hängen bleibt.
Konkreter, was macht die Weltbank falsch?
Sie sagt zwar, sie lege ihren Fokus jetzt auf die unteren vierzig Prozent der Weltbevölkerung und die Bekämpfung der Armut. Dafür hat sie ihre Statistiken von relativer auf absolute Armut umgestellt. Es fehlt aber immer noch der systemische Blick. Man müsste also die gesamte globale Wohlstandsverteilung anschauen. Es reicht nicht, die ärmsten zwanzig oder vierzig Prozent der Weltbevölkerung aus der Armut holen zu wollen, sondern man müsste sich fragen, wie man den Reichtum weltweit gerechter verteilen könnte. Es sind unbequeme Fragen wie etwa: Was ist für uns hier im Norden eigentlich an Reichtumskonzentration vertretbar?
Wenn wir vom Reichtum des Nordens sprechen, müssen wir uns aber auch bewusst sein, dass die relative Gleichheit in der Wohlstandsverteilung im Europa der Nachkriegszeit, also zwischen 1950 und den 1970er Jahren, eine historische und geographische Ausnahmephase darstellt. Vorher und nachher waren und sind sowohl in Europa wie in der übrigen Welt die Ungleichheiten immer viel ausgeprägter.
Welche Rolle spielt das globale Steuersystem bei der Umverteilung von Kapital vom Staat zu den Privaten?
Bei den Steuern ist der Fall klar: Man sieht in der jüngeren Geschichte eine klare Tendenz weg von progressiven Steuersystemen, die grosse Privatvermögen und Unternehmensgewinne stärker besteuerten, hin zu viel schwächer umverteilenden Modellen. Diese Entwicklung hat die Handlungsfähigkeit der Staaten stark eingeschränkt. Auch das sorgt für mehr Ungleichheit. Man unterscheidet in der Ungleichheits-Debatte zwischen Pre-Distribution und Re-Destribution, also von Verteilung und Um-Verteilung. Die Steuerfrage gehört unschwer erkennbar zur letzteren Kategorie. Es ist zweifellos eines der mächtigsten politischen Instrumente, um in Gesellschaften mehr Gleichheit herzustellen. Umgekehrt ist es sehr verletzlich, weil alle Umverteilungsinstrumente stets Gefahr laufen, durch politische Entscheidungen rückgängig gemacht zu werden. Instrumente der Verteilung, sogenannte Pre-Distributional-Measures sind aus meiner Sicht stärker. Man schaut also schon von Anfang an, dass geschaffener Reichtum möglichst fair verteilt wird und materielle Ungleichheiten gar nicht erst entstehen.
Woran denken Sie hier konkret?
Zum Beispiel an Mindestlöhne oder die Deckelung von hohen Löhnen. Auch breiter Zugang zu qualitativ hoher Bildung und die politische Förderung von Arbeitnehmervertretungen gehören dazu. Man sieht, dass solche Massnahmen beständiger sind als eben zum Beispiel steuerliche Massnahmen. Ein Beispiel dazu aus den USA: Die US-amerikanische Stadt Seattle kennt keine Gewinnsteuer für Unternehmen, sondern nur eine Besteuerung von Grundbesitz. Weil Seattle ein massives Problem mit Obdachlosen hat, für deren Betreuung die öffentlichen Gelder fehlen, sollte eine Unternehmenssteuer eingeführt werden. Mitverantwortlich für die Zunahme an Obdachlosen ist ein Wirtschaftsboom, der die Immobilienpreise in die Höhe getrieben hat. Gleichzeitig hat Amazon in Seattle seinen Hauptsitz und beschäftigt dort 15‘000 Leute, also das, was sich jeder Stadtpräsident wünscht. Aber viele Leute wurden aus den innerstädtischen Wohnvierteln vertrieben, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Amazon stellte sich quer und drohte mit Abwanderung. Jetzt ist das Gesetz zwar durchgekommen, aber nur weil die Firmen viel niedriger besteuert werden als vorgesehen. Das ist ein aktuelles Beispiel dieser the winner takes it all-Mentalität, die sich seit den 1980er Jahren durchgesetzt hat. In der politischen Debatte zur Ungleichheit steckt sehr viel Brisanz. Das zeigte sich auch bei der Entwicklung der Agenda 2030, wo ja Ziel 10, also jenes zur Reduzierung der Ungleichheit, in den Verhandlungen bis ganz zum Schluss auf der Kippe stand. Währenddessen war Ziel 8 zum Wirtschaftswachstum, das Ziel 10 teilweise diametral gegenüber steht, eigentlich nie umstritten.
In Ihrer Forschung befassen sie sich mit Kommerzialisierungsprozessen in der Landwirtschaft in Bolivien, Laos, Ruanda und Nepal. Inwiefern ist die Kleinbäuerin in Bolivien von den globalen Machtverhältnissen betroffen?
Beim Begriff der «Kleinbäuerin» fängt es schon an: Es geht eben nicht nur um Kleinbäuerinnen, sondern stark auch um Landarbeiter. Erstere sind jene mit Bodenbesitz, letztere Menschen, die in der Landwirtschaft Lohnarbeit leisten. In Bolivien befassen wird uns mit dem Quinoa-Anbau. Quinoa ist seit einigen Jahren ein Trendprodukt, weil es in idealer Weise unseren gewandelten Ernährungsgewohnheiten entspricht. Bis vor etwa drei Jahren konnte man damit auf dem Weltmarkt phantastische Preise erzielen. Nun sind diese Preise zusammengefallen. Es wiederholt sich hier die alte Geschichte: In vielen Landwirtschaften von Entwicklungsländern konzentriert man sich auf ein Produkt für den Weltmarkt, wodurch die Abhängigkeit vom Handel mit einem bestimmten Produkt und den mit ihm erzielten Preisen stark zunimmt. Ist eine Landwirtschaft hingegen stärker auf Selbstversorgung ausgerichtet, ist die Versorgungslage für die einheimische Bevölkerung stabiler. Entsprechend sind Leute mit Landbesitz in diesen Prozessen, die wir hier anschauen, die Privilegierten. Am Verletzlichsten sind die Landarbeiter, die über keinen Boden verfügen.
Wie ist hier der Zusammenhang zur Frage der Ungleichheit herzustellen?
Die Frage der Ungleichheit konzentriert sich in all unseren Ländern ganz entschieden um jene des Landbesitzes. Wer Land besitzt, ist grundsätzlich überall in einer viel besseren Verhandlungsposition. Die Frage, welchen Zugang die Bevölkerung zu Land hat, wie Landbesitz verteilt wird, ist entscheidend. Wer ein bisschen Land hat, muss sich nicht zu einem Hungerlohn unter abscheulichen Bedingungen in einer Kaffeeplantage verdingen. Man hat die Wahl zwischen Selbstversorgung oder Lohnarbeit. In Laos auf dem Bolaven-Plateau, wo wir den Kaffeeabbau untersuchen, sehen wir, dass schon eine bis anderthalb Hektaren Land ausreichen, um ein Leben in Würde zu führen. Wer die Wahl hat, geht dann nicht in die Fabrik, sondern baut seinen eigenen Kaffee an und verkauft ihn zu besseren oder schlechteren Preisen an Zwischenhändler. Die Fabrikarbeiter hingegen arbeiten als Saisonniers in der Kaffeeverarbeitung, weil sie im Tiefland mit der Arbeit in den Reisfeldern nur knapp über die Runden kommen. Während der Erntezeit bilden sich dann jeweils temporäre Hüttensiedlungen um die Fabriken herum. Fabrikarbeiter handeln stets unter dem Druck der Not: Man geht in die Fabrik, weil gerade eine Beerdigung bezahlt werden muss, die Einschulung der Kinder bevor steht, oder weil man schlicht hungert. Eine echte Verbesserung der Lebensgrundlage gelingt in diesem Fall fast nur via Migration eines Familienmitglieds.
Die Agenda 2030 scheint den Geist der sozialen Marktwirtschaft zu atmen. Würden Sie aufgrund Ihrer Forschung in den angesprochenen Ländern sagen, dass dieses Modell in absehbarer Zeit funktionieren kann?
Das Modell der sozialen Marktwirtschaft ist extrem voraussetzungsreich. Es braucht vor allem funktionierende Institutionen und in ganz vielen Ländern gibt es diese nicht oder sie sind fragil. Meine ehrliche Antwort ist deshalb: Es wird schwierig. Die Phase der sozialen Marktwirtschaft, die eine relativ gute Verteilung des Reichtums gebracht hat, ist ja auch im Norden schon wieder vorbei. Gleichzeitig suggerieren wir in der Entwicklungszusammenarbeit immer noch, sie sei das aktuelle und anzustrebende Modell. Was es braucht, sind neue Modelle der Arbeit. Und diesbezüglich gibt es im Norden wie im Süden ein gravierendes Reflexionsmanko. Welche Formen von Arbeit wollen wir mit der Digitalisierung und der abnehmenden Arbeitsplatzsicherheit entwickeln? Wir reden hier auch von ganz unterschiedlichen individuellen ökonomischen Risiken: Wenn bei uns jemand eine Firma gründet, gibt es starke systemische Pfeiler, Versicherungen, das Privatrecht etc., die dafür sorgen, dass jemand nicht sein Leben aufs Spiel setzt, wenn er mit einer Firma scheitert. Wer sich im Süden selbstständig macht und etwa in Laos entscheidet, jetzt baue ich nur noch diese oder jene Kaffeesorte an, oder in Ruanda diese oder jene Süsskartoffeln, der riskiert buchstäblich Leib und Leben. Auch das ist eine Form der Ungleichheit zwischen Nord und Süd.
Die Soziologin Saskia Sassen spricht in diesen Zusammenhängen – und sie bezieht sich auf Entwicklungen in industrialisierten Gesellschaften – gar nicht mehr von Ungleichheit, sondern von Verdrängung. Wer aus dem System fällt, für den gibt es keine Strukturen mehr, die sie oder ihn auffangen oder stützen würden.
Das ist dann das pure Gegenteil von einem der Slogans der Agenda 2030, nämlich «leave no one behind»…
Genau. Naomi Klein spricht im ökologischen Zusammenhang von sacrifice zones. Regionen – geographische, ökologische oder auch soziale Gebiete, die dem alles verschlingenden Finanzkapitalismus geopfert werden.
Was sollen wir tun?
Arbeit ist sehr wertvoll und einer der zentralen Mechanismen, mit dem wir für mehr Gleichheit sorgen können. Der Anthropologe James Ferguson plädiert in seinem Buch «Give a man a fish» dafür, nicht mehr in den herkömmlichen Kategorien des Arbeitsmarktes, der Arbeitsverhältnisse reguliert, zu denken, da dieser vielerorts im klassischen Sinn gar nicht (mehr) existiert oder nie existiert hat. Dort geht es auch wieder um Modelle des Grundeinkommens. Es ginge auch darum aufzuhören, Einkommen aus Arbeit zu versteuern und sich stattdessen im Steuersystem auf Kapital, Daten und Energie zu konzentrieren. Bei der Kapitalsteuer kommen wieder die multilateralen Institutionen ins Spiel, auch wenn wir mittlerweile eine 45jährige Geschichte des Scheiterns der politischen Anstrengung, eine Finanztransaktionssteuer wie die Tobin Tax einzuführen, hinter uns haben. Wenn wir Ungleichheit wirklich bekämpfen wollen, dann kommen wir nicht umhin, ernsthaft die systemischen Fragen zu stellen. Dafür braucht es aber natürlich den entsprechenden politischen Willen.
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