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Zwei Delegierte für die Agenda 2030

25.03.2019, Agenda 2030

Der Bundesrat hat zwei Delegierte für die Agenda 2030 gewählt. Unklar bleibt, ob sie die nötigen Kompetenzen erhalten, um in Bundesbern für mehr Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung zu sorgen.

Zwei Delegierte für die Agenda 2030

Der Bundesrat hat Daniel Dubas und Jacques Ducrest zu Delegierten für die Umsetzung der Agenda 2030 gewählt. Daniel Dubas ist Leiter der Sektion Nachhaltige Entwicklung im Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) im Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), Jacques Ducrest ist stellvertretender Leiter in der Abteilung Sektorielle Aussenpolitiken (ASA) im Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Zusätzlich informierte der Bundesrat, dass am 14. Dezember 2018 ein Direktionskomitee zur «strategischen Steuerung» der Umsetzung der Agenda 2030 eingesetzt wurde. Nachdem letzten Sommer das Mandat von  Michael Gerber, Sonderbotschafter für nachhaltige Entwicklung, nicht weiter verlängert wurde, erhält die Schweiz wieder zwei klare Ansprechpersonen für Anliegen zur Agenda 2030.

Die genaue Ausgestaltung des Direktionskomitees sowie die den Delegierten zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kompetenzen wurden noch nicht kommuniziert. Beim Direktionskomitee interessiert, welche Ämter darin vertreten sein werden. Eine Vertretung auf Direktionsstufe gibt dem Gremium zumindest symbolisches Gewicht. Voraussetzung dafür, dass die Agenda 2030 transversal über alle Departemente hin umgesetzt wird, ist die Vertretung mindestens eines Amts pro Departement.

Für die Umsetzung der Agenda 2030 und der Ziele für nachhaltige Entwicklung müssen die Delegierten und das Direktionskomitee zwingend die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen erhalten. Ihre Rolle muss über die Koordination beschlossener Massnahmen und zu erstellenden Berichten hinausgehen. Sie dürfen sich keinesfalls mit einem Minimalkonsens zwischen den Bundesämtern zufriedengeben, sondern müssen ambitioniert auf eine verbesserte Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung hinarbeiten.

Der Bundesrat setzt die Strategie Nachhaltige Entwicklung als Umsetzungsinstrument der Agenda 2030 fest. Diese muss zukünftig verstärkt auch grenzüberschreitende Auswirkungen nationaler Politikentscheide aufnehmen. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ist ein globales Projekt, das nicht isoliert innerhalb bestehender Ländergrenzen umgesetzt werden kann. Konsum, Produktion, Handel sowie Investitionsentscheide beeinflussen die Entwicklung in anderen Ländern und können sich positiv oder negativ auf deren Nachhaltigkeit auswirken. Entsprechend trägt die Schweiz eine Mitverantwortung an der Erfüllung der globalen Ziele der Agenda 2030. Deren Umsetzung in der Schweiz verlangt, dass damit immer auch die Umsetzung in anderen Ländern gefördert und nicht behindert wird.

Medienmitteilung

Agenda 2030: Endlich Taten folgen lassen!

06.06.2019, Agenda 2030

Bund und Kantone müssen die Weichen klar in Richtung Nachhaltigkeit stellen, wenn die Schweiz die Uno-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung umsetzen will. Dazu gehört namentlich die nächste Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE), die der Bundesrat bis Ende Jahr verabschieden will. Aber auch die Ziele und Kriterien der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024 müssen auf die Agenda 2030 abgestimmt werden.

Agenda 2030: Endlich Taten folgen lassen!

Die Zivilgesellschaft ist gemäss den Vorgaben der Vereinten Nationen eine zentrale Partnerin bei der Umsetzung der Agenda 2030. Anlässlich ihrer Mitgliederversammlung diskutierte die zivilgesellschaftliche Plattform Agenda 2030 der Schweiz, wie sie ihren Anliegen in diesem Prozess Nachachtung verschaffen will. Ausserdem informierte die Plattform über personelle Wechsel auf ihrer Koordinationsstelle und erweiterte den Vorstand um zwei zusätzliche Mitglieder.

An der Mitgliederversammlung der zivilgesellschaftlichen Plattform Agenda 2030 informierten die Delegierten des Bundesrats für nachhaltige Entwicklung, Daniel Dubas und Jacques Ducrest, über die institutionellen Neuerungen in der Verwaltung und das neu bestimmte Direktionskomitee. Guillaume de Buren, Verantwortlicher für nachhaltige Entwicklung des Kantons Waadt, erläuterte die kantonale Umsetzung der Agenda 2030. Die Mitglieder bereiteten ausserdem ihre Vernehmlassungen zum bundesrätlichen Botschaftsentwurf über die internationale Zusammenarbeit 2021-2024 sowie für die Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE) vor. Grundlage dieser Diskussion waren die vor einem Jahr im zivilgesellschaftlichen Bericht «Wie nachhaltig ist die Schweiz?» formulierten Empfehlungen.

Neu wird ab dem 1. September 2019 Eva Schmassmann die Leitung der Koordinationsstelle der Plattform übernehmen. Sie hat im Namen von Alliance Sud massgeblich zum Aufbau der Plattform beigetragen und diese in den ersten zwei Jahren als Präsidentin stark geprägt. Im Präsidium wird sie von Pierre Zwahlen abgelöst, der als Sprecher des federeso die Entwicklungsorganisationen aus der lateinischen Schweiz in der Plattform repräsentiert. Die Arbeit von Sara Frey, die die Plattform in der Aufbauphase umsichtig koordiniert hat, wurde von den Mitgliedern herzlich verdankt. Als neue Vorstandsmitglieder wurden Luca Cirigliano und Martin Leschhorn Strebel gewählt. Cirigliano, Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), folgt auf Zoltan Doka (Unia). Martin Leschhorn ist Geschäftsführer von Medicus Mundi Schweiz und engagierte sich bereits stark in der Erarbeitung des Berichts «Wie nachhaltig ist die Schweiz?».

Die Plattform Agenda 2030 ist ein Zusammenschluss von mehr als 40 zivilgesellschaftlichen Akteuren aus den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Umweltschutz, Gender, Frieden, nachhaltiges Wirtschaften sowie Gewerkschaften. Die Agenda 2030 wurde 2015 von der Schweiz und 192 weiteren UNO-Mitgliedsstaaten verabschiedet. Sie enthält 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) sowie 169 Unterziele, um die extreme Armut und den Hunger zu beenden, Ungleichheiten zu vermindern, und eine wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der planetaren Grenzen und zum Schutz des Klimas zu ermöglichen.

Fotos der Mitgliederversammlung stehen hier ab 18.00h zum Download bereit.

Für weitere Informationen:
Eva Schmassmann, Co-Präsidentin : 076 458 89 52
Pierre Zwahlen, Co-Präsident : 079 615 44 33

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Putzen für Paschas

14.06.2019, Agenda 2030

Die Mehrheit der Angestellten im Tourismus ist weiblich. Ob Tourismus als Entwicklungsmotor für Gleichberechtigung taugt, ist eine Frage der Arbeits- und Rahmenbedingungen, die der Sektor den Frauen bietet.

Putzen für Paschas

Ein Bild, das von fast überall sein könnte. Lanzarote, Kanarische Inseln.
© Dominic Nahr/MAPS

Haben Sie Ihre Sommerferien schon gebucht? Wie wählen Sie Ihr Reiseziel aus? Stehen Sie manchmal auch vor dem Schaufenster eines Reisebüros und staunen, für wie wenig Geld man all in ans andere Ende der Welt reisen kann? Was für uns Kundinnen und Kunden auf den ersten Blick positiv scheinen mag, bezahlen die Angestellten im Reiseland mit schlechten Arbeitsbedingungen und ungenügendem Schutz bei Umwelt und Menschenrechten.

Wenn wir in die Ferien reisen, wollen wir uns entspannen oder suchen das Abenteuer und den Ausbruch aus dem Arbeitsalltag. Wenn wir einen Aufenthalt im Hotel buchen, geniessen wir es, die täglichen Haushaltsarbeiten wie Putzen, Einkaufen oder Kochen abgeben zu können. Vielleicht nutzen wir auch – zumindest für wenige Stunden – gerne die Möglichkeit, die Kinder betreuen zu lassen.

Diese Arbeiten werden mehrheitlich von weiblichen Angestellten ausgeführt. Gemäss der Statistiken der Internationalen Arbeitsorganisation ILO sind mehr als 55% der Angestellten im Tourismussektor (Hotel, Catering und Tourismus) Frauen. In einzelnen Ländern ist der Anteil noch wesentlich höher. So sind beispielsweise in Thailand 76% der Angestellten weiblich. Sei es als Zimmermädchen, als Bedienung im Restaurant oder für die Kinderbetreuung. Es sind die klassisch-traditionellen Hausfrauenaufgaben. Auf Englisch gibt es dafür den Begriff der housewifization des Tourismussektors. Er impliziert die Geringschätzung von Aufgaben, die vermeintlich keine zusätzlichen Qualifikationen verlangen. Jobs für Frauen im Tourismusbereich führen also die strukturellen Benachteiligungen der Frauen weiter und verschärfen sie.

In einer kürzlich erschienenen Studie «Sun, Sand and Ceilings» geht die britische NGO „Equality in Tourism“ der Frage nach, wie es mit der Gleichberechtigung im Tourismussektor aussieht. Sie vergleicht insbesondere die Vertretung von Frauen in den Verwaltungsräten von Hotels, Reiseveranstaltern, Flug- und Kreuzfahrtgesellschaften. Zwar konstatiert sie einen steigenden Anteil von Frauen, 2018 lag er bei 23%. Das bleibt ein Armutszeugnis, zumal andere Branchen, in denen weniger Frauen arbeiten, wesentlich schnellere Fortschritte machen. Schweizer Firmen gehören dabei mit zu den rückständigsten: Im Verwaltungsrat der in Baar (ZG) beheimateten Mövenpick Holding etwa sitzen ausschliesslich Männer.

Generell sind Frauen krass untervertreten in Kaderstellen im Tourismus. Auf Ebene der Geschäftsleitung beträgt der Anteil von Frauen 25.5%. Der ungleiche Zugang zu Kaderstellen geht einher mit einer krass ungleichen Lohnverteilung zwischen den Geschlechtern.

Abhängig und wehrlos

In armen und ärmsten Ländern sehen sich Frauen im Tourismus noch vielen anderen Erschwernissen gegenüber. So arbeiten sie oft im informellen Sektor, als Strassenverkäuferinnen oder als unbezahlte Arbeitskräfte im Familienbetrieb. Im formellen Sektor werden Frauen für die unqualifizierten Jobs eingestellt. Gerade im Kontext von Armut und hoher Arbeitslosigkeit ergibt sich dadurch eine Situation der Abhängigkeit, die – wenn rechtlicher Schutz von Arbeitnehmenden ungenügend ist oder ganz fehlt – von den Arbeitgebenden ausgenutzt wird. Die Frauen, die auf einen Zusatzverdienst angewiesen sind, sehen sich gezwungen, lange Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen, Überstunden zu leisten, auf Abruf eingesetzt zu werden. Oft hat dies auch Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Frauen. Materielle Abhängigkeit führt auch dazu, dass weibliche Angestellte sich nicht gegen sexuelle Belästigung wehren können. Hotels oder Bars, die dem Gast suggerieren, sich wie „zu Hause zu fühlen“ verwischen die Grenze zwischen privat und öffentlich, so dass sich Gäste nicht selten so verhalten, wie sie dies in einem klar öffentlichen Kontext nie tun würden. Wird die gängige Devise „Der Gast ist König“ ohne moralischen Kompass gelebt, so trauen sich Angestellte kaum, problematisches Verhalten anzusprechen oder Beanstandungen werden gar nicht erst weiter verfolgt.

Tourismus, wie er heute Mainstream ist, verstärkt tendenziell bestehende strukturelle Benachteiligungen von Frauen eher. Sie verrichten die unqualifizierten, unsichtbaren und schlecht bezahlten Jobs. Eine Stärkung von Frauen kann nur dann erreicht werden, wenn sie Zugang zu den sichtbaren Jobs mit Macht- und Entscheidungsbefugnissen erhalten. Zusätzlich braucht es klare rechtliche Rahmenbedingungen, sowohl im globalen Süden wie auch bei uns, um Ausbeutung zu verhindern, bei Arbeitsbedingungen sind Mindeststandards zu setzen und gewerkschaftliches Engagement zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen muss geschützt sein. Ausserdem müssen Tourismusprojekte auf ihre Auswirkungen im lokalen Kontext hin geprüft werden. Nebst der Beachtung der Menschenrechte und des Umweltschutzes braucht es eine Prüfung aus Gender-Perspektive. Damit der Tourismus tatsächlich einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leistet, muss er sich grundlegend transformieren. Ein entscheidender Faktor dabei ist selbstredend das individuelle Verhalten: Über unsere Nachfrage haben wir es in der Hand, nachhaltigem Tourismus zum Durchbruch zu verhelfen. Qualität hat immer ihren Preis.

 

Las Kellys

In Spanien wehren sich Zimmermädchen gegen sich verschlechternde Arbeitsbedingungen im Tourismusbereich. Sie nennen sich „Las Kellys“, abgeleitet vom spanischen „las que limpian“, also diejenigen, die putzen. Im Nachgang der Finanzkrise wurden in Spanien die Arbeitsrechte gelockert. Im Tourismusbereich wurde die Möglichkeit geschaffen, einzelne Arbeiten auszulagern. Dieses Outsourcing ohne regulierte Mindestlöhne führte – in einem Kontext von steigender Arbeitslosigkeit – zu einer massiven Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Mehr Zimmer in der gleichen Zeit putzen, unbezahlte Überstunden, sinkende Löhne. In der Hektik und dem Stress steigen Unfall- und Krankheitsrisiko. Dagegen gehen die „Las Kellys“ in Spanien bunt und laut auf die Strasse und in die sozialen Medien. Unsichtbare Arbeit soll sichtbar werden.  

 

Das Reiseportal fairunterwegs.org bietet Informationen zu Themen von Tourismus und nachhaltiger Entwicklung sowie Tipps zur Reiseplanung oder einen Wegweiser zu Labels für fairen und nachhaltigen Tourismus.

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Mit der Agenda 2030 gegen die Klimakrise

02.12.2019, Agenda 2030

Nachhaltige Entwicklung ist nur möglich, wenn die Klimaerhitzung begrenzt wird. Der umfassende Ansatz der Agenda 2030 birgt den Schlüssel dazu. Die Schweiz hat enormen Nachholbedarf bei der Umsetzung der Klimaziele für nachhaltige Entwicklung.

Mit der Agenda 2030 gegen die Klimakrise

Die Plattform Agenda 2030, der Zusammenschluss von rund 40 zivilgesellschaftlichen Akteuren aus den Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit, Umweltschutz, Gender, Frieden, nachhaltiges Wirtschaften sowie Gewerkschaften hat in einem übersichtlichen vierseitigen Dokument zusammengetragen, mit welchen Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) die UN-Agenda 2030 zur Überwindung der Klimakrise beiträgt. Und bei welchen Zielen die Schweiz dringenden Nachholbedarf hat.

Download: Kurz gefasst – Agenda 2030 & Klima

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Un-nachhaltige Legislaturplanung des Bundesrats

10.02.2020, Agenda 2030

Ende Januar 2020 hat der Bundesrat seine Ziele für die laufende Legislatur 2019-2023 publiziert. Eine vertiefte Analyse zeigt: Auf dieser Grundlage bleibt die Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung in der Schweiz eine Utopie.

Un-nachhaltige Legislaturplanung des Bundesrats

Die Legislaturplanung des Bundesrates setzt die Schwerpunkte der Regierung für die kommenden vier Jahre. Sie fasst zusammen, welche strategischen Ziele sich der Bundesrat setzt und welche Massnahmen ergriffen werden. Nachhaltige Entwicklung betrifft alle politischen Bereiche. Ökologische, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen müssen aufeinander abgestimmt, die Verantwortung der Schweiz im Ausland im Blick behalten werden. Die UNO-Agenda 2030 und die darin formulierten Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) geben den Referenzrahmen vor, der vom Bundesrat anerkannt wurde. Die Agenda 2030 setzt das Ziel einer Welt in Frieden, in der niemand Hunger leiden muss, die Ökosysteme an Land und im Wasser geschützt sind und Konsum und Produktion die planetaren Grenzen nicht überschreiten. In der Legislaturplanung 2019-2023 verweist der Bundesrat im Kapitel zur Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE) 2030 darauf. Deren Neuauflage soll im Lauf des Jahres in die Vernehmlassung gehen.

Ein Abgleich der Legislaturplanung 2019-2023 mit der Agenda 2030 macht rasch klar, dass der Bundesrat nach wie vor keine ernsthaften Ambitionen hegt, die UN-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Seine Ziele bleiben weit hinter der notwendigen Abkehr von Business-as-usual zurück. Die Massnahmen sind nicht ausreichend, um selbst tief gesteckte Ziele zu erreichen. Dabei enthält die Beurteilung der aktuellen Lage durchaus einige für Nachhaltigkeit zentrale Aussagen und zeigt den Handlungsbedarf in der Schweiz auf.

Beispielsweise findet sich der (nicht neue) Hinweis, dass der ökologische Fussabdruck der Schweiz 2.8 Planeten Erde beträgt. Daraus schliesst der Bericht zu Recht, dass unser gegenwärtiger Konsum auf Kosten künftiger Generationen und anderer Erdteile geht. Will der Bundesrat tatsächlich den «Wohlstand der Schweiz nachhaltig sichern» (Leitlinie 1), so müsste er geeignete Massnahmen ergreifen, um unseren ökologischen Fussabdruck massiv zu senken, ohne die Grundversorgung und das Wohlergehen der Bevölkerung zu gefährden. Die unter der entsprechenden Leitlinie formulierten Ziele fokussieren jedoch einseitig auf finanz- und steuerpolitische Ziele. Der Bundesrat will die im internationalen Vergleich markant tiefe Schuldenquote der Schweiz weiter senken. Die Wende hin zu einer nachhaltigen Entwicklung setzt jedoch jetzt Investitionen in technische und soziale Innovation, Infrastruktur für nachhaltige Städte und Mobilität sowie erneuerbare Energien voraus. Nach einem guten Jahrzehnt mit wiederkehrenden Milliardenüberschüssen in der Staatsrechnung verfügt die Schweiz über ausreichend Ressourcen, um diese Investitionen zu tätigen. Das Ziel 6 zu Verkehrs- und Informations- und Kommunikationstechnologie-Infrastruktur muss dahingehend ergänzt werden, dass diese nicht nur solide finanziert sein muss, sondern auch die nachhaltige Mobilität und den nachhaltigen Siedlungsbau fördert. Dafür müssen sie sowohl zum Umweltschutz und zur Reduktion von Treibhausgasemissionen einen Beitrag leisten sowie soziale Ungleichheiten reduzieren.

In der Leitlinie 2 will der Bundesrat den nationalen Zusammenhalt stärken und einen Beitrag zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit leisten. Bezüglich Gleichstellung finden sich wichtige Ziele zur Gleichstellung der Geschlechter sowie zum Zusammenhalt zwischen den Sprachregionen. Zur besseren Integration von Menschen mit Behinderungen werden hingegen weder Ziele noch Massnahmen formuliert. Dabei bietet die Digitalisierung die Chance, Barrieren abzubauen. Neben der angestrebten Effizienzgewinne muss der Digitalisierung auch die Erreichung von Zielen bezüglich Barrierefreiheit und aktiver Teilhabe aller Menschen gesetzt werden. Das Ziel 2 unter Leitlinie 1 muss entsprechend ergänzt werden.

Um den nationalen Zusammenhalt zu fördern sieht der Bundesrat auch Ziele bezüglich der Gesundheits- und Altersvorsorge und der Sozialwerke vor. Auch hier fokussiert er jedoch einseitig auf finanzielle Ziele. So sollen die entsprechenden Systeme finanziell nachhaltig und tragbar sein. Um die Nachhaltigkeit unserer Sozialwerke zu beurteilen reicht es jedoch nicht, ihre finanzielle Tragbarkeit zu messen. Vielmehr geht es darum zu analysieren, inwiefern sie zu einer sozialen Grundsicherung aller beitragen, ganz im Sinn des Leitsatzes der Agenda 2030 Leave no one behind. Eine finanziell ausgeglichene Altersvorsorge, die steigende Altersarmut in Kauf nimmt, kann nicht nachhaltig sein. Die Ziele 9 und 10 müssen demgemäss um eine soziale Komponente ergänzt werden. Ausserdem fehlt sowohl in der Analyse wie auch in der Zielsetzung der Aspekt der Ungleichheit.

Die Schweiz muss darüber hinaus in der internationalen Zusammenarbeit einen grösseren Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030 in den Ländern des Südens und des Ostens leisten. Auch muss sich der Bundesrat in internationalen Organisationen stärker für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele einsetzen. Das Ziel 11 nimmt diese beiden Aspekte auf. Nun gilt es noch die notwendigen Mittel gemäss Parlamentsbeschluss von 2011 dafür zu sprechen.

Die Legislaturplanung des Bundesrats 2019-2023 folgt einem veralteten Nachhaltigkeitsverständnis, das die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Entwicklungen separat von sozialen und ökologischen Entwicklungen denkt. Erst ganz zum Schluss des Dokuments folgen wenig ambitionierte und kaum konkrete Zielsetzungen bezüglich Umwelt und Klima. Eine Legislaturplanung der Schweiz, die eine nachhaltige Entwicklung voranbringen will, setzt die Ziele explizit miteinander in Verbindung. Sie ist ein Übersichtsdokument der gesamtbundesrätlichen Ziele und Massnahmen für eine Legislaturperiode. Kein anderes Strategiedokument des Bundesrates ist so gut geeignet, Ziele departementsübergreifend zu formulieren. Und nachhaltige Entwicklung nicht als ein Geschäft unter vielen zu verstehen, sondern als übergeordnetes politisches Projekt zu definieren, zu dem alle Departemente ihren Beitrag leisten müssen.

Es ist stark zu hoffen, dass das Parlament, welches die Legislaturplanung der Regierung die nächsten Monate beraten wird, diese entsprechend nachbessern und die laufende Legislatur mit einem Nachhaltigkeitsstempel prägen wird.

Autorin Eva Schmassmann leitet die Koordinationsstelle der zivilgesellschaftlichen Plattform Agenda 2030 in Bern.

Medienmitteilung

Der Bundesrat muss die Agenda 2030 jetzt umsetzen!

24.09.2020, Agenda 2030

Auch fünf Jahre nach deren Verabschiedung fehlt der Schweiz eine Strategie zur Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG). In einem Appell an den Bundesrat fordert die Plattform Agenda 2030 dringend, die SDG jetzt umzusetzen.

Der Bundesrat muss die Agenda 2030 jetzt umsetzen!

Die Plattform Agenda 2030, ein Netzwerk von rund 50 Vereinen, Verbänden, NGOs und Gewerkschaften aus der Schweiz, hat an ihrer diesjährigen Mitgliederversammlung einen Appell an den Bundesrat lanciert. Fünf Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2030 fordert sie vom Bundesrat endlich eine klare Strategie, um Konsum und Produktion nachhaltig zu gestalten, Ökosystem zu schützen, wirksame Massnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, sowie die Chancengleichheit zu realisieren. Insbesondere gilt es, Widersprüche zwischen einzelnen Politikbereichen zu eliminieren und dadurch die Kohärenz für nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Es ist höchste Zeit, dass der Bundesrat ein Projekt in die Vernehmlassung gibt und damit den Weg bereitet zur Verabschiedung einer neuen Strategie Nachhaltige Entwicklung, die den Ambitionen der Agenda 2030 gerecht wird. Das anhaltende Fehlen einer nationalen Strategie verhindert kohärente Entscheidungen und begünstigt widersprüchliche Interessenspolitik, die einer nachhaltigen Entwicklung zuwider läuft, wie Waffenexporte in Bürgerkriegsländer, Subventionen, die der biologischen Vielfalt schaden, unkoordinierte Freihandelsabkommen und willkürliche Migrationspolitik.

Mit der Agenda 2030 hat sich die Staatengemeinschaft am 25. September 2015 auf eine Zukunftsvision einer Welt in Frieden geeinigt, in der niemand Hunger leiden muss, die Ökosysteme an Land und im Wasser geschützt sind und Konsum und Produktion die planetaren Grenzen nicht überschreiten. Auch die Schweiz hat sich verpflichtet, die Agenda 2030 umzusetzen. Vor 1.5 Jahren hat der Bundesrat eine neue Strategie Nachhaltige Entwicklung angekündigt, welche die Umsetzung bis 2030 vorantreiben will. Doch diese fehlt bislang. Ein Armutszeugnis für den Bundesrat.

Das diesjährige UNO-Nachhaltigkeitsforum hat klar gezeigt, dass es weltweit einen grossen Effort braucht, um die SDGs bis 2030 tatsächlich zu erreichen. Durch die Coronakrise sind bereits erzielte Fortschritte zunichte gemacht worden. Antonio Guterres, Generalsekretär der UNO, stellt klar: die Umsetzung der 17 SDGs verlangt einen grossen politischen Willen und ambitionierte Aktionen von allen Beteiligten. Fünf Jahre sind bereits verstrichen. Noch bleiben 10 Jahre, um die Agenda 2030 umzusetzen. Fangen wir endlich an!

Für weitere Informationen:

Eva Schmassmann, Geschäftsleiterin Plattform Agenda 2030: +41 79 105 83 97

Medienmitteilung

Lauwarmes Bekenntnis zu nachhaltiger Entwicklung

04.11.2020, Agenda 2030

Der Bundesrat hat heute seine Strategie nachhaltige Entwicklung (SNE) in die Vernehmlassung geschickt. Die Strategie zur Umsetzung der Uno-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) belässt es bei schönen, aber völlig unverbindlichen Worten.

Lauwarmes Bekenntnis zu nachhaltiger Entwicklung

Mehr als fünf Jahre ist es bereits her, dass sich die Schweiz in New York vor der Uno zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Developpment Goals, SDG)) bekannt hat. Zwei Jahre hat der Bundesrat gebraucht, um die neue nationale Nachhaltigkeitsstrategie (SNE) zu formulieren. Bisher galt die SNE für vier Jahre, die neue soll bis 2030 gültig sein. Für Alliance Sud ist klar: Mit der neuen Strategie hat der Berg eine Maus geboren.

Zwar anerkennt der Bundesrat, wie wichtig umfassende und konsequent umgesetzte Nachhaltig­keit für die Zukunft von Mensch und Natur auf dem Planeten Erde ist. Auch identifiziert er drei Themenfelder, in denen die Schweiz grossen Nachholbedarf hat: «Nachhaltiger Konsum und nach­haltige Produktion», «Klima, Energie, Biodiversität» sowie «Chancengleichheit». Dazu stellt er die Verabschiedung eines Aktionsplans in Aussicht.

Rundum enttäuschend ist jedoch, mit welchen Mitteln der Bundesrat die Ziele für nachhaltige Ent­wicklung erreichen will. Der Abschnitt über die Unternehmensverantwortung erinnert fatal an die bundesrätliche Position zur Konzernverantwortungsinitiative: «Mit einer verantwortungsvollen Unternehmensführung sollen negative soziale, wirtschaftliche und ökologische Auswirkungen der Geschäftsaktivitäten verringert werden.» Dringlich wäre anders. Auch bei der Ausgestaltung der Schweizer Handelsbeziehungen kommt dem Bundesrat nicht mehr in den Sinn als: «Handelsab­kommen, die im Einklang mit Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und interna­tionalen Umweltkonventionen sind, können dazu beitragen, dass Ungleichheiten reduziert wer­den.» Einen Verweis auf Nachhaltigkeitsbestimmungen und Menschenrechte in Schweizer Freihandelsverträgen sucht man im SNE-Entwurf vergebens. Zwar anerkennt der Bundesrat die kapitale Bedeutung des Finanzplatzes Schweiz für die globale nachhaltige Entwicklung, doch auch dort vermisst Alliance Sud eine klare Positionierung des Bundesrats. Geschäftsleiter Mark Herkenrath: «Sich zur Eindämmung illegaler Finanzflüsse zu bekennen, reicht nicht aus. Zumal der international verwendete Fachbegriff ‘unlautere Finanzflüsse’ (illicit financial flows, IFF) viel breiter gefasst ist. Es braucht auch konkrete Schritte gegen die Steuervermeidungspraktiken multinatio­naler Konzerne. Diese entziehen den Entwicklungsländern Steuereinnahmen, die für die nachhalti­ge Entwicklung enorm wichtig wären.»

Alliance Sud wird den SNE-Entwurf genau analysieren und sich an der Vernehmlassung beteiligen. Fest steht für die entwicklungspolitische Denkfabrik bereits, dass es der Bundesrat mit seinem Entwurf verpasst hat, dem internationalen Rahmen der SDG ein würdiges Pendant auf nationaler Ebene zur Seite zu stellen.

Artikel, Global

SNE: Der Berg hat eine Maus geboren

08.12.2020, Agenda 2030

Fünf Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2030 hat der Bundesrat endlich die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 (SNE) in die Vernehmlassung geschickt. Die Zivilgesellschaft hat nun bis im Februar Zeit, um die notwendigen Korrekturen vorzunehmen.

SNE: Der Berg hat eine Maus geboren

Lichtspektakel "Rendez-vous Bundesplatz", Oktober 2020 in Bern.
© PD

Vor fünf Jahren haben die UNO-Mitgliedstaaten in New York die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Als global gültigen Referenzrahmen präsentiert sie in 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz: SDG) eine Vision unserer Welt im Jahr 2030. Eine Welt in Frieden, ohne Armut, ohne Hunger, in der wir die Auswirkungen des Klimawandels im Griff haben und den Verlust der Biodiversität aufhalten konnten. Die Agenda 2030 wurde als Paradigmenwechsel gefeiert: Endlich wird «Unter-»Entwicklung nicht mehr ausschliesslich als Problem der Entwicklungsländer angesehen. Wenn es um nachhaltige Entwicklung geht, müssen auch die reichen Länder des globalen Nordens für Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähige Lösungen finden.

Auch die Schweiz hat die Verabschiedung der Agenda 2030 gefeiert und sie als globalen Referenzrahmen für ihr Handeln im In- und Ausland anerkannt. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga würdigte sie in ihrer Rede in New York als «eine Agenda, die von den Menschen durch die Menschen für die Menschen gemacht worden ist». Und betonte, wie wichtig es sei, die Ziele auch umzusetzen. Seither sind fünf Jahre vergangen. Wo stehen wir heute?

Handlungsbedarf auch in der Schweiz

Wenn wir uns die Situation in der Schweiz anschauen, profitieren wir von einem hohen Standard, sowohl bei der Infrastruktur als auch in der Bildung oder Gesundheitsversorgung. Die Coronakrise hat allerdings klar aufgezeigt, dass Armut und Hunger auch bei uns noch nicht besiegt sind. Durch die Krise droht die Ungleichheit in der Schweiz weiter zu steigen. Von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit sind vor allem die Menschen mit tieferen Einkommen betroffen. Im Sinne von «Leave no one behind», dem Leitmotiv der Agenda 2030, müssen hier klar Prioritäten gesetzt werden.

Dramatisch wird es für die Schweiz, sobald wir über unsere Landesgrenze schauen. In den letzten Jahrzehnten haben wir ressourcenintensive Produktionsmethoden ins Ausland exportiert. Die Treibhausgase werden zum grössten Teil jenseits der Grenze ausgestossen, die negativen Auswirkungen der Produktion unserer Konsumgüter auf Umwelt und Biodiversität fallen in anderen Weltregionen an. Unter den unmenschlichen Arbeitsbedingungen – sei es bei der Erdbeerernte in Andalusien oder in den «Sweatshops» in Bangladesh – leiden Menschen weit weg.

Verpasste Chance

Anfang November hat der Bundesrat die Vernehmlassung zur Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE) 2030 eröffnet    . Die Erwartungen an das Dokument sind hoch, wurde es doch bereits im März 2019 angekündigt. In der Einleitung bestätigt der Bundesrat die Notwendigkeit von umfassenden und systemischen Ansätzen und verspricht, die Leitlinien und Ziele einer nachhaltigen Entwicklung in sämtlichen Politikbereichen umzusetzen und dadurch die Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung zu stärken. Die SNE bekräftige sein Engagement für die Erreichung der Agenda 2030 und der darin enthaltenen 17 SDGs.

Die Ziele, die sich der Bundesrat in der SNE 2030 setzt, können mit den grossen Versprechungen nicht mithalten und bleiben weit hinter den in der Agenda 2030 formulierten Zielsetzungen zurück. Während beispielsweise das SDG 1 die Armut gemäss nationaler Armutsdefinition halbieren will, spricht der Bundesrat lediglich von einer Reduzierung der Armut in der Schweiz. SDG 12 setzt das Ziel, Subventionierung fossiler Brennstoffe allmählich abzuschaffen. Der Bundesrat zielt in einer komplizierten Formulierung lediglich «auf die Vermeidung negativer Umweltauswirkungen von bestehenden finanziellen Anreizen für die Verwendung fossiler Energieträger». Zu vier der 17 SDGs formuliert der Bundesrat gar keine eigenen Ziele (SDG 9: Industrie, Infrastruktur und Innovation; SDG 14: Leben unter Wasser; SDG 16: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen; SDG 17: Partnerschaften).

Insgesamt bleibt die SNE 2030 ein Katalog bestehender Zielsetzungen und Leitlinien. Bereits die letzte SNE 2016-2019 enttäuschte. Eine externe Evaluation beurteilte deren Wirkung als «bescheiden». Sie war primär ein Dokument, das bereits beschlossene Massnahmen der verschiedenen Departemente im Bereich nachhaltige Entwicklung zusammenfasste. In der Neuauflage bleibt sich der Bundesrat treu und missachtet damit die Resultate der Evaluation. Damit ist klar: Mit der Vernehmlassungsvorlage verpasst der Bundesrat die Chance, mit der SNE 2030 eine zukunftsgerichtete, ambitionierte Strategie zu formulieren, die tatsächlich als Grundlage der Umsetzung für die Agenda 2030 taugen könnte – eine Agenda «von den Menschen, durch die Menschen, für die Menschen», wie Bundespräsidentin Sommaruga in New York so schön sagte.

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Ein Leuchtturm in weiter Ferne

10.12.2020, Agenda 2030

Die Agenda 2030 richtet sich mit ihren Zielen für eine nachhaltige Entwicklung an alle Menschen. Doch was hat sich seit der Unterzeichnung im Jahr 2015 getan? Ein Überblick mit einigen Beispielen zur Inspiration.

Ein Leuchtturm in weiter Ferne

© éducation21

Mit der Unterzeichnung der Agenda 2030 im Jahr 2015 verpflichteten sich die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen zu einer nachhaltigen Entwicklung. Die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen (Sustainable Development Goals, SDGs) soll sowohl allen Menschen den Zugang zu ihren wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten sicherstellen als auch einen verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt fördern. Mit dieser multilateralen Absichtserklärung sollte die reine Fokussierung auf Rentabilität zum Nachteil der Umwelt und nachfolgender Generationen überwunden werden.

Eine der grössten Stärken der Agenda 2030 ist, dass sie sich nicht nur an die Staaten und deren Verwaltungen sowie Institutionen richtet, sondern an alle Menschen. Theoretisch nimmt die Agenda 2030 also jede einzelne Person in die Verantwortung, sowohl im Privat- wie auch im Berufsleben. Es wäre daher zu erwarten, dass sich im Jahr 2020 alle der Existenz der Agenda 2030 bewusst sind und zumindest eine vage Vorstellung von deren Inhalt und Forderungen haben.

Leider ist dies nicht der Fall. Wie eine Umfrage vom Juni 2020 zeigt (Focus2030), kennen nur 8% der Deutschen die Agenda 2030 und wissen, worum es geht (in Frankreich sind es 9%, in den USA 8% und im Vereinigten Königreich lediglich 6%). Wie sieht es in der Schweiz aus? In seiner Antwort auf eine parlamentarische Motion von Ständerat Carlo Sommaruga (27.09.2019) misst der Bundesrat der Agenda 2030 zwar eine grosse Bedeutung zu, hält «eine breite Informationskampagne über den allgemeinen Kommunikationsauftrag der betroffenen Bundesstellen hinaus» aber nicht für notwendig.

Trotzdem ist in den vergangenen fünf Jahren seit der Unterzeichnung der Absichtserklärung auf verschiedenen Ebenen einiges passiert: Zahlreiche NGOs, Privatunternehmen, öffentliche Institutionen und Einzelpersonen haben Projekte, Kampagnen und Initiativen gestartet, um die Agenda 2030 vorwärts zu bringen - ohne dabei zu vergessen, ihre eigenen Ziele zu verfolgen.

Ziel 0: Die Agenda 2030 bekannt machen

Zehn Jahre vor Ablauf der Frist scheint die Zeit nun weitgehend reif zu sein, unsere Kräfte zu sammeln und uns gegenseitig zu inspirieren, zumindest zu versuchen, möglichst vielen Menschen eine klare Botschaft zu vermitteln und das zu erreichen, was im Grunde genommen Ziel 0 sein sollte: die Agenda 2030 bekannt zu machen. Im Folgenden eine kleine Auswahl an inspirierenden Beispielen, auch aus dem globalen Süden:

- Aktion 72 Stunden: Innerhalb von genau 72 Stunden setzten Jugendgruppen in der ganzen Schweiz eigene gemeinnützige und innovative Projekte um.

- Jai Jagat 2020: Indische AktivistInnen planten einen Marsch für soziale Gerechtigkeit von Delhi nach Genf, um die Verwirklichung der SDGs zu fordern (das Projekt musste aufgrund der COVID-Pandemie unterbrochen werden; es wird 2021 wieder aufgenommen):  

- Biblio2030: Seit 2015 setzen sich Bibliotheken weltweit für eine nachhaltige Entwicklung ein. Siehe auch 

- Sustainabus: Ein zu einer interaktiven Wanderausstellung umgebauterBus tourt in der Region Genf, um Menschen aller Altersgruppen für die verschiedenen Themen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit zu sensibilisieren.

- Die SDGs in lokalen Sprachen: Ein junger Kameruner hat es sich zur Aufgabe gemacht, die SDGs in lokale Sprachen zu übersetzen und dabei eine simple Sprache zu verwenden, die alle verstehen können.

- Tech4Dev der École Polytechnique Fédérale de Lausanne.

- Nationale Sensibilisierungskampagne, Senegal, 2019

- Werbekampagne «Keine Rückkehr zum Anormalen» in Frankreichs Bahnhöfen.

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Lippenbekenntnisse statt nachhaltiger Entwicklung

11.02.2021, Agenda 2030

Die vorgeschlagene Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 des Bundesrats ist dringend notwendig, trägt aber der globalen Bedeutung der Schweizer Innen- und Aussenpolitik nicht angemessen Rechnung: Sie ist unverbindlich, vage und wenig ambitioniert. Alliance Sud verlangt in ihrer Vernehmlassungsantwort grundlegende Verbesserungen.

Lippenbekenntnisse statt nachhaltiger Entwicklung

Die Schweiz muss einen massgeblichen Beitrag zur globalen nachhaltigen Entwicklung leisten – aus Gründen der Solidarität und Verantwortung, aber auch aus Eigeninteresse. Vor sechs Jahren betonte die damalige Bundespräsidentin in New York vor der UNO, die «Sustainable Development Goals» (SDGs) müssten nun auch wirklich umgesetzt werden. Der längst fällige Entwurf der Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE) 2030 löst dieses Versprechen aus mehreren Gründen nicht ein:

Unverbindlich

Der einseitige strategische Fokus auf das Prinzip der Freiwilligkeit und auf Deregulierungsmassnahmen ist nicht zielführend. Verlangt ist eine intelligente Mischung aus Anreizen und verbindlichen Regulierungen, insbesondere auch zur Reduktion der CO2-Emissionen des Finanzplatzes und zur Stärkung der Unternehmensverantwortung. Zudem sollten systematische Ex-ante-Folgenabschätzungen beurteilen, wie sich neue Gesetze auf alle relevanten Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung auswirken werden.

Vage

Verschiedene Ziele der Strategie sind vage und unverbindlich formuliert, zum Beispiel wenn es um Ziel 16 der Agenda 2030 geht, welches auf die Stärkung des Friedens, der Menschenrechte, der Zivilgesellschaft und ihrer demokratischen Teilhabe fokussiert. Der Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft wird in zahlreichen Ländern – auch in der Schweiz – zunehmend eingeschränkt. Der Beitrag der Zivilgesellschaft muss deshalb über geeignete Ziele und Massnahmen wesentlich gestärkt werden. Dringend erforderlich ist auch eine stärkere Ausrichtung auf die legitimen Ansprüche der ärmsten und am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen der Entwicklungsländer.

Wenig ambitioniert

Im Kampf gegen unlautere internationale Finanzflüsse fehlen ambitioniertere Ziele und griffige Massnahmen auch auf nationaler Ebene. Gewinnverschiebungen und aggressive Steuervermeidung entziehen ärmeren Ländern Finanzmittel in mehrstelliger Milliardenhöhe, die sonst von diesen Ländern eigenverantwortlich zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung eingesetzt werden könnten. Als einer der weltweit führenden Finanzplätze und Konzernstandorte steht die Schweiz in einer ganz besonderen Verantwortung.

Alliance Sud bedauert, dass es der Bundesrat mit seinem Entwurf bisher verpasst hat, dem internationalen Rahmen der SDGs ein würdiges und kohärentes Pendant auf nationaler Ebene zur Seite zu stellen und institutionell zu verankern. «Wir haben keine Zeit mehr für Lippenbekenntnisse: Sechs Jahre nach der Verabschiedung der Agenda 2030 müssen den schönen Worten endlich Taten folgen», sagt Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud. «Sämtliche Ziele und Massnahmen der neuen Strategie müssen sowohl zur nachhaltigen Entwicklung in der Schweiz beitragen als auch die Entwicklungschancen der ärmsten Menschen der Welt stärken.»

 

Weitere Informationen:

Mark Herkenrath, Geschäftsleiter Alliance Sud, +41 78 699 58 66, mark.herkenrath@alliancesud.ch

Hier finden Sie die vollständige Vernehmlassungsantwort.

Hier finden Sie den Begleitbrief.