Internationale Steuerpolitik

Wie Starbucks Steuerdumping betreibt

07.04.2025, Finanzen und Steuern

Eine neue internationale Studie zeigt: Starbucks nutzt ein Nachhaltigkeits-Programm für Steuervermeidung. Für solche Praktiken könnten Konzerne in der Schweiz dank der OECD-Mindeststeuer künftig sogar noch Subventionen bekommen. In Basel-Stadt und Zürich stehen die kantonalen Umsetzungen der neusten Unternehmenssteuerreform am 18. Mai an der Urne auf dem Prüfstand.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Wie Starbucks Steuerdumping betreibt

Briefkasten der Starbucks Trading Company Sarl in Lausanne. © Alliance Sud

2012 deckte die Nachrichtenagentur Reuters als Erste Steuervermeidung bei Star-bucks auf. Der Konzern gehört zu den grössten Röstern, Händlern und – wie wir alle wissen – Verkäufern von Kaffee weltweit. Er bezieht seinen Rohkaffee von 400’000 Bäuer:innen in über 40 Ländern des Globalen Südens. Der Kaffeeriese hatte mit konzerninternen Zahlungen und einem sehr komplizierten Firmengeflecht in verschiedenen Tiefsteuergebieten den Fiskus des Vereinigten Königreichs um Millionen Steuereinnahmen gebracht. Das wichtigste Rädchen in der Steuerdumping-Maschine: ein unscheinbares Handelsbüro von Starbucks mitten in Lausanne mit dem Namen «Starbucks Coffee Trading Company Sarl» (SCTC), das 2001 eröffnet wurde. Noch heute läuft der gesamte Handel von Starbucks mit Kaffee über diese Tochterfirma – das sind immerhin 3% des gesamten globalen Handels mit Kaffee. Allerdings nur virtuell: Die Kaffeebohnen selbst werden von den Plantagen in Asien, Afrika und Lateinamerika zu den Röstereien hauptsächlich in den Vereinigten Staaten, China und den Niederlanden transportiert.

Von den grossen Kaffeeröstern – also jenen Konzernen, die die grünen Kaffeebohnen von den Plantagen wegkaufen und in Röstereien zu den braunen machen, die wir aus unseren Maschinen kennen –, rösten nur noch Nestlé (ca. 10%) und JDE peets (wird u. a. als Jacobs-Kaffee verkauft) mehr als Starbucks.

Ein Fairtrade-Programm als Farce und Steuerdumping-Instrument

Drei Jahre nach Reuters publizierte die EU-Kommission dann eine Untersuchung, die unter anderem zeigte, wie genau Starbucks Gewinne aus Produktions- und Konsumländern von Starbucks zu SCTC nach Lausanne verschiebt: Indem der Konzern seine – nur virtuelle – Lieferkette auf dem Papier durch die Schweiz zieht, kann er etwa 15% des Wertes des Kaffees entweder steuerfrei oder zu minimalen Steuersätzen in der Schweiz oder in anderen Steueroasen verbuchen. Seit 2011 verbuchte der Konzern in Lausanne insgesamt 1,3 Milliarden Dollar Gewinne – dank auffällig hohen Margen aus dem internen Bohnenhandel von bis zu 18% und zu einem im internationalen Vergleich sehr niedrigen Steuersatz von heute wohl höchstens 14%. Und dies auch nur unter der Voraussetzung, dass Starbucks im Kanton Waadt keine Spezialabsprachen mit der kantonalen Steuerverwaltung hat, die in der Schweiz sehr häufig sind und die Steuersätze bis auf wenige Prozentpunkte reduzieren (sogenannte Rulings). Gegenüber der EU-Kommission begründete der Konzern die hohen Margen damals mit Kosten für sein Zertifizierungsprogramm C.A.F.E. Practices. Damit wollte Starbucks seine Verantwortung für Mensch und Umwelt demonstrieren. Das Programm sollte fairen Handel mit und gute Arbeitsbedingungen von Kaffeebäuer:innen garantieren. Da sich dieses im Besitz von SCTC in Lausanne befand (und wohl bis heute befindet), konnte die Starbucks-Händlerin den Rösterei- und Verkaufsgesellschaften des Konzerns entsprechende Gebühren verrechnen.

Diese fielen so hoch aus, dass der Gewinn an den Verkaufsstellen sank und bei SCTC stieg. Ein klassischer Fall von Gewinnverschiebungen mittels Immaterialgüterrechten. Bei den Produzent:innen kam von diesen Gewinnen derweil gar nichts an. Und nicht nur das: «Reporter Brasil» enthüllte 2023, dass auf durch C.A.F.E. Practices zertifizierten Plantagen in Brasilien illegale Sklaven- und Kinderarbeit stattfindet. Subventionen für Steuervermeider?

Der neue CICTAR-Bericht zeigt jetzt: Starbucks wendet dieses «Swiss scheme» immer noch an und verschiebt so weiter Gewinne nach Lausanne. Auf der Strecke bleibt der Fiskus in den Produktionsländern und den Absatzmärkten von Starbucks. Auch mit der Einführung der neuen OECD-Mindeststeuer bleiben Schweizer Rohstoffhubs wie Waadt oder Zug für solche Steuervermeidungstricks attraktiv. Denn der OECD-Mindeststeuersatz von 15% bedeutet zwar in vielen Schweizer Kantonen eine Steuererhöhung, ist aber im internationalen Vergleich immer noch sehr tief. In vielen Ländern, nicht zuletzt im Globalen Süden, liegen die Steuersätze über 25%. Wer seine Gewinne in die Schweiz verschiebt, kann also oft locker immer noch 10% sparen. Doch damit nicht genug: Tiefsteuer-Kantone wie Zug, Basel-Stadt, Luzern oder Schaffhausen wollen die zusätzlichen Mindeststeuereinnahmen ausgerechnet wieder an jene Firmen zurückgeben, die die Mindeststeuer bezahlen. Ob Waadt solche Massnahmen auch ergreift, ist noch offen.

Abhilfe kann diesen Zuständen erstens der Bundesrat schaffen: Bisher basiert die OECD-Mindeststeuer in der Schweiz auf einem Verfassungsartikel und mehren Verordnungen des Bundesrates – ein ordentliches Gesetz fehlt nach wie vor und wie es scheint, will der Bundesrat damit so lange wie möglich zuwarten (spätestens 2028 muss er es dem Parlament vorlegen). Wenn er verhindern will, dass unethische Geschäfte und Steuertricksereien noch mit zusätzlichen Geldern aus Konzernfördertöpfen belohnt werden, sollte er sich jetzt beeilen und in diesem Gesetz solchen Praktiken einen Riegel schieben.

Kantonale Referenden gegen die OECD-Mindeststeuer-Umsetzung

Zweitens haben auch immer noch die Stimmbürger:innen das letzte Wort: In Basel-Stadt findet am 18. Mai dank einem grossen Sammel-Effort eines zivilgesellschaftlichen Komitees eine Referendums-Abstimmung über das dortige Standortförderungspaket statt, das die Antwort der Pharma-Stadt auf die Einführung der OECD-Mindeststeuer ist. Bis zu 500 Millionen Franken sollen dort jährlich in einen «Innovations»-Fonds fliessen – samt und sonders zu Gunsten von Grosskonzernen wie Roche, Novartis oder Syngenta. Auch im Kanton Zürich wird am 18. Mai über die kantonale Umsetzungsvorlage der OECD-Mindeststeuer abgestimmt. Dort wollen die linken Parteien und die Gewerkschaften eine Senkung des Gewinnsteuersatzes Richtung OECD-Minimum von 15% verhindern – bisher lagen die Sätze im Kanton deutlich darüber. Auf den Ausgang beider Abstimmungen darf man gespannt sein: Ein doppeltes Nein würde weit über die beiden Kantone hinausstrahlen und den international sowieso schwindenden Rückhalt für die missratene OECD-Mindeststeuer weiter reduzieren.

 

RTS-Beitrag der gemeinsamen Aktion von Alliance Sud, Public Eye und Public Services International vom 28. März 2024

 

Erklärvideo zu Starbucks' Steuervermeidung mit Daniel Bertossa, Generalsekretär von Public Services International:

Medienmitteilung Alliance Sud und Public Eye

Starbucks missbraucht sein Nachhaltigkeits-Programm in der Schweiz für Steuervermeidung

28.03.2025, Finanzen und Steuern

Zehn Jahre nachdem die EU-Kommission beim Kaffeekonzern massives Steuerdumping aufgedeckt hat, zeigt eine neue internationale Studie: Starbucks hat zwar das Frappuccino-Sortiment aktualisiert, nicht aber seine Schweizer Steuertricks. Dagegen haben Alliance Sud und Public Eye heute in Lausanne beim Schweizer Sitz des Unternehmens protestiert.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
Starbucks missbraucht sein Nachhaltigkeits-Programm in der Schweiz für Steuervermeidung

© Alliance Sud

Multinationale Konzerne nützen Patent-, Marken- oder Software-Rechte, um Gewinne nicht dort zu versteuern, wo sie erarbeitet werden, sondern dort, wo sie auf diese am wenigsten Steuern zahlen müssen. So weit, so bekannt. Die Recherche der NGO CICTAR «Starbucks’ Swiss Scheme: ‘Fair’ Trading or Global Tax Dodge?» zeigt nun aber: Profit Shifting geht auch mit Hilfe eines Firmenprogramms für ökologischen und fairen Handel.

Starbucks wickelt seinen gesamten konzerninternen Handel mit Kaffeebohnen über sein Lausanner Handelsbüro «Starbucks Coffee Trading Company Sarl» (SCTC) ab. Seit 2011 verbuchte der Konzern dort insgesamt 1,3 Milliarden Dollar Gewinne – dank auffällig hohen Margen aus dem internen Bohnenhandel von bis zu 18% und zu einem im internationalen Vergleich sehr niedrigen Steuersatz von höchstens 14%. Bereits 2015 kritisierte dies die EU-Kommission. Der Konzern begründete die hohen Margen damals mit Kosten für sein Zertifizierungsprogramm C.A.F.E. Practices – laut EU-Kommission zu Unrecht.

Der CICTAR-Bericht zeigt jetzt: Starbucks wendet dieses «Swiss scheme» immer noch an und verschiebt so weiter Gewinne nach Lausanne. Auf der Strecke bleibt der Fiskus in den Produktionsländern und den Absatzmärkten von Starbucks. Die Produzent:innen leiden aber nicht nur finanziell: «Reporter Brasil» enthüllte vor eineinhalb Jahren, dass auf durch C.A.F.E. Practices zertifizierten Plantagen in Brasilien illegale Sklaven- und Kinderarbeit stattfindet. «Dass Starbucks ausgerechnet mit diesem Programm auch noch Gewinne von einkommensschwächeren Ländern nach Europa verschiebt, ist ein Affront gegenüber den Kaffeepflückern und -bäuerinnen» sagt Carla Hoinkes, Landwirtschaftsexpertin bei Public Eye. «Statt fairen Handel fördert Starbucks damit globale Ungerechtigkeit».

Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei Alliance Sud, sagt: «Für solche Steuervermeidungstricks bleiben der Kanton Waadt und die Schweiz trotz OECD-Mindeststeuer weiterhin attraktiv.» Doch damit nicht genug: Tiefsteuer-Kantone wie Zug, Basel-Stadt, Luzern oder Schaffhausen wollen die zusätzlichen Mindeststeuereinnahmen ausgerechnet wieder an jene Firmen zurückgeben, die die Mindeststeuer bezahlen. Ob Waadt solche Massnahmen auch ergreift, ist noch offen. «Wenn die Schweizer Politik hier nicht durchgreift, werden davon auch Steuervermeider wie Starbucks profitieren», so Gross.

Medienbilder der Protestaktion in Lausanne

Weitere Ausführungen

 

Auskünfte:

Dominik Gross, Experte Steuerpolitik Alliance Sud,
E-mail: dominik.gross@alliancesud.ch, Tel. +41 78 838 40 79

Carla Hoinkes, Landwirtschaftsexpertin Public Eye,
E-mail: carla.hoinkes@publiceye.ch, Tel. +41 44 277 79 04

Klima und Steuern

Ein Duo auf Welttournee

04.10.2024, Klimagerechtigkeit, Finanzen und Steuern

Ohne Verursacherprinzip ist die internationale Klimapolitik nicht finanzierbar – ohne Steuergerechtigkeit ist sie nicht zu machen. Eine kleine Welttournee mit einem ungleichen, aber vielleicht bald symbiotischen Duo.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Ein Duo auf Welttournee

Weltweit verknüpfen immer mehr Aktivist:innen und multilaterale Foren Forderungen nach Steuer- und Klimagerechtigkeit. Protestierende am Fridays for Future Umzug in Berlin, 20. September 2024.
© Keystone / EPA / Clemens Bilan

Es leuchtet eigentlich sofort ein: Damit wir uns den Ausstieg aus den fossilen Energien ohne grosse soziale Verwerfungen leisten können, müssen wir das Geld dafür bei jener Branche eintreiben, die sich an ihnen als Erste bereichert: bei der fossilen Brennstoffindustrie. Laut Studien sind seit 1988 mehr als die Hälfte aller Emissionen weltweit auf die Förderung von fossilen Energieträgern durch nur 25 Konzerne zurückzuführen. Die Kosten, die diese Emissionen auf lange Zeit verursachen, weil sie das Klima verändern, wurden nie berappt. Gleichzeitig stiegen und stiegen die Gewinne und Dividenden jener, die mit diesen Brennstoffen geschäfteten. Dank den Preissteigerungen, die die russische Invasion in der Ukraine auslöste, kletterten die Gewinne der Öl- und Gasunternehmen im Jahr 2022 auf den Extremwert von vier Billionen Dollar.

Make polluters pay

So ist es nicht erstaunlich, dass im Kontext der dringend benötigten Klimafinanzierung für den Globalen Süden und im Sinne der Verursachergerechtigkeit die Forderung nach einer zusätzlichen Besteuerung dieser Unternehmen stärker wird. In der internationalen Zivilgesellschaft ist dieses Ziel mit dem Slogan «Make polluters pay» schon lange präsent. Eine aktuelle Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt auf, dass mit einer CO2-Abgabe auf die Förderung von Kohle, Öl und Gas, genannt Klimaschadenssteuer, in den OECD-Ländern noch in diesem Jahrzehnt 900 Milliarden Dollar für die Bewältigung der Klimakrise zur Verfügung stehen würden.

Die Forderung nach internationalen CO2-Abgaben ist fast so alt wie die Klimarahmenkonvention. Bereits 2006 forderte der damalige Bundespräsident Moritz Leuenberger an der Klimakonferenz eine globale CO2-Steuer. Eine konkrete Einigung war aber auf UNO-Ebene stets chancenlos. Im Hinblick auf die UNO-Verhandlungen für ein neues Klimafinanzierungsziel an der COP29 diesen November in Baku steigt aber der Druck, die verfügbaren finanziellen Mittel zu erhöhen. Diverse Akteurinnen und Länder haben deshalb in letzter Zeit internationale CO2-Abgaben oder andere Wege zur verursachergerechten Finanzierung gefordert (siehe Grafik). Die Ansätze sind sehr unterschiedlich und reichen von einer nationalen Besteuerung von Gewinnen aus der Ölförderung über freiwillige Beiträge aus der Förderindustrie bis zur juristischen Einforderung der Klimaverantwortung von Unternehmen. Alle Ansätze für internationale Abgaben erfordern jedoch politischen Willen auf nationaler Ebene. Auch die Schweiz sollte verursachergerechte Steuern bei Unternehmen erheben, die vom Geschäft mit fossilen Energieträgern profitieren, und damit ihre Beiträge an die internationale Klimafinanzierung erhöhen.

Die Gilets Jaunes – so nicht

Nicht nur mit der zusätzlichen Besteuerung der Produzent:innen fossiler Brennstoffe könnten für den ökologischen Umbau unserer Gesellschaften zusätzliche Mittel mobilisiert werden, sondern auch, indem Staaten deren Konsument:innen stärker zur Kasse bitten. Soll dieser Umbau allerdings nicht nur ökologisch, sondern auch noch sozial ausgestaltet sein, ist bei der Entscheidung, welche Art von CO2-Konsumsteuer die richtige ist, einige Vorsicht geboten. In Frankreich etwa erinnert man sich ungern an die brutalen Strassenschlachten zwischen den «Gilets Jaunes» und der Polizei vor bald sechs Jahren mitten in Paris. Der Auslöser dieser Proteste war damals eine Erhöhung der Treibstoffsteuer (Ökosteuer), die Frankreichs Präsident auf jeden Liter Diesel erheben wollte, der dort aus den Zapfsäulen sprudelt. Sie hätte dem Staat gemäss dessen Berechnungen zwar 15 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen gebracht. Allerdings hätte diese Steuer alle gleichermassen zur Kasse gebeten: Reich und Arm; sowohl Menschen, die nur zum Spass mit ihrem Porsche TDI über leere französische Landstrassen rasen, wie auch solche, die jenseits der Metropolen im weitläufigen und mit dem öffentlichen Verkehr schlecht erschlossenen Frankreich im Alltag auf ihr klappriges Dieselauto angewiesen sind. So wurde die Bewegung der «Gilets Jaunes» nicht nur von Klimaleugner:innen und Autofans angetrieben, sondern auch von Leuten, denen die Dieselsteuer ihr ohnehin schon knapp bemessenes Monatsbudget gesprengt hätte. Dieser toxische Mix verlieh ihr grosse politische Kraft. Die liberale französische Regierung krebste zurück und nahm bei ihrer klimapolitischen Agenda das Tempo raus. Gleichzeitig verzichtete Präsident Macron auf die Wiedereinführung einer «Solidaritätssteuer» auf hohe Vermögen, die unter dem langjährigen sozialistischen Präsidenten François Mitterand bereits in den 1980er Jahren eingeführt worden war, von Macron allerdings als eine seiner ersten Amtshandlungen entscheidend entschärft wurde. Sie hätte den «Gilets Jaunes» womöglich ihren sozialpolitischen Wind aus den Segeln genommen.

 

Klima- und Steuergerechtigkeit auf Welttournee: Einige globale Ansätze und Initiativen im Überblick
(Auf Karte klicken zum Vergrössern) © Bodara / Alliance Sud

 

Keine Klimagerechtigkeit ohne Steuergerechtigkeit

Heute steht eine stark progressive Vermögenssteuer mit sozialökologischer Dimension unter anderem bei den G20-Staaten auf der Agenda (siehe Grafik). Die NGO Oxfam International kommt in einem Bericht vom November 2023 zum Schluss, dass mit einer globalen Vermögenssteuer für alle Millionär:innen und Billionär:innen weltweit jährlich 1’700 Milliarden Dollar eingenommen werden könnten. Eine zusätzliche Strafsteuer für Investitionen in klimaschädliche Geschäfte könnte weitere 100 Milliarden einbringen. Kombiniert man diese Massnahmen mit einer Einkommenssteuer von 60% für die 1% höchsten Einkommen, kämen 6’400 Milliarden dazu. Je nach Geschäftsgang und Preisentwicklung kann auch eine Übergewinnsteuer zusätzlich massive Mehreinnahmen generieren. In den Jahren 2022 und 2023 mit ihrer hohen Inflation hätte eine solche gemäss Oxfam nochmals 941 Milliarden Dollar pro Jahr eingebracht. Mit diesen Massnahmen könnten also jährlich mindestens 9’000 Milliarden Dollar pro Jahr an zusätzlichem Steuergeld generiert werden.

Die UNO-Abteilung für ökonomische und soziale Angelegenheiten DESA («Department for Economic and Social Affairs») geht in ihrem Bericht 2024 über die Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung davon aus, dass die Finanzierungs- und Investitionslücken, die in Zusammenhang mit den UNO-Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 stehen, jährlich 2’500 bis 4’000 Milliarden US-Dollar betragen. Allein mit den oben genannten Instrumenten könnte die Agenda 2030 also locker bis 2030 ausfinanziert werden – von Reformen in anderen Bereichen der Entwicklungsfinanzierung gar nicht zu reden. Verursachergerecht im Sinne der internationalen Klimapolitik wäre eine globale Vermögenssteuer im Gegensatz zu Macrons Dieselsteuer allemal: Laut Oxfam waren 2019 die 1% Reichsten der Welt für 16% aller CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Sie stiessen damit gleich viel CO2 aus wie die ärmeren 66% der Weltbevölkerung, also fünf Milliarden Menschen.

 

 

COP29 – Klimakonferenz

Im November verhandelt die UNO-Staatengemeinschaft in Baku ein neues kollektives Finanzierungsziel zur Unterstützung der Länder im Globalen Süden bei der Bewältigung der Klimakrise. Auch hier ist die verursachergerechte Finanzierung ein Thema. Die Finanzierungslücke wächst drastisch und die finanzielle Unterstützung ist schlicht notwendig, damit die Länder im Globalen Süden sich mit klimafreundlichen Technologien weiterentwickeln und durch Anpassungsmassnahmen noch mehr Schäden und Verlusten vorbeugen können. Der Druck für ein ambitioniertes Finanzierungsziel ist entsprechend hoch und die reichen Länder sind gefordert, in den nächsten Jahren ihre Beiträge massiv zu erhöhen.

 

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Medienmitteilung

Mit der UNO gegen steuerpolitische Erpressungsversuche der Superreichen und Konzerne

26.07.2024, Finanzen und Steuern

Ab Montag verhandeln die UNO-Mitglieder in New York über den Umfang der UNO-Steuerkonvention. Damit eröffnet sich eine grosse Chance für ein zukünftiges Steuersystem, das den heutigen globalen Herausforderungen gewachsen ist.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
Mit der UNO gegen steuerpolitische Erpressungsversuche der Superreichen und Konzerne

Wegen zahnloser OECD-Reformen profitieren Tiefsteuerkantone wie Zug und angesiedelte Rohstofffirmen weiterhin. Dort hat der Zuzug von steuervermeidenden Konzernen das ländliche Stadtbild stark verändert.
© KEYSTONE / Thedi Suter

 

Eine alte Leier feiert im medialen Sommerloch Urstände: Weil sich Schweizer Superreiche und Konzern-CEOs vor der Erbschaftssteuer-Initiative der Juso fürchten, drohen sie in den Medien praktisch täglich mit Abwanderung. Dagegen hilft letztlich nur eine globale Steuerharmonisierung: Wenn sich die Besteuerungsmodelle und Steuersätze zwischen einzelnen Staaten nicht mehr so stark unterscheiden, wird jede Drohung mit Wohn- oder Standortwechsel zwecks Steuervermeidung hinfällig.

Seit zehn Jahren verspricht die OECD – die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – mit ihren Reformen Schritte in diese Richtung: Sie behauptet, Steuerverstecke für Superreiche zu entbergen und ein weltweites Steuersystem zu schaffen, in dem Konzerngewinne nicht mehr dort versteuert werden, wo die Gewinnbesteuerung am tiefsten ist, sondern dort, wo ökonomischer Wert geschaffen wird. Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei Alliance Sud, sagt allerdings: «Dass Kapital trotz aller Reformen immer noch um die Welt geschickt werden kann, wie es seinen Besitzer:innen beliebt, zeigt: Die OECD hat versagt.» Das zeigen auch die aktuellen Umsetzungskonzepte der OECD-Mindeststeuer in den Kantonen Zug und Basel-Stadt. Einst sollte diese mehr globale Steuergerechtigkeit bringen, jetzt wissen ausgerechnet die neuralgischen Tiefsteuergebiete für Konzerne nicht mehr, wohin mit dem zusätzlichen Geld, und wollen es – mehr oder weniger verklausuliert – schlicht jenen Firmen zurückgeben, die die neue Steuer zukünftig entrichten müssen.

Deshalb haben die afrikanischen Staaten – wie fast alle Länder des Globalen Südens die Leidtragenden des heutigen Systems – vor zwei Jahren mit Erfolg einen Prozess für eine neue UNO-Rahmenkonvention für Steuern angestossen. In den nächsten drei Wochen verhandeln die 193 UNO-Mitgliedsstaaten in New York nun darüber, wie diese Steuerkonvention aussehen soll. Die Länder des Globalen Südens wollen in Zukunft möglichst viele Steuerfragen unter dem Dach der UNO klären, die Länder des Globalen Nordens – darunter auch die Schweiz als eine der bisherigen Hauptprofiteur:innen des Systems – möglichst viel bei der OECD belassen. Der aktuell vorliegende Verhandlungstext zeigt: Der Süden ist am Drücker. Dominik Gross: «Die OECD-Länder müssen sich jetzt bewegen, sonst droht ein Patt und damit ein weiterer Glaubwürdigkeitsverlust des Westens.» Eine globale Steuerpolitik, die die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung garantiert, mit der die Klimakrise und die ausufernde globale Ungleichheit bekämpft werden kann, kann nur in der UNO entstehen.

Einen ausführlichen Ausblick auf die UNO-Verhandlungen finden Sie hier.

 

Für weitere Informationen:
Dominik Gross, Steuerpolitik-Experte Alliance Sud,
Tel. 078 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch

Kommentar

Tonnage Tax: Das rühmliche Ende einer unrühmlichen Geschichte?

21.02.2024, Finanzen und Steuern

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) empfahl ihrem Rat am 20. Februar, nicht auf die Vorlage zur Einführung einer «Tonnage Tax» einzutreten. Nun steht dieses Steuerdumpinginstrument für Schweizer Reedereikonzerne und Rohstoffhändler vor dem Ende. Die gesetzgeberische Odyssee, die diesem Entscheid voranging, wirft allerdings ein sehr schlechtes Licht auf das Eidgenössische Finanzdepartement – insbesondere auf die eidgenössische Steuerverwaltung.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Tonnage Tax: Das rühmliche Ende einer unrühmlichen Geschichte?

© Keystone / Laif / Patricia Kühfuss

Die Tonnage Tax würde auf den ersten Blick vor allem Unternehmen der Hochseeschifffahrt stark privilegieren. Sie sorgte dafür, dass diese nicht wie alle anderen Unternehmen in der Schweiz der Gewinnsteuer unterliegen, sondern pauschal anhand der Ladekapazität ihrer Schiffe besteuert würden. Politisch als Förderinstrument für den Reedereistandort Schweiz deklariert, wäre die Tonnage Tax aber faktisch auch ein Steuerschlupfloch für Rohstoffhändler in der Schweiz, also für Konzerne, die in den letzten Jahren exorbitante Profite eingefahren haben. Wegen der Pandemie und den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten sind die Preise für gewisse Rohstoffe und den Schiffstransport massiv gestiegen. Das hat den Rohstoffhändlern und Reedereien Rekordgewinne beschert. Anstatt diese angemessen zu besteuern, würde just denselben Konzernen mit der Tonnage Tax ein neues Steuergeschenk beschert. Denn diese sind gemäss Recherchen von Public Eye die eigentlichen Schifffahrtsunternehmen hierzulande: 2’200 Schiffe kontrollieren sie auf den Weltmeeren. Die klassischen Schweizer Reedereien kommen nur auf 1’400 Schiffe, der Bundesrat sprach bisher sogar nur von 900 Schiffen. Diese Zahl stammt vom Schweizer Reedereiverband. Deren unkritische Übernahme könnte den Fiskus bei einer Annahme der Tonnage Tax teuer zu stehen kommen – aus folgenden Gründen:

  • Ein Blick in jene Länder, die bereits eine Tonnage Tax kennen, zeigt, dass die damit begünstigten Unternehmen im globalen Durchschnitt von einem effektiven Steuersatz von lediglich 7% profitieren, wie die Jurist:innen Mark Pieth und Kathrin Betz in ihrem Buch «Seefahrtsnation Schweiz - vom Flaggenzwerg zum Reedereiriesen» gezeigt haben. Dass es noch tiefer geht, zeigt der Hamburger Reedereigigant Hapag-Lloyd, welcher dank Tonnage Tax im Jahr 2021 nur 0,65% Steuern zahlte. Selbst Klaus-Michael Kühne, der 30% an Hapag-Lloyd hält und Mehrheitsaktionär des Schwyzer Logistikunternehmens Kühne + Nagel ist, stimmte der Aussage zu, dass durch die Tonnage Tax «obszön wenig» Geld in die Steuerkasse fliesse.
  • Schweizer Rohstoffhändler wiederum könnten mit der neuen Steuer auch Gewinne aus dem Handel auf ihre Schiffe verschieben und die normale Gewinnsteuer umgehen. Entsprechend massiv wären die Verluste für den Schweizer Fiskus. Daran ändert auch die kürzlich angenommene OECD-Mindeststeuer von 15% nichts, denn davon ist die internationale Schifffahrt explizit ausgenommen.
  • Die Tonnage Tax widerspricht wohl der Bundesverfassung, weil sie das dort festgeschriebene Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verletzt: Werden Frachtschiffbetreiber nach dem Umfang der Fracht ihrer Schiffe besteuert und nicht gemäss ihrer Profitabilität, ist dieses Prinzip ausser Kraft und würde die rechtliche Bevorzugung einer einzelnen Branche bedeuten. Das wäre in der Schweiz nur erlaubt, wenn es sich dabei um eine existentiell bedrohte Industrie handeln würde, was offensichtlich weder für die Schweizer Hochseeschifffahrt noch für den Rohstoffhandel gilt.

Zwielichtige Rolle des Finanzdepartements

Alliance Sud und Public Eye formulierten diese Kritikpunkte anlässlich von Anhörungen sowohl in der Wirtschaftskommission des National- wie auch des Ständerates. Während der Nationalrat der Vorlage im Dezember 2022 trotz sehr vieler Ungereimtheiten noch bedenkenlos zustimmte, nahm der Ständerat diese auf und verlangte von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) bereits zweimal entsprechende Klärungen: Zum ersten Mal vor einem Jahr, zum zweiten Mal im letzten Oktober. Beide Male konnte die ESTV die offenen Fragen zur Abgrenzung des Rohstoffsektors von der Seefahrt, zu den fiskalischen Folgen der Einführung der Sondersteuer und ihrer Verfassungsmässigkeit in entsprechenden Berichten nicht ausreichend beantworten. Folgerichtig will die WAK-S nun also auf die Vorlage nicht eintreten.

Offen bleibt auch die viel grundsätzlichere und unangenehme Frage, weshalb das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) – zu dem die ESTV gehört – nicht fähig ist, zentrale Fragen zu einem Gesetzesprojekt zu klären, das es selbst aufgegleist hat. Eine mögliche Erklärung für dieses dilettantische Vorgehen einer in Steuerfragen eigentlich hochkompetenten Verwaltungsstelle lieferte kürzlich eine sehr verdienstvolle Recherche von reflekt.ch. Diese Plattform für investigativen Journalismus zeigte nämlich, dass die Vorlage überhaupt erst auf exzessives Drängen der «Mediterranean Shipping Company» (MSC), einer der weltweit grössten Reedereien mit Sitz in Genf, zustande kam. Nachdem sich der ehemalige SVP-Finanzminister Ueli Maurer als wohlwollender Pate für die Anliegen der Reederei entpuppte, die auch schon ins Zwielicht der internationalen Drogenmafia geriet, begann zwischen der ESTV und MSC eine intensive Zusammenarbeit. Dies zeigen E-Mails aus der Verwaltung, die Reflekt mit Hilfe des Öffentlichkeitsgesetzes erhalten hat. Statt im Interesse der Allgemeinheit dafür zu sorgen, dass hochprofitable Konzerne ihre (in der Schweiz sowieso schon sehr niedrigen) Steuern bezahlen und das Parlament in die Lage versetzt wird, informierte Entscheidungen in der Steuerpolitik zu treffen, betätigte sich die eidgenössische Steuerverwaltung also als Steueroptimierungs-Beraterin eines multinationalen Konzerns. Wenn das stimmt, ist das ein veritabler Skandal – unabhängig davon, ob die Tonnage Tax, so wie es die Wirtschaftskommission empfiehlt, versenkt wird. Ganz so weit ist es aber noch nicht: Beschliesst auch das Plenum des Ständerats in der kommenden Frühlingsession Nicht-Eintreten, müsste der Nationalrat danach nochmals über die Bücher.

 

Medienmitteilung

Europäische Steuertransparenz als Trugbild

02.06.2021, Finanzen und Steuern

EU-Staaten und EU-Parlament haben sich gestern auf die Einführung eines Public Country-by-Country-Reporting (pCbCR) geeinigt. Innerhalb der EU-Länder werden Gewinnverschiebungen für multinationale Konzerne nun riskanter. Umso wichtiger, dass sich nun auch der Steuerfluchthafen Schweiz zu mehr Transparenz verpflichtet.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
Europäische Steuertransparenz als Trugbild

© Rainer Sturm / pixelio.de

Die Idee eines pCbCRs ist, dass multinationale Konzerne in öffentlich zugänglichen Berichten u. a. Daten zu ihren Gewinnen, bezahlten Steuern und Beschäftigten veröffentlichen müssen. Und zwar aufgeschlüsselt nach sämtlichen Ländern, in denen die Konzerne Niederlassungen betreiben. Seit 2016 verlangen neue OECD-Regeln bereits, dass multinationale Konzerne mit einem Jahresumsatz ab 750 Millionen Euro diese Daten den Steuerbehörden liefern müssen.

«Die Einigung auf EU-Ebene ist zwar ein kleiner Fortschritt, reicht aber noch lange nicht», sagt Dominik Gross, Fachverantwortlicher Steuer- und Finanzpolitik von Alliance Sud. Denn die EU verpflichte die Konzerne nämlich nur dazu, die Geschäftsdaten ihrer Niederlassungen in der EU zu veröffentlichen. «Alle Niederlassungen ausserhalb der EU können ihren Steueroptimierungspraktiken weiterhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit nachgehen. Das ist vor allem auch für ärmere Länder des Südens, die jährlich 100 Milliarden Euro Steuereinnahmen durch Gewinnverschiebungen von Konzernen verlieren, eine enttäuschende Nachricht», so Gross.

Zwar müssen die Konzerne auch Daten von Niederlassungen in Steueroasen veröffentlichen, die auf der offiziellen Schwarzen Liste der EU stehen. Die gemäss «Tax Justice Network» undurchsichtigsten Steuerfluchthäfen für Konzerne stehen dort aber ironischerweise gar nicht drauf: Dazu gehören ver-schiedene britische Überseegebiete, aber auch europäische Tiefsteuergebiete wie die Niederlande, Luxemburg, Irland und eben die Schweiz.

Die Schweiz muss nachziehen

«Als Nicht-EU-Mitglied mitten in Europa könnte der Steuerfluchthafen Schweiz der grosse Nutzniesser der neuen Regel in der EU werden», sagt Gross. Da Konzerne mit Hauptsitz in der EU für ihre Tochtergesellschaften in der Schweiz keine Daten publizieren müssen, werden Gewinnverschiebungen zu diesen Schweizer Gesellschaften aus anderen (EU-)Ländern noch attraktiver, als sie das heute schon sind.

Insofern wäre es nur folgerichtig, wenn die EU von der Schweiz eine baldige Übernahme der neuen Transparenz-Regel fordert. Solange dies nicht geschieht, werden Schweizer Tochtergesellschaften im Vergleich mit ihren Konkurrenzstandorten beim Konzernsteuerdumping noch intransparenter. Konzerne in der EU könnten dabei auf die Idee kommen, weitere Verwaltungs- und Finanzierungseinheiten oder gleich ihren Hauptsitz in die Schweiz umzusiedeln.

Medienmitteilung

Eine Steuerreform von den Reichen für die Reichen

02.07.2021, Finanzen und Steuern

Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) gab gestern bekannt, dass sich 130 Länder des sogenannten «Inclusive Frameworks» auf eine Reform der internationalen Besteuerung grosser multinationaler Konzerne geeinigt haben. Was gut klingt, wird nur den Reichen etwas bringen.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
Eine Steuerreform von den Reichen für die Reichen

In dieser Reform («BEPS 2.0 / Base Erosion and Profit Shifting») geht es einerseits um die Umverteilung von Konzerngewinnen von den Sitzstaaten in die Marktländer der Konzerne (Säule 1) und andererseits um die Einführung einer transnationalen effektiven Mindeststeuer für grosse multinationale Unternehmen (Säule 2). Trotz dieser vielversprechenden Ansätze ist die vielbeschworene «Steuer-Revolution» ausgeblieben.

«BEPS 2.0 ist hauptsächlich aus zwei Gründen mangelhaft», sagt Dominik Gross, Experte für internationale Steuerpolitik bei Alliance Sud. «Erstens sind die gesamte Rohstoffindustrie und der Finanzsektor aus der 1. Säule ausgenommen und es wird nur ein sehr kleiner Teil der Gewinne überhaupt umverteilt. Zweitens ist der vorgesehene Mindeststeuersatz in der Säule 2 von 15% viel zu tief angesetzt.»

Afrikanische, lateinamerikanische und andere Entwicklungsländer haben in der Regel Steuersätze von 25% oder 30%. Vor allem für die Rohstoffkonzerne lohnt es sich deshalb weiterhin, ihre Gewinne aus den Minen Afrikas oder Lateinamerikas in die Konzernzentralen zum Beispiel im Kanton Zug zu verschieben. Ländern mit tiefen und mittleren Einkommen im unteren Bereich entgehen gemäss einer Berechnung der Ökonomen Petr Janský und Miroslav Palanský (2019) durch Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne jährlich Steuereinnahmen in der Höhe von 30 Milliarden Dollar. Das ist weit mehr als die gesamten Kosten der Gesundheitswesen der 69 ärmsten Länder der Welt zusammengerechnet betragen (20 Mia.).

Bremsklotz Bundesrat

Umso befremdlicher ist die Haltung des Schweizer Bundesrates zur Reform: Er will etwa afrikanischen Ländern mitnichten entgegenkommen, indem er für griffigere Massnahmen plädieren würde, als sie gestern beschlossen wurden. Stattdessen trägt er die Reform gemäss einer gestrigen Mitteilung generell nur unter starken Vorbehalten mit. Er deutet an, in den anstehenden Verhandlungen zur konkreten Ausgestaltung der jetzt schon schwachen Reform auf eine weitere Verwässerung hinwirken zu wollen – zusammen mit anderen Steuerfluchthäfen.

Das zeigt: Wer sich in der Schweiz für eine weltweit gerechtere Steuerpolitik und einen Paradigmenwechsel im hiesigen Tiefsteuergebiet einsetzen will, kann sich weder auf die OECD noch auf den Bundesrat verlassen. Eigene Projekte der Zivilgesellschaft und von fortschrittlichen Kräften aus der Politik sind jetzt gefragt: zuallererst die Einführung eines öffentlichen Country-by-Country-Reportings (CbCR) für multinationale Konzerne in der Schweiz, das aufzeigt, wer was wo versteuert.

 

Für weitere Informationen:
Dominik Gross, Experte für internationale Steuerpolitik bei Alliance Sud, Tel. +4178 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch.

Medienkommentar

Kommt die OECD-Mindeststeuer aufs Abstellgleis?

21.12.2023, Finanzen und Steuern

Wenn der Bundesrat die Einführung der Mindeststeuer verschiebt, erweist er sich als Höriger der Konzernlobby. Es wäre ein demokratiepolitischer Skandal. Steuerpolitisch bleibt die Mindeststeuer aber so oder so ein Rohrkrepierer.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Kommt die OECD-Mindeststeuer aufs Abstellgleis?

Noch im Abstimmungskampf zur Mindeststeuer im Juni hatten sowohl Finanzministerin Karin Keller-Sutter als auch die Konzernlobby vehement auf eine möglichst schnelle Einführung gedrängt.

© Keystone / Peter Klaunzer

Am Freitag wird der Bundesrat aller Voraussicht nach entscheiden, ob er die OECD-Mindeststeuer auf Anfang Jahr einführen wird oder dies verschiebt. Tut er letzteres, wäre das eine Kapitulation vor der Konzernlobby um economiesuisse und Swiss Holdings, die dies mit fadenscheinigen Argumen-ten seit einigen Wochen fordert. Die bürgerlichen Mehrheiten in den Wirtschaftskommissionen (WAKs) sind dem Druck der Konzernverbände bereits gefolgt: Nachdem die WAK-S den Bundesrat Anfang November in einem Brief aufforderte, eine Verschiebung der Einführung zu prüfen, folgte ihr ihre Schwesterkommission des Nationalrates ein paar Wochen später.

Aus einer streng entwicklungspolitischen Sicht wäre eine Verschiebung unproblematisch: Sie gäbe unter anderem den Produktionsländern der Schweizer Konzerne im Globalen Süden zumindest vorübergehend die Möglichkeit, zusätzliche Steuereinnahmen aus Konzerngewinnen zu generieren, die zwar dort erzielt werden, aber bei einer hiesigen Einführung der Mindeststeuer von der Schweiz abgeschöpft würden.

Aus demokratiepolitischer Sicht wäre eine Verschiebung durch den Bundesrat allerdings ein Skandal: Noch im Abstimmungskampf zur Mindeststeuer im Juni hatten sowohl Finanzministerin Karin Keller-Sutter als auch die Konzernlobby in der bei wirtschaftspolitischen Vorlagen üblichen Harmonie vehement auf eine möglichst schnelle Einführung gedrängt. Sie behaupteten, dass bei einem Nein zur Mindeststeuer ab 2024 massive Verluste von Steuereinnahmen drohten und Schweizer Konzerne international grosse Probleme bekommen würden. Gemäss Vox-Analyse zur Abstimmung war v. a. ersteres für viele Ja-Stimmende entscheidend. Es waren die Hauptargumente gegen das «Nein, aber» der SP, der Gewerkschaften und von Alliance Sud. Sie alle waren für ein Nein, damit Bundesrat und Parlament danach eine neue bessere Vorlage zimmern können, die die Mehreinnahmen aus der Mindeststeuer sowohl im Inland wie im Ausland gerechter verteilt. Mit dem inhaltsleeren Argument der Dringlichkeit torpedierten die Befürworter:innen diese Forderung.

Nun wollen sie davon plötzlich nichts mehr wissen. Das Argument: Die internationale Lage habe sich seit Juni massiv verändert. Den Fakten hält diese Behauptung allerdings nicht stand: Bereits im Frühsommer war klar, dass wichtige Länder wie die USA oder China die neue Steuer vorerst nicht einführen werden und damit das ganze neue System massiv schwächen werden. Das versuchten Bundesrat und Konzernlobby damals zu verschweigen und führten die Stimmbürger:innen in die Irre – zum Nachteil einer grossen Mehrheit der Menschen in der Schweiz und in den Produktionsländern der Schweizer Konzerne weltweit. Sie wurden um die Aussicht auf eine bessere Vorlage gebracht. Erfüllt der Bundesrat die Wünsche der Konzernlobby, macht er klar: Entscheidend sind für ihn nicht die Aussicht auf Mehreinnahmen für den Schweizer Fiskus, sondern die nackten Interessen der Konzerne und ihrer Aktionär:innen.

Die grundsätzlichen Schwächen des neuen OECD-Systems bleiben aber so oder so erhalten: Ein Grossteil der Länder vor allem im Globalen Süden wird sowieso nicht profitieren und überall sonst hebeln zahlreiche Schlupflöcher und Ausnahmen die Effektivität der Mindeststeuer aus. Nach jahrelangen Verhandlungen zeigt sich: Die OECD ist an ihrem eigenen Anspruch, das globale Konzern-steuersystem etwas fairer zu gestalten, gescheitert. Nun ruhen die Hoffnungen vieler auf der UNO.

 

Medienmitteilung

Eine andere Reform der Unternehmenssteuern!

03.06.2015, Finanzen und Steuern

Die aus Top-Experten zusammengesetzte unabhängige Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT) fordert Staats- und Regierungschefs der Welt zu einem Systemwechsel auf.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
Eine andere Reform der Unternehmenssteuern!

Nobelpreisträger Joseph Stieglitz, Mitglied der ICRICT
© Creative commons

Die Unabhängige Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT) fordert Staats- und Regierungschefs der Welt zu einem Systemwechsel auf. Zur Kommission gehören namhafte Expertinnen und Experten, darunter Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Eva Joly. Die Kommission erörtert ihre Erklärung heute auf dem Wirtschaftsfestival von Trient. Alliance Sud hat die Kommission mitinitiiert.

Die Unabhängige Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT) hat eine globale Erklärung veröffentlicht und eine Änderung der nicht mehr zeitgemäßen internationalen Unternehmensbesteuerung gefordert. Sie schlägt eine umfassende Reform der geltenden Gesetze und zuständigen Institutionen vor. Die Erklärung wird heute um 17 Uhr von Mitgliedern der Kommission auf dem Wirtschaftsfestival von Trient erörtert.

«Multinationale Konzerne handeln wie ein einziges und einheitliches Unternehmen und sollten deshalb auch so besteuert werden. Es ist Zeit für unsere politischen Führungskräfte, Courage zu zeigen und zu erkennen, dass das Prinzip der selbständigen Einheit eine juristische Fiktion ist», erklärt Joseph Stiglitz, Professor und Träger des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften. «Während des Übergangs sollte für die führenden Industrienationen global eine Mindest-Körperschaftssteuer gelten, damit der Unterbietungswettbewerb aufhört.»

«Bei dieser Debatte geht es um Gerechtigkeit – um die gerechte Behandlung guter und schlechter Steuerzahler, um die gerechte Besteuerung von Arbeit und Kapital, um Gerechtigkeit zwischen den Ländern und besonders zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen», erklärt der ICRICT-Vorsitzende und frühere UN-Untergeneralsekretär und kolumbianische Finanzminister José Antonio Ocampo. «Die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung sollte unter Berücksichtigung des globalen öffentlichen Interesses und nicht nach nationalen oder unternehmerischen Vorteilen erfolgen.»

Die Erklärung weist darauf hin, dass das derzeitige System überholt ist und den Missbrauch von Steuervorschriften durch multinationale Unternehmen keinesfalls verhindert. Staats- und Regierungschefs weltweit werden aufgefordert, Reformen mutig in Angriff zu nehmen, da sonst mit einer weiteren Eskalation der bereits erheblichen Unzufriedenheit der Öffentlichkeit wegen diverser Steuerskandale von Konzernen zu rechnen ist.

Einige wichtige Punkte:

  • Der Missbrauch der Steuervorschriften durch internationale Unternehmen erhöht die Steuerlast für andere Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, verstösst gegen die staatsbürgerliche Verantwortung der Unternehmen, beraubt Industrienationen und Entwicklungsländer wichtiger Ressourcen zur Bekämpfung der Armut und zur Finanzierung öffentlicher Dienste, verschärft Einkommensungleichheiten und erhöht die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Auslandshilfe.
  • Die aktuellen Reformversuche der BEPS-Initiative (Aushöhlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und Gewinnverlagerung) von G20 und OECD sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber grundsätzlich unzureichend, da die Entscheidungsgewalt in diesem Kontext global nicht repräsentativ ist. Die Probleme des Steuermissbrauchs erfordern globale Steuerlösungen, die ohne eine inklusive globale Steuerbehörde mit allen Nationen am Verhandlungstisch nicht machbar sind.
  • Der wichtigste Wegbereiter für den Steuermissbrauch internationaler Unternehmen ist das Prinzip der selbständigen Einheit - eine juristische Fiktion, die den Transfer erheblicher Beträge versteuerbarer Einkommen aus den zugrunde liegenden operativen Geschäftstätigkeiten ermöglicht.

Die Erklärung enthält folgende Empfehlungen:

  • Multinationale Unternehmen sind als einziges Unternehmen zu versteuern. Während des Übergangs erheben die Industrienationen einen Mindest-Körperschaftssteuersatz.
  • Der Steuerwettbewerb ist zu unterbinden, um dem Unterbietungswettbewerb die Basis zu entziehen.
  • Die öffentliche Transparenz hinsichtlich der von multinationalen Unternehmen gezahlten Steuern ist zu verbessern.
  • Durch Gründung einer internationalen Steuerbehörde im Rahmen der Vereinten Nationen ist eine umfassende internationale Steuerzusammenarbeit auf den Weg zu bringen; weiterhin ist eine UN-Konvention zur Bekämpfung missbräuchlicher Steuerpraktiken zu erarbeiten.

Medienmitteilung

Globale Steuerrevolution? Ein Sturm im Wasserglas

08.10.2021, Finanzen und Steuern

Jetzt wurde die OECD endlich konkret: Heute trafen sich die VertreterInnen der 140 an den Verhandlungen beteiligten Länder, um zu entscheiden, wie sie die neue Mindeststeuer für Konzerne konkret umsetzen wollen und wie ein kleiner Teil der exorbitanten Gewinne von Digitalkonzernen fairer verteilt werden soll. Die Resultate sind aus entwicklungspolitischer Sicht enttäuschend, das Steuerparadies Schweiz kommt hingegen glimpflich davon.

Dominik Gross
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Experte für Steuer- und Finanzpolitik

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Globale Steuerrevolution? Ein Sturm im Wasserglas

© Harry Hautumm / pixelio.de

In dieser Reform («BEPS 2.0 / Base Erosion and Profit Shifting») geht es einerseits um die Umverteilung von Konzerngewinnen von den Sitzstaaten in die Marktländer der Konzerne (Säule 1) und andererseits um die Einführung einer transnationalen effektiven Mindeststeuer für grosse multinationale Unternehmen (Säule 2). Trotz dieser vielversprechenden Ansätze bleibt die vielbeschworene «Steuerrevolution» aus.

«BEPS 2.0 ist hauptsächlich aus zwei Gründen mangelhaft», sagt Dominik Gross, Experte für internationale Steuerpolitik bei Alliance Sud. «Erstens sind die gesamte Rohstoffindustrie und der Finanzsektor aus der 1. Säule ausgenommen und es wird nur ein sehr kleiner Teil der Gewinne überhaupt umverteilt. Zweitens ist der vorgesehene Mindeststeuersatz von 15% in der Säule 2 viel zu tief angesetzt.» Länder mit vielen Konzernhauptsitzen wie die Schweiz können selbst entscheiden, ob sie die neue Mindeststeuer einführen wollen, umgekehrt bleibt der globale Süden einmal mehr auf der Strecke. Afrikanische, lateinamerikanische und andere Entwicklungsländer haben in der Regel Steuersätze von 25% oder 30%. Vor allem für Rohstoffkonzerne lohnt es sich deshalb weiterhin, ihre Gewinne in die Schweizer Konzernzentralen zu verschieben.

Ländern mit tiefen und mittleren Einkommen im unteren Bereich entgehen gemäss einer Berechnung der Ökonomen Petr Janský und Miroslav Palanský (2019) durch Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne jährlich Steuereinnahmen in der Höhe von 30 Milliarden Dollar. Umgekehrt generiert die Schweiz gemäss einer Gruppe von ÖkonomInnen um den Steuerexperten Gabriel Zucman 38% ihrer gesamten Gewinnsteuereinnahmen mit Gewinnverschiebungen aus anderen Ländern – diese summieren sich auf über 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Davon wird die Schweiz kaum etwas abgeben müssen.

Dominik Gross: «Wer sich in der Schweiz für eine weltweit gerechtere Steuerpolitik und einen Paradigmenwechsel im hiesigen Tiefsteuergebiet einsetzen will, kann sich nicht darauf verlassen, dass die OECD die Probleme von aussen her löst. Gefragt sind jetzt die fortschrittlichen Kräfte in der Schweizer Politik.» Sie können sich für die Einführung eines öffentlichen Country-by-Country-Reportings (CbCR) einsetzen, das die Steuertransparenz für multinationale Konzerne in der Schweiz verbessert. Ausserdem sollten sie vom Bundesrat verlangen, dass er sich auf dem internationalen Parkett für eine stärkere Rolle der UNO einsetzt. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Länder des Südens ihre Interessen bei der zukünftigen Gestaltung eines faireren internationalen Steuersystems gleichberechtigt einbringen können.

 

Für weitere Informationen:

Dominik Gross, Experte für internationale Steuerpolitik bei Alliance Sud, Tel. +4178 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch.