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Die GipfeltouristInnen von Rom
03.11.2021, Finanzen und Steuern
Ohne Steuer- keine Klimagerechtigkeit: Die neue «globale» Mindeststeuer der OECD und der G20 verteilt Reichtum ganz in der Tradition der (post-)kolonialen Welt zu Gunsten des globalen Nordens und verschärft damit die globale Ungleichheit.

Das Brunnenwasser der Fontana di Trevi mit seinen zahlreichen Münzen.
© Wolfgang Dirscherl / pixelio.de
Am Ende warfen die Regierungschefs der G20-Länder ein paar Münzen in den Trevi-Brunnen in Rom; so wie es fast alle TouristInnen tun, wenn sie die Ewige Stadt besuchen. Und angesichts der klima-, steuer- und pandemiepolitischen Ergebnisse, die dieser Gipfel zeitigte, lag in diesem Augenblick der Eindruck nahe, dass auch die Mächtigsten der Welt im Grund nichts anderes sind als TouristInnen: Menschen ohne grossen Willen zur aktiven Mitgestaltung der Welt, aber sehr wohl mit dem Anspruch, dass diese Welt es mit einem gut meine, während man sich an ihr zu bereichern versucht. Also Münze in den Brunnen!
«Why don’t you come on back to the war, don’t be a tourist», heisst es in einem Song von Leonard Cohen. Der «Krieg» wäre im Fall des G20-Gipfels in Rom − von der Pandemie einmal abgesehen − der Kampf gegen die Klimakrise und das ungerechte globale Steuersystem für multinationale Konzerne gewesen. Unmittelbar vor der diese Woche angelaufenen Klimakonferenz in Glasgow (COP26) wäre der Gipfel eine ausgezeichnete Gelegenheit gewesen, dass auch die höchste politische Ebene beginnt, diese drei grossen weltpolitischen Herausforderungen der Gegenwart zusammen zu denken – weit gefehlt.
Nutzlose Konzernsteuerreform der OECD und der G20
Exemplarisch zeigt sich das bei der Konzernsteuerreform, die etwas über 120 Länder im Rahmen der OECD unter Ausschluss vieler afrikanischer Länder verhandelt haben und in Rom nun in den wesentlichsten Punkten auch von den G20-Ländern abgesegnet wurde: Was von US-Präsident Biden oder dem designierten deutschen Bundeskanzler Scholz als «historisches Abkommen» gefeiert wird und von vielen Medien auch in der Schweiz völlig unkritisch als «globale Steuerrevolution» weitertransportiert wird, ist bei Lichte besehen auch nicht mehr als ein von einer Münze ausgelöster Wellenschlag.
Darin geht es einerseits um die Umverteilung von Konzerngewinnen von den Sitzstaaten in die Marktländer der Konzerne (Säule 1) und andererseits um die Einführung einer effektiven Mindeststeuer für grosse multinationale Konzerne (Säule 2). «BEPS 2.0» (Base Erosion and Profit Shifting) ist aus entwicklungspolitischer Sicht hauptsächlich aus zwei Gründen mangelhaft. Erstens sind die gesamte Rohstoffindustrie und der Finanzsektor aus technischen Gründen von der ersten Säule ausgenommen. Länder im globalen Süden, die stark vom Rohstoffabbau abhängig sind, werden also keine zusätzlichen Rechte zur Besteuerung von Gewinnen der Rohstoffindustrie erhalten. Ausserdem wird mit der Säule 1 nur ein sehr kleiner Teil der Gewinne überhaupt umverteilt. Und das nur in Konzernen, die einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Dollar und eine Gewinnquote von über 10 Prozent ausweisen. Global sind davon nur etwa 100 Konzerne betroffen, in der Schweiz mutmasslich nur die Giganten Novartis, Roche, Nestlé und Schindler. Von dieser Umverteilung profitieren werden hauptsächlich reiche Länder mit grossen Binnenmärkten wie die USA oder Deutschland. Zweitens ist der vorgesehene Mindeststeuersatz von 15 Prozent in der Säule 2 viel zu tief angesetzt und kann nur vom Land angewendet werden, in dem der jeweilige Konzern seinen Hauptsitz hat; und auch dort nur, wenn dieser Konzern einen Jahresumsatz von über 750 Millionen Euro ausweist.
Die Entwicklungsländer gehen leer aus
Ländern mit tiefen und mittleren Einkommen im unteren Bereich («lower middle income countries») entgehen gemäss einer Berechnung der Ökonomen Petr Janský und Miroslav Palanský (2019) durch Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne des globalen Nordens jährlich Steuereinnahmen in der Höhe von 30 Milliarden Dollar – ausnahmslos alle diese Länder befinden sich auf der Südhalbkugel. Diese für arme Länder exorbitante Summe ist auch klimapolitisch höchst relevant: Sie entspricht dem Sechsfachen dessen, was die internationale Staatengemeinschaft im Rahmen des «Green Climate Fund» (GCF) an finanziellen Ressourcen für die Anpassung an den Klimawandel in den Entwicklungsländern in den Jahren 2020-2023 versprochen hat (tatsächlich fliessen wird noch weniger). Dabei ist im GCF die Finanzierung von «Loss&Damage», also die Kompensation von dem, was die Klimakrise etwa durch Unwetter bereits in der Gegenwart an Schäden und Verlusten (zum Beispiel Land, Infrastruktur oder Biodiversität) verursacht, noch nicht einmal eingerechnet. Auch um diese Finanzierungslücke zu schliessen, ist die bessere Mobilisierung steuerlicher Einnahmen im Inland («domestic revenue mobilization») für Entwicklungsländer unentbehrlich.
Das internationale Steuersystem für multinationale Konzerne läuft diesem Ziel heute völlig entgegen. Daran wird sich auch mit der jüngsten Steuerreform nichts ändern. Das zeigen auch erst kürzlich wieder bekanntgewordene Steuervermeidungsfälle von Konzernen wie Socfin (Palmöl- und Kautschukhandel), Glencore (Öl, Kupfer, Kohle und andere Rohstoffe) und Nestlé (Nahrungsmittel), wobei das Tiefsteuergebiet Schweiz jeweils eine zentrale Rolle spielt. Während die im Oktober veröffentlichte Studie von Brot für alle, dem deutschen Netzwerk Steuergerechtigkeit und Alliance Sud zeigt, dass Socfin den grössten Teil seiner Gewinne im Schweizerischen Freiburg versteuert, obwohl die meiste Arbeit in diesem Konzern auf den Plantagen in Sierra Leone, Liberia oder Kambodscha verrichtet und damit dort auch die Wertschöpfung erzielt wird, zeigt das Beispiel Nestlé in Marokko, wie unverzichtbar eine starke nationale Steuerverwaltung ist: Auf Grund von unsauberen Verrechnungspreisberechnungen drohen dem Schweizer Traditionshaus Steuernachzahlungen in der rekordverdächtigen Höhe von 110 Millionen Dollar. Ohne Steuerbehörden, die dem Konzern ganz genau auf die Finger geschaut haben, wäre dies nicht möglich geworden – es sind aber genau diese Ressourcen, die vielen Entwicklungsländern fehlen.
Für die nächsten zwei Wochen bleibt zu hoffen, dass sich die zentralen AkteurInnen an der UNO-Klimakonferenz in Glasgow von den prominenten TouristInnen in Rom nicht allzu sehr beeinflussen lassen und handeln, statt «Sightseeing» zu betreiben. Die zentralen Forderungen aus einer globalpolitischen Perspektive liegen auf dem Verhandlungstisch: Die reichen Länder müssen wie schon vor zehn Jahren versprochen jährlich 100 Milliarden Dollar für den Kampf gegen die Klimakrise einsetzen und die armen Länder für die erlittenen Schäden («Loss&Damage») entschädigen.
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Nur die Reichen jubeln
07.12.2021, Finanzen und Steuern
Im Oktober haben OECD und G20 die neue internationale Mindeststeuer für multinationale Konzerne abgesegnet. Der in Europa und in Nordamerika als historischer Erfolg gefeierte Beschluss wird in Afrika, Asien und Lateinamerika als ungerecht taxiert.

Pecunia non olet («Geld stinkt nicht»): Am G20-Gipfel in Rom trafen sich Ende Oktober die Staats- und Regierungschefs vor der Fontana di Trevi, um eine eigens für sie geprägte Euro-Münze in den Brunnen zu werfen.
© Roberto Monaldo/Keystone/APA/laPresse
Mitte Oktober haben die über 120 Mitgliedsländer des «Inclusive Framework on BEPS» der OECD und schliesslich auch die G20-Staaten die Einführung einer neuen internationalen Mindeststeuer beschlossen. «Historische Einigung!», «Globale Steuerrevolution!», «Paradigmenwechsel!» erschallte es in der europäischen oder nordamerikanischen Öffentlichkeit. Auf anderen Kontinenten war man weniger begeistert: So kritisierten Steuergerechtigkeits-NGOs aus Afrika und Asien die OECD-Einigung als «Tax Deal of the Rich» und die G24-Länder – eine Allianz von afrikanischen und lateinamerikanischen Regierungen aus Entwicklungs- und Schwellenländern – kritisierte den Verlust an nationaler Steuerautonomie, die die neuen Regeln mit sich bringen würden. So werden Länder, die an ihren unilateralen Digitalsteuern festhalten oder solche neu einführen wollen, unter Sanktionsdruck der OECD geraten. Als Reaktion auf den aus Sicht des Südens ungenügenden Deal, dessen Inhalt wesentlich durch einen Kompromiss zwischen den USA, Deutschland, Frankreich und den wichtigsten Konzernsteueroasen wie Irland, Holland, Luxemburg und der Schweiz ausgehandelt wurde, reichten die G77-Länder (die Entwicklungsländer-Gruppe bei der UNO) eine Resolution für ein intergouvernementales Organ unter dem Dach der UNO ein, das die politische Führung in der internationalen Steuerpolitik von der OECD übernehmen soll und entsprechend eine viel bessere Repräsentation der ehemaligen Kolonialstaaten des globalen Südens erreichen würde.
Entwicklungspolitisch wirkungslose OECD-Mindeststeuer
Die Reform ist aus der Perspektive des globalen Südens vor allem aus zwei Gründen mangelhaft. Erstens sind die gesamte Rohstoffindustrie und der Finanzsektor von der Umverteilung von Steuersubstrat ausgenommen. Länder im globalen Süden, die stark vom Rohstoffabbau abhängig sind, werden also keine zusätzlichen Rechte zur Besteuerung von Gewinnen der Rohstoffindustrie erhalten. Ausserdem gilt die Säule 1 (Umverteilung von Konzerngewinnen von den Sitzstaaten in die Marktländer) nur für Konzerne, die einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Dollar und eine Gewinnquote von über 10% ausweisen. Global sind davon nur etwa 100 Konzerne betroffen, in der Schweiz mutmasslich nur die Giganten Novartis, Roche, Nestlé und Schindler. Von dieser Umverteilung profitieren werden hauptsächlich reiche Länder mit grossen Binnenmärkten wie die USA oder Deutschland.
Zweitens ist der vorgesehene Mindeststeuersatz in der Säule 2 von 15% viel zu tief angesetzt und kann nur von Ländern angewendet werden, in denen der jeweilige Konzern seinen Hauptsitz hat. Und auch dort nur, wenn dieser Konzern einen Jahresumsatz von über 750 Millionen ausweist. Für den globalen Süden ist die aus seiner Sicht gescheiterte OECD-Reform verheerend: Denn Entwicklungsländer leiden stark unter den Gewinnverschiebungen der Konzerne, die das aktuelle Steuersystem ermöglicht. Gemäss einer Berechnung der Ökonomen Petr Janský und Miroslav Palanský (2019) verlieren sie durch Gewinnverschiebungen in die Konzernzentren des Nordens jährlich Steuereinnahmen in der Höhe von 30 Milliarden Dollar. Eine bessere Mobilisierung einheimischer Steuermittel («domestic revenue mobilization») – wie sie auch von der Schweiz als eines der Ziele ihrer technischen Entwicklungszusammenarbeit definiert wird – kann aber nur gelingen, wenn die Abflüsse von Steuersubstrat in Tiefsteuergebiete unterbunden werden. Seit vierzig Jahren haben multinationale Konzerne mit wohlwollender Hilfe ihrer Sitzstaaten im globalen Norden diese Steuervermeidungspraktiken stetig ausgebaut. Daran werden die von der OECD und den G20-Staaten nun verabschiedeten Reformsäulen nichts ändern.
Nestlé, Glencore, Socfin: Neue Steuervermeidungsfälle in der Schweiz
Dass die neuen OECD-Regeln nicht ausreichen, zeigen auch jüngst bekanntgewordene Steuervermeidungsfälle von Konzernen wie Socfin (Palmöl- und Kautschukhandel), Glencore (Öl, Kupfer, Kohle und andere Rohstoffe) und Nestlé (Nahrungsmittel), in denen das Tiefsteuergebiet Schweiz jeweils eine zentrale Rolle spielt. Während die kürzlich veröffentlichte Studie «Cultivating Fiscal Inequality» von Brot für alle, dem deutschen Netzwerk Steuergerechtigkeit und Alliance Sud zeigt, dass Socfin den grössten Teil seiner Gewinne im Schweizerischen Freiburg versteuert, obwohl die meiste Arbeit des Konzerns auf den Plantagen in Sierra Leone, Liberia oder Kambodscha verrichtet und damit dort auch die Wertschöpfung erzielt wird, zeigt das Beispiel Nestlé in Marokko, wie unverzichtbar eine starke nationale Steuerverwaltung ist: Auf Grund von unsauberen Verrechnungspreisberechnungen drohen dem Schweizer Traditionshaus Steuernachzahlungen in der rekordverdächtigen Höhe von 110 Millionen Dollar. Ohne Steuerbehörden, die dem Konzern auf die Finger geschaut haben, wäre dies nicht möglich geworden. Es sind aber genau diese Ressourcen, die vielen Entwicklungsländern fehlen. Ein weiterer Bericht, der Ende Oktober von der Recherche-NGO CICTAR (Centre for International Corporate Tax Accountability and Research) publiziert wurde, zeigt Gewinnverschiebungen des Rohstoffkonzerns Glencore aus Australien in den Kanton Zug im Zusammenhang mit dessen Kohlegeschäft auf. Auch wenn es hier nicht direkt um entwicklungspolitische Zusammenhänge geht, zeigt die Studie, wie Glencores Sitzkanton Zug von einem der klimatologisch schädlichsten Geschäfte überhaupt direkt steuerlich profitiert. Nicht nur volkswirtschaftlich stellt sich die Schweiz mit ihrem Tiefsteuersystem für multinationale Konzerne einer gerechten ökologischen Transformation der Weltgesellschaft entgegen. Sie tut das auch direkt politisch.
Die Schweiz als Anwältin der Konzerne bei der OECD
In einer Allianz mit anderen Tiefsteuergebieten wie Irland, Luxemburg, Holland oder Ungarn setzt sich die Schweiz in steuerpolitischen Verhandlungen bei der OECD jeweils für möglichst lasche Reformen ein. Sie hat das auch im jüngsten Reformprozess wieder getan. Das zeigt ein veröffentlichter Brief, den SVP-Finanzminister Ueli Maurer im August an den neuen OECD-Generalsekretär Mathias Cormann schickte. Darin verlangt Maurer Abzüge bei der Mindeststeuer für Konzerngesellschaften, die Forschung&Entwicklung betreiben (im Interesse der Basler Pharmariesen) und schlägt eine zusätzliche Regel vor, wonach multinationale Konzerne entrichtete CO2-Steuern von ihren Gewinnsteuern abziehen könnten. Ein absurder Vorschlag: Multinationale Konzerne torpedieren mit ihren Steuervermeidungspraktiken globale Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise und sollen gleichzeitig für ihre Lenkungsabgaben entschädigt werden, die ja gerade klimaschädliches Wirtschaften verteuern sollten, um die Firmen zu Investitionen in grüne Technologie zu bewegen.
In seiner Antwort entlarvt Corman Maurers Vorschlag denn auch als Schnapsidee: «CO2-Steuern sind Steuern auf Inputs [besteuert wird der CO2-Ausstoss in der Produktion, Anm. DG] und nicht auf Einkommen [ergo Konzerngewinne, Anm. DG] und passen daher nicht in den konzeptionellen Rahmen und das Design der beiden Säulen [Übersetzung aus dem Englischen DG]». Umso bemerkenswerter ist es, dass Maurer mit seinem ersten Anliegen, neue Abzüge von der Mindeststeuer für die Pharmakonzerne zu etablieren, offenbar mehr Erfolg hatte. In der «Handelszeitung» vermeldete das Finanzdepartement nach der OECD-Einigung nämlich stolz folgendes als einen Schweizer Erfolg in Paris: Indem die Konzerne Personal- und Infrastrukturkosten als Abzüge geltend machen können, reduziert sich ihr steuerbares Einkommen in den ersten fünf Jahren nach Einführung der Mindeststeuer um 10 bzw. 8 Prozent (danach je um 5). Die Kosten dieser Abzüge gehen auf Kosten des Schweizer Fiskus. Das beim EFD zuständige Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) vertritt bei der OECD also nicht nur nicht die Interessen eines globalen Gemeinwesens, sondern nicht einmal die nationalen Interessen des Schweizer Gemeinwesens, sondern ganz einfach nur jene der hier angesiedelten multinationalen Konzerne. Das zeigt: Wer sich in der Schweiz für eine weltweit gerechtere Steuerpolitik und einen Paradigmenwechsel im hiesigen Tiefsteuergebiet einsetzen will, kann sich weder auf die OECD noch auf den Bundesrat verlassen. Fortschrittliche politische Kräfte und die Zivilgesellschaft sind hier gefragt.
Wie die Schweiz die OECD-Reform verbessern könnte
Die ermutigende Nachricht dabei: Die von der OECD ausgearbeitete Mindeststeuer liesse sich mit relativ wenigen technischen Veränderungen so verbessern, dass auch arme Produktionsländer von ihr profitieren würden. Und zwar mit der METR («Minimum Effective Tax Rate for Multinationals»). Diese wurde von zivilgesellschaftlichen Kräften in internationaler Zusammenarbeit mit ÖkonomInnen und SteuerrechtlerInnen entwickelt. Sie setzt grundsätzlich auf die gleichen technischen Konzepte wie die OECD. Sie baut deren Mindeststeuer aber erstens so um, dass die METR von einzelnen Ländern bzw. von Ländergruppen gemeinsam umgesetzt werden kann, ohne dass – im Gegensatz zur Umsetzung der Säule 2 der OECD – ein neues multilaterales Abkommen oder Änderungen bei den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen nötig wären, was eine weitere Schwäche des OECD-Konzepts ist. Zweitens ist die METR für Sitz-, Absatz- und Produktionsländer von Konzernen gleichermassen anwendbar. Dabei werden in einem ersten Schritt die gesamten unterbesteuerten Gewinne innerhalb eines Konzerns berechnet. Was unterbesteuerte Gewinne sind, wird wie im OECD-Vorschlag über einen Mindeststeuersatz definiert. Was unter diesem liegt, gilt als unterbesteuert. Während die Säule 2 der OECD einen Mindeststeuersatz von 15% vorschreibt, würde die METR einen solchen von 25% voraussetzen und sich so am aktuellen globalen Durchschnitt orientieren, der knapp darunter liegt.
In einem zweiten Schritt sollen diese unterbesteuerten Gewinne so jenen Ländern zugeordnet werden, in denen die Wertschöpfung eines Konzerns tatsächlich stattfindet. Dies stellt eine Formel sicher («formulary apportionment»), die a) Kapital (physische Werte), b) Personal und c) Umsatzerlöse eines Konzerns in einem bestimmten Land berücksichtigt.
In einem dritten Schritt können die einzelnen Staaten diese bei ihnen lokalisierten Gewinne autonom nach ihrem nationalen Steuerrecht besteuern. Dadurch kann zumindest teilweise sichergestellt werden, dass die Gewinne eines multinationalen Konzerns auch tatsächlich dort versteuert werden, wo ein bestimmter Wert, aus dem die Gewinne resultieren, hergestellt (in den Produktionsländern) bzw. abgesetzt (in den Marktländern) wird. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Länder, die die neuen OECD-Regeln umsetzen, gleichzeitig einen Mindeststeuersatz einführen können, der über dem Satz der OECD von 15% liegt. Dies wäre aber eine Voraussetzung dafür, dass auch Entwicklungsländer mit aktuellen Gewinnsteuersätzen von meistens über 25% von der METR profitieren könnten. Grundsätzlich steht es den Mitgliedsländern des «Inclusive Frameworks» der OECD aber frei zu entscheiden, ob sie die OECD-Mindeststeuer einführen wollen oder nicht.
Unter der Voraussetzung, dass die Schweiz politisch bereit wäre, ihr grundsätzliches Geschäftsmodell im Umgang mit multinationalen Konzernen zu überdenken, wäre sie prädestiniert für die Einführung der METR. Sie verfügt als wichtiger Sitzstaat multinationaler Konzerne über die nötigen Informationen zu deren Geschäftspraktiken, die es ihr auch steuerpolitisch ermöglichen, eine Implementierung der METR voranzutreiben. Zudem wären ihre Chancen hoch, Partnerländer für dieses System zu finden, da die Schweizer Konzernbesteuerung die fiskalische Lage zahlreicher Staaten, die über die entsprechenden multinationalen Konzerne mit der Schweiz verbunden sind, wesentlich beeinflusst. Würde sie diese Partner zum Beispiel unter den Ländern im globalen Süden suchen, in denen Schweizer Konzerne Rohstoffe abbauen, oder unter jenen Schwellenländern, die als Absatzmärkte für Konsumgüterkonzerne aus der Schweiz – wie Nestlé oder Procter&Gamble –, gelten, wäre eine Schweizer Einführung der METR ein substantieller Beitrag zu einer wirkmächtigen Schweizer Entwicklungspolitik.
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Medienmitteilung
OECD-Mindeststeuer: Die Schweiz muss nachbessern
23.06.2022, Finanzen und Steuern
Der Bundesrat hat heute seinen Umsetzungsvorschlag der jüngsten OECD-Reform vorgestellt. Jenen Ländern, die von Schweizer Konzernen schon bisher um Steuereinnahmen geprellt wurden, hilft sie nicht.

Die Steuergerechtigkeit bleibt mit dem Vorschlag des Bundesrates auf der Strecke
© Thorben Wengert / pixelio.de
Der Bundesrat hat heute seinen Umsetzungsvorschlag der jüngsten OECD-Reform vorgestellt. Jenen Ländern, die von Schweizer Konzernen schon bisher um Steuereinnahmen geprellt wurden, hilft sie nicht. Alliance Sud verlangt eine Rückverteilung der Zusatzeinnahmen in Länder mit niedrigen Einkommen, in denen Schweizer Konzerne produzieren. Das Schweizer Kompetenzzentrum für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik wird dabei von ATAF, dem Forum der afrikanischen Steuerbehörden, unterstützt.
Noch im Frühling 2021 versprachen viele Staaten, dass das internationale Konzernsteuersystem mit der Einführung einer Mindeststeuer fairer werde. Die Botschaft des Bundesrates zeigt nun aber: Die Schweizer Regierung will von diesem Ziel nichts wissen. Im Gegenteil: Was eigentlich die Besteuerung von multinationalen Konzernen in Staaten hätte verbessern sollen, die bisher von massiver Steuervermeidung dieser globalen Unternehmen betroffen waren, würde gemäss dem Vorschlag des Bundesrates nun zu Mehreinnahmen ausgerechnet in jenen Staaten führen, die diese Steuervermeidung bisher erst ermöglichten. Dazu gehört an vorderster Front auch die Schweiz.
Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei Alliance Sud: «Die Mehreinnahmen aus der Mindeststeuer von 15% gehen nicht in jene Länder, die in den letzten Jahrzehnten wegen des sogenannten «Race to the bottom» Milliarden Steuereinnahmen verloren, sondern erneut in Steuerfluchthäfen wie die Schweiz.» Seit der Jahrtausendwende konkurrenzierte sie mit Irland, Luxemburg oder Holland mit immer tieferen Gewinnsteuersätzen um die Gunst multinationaler Konzerne. Diese versteuern ihre Gewinne dank zahlreichen Lücken im internationalen Steuersystem nicht dort, wo sie sie erwirtschaften, sondern dort, wo sie dafür mit den tiefsten Steuersätzen belegt werden.
Steuergerechtigkeit bleibt auf der Strecke
Im vergangenen Jahr lobbyierten diese Tiefsteuerländer in den OECD-Verhandlungen für technische Änderungen bei der Mindeststeuer – mit Erfolg zu ihren Gunsten: So sagte der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer kürzlich in der NZZ: «Dass der Mindeststeuersatz bei der globalen Unternehmenssteuerreform heute bei 15 Prozent ist, und zwar ohne das Wort «mindestens», ist dem geschlossenen Auftreten der kleinen, innovativen und investitionsstarken Volkswirtschaften zu verdanken.» Mit anderen Worten: den Steuerfluchthäfen für Konzerne. Auf der Strecke bleiben erneut ökonomisch benachteiligte Abbauländer von Schweizer Rohstoffkonzernen in Afrika, Asien und Lateinamerika, wo die eigentliche Wertschöpfung stattfindet.
Wie das Parlament korrigieren muss
Dominik Gross: «Das Parlament muss nun korrigieren, damit die Mindeststeuer in der Schweiz doch noch einen Beitrag für mehr globale Steuergerechtigkeit und für eine nachhaltige Entwicklung der Welt leistet.» Alliance Sud schlägt drei Verbesserungen vor:
1) Der Bund muss einen Grossteil der Mehreinnahmen einziehen, nicht die Kantone.
2) Die Schweiz sollte bei Konzernen, die in Ländern produzieren, die gemäss Weltbank als arme Länder («lower middle income bzw. low income countries») gelten, auf die Anwendung der nationale Ergänzungssteuer («Top-Up Tax») verzichten, so dass diesen ermöglicht werden kann, die Konzerngewinne entsprechend selbst zu besteuern. Diese Forderung von Alliance Sud wird vom Forum der afrikanischen Steuerbehörden (ATAF) unterstützt. Anthony Munanda, Senior International Tax Advisor von ATAF sagt: «Es gibt einige Schweizer Konzerne, die in afrikanischen Ländern tätig sind und die in der Schweiz mit der Mindeststeuer belegt werden können. Wenn die Schweiz bei diesen Firmen auf die Anwendung der nationalen Ergänzungssteuer verzichtet, kann ein Teil des gesamten Steuersubstrats dieser Firmen in den betreffenden afrikanischen und anderen Entwicklungsländern versteuert werden (lesen Sie hier den gesamten Kommentar von ATAF zu unserem Vorschlag).
3) Mindestens ein Drittel der Mehreinnahmen des Bundes sollen als Ausgleich für den Schaden, den Schweizer Konzerne in ökonomisch benachteiligten Ländern im Globalen Süden anrichten, in die internationale Klimafinanzierung der UNO fliessen.
Mehr Informationen:
Dominik Gross, Experte Steuerpolitik Alliance Sud, dominik.gross@alliancesud.ch, +4178 838 40 79
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Medienmitteilung
OECD-Mindeststeuer: Geld gehört dem Globalen Süden
28.09.2022, Finanzen und Steuern
Der Ständerat hat über die Einführung der OECD-Mindeststeuer in der Schweiz entschieden. Er will damit ausgerechnet die Tiefsteuerkantone belohnen. Alliance Sud verlangt vom Nationalrat eine Korrektur und die Rückverteilung in den Globalen Süden.

© Services du Parlement 3003 Bern
Der Ständerat hat heute über die Einführung der OECD-Mindeststeuer in der Schweiz entschieden. Er will damit ausgerechnet die Tiefsteuerkantone belohnen. Alliance Sud verlangt vom Nationalrat eine Korrektur und die Rückverteilung eines Teils der Zusatzeinnahmen in die Länder, in denen Schweizer Konzerne mit Hilfe der hiesigen Tiefsteuerpolitik Steuern vermeiden. Andernfalls kann Alliance Sud diese Vorlage in der Volksabstimmung vom kommenden Jahr nicht unterstützen.
Eigentlich wollte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit der Einführung der Mindeststeuer das internationale Konzernsteuersystem fairer gestalten und die Besteuerung von multinationalen Konzernen in Staaten verbessern, die von massiver Steuervermeidung dieser globalen Unternehmen betroffen sind. Der Ständerat will von diesem Ziel aber nichts mehr wissen. Im Gegenteil: Die Mehreinnahmen sollen nun vor allem jenen Schweizer Tiefsteuerkantonen zu Gute kommen, die ihren Firmen das Steuerdumping in anderen Ländern erst ermöglichen: Er will nämlich 75% der zusätzlichen Einnahmen den Kantonen überlassen. Auf Grund der Ausgestaltung der nationalen Ergänzungssteuer (lesen Sie hier unser Analysepapier dazu), mit der die OECD-Mindeststeuer in der Schweiz umgesetzt werden soll, profitierten davon just Steuerdumping-Kantone wie Zug, Waadt oder Basel-Stadt.
Die Interessenverbände der Konzerne, die bürgerliche Mehrheit des Ständerates und Regierungs-VertreterInnen aus den Tiefsteuerkantonen wollen die Mindeststeuer-Mehreinnahmen den Konzernen im Rahmen von Standortförderungsmassnahmen zudem wieder zurückgeben. Aus Sicht von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, torpediert dieser Ansatz die Idee der OECD-Mindeststeuer vollumfänglich. Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei Alliance Sud, sagt: «Der Ständerat will mit den Konzernen ausgerechnet jene belohnen, die das Steuerdumping vorantreiben. Damit das nicht passiert, muss der Nationalrat nun korrigieren und einen möglichst hohen Anteil der Zusatzeinnahmen dem Bund zuweisen.»
Mehr Geld für die Klimafinanzierung oder die internationale Zusammenarbeit
Alliance Sud verlangt sodann, dass diese Mehreinnahmen beim Bund zu einem fairen Anteil an jene Länder zurückfliessen müssen, aus denen die Gewinne verschoben werden, weil multinationale Konzerne in der Schweiz von Dumping-Steuersätzen profitieren. Dies kann über zusätzliche Zahlungen an die internationale Klimafinanzierung der UNO oder durch eine entsprechende Erhöhung des Bundesbudgets für die internationale Zusammenarbeit geschehen.
Dominik Gross: «Sollte die Schweiz sämtliche ihrer Zusatzeinnahmen für sich beanspruchen, kann Alliance Sud diese Vorlage in der Volksabstimmung, die für Juni 2023 vorgesehen ist, nicht unterstützen, da sie mit einer solchen Umsetzung den Produktionsländern von Schweizer Konzernen gar nichts oder sogar Nachteile bringt.»
Mehr Informationen:
Dominik Gross, Experte Steuerpolitik Alliance Sud, dominik.gross@alliancesud.ch, Tel. +4178 838 40 79
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Konzernlobby spielt Steuerfranken-Versenkis
03.10.2022, Finanzen und Steuern
Was der Bundesrat und die Konzernlobbies als harmlose Förderung der Schweizer Schifffahrtsindustrie verkaufen, könnte zum grossen Steuerschlupfloch für die Schweizer Rohstoffkonzerne werden und die neue OECD-Mindeststeuer unterlaufen.

Die Rohstoffbranche profitiert von der Krise – und bald von tieferen Steuern in der Schweiz?
© Stefanie Probst
Aus der Perspektive der FreundInnnen der Schweizer Tiefsteuerpolitik kamen die RohstoffhändlerInnen in der Schweiz in den letzten Jahren etwas zu kurz. Im Rahmen der letzten Unternehmenssteuerreform von 2019 (Steuerreform und AHV-Finanzierung STAF) schuf der Bund die alten Steuerprivilegien für Holdings und gemischte Gesellschaften ab (Schweizer Firmen konnten damit im Ausland erwirtschaftete Gewinne zum Nulltarif versteuern), von denen die Rohstoffkonzerne in der Vergangenheit stark profitiert hatten. Während die bürgerliche Mehrheit in Bundesbern für Pharma- oder Konsumgüterkonzerne neue auf diese Branchen zugeschnittene Spezialrabatte als Ausgleich für die alten Privilegien schufen, ging die Rohstoffbranche leer aus.
Das soll nun nachgeholt werden: mit der sogenannten «Tonnage Tax». Zwar geht es dabei vordergründig nur um eine Steuererleichterung für Schweizer Reeder, doch zwischen diesen und den Rohstoffhändlern bestehen enge Verbindungen, wie auch der Bundesrat in der Botschaft zur Tonnage Tax festhält. Ausserdem gilt schon heute: Wenn ein Rohstoffhändler seiner konzerninternen Schifffahrtsgesellschaft überteuerte Frachttarife zugesteht − was in der Praxis nicht aufgedeckt werden kann −, können Gewinne in anderen Gesellschaften derselben Gruppe reduziert und damit Steuerzahlungen vermieden werden.
Wiedergeburt eines bereits abgeschriebenen Konzepts
Bei der letzten Unternehmenssteuerreform strich der Bundesrat die Steuer noch vom Menü, vor allem wegen verfassungsrechtlicher Bedenken. Mit der Tonnage Tax sollen Schiffe nicht mehr nach dem Gewinn besteuert werden, die ihre Betreiber mit ihnen erwirtschaften, sondern nach dem Frachtvolumen. Anschliessend soll der so ermittelte «Reingewinn» aus der Schifffahrt den übrigen Gewinnen aus anderen Tätigkeitsbereichen einer Firma angerechnet werden. Weil hier bestimmte Unternehmen grundsätzlich anders als gemäss der ordentlichen Gewinnsteuer besteuert werden sollen, zweifelte der Bundesrat damals an der Vereinbarkeit mit dem Verfassungsgrundsatz der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und gab dazu zwei Rechtsgutachten in Auftrag.
Diese kamen 2015 zu gegenteiligen Schlüssen: Während Robert Danon aus Lausanne zu einer negativen Einschätzung kam, bestätigte Xavier Oberson aus Genf die Verfassungsmässigkeit. Beide Rechtsprofessoren verfügen übrigens auch über lukrative Mandate bei Wirtschaftskanzleien, die die Steuern für Unternehmen optimieren. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Gutachten ist, dass Oberson die Seeschifffahrt im Gegensatz zu Danon als in der Schweiz in ihrer Existenz gefährdet beurteilt und somit gemäss Art. 103 BV die Einführung dieser Pauschalbesteuerung als strukturpolitische Massnahme gerechtfertigt sieht.
Das ist angesichts der enormen Bedeutung der Schifffahrt für die Weltwirtschaft und ihrer engen Verzahnung mit den Rohstoffhändlern – sie gehören zu den grössten und profitabelsten Unternehmen in der Schweiz – eine recht bizarre Aussage. Dem Bundesrat war die Sache damals zu heiss, heute hat er die Zweifel offenbar überwunden, ohne dass sich an der verfassungsrechtlichen Ausgangslage etwas geändert hätte.
Neben den Zweifeln an ihrer Verfassungsmässigkeit birgt die Gesetzesvorlage noch zwei weitere wesentliche Probleme:
- Das Besteuerungsniveau: Es würde sich im Vergleich mit den ordentlichen Gewinnsteuersätzen in allen Schweizer Kantonen stark reduzieren. Wie die Rechtsgelehrten Mark Pieth und Kathrin Betz in ihrem neuen Buch zur Reederei-Branche in der Schweiz zeigen, resultiert mit der Einführung der Tonnage Tax ein durchschnittlicher effektiver Gewinnsteuersatz von ca. 7%. Das liegt deutlich unter den 11%, die der Rohstoff-Hub Zug als steuergünstigster Kanton Glencore und anderen Konzernen gewährt. Der Bundesrat will ausserdem zusätzliche Steuerermässigungen erlauben, je umweltfreundlicher die Antriebssysteme der Schiffe sind. Wird die maximale Veranlagung von 20 Prozent gewährt, kann die durchschnittliche Besteuerung bis auf 5,6 Prozentpunkte sinken. Besonders stossend dabei ist, dass der Bundesrat die mit der Tonnage Tax besteuerten Gewinne aus der neuen OECD-Mindeststeuer ausnehmen will, die garantieren soll, dass multinationale Konzerne in der Schweiz mit mindestens 15% besteuert werden. Die Einführung einer Tonnage Tax unterläuft also die internationalen Bestrebungen, das «Race to the bottom» bei den Unternehmenssteuern auf einem ohnehin schon tiefen Punkt zu bremsen.
- Fehlende Umwelt- und Sozialstandards auf den Schiffen: Der Bundesrat und bis jetzt auch die Wirtschaftskommission des Nationalrates (letztere wird das Geschäft voraussichtlich erst Mitte November fertig beraten) wollen das neue Steuerprivileg nicht an ein sogenanntes Flaggenerfordernis knüpfen. Ein Flaggenerfordernis würde bedeuten, dass Schifffahrtsgesellschaften nur bei jenen Schiffen von der Tonnage Tax profitieren könnten, die unter Schweizer Flagge oder einer Flagge aus dem EWR-Raum (EU-Länder plus Island, Norwegen und Liechtenstein) fahren. Damit würde für die Reeder ein Anreiz geschaffen, ihre Schiffe nicht in sogenannte Billigflaggenländer auszulagern, die der Schifffahrtsindustrie als fast rechtsfreie Räume dienen, in denen sie kaum staatliche Vorgaben für ihr Geschäft erfüllen müssen. Bei Schiffen unter Schweizer Flagge könnte die Schweiz die Reeder entsprechend zu besseren Umwelt- und Arbeitsstandards verpflichten. Nach Einschätzung von Pieth/Betz hätte «die Tonnagesteuer, so problematisch sie sein mag, [..] immerhin indirekte Vorteile: Wer mindestens 60 Prozent der Flotte im EWRRaum oder in der Schweiz einflaggen müsste, würde unter Umständen den Regeln der EU gegen die wilde Verschrottung in Südasien unterworfen werden». Allerdings zeigt die Diskussion um Konzernverantwortung in der Schweiz auch, dass der Wille zu höheren Standards im Bereich von Wirtschaft und Menschenrechten bei der bürgerlichen Mehrheit in Bundesbern äusserst bescheiden ist.
Verfassungsrechtlich bedenklich, die OECD-Mindeststeuer unterlaufend und frei von Sozial- und Umweltstandards: In jener Version, wie die Tonnage Tax zurzeit in der Wirtschaftskommission des Nationalrates behandelt wird, würde ihre Einführung dem zweifelhaften Ruf der Schweiz als Steuerparadies für Konzerne alle Ehre machen. Profitieren würden davon zudem ausgerechnet jene Konzerne, denen Krieg und Energiekrise Rekordgewinne in die Kassen spülen: So machte Glencore aus dem zugerischen Baar – nach Vitol (sitzt auch in der Schweiz) die zweitgrösste Ölhändlerin der Welt – im ersten Halbjahr 22 einen Rekordgewinn von 12 Milliarden US-Dollar. Statt ausgerechnet diesen KriegsgewinnlerInnen zusätzliche Steuerdumpingmöglichkeiten zu verschaffen, sollten National- und Ständerat diese Kriegsgewinne mit einer Übergewinnsteuer abschöpfen und in die Bekämpfung der globalen Vielfachkrise stecken.
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OECD-Mindeststeuer: so sicher nicht
14.12.2022, Finanzen und Steuern
Ursprünglich verfolgte die OECD mit der neuen Mindeststeuer die Idee, das internationale Konzernsteuersystem etwas fairer zu gestalten. Das Parlament in Bern kehrt sie nun in ihr Gegenteil um. Alliance Sud lehnt die Reform deshalb ab.

Steuerschlupflöcher untergraben die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer in der Schweiz: Alliance Sud wird sie deshalb ablehnen.
© Parlamentsdienste 3003 Bern
Technisch ist die Mindeststeuer sehr kompliziert, eine Rechnung aber ist einfach. Der abtretende Schweizer Finanzminister Ueli Maurer rezitiert sie seit Monaten: «Wenn die Schweiz das zusätzliche Geld nicht nimmt, nehmen es andere.» Mit dieser Botschaft holt Maurer sogar die allermeis-ten ApologetInnen der Schweizer Tiefsteuerpolitik ab. Gegen alle ihre Widerstände: Zwar ist für diese – wie grundsätzlich auch für Maurer selbst – jede Steuererhöhung des Teufels. Ihr National-egoismus ist aber etwas stärker als ihre neoliberalen Prinzipien.
Setzt man sich hingegen für mehr globale Steuergerechtigkeit in der Schweizer Steuerpolitik ein, müsste man Maurers Rechnung genau umgekehrt machen. Der Nationalrat hat heute beschlossen, die OECD-Regeln der Mindeststeuer in eine sogenannten «nationale Ergänzungssteuer» zu übersetzen. Letztere führt dazu, dass multinationale Konzerne, die in der Schweiz bisher von einem effektiven Steuersatz (Steuersatz auf dem steuerbaren Gewinn nach allen Abzügen) von weniger als 15% profitierten, mit einer Zusatzsteuer belegt werden, die die Steuersätze in Zukunft auf das OECD-Minimum von 15% anhebt. Wenn ein Rohstoffkonzern im Kanton Zug bisher einen auch im internationalen Vergleich äusserst tiefen Steuersatz von 11% genoss, muss er also in Zukunft eine Zusatzsteuer auf seine in Zug ausgewiesenen Gewinne von 4% bezahlen. So weit so gut, die nationale Ergänzungssteuer hat aber aus entwicklungspolitischer Sicht einen grossen Haken: Wenn die Schweiz die hiesigen Hauptsitze und Tochtergesellschaften eines multinationalen Konzerns mit dieser belegt, können es gemäss den neuen Regeln der OECD die anderen Länder, in denen derselbe Konzern ebenfalls Tochtergesellschaften hat, nicht mehr tun.
Die Schweizer Umsetzung ist kein Beitrag zu mehr globaler Steuergerechtigkeit
Für wirtschaftlich benachteiligte Länder im globalen Süden, in denen Schweizer Konzerne zum Beispiel Agrarrohstoffe oder Medikamente produzieren, ist das aus den folgenden Gründen ein grosses Problem:
a) Die Gewinnsteuersätze in den Produktionsländern des globalen Südens liegen in aller Regel zwischen 25% und 35%. Die viel tiefere Mindeststeuer von 15% sichert ihnen keine zusätzlichen Steuereinnahmen.
b) Multinationale Konzerne verschieben ihre Gewinne, die sie mit der Produktion in Ländern mit hohen Steuersätzen erzielen, in Tiefsteuerländer mit sehr tiefen Steuersätzen. Damit sparen sie sehr viele Steuern in den Produktionsländern, ermöglichen es aber gleichzeitig Schweizer Kantonen, zu niedrigen Steuersätzen Gewinne zu versteuern, die gar nicht in der Schweiz erarbeitet wurden. Das zeigt etwa der Fall des schweizerisch-luxemburgischen Agrarrohstoffhändlers Socfin.
c) Gemäss ForscherInnen um den Ökonomen Gabriel Zucman verschoben multinationale Konzerne im letzten Jahr 111 Milliarden Dollar Gewinne in die Schweiz. 39 Prozent der gesamten Schweizer Gewinnsteuereinnahmen von insgesamt 22,7 Milliarden Dollar stam-men aus Gewinnverschiebungen. Und in dieser Rechnung sind die Gewinnverschiebungen aus vielen Ländern des Südens noch gar nicht enthalten, weil dort die nötigen Daten für solche Berechnungen fehlen. Fälle wie jener von Socfin zeigen aber, dass damit gerechnet werden muss, dass die entsprechenden Beträge solcher Gewinnverschiebungen noch viel höher sind. Die Einführung der OECD-Mindeststeuer verhindert diese Gewinnverschiebungen weder auf internationaler Ebene noch in die Schweiz. Dafür ist der Steuersatz von 15% viel zu tief. Die Schweiz verhandelte diesen Steuersatz in der OECD 2021 aktiv herunter – gemeinsam mit anderen Tiefsteuerländern wie Irland und Luxemburg. Die USA hatte zuvor unter neuer demokratischer Führung noch 21% gefordert. Das zeigt ein Brief von Ueli Maurer an den OECD-Generalsekretär Mathias Corman vom Herbst 2021.
Die wirtschaftlich benachteiligten Länder des globalen Südens gehen also auch mit dieser Reform leer aus. Das machten im Sommer 2022 auch hochrangige VertreterInnen der Vereinigung der afrikanischen Steuerbehörden gegenüber Alliance Sud klar.
National- und Ständerat foutieren sich einmal mehr um globale Steuergerechtigkeit
Alliance Sud schlug deshalb bereits im März 2022 erstmals vor, einen Teil der in der Schweiz zu erwartenden Mehreinnahmen aus der Mindeststeuer an arme Länder im globalen Süden zurückzugeben. Dies wäre über Finanzierungsinstrumente der internationalen Zusammenarbeit oder der internationalen Klimafinanzierung leicht möglich gewesen. In der parlamentarischen Beratung der Vorlage kümmerte sich dann aber niemand um die steuerpolitischen Interessen des globalen Südens.
Letztlich sah sich im Plenum des Nationalrats auch Fabian Molina, SP-Nationalrat und Co-Präsident des Alliance-Sud-Mitglieds Swissaid, gezwungen, seinen entsprechenden Antrag zurückzuziehen. Dieser sah vor, dass die Mehreinnahmen aus der Mindeststeuer hälftig in die internationale Klimafinanzierung zu Gunsten von Entwicklungsländern und in den Schweizer Finanz- und Lastenausgleich investiert werden sollten. In der Differenzbereinigung schwenkte der Nationalrat schliesslich auf die Position von Bundes- und Ständerat ein: Nun sollen gemäss dem Willen des Parlamentes nur 25% der Mehreinnahmen dem Bund zufliessen und 75% den Kantonen – namentlich handelt es sich dabei vor allem um die beiden prominenten Konzerntiefsteuergebiete Zug und Basel-Stadt. Die Art der Verwendung der zusätzlichen Einnahmen ist auch bereits absehbar: Beim Bund sollen die Einnahmen gemäss Bundesbeschluss explizit für Standortförderungsmassnahmen verwendet werden. In den Kantonen sind solche ebenfalls absehbar – wahrscheinlich vor allem in Form von Senkungen der Kapitalsteuern oder jener von natürlichen Personen mit hohen Einkommen, sprich von Konzern-Managern. Auch Forschungsförderungsmassnahmen für (pharmanahe) Start-ups (in Basel) oder direkte Subventionierungen von Löhnen in den Konzernen werden diskutiert.
Nein-Parole von Alliance Sud in der Abstimmung vom Juni 2023
Wie schon beim sogenannten AHV-Steuerdeal 2019 (Steuervorlage und AHV-Finanzierung STAF) werden mögliche substantielle Fortschritte in der globalen Steuergerechtigkeit zugunsten von ein paar sozialpolitischen Zückerchen torpediert. Was damals die AHV war, sind heute die Krippen. So wenig die AHV-Zusatzfinanzierung damals die strukturellen Probleme in der Schweizer Altersvorsorge löste, tut das heute der schon im Nationalrat gescheiterte Vorschlag der zusätzlichen Krippenfinanzierung. Seit der STAF-Abstimmung von 2019 haben es auch die fortschrittlichen Parteien in der Schweiz verpasst, eine Politik zu entwickeln, die soziale Gerechtigkeit im Inland mit einer solidarischen Aussenwirtschaftspolitik zu verbinden, mit der man in der Realpolitik diese beiden politischen Grundsätze der Linken nicht dauernd gegeneinander ausspielen muss. Allerdings ist es nicht einmal sicher, dass mit der Einführung der Mindeststeuer einst sehr viel mehr Geld für sozialpolitische Massnahmen zur Verfügung stehen wird: Das Umsetzungskonzept der Mindeststeuer, wie es der Bundesrat dem Parlament vorgelegt hat, ist nämlich wiederum voller Steuerschlupflöcher. Auch um diese haben sich National- und Ständerat in den letzten Monaten nicht gekümmert. Der Verdacht liegt deshalb nahe, dass die bürgerliche Mehrheit in Bern die Mindeststeuer nur deshalb einführen will, weil sie damit Schweizer Konzerne davor verschonen kann, bei ihren Niederlassungen im Ausland mehr Steuern abliefern zu müssen. Ob das tatsächlich zu Mehreinnahmen in der Schweiz führt, scheint nicht so wichtig zu sein.
Das geht letztlich auf Kosten der breiten Bevölkerungen in der Schweiz wie in der ganzen Welt: Während in armen Ländern des globalen Südens wegen des Steuerdumpings von Schweizer Konzernen Geld für Spitäler und Schulen weiterhin fehlt, werden die Bürgerlichen in der Schweiz dafür sorgen, dass einmal mehr jene von der Mindeststeuer profitieren, die das Steuerdumping selbst vorantreiben.
Alliance Sud kann eine weitere Konzernsteuerreform, von der letztlich vor allem die Konzerne selbst profitieren, nicht akzeptieren. Sie schadet den Entwicklungsländern direkt: Wenn die Schweiz sie nämlich nicht einführen würde, hätten Produktionsländer von Schweizer Konzernen, die in der Schweiz weniger als 15% zahlen, die Möglichkeit, die OECD-Mindeststeuer bei sich einzuziehen. Alliance Sud wird deshalb die Nein-Parole für die Volksabstimmung vom nächsten Juni beschliessen.
Für weitere Auskünfte: Dominik Gross, Experte Steuerpolitik Alliance Sud, dominik.gross@alliancesud.ch, Tel.+4178 838 40 79
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Medienmitteilung
Nein zum Belohnungsprogramm für Konzerne
24.04.2023, Finanzen und Steuern
Der Bundesrat stellt heute seine Argumente für die Abstimmung vom 18. Juni zur Umsetzung der OECD-Mindeststeuer vor. Für Alliance Sud ist klar: Diese Vorlage belohnt Tiefsteuerkantone und multinationale Konzerne für ihr Steuerdumping.

© Thorben Wengert / pixelio.de
Schweizer Konzerne verschieben jährlich Gewinne in der Höhe von über 100 Milliarden Dollar ins Tiefsteuerland Schweiz. In Zug, Basel-Stadt, Waadt oder Genf steigen damit die Steuereinnahmen. In Ländern, die sich die Förderung von aggressiver Steuervermeidung nicht leisten können, sinken sie dramatisch. Gewinne werden nicht dort versteuert, wo sie erarbeitet wurden, sondern dort, wo die Konzerne dafür am wenigsten Steuern zahlen.
Vor Jahren wollte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) diesem Spiel ein Ende setzen und schlug die Einführung einer Untergrenze bei den Konzernsteuersätzen vor, die seit Jahrzehnten gesunken waren. Die Mindeststeuer hätte zu einer «Revolution» für mehr Steuergerechtigkeit führen können. Doch Tiefsteuerländer wie Irland, Singapur oder die Schweiz bauten sie mit geschicktem Lobbying bei der OECD zu einem Belohnungsprogramm für sich selbst um. Ein Ja am 18. Juni würde dieses nicht nur in der Schweiz in Kraft setzen – es gäbe für die hiesigen Konzerne sogar noch den Zuckerguss eines «Sweet Swiss finish» obendrauf. Denn mit den zusätzlichen Einnahmen sollen neue Standortförderungsmassnahmen finanziert werden. Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei Alliance Sud, sagt: «Von den Mehreinnahmen aus der OECD-Mindeststeuer würden ausgerechnet jene Konzerne profitieren, die die Schweizer Tiefsteuergebiete benutzen, um andere Länder um ihre Steuereinnahmen zu bringen. Ganz nach dem Motto ‘Wer nimmt, dem wird gegeben’».
Alliance Sud, das Schweiz Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, lehnt die Vorlage in dieser Form deshalb entschieden ab. «Mit einem Nein geben wir Bundesrat und Parlament die Chance, eine bessere Vorlage zu zimmern, von der nicht nur die Konzerne, sondern die Menschen in der Schweiz und in den Produktionsländern der Schweizer Konzerne profitieren», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud.
Die wichtigsten Fragen & Antworten zur Vorlage finden Sie hier, eine ausführliche Begründung unserer Nein-Parole hier.
Weitere Auskünfte:
Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Tel. +4131 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch
Dominik Gross, Verantwortlicher Steuer- und Finanzpolitik Alliance Sud, Tel. +4178 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch
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Artikel
Keine Wellness für Konzerne
11.05.2023, Finanzen und Steuern
Mit einem Nein zur OECD-Mindeststeuervorlage geben wir Bundesrat und Parlament die Chance, eine bessere Vorlage zu zimmern, von der nicht nur die Konzerne, sondern die Menschen in der Schweiz und in den Produktionsländern der Konzerne profitieren.

© Alliance Sud
Vor zwanzig Jahren war ich dabei, als ein verschworenes Grüppchen von Aktivistinnen und Aktivisten das Tax Justice Network gründete. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich mich einmal gegen die Umsetzung einer globalen Mindeststeuer in der Schweiz einsetzen würde, hätte ich die Person für verrückt erklärt.
Dass ich jetzt trotzdem hier sitze, hat nicht damit zu tun, dass sich meine Überzeugungen geändert hätten, sondern damit, dass diese Reform versagt – und erst recht deren Umsetzung in der Schweiz. Sie leistet keinen Beitrag dazu, dass die Länder des Globalen Südens dringend nötige Steuereinnahmen erhalten. Im Gegenteil: Tiefsteuergebiete wie Zug oder Basel-Stadt werden in Zukunft noch dafür belohnt, dass sie anderen Ländern Steuersubstrat weggenommen haben, indem sie multinationalen Konzernen besonders tiefe Steuersätze anboten. Konzerne verschieben jährlich über 100 Milliarden Dollar an Gewinnen aus anderen Ländern in die Schweiz. Aktuell resultieren 39% der gesamten Schweizer Gewinnsteuereinnahmen von Unternehmen aus solchen Gewinnverschiebungen.
In den Produktionsländern des Globalen Südens richtet dieses Geschäftsmodell derweil grossen Schaden an. Durch «profit shifting» in Steueroasen und Tiefsteuerländer fehlen ihnen jährlich Ein-nahmen in der Höhe von 27 Milliarden Dollar; mit anderen Worten, es fehlt Geld für Spitäler, Schulen, Strom, Strassen oder Eisenbahnen. Mit dem ausgehungerten Fiskus steigt auch die Verschuldung. Zurzeit droht über 50 Entwicklungsländern der Staatsbankrott mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung, die bereits unter der Klimakrise, an Hunger und Krieg leidet.
Glencore beispielsweise machte in Sambia in 20 Jahren nie einen Gewinn und bezahlte deshalb dort auch keine Steuern. Der brasilianische Bergbaugigant Vale verbucht einen beträchtlichen Teil seiner weltweiten Gewinne über eine Handelsgesellschaft in KMU-Grösse in der Waadt. Der Luxemburger Agrarkonzern Socfin handelt Kautschuk und Palmöl über den Tiefsteuerkanton Freiburg und die ebenfalls dort domizilierte Socfinco FR, die zu Socfin gehört, stellt konzernintere Dienstleistungen zur Verfügung. Dies ist eine klassische Struktur zur Gewinnverschiebung. Dass Gewinne aus den Produktionsländern (u. a. Liberia, Sierra Leone und Kambodscha) nach Fribourg transferiert werden, lässt sich auch daran ablesen, dass auf einen Mitarbeiter in der Schweiz 100mal mehr Gewinne verbucht werden als auf eine Plantagenarbeiterin in den afrikanischen Produktionsländern. Dies, obwohl die Wertschöpfung bei Socfin natürlich auf den Plantagen stattfindet.
Die Mindeststeuer hätte zu einer Revolution für mehr Steuergerechtigkeit führen können. Doch Tiefsteuerländer wie Irland, Singapur oder die Schweiz bauten sie mit geschicktem Lobbying bei der OECD zu einem Belohnungsprogramm um, denn sie sind es, die die Mehreinnahmen erhalten, und nicht die zuvor geschädigten Länder.» Deswegen sagen hochrangige Vertreter des African Tax Administrators Forum: «The current rules favour residence jurisdictions to the detriment of developing countries which are primarily source jurisdictions». Diese «Entwickungsländer» sind eben auch die «Quellen», also die Herkunftsländer von Gewinnverschiebungen.
Warum nützt die OECD-Reform dagegen nichts? Der vereinbarte effektive Steuersatz von 15% ist viel zu tief. In vielen Ländern des Globalen Südens liegen die Steuersätze noch dort, wo sie vor dem «race to the bottom» auch in den Industrieländern üblich waren, in Afrika etwa zwischen 25 und 35%. Die Schweiz setzte sich nicht nur erfolgreich für den zu tiefen Mindeststeuersatz ein, Bundesrat Maurer verwarf gegenüber der OECD sogar explizit das Ziel, Mehreinnahmen zu generieren: «Global tax harmonization with the main objective of additional government revenue will not deliver sustainable growth and prosperity.» Diese Aussage ist so wirtschaftspolitisch falsch, wie entwicklungspolitisch fatal.
Auch mit der Reform bleibt die Schweiz eines der Länder mit den tiefsten Konzernsteuern weltweit, und Gewinnverschiebung aus dem Globalen Süden lohnt sich für die Konzerne weiterhin. Ausserdem: Es wird in der Schweiz weiterhin viele Schlupflöcher geben, mit denen Konzerne die Mindeststeuer umgehen können. Anfang Mai wurde bekannt, dass gegen die EU-Direktive zur Umsetzung der OECD-Mindeststeuer Klage eingereicht wurde. Und zwar wegen der Tonnage Tax, einem Schlupfloch, das die Schweiz auch noch einführen will. Wie schon während der Parlamentsdebatte im letzten Jahr wird Alliance Sud bei einer Neuauflage der Reform deshalb verlangen, dass ein Teil der zusätzlichen Einnahmen aus der Mindeststeuer an die Herkunftsländer der illegitimerweise in der Schweiz versteuerten Gewinne zurückgegeben werden muss. Dies kann über zusätzliche Beiträge an die internationale Klimafinanzierung geschehen, oder indem sie einen Teil der zusätzlichen Einnahmen für eine Aufstockung des Budgets für die internationale Zusammenarbeit reserviert. Die dafür zur Verfügung stehenden Summen entsprechen nicht dem Ausmass der Steuerverluste der Länder des Globalen Südens. Und sie werden weder ausreichen, damit die Schweiz endlich das international vereinbarte Ziel von 0,7% des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit erreicht, noch wird es genug für einen fairen Anteil an der internationalen Klimafinanzierung sein. Aber es wäre ein Zeichen, dass die Schweiz endlich einen kleinen Beitrag für mehr globale Steuergerechtigkeit leistet.
Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Tel. +4131 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch
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Medienmitteilung
Schweiz bleibt Fluchthafen für Steuerflüchtlinge
18.02.2020, Finanzen und Steuern
Im diesjährigen Ranking der Schattenfinanzplätze des Tax Justice Network belegt die Schweiz Platz 3. Für Reiche aus dem globalen Süden bleibt es einfach, ihr Geld in der Schweiz zu verstecken.

Nur in den USA und auf den Cayman Islands (Bild) finden Steuerflüchtlinge noch bessere Bedingungen vor als in der Schweiz.
© pixelio.de / Katharina Wieland Müller
Gemäss den neusten Berechnungen des Tax Justice Network (TJN) hat der Schweizer Finanzplatz gegenüber 2018 das Risiko, als Offshore-Hafen für Steuerflüchtlinge aus aller Welt zu fungieren, um 12 Prozent reduziert und sich von Rang 1, dem Spitzenrang für Intransparenz, auf Rang 3 verbessert. Vor der Schweiz liegen nur noch die USA und die Cayman Islands. Diese Verbesserung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Schweiz ihr internationales Netzwerk des automatischen Informationsaustausches von Bankkundendaten (AIA) auf mittlerweile über 100 Staaten ausgedehnt hat.
Mit wenigen Ausnahmen umfasst dieses aber nach wie vor keine armen Länder. Vermögende Privatpersonen aus Ländern des globalen Südens können ihr Geld also nach wie vor praktisch risikofrei vor den Steuerbehörden ihrer Herkunftsländer verstecken, indem sie Offshore-Dienstleistungen bei Banken und anderen Finanzdienstleistern in der Schweiz in Anspruch nehmen. Dies haben jüngst und einmal mehr auch die Enthüllungen um Schweizer Offshore-Konstrukte von Isabel dos Santos, der Tochter des langjährigen angolanischen Ex-Präsidenten, gezeigt (#Luandaleaks).
Gemäss der Schweizerischen Bankiervereinigung (Swiss Banking) verwalten hiesige Institute immer noch über einen Viertel der globalen grenzüberschreitenden Vermögen. Damit ist die Schweiz nach wie vor der grösste – wenn auch nicht mehr undurchsichtigste – Offshore-Finanzplatz der Welt. Angesichts der grossen Bedeutung des Schweizer Finanzplatzes für die globale Offshore-Industrie und trotz Aufweichung des Schweizer Bankgeheimnisses in den letzten zehn Jahren ist der Beitrag der Schweizer Finanz- und Steuerpolitik zur Bekämpfung der weltweiten Steuerflucht nach wie vor ungenügend. Auch im internationalen Vergleich besteht hier weiterhin Nachholbedarf.
Alliance Sud schlägt folgende Reformschritte vor:
- Die Schweiz soll Ländern im globalen Süden dabei helfen, die OECD-Reporting-Standards zu erfüllen, damit sie dem AIA-Netzwerk beitreten können.
- Die Schweiz muss im Rahmen einer weiteren Aktienrechtsrevision ein öffentliches Register für wirtschaftlich Berechtigte einführen, das Aufschluss darüber gibt, wem Offshore-Firmen in der Schweiz tatsächlich gehören. Die EU-Länder führen ein solches zurzeit ein.
- Die bereits mit Dutzenden Staaten ausgetauschten länderbezogenen Berichte multinationaler Konzerne müssen öffentlich gemacht werden, damit Steuerflucht nicht weiterhin staatlichen Schutz geniesst. In der EU gilt diese Regelung, die Auskunft über Gewinnstrukturen gibt, bereits für grosse Banken.
Für weitere Informationen:
Dominik Gross, Spezialist für Finanz- und Steuerpolitik bei Alliance Sud: +41 78 838 40 79.
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Studie
Steueroptimierung auf Kosten der Ärmsten
20.10.2021, Finanzen und Steuern
Der Luxemburger Agrarkonzern Socfin verschiebt Gewinne aus der Rohstoffproduktion in den Schweizer Tiefsteuerkanton Freiburg. Diese Steuervermeidung geht Hand in Hand mit Profitmaximierung auf Kosten der Bevölkerung in den betroffenen Regionen in Afrika und Asien. Ein Bericht von Brot für alle, Alliance Sud und des Netzwerks Steuergerechtigkeit zeigt erstmals auf, wie diese Praxis genau funktioniert. Mitverantwortlich dafür ist auch die Schweiz: Ihre Dumping-Politik in der Konzernbesteuerung ist eine der Stützen dieses ungerechten Systems.

Die Kautschuk-Plantage der Salala Rubber Corporation (SRC) in Liberia erstreckt sich über rund 4500 Hektar Land.
© Brot für alle
Der Luxemburger Agrarkonzern Socfin verschiebt Gewinne aus der Rohstoffproduktion in den Schweizer Tiefsteuerkanton Freiburg. Diese Steuervermeidung geht Hand in Hand mit Profitmaximierung auf Kosten der Bevölkerung in den betroffenen Regionen in Afrika und Asien. Ein Bericht von Brot für alle, Alliance Sud und des Netzwerks Steuergerechtigkeit zeigt erstmals auf, wie diese Praxis genau funktioniert. Mitverantwortlich dafür ist auch die Schweiz: Ihre Dumping-Politik in der Konzernbesteuerung ist eine der Stützen dieses ungerechten Systems.
Der in Luxemburg registrierte Konzern Socfin besitzt in zehn Ländern Afrikas und Asiens Konzessionen für mehr als 380 000 Hektar Land, was fast der Fläche des Schweizer Ackerlandes entspricht. Auf 15 Plantagen produziert er Palmöl und Kautschuk und verkauft dieses auf den globalen Märkten. Die Struktur des Konzerns ist komplex. Klar ist jedoch, dass ein grosser Teil des Kautschuks über die in Freiburg ansässige Tochterfirma Sogescol FR gehandelt wird. Die ebenfalls in Freiburg domizilierte Socfinco FR kümmert sich derweil um das Management der Plantagen und stellt konzernintern Dienstleistungen zur Verfügung.
Socfin erzielte 2020 einen konsolidierten Gewinn von 29.3 Millionen Euro. Der Bericht analysierte die Gewinne pro Mitarbeiter:in in den verschiedenen Ländern und stellte eine sehr ungleiche Verteilung fest: In den afrikanischen Ländern, in denen Socfin tätig ist, machte der Konzern einen Profit von gut 1600 Euro pro Mitarbeiter:in. Ganz anders präsentiert sich das Bild bei den Schweizer Socfin-Töchtern. Sie verzeichneten im letzten Jahr einen Gewinn von 116 000 Euro pro Mitarbeiter:in, also rund 70 Mal mehr als in Afrika. Zwischen 2014 und 2020 resultierte in der Schweiz sogar ein durchschnittlicher Gewinn pro Mitarbeiter:in von mehr als 200’000 Euro.
Niedrige Steuern – hohe Gewinne
Wie kommen diese konzerninternen Differenzen bei der Verteilung der Gewinne zustande? Die Erklärung liefert laut dem Bericht von Brot für alle, Alliance Sud und des Netzwerks Steuergerechtigkeit ein Blick auf die Steuerraten der Länder, in denen Socfin tätig ist: Die Gewinne im Verhältnis zur Anzahl Beschäftigter sind am höchsten, wo die Steuern am niedrigsten sind. In den afrikanischen Ländern bewegt sich der Steuersatz zwischen 25 und 33 Prozent. In der Schweiz hingegen wird Socfin mit weniger als 14 Prozent besteuert. Dies ist ein typisches Muster für konzerninterne Gewinnverschiebungen mit dem Ziel, Steuern zu vermeiden.
Diese Praxis ist bei multinationalen Unternehmen weit verbreitet, und sie ist auch nicht zwangsläufig illegal. Sie ist aber in jedem Fall ungerecht, denn sie entzieht den Produktions-ländern im Süden für deren Entwicklung dringend benötigte Steuereinnahmen und verstärkt so die globale Ungleichheit. Jährlich werden so rund 80 Milliarden Euro Gewinne aus Entwicklungsländern in Tiefsteuergebiete wie die Schweiz verschoben. Das sind weit mehr als die Hälfte der jährlichen globalen Ausgaben in der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit.
Wie die Gewinne in den Konzernen verschoben werden, ist für die Öffentlichkeit (wegen mangelnder Transparenz) und für die Steuerbehörden (wegen mangelndem Willen oder fehlender Ressourcen) meist schwer nachzuvollziehen. Im Falle von Socfin liegen indessen geographisch gegliederte Finanzberichte vor, die Aufschluss über Struktur und Inhalt der internen Transaktionen geben. Über konzerninterne Rechnungen für Handel, Beratung, Lizenzen oder andere Dienstleistungen landet ein grosser Teil der Einnahmen aus den in Afrika und Asien produzierten Gütern in der Schweiz. Ob die Höhe dieser intern verrechneten Kosten die OECD-Regeln für interne Transaktionen respektiert, wie Socfin dies geltend macht, können nur die Steuerbehörden aufgrund einer detaillierten Prüfung feststellen.
Schweiz muss transparenter werden
Die satten Gewinne in der Schweiz sind eine Seite der Medaille, die Situation auf den Plantagen im Süden die andere. Socfin profitiert dort von sehr vorteilhaften Landkonzessionen, während der Konzern die betroffene Bevölkerung nur ungenügend kompensiert, minimale Löhne für harte Arbeit zahlt und die versprochenen sozialen Investitionen nur unvollständig umsetzt. Trotz dieser für Socfin vorteilhaften Bedingungen schreiben einzelne Plantagen wie etwa die Kautschuk-Plantage LAC in Liberia gar anhaltende Verluste – laut dem Bericht ein weiterer Hinweis auf mögliche Gewinnverschiebungen aus Afrika in die Steueroase Schweiz.
Die Schweiz profitiert derweil massiv von solchen Gewinnverschiebungen: Fast 40 Prozent der Gewinnsteuereinnahmen der Kantone und des Bundes sind auf derartige Transaktionen zurückzuführen. Um den damit verbundenen Missständen zu begegnen, muss sie ihre Steuerpolitik dringend transparenter gestalten und so genannte «Rulings» (Steuerabkommen mit einzelnen Firmen) öffentlich machen. Das Gleiche gilt für die Länderberichte, die Konzerne in der Schweiz im Rahmen des internationalen Country-by-Country-Reportings der OECD erstellen müssen. Diese sind derzeit nur für Steuerbehörden einsehbar. Grundsätzlich muss die Schweiz ein internationales Unternehmenssteuersystem fördern, das Gewinne dort besteuert, wo sie erarbeitet wurden, und nicht dort, wo die Steuersätze am tiefsten sind.
Protestaktion in Freiburg
Heute Morgen fordert Brot für alle mit einer Protestaktion vor dem Sitz von Sogescol und Socfinco in Freiburg den Socfin-Konzern auf, Steuervermeidung und Gewinnverschiebungen innerhalb der Konzernstrukturen zu stoppen. Socfin soll zudem auf die Forderungen der lokalen Gemeinschaften eingehen, umstrittenes Land zurückgeben und dafür sorgen, dass allen Arbeiter:innen auf seinen Plantagen existenzsichernde Löhne gezahlt werden.
Bilder dieser Aktion sind ab ca. 10 Uhr hier zum Download verfügbar.
Material zum Download:
Zusammenfassung des Berichts (Deutsch), Vollversion des Berichts (Englisch)
Fotos und Grafik
Auskünfte und weitere Informationen:
Lorenz Kummer; Mediensprecher Brot für alle: lkummer@bfa-ppp.ch; +4179 489 38 24
Erklärvideo: Wie Steuervermeidung funktioniert - und den Ärmsten schadet
Brot für alle, Alliance Sud und Netzwerk Steuergerechtigkeit Deutschland
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