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Vereinte Nationen
Nach 80 Jahren wichtiger denn je
24.10.2025, Internationale Zusammenarbeit, Agenda 2030
Der Multilateralismus steckt in der Krise. Und doch ist die UNO-Charta alles andere als passé. Sie erinnert uns an das Versprechen für eine bessere Welt, die nur durch internationale Zusammenarbeit und Dekolonisierung möglich ist.
Noch in den letzten Kriegsmonaten 1945 handeln Delegationen aus aller Welt in San Francisco die UNO-Charta aus, unter Beteiligung einer für die UNO prägenden Mehrheit von Ländern des Globalen Südens.
© Keystone / Photopress-Archiv / Str
Vor 80 Jahren, am 24. Oktober 1945, trat die UNO-Charta in Kraft. Nach ihren geistigen Vätern (und wenigen Müttern) aus den USA und den europäischen Noch-Kolonialmächten sollte sie der Friedenswahrung auf der Basis des Völkerrechts dienen – wobei der Völkerbund gescheitert war – und durch die universelle Mitgliedschaft die Legitimität der Nachkriegsordnung stärken. Wobei es dann doch nicht zu viel der Legitimität werden sollte. Dafür, dass den Mächtigen nicht das Heft aus der Hand gerissen werden konnte, sollte für die Veto-Mächte der Sicherheitsrat sorgen.
Dass es bei der UNO auch um wirtschaftliche Fragen gehen soll, war nicht vorgesehen, denn die wirtschaftliche Nachkriegsordnung hatten die späteren Siegermächte ja bereits 1944 in Bretton-Woods gezimmert. Dabei waren die Länder des Globalen Südens – soweit überhaupt schon unabhängig (wie in Lateinamerika) oder teilautonom (wie Indien) – nur am Katzentisch vertreten. Entsprechend wenig wurde ihr Anliegen, bei ihrer Entwicklung unterstützt und nicht behindert zu werden, aufgenommen. In den Entscheidungsgremien hatten sie durch «one Dollar, one vote» erst recht nichts zu sagen.
Mit «one country, one vote» sollte es bei der UNO anders werden, hofften besonders die lateinamerikanischen Länder – sie stellten mehr Gründungsmitglieder als Europa. Zusammen mit den anderen Ländern des Globalen Südens hatten sie sich erfolgreich für ein Kapitel «Internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet» und für einen Wirtschafts- und Sozialrat eingesetzt. In Artikel 55 des entsprechenden Kapitels heisst es, die UNO solle «die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg» fördern.
Auch nicht vorgesehen war, dass die UNO eine zentrale Rolle bei der Dekolonisierung spielen sollte. Als bald eine ihrer Haupttätigkeiten war sie dann aber entscheidend, dass der Weg in die Unabhängigkeit in vielen Ländern gelang. Der zweite UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld bezahlte für seinen Einsatz mit dem Leben, er starb zusammen mit fünfzehn weiteren Menschen bei einem Flugzeugabsturz als er im gerade unabhängig gewordenen Kongo im Konflikt um die rohstoffreiche, abgespaltene Region Katanga vermitteln wollte. Ob und allenfalls von wem sein Flugzeug abgeschossen wurde ist nach vielen Untersuchungen immer noch nicht klar. In anderen Ländern kam es während und nach der Dekolonisierung zu offenen Stellvertreterkriegen der Vetomächte USA und der Sowjetunion – gegen deren Machtpolitik war die UNO chancenlos.
Das Ende des (formal-politischen) Kolonialismus erweiterte die Weltorganisation um viele neue Mitglieder. Dies scheint der NZZ in ihrem Rundumschlag über und grösstenteils gegen die UNO so grosses Unwohlsein zu verursachen, dass der Rassismus nur schwach verhüllt zwischen den Zeilen spricht: «Die Uno ist heute nicht mehr dieselbe Organisation wie 1945 und hat sich von ihren Gründungsprinzipien entfernt. Die Uno zählte damals 51 überwiegend westliche Mitglieder. Heute sind es 193.» Das ist übrigens auch falsch – es waren lediglich 12 westliche Gründungsmitglieder.
Zu den grössten und wichtigsten Errungenschaften der UNO gehört, dass sie in einem langen und konfliktiven Prozess seit 1967 den globalen Konsens erreichte, dass Umwelt und Entwicklung als verzahnte Themen nur gemeinsam angegangen werden können. Trotz der Schwerfälligkeit, die die universelle Mitgliedschaft von (nur in der Generalversammlung) gleichberechtigen Ländern mit sich bringen kann, gelang es, Prozesse zu etablieren, mit denen der Klimawandel angegangen werden könnte: ein zwischenstaatliches wissenschaftliches Gremium (IPCC), das auf dem konsensuellen Stand des Wissens die multilateralen Prozesse informiert, eine Rahmenkonvention und ein weiterführendes Protokoll. Schliesslich gelang es – als bindende Emissionsreduktionen gescheitert waren – mit dem Pariser Abkommen, einen Prozess zu etablieren, der trotz Freiwilligkeit Fortschritte ermöglichen könnte. Es ist nicht der UNO anzulasten, dass die Bewältigung der Klimakrise heute in der grössten Krise seit je steckt. Es ist der Macht der Mächtig(st)en geschuldet: Von Bush 1 (Nicht-Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention) bis Trump 2 (no comment). Und Nein NZZ, Trump ist kein «heilsamer Schock», wie der Titel des besagten Artikels behauptete.
Ein Jubiläumstext sollte eigentlich nicht wie eine Grabrede klingen, darum hier Artikel 55 der UNO-Charta im Originalton, als Echo mit dem Versprechen auf eine bessere Welt:
«Um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen
a) die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg;
b) die Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art sowie die internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und der Erziehung;
c) die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion.»