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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
Medien
27.11.2025, Internationale Zusammenarbeit, Weitere Themen
Die Vielfalt in der Auslandsberichterstattung der Schweizer Medien nimmt weiter ab, wie Daten des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich zeigen. Vernachlässigt werden oft die Länder des Globalen Südens, auf denen die internationale Zusammenarbeit ihren Fokus legt.
Myanmar steht selten im Brennpunkt der Medien – wie viele Länder aus dem Globalen Süden.
© Panos Pictures
Je globalisierter die Welt ist, umso mehr müsste die Bevölkerung darüber informiert werden, was anderswo geschieht und sich verändert. Die Entwicklung geht aber seit Jahren in die andere Richtung. Anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums von Alliance Sud im Jahr 2011 hatte Kommunikationswissenschaftler und fög-Mitgründer Kurt Imhof noch festgestellt, dass Afrika, Asien und Lateinamerika im Kalten Krieg zusammen fast die Hälfte der aussenpolitischen Berichterstattung ausmachten. Seitdem nimmt das Interesse fürs Ausland ab und Länder des Globalen Südens sind immer weniger sichtbar. Unterschiede im Gewicht der Auslandsberichterstattung sind aber zwischen den Medien beträchtlich, wie die Daten des fög zeigen, die von den Kommunikationswissenschaftlern Linards Udris und Dario Siegen zusammengestellt und aufbereitet wurden.
1) Die Berichterstattung über das Ausland hat in der Schweiz viele blinde Flecken. Dies ist ein altbekanntes Problem, das die Forschung im Kontext der «Nachrichtengeographie» auch in anderen Ländern festgestellt hat. Viel thematisiert werden die USA, die grossen Nachbarländer Deutschland und Frankreich oder aktuelle Krisen- und Kriegsgebiete wie beispielsweise Israel und Palästina sowie Russland und die Ukraine. Sehr wenig thematisiert werden Länder in Ozeanien, Lateinamerika und Afrika.
2) Der Rückgang der Auslandsberichterstattung betrifft nicht die Information über Politik im Ausland. Darüber berichteten die Schweizer Medien 2024 anteilsmässig immer noch gleich viel wie 2015. Die Daten aus dem «Jahrbuch Qualität der Medien 2025» zeigen: Rund jeder siebte Beitrag der Gesamtberichterstattung widmete sich der Politik im Ausland. Abgenommen hat also die Berichterstattung übers Ausland in nicht-politischen Themenbereichen (Wirtschaft, Kultur, Sport, Human Interest).
3) Es gibt grosse Unterschiede zwischen den Schweizer Medien, besonders was das Gewicht der redaktionellen Eigenleistungen betrifft. Besonders gut schneiden hier die Radio- und Fernsehsendungen der SRG ab, und zwar sowohl von SRF als auch von RTS und RSI, sowie die NZZ und die Republik in der Deutschschweiz und Heidi.News in der Suisse romande. Es handelt sich damit gleichzeitig um Medien, die auch sonst eine vergleichsweise überdurchschnittliche Qualität aufweisen.
4) Vielfalt nimmt ab. Eine Zeitreihe von 1998 bis 2024 in drei ausgewählten Medien (Blick, NZZ, Tages-Anzeiger Print) und beschränkt auf den Themenbereich Politik zeigt: Im Laufe der Zeit nimmt die «Ungleichverteilung» etwas zu, d. h. die Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Länder ist 2024 noch ungleicher verteilt als 1998. Entsprechend schrumpft die Berichterstattung über diejenigen Länder, die wenig thematisiert werden. Zeitgleich nimmt die Konzentration leicht zu.
5) Jenseits der Medienberichterstattung ist es wichtig, auch andere Informationsvermittler anzuschauen. Zentral ist die Gewichtung von inländischen und ausländischen Quellen in den Antworten von KI-Chatbots. Denn vor allem jüngere Menschen informieren sich immer mehr via Künstliche Intelligenz über Nachrichten. Eine aktuelle Studie des fög, veröffentlicht ebenfalls im «Jahrbuch Qualität der Medien 2025», zeigt, dass gerade ausländische Quellen, vor allem ausländische Medien, sehr stark sichtbar sind – zum Teil auch bei Nachrichten, bei denen es um die Schweiz geht. Aus welchen Ländern diese zitierten Quellen stammen, ist abhängig vom konkreten KI-Chatbot.
«Wenn die Welt in den Medien schrumpft, verschlechtern sich auch die Bedingungen für den demokratischen Diskurs in der Schweiz», sagt Markus Mugglin, ehemaliger Redaktionsleiter des «Echo der Zeit» von Radio SRF, eine der ältesten politischen Hintergrundsendungen im deutschsprachigen Raum. Er ist auch im Vorstand von real21, einem Verein, den Alliance Sud und das Institut für Journalismus und Kommunikation (MAZ) vor zehn Jahren gegründet haben, um mit einem Medienfonds und einem Medienpreis die Auslandsberichterstattung in der Deutschschweiz zu fördern. An der Jubiläumsveranstaltung von real21, die Ende November an der Universität Zürich stattgefunden hat, wurden auch die Auswertungen des fög vorgestellt und mit Medienschaffenden diskutiert (siehe Kasten unten).
Markus Mugglin ist besorgt über den spürbaren Rückgang der Berichterstattung über den Globalen Süden in der Schweiz, der weitgehend dem gleichen Trend in den Nachbarländern Deutschland und Österreich folgt. Denn so würden insbesondere die Folgen wirtschaftlicher Aktivitäten der Schweiz im Ausland ausgeblendet. Die Schweiz hat zum Beispiel in diesem Jahr Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten und mit Indien abgeschlossen; weitere Verhandlungen mit Ländern aus dem Globalen Süden sind im Gang. In der westafrikanischen Elfenbeinküste engagiert sich die Schweiz über die Exportrisikoversicherung für den Bau eines Gaskraftwerks. «Das Ferne geht uns wirtschaftspolitisch offensichtlich sehr nah», meint Mugglin.
Was brauchen die Redaktionen, um die Auslandsberichterstattung nicht zu vernachlässigen? Die erste Antwort lautet: mehr Mittel. Die zweite: mehr Sensibilisierung. «Es braucht das Bewusstsein, dass die Geschehnisse in fernen Gebieten und Ländern uns viel näher gehen als es auf den ersten Blick erscheinen mag», sagt Mugglin. Somit steht die Ausbildung von Journalist:innen im Fokus der Medienpolitik. Mugglin wünscht sich, dass Ausbildungsbeiträge neu auch als Stipendien für Aufenthalte in aussereuropäischen Ländern vergeben werden – verbunden mit der Auflage, Reportagen und Berichte über Themen global relevanter Entwicklungen in Schweizer Medien zu publizieren.
Es könnte so verstärkt werden, was real21 bereits tut. In der Westschweiz könnte die Weiterführung des Projekts «Enquête d'ailleurs» gesichert werden, in dessen Rahmen Tandems von Medienschaffenden aus der Schweiz und aus Ländern des Globalen Südens im je anderen Land Recherchen zu einem bestimmten Thema publizieren. «Es wäre Ausbildung im doppelten Sinne», sagt Mugglin: «Sowohl für die Medienschaffenden wie auch für das Publikum würden solche Reportagen mehr bieten als die gängigen Schlagzeilen und Berichte über Katastrophen und Konflikte ausserhalb Europas.»
Zum zehnjährigen Jubiläum des Vereins «real21 – Die Welt verstehen» sind Ende November an der Universität Zürich fünf herausragende Reportagen und Berichte ausgezeichnet worden. Die prämierten Beiträge beleuchten Entwicklungen im Sudan, in Südkorea, in der Türkei, im Jemen und in Ghana und unterstreichen die Bedeutung sorgfältiger Auslandsberichterstattung für ein besseres Verständnis globaler Zusammenhänge.
Sarah Fluck, Afrika-Korrespondentin von Radio SRF, gewinnt den diesjährigen «real21»-Medienpreis für ihre Reportage «Khartum – zerstörte Lebensader des Sudan». Den zweiten und dritten Preis erhalten Manuela Enggist für die in der Annabelle publizierte Reportage «Viermal Nein» und Klaus Petrus für die im Beobachter erschienene Analyse «Der bittere Nachgeschmack der Cashews». Anerkennungspreise gehen an Helene Aecherli für «Hinter den Mauern von Sanaa», erschienen im brefmagazin.ch, und Marianne Kägi für «Die Schattenseiten der Jeans-Produktion in der Türkei», ausgestrahlt im Kassensturz von Fernsehen SRF.
Die Jury würdigt den Hauptpreis für Sarah Fluck als Beitrag, der «sehr viel mehr als eine Kriegsreportage» über die grösste humanitäre Katastrophe unserer Zeit ist. Ihre Arbeit ist ein einfühlsames Porträt einer Stadt und ihrer Bewohner:innen und beschreibt aus nächster Nähe, was Krieg im Alltag bedeutet. «Sarah Fluck beschreibt die Gräuel des Krieges ohne Beschönigung, aber sie zeigt auch, dass er den Stolz und die Liebe der Sudanes:innen zu ihrem Land und zu ihrer Kultur nicht zerstören konnte», lobt die Jury.
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