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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
UNO-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung
26.09.2025, Entwicklungsfinanzierung
An der vierten UNO-Konferenz Financing for Development (FfD4) in Sevilla war allen Teilnehmenden klar, dass mehr Geld dort geholt werden muss, wo es verfügbar ist: bei Unternehmen und sehr reichen Einzelpersonen. Über das «Wie» gingen die Meinungen aber weit auseinander.
Lautstark gegen Schuldenlast und «shrinking space»: zivilgesellschaftlicher Protest im FfD4-Konferenzgebäude in Sevilla. © Jochen Wolf / Alliance Sud
Die FfD4-Konferenz von Anfang Juli fand in einer der seit Jahrzehnten schwierigsten Phasen für die globale Entwicklung statt. Die öffentliche Entwicklungsfinanzierung wird voraussichtlich allein im Jahr 2025 um 17% zurückgehen. Und noch während der Konferenz wurde das Schicksal von USAID – einst die weltweit grösste Geldgeberin – endgültig besiegelt. Weniger als fünf Jahre vor Ablauf der Frist fehlen jährlich mehr als 4 Billionen US-Dollar, um die Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO (Sustainable Development Goals, SDGs) zu erreichen.
Nicht dass das Geld grundsätzlich fehlen würde: Seit der letzten FfD-Konferenz in Addis Abeba im Jahr 2015 hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung sein Vermögen um mehr als 33,9 Billionen Dollar vermehrt – 22 Mal so viel wie jährlich zur Beseitigung der absoluten Armut gebraucht würde. Allein Afrika könnte laut der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) durch die Eindämmung unlauterer Finanzflüsse jährlich fast 89 Milliarden Dollar einnehmen. Die Hälfte davon entfällt auf Steuervermeidung von Konzernen und der Rohstoffsektor ist bei weitem die wichtigste Quelle solcher Finanzflüsse. Das müsste die Schweiz eigentlich interessieren.
Das nicht bindende Abschlussdokument der Konferenz, der «Compromiso de Sevilla», war bereits am 17. Juni in New York nahezu einstimmig angenommen worden. Daher fanden in Sevilla gar keine Verhandlungen mehr statt. Die USA waren massgeblich für die Abschwächung des Textes verantwortlich, etwa beim Thema Klima. Trotzdem zogen sie sich zwei Wochen vor der Konferenz aus dem Prozess zurück, waren damit das einzige Land, das das Abschlussdokument nicht unterstützte, und blieben Sevilla fern.
Dennoch verzeichnete die Konferenz über 15'000 Teilnehmende, darunter 60 Staats- und Regierungschef:innen, 80 Minister:innen, UNO-Generalsekretär António Guterres, hochrangige Vertretungen von UNO-Agenturen und anderen internationalen Organisationen. Die Schweiz allerdings verzichtete darauf, eine hochrangige Delegation zu schicken. Der fehlende Ministerrang führte dazu, dass sich die Schweiz im offiziellen Teil der Konferenz erst ganz zum Schluss äussern durfte. Und weil sich kein Bundesrat und keine Bundesrätin bequemt hatte, verpasste die Schweiz den Austausch mit den anwesenden 60 Staats- und Regierungschef:innen. Der Weg nach Sevilla ist halt länger als nach Davos und zudem war es dort viel zu heiss.
Da es im Financing-for-Development-Prozess um viel mehr als «Entwicklungsfinanzierung» im Sinne der internationalen Zusammenarbeit geht, wären durchaus verschiedene Bundesrätinnen und Bundesräte für die Teilnahme in Frage gekommen. Massnahmen gegen Steuervermeidung und unlautere Finanzflüsse standen ebenso prominent auf der Agenda, wie die Themen Schulden und Entschuldung, Handel und Entwicklung oder systemische Fragen der internationalen Finanzarchitektur.
Ein Thema dominierte die Agenda: «Mobilizing Private Resources», die Frage also, mit welchen Anreizen man profitorientierte Unternehmen und Investor:innen dazu bringt, die Lücke zu füllen, die die fehlenden staatlichen Mittel hinterlassen. Es fielen Worthülsen wie «Accelerating the Shift and Private Climate Investment at Scale», «Catalytic Pathways to Scale Private Investment», «Unlocking Ecosystems for Inclusive Private Sector Growth», «Impact Investing, from Pioneering Innovations to Scalable Solutions» etc., etc.
Man könnte meinen, dass dies daran lag, dass «Business Representatives» 40% der Teilnehmenden stellten und es ein eigenes «Business Forum» gab. Doch das Thema war im offiziellen Teil, bei Regierungen (v. a. des Nordens) und bei internationalen Organisationen ebenso dominant. So auch für die Schweiz. Die Mehrheit der von ihr organisierten Events drehte sich darum (z. B. «Accelerating SDG Impact through Outcomes-Based Financing»).
Privatsektor gestärkt, Mission erfüllt? Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez mit UNO-Generalsekretär António Guterres und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. © Bianca Otero / ZUMA Press Wire
Zum Glück organisierte auch die Zivilgesellschaft viele Side-Events; dort konnte man dann auch hören, dass in Sevilla viel saurer Wein in alte Schläuche gepumpt wurde. So etwa von Daniela Gabor, Ökonomin und Mitglied der UNO-Expert:innengruppe zu Financing for Development. Sie erinnerte daran, dass die Weltbank schon 2015 «from billions to trillons» (von Milliarden zu Billionen) versprochen hatte, um die Umsetzung der Addis Abeba Action Agenda (das Ergebnis der 3. Entwicklungsfinanzierungs-Konferenz) zu finanzieren. Damals schon waren Public Private Partnerships und De-Risking zentrale Pfeiler der Agenda. Es ging (und geht) darum, steuerfinanzierte Gelder aus den Budgets der internationalen Zusammenarbeit (IZA) des Globalen Nordens zu verwenden, um für grosse Investor:innen wie Blackrock oder Pensionsfonds «investable projects» zu schaffen. Also konkret, Risiken zu übernehmen, damit diese attraktive «risk-adjusted returns» für ihre Investitionen in Wasser-, Strassen- oder Energieprojekte erhalten.
Das hat definitiv nicht funktioniert und – so Gabor – nicht deshalb, weil es für De-Risking zu wenig Geld von den multilateralen Entwicklungsbanken, der EU oder der Biden-Regierung gegeben hätte. Es klappte nicht, weil auch mit steuerfinanzierter Risikoübernahme die Grossprojekte für die Länder des Globalen Südens immer noch viel zu teuer waren.
Inzwischen gibt es die «small is beautiful»-Version von De-Risking, bei der Investitionen mit «Impact» zur Umsetzung einzelner SDGs gefördert werden sollen, nicht nur Grossprojekte im Bereich der Infrastruktur. Diese sollen direkt «beneficiaries» im Globalen Süden erreichen. Allerdings müssen die Begünstigten z. B. für erneuerbare Energien auch bezahlen, denn irgendwoher müssen die Renditen ja kommen. Die «beneficiaries» sind trotz der IZA-Terminologie also in Wahrheit einfach Kund:innen und Kreditnehmende. Es ist diese Version der De-Risking-Agenda, die auch von der Schweiz vorangetrieben wird.
Nicht nur von der Zivilgesellschaft, auch von Regierungsvertreter:innen des Globalen Südens kam Einspruch. Der Planungsminister von Südafrika, Maropene Ramokgopa, etwa mahnte zu Realismus und erinnerte daran, dass der Privatsektor nur dort eine Rolle spielt, wo ein Profit gemacht werden kann und dass «Blending» deshalb konzessionäre Gelder gerade in der aktuellen Verschuldungssituation nicht ersetzen kann. Und an einer Veranstaltung der Small Island Developing States war von ganz anderen Risiken zu hören, die im Zentrum stehen sollten. Nicht diejenigen für Investor:innen, sondern die Risiken für Menschen angesichts steigender Meeresspiegel. Hier brauche es ein De-Risking.
Dass der «Privatsektor» und Superreiche sehr viele Mittel haben, die für die Erreichung der SDGs und die Umsetzung des «Compromiso» eingesetzt werden könnten, ist unbestritten. Doch statt darauf zu hoffen, sie mit knappen IZA-Mitteln anlocken zu können oder auf ihre Philanthropie zu setzen, gibt es andere Mittel. Zum Glück konnte man auch das in Sevilla hören. Wenn man wollte. Die Schweiz wollte nicht.
Ein zentraler Pfeiler des «Compromiso de Sevilla» ist nämlich auch «Domestic Resource Mobilization» (DRM). Mit mehr Steuereinnahmen können die Länder des Globalen Südens ihre Abhängigkeit von Entwicklungsgeldern reduzieren und ihre Wirtschaft und Gesellschaft von innen heraus entwickeln.
Dies hätte man von Aminata Touré, Ex-Premierministerin von Senegal, hören können: «Bei den Steuern zeigt sich ein Kontinuum der Ungerechtigkeit, unter der Afrika seit Jahrhunderten leidet. (…) Wir haben Schulden wegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung, (…) weil europäische Multis unsere Rohstoffe ausbeuten und keine Steuern zahlen. (…) Deswegen hat sich die Afrikanische Union so stark für eine verbindliche UNO-Steuerkonvention eingesetzt. Wir wollen eine faire Verteilung des Rechts zur Besteuerung. Steuern sollen dort bezahlt werden, wo der Reichtum entsteht. Das ist deshalb schwer zu erklären, weil es so einfach ist. Jedes Schulkind versteht das: Je reicher, desto mehr Steuern.»
Erstaunlicherweise klang ein Vertreter des deutschen Finanzministeriums ähnlich: «Wenn Entwicklungshilfe-Gelder immer spärlicher fliessen, braucht es umso mehr entschlossene Massnahmen gegen unlautere Finanzflüsse, dafür setzt sich die deutsche Regierung schon lange ein: Konzerne und Superreiche müssen ihren fairen Anteil an den globalen Steuerkuchen leisten.»
Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz betonte einen anderen wichtigen Aspekt der Steueragenda: «Die USA zahlen gerade den Preis für Ungleichheit, deshalb erleben wir die Vereinnahmung durch die Tech-Oligarchie. Trump will seine Steuersenkungen für diese Oligarchie globalisieren. (…) Aber die Welt kann nicht als Geisel genommen werden, eine Koalition der Willigen ist möglich. (…) Um herauszufinden, warum man die Superreichen besteuern muss, braucht man keinen Nobelpreis. Wir haben die Steueroasen geschaffen. Wir hätten sie regulieren können, doch wir haben ihre Existenz zugelassen. Sie existieren, weil sie für die Superreichen interessant sind. Wir brauchen globale Normen, wir brauchen globale Regeln.»
In Sevilla waren solche Koalitionen bereits erkennbar. Spanien und Brasilien kündigten eine gemeinsame Initiative für eine globale Besteuerung der Superreichen an. Neun Länder – Brasilien, Frankreich, Kenia, Barbados, Spanien, Somalia, Benin, Sierra Leone und Antigua and Barbuda – wollen sich für die Einführung einer Solidaritätsabgabe auf Business- und First-Class-Flugtickets sowie Privatjets einsetzen.
Diese und 130 weitere freiwillige Initiativen finden sich auf der «Sevilla Platform for Action», mit der die «Verpflichtung» von Sevilla umgesetzt werden soll. Es gibt zwar einen leichten Widerspruch zwischen Verpflichtung und Freiwilligkeit, aber angesichts des Zustands des Multilateralismus ist schon eine Liste, die einige gute Vorschläge enthält, ein Fortschritt.
Auch wenn der «Compromiso de Sevilla» unverbindlich, die «Plattform» freiwillig ist und wichtige Themen fehlen, hat die Konferenz gezeigt, dass es verschiedene Koalitionen aus europäischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern gibt, die Lösungen vorantreiben. Als pragmatisches Minimalprogramm sollte sich die Schweiz folgende To-do-Liste schreiben:
Wer es gerne weniger pragmatisch hat, findet umfassende Vorschläge zur Problemlösung in der letzten Ausgabe von «global» (#98/Sommer 2025, «Der neue Deal»).
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