Meinung

«Hilfe vor Ort» beginnt in Bern

27.06.2016, Internationale Zusammenarbeit

«Um mehr Entwicklungserfolge zu erzielen, braucht es eine Schweizer Politik, die den Entwicklungsländern keine Steine in den Weg legt», sagt Alliance-Sud-Geschäftsleiter Mark Herkenrath.

«Hilfe vor Ort» beginnt in Bern

© Daniel Rihs / Alliance Sud

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Anfang Juni ist der Nationalrat dem Vorschlag des Bundesrates gefolgt, die Entwicklungsausgaben für 2017-2020 von aktuell 0.52% des Nationaleinkommens auf 0.48% zu senken. Nun geht das Geschäft an den Ständerat. Auch dort wird es intensive Diskussionen über den Sinn und Zweck der Entwicklungszusammenarbeit geben.

In der Grossen Kammer sorgte Weltwoche-Chefredaktor Köppel für populistische Stimmungsmache. Er meinte behaupten zu müssen, Afrika habe sich in den letzten Jahrzehnten trotz milliardenschwerer Hilfe nicht vom Fleck bewegt. Bundesrat Burkhalter korrigierte: Afrika sei vielfältig, und in vielen Ländern habe es enorme Fortschritte gegeben. Trotzdem ist die Frage berechtigt: Warum herrschen in vielen Entwicklungsländern Afrikas und anderer Kontinente weiterhin so viel Armut und Not?

Die Entwicklungszusammenarbeit ist nicht Teil des Problems, sondern der Lösung. Sie hat massgeblich zu Fortschritten in der Gesundheitsversorgung und der Bildung, vor allem auch der Bildung von Mädchen und Frauen beigetragen. Und sie hat dazu beigetragen, die lokalen Zivilgesellschaften zu stärken, die mehr denn je ihre Regierungen in die politische Verantwortung nehmen. Man möchte sich nicht vorstellen müssen, wo die Entwicklungsländer ohne ausländische Unterstützung stehen würden.

Aber: Gegen das enorme Machtgefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, ungleiche Handelsbeziehungen, Menschenrechtsverletzungen und Gewinnverschiebungen durch transnationale Grosskonzerne oder die Folgen des Klimawandels kommt auch die beste Entwicklungszusammenarbeit nicht an. Auch nicht gegen die willkürlichen Grenzziehungen, die seit dem Ende der Kolonialzeit in vielen Entwicklungsländern für ethnische Konflikte und Machtkämpfe sorgen. Das sind die Gründe der anhaltenden Probleme.

Waffenexporte der Industrieländer versorgen diese Konflikte mit Munition. Steueroasen und intransparente Handelsplätze ermöglichen es den Kriegsherren, ihre Geschäfte zu finanzieren. Gleichzeitig helfen sie Steuerhinterziehern, gut funktionierenden Staaten die dringend nötigen öffentlichen Einnahmen vorzuenthalten. Unlautere Finanzflüsse sorgen dafür, dass jedes Jahr Milliardenbeträge spurlos aus den Entwicklungsländern verschwinden. Sie übersteigen die internationalen Entwicklungsgelder um mehr als das Zehnfache. Der fortschreitende Klimawandel verschärft darüber hinaus die Verteilungskämpfe und erhöht den Migrationsdruck.

Auch die Schweiz steht hier in der Verantwortung. Die Ratsrechte fordert immer wieder «Hilfe vor Ort». Einverstanden, aber nur wenn dieser Ort primär Bundesbern ist. Denn um mehr Entwicklungserfolge zu erzielen, braucht es eine Schweizer Politik, die den Entwicklungsländern keine Steine in den Weg legt. Dazu gehören Transparenzregeln für den Finanzplatz Schweiz und den Rohstoffhandel, aber auch ein konsequentes Vorgehen gegen die drohende globale Klimakatastrophe. Gefordert sind auch verbindliche Regeln für Konzerne mit Sitz in der Schweiz, die weltweit die Menschenrechte und international anerkannte Umweltstandards einhalten sollen.

Editorial aus GLOBAL+, Ausgabe Sommer 2016