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Keine frohe Botschaft

02.10.2023, Internationale Zusammenarbeit

Kurz vor den Sommerferien lancierte der Bundesrat die Vernehmlassung der IZA-Botschaft 25-28. Worum es geht (und worüber Alliance Sud gelacht hat), erklärt Geschäftsleiter Andreas Missbach im Selbstgespräch.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Keine frohe Botschaft

© Ala Kheir

Die Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA-Botschaft) legt die die Ausrichtung und den Finanzrahmen der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und der Friedensförderung der Schweiz fest. Seit die letzte IZA-Strategie beschlossen wurde, kam die «Zeitenwende»; spürt man das, wenn man den neuen Entwurf liest?
Der Teil über die gefährdeten Entwicklungserfolge ist zwar kurz, spricht aber das Wichtigste zu Krieg, Covid, Klima und den Folgen für den Globalen Süden an. Eine solche Strategie ist ja keine umfassende Analyse der Weltlage, sondern auch ein Kommunikationsinstrument. Nicht zuletzt, um das Verständnis im Parlament für die Relevanz und Realität der internationalen Zusammenarbeit zu stärken.

Und welche Schlüsse werden aus der dramatisch veränderten Weltlage gezogen?
Trotz der beunruhigenden Analyse gibt es viel Kontinuität, aber dass gerade in so turbulenten Zeiten nicht alles über den Haufen geworfen werden sollte, leuchtet ja ein. Angesichts der Diagnose ist aber die Absicht des Bundesrats ganz und gar unverständlich und inkonsistent, für Hilfe und Wiederaufbau der Ukraine 1,5 Milliarden Franken aus dem Finanzrahmen der IZA zu nehmen. Natürlich muss die Schweiz einen umfangreichen Beitrag leisten, aber es wäre für das Engagement und das Ansehen der Schweiz verheerend, wenn diese finanzielle Unterstützung auf Kosten der Ärmsten ginge. 1.5 Milliarden sind 13% der gesamten IZA-Gelder, das bedeutet, dass allein für die Ukraine mehr als die Hälfte der gesamten bilateralen Entwicklungsausgaben für ganz Afrika (Stand 2021) vorgesehen sind.

Was bedeutet das konkret für die internationale Zusammenarbeit der Schweiz?
Das würden wir auch gerne wissen, die Vorlage ist in diesem Punkt schwammig und intransparent. Sicher ist, dass das vorgesehene nominelle Wachstum von 2,5% für den Wiederaufbau der Ukraine reserviert ist. Normalerweise ist ein solches Wachstum für den Teuerungsausgleich nötig. Es fehlen also kumuliert über die vier Jahre 25-28, abhängig von der Inflationsrate, um die 600 Millionen Franken. Ebenso ist klar, wenn auch nicht ausgesprochen, dass die durch den auf 2024 beschlossenen Rückzug aus Lateinamerika freiwerdenden Mittel nun nicht wie versprochen schwerpunktmässig für eine stärkeres Engagement in Subsahara-Afrika sowie Nordafrika und Mittlerer Osten verwendet werden.

Was bleibt auf der Strecke?
Noch einmal, das würden wir gerne wissen, denn hier werden wir vollständig in der Dunkelkammer stehen gelassen. In der Strategie 21-24 gab eine Tabelle einen Überblick über die Verteilung der Mittel. Dieser fehlt diesmal und damit auch jeder Hinweis auf die Verlagerung der geographischen Schwerpunkte und auf Abstriche.

0,7%, 0,5%, 0,.. wie viel?
Die Schweiz entfernt sich nicht nur immer weiter vom seit 43 Jahren geltenden UNO-Ziel von 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die öffentliche Entwicklungsfinanzierung. Ebenso ist die Quote von 0.5%, die das Parlament 2011 gefordert hat, tempi passati. In der neuen Strategie kommt die Schweiz – Ukraine mitgerechnet – gerade mal noch auf 0.36% des BNE an öffentlicher Entwicklungsfinanzierung, aus den eigentlichen IZA-Krediten sogar nur 0.3% (der Rest stammt von anderen Bundesstellen, Kantonen und Gemeinden).

Übel, aber lass uns mal nicht nur über Geld reden…
… sondern über ein anderes Problem. Vorgeschlagen wird nämlich eine Aufstockung der humanitären Hilfe von 20 auf 25%, dies auf Kosten der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit (EZA). Hinzu kommen noch überrissene Verschiebungsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Verpflichtungskrediten, die eine längerfristige Programmplanung in der EZA verhindern.
Natürlich brauchen die zunehmenden humanitären Katastrophen in Zeiten von Krieg und  Klimakrise grosszügige finanzielle Beiträge der Schweiz. Diese sind jedoch naturgemäss nicht vorauszusehen. Mit dem Instrument der Nachtragskredite gibt es aber bereits die Möglichkeit, auf akute humanitäre Notlagen zu reagieren. Und Luft hat es im Bundesbudget immer. Jedes Jahr fliessen nämlich budgetierte, aber nicht ausgegebene Millionen wirkungslos in den weiteren extremen Schuldenabbau.

Schon wieder Millionen, Du kannst es nicht lassen.
Sorry, ja reden wir über Inhalt, zum Beispiel den Privatsektor, mit dem die Zusammenarbeit gestärkt werden soll. Allerdings bleibt der Text inhaltlich sehr vage. Dies zeigt sich an Formulierungen wie: «In Zusammenarbeit mit privaten Akteuren entwickelt das SECO innovative Finanzierungslösungen, um privates Kapital zu mobilisieren für Unternehmen und den öffentlichen Sektor.» Von welchen Sektoren, welcher Wirkung und welchen Finanzierungsinstrumenten ist hier die Rede? Die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor sollte schon etwas präzisiert werden, um keinen Handlungsspielraum für sozial und ökologisch unverträgliche Wirtschaftspraktiken zu schaffen.

Der Strategieentwurf erweckt stellenweise den Eindruck, dass die Zivilgesellschaft in Zusammenhang mit dem Privatsektor keine Rolle spielt oder dass sich Zivilgesellschaft und Privatsektor gegenseitig ausschliessen. In der Praxis ist die Zivilgesellschaft ein wichtiger Akteur zur Stärkung des lokalen Privatsektors, worauf die vorliegende Strategie – und das ist positiv – abzielt. Das wars schon zur Zivilgesellschaft?
Fast, das Thema ist eindeutig unterbelichtet. Zur Förderung partizipativer, demokratischer Prozesse und Institutionen, der Menschenrechte und des Friedens sowie der Bekämpfung von Ungerechtigkeit und Korruption ist die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen ebenso zentral wie die Unterstützung und Stärkung der lokalen Zivilgesellschaft. Hier fehlt ein klares Bekenntnis ebenso wie zum Schutz von Menschenrechts-Verteidiger:innen. Durch den Abbau demokratischer Strukturen und die zunehmende Repression ist das in vielen Ländern dringend nötig.

Was fehlt Dir am meisten?
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema «decolonizing aid». Das ist keine akademische Debatte, sondern ein brennendes Thema, wie man gerade jetzt im Sahel beobachten kann. Um langfristig glaubwürdig zu bleiben, muss sich auch die Schweiz überlegen, wie sie in ihren Partnerländern arbeiten möchte. Dass dann im Entwurf der Strategie explizit das Fehlen einer kolonialen Vergangenheit der Schweiz betont wird, ist ärgerlich. Viele neue historische Studien haben ja die Rolle unseres kleinen, feinen Binnenlandes in den kolonialen Verstrickungen und Verheerungen aufgedeckt.

Soweit die Facts, gibt es auch Fiction?
Der Bundesrat stellt fest: «… einzelne sektorielle Politiken des Bundes haben erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklungsländer» – soweit noch Facts. «Deshalb ist es wichtig, dass die Schweiz bei ihren auswärtigen Beziehungen kohärent handelt», we could not agree more. Dann kommt die Fiction: «Der Bundesrat gewährleistet die Koordination in den Bereichen Finanz- und Steuerwesen, Handel, Investitionen und Unternehmensverantwortung sowie Migration, Umwelt, Klima und Gesundheit. Der Bundesrat achtet also darauf, dass seine Beschlüsse so kohärent wie möglich sind.»

Was hat Dich am meisten aufgeregt? Und gab es auch irgendwo etwas zu lachen?
Sinnfreie Schwurbelsätze bringen mich zum Lachen, etwa «über die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Ökosystem für wirkungsorientierte Investitionen kann die IZA eine Hebelwirkung für die Partnerländer erzeugen». Ich stelle mir dann immer vor, wie «die IZA» im blauen Overall zusammen mit allem, was kreucht und fleucht, «im Ökosystem» die Ärmel hochkrempelt und den Hebel ansetzt. Aufgeregt habe ich mich dann gleich beim Weiterlesen «… und gleichzeitig den Schweizer Finanzplatz stärken». Schwurbel in Ehren, aber das ist definitiv kein Ziel der IZA.

 

Die ausführliche Vernehmlassungsantwort von Alliance Sud ist hier zu finden.