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Lukrative Geschäfte auf Speedbooten und Yachten

19.06.2023, Finanzen und Steuern

Die Britischen Jungferninseln sind bekannt als Paradies für Seglerinnen und Steuerhinterzieher und als Transitort für Drogenschmuggel. Ein Augenschein von Karin Wenger

Lukrative Geschäfte auf Speedbooten und Yachten

© Karin Wenger

Bislang kannte ich die Britischen Jungferninseln nur, weil sie meist im gleichen Atemzug genannt werden mit Briefkastenfirmen und Steuerhinterziehern. Nun, auf unserer Segelreise durch die Karibik, sah ich sie mit eigenen Augen: eine Ansammlung von kleinen, kargen Inseln auf 150 Quadratkilometern, zwischen denen das Meer ruhig wie ein See liegt. Auf diesem «See» tummeln sich ganze Flotten von Charter-Katamaranen. Ein Katamaran von 44 Fuss kann man – inklusive Skipper, Koch und all inclusive – für 30'000 USD in der Woche mieten, ein 60-Fuss-Katamaran für sechs Personen mit demselben Arrangement kostet 80'000 USD. Zwischen den Katamaranen, die sich abends meist in den Buchten, in denen es Bojen und eine Bar gibt, zusammenrotten, fahren die Superyachten ihre Spielzeuge – eine Auswahl von Beibooten, Helikopter, Jetskis – durch die Buchten. Was also auch sofort klar wird: Obwohl die Inseln nichts als staubtrockenes, karges Land und ein paar weisse Strände zu bieten haben, gibt es hier Geld, viel Geld, viel weiss gewaschenes Geld.

Heimat der Geldwäscherei
Die Britischen Jungferninseln haben im Verhältnis zu ihrer Grösse einen extrem überdimensionierten Finanzsektor, dessen Kund:innen überwiegend keine Einheimischen sind. Als Offshore-Finanzzentrum werden die Staatskassen zu 60 Prozent aus Einnahmen durch Finanzdienstleistungen gespiesen, mit Tourismus verdient das Land den Rest. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International publizierte dazu im April 2022 einen Bericht. Darin steht, dass 1201 Firmen, die in den britischen Überseegebieten registriert sind, in 237 grosse Korruptions- und Geldwäscheskandale verwickelt waren. Mehr als 90 Prozent dieser Firmen sind in den BVIs (British Virgin Islands), wie die Britischen Jungferninseln genannt werden, registriert. Auch der Internationale Währungsfonds nannte die BVIs 2019 die Heimat von Phantom-Investitionen und «shell companies», also Firmen, die keine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und einzig den Zweck haben, zur Steuervermeidung missbraucht zu werden.

Grossbritannien scheint diese Kritik nicht ganz egal zu sein, schliesslich sind die BVIs britisches Überseegebiet. Seit 1967 geniessen sie zwar mehr Autonomie, haben ein unabhängiges Rechtssystem und sind bis auf die Aussen- und Verteidigungspolitik weitgehend selbstbestimmt, doch die britische Krone ist und bleibt bis heute die oberste exekutive Autorität. Und so schickt Grossbritannien Spezialist:innen in die BVIs, die für mehr Transparenz im Finanzsektor sorgen sollen.

Drohungen
Eine Finanzspezialistin habe ich bei einem Mittagessen in Road Town, der Hauptstadt der BVIs kennen gelernt. Die Engländerin lehrt jungen Beamten Financial Compliance, also wie man saubere Finanzgeschäfte durchführt. Das birgt in einem Land, das sich weitgehend durch schmutzige Finanzgeschäfte finanziert, gewisse Risiken. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Engländerin bedroht und verfolgt wurde und fast ihre Koffer gepackt hätte, da einige Beamt:innen und Politiker:innen ihre Geschäfte in Gefahr sahen, wenn diese sauberer und transparenter werden sollten. Nun geht die Engländerin nachts nicht mehr allein ausser Haus und lässt sich immer von ihrem Mann von der Arbeit abholen. Seit Russland gegen die Ukraine in den Krieg gezogen sei, seien hier vor allem viele Russen als Neukunden gewonnen worden, sagt die Engländerin, die ihren Namen aus Sicherheitsgründen nirgends lesen will.

Im Nachtflug über dunkle Gewässer
Doch es sind nicht nur die ausländischen Gelder, die im Inselparadies gegen kräftige Gebühren reingewaschen werden und die Staatskassen und die Taschen einiger Beamt:innen füllen. Wir sehen auffallend viele, kleine Boote mit bis zu tausend PS starken Motoren zwischen den kleinen Inseln hin- und herflitzen. «Die BVIs sind eine begehrte Drehscheibe für den Schmuggel von Drogen aus Kolumbien und Mexiko in die USA», erzählt eine andere Engländerin, die seit Jahrzehnten hier lebt, lange Zeit davon auf der nördlichen Insel Anegada. Dort seien oft nachts kleine Flugzeuge gelandet, die nach kurzer Zeit wieder abgehoben hätten. Mit der Zeit hätten sie ihre Fracht, Pakete mit Kokain, wasserdicht verpackt und mit Peilsendern versehen, über dem Meer abgeworfen, wo sie von den Schnellbooten aufgelesen und weitertransportiert worden sei. Involviert seien Politiker:innen und

Beamt:innen bis in die höchsten Ränge.
Im April 2022 wurde offensichtlich, dass dies keine Geschichten der Vergangenheit sind. Damals wurde Andrew Fahie, der damalige Premierminister der BVIs, und Oleanvine Maynard, die Leiterin der Hafenbehörde, am Flughafen in Miami wegen Drogenhandels und Geldwäsche verhaftet. Die beiden waren in einem Privatflugzeug angereist, um 700'000 USD Bestechungsgelder, verpackt in Designertaschen, in Miami in Augenschein zu nehmen. Geld, das ihnen versprochen worden war, wenn sie einen Kokaintransport in Millionenhöhe aus Kolumbien durch die BVIs nach Miami und New York ermöglichen würden. Das Pech der beiden hohen Staatsbeamten war, dass die vermeintlichen mexikanischen Drogenhändler verdeckte Ermittler der US-Anti-Drogenbehörde waren. Sie wurden umgehend verhaftet und warten nun in den USA auf ihre Gerichtsverhandlung.

Nach der Verhaftung von Fahie und Maynard veröffentlichte eine unabhängige britische Untersuchungskommission einen Bericht, in dem sie schrieb, dass gewählte Beamte «Entscheidungen, die riesige Summen öffentlicher Gelder verschlingen und das Leben aller Bewohner beeinflussen, nach Belieben treffen können und dies auch tun, ohne objektive Kriterien anzuwenden, ohne Gründe anzugeben und ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.» Die Grundsätze einer guten Regierungsführung wie Transparenz, Offenheit und Rechtsstaatlichkeit würden auf den Britischen Jungferninseln ignoriert. Deshalb, so riet die Kommission, solle die Inselgruppe für zwei Jahre unter die direkte Kontrolle von Gouverneur John Rankin, also unter direkte britische Kontrolle gebracht werden.

Weniger Schnellboote, viele Yachten
Soweit kam es nicht. Natalio Dixon Wheatley, der die Amtsgeschäfte von Fahie übernahm, wehrte sich dagegen und ist nun der neue Premierminister. Dass er die Veränderungen bringen wird, die der kleine Inselstaat nötig hätte, um nicht nur das Geld, sondern auch das Image reinzuwaschen, bezweifelt die Engländerin, die seit drei Jahren einer neuen Generation von Beamt:innen lehrt, was Transparenz im Finanzsektor bedeutet. Sie glaubt, dass es mindestens noch eine Generation mit einer neuen, gut ausgebildeten Beamtenelite, einen wahren Bewusstseinswandel und mehr Kontrolle brauche, bis sich etwas ändere. Zumindest etwas habe sich seit der Verhaftung des ehemaligen Premierministers Fahie verändert, sagt die andere Engländerin: Sie höre die Speedboote seltener in der Nacht über das Meer rasen, die Verhaftung von Fahie habe viele aufgeschreckt.

Die lukrativsten Geschäfte jedoch werden wohl nicht auf kleinen Speedbooten in der Dunkelheit der Nacht abgeschlossen, sondern am helllichten Tag auf dem Deck millionenteurer Yachten – von denen schwimmen weiterhin zahlreiche durch die ruhigen Gewässer der Britischen Jungferninseln.

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© Karin Wenger

Karin Wenger war von 2009 bis 2022 Süd- und Südostasien-Korrespondentin von Radio SRF mit Sitz in Neu Delhi und Bangkok. Im Frühling hat sie drei Bücher über ihre Zeit in Asien veröffentlicht. Seit Sommer segelt sie mit ihrem Partner durch die Karibik und schreibt über vergessene Themen und Weltgegenden. Mehr Informationen finden Sie hier www.karinwenger.ch oder www.sailingmabul.com

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