Interview

«Menschenrechte sind für den Bund eine Tabuzone»

03.10.2016, Konzernverantwortung

Profit machen und gleichzeitig die Menschenrechte achten – das kann, muss aber nicht zusammengehen. Es sollte aber. Immer, findet die Konzernverantwortungsinitiative. Buchautor und Ökonom Markus Mugglin im GLOBAL+-Gespräch.

«Menschenrechte sind für den Bund eine Tabuzone»

von Daniel Hitzig

Sie beschreiben, wie sich das Verhältnis zwischen Nestlé und NGOs im Lauf der letzten Jahrzehnte verändert hat. Heute ist zur Konfrontation die punktuelle Kooperation hinzugekommen. Führt das auf Seiten der NGOs nicht auch zu Konfusion?

Ich habe überhaupt nicht diesen Eindruck. Die NGOs haben gelernt, dass sich Streit und Dialog nicht ausschliessen. Bis Kooperation und Konfrontation gleichzeitig möglich wurden, brauchte es auf NGO- und auf Konzernseite einen Lernprozess. Ich habe diesen Prozess am Beispiel der Kinderarbeit auf Kakaofeldern verfolgt, er ist meines Erachtens exemplarisch. Der Druck auf Nestlé ging 2001 von NGOs in den USA aus. Der Konzern versprach Besserung, reagierte aber nur zögerlich. Eine Wende markierte 2012 das Eingeständnis in einem Film, in welchem ein Nestlé-Vertreter den dänischen Filmemacher für seinen sehr kritischen Bericht über die Situation auf den Kakaofeldern in Westafrika lobte. Seither wurde bei der Bekämpfung der Kinderarbeit einiges erreicht.

Unter den Schweizer Konzernen hatte Novartis dank ihrer von Klaus M. Leisinger präsidierten Stiftung im Diskurs über Unternehmensverantwortung jahrelang eine führende Rolle…

Leisinger konnte über Novartis hinaus in den schweizerischen Debatten Wirtschaft und Menschenrechte einiges bewegen. Jetzt fällt aber auf, dass die Menschenrechte ausgerechnet in den Novartis-Geschäftsberichten keine Erwähnung finden. «Nachhaltigkeit» wird  ohne Bezug zu den Menschenrechten thematisiert.

Zeigt das Beispiel nicht, auf welch dünner Basis die Konzerne argumentieren, wenn sie uns glauben machen wollen, ihre Corporate Social Responsability (CSR) genüge vollauf?

CSR ist ein sehr flexibles und wenig verlässliches Konzept. Das sagen inzwischen auch führende Managementtheoretiker. Es erlaubt Unternehmen jene Postulate ernst zu nehmen, die einfacher zu erfüllen sind. Werden die Menschenrechte ins Zentrum gestellt,  ist das weniger möglich. Es braucht dann Belege dafür, dass Menschenrechte respektiert  und geschützt werden sowie Instrumente zur Wiedergutmachung allfälliger Menschenrechtsverletzungen verfügbar sind. Das sind die Forderungen der UNO-Leitprinzipien. Sie sind rechtlich zwar auch nicht bindend. Das pick and choose, das die Unternehmen ja am UNO Global Compact so sehr schätzen, ist aber weniger möglich.

Der Bundesrat hat letztes Jahr einen Bericht über CSR vorgelegt. Sie konnten diesem Bericht wenig Positives abgewinnen?

Die Lektüre dieses Berichts war frustrierend.  Er ist verwirrend und hat keine rote Linie, keine erkennbare Botschaft. Bankenprofessor Urs Birchler brachte es in der NZZ auf den Punkt: «Der Bund tritt in der Debatte nicht als Staat auf, der verbindliche und klare Regeln setzt und durchsetzt, sondern als Absender diffuser Erwartungen.»  Der Staat sollte Klarheit schaffen statt mit einer unübersichtlichen Zahl von Empfehlungen Verwirrung stiften. Er sollte präzise und  möglichst unbürokratische Regulierungen zum Schutz und zur Respektierung der Menschenrechte durch Unternehmen durchsetzen.

Die Banken mussten schmerzhaft erfahren, dass unsaubere Geschäfte hohe Risiken bergen, vor allem auch für die Reputation. Welches Gewicht messen die Konzerne der Reputationsfrage bei?

Ich war überrascht von der Deutlichkeit der Aussage in einem UBS-Geschäftsbericht. Es sei schwierig, einen erlittenen Reputationsschaden wieder zu beheben. Der Erholungsprozess verlaufe langsam und die Vergehen der letzten Jahre hätten dem Ansehen der Bank und den finanziellen Ergebnissen ernstlich geschadet. Konzerne scheinen zu wissen, welch kostbares Gut die Reputation ist.

Banken reden heute viel von sustainable finance, die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache.

Das wird in den Geschäftsberichten bestätigt. Die Beträge, welche die beiden Grossbanken als sogenannt „nachhaltig verwaltete Vermögen“ ausweisen, haben in den letzten Jahren zwar massiv zugenommen. Den Geschäftsberichten ist aber auch zu entnehmen, dass nur ein sehr kleiner Teil dieser Vermögen gemäss sozialen und ökologischen Kriterien angelegt ist.

Ein Reputationsschaden trifft auch Staaten, wo Konzerne ihren Sitz haben. Beim Rohstoff Gold versucht das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) mit der «Better Gold Initiative» Gegensteuer zu geben. Diese erfasst 500 kg, durch die Schweiz fliessen jedoch 7000 Tonnen Gold oder 70% des Welthandels. Ein fast schon lächerlich kleiner Schritt, oder nicht?

Diese Differenz ist tatsächlich eklatant. Und dies umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Schweiz während Jahrzehnten ihre Rolle im Goldmarkt  bewusst verschwiegen hat. Noch heute ist  die Herkunft des vielen in der Schweiz verarbeiteten und gehandelten Goldes eine eigentliche Blackbox. Die Rückverfolgbarkeit, die Frage also, woher das Schweizer Gold stammt und unter welchen Umständen es gefördert wurde, liegt weitgehend im Dunkeln. Und dabei zeigt die Better Gold Initiative: Eine Zertifizierung ist so viel wert, wie transparent eine ganze Lieferkette ist.

Wie erklären Sie sich die ausgeprägte Zurückhaltung der Bundesverwaltung, wenn es um die Menschenrechts-Problematik geht?

Mein Eindruck ist, dass eine Art „politischer Korrektheit“ sehr verbreitet ist. Ich hatte diesen Eindruck auch bei der Debatte über die Nahrungsmittelspekulation. Man scheint gar nicht genau wissen zu wollen, was Sache ist. Es gibt Tabuzonen wie Wirtschaft und Menschenrechte, mit denen man sich nicht offen auseinandersetzt. Dazu kommt die Tendenz des Nachvollzugs. Man wartet,  bis die anderen – meist die EU – ihre Politik definiert haben.  Vielleicht erhofft man sich davon,  sich gewissen Diskussionen im Bereich Wirtschaft und Gesellschaft entziehen zu können. 

Unternehmen können Heerscharen von Lobbyisten engagieren, um den Prozess zu beeinflussen, wie sich Firmen in Bezug auf Menschenrechte verhalten sollen. Haben NGOs mit ihren beschränkten Mitteln dagegen überhaupt eine Chance?

Durchaus. Ich kann nur an die Debatte zur Steuergerechtigkeit erinnern. Diese wurde 2003 von einer Handvoll Experten angestossen, die das Tax Justice Network gründeten. Heute sind deren Vorschläge auf höchster Ebene in der OECD angekommen. Es gibt in der NGO-Welt sehr  viel Fachkompetenz. Ich denke etwa an die niederländischen Banktrack oder Somo, an Oxfam, aber auch an viele schweizerische NGOs. Ich frage mich vielmehr, ob es der Zivilgesellschaft gelingt, diese vielen Recherchen unter die Leute zu bringen? Natürlich wäre es  auch an den Medien, diese in die Öffentlichkeit zu tragen. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich aus Zeitgründen bei Seite gelassen habe.

Markus Mugglin, vielen Dank für das Gespräch.