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Nachhaltige Finanzen: eine Generationenaufgabe

06.12.2023, Klimagerechtigkeit, Finanzen und Steuern

2015 hat sich die Staatengemeinschaft verpflichtet, die Finanzflüsse mit den Klimazielen des Pariser Abkommens in Einklang zu bringen: Wie steht es mit der Umsetzung? Was macht die Schweiz? Eine Bestandesaufnahme.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Nachhaltige Finanzen: eine Generationenaufgabe

Das Engagement der Finanzbranche für den Klimaschutz ist sehr widersprüchlich.

© Adeel Halim / Land Rover Our Panet

Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 hat sich die Staatengemeinschaft nicht nur dazu verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen massiv zu senken und die armen Länder bei ihren Anstrengungen zur Reduktion und Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels zu unterstützen, sondern auch dazu, die öffentlichen und privaten Finanzflüsse auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft und eine klimaresistente Entwicklung auszurichten. Darum geht es in Artikel 2.1.c des Pariser Abkommens. Im Fachjargon wird deshalb vom «Paris Alignment», der Ausrichtung auf Paris gesprochen.

Am 3. und 4. Oktober nahmen Regierungs-, Privatsektor- und NGO-Vertreter:innen in Genf anlässlich der dritten Ausgabe des Building Bridges Summit an einem zweitägigen Workshop teil, an dem es um diese Ausrichtung und die Komplementarität mit Artikel 9 des Pariser Abkommens ging. Dies im Hinblick auf eine erste «globale Bestandesaufnahme», die an der COP28 auf der Tagesordnung steht. Artikel 9 regelt die Verpflichtung der Industrieländer zur finanziellen Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Minderung (mitigation) und Anpassung (adaptation) an den Klimawandel. Mehrere Delegierte und NGOs äusserten in Genf ihre Besorgnis darüber, dass die Industrieländer das «Alignment» der (privaten) Finanzierung in den Vordergrund stellen und ihre Verpflichtungen zur finanziellen Unterstützung der Entwicklungsländer vernachlässigen.

Nach wie vor sind die Finanzflüsse für wirtschaftliche Aktivitäten, die auf fossilen Brennstoffen basieren, weit umfangreicher als diejenigen für Mitigations- und Adaptationsmassnahmen. Laut dem letzten IPCC-Synthesebericht wäre weltweit genügend Kapital zur Schliessung der Lücken bei den weltweiten Klimainvestitionen vorhanden; das Problem ist also nicht der Mangel an Kapital, sondern die anhaltende Fehlallokation von Geldern. Dies trifft sowohl auf die öffentlichen als auch auf die privaten Kapitalströme zu. Die Neuausrichtung der Finanzierungen und Investitionen auf Klimaschutzmassnahmen – insbesondere in den ärmsten und vulnerabelsten Ländern – ist jedoch nicht die Patentlösung. Die Herausforderungen mit Blick auf eine «gerechte Transition» gehen darüber hinaus und die Entwicklungsländer erwarten auch dafür finanzielle Unterstützung von den Ländern des Nordens.

Staaten in der Verantwortung

Unternehmen, also auch diejenigen des Finanzsektors, sind nicht an das Pariser Abkommen gebunden. Folglich stehen die Staaten in der Pflicht, die eingegangenen Klimaschutzverpflichtungen in innerstaatlichen Gesetzen zu regeln. Vereinfacht gesagt, verpflichtet das «Paris Alignment» die Staaten dazu sicherzustellen, dass alle Finanzflüsse zu den Klimazielen des Pariser Abkommens beitragen. Die zur Umsetzung von Artikel 2.1.c erforderlichen Instrumente sind vielfältig und es ist in erster Linie Sache der einzelnen Staaten zu bestimmen, welche regulatorischen Rahmenbedingungen, Massnahmen, Hebel und Anreize für die Neuausrichtung der Finanzströme nötig sind. Was es braucht sind dabei konkrete Massnahmen, welche bei den einzelnen Unternehmen und Finanzinstituten zu greif- und messbaren Ergebnissen führen.

Was macht die Schweiz?

Auch die Schweiz hat sich durch die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens dazu verpflichtet, ihre Finanzflüsse mit den Klimazielen in Einklang zu bringen. Zudem strebt der Bundesrat im Einverständnis mit der Branche eine führende Rolle für den Finanzplatz an. Dabei setzt er bislang jedoch in erster Linie auf freiwillige Massnahmen und Selbstregulierung.

Im Juni 2023 hat das Volk mit dem Klimagesetz beschlossen, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird. Zu diesem Zweck wurden Zwischenziele für die Reduktion der Treibhausgasemissionen sowie genaue Richtwerte für bestimmte Sektoren (Gebäude, Verkehr und Industrie) festgelegt. Generell müssen alle Unternehmen ihre Emissionen bis spätestens 2050 auf Netto-Null gesenkt haben. Zum spezifischen Ziel, die Finanzflüsse mit den Klimazielen vereinbar zu machen, besagt das Klimagesetz (Artikel 9): «Der Bund sorgt dafür, dass der Schweizer Finanzplatz einen effektiven Beitrag zur emissionsarmen und gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähigen Entwicklung leistet. Es sollen insbesondere Massnahmen zur Verminderung der Klimawirkung von nationalen und internationalen Finanzmittelflüssen getroffen werden. Der Bundesrat kann mit den Finanzbranchen Vereinbarungen zur klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzflüsse abschliessen.»

Rolle und Verantwortung des Schweizer Finanzplatzes

Die Faktenlage ist klar: Der Schweizer Finanzplatz ist der wichtigste «Klimahebel» der Schweiz. Die CO2-Emissionen in Zusammenhang mit den Finanzflüssen aus der Schweiz (Investitionen in Form von Aktien, Obligationen und Darlehen) sind 14- bis 18-mal höher als die in der Schweiz verursachten Emissionen!  Es wäre also nur folgerichtig, wenn der Bundesrat diesen Finanzflüssen Priorität einräumen würde. Angesichts seiner Bedeutung – mit rund 7'800 Milliarden an verwalteten Vermögenswerten –  könnte er einen zentralen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Dazu braucht es aber auch hierzulande wirksame Massnahmen, die eine Neuausrichtung der Finanzflüsse auf die Klimaziele bewirken. Dazu gehört auch eine glaubwürdige und längst fällige CO2-Bepreisung auf nationaler und internationaler Ebene.

Massnahmenkatalog für Schweizer Unternehmen und Finanzmarktakteure

Ab Januar 2024 müssen grosse Unternehmen – einschliesslich Banken und Versicherungen – einen Bericht über Klimabelange veröffentlichen. Dieser umfasst nicht nur das finanzielle Risiko für ein Unternehmen aufgrund seiner klimarelevanten Tätigkeiten, sondern auch die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens auf das Klima («doppelte Wesentlichkeit»). Darüber hinaus muss der Bericht Übergangspläne der Unternehmen und «wenn möglich und angebracht» CO2-Reduktionsziele enthalten, die mit den Klimazielen der Schweiz vergleichbar sind. Die Europäische Union hat ähnliche Verpflichtungen eingeführt, ebenso wie das Vereinigte Königreich und einige andere Länder. Für einmal hinkt die Schweiz also nicht hinterher.

PACTA-Klimatest

Seit 2017 empfiehlt der Bundesrat allen Finanzmarktakteuren (Banken, Versicherungen, Vorsorgeeinrichtungen und Vermögensverwaltern), freiwillig und kostenlos alle zwei Jahre am «PACTA-Klimatest» teilzunehmen.  Dieser hat zum Ziel zu überprüfen, wie weit sich deren Anlagen an dem im Pariser Abkommen festgelegten Temperaturziel ausrichten. Dem Test unterzogen werden die von Finanzakteuren gehaltenen Aktien- und Anleihenportfolios börsenkotierter Unternehmen sowie Hypothekenportfolios. Der PACTA sollte aufzeigen, welches Gewicht die in den acht kohlenstoffintensivsten Sektoren tätigen Unternehmen im Portfolio haben, die zusammen für mehr als 75% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich sind (Öl, Gas, Strom, Autos, Zement, Luftfahrt und Stahl).

Die Teilnahme am PACTA-Test bleibt jedoch freiwillig und die Teilnehmer entscheiden selbst, welche Portfolios sie zur Überprüfung einreichen wollen. Darüber hinaus ist die Veröffentlichung der einzelnen Testergebnisse auch für Finanzinstitute, die sich ein Netto-Null-Ziel für 2050 gesetzt haben, nicht verpflichtend. Der Bundesrat sperrt sich und empfiehlt die Ablehnung einer Motion, die Verbesserungen in diesen Punkten fordert, mit der Begründung, dass die bestehenden Beschlüsse ausreichend seien.

Selbstgesetzte Netto-Null-Ziele

Unter der Ägide der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) haben sich zahlreiche Schweizer Finanzinstitute freiwillig Klimaneutralitätsziele gesetzt. Diesen Ansatz trägt der Bundesrat mit. In Bezug auf Transparenz und Glaubwürdigkeit wirft ein solches Vorgehen aber zentrale Fragen auf: Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Finanzinstitute, die Net Zero-Ziele eingegangen sind? Wie hoch ist der Anteil der Geschäftsaktivitäten und Vermögenswerte, die bis 2050 tatsächlich das Ziel der Klimaneutralität erreichen sollen? Wie steht es um die Vergleichbarkeit der Informationen (Gesamt- und Zwischenziele, Massnahmen und Fortschritte der Finanzinstitute)? Zur Erhöhung der Transparenz und Rechenschaftspflicht der Finanzmarktakteure hatte der Bundesrat ursprünglich vorgeschlagen, Branchenvereinbarungen abzuschliessen, was von den Finanzlobbies abgelehnt wurde. Das Klimagesetz sieht nun aber den Abschluss solcher Vereinbarungen vor und das Eidgenössische Finanzdepartement sollte bis Ende Jahr diesbezüglich einen Bericht vorlegen.

Swiss Climate Scores

In Anlehnung an die GFANZ lancierte der Bundesrat im Juni 2022 die von Behörden und Industrie entwickelten «Swiss Climate Scores» (SCS). Die Grundidee besteht darin, Transparenz bei der klimaverträglichen Ausrichtung von Finanzanlagen zu schaffen, um Anlageentscheidungen zu fördern, die zur Erreichung der globalen Klimaziele beitragen. Auch hier bleibt der Ansatz für die Finanzdienstleister freiwillig.

Die Direktorin des Vermögensverwalters BlackRock Schweiz bedauerte an der Building-Bridges-Konferenz die geringe Akzeptanz der SCS in ihrer Branche. Damit bestätigte sie die von Alliance Sud nach deren Einführung geäusserten Zweifel. Auch die NZZ stellte unlängst deren geringe Akzeptanz und Unstimmigkeiten bei der Umsetzung durch die Finanzinstitute fest und bezeichnete die SCS im Vergleich zum hochkomplexen EU-Regulierungsrahmen als «Kühlschrank-Label für Finanzprodukte».

Ein Paradigmenwechsel

Die Umsetzung von Artikel 2.1 c) des Pariser Klimaabkommens wird auch für die Schweiz eine Herkulesaufgabe darstellen. Das Spektrum der bisherigen, vorwiegend freiwilligen Massnahmen wird den in Paris eingegangenen Verpflichtungen in keiner Weise gerecht. Ein Paradigmenwechsel ist daher dringend angezeigt.

Der Bundesrat hat sich kürzlich für die Annahme einer Motion ausgesprochen, welche einen «Ko-Regulierungsmechanismus» und eine Verpflichtung zur Verbindlichkeit fordert, «falls bis 2028 weniger als 80 Prozent der Finanzflüsse von Schweizer Finanzmarktinstituten auf einem Pfad hin zu einer Treibhausgasreduktion gemäss Übereinkommen von Paris sind». Es ist nun also am Parlament, endlich die ersten Massnahmen zur Bewältigung dieser Generationenaufgabe zu ergreifen.