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Ökologische Nachhaltigkeit: neues Menschenrecht

06.12.2021,

In einer kürzlich verabschiedeten Resolution des Menschenrechtsrates wird das Grundrecht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt festgeschrieben. Auch Unternehmen fallen in ihren Anwendungsbereich.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Ökologische Nachhaltigkeit: neues Menschenrecht

Die indigene Bevölkerung in Guatemala kämpft für ihre Rechte: Diese sind durch den Nickelabbau einer Tochtergesellschaft der in Zug ansässigen Solway Investment Group bedroht.
© Orlando ESTRADA / AFP

Am 8. Oktober 2021 erkannte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHRC) zum ersten Mal das Recht auf eine «sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt» als grundlegendes Menschenrecht an. Trotz der Kritik, die im Vorfeld der Sitzung des Menschenrechtsrats insbesondere von den USA und dem Vereinigten Königreich geäussert wurde, nahm der Rat die neue Resolution, die von Costa Rica, den Malediven, Marokko, Slowenien und der Schweiz vorgeschlagen wurde, mit 43 Stimmen an. Russland, Indien, China und Japan enthielten sich der Stimme. Die Resolution ruft die Staaten auf, Massnahmen zur Umsetzung des Rechts auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt, insbesondere der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme, zu ergreifen. Wird diese Resolution von der UN-Generalversammlung abgesegnet, wäre dies die erste ihrer Art seit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948.  Das Recht auf eine saubere Umwelt wurde erstmals in der «Erklärung von Stockholm von 1972» erwähnt.

Starke Mobilisierung der Zivilgesellschaft

Eine Kampagne, an der 13000 Organisationen der Zivilgesellschaft und indigener Völker, 90000 Kinder, Akteure des Privatsektors und der Globalen Allianz der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen beteiligt waren, bereitete den Weg für diese Resolution.  «Es brauchte buchstäblich Millionen von Menschen und jahrelange Arbeit, damit diese Resolution zustande kommen konnte», erklärte David Boyd, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt. Laut Michelle Bachelet, UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, geht es bei der Anerkennung des Menschenrechts auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt um den Schutz der Menschen und des Planeten ¬ «die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, die Lebensmittel, die wir essen». Gemäss der Hochkommissarin werden mit diesem Beschluss Umweltzerstörung und Klimawandel eindeutig als miteinander verbundene Menschenrechtskrisen anerkannt.  Bei der Abstimmung, die nur wenige Wochen vor dem Klima-Gipfel (COP26) in Glasgow stattfand, wurde auch die Einsetzung eines Sonderberichterstatters beschlossen, der die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte untersuchen soll.

In der neuen Resolution wird insbesondere das «Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit» von MenschenrechtsverteidigerInnen im Umweltbereich ins Zentrum gestellt und bekräftigt, dass gemäss den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte alle Unternehmen dafür verantwortlich sind, sowohl die Menschenrechte als auch die MenschenrechtsaktivistInnen zu schützen. UmweltaktivistInnen auf der ganzen Welt sind ständigen physischen Angriffen, gerichtlichen Verfahren, Inhaftierungen, Festnahmen und Verleumdungskampagnen ausgesetzt. Allein im Jahr 2020 wurden rund 200 UmweltaktivistInnen ermordet.

Umwelt und unternehmerische Sorgfaltspflicht

Mittlerweile kennen verschiedene Gesetzgebungen eine unternehmerische Sorgfaltspflicht im Umweltbereich. In Frankreich verpflichtet das Gesetz über die Sorgfaltspflicht («loi relative au devoir de vigilance») bestimmte Grossunternehmen zur Umsetzung eines Sorgfaltsplans zur Erkennung und Vermeidung von Risiken, die durch Unternehmen, ihre Tochtergesellschaften, Subunternehmer oder Zulieferer verursacht werden – in Bezug auf Menschenrechte, die persönliche Gesundheit und Sicherheit und die Umwelt. Nach französischem Recht stellt die Verletzung dieser Vorschriften eine Ordnungswidrigkeit dar, für die das Unternehmen zivilrechtlich haftet und schadenersatzpflichtig wird.
Das neue deutsche Gesetz (Lieferkettengesetz) umfasst in Fällen, in denen Umweltrisiken zu Menschenrechtsverletzungen führen können, auch den Umweltschutz. Das Gesetz sieht unter anderem ein Verbot von Bodenveränderungen, Wasserverschmutzung, Luftverschmutzung, Lärmemissionen und übermässigem Wasserverbrauch vor. Basierend auf zwei internationalen Übereinkommen zur Vermeidung von Gesundheits- und Umweltrisiken werden Umweltverpflichtungen festgelegt.

In seiner parlamentarischen Initiative zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen, die der Kommission die Ausarbeitung eines Richtlinienentwurfs empfiehlt, hat das Europäische Parlament am 12. März 2021 mit überwältigender Mehrheit für eine gesetzliche Sorgfaltspflicht in Bezug auf Umwelt und Menschenrechte gestimmt, die Unternehmen in ihrer gesamten Wertschöpfungskette einhalten sollen. Der Text des Europäischen Parlaments enthält eine nicht abschliessende Liste negativer Auswirkungen von Unternehmenstätigkeiten auf die Umwelt, darunter Abfallerzeugung, diffuse Verschmutzung und Treibhausgasemissionen, die zu einem globalen Temperaturanstieg von mehr als 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau führen, Abholzung und alle anderen Auswirkungen auf Klima, Luft-, Boden- und Wasserqualität, nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, biologische Vielfalt und Ökosysteme. Die Initiative des Europäischen Parlaments sieht auch die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung für Unternehmen und die Verpflichtung zum Schadenersatz vor, wenn diese oder von ihnen kontrollierte Firmen negative Auswirkungen auf die Menschenrechte oder die Umwelt zu verantworten haben oder durch ihr Handeln oder Unterlassen dazu beigetragen haben.

Die Resolution des UNO-Menschenrechtsrats sollte längerfristig den Umfang der unternehmerischen Sorgfaltspflicht zur Gewährleistung einer sicheren, sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt ausweiten und konsolidieren. Dies wird den Massnahmen für die Stärkung von Menschenrechten, Umweltschutz und Unternehmensverantwortung insgesamt mehr Nachdruck verleihen.

Pro memoria

Der Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative, der am 1. Januar 2022 in Kraft treten wird, sieht keine Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt vor. Er verpflichtet grosse Unternehmen lediglich zu einer Berichterstattung über nicht-finanzielle Angelegenheiten wie Umweltfragen, insbesondere CO2-Ziele. Unterlässt es ein Unternehmen, in seinem jährlichen Bericht auf diese Fragen einzugehen, reicht eine Begründung aus.

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