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Paradiesische Freiwilligkeit

11.12.2017, Internationale Zusammenarbeit

Unzählige Unternehmen nutzen höchst freiwillig jede kleinste Gesetzeslücke, um ihren Gewinn zu maximieren. Freiwilligkeit ist auch das Mantra des Bundesrats, wenn es um Einhaltung der Menschenrechte geht.

Paradiesische Freiwilligkeit

© Daniel Rihs / Alliance Sud

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Nach den Parlamentswahlen vom Herbst 2015 herrschte Ernüchterung in jenem Teil der Schweizer Bevölkerung, der sich für ein weltoffenes und solidarisches Land einsetzt. Gewonnen hatten die politischen Kräfte, die für nationalstaatlichen Egoismus und kurzfristige Wirtschaftsinteressen stehen. Economiesuisse, Swissholdings und andere Interessenvertreter multinational tätiger Konzerne jubelten: Endlich wieder ein Parlament, dem die Interessen der Grosskonzerne wichtiger sind als die Solidarität mit Benachteiligten und die humanitäre Tradition der Schweiz.

Das ist schon eine Weile her. Inzwischen verdichten sich in der Bevölkerung die Zeichen für eine politische Trendwende. Im Februar 2017 hat das Schweizer Stimmvolk die Unternehmenssteuerreform III versenkt. Das ist auch aus entwicklungspolitischer Sicht erfreulich. Die Reform hätte neue Anreize für Unternehmen geschaffen, Gewinne aus Entwicklungsländern unversteuert in die Schweiz zu verlagern.

Ende Oktober sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage 77% der Befragten für die Konzernverantwortungsinitiative aus. Das war noch vor der Veröffentlichung der Paradise Papers. Danach wäre die Zustimmung vermutlich noch deutlicher ausgefallen. Die Schweizerinnen und Schweizer wünschen sich eine gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen, auch im Ausland die Menschenrechte einzuhalten und die Umwelt zu schützen.

Der Bundesrat scheint die Zeichen der Zeit allerdings noch nicht erkannt zu haben. Die revidierte Version der Unternehmenssteuerreform, die er in die Vernehmlassung geschickt hat, gleicht in entscheidenden Punkten der abgeschmetterten Vorgängerin. Bei den UNO-Verhandlungen in Genf zu einem verbindlichen menschenrechtlichen Regelwerk für Unternehmen stellt er sich quer – und stösst damit auch die Entwicklungsländer vor den Kopf. Die Konzernverantwortungsinitiative bekämpft er und beschwört die Selbstverantwortung. Unternehmen sollen sich freiwillig an die Menschrechte halten und die Umwelt schützen.  

Wie das Prinzip der Freiwilligkeit funktioniert, zeigen die Paradise Papers: Unzählige Unternehmen nutzen höchst freiwillig jede kleinste Gesetzeslücke, um ihren Gewinn zu maximieren. Bei den Paradise Papers geht es um Steuervermeidung, nicht um die Verletzung von Menschenrechten und um verheerende Umweltschäden. Der massive Widerstand von Economiesuisse und Swissholdings gegen die Konzernverantwortungsinitiative macht aber klar, dass Grosskonzerne nicht nur mit der Steuermoral, sondern auch mit der Einhaltung der Menschenrechte Probleme haben.

Umso erfreulicher ist, dass die Rechtskommission des Ständerates die Initiative ernst nimmt. Sie will wesentliche Punkte der Vorlage in einen parlamentarischen Gegenvorschlag aufnehmen. Wie der Gegenvorschlag im Detail aussehen soll, ist noch offen. Die Initiantinnen und Initianten, darunter auch Alliance Sud, haben Interesse signalisiert. Sie sind offen für den Dialog über ein Gesetz, das gegenüber dem Status Quo massgebliche Verbesserungen bringen würde. Umfassende Sorgfalt in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz darf für Unternehmen kein freiwilliger Akt mehr sein. Verstösse gegen die Menschenrechte müssen klare rechtliche Konsequenzen haben.

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