Schweiz - Ukraine

Bundesrat verhilft der gebundenen Hilfe zum Comeback

12.11.2025, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Unlängst hat der Bundesrat sein Abkommen mit der ukrainischen Regierung in die Vernehmlassung gegeben. Es soll eine gesetzliche Grundlage zur Subventionierung von Schweizer Unternehmen schaffen. Unter dem Deckmantel der «Zusammenarbeit» kehrt damit die längst überwunden geglaubte gebundene Hilfe zurück.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Bundesrat verhilft der gebundenen Hilfe zum Comeback

Eigennützige Hilfe aus der Schweiz: Sie will mit aus der Armutsbekämpfung abgezweigten Mitteln die eigene Privatwirtschaft subventionieren, statt ukrainische Firmen zu stärken. Bauarbeiter im zerbombten Charkiw.
© AP Photo/Vadim Ghirda

Liest man den Titel (Abkommen über die Zusammenarbeit im Wiederaufbauprozess der Ukraine) der Vorlage, könnte man meinen, es gehe um das gesamte Länderprogramm Ukraine 2025-2028, das die Schweiz mit 1,5 Milliarden Franken aus dem Budget der internationalen Zusammenarbeit finanziert.

Setzt man die Lektüre bei der Präambel fort, so kommt dort der Wille der Parteien zum Ausdruck, die «Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft» zu stärken und die «Integration der Ukraine in den europäischen Markt» voranzutreiben. Ebenfalls wird die wichtige Rolle des Privatsektors für einen «effizienten und nachhaltigen Wiederaufbau» hervorgehoben. Man könnte nun vermuten, dass das Abkommen eine breite Palette von Massnahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit seitens der Schweiz umfasst, von denen vor allem die ukrainische Wirtschaft und die ukrainischen Unternehmen profitieren würden.

Dem ist jedoch nicht so. Der Kern des Abkommens besteht darin, die Modalitäten für eine nicht rückzahlbare finanzielle und technische Hilfe zum «Kauf von Waren und Dienstleistungen von Schweizer Unternehmen» für Wiederaufbauprojekte in der Ukraine zu definieren, insbesondere in den Bereichen Energie, Verkehr und Mobilität, Bauwesen und Wasser. Diese «Hilfe» wird vollständig aus dem Verpflichtungskredit des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) finanziert und unterliegt der Genehmigung durch das Parlament im Rahmen der Budgetdebatten. Gemäss Bundesrat soll dafür ein Drittel des Budgets von 1,5 Milliarden Franken für den Wiederaufbau der Ukraine im Zeitraum 2025-2028 zur Verfügung stehen, also 500 Millionen Franken.

 

Bereits genehmigte Projekte

Im August dieses Jahres wurden die ersten zwölf Projekte des Schweizer Privatsektors vorgestellt, die mit Mitteln aus dem Budget der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden. Gesamtbudget: 112 Millionen Franken, davon werden 93 Millionen von der Schweiz finanziert, der Rest von ukrainischen Unternehmen und Partnern. Die Projekte betreffen die Bereiche Infrastruktur (Energie, Wohnungsbau), öffentlicher Verkehr, Gesundheit und humanitäre Minenräumung. Zu den geförderten Unternehmen gehören Hitachi und Roche. Derzeit können nur Schweizer Unternehmen, die bereits in der Ukraine tätig sind, solche Finanzhilfen des SECO erhalten.

 

Zusammenarbeit entbehrt jeglicher gesetzlichen Grundlage

Die aufmerksame Leserschaft wird nun zu Recht fragen, auf welcher gesetzlichen Grundlage diese «technische und finanzielle Hilfe» beruht. Der erläuternde Bericht des Bundesrats ist in dieser Hinsicht klar. Diese finanziellen Massnahmen fallen nicht unter das Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (BG IZA), da sie den aussenwirtschaftspolitischen Interessen der Schweiz dienen. Der Bericht lässt keine Zweifel offen: Der Schweizer Privatsektor liegt ausserhalb des Geltungsbereichs des BG IZA. Könnten die Mechanismen zur Unterstützung der Schweizer Exporte, zu denen das Gesetz über die Exportförderung und das Gesetz über die Schweizer Exportrisikoversicherung gehören, allenfalls als Gesetzesgrundlage dienen? Die Antwort lautet: nein. Laut Bundesrat sind sie punkto Zweck und Gegenstand erstens völlig unterschiedlich. Zweitens erlauben diese Gesetze keine Finanzierung von Schweizer Exporten bzw. Subventionen, da dies gegen die einschlägigen Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) verstossen würde. Wir befinden uns also hier in einer rechtlichen Grauzone.

Mit einem juristischen Kunstgriff wurde das Abkommen jedoch so ausgestaltet, dass Käufe bei Schweizer Unternehmen – obwohl sie auf keiner ausdrücklichen schweizerischen Gesetzesgrundlage beruhen – dem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) unterliegen. Dabei wird die Notwendigkeit unterstrichen, die «Rechtssicherheit» dieser Transaktionen zu gewährleisten. Dieser Ansatz hinkt allerdings.

Denn gemäss BöB ist die Schweiz verpflichtet, Unternehmen aus Ländern, die der Schweiz Reziprozität gewähren (insbesondere aus der Europäischen Union und der Ukraine), für Ausschreibungen zuzulassen. Diese Verpflichtung setzt das Abkommen kurzerhand ausser Kraft; ausländische Bieter werden hier von den Ausschreibungen ausgeschlossen, um sie Schweizer Unternehmen vorzubehalten. Damit riskiert der Bundesrat, dass die anderen Länder, insbesondere die EU-Mitgliedstaaten, Schweizer Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen in Zusammenhang mit ihren Kooperationsprojekten mit der Ukraine die Reziprozität entziehen. Darüber jedoch schweigt sich der erläuternde Bericht aus.

Ein überholter und problematischer Mechanismus

Abgesehen von den rechtlichen Feinheiten ist aus entwicklungspolitischer Sicht problematisch, dass der Bundesrat, unter dem Deckmantel eines «Kooperationsabkommens», der gebundenen Hilfe (tied aid) zu einem Comeback verhilft. Die Rede ist von einer Praxis, die vom Entwicklungshilfeausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD-DAC) heftig kritisiert und aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf die Partnerländer aus der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz fast vollständig verbannt wurde. Somit stellt dieses Abkommen einen besorgniserregenden Präzedenzfall dar, da es diesen überholten und verpönten Mechanismus reaktiviert.

 

Es handelt sich hier um eine schleichende Umverteilung von Mitteln zur Armutsbekämpfung zugunsten von Akteuren des Privatsektors.

 

In der letzten Länderüberprüfung durch den OECD-Entwicklungsausschuss (OECD/DAC Peer Review Switzerland 2025) wurde die Schweiz aufgefordert, diese Art der gebundenen Hilfe zu beenden. Denn dadurch, so die OECD «kann das Empfängerland Güter und Dienstleistungen aus nahezu jedem Land beziehen, wodurch unnötige Kosten vermieden werden».

Exportsubventionen auf Kosten der Zusammenarbeit

Aus budgettechnischer Sicht gibt es zudem keinen ersichtlichen Grund, weshalb diese «Finanzhilfen in spezifischen Sektoren» – oder, treffender formuliert, diese Exportsubventionen von Schweizer Waren und Dienstleistungen – vollständig aus dem Budget der internationalen Zusammenarbeit finanziert werden sollen. Da sie ausschliesslich für Schweizer Unternehmen bestimmt sind und nicht auf dem Gesetz über die internationale Zusammenarbeit beruhen, können sie nicht als Instrument der internationalen Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz betrachtet werden. Es handelt sich hier um eine schleichende Umverteilung von Mitteln zur Armutsbekämpfung zugunsten von Akteuren des Privatsektors und ist Teil eines negativen Trends, der die Ziele und den Zweck der internationalen Zusammenarbeit in Frage stellt.

Alliance Sud fordert daher, dass diese Finanzhilfen künftig nicht mehr aus dem Budget für internationale Zusammenarbeit bestritten werden. Wenn der Bundesrat diese Art der Unterstützung für Schweizer Unternehmen im Rahmen des Wiederaufbaus der Ukraine beibehalten möchte, sollte er dafür neue, separate Finanzierungsquellen erschliessen, um nicht die Mittel der internationalen Zusammenarbeit zu belasten. Diese müssen vorrangig für die Armutsbekämpfung und die Unterstützung benachteiligter Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden.

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