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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
Internationale Steuerpolitik
20.03.2025, Finanzen und Steuern
Die päpstliche Akademie für Sozialwissenschaften hat zu einem Treffen zu Steuergerechtigkeit und Solidarität geladen. Doch nicht der Heilige Geist schwebte über den Teilnehmenden, sondern Donald Trump.
Im Erlassjahr will der Vatikan die Schuldenarchitektur und das Steuersystem neu gestalten. Im Bild: Petersdom, Vatikanstadt. © Keystone/AFP/Tiziana Fabi
Man mag vom Monotheismus im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Speziellen halten, was man will; unbestritten ist, dass dem ersten Papst aus dem Globalen Süden soziale Gerechtigkeit ein grosses Anliegen ist. Folgerichtig forderte Papst Franziskus schon vor drei Jahren ein Steuersystem, das «die Umverteilung des Reichtums begünstigen muss, die Würde der Armen und der Geringsten schützt, die immer Gefahr laufen, von den Mächtigen mit Füssen getreten zu werden».
Der «hochrangige Dialog» der päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften fand am 13. Februar 2025 gemeinsam mit der «Independent Commission for the Reform of Corporate Taxation» (ICRICT, siehe Kasten) statt. Die Veranstalter und der Ort des Treffens sorgten für eine eben «hochrangige» Teilnehmer:innenschar mit Nobelpreisträgern, Professor:innen, ehemaligen Staatspräsidenten (aktuelle wie Lula und Pedro Sánchez sandten Video-Botschaften), Verter:innen von UNO-Organisationen und der EU-Kommission. Und natürlich waren die NGOs, die ICRICT initiiert haben, mit dabei.
Die «Independent Commission for the Reform of Corporate Taxation» (ICRICT) wurde vor 10 Jahren auf Initiative von zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter Alliance Sud, ins Leben gerufen. Einerseits als fachliche Unterstützung, andererseits als Sprachrohr. Neben den Co-Chairs Jayati Ghosh und Joseph Stiglitz hat die Kommission 12 weitere Mitglieder aus Afrika, Asien, Lateinamerika, Ozeanien und Europa, darunter die frühere Europaparlamentarierin und Korruptions- und Geldwäschereiexpertin Eva Joly, der ehemalige kolumbianische Finanzminister José Antonio Ocampo oder der Wirtschaftsprofessor Thomas Picketty, Autor des Bestsellers «Das Kapital im 21. Jahrhundert».
Zur Eröffnung sagte die Präsidentin der päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften, Schwester Helen Alford, Papst Franziskus (der leider am selben Tag schwer erkrankt war) habe das Heilige Jahr 2025 unter das Motto «Zeichen der Hoffnung» gestellt. Und Zeichen der Hoffnung gab es im Schatten des Petersdoms trotz Trump – oder gerade wegen ihm.
Die ehemalige Premierministerin Senegals, Aminata Touré, erinnerte daran, dass Afrika jedes Jahr durch Steuerflucht und andere illegitime Finanzflüsse mehr Geld verliert, als alle Gelder für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und ausländischen Investitionen auf dem Kontinent zusammen ergeben. Angesichts der wichtigen UNO-Treffen dieses Jahr, wie die 4. Financing for Development Konferenz (FfD4) oder der zweite Weltgipfel für soziale Entwicklung, hoffe sie, dass sich der gesunde Menschenverstand durchsetzen werde, «wonach wir in diesen Tagen alle Sehnsucht haben».
Dass sich die G20 unter der Führung von Brasilien im letzten Jahr grundsätzlich für eine höhere Besteuerung der Superreichen ausgesprochen hat, wurde von vielen als Zeichen der Hoffnung gesehen. Einer der glühendsten Verfechter dieser Idee, der französische Ökonomieprofessor Gabriel Zucman, erläuterte, dass Menschen mit einem Vermögen von 100 Millionen Dollar von allen gesellschaftlichen Gruppen am wenigsten Steuern bezahlen. Oder wie es Abigail Disney, Grossnichte und Erbin von Walt Disney, sagte: «Ich habe einen geringeren effektiven Steuersatz als mein Hauswart.» Wie genau eine Milliardärssteuer aussehen könnte, hat Zucman leider nicht weiter ausgeführt, worauf Edmund Valpy Fitzgerald, emeritierter Oxford-Professor für Entwicklungsfinanzierung, vor allem auf die Schwierigkeiten hinwies: Der absolut überwiegende Teil der Milliardär:innen sitzt im Norden, also braucht es die Kooperation dieser Länder. Die grossen Vermögen im Süden sind anders zu behandeln als diejenigen im Norden, deshalb braucht es angepasste Regeln. Und dann ist die Frage ungeklärt, wie der Steuerertrag zu Gunsten der Entwicklungsländer verwendet werden könnte und wer wieviel erhalten sollte. Doch - «die richtige Struktur könnte das EZA-System durch steuerfinanzierte Transfers auf der Basis von Bedürftigkeit und Möglichkeiten ablösen» - ein Zeichen der Hoffnung.
Neben diesem Ausflug zum Thema der Individualbesteuerung kehrte die Diskussion rasch wieder zu dem zurück, was die Kommission im Namen trägt: Die Reform der Unternehmenssteuern. Man war sich einig, dass die OECD-Mindeststeuer nicht funktioniert und die UNO das einzig richtige Forum für globale Steuerfragen ist. Von Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz kam die lapidare Einschätzung: «Das gute an schlechten Zeiten ist – es gibt ganz viel Raum für Verbesserungen». Und er sah das überraschendste Zeichen der Hoffnung: Der Rückzug von Trump aus den Verhandlungen über die UNO-Steuerkonvention. «In der Vergangenheit verhandelten die USA immer gleich. Sie verhandeln hart, zwingen alle zu Zugeständnissen, verwässern, nur um am Schluss dann das Abkommen nicht zu unterzeichnen oder zu ratifizieren.» Besser also, sie sind gar nicht mehr dabei. Er machte auch einen konkreten Vorschlag, wie auf Trump reagiert werden könnte, und zwar am Beispiel der Aussetzung des «Corrupt Foreign Practices Act», des Anti-Korruptionsgesetzes. Bestechung ist also wieder erlaubt, ja, «great for American business». Da diese Einladung zur Korruption gleich wirke wie Subventionen, so Stiglitz, könnten die Länder Gegenmassnahmen ergreifen, die die WTO bei Subventionen erlaubt. Oder sie könnten US-Multis besteuern, zur Klimafinanzierung oder um die Zerlegung von USAID abzufedern. «Reagiert kreativ auf eine disfunktionale Regierung in den USA!»
Etwas näher an der Realität war der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez in seiner Videobotschaft. Sehr klar sprach er sich für die Besteuerung der Superreichen aus, forderte eine ambitionierte Uno-Steuerkonvention und das Prinzip, dass die Besteuerung dort erfolgt, wo die Wertschöpfung anfällt. «Es stellt sich die einfache Frage: Steuern wir die globale Besteuerung oder lassen wir es zu, dass das System uns steuert?» Spanien kommt als Gastgeberland der FfD4 in Sevilla eine zentrale Rolle zu, seine klaren Worte sind deshalb ein Zeichen der Hoffnung.
Die indische Ökonomin und Co-Vorsitzende von ICRICT, Jayati Ghosh, ging noch einen Schritt weiter: «Herausfordernde Zeiten sind eine Chance, sich neu aufzustellen, neue Allianzen zu bilden und Alliierte zu finden, wo man sie nicht erwartet hat.» Wenn die europäischen Länder angesichts des Berserkers von Washington als treibende Kraft in den globalen Steuerverhandlungen auf Afrika zugehen würden, wäre das mehr als nur ein Zeichen der Hoffnung.
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Medienmitteilung Alliance Sud und Public Eye
28.03.2025, Finanzen und Steuern
Zehn Jahre nachdem die EU-Kommission beim Kaffeekonzern massives Steuerdumping aufgedeckt hat, zeigt eine neue internationale Studie: Starbucks hat zwar das Frappuccino-Sortiment aktualisiert, nicht aber seine Schweizer Steuertricks. Dagegen haben Alliance Sud und Public Eye heute in Lausanne beim Schweizer Sitz des Unternehmens protestiert.
© Alliance Sud
Multinationale Konzerne nützen Patent-, Marken- oder Software-Rechte, um Gewinne nicht dort zu versteuern, wo sie erarbeitet werden, sondern dort, wo sie auf diese am wenigsten Steuern zahlen müssen. So weit, so bekannt. Die Recherche der NGO CICTAR «Starbucks’ Swiss Scheme: ‘Fair’ Trading or Global Tax Dodge?» zeigt nun aber: Profit Shifting geht auch mit Hilfe eines Firmenprogramms für ökologischen und fairen Handel.
Starbucks wickelt seinen gesamten konzerninternen Handel mit Kaffeebohnen über sein Lausanner Handelsbüro «Starbucks Coffee Trading Company Sarl» (SCTC) ab. Seit 2011 verbuchte der Konzern dort insgesamt 1,3 Milliarden Dollar Gewinne – dank auffällig hohen Margen aus dem internen Bohnenhandel von bis zu 18% und zu einem im internationalen Vergleich sehr niedrigen Steuersatz von höchstens 14%. Bereits 2015 kritisierte dies die EU-Kommission. Der Konzern begründete die hohen Margen damals mit Kosten für sein Zertifizierungsprogramm C.A.F.E. Practices – laut EU-Kommission zu Unrecht.
Der CICTAR-Bericht zeigt jetzt: Starbucks wendet dieses «Swiss scheme» immer noch an und verschiebt so weiter Gewinne nach Lausanne. Auf der Strecke bleibt der Fiskus in den Produktionsländern und den Absatzmärkten von Starbucks. Die Produzent:innen leiden aber nicht nur finanziell: «Reporter Brasil» enthüllte vor eineinhalb Jahren, dass auf durch C.A.F.E. Practices zertifizierten Plantagen in Brasilien illegale Sklaven- und Kinderarbeit stattfindet. «Dass Starbucks ausgerechnet mit diesem Programm auch noch Gewinne von einkommensschwächeren Ländern nach Europa verschiebt, ist ein Affront gegenüber den Kaffeepflückern und -bäuerinnen» sagt Carla Hoinkes, Landwirtschaftsexpertin bei Public Eye. «Statt fairen Handel fördert Starbucks damit globale Ungerechtigkeit».
Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei Alliance Sud, sagt: «Für solche Steuervermeidungstricks bleiben der Kanton Waadt und die Schweiz trotz OECD-Mindeststeuer weiterhin attraktiv.» Doch damit nicht genug: Tiefsteuer-Kantone wie Zug, Basel-Stadt, Luzern oder Schaffhausen wollen die zusätzlichen Mindeststeuereinnahmen ausgerechnet wieder an jene Firmen zurückgeben, die die Mindeststeuer bezahlen. Ob Waadt solche Massnahmen auch ergreift, ist noch offen. «Wenn die Schweizer Politik hier nicht durchgreift, werden davon auch Steuervermeider wie Starbucks profitieren», so Gross.
Auskünfte:
Dominik Gross, Experte Steuerpolitik Alliance Sud,
E-mail: dominik.gross@alliancesud.ch, Tel. +41 78 838 40 79
Carla Hoinkes, Landwirtschaftsexpertin Public Eye,
E-mail: carla.hoinkes@publiceye.ch, Tel. +41 44 277 79 04
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Credit Suisse-PUK
20.12.2024, Finanzen und Steuern
Die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) hat einen guten Bericht zum Ende der Credit Suisse vorgelegt. Doch dass dieser ein grundlegendes Umdenken in der Schweizer Finanzplatzpolitik auslösen wird, muss leider bezweifelt werden.
Franziska Ryser (GRÜNE Schweiz / SG), Vizepräsidentin der PUK, spricht an der Medienkonferenz zum Untergang der Credit Suisse. Die PUK fand klare Worte zu den Verfehlungen von Regierung, Behörden und der Grossbank selbst.
© Keystone / Peter Klaunzer
Es ist mittlerweile ein ungeschriebenes Gesetz in Bundesbern: Die brisantesten News werden gerne entweder direkt ins Sommerloch geworfen oder dann hinter dem Christbaum versteckt. So teilte der Bundesrat vor einem Jahr am Freitag vor den Weihnachtsferien mit, wie er die OECD-Mindeststeuer auf den 1. Januar 2024 genau einführen will. Dieses Jahr präsentierte er am letzten Arbeitstag vor den Sommerferien seinen schwer umstrittenen Vorschlag für das Sparbudget 2025. Heute Morgen schliesslich präsentierte die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zum Ende der Credit Suisse (die erste PUK seit 33 Jahren!) ihren Abschlussbericht und der Bundesrat ein paar Stunden später die Einigung mit der EU bei den Bilateralen III. Dazu kamen am vergangenen Mittwoch – zwei Tage vor Ende der Wintersession – noch die skandalösen finanzplatzpolitischen Entscheide von National- und Ständerat zum regulatorischen Umgang mit zwielichtigen Offshore-Anwälten (Lockerungen der Russland-Sanktionen) und Briefkastenfirmen (Register für wirtschaftlich Berechtigte von Firmen). Versuchen die massgebenden Terminplaner:innen im Bundeshaus vielleicht, politischen Zunder wenn immer möglich im Badiwasser oder im Festtagsalkohol aufzulösen? Beim Budget 2025 hat das sicher nicht funktioniert, bis vorgestern wurde im Parlament darüber heftig gestritten.
Auch der PUK-Bericht zur Credit Suisse (CS) hat es in sich, und so dürfen wir zumindest hoffen, dass sich auch im neuen Jahr noch einige an ihn erinnern (in der Frühlingssession diskutieren ihn National- und Ständerat dann sowieso). Etwa zur Frage, inwiefern mangelndes Eigenkapital mit ein Grund für das Ende der CS war. Finanzministerin Karin Keller-Sutter hatte in den verrückten Begräbnistagen der CS im März 2023 stets betont, die Eigenkapitaldecke der Grossbank sei ausreichend gewesen. Nicht daran sei die Bank gescheitert, sondern an mangelnder Liquidität, womit sie auf das seit Oktober 2022 erodierende Kundenvertrauen und die damit einhergehenden massiven Kapitalabflüsse und einen Totalabsturz des Aktienkurses nicht mehr reagieren konnte. Die politischen Protektor:innen der Grossbanken (KKS inkl.) reduzierten das ganze Debakel somit auf den Tweet eines australischen Journalisten, der damals schrieb, eine global systemrelevante Bank stünde gerade am Abgrund. Die PUK bestätigt nun, was viele Kritiker:innen der aktuellen «Too-big-to-fail»-Regulierungen für Grossbanken (TBTF) schon lange sagen: Das zu niedrige Eigenkapital der CS spielte sehr wohl eine Rolle. Weil umso höher das Eigenkapital, desto weniger schnell ziehen Kunden und Anleger:innen ihr Geld aus einer Bank ab, wenn sie schlechte Schlagzeilen macht.
Nach der Finanzkrise von 2008/2009 und der staatlichen UBS-Rettung wurden die Eigenkapitalanforderungen der Grossbanken erhöht (wenn auch nicht genug hoch und nicht genug konsequent). Bis zu ihrem Ende schaffte es die CS allerdings sukzessive, ihre Eigenkapitalquote de facto wieder unter das regulatorische Minimum zu senken. Wie die PUK zeigt, half ihr dabei ab 2017 ein buchhalterischer Trick namens «Regulatorischer Filter», der diese Quote «künstlich» hoch hielt. Dieser wurde ihr von der Finanzmarktaufsicht FINMA 2017 grosszügig und offenbar gegen den Widerstand der Nationalbank gewährt. Die PUK schreibt dazu auf Seite 7 ihres Berichts: «Der Filter erlaubte es der CS AG, den Anschein genügender Kapitalisierung bis zum Schluss aufrechtzuerhalten.
Dem wenigen Eigenkapital der CS stehen die zahlreichen Skandale gegenüber, die die Bank in den 2010er Jahren produzierte und die ihren stetigen Reputations- und Vertrauensverlust beförderten. Neben jenen Skandalen, die vor allem auf Kosten der CS-Aktionär:innen gingen (Greensill und Archegos 2021), erwähnt die PUK auch jenen in Mosambik: Dem dortigen Staat gab die CS einen Milliarden-Kredit, der vermeintlich in die Fischfanginfrastruktur hätte investiert werden sollen. Stattdessen wurde das Geld von einer korrupten Elite in die eigene Tasche gesteckt, die CS hatte ihre Aufsichtspflichten krass verletzt. Das Land meldete 2016 deswegen Staatsbankrott an, eine Million Menschen fielen in absolute Armut.
Auch erwähnt sind die «Suisse Secrets» (S. 530): In diesem Datenleak, das der Guardian im Februar 2022 publizierte, ist von 18'000 CS-Konten u. a. von Autokraten und Kriegsverbrechern die Rede. Auch dieser Skandal wirkte sicher nicht «vertrauensbildend»: Hier konnte die CS auf die gütige Mithilfe von Schweizer Offshore-Anwält:innen zählen, die immer dann ins Spiel kommen, wenn es um zwielichtige Geschäfte geht, die Banken nicht an ihren Sorgfaltspflichten vorbeischleusen können. Diese gelten nämlich für Anwält:innen von Kund:innen nicht, die diese bei ihren Anlagestrategien nur beraten. Womit wir wieder beim letzten Mittwoch wären: Im Rahmen der Beratung zum sogenannten «Gesetz über die Transparenz juristischer Personen» sorgte der Ständerat dafür, dass nicht mehr Licht in deren Dunkel kommt. Gleichentags lockerte der Nationalrat die Sanktionierung von Anwaltsgeschäften mit russischen Oligarchen und ihren Firmen. Dass ein Parlament, das nicht einmal in den dreckigsten Ecken des hiesigen Finanzplatzes putzt, im Frühling entschlossen die Lehren aus dem PUK-Bericht zieht und ergo die neue XXL-UBS so reguliert, dass die mannigfaltigen Risiken für die Schweizer Volkswirtschaft auf ein erträgliches Mass reduziert werden, muss leider bezweifelt werden – ein guter, dicker PUK-Bericht hin oder her.
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Internationale Steuerpolitik
29.11.2024, Finanzen und Steuern
Everlyn Muendo verfolgt im Auftrag des Tax Justice Network Africa (TJNA) die Verhandlungen für eine UNO-Steuerkonvention in New York. Im Interview analysiert sie die aktuellen Entwicklungen und erklärt, warum es für den Globalen Süden in der internationalen Steuerpolitik keine Alternative mehr zur UNO gibt.
Steuersubstrat fliesst gen Norden ab, die Lebenshaltungskosten steigen: Heftige Proteste gegen ungerechte finanzpolitische Reformen erschüttern Kenia seit Juni. © Keystone / AFP / Kabir Dhanji
«global»: Everlyn Muendo, Sie haben an den diesjährigen Verhandlungssitzungen zur UNO-Steuerkonvention teilgenommen. Was ist ihr Gesamteindruck?
Es gab eine sehr scharfe Kluft zwischen Globalem Süden und Norden. Die steuerpolitischen Interessensgegensätze zwischen den beiden Lagern wurden sehr deutlich.
Die Transparenz der Verhandlungen ist im Vergleich mit jenen bei der OECD bereits ein grosser Fortschritt. Mit welchen Standpunkten des Nordens haben die Länder des Südens die grössten Schwierigkeiten?
Erstens ist der Globale Norden der Meinung, dass die UN-Rahmenkonvention die bereits bestehenden OECD-Beschlüsse lediglich ergänzen soll und diese nicht – wie sie es nennen – duplizieren sollte. Zweitens scheint der Norden die Rolle der UNO auf das reine «Capacity Building» beschränken zu wollen – also auf die Unterstützung des Aufbaus von Infrastruktur in den Steuerbehörden des Südens und die Ausbildung entsprechender Expert:innen. Dahinter steckt aber eine tiefgreifende Fehleinschätzung der Situation des Globalen Südens: Die Vertreter:innen des Nordens scheinen zu glauben, dass wir nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen und dass das der Grund für die heutigen Probleme in der internationalen Besteuerung sei.
Das Problem sind nicht unsere mangelnden Kompetenzen, sondern die Regeln des jetzigen Systems.
Was sagen Sie zu diesem Argument?
Dieses Argument ist unaufrichtig, denn selbst im Rahmen des vermeintlich integrativen OECD-Prozesses der letzten Jahre haben einige Entwicklungsländer erhebliche Bedenken am Inhalt der Mindeststeuer (Säule 2) und der Umverteilung der Besteuerungsrechte an Länder mit grossen Absatzmärkten (Säule 1) geäussert. Diese wurden jedoch konstant ignoriert. Das Problem sind nicht unsere mangelnden Kompetenzen, sondern die Regeln des jetzigen Systems. Wie ich in einem meiner Statements in den UNO-Verhandlungen sagte: «We can not capacity build ourselves out of unfair taxing rules».
Die Länder des Globalen Nordens versuchen in den Verhandlungen also, die für den Süden entscheidenden Fragen zu umgehen.
Ja. Mein Eindruck ist, dass sie nicht aufrichtig verhandeln. Das ist aber ein grundlegendes Prinzip multilateraler Verhandlungen. Alles auf «Capacity Building» beschränken zu wollen, wirkt nicht sehr vertrauensbildend. Der Steuerbericht des UNO-Generalsekretärs machte sehr deutlich, wie die mangelnde Inklusivität des heutigen Systems die internationale Steuerzusammenarbeit ineffektiv macht. Unsere Argumente sind also gut abgestützt, alles liegt auf dem Tisch.
Wie kann die zivilgesellschaftliche Steuergerechtigkeits-Bewegung diese falschen Narrative der EU oder der Schweiz effektiv kontern?
Zunächst müssen wir dafür sorgen, dass anerkannt wird, dass die OECD-Lösungen der letzten zehn Jahre, wie die Entwicklung des automatischen Informationsaustausches von Bankkunden- und Konzerndaten oder die Mindeststeuer für multinationale Konzerne, für eine bedeutende Gruppe von Menschen, insbesondere für die Länder des Globalen Südens, nicht funktionieren. Deshalb streben wir eine UNO-Steuerkonvention an, die tatsächlich inklusiv ist. Einige mögen sagen, dass wir den Grossteil der bei der OECD geleisteten Arbeit bei der UNO als Errungenschaften auf regionaler Ebene anerkennen könnten. Die Frage wäre dann, nach welchen Kriterien das geschehen sollte. Teile der OECD-Reform werden vielleicht nie umgesetzt werden. Die Zeit drängt aber.
Everlyn Muendo
Die Kenianerin Everlyn Muendo ist Juristin beim Tax Justice Network Africa (TJNA). Sie beschäftigt sich dort mit der Frage, wie die internationale Steuerpolitik die Entwicklungsfinanzierung afrikanischer Staaten beeinflusst.
Was gilt es zu tun?
Für die Entwicklungsfinanzierung sind Steuern enorm wichtig. Hinter den technischen Diskussionen über Gewinnverteilungsregeln oder der Aufteilung der Besteuerungsrechte versteckt sich die chronische Unterfinanzierung essentieller Dinge: Es geht um den Aufbau angemessener Bildungssysteme für alle oder um die Bekämpfung der Krise im öffentlichen Gesundheitswesen im Globalen Süden. Es geht auch darum, mehr Ressourcen zur Finanzierung von Klimaschutzmassnahmen zu generieren. Kurz: es geht um Menschen, die zu Opfern der heutigen Steuerpolitik werden! Deshalb wollen wir diesen UNO-Prozess unbedingt vorantreiben.
Für Afrika ist eine angemessene Besteuerung des Rohstoffsektors zentral. Die Rohstoffe kommen von uns, aber ihr Wert wird ausserhalb Afrikas abgeschöpft.
Was bräuchte es in ressourcenreichen Ländern Afrikas, in denen die Rohstoffindustrie ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig ist?
Für Afrika ist eine angemessene Besteuerung des Rohstoffsektors absolut zentral. Die meisten multinationalen Konzerne auf dem Kontinent sind in diesem Sektor tätig. Aber ihre Hauptsitze befinden sich natürlich in den Industrieländern des Nordens. Dahinter steckt eine sehr komplizierte Geschichte, die weit in unsere Kolonialgeschichte zurückreicht: Vor ihrem Abzug bauten die Kolonialisten unsere Wirtschaft noch so um, dass sie auch nach der Unabhängigkeit noch deren grösste Profiteure blieben. Anstatt beispielsweise die Ernährungssicherheit zu verbessern, wurden weiterhin überwiegend Kaffee, Tee, Feldfrüchte und andere Rohstoffe produziert. Also Luxusgüter, die vor allem in Industrieländern gefragt sind. Die Rohstoffe kommen von uns, aber ihr Wert wird ausserhalb Afrikas abgeschöpft. Umgekehrt werden die Produkte, die im Norden auf der Grundlage unserer Rohstoffe hergestellt werden, dann wieder an uns verkauft. Wir profitieren von unseren eigenen Ressourcen nicht so, wie wir sollten.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Welches Land ist für gute Schokolade bekannt? Es ist nicht Ghana.
Die Schweiz?
Sehen Sie! Das ist eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass mehr als die Hälfte der in die Schweiz importierten Kakaobohnen aus Ghana stammt. Mit schädlicher Steuerpolitik verlagern Konzerne Gewinne in der Höhe Hunderter Milliarden US-Dollar in den Norden. Selbst aus den tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten der ausländischen Unternehmen in Afrika erhalten wir nicht unseren gerechten Anteil an Steuern. Das System ist wirklich gegen uns gerichtet.
Es wird noch dauern, bis neue UNO-Regeln Früchte tragen werden. Gibt es auch ausserhalb dieses Prozesses derzeit Möglichkeiten für Verbesserungen?
Wir kämpfen auch für mehr bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen auf der Grundlage des UNO-Modells, das viel besser ist als jenes der OECD. Aber damit waren wir bisher nicht sehr erfolgreich. Die Länder des Nordens sitzen in den Verhandlungen dank ihren Konzern-Hauptsitzen am viel längeren Hebel. Ausserdem sind einige dieser Länder richtige Rüpel! Selbst wenn Entwicklungsländer über viel Know-How verfügen, geben wir am Ende immer noch viele unserer Steuerrechte ab. Solange wir auf Direktinvestitionen aus diesen Ländern setzen, um unsere wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, können wir von ihnen steuerpolitisch unter Druck gesetzt werden. Dieser wirtschaftspolitische Ansatz führt in die Irre.
Muendo bei einem Austausch ihres Netzwerks zu Steuer- und Klimagerechtigkeit diesen November in Nairobi. © Tax Justice Network Africa
Die kenianische Regierung hat jüngst mit finanzpolitischen Reformen enorme politische Spannungen im Land ausgelöst. Weshalb?
Bei den Protesten gegen das Finanzgesetz vom Juni 2024 ging es um viel mehr. Sie waren Ausdruck der Frustration hart arbeitender Kenianer:innen über die zunehmenden wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten. Der Staat ist hoch verschuldet und die Regierung muss dringend mehr Mittel für den Schuldendienst und die wirtschaftliche Entwicklung aufbringen. Dazu führt sie neue Steuern ein, mit denen die Lebenshaltungskosten stark steigen: eine Ökosteuer, eine Kraftfahrzeugsteuer, eine erhöhte Strassenunterhaltsabgabe und die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung für bestimmte wichtige Konsumgüter. Das belastet tiefe Einkommen viel stärker als hohe. Gleichzeitig ist der Service public schwach. Der Grossteil der Einnahmen wird für den Schuldendienst verwendet – dieser kann mehr als 50% der Einnahmen verschlingen – und für Korruption, die wichtige öffentliche Dienstleistungen verdrängt: So wurden die Gehälter von Assistenzärzt:innen stark gekürzt. Ein neues Finanzierungsmodell für Universitäten wurde eingeführt. Damit schossen die Studiengebühren in die Höhe. Kenia ist zu einem Experimentierfeld für Austeritäts-Massnahmen geworden – auch unter dem Einfluss des Internationalen Währungsfonds. Dabei zahlen einfache Kenianer:innen mehr und erhalten weniger!
Wie könnt ihr in der Schweiz über Korruption in Afrika sprechen, ohne einzugestehen, dass ihr die grössten Förderer von Intransparenz und unlauteren Finanzströmen seid!
Was sagen Sie zum in der Schweiz oft erhobenen Vorwurf, dass von zusätzlichen Steuereinnahmen in afrikanischen Ländern sowieso nur korrupte Politiker:innen profitieren würden?
Wie könnt ihr in der Schweiz über Korruption in Afrika sprechen, ohne einzugestehen, dass ihr die grössten Förderer von Intransparenz und unlauteren Finanzströmen seid! Im Ernst, es braucht immer zwei für einen Tango. Ja, den korrupten afrikanischen Beamten gibt es. Aber wer besticht ihn? Viele Konzerne, zum Beispiel euer Glencore! Dessen Korruptionsfälle sind sehr aufschlussreich. Wieso wird die Verantwortung immer nur der einen Seite zugeschoben? Wir müssen anerkennen, dass undurchsichtige Finanzplätze wie die Schweiz korrupten Leuten aus unseren Ländern als sichere Verstecke dienen. Deshalb wird doch ein Grossteil der Vermögen im Ausland gehalten. Niemand sagt: «Oh, ich werde mein Geld in Kenia verstecken.» Nein! Es ist die Schweiz! Ihr seid aus gutem Grund berüchtigt!
Kommen wir zurück zur UNO. Im Februar stehen die nächsten Verhandlungen an. Könnten sich die Positionen des Globalen Nordens verändern?
Nun, es gibt in dieser Beziehung zwei interessante Entwicklungen: Erstens haben sich die EU-Staaten bei der Abstimmung über die Eckwerte der Konvention im August enthalten, statt Nein zu stimmen, wie sie das bei den früheren Resolutionen getan haben. Ich glaube, das ist ein Zeichen dafür, dass sich die sehr starke Skepsis des Globalen Nordens gegenüber dem Prozess an sich etwas entschärft. Das könnte sich positiv auf die nächsten Verhandlungsrunden auswirken. Zweitens könnte der Sieg Donald Trumps in den US-Präsidentschaftswahlen dazu führen, dass die USA sowohl OECD- wie UNO-Prozesse völlig blockiert. Bisher haben die Länder des Nordens immer gesagt, es brauche bei der UNO Entscheide im Konsens. Ich denke aber, dass sie diese Position angesichts der Entwicklungen in den USA jetzt anpassen müssen.
Worauf wollen Sie hinaus?
Wäre es nicht besser, sich mit einfachen Mehrheitsentscheiden zufrieden zu geben, auch wenn der Konsens das Ideal ist? Manchmal läuft es halt einfach nicht nach dem eigenen Ideal. Statt sich von einem einzigen Land oder einer kleinen Gruppe von Ländern aufhalten zu lassen, wäre es demokratischer, allen anderen zu erlauben – sei es aus dem Globalen Norden oder Süden – vorwärtszumachen. Werden Entscheide im Konsens gefällt, haben die USA als wirtschaftlich stärkstes Land aber quasi eine Vetomacht. Da wäre es viel demokratischer, jedem Land in Mehrheitsentscheidungen eine gleichberechtigte Stimme zu geben.
Indem wir uns in der Steuerpolitik an die UNO wenden, können wir grundlegende Herausforderungen angehen.
Wo sehen Sie auf dem afrikanischen Kontinent positive Entwicklungen?
In verschiedenen afrikanischen Ländern fordern die Menschen mehr Rechenschaftspflicht von Spitzenpolitiker:innen und Wirtschaftsführer:innen. Vor allem in Westafrika, zum Beispiel im Senegal. Die Aufstände, die wir dort erlebt haben, sind bis zu einem gewissen Grad auch ein extremer Ausdruck des Wunschs nach Selbstbestimmung in Gesellschaften, die wir immer noch als postkolonial bezeichnen können. Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Egal ob wir uns den Handel, die Verschuldung, die Steuern oder was auch immer anschauen: Wir mögen zwar völkerrechtlich anerkannte Staaten mit politischer Souveränität sein, von wirtschaftlicher Souveränität sind wir aber weit entfernt. Indem wir uns in der Steuerpolitik an die UNO wenden, können wir diese grundlegenden Herausforderungen angehen. Denn Souveränität in der Besteuerung ist ein sehr wichtiger Teil wirtschaftlicher Souveränität.
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Klima und Steuern
04.10.2024, Klimagerechtigkeit, Finanzen und Steuern
Ohne Verursacherprinzip ist die internationale Klimapolitik nicht finanzierbar – ohne Steuergerechtigkeit ist sie nicht zu machen. Eine kleine Welttournee mit einem ungleichen, aber vielleicht bald symbiotischen Duo.
Weltweit verknüpfen immer mehr Aktivist:innen und multilaterale Foren Forderungen nach Steuer- und Klimagerechtigkeit. Protestierende am Fridays for Future Umzug in Berlin, 20. September 2024.
© Keystone / EPA / Clemens Bilan
Es leuchtet eigentlich sofort ein: Damit wir uns den Ausstieg aus den fossilen Energien ohne grosse soziale Verwerfungen leisten können, müssen wir das Geld dafür bei jener Branche eintreiben, die sich an ihnen als Erste bereichert: bei der fossilen Brennstoffindustrie. Laut Studien sind seit 1988 mehr als die Hälfte aller Emissionen weltweit auf die Förderung von fossilen Energieträgern durch nur 25 Konzerne zurückzuführen. Die Kosten, die diese Emissionen auf lange Zeit verursachen, weil sie das Klima verändern, wurden nie berappt. Gleichzeitig stiegen und stiegen die Gewinne und Dividenden jener, die mit diesen Brennstoffen geschäfteten. Dank den Preissteigerungen, die die russische Invasion in der Ukraine auslöste, kletterten die Gewinne der Öl- und Gasunternehmen im Jahr 2022 auf den Extremwert von vier Billionen Dollar.
So ist es nicht erstaunlich, dass im Kontext der dringend benötigten Klimafinanzierung für den Globalen Süden und im Sinne der Verursachergerechtigkeit die Forderung nach einer zusätzlichen Besteuerung dieser Unternehmen stärker wird. In der internationalen Zivilgesellschaft ist dieses Ziel mit dem Slogan «Make polluters pay» schon lange präsent. Eine aktuelle Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt auf, dass mit einer CO2-Abgabe auf die Förderung von Kohle, Öl und Gas, genannt Klimaschadenssteuer, in den OECD-Ländern noch in diesem Jahrzehnt 900 Milliarden Dollar für die Bewältigung der Klimakrise zur Verfügung stehen würden.
Die Forderung nach internationalen CO2-Abgaben ist fast so alt wie die Klimarahmenkonvention. Bereits 2006 forderte der damalige Bundespräsident Moritz Leuenberger an der Klimakonferenz eine globale CO2-Steuer. Eine konkrete Einigung war aber auf UNO-Ebene stets chancenlos. Im Hinblick auf die UNO-Verhandlungen für ein neues Klimafinanzierungsziel an der COP29 diesen November in Baku steigt aber der Druck, die verfügbaren finanziellen Mittel zu erhöhen. Diverse Akteurinnen und Länder haben deshalb in letzter Zeit internationale CO2-Abgaben oder andere Wege zur verursachergerechten Finanzierung gefordert (siehe Grafik). Die Ansätze sind sehr unterschiedlich und reichen von einer nationalen Besteuerung von Gewinnen aus der Ölförderung über freiwillige Beiträge aus der Förderindustrie bis zur juristischen Einforderung der Klimaverantwortung von Unternehmen. Alle Ansätze für internationale Abgaben erfordern jedoch politischen Willen auf nationaler Ebene. Auch die Schweiz sollte verursachergerechte Steuern bei Unternehmen erheben, die vom Geschäft mit fossilen Energieträgern profitieren, und damit ihre Beiträge an die internationale Klimafinanzierung erhöhen.
Nicht nur mit der zusätzlichen Besteuerung der Produzent:innen fossiler Brennstoffe könnten für den ökologischen Umbau unserer Gesellschaften zusätzliche Mittel mobilisiert werden, sondern auch, indem Staaten deren Konsument:innen stärker zur Kasse bitten. Soll dieser Umbau allerdings nicht nur ökologisch, sondern auch noch sozial ausgestaltet sein, ist bei der Entscheidung, welche Art von CO2-Konsumsteuer die richtige ist, einige Vorsicht geboten. In Frankreich etwa erinnert man sich ungern an die brutalen Strassenschlachten zwischen den «Gilets Jaunes» und der Polizei vor bald sechs Jahren mitten in Paris. Der Auslöser dieser Proteste war damals eine Erhöhung der Treibstoffsteuer (Ökosteuer), die Frankreichs Präsident auf jeden Liter Diesel erheben wollte, der dort aus den Zapfsäulen sprudelt. Sie hätte dem Staat gemäss dessen Berechnungen zwar 15 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen gebracht. Allerdings hätte diese Steuer alle gleichermassen zur Kasse gebeten: Reich und Arm; sowohl Menschen, die nur zum Spass mit ihrem Porsche TDI über leere französische Landstrassen rasen, wie auch solche, die jenseits der Metropolen im weitläufigen und mit dem öffentlichen Verkehr schlecht erschlossenen Frankreich im Alltag auf ihr klappriges Dieselauto angewiesen sind. So wurde die Bewegung der «Gilets Jaunes» nicht nur von Klimaleugner:innen und Autofans angetrieben, sondern auch von Leuten, denen die Dieselsteuer ihr ohnehin schon knapp bemessenes Monatsbudget gesprengt hätte. Dieser toxische Mix verlieh ihr grosse politische Kraft. Die liberale französische Regierung krebste zurück und nahm bei ihrer klimapolitischen Agenda das Tempo raus. Gleichzeitig verzichtete Präsident Macron auf die Wiedereinführung einer «Solidaritätssteuer» auf hohe Vermögen, die unter dem langjährigen sozialistischen Präsidenten François Mitterand bereits in den 1980er Jahren eingeführt worden war, von Macron allerdings als eine seiner ersten Amtshandlungen entscheidend entschärft wurde. Sie hätte den «Gilets Jaunes» womöglich ihren sozialpolitischen Wind aus den Segeln genommen.
Klima- und Steuergerechtigkeit auf Welttournee: Einige globale Ansätze und Initiativen im Überblick
(Auf Karte klicken zum Vergrössern) © Bodara / Alliance Sud
Heute steht eine stark progressive Vermögenssteuer mit sozialökologischer Dimension unter anderem bei den G20-Staaten auf der Agenda (siehe Grafik). Die NGO Oxfam International kommt in einem Bericht vom November 2023 zum Schluss, dass mit einer globalen Vermögenssteuer für alle Millionär:innen und Billionär:innen weltweit jährlich 1’700 Milliarden Dollar eingenommen werden könnten. Eine zusätzliche Strafsteuer für Investitionen in klimaschädliche Geschäfte könnte weitere 100 Milliarden einbringen. Kombiniert man diese Massnahmen mit einer Einkommenssteuer von 60% für die 1% höchsten Einkommen, kämen 6’400 Milliarden dazu. Je nach Geschäftsgang und Preisentwicklung kann auch eine Übergewinnsteuer zusätzlich massive Mehreinnahmen generieren. In den Jahren 2022 und 2023 mit ihrer hohen Inflation hätte eine solche gemäss Oxfam nochmals 941 Milliarden Dollar pro Jahr eingebracht. Mit diesen Massnahmen könnten also jährlich mindestens 9’000 Milliarden Dollar pro Jahr an zusätzlichem Steuergeld generiert werden.
Die UNO-Abteilung für ökonomische und soziale Angelegenheiten DESA («Department for Economic and Social Affairs») geht in ihrem Bericht 2024 über die Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung davon aus, dass die Finanzierungs- und Investitionslücken, die in Zusammenhang mit den UNO-Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 stehen, jährlich 2’500 bis 4’000 Milliarden US-Dollar betragen. Allein mit den oben genannten Instrumenten könnte die Agenda 2030 also locker bis 2030 ausfinanziert werden – von Reformen in anderen Bereichen der Entwicklungsfinanzierung gar nicht zu reden. Verursachergerecht im Sinne der internationalen Klimapolitik wäre eine globale Vermögenssteuer im Gegensatz zu Macrons Dieselsteuer allemal: Laut Oxfam waren 2019 die 1% Reichsten der Welt für 16% aller CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Sie stiessen damit gleich viel CO2 aus wie die ärmeren 66% der Weltbevölkerung, also fünf Milliarden Menschen.
Im November verhandelt die UNO-Staatengemeinschaft in Baku ein neues kollektives Finanzierungsziel zur Unterstützung der Länder im Globalen Süden bei der Bewältigung der Klimakrise. Auch hier ist die verursachergerechte Finanzierung ein Thema. Die Finanzierungslücke wächst drastisch und die finanzielle Unterstützung ist schlicht notwendig, damit die Länder im Globalen Süden sich mit klimafreundlichen Technologien weiterentwickeln und durch Anpassungsmassnahmen noch mehr Schäden und Verlusten vorbeugen können. Der Druck für ein ambitioniertes Finanzierungsziel ist entsprechend hoch und die reichen Länder sind gefordert, in den nächsten Jahren ihre Beiträge massiv zu erhöhen.
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UNO-Steuerkonvention
26.07.2024, Finanzen und Steuern
Nächste Woche startet im UNO-Hauptquartier in New York die nächste Verhandlungsrunde für eine Rahmenkonvention für Steuern. Die Schweizer Konzerntiefsteuerkantone Basel-Stadt und Zug lieferten jüngst wieder neues Anschauungsmaterial, weshalb es eine wirksame Offensive seitens der UNO unbedingt braucht.
Bis Mitte August ringen in New York vor allem Länder des Globalen Südens für eine starke UNO-Steuerkonvention - dies dürfte die Schweiz und andere Profiteure des bisherigen Steuersystems ins Schwitzen bringen. © KEYSTONE / SPUTNIK / Sergey Guneev
Im sogenannten “Ad Hoc Committee to Draft Terms of Reference for a United Nations Framework Convention on International Tax Cooperation” wird es in den nächsten drei Wochen darum gehen, den politischen Umfang und die Entscheidungsverfahren der neuen Steuerrahmenkonvention festzulegen. Was äusserst technisch klingt, ist politisch sehr bedeutend: Bis Mitte August müssen die Verhandler:innen klären, wieviel Macht die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), die in der internationalen Steuerpolitik seit den 1970er Jahren die multilaterale Agenda dominierte, an die UNO abgeben soll. Übernimmt die UNO künftig das Zepter in der globalen Steuerpolitik, würden die Staaten des Nordens, die die Weltwirtschaftspolitik trotz dem Aufstieg Chinas nach wie vor dominieren, in einem zentralen Bereich ihre Vormachtstellung einbüssen. Entsprechend grosser Widerstand gegen eine starke UNO-Steuerkonvention kommt aus der EU, den USA und den bisherigen Hauptprofiteur:innen im internationalen Steuersystem unter OECD-Führung: den Tiefsteuerländern für Konzerne und den grossen Finanzplätzen. Beide Geschäftsmodelle profitieren davon, dass Unternehmensgewinne und Vermögen trotz aller OECD-Reformen der letzten zehn Jahre heute dort versteuert werden können, wo die Besteuerung am tiefsten bzw. nicht vorhanden ist.
Wenn multilaterale Steuerfragen in der UNO statt der OECD verhandelt werden, sind die Mehrheitsverhältnisse andere und die Länder des Südens am Drücker. Der Entwurf der “Terms of Reference” (ToRs), den das Leitungsgremium des Ad-hoc-Komitees kürzlich vorlegte, widerspiegelt dies. Der Text stellt einen direkten Bezug zwischen der Steuerkonvention und der Finanzierung der UNO-Nachhaltigkeitsziele (“Sustainable Development Goals – SDGs") her und formuliert als Ziel der Konvention unter anderem die “Schaffung eines integrativen, fairen, transparenten, effizienten, gerechten und effektiven internationalen Steuersystems für nachhaltige Entwicklung”. Dieses Ziel soll durch entsprechende Verpflichtungen der Unterzeichnerstaaten in den folgenden Bereichen erreicht werden:
Würden es all diese Elemente in die finale Version der ToRs schaffen, könnten alle grossen gegenwärtigen Probleme der internationalen Steuerpolitik zukünftig im Rahmen der UNO adressiert werden: die Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne in Tiefsteuergebiete; Superreiche, die durch ausgeklügelte Konstrukte ihre Vermögen im globalen Offshoresystem dem Fiskus entziehen; die Tatsache, dass Steuern heute viel zu wenig als wirtschaftliche Steuerungsmassnahme im Rahmen der Klimapolitik eingesetzt werden; die Intransparenz in der globalen Vermögensverwaltung und die ungleichen Spiesse zwischen den Sitz-, Markt- und Produktionsstaaten multinationaler Konzerne, wenn es darum geht, Konflikte über die Frage beizulegen, wer welche Gewinne dieser Konzerne wo besteuern darf. Kein Wunder, dass die Opposition des Globalen Nordens gegen dieses Vorhaben gross ist, auch wenn sie in den seltensten Fällen wirklich explizit gemacht wird.
Symptomatisch für diese Verhandlungstaktik der reichen Länder, die auf Ausreden statt die explizite Darlegung und Verteidigung der eigenen Interessen setzt, ist die Stellungnahme der Schweiz zum ToR-Entwurf. Wie die meisten OECD- und EU-Länder spricht sich die Schweiz dafür aus, dass Entscheidungen im Konsens gefällt werden müssen. Nur so könnten multilaterale Reformen des internationalen Steuersystems, die im Rahmen der Konvention aufgegleist werden, in der Praxis auch umgesetzt werden. Gleichzeitig will die Schweiz – auch hier bewegt sie sich auf der Linie der OECD-Mehrheit und der EU – im Rahmen der UNO nur Dinge verhandeln, welche nicht schon bei der OECD Thema sind. Das schliesst Konzernbesteuerung, Steuertransparenz, die bessere Besteuerung von hohen Vermögen und neue Streitschlichtungsmechanismen aus. Die Schweiz spricht hier von einer Verdoppelung multinationaler Foren.
Allerdings zeigt etwa die derzeit weltweit laufende Umsetzung der OECD-Mindeststeuer deutlich, dass nur aus einer privilegierten Sicht des Nordens von “Verdoppelung” gesprochen werden kann. Für den Globalen Süden springt bei der Mindeststeuer praktisch nichts heraus: Profitieren werden von ihr ausgerechnet jene Tiefsteuergebiete, die die Schwächen des bisherigen Konzernsteuersystems so ausgenutzt haben, dass sie Gewinne bei sich versteuern konnten. Dies wohlgemerkt, ohne dass die eigentliche Wertschöpfung hinter den Gewinnen auch in ebenjenen Tiefsteuergebieten stattfinden würde. Nur wer mit den OECD-Systemen gut fährt, kann ein neues intergouvernementales Forum bei der UNO für “Duplication”, also im Grunde für überflüssig halten.
Auf die Schweiz trifft das zweifellos zu. Gute Beispiele sind die Schweizer Kantone Basel-Stadt und Zug. Während in Basel Roche, Novartis und Co. dafür sorgen, dass die Gewinnsteuereinnahmen äusserst üppig sprudeln und massive Budgetüberschüsse produzieren (plus 434 Millionen CHF im 2023), tun dies in Zug (460 Millionen CHF) vor allem die Rohstoffhändler. In beiden Kantonen wird angesichts der Tatsache, dass die ansässigen Branchen vor allem im Ausland Wertschöpfung erzielen (die Medikamentenproduktion und auch ein grosser Teil der Forschung & Entwicklung finden nicht in Basel statt, Zug verfügt über keine Kupferminen oder Ölfelder), überdurchschnittlich viel Gewinnsteuersubstrat generiert. Beide rechnen damit, dass mit der Einführung der OECD-Mindeststeuer noch mehr Geld in die Kantonskassen fliesst. Schon jetzt aber scheinen die beiden Kantonsregierungen nicht mehr zu wissen, wohin mit dem ganzen Geld. Beide planen, die zusätzlichen Steuereinnahmen mittels neuer Subventionsinstrumente just an jene Konzerne zurückzugeben, die die Mindeststeuer entrichten müssen. In Basel verkauft man das unter anderem als Förderung der Gleichstellung (der Kanton will den hochprofitablen Konzernen zukünftig etwa einen Teil der Elternzeit ihrer Mitarbeiter:innen finanzieren). In Zug gibt man sich sozialpolitisch plötzlich progressiv: Der Kanton soll in den nächsten zwei Jahren für seine Einwohner:innen alle Spitalkosten übernehmen. Unterstützung bei der Kinderbetreuung, Gratiszugang zu Spitzenmedizin – beides wichtige Elemente einer nachhaltigen Entwicklung. Von beidem können die Mitarbeiter:innen von Basler und Zuger Konzernen in den Medikamentenfabriken Südasiens oder in den Minen Afrikas nur träumen. Trotzdem kam in den Regierungen der beiden Luxuskantone niemand auf die Idee, die überschüssigen Steuereinnahmen in die nachhaltige Entwicklung im Globalen Süden zu investieren. Der Kanton Zug (man will dort immer noch “Cryptovalley” werden) kauft sich im benachbarten Luzern lieber noch ein ganzes Universitäts-Institut für “Blockchain”.
Von einer globalen Doppelung des Zuger Wohlstandes also keine Spur. Vielmehr folgt das OECD-Regime ganz offensichtlich dem Prinzip “wer hat, dem wird gegeben”. Allein das ist Grund genug, auf ein faires globales Steuersystem unter dem Dach der UNO hinzuarbeiten. Dass das der offiziellen Schweiz nicht gefällt, so lange sie ihr eigenes Geschäftsmodell nicht fundamental überdenkt – geschenkt.
Für weiterführende Informationen und einen Überblick über die Steuerverhandlungen innerhalb der UNO lesen Sie das Briefing-Papier von Global Policy Forum und Netzwerk Steuergerechtigkeit.
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Medienmitteilung
26.07.2024, Finanzen und Steuern
Ab Montag verhandeln die UNO-Mitglieder in New York über den Umfang der UNO-Steuerkonvention. Damit eröffnet sich eine grosse Chance für ein zukünftiges Steuersystem, das den heutigen globalen Herausforderungen gewachsen ist.
Wegen zahnloser OECD-Reformen profitieren Tiefsteuerkantone wie Zug und angesiedelte Rohstofffirmen weiterhin. Dort hat der Zuzug von steuervermeidenden Konzernen das ländliche Stadtbild stark verändert.
© KEYSTONE / Thedi Suter
Eine alte Leier feiert im medialen Sommerloch Urstände: Weil sich Schweizer Superreiche und Konzern-CEOs vor der Erbschaftssteuer-Initiative der Juso fürchten, drohen sie in den Medien praktisch täglich mit Abwanderung. Dagegen hilft letztlich nur eine globale Steuerharmonisierung: Wenn sich die Besteuerungsmodelle und Steuersätze zwischen einzelnen Staaten nicht mehr so stark unterscheiden, wird jede Drohung mit Wohn- oder Standortwechsel zwecks Steuervermeidung hinfällig.
Seit zehn Jahren verspricht die OECD – die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – mit ihren Reformen Schritte in diese Richtung: Sie behauptet, Steuerverstecke für Superreiche zu entbergen und ein weltweites Steuersystem zu schaffen, in dem Konzerngewinne nicht mehr dort versteuert werden, wo die Gewinnbesteuerung am tiefsten ist, sondern dort, wo ökonomischer Wert geschaffen wird. Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei Alliance Sud, sagt allerdings: «Dass Kapital trotz aller Reformen immer noch um die Welt geschickt werden kann, wie es seinen Besitzer:innen beliebt, zeigt: Die OECD hat versagt.» Das zeigen auch die aktuellen Umsetzungskonzepte der OECD-Mindeststeuer in den Kantonen Zug und Basel-Stadt. Einst sollte diese mehr globale Steuergerechtigkeit bringen, jetzt wissen ausgerechnet die neuralgischen Tiefsteuergebiete für Konzerne nicht mehr, wohin mit dem zusätzlichen Geld, und wollen es – mehr oder weniger verklausuliert – schlicht jenen Firmen zurückgeben, die die neue Steuer zukünftig entrichten müssen.
Deshalb haben die afrikanischen Staaten – wie fast alle Länder des Globalen Südens die Leidtragenden des heutigen Systems – vor zwei Jahren mit Erfolg einen Prozess für eine neue UNO-Rahmenkonvention für Steuern angestossen. In den nächsten drei Wochen verhandeln die 193 UNO-Mitgliedsstaaten in New York nun darüber, wie diese Steuerkonvention aussehen soll. Die Länder des Globalen Südens wollen in Zukunft möglichst viele Steuerfragen unter dem Dach der UNO klären, die Länder des Globalen Nordens – darunter auch die Schweiz als eine der bisherigen Hauptprofiteur:innen des Systems – möglichst viel bei der OECD belassen. Der aktuell vorliegende Verhandlungstext zeigt: Der Süden ist am Drücker. Dominik Gross: «Die OECD-Länder müssen sich jetzt bewegen, sonst droht ein Patt und damit ein weiterer Glaubwürdigkeitsverlust des Westens.» Eine globale Steuerpolitik, die die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung garantiert, mit der die Klimakrise und die ausufernde globale Ungleichheit bekämpft werden kann, kann nur in der UNO entstehen.
Einen ausführlichen Ausblick auf die UNO-Verhandlungen finden Sie hier.
Für weitere Informationen:
Dominik Gross, Steuerpolitik-Experte Alliance Sud,
Tel. 078 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch
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Artikel, Global
21.06.2024, Finanzen und Steuern
Um mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens übereinzustimmen, haben Banken freiwillige Klimaallianzen ins Leben gerufen und preisen deren Vorzüge an. Eine aktuelle Studie der Europäischen Zentralbank attestiert ihnen aber Wirkungslosigkeit.
Unmengen an Kohle treiben in Ostkalimantan, Indonesien, riesige Aluminiumwerke an. Schweizer Banken sind an diesen vermeintlich «grünen» Anlagen beteiligt. © Dita Alangkara / Keystone / AP Photo
Die US-Finanzministerin Janet L. Yellen erklärte im November 2021 auf der COP26 in Glasgow, dass «der Privatsektor bereit ist, die notwendigen Finanzmittel bereitzustellen, damit wir die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verhindern können». Angesichts des Drucks, den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu vollziehen oder, anders ausgedrückt, sich «an den Klimazielen des Pariser Abkommens auszurichten», haben sich Finanzakteure auf der ganzen Welt einer Reihe freiwilliger Klimaschutzinitiativen angeschlossen, darunter der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) unter der Federführung von Mark Carney, dem ehemaligen Gouverneur der Bank of England, und dem milliardenschweren Financier Mike Bloomberg.
Bei der Gründung der GFANZ auf der COP26 hatten sich 100 Banken, Versicherer und Vermögensverwalter dazu verpflichtet, 130 Billionen USD Kapital zur Senkung der CO2-Emissionen und zur Finanzierung der Energiewende bereitzustellen. Sie haben sich ebenfalls verpflichtet, bis 2050 das «Netto-Null-Ziel» zu erreichen, d. h. sie sollen in ihrer gesamten Geschäftstätigkeit nicht mehr CO2-Emissionen verursachen, als sie mit technischen Massnahmen der Atmosphäre wieder entziehen. Damit die Klimaneutralität weltweit bis 2050 realisiert wird, müssten laut der Internationalen Energieagentur (IEA) allein in den Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich 2’000-2'800 Milliarden USD in saubere Energien investiert werden. Die Ankündigungen des Finanzsektors in Glasgow weckten bei einigen Akteuren grosse Erwartungen – bei anderen stiessen sie auf Skepsis.
In einer aktuellen Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) haben Forschende nun untersucht, wie sich die freiwilligen Klimaschutzverpflichtungen der Banken – vor allem der Net Zero Banking Alliance, eine der acht zur GFANZ gehörenden Brancheninitiativen – auf ihr Kreditvergabeverhalten und die kreditnehmenden Unternehmen auswirken. Die Ergebnisse sind für die betroffenen Finanzakteure beschämend.
Unter den NZBA-Unterzeichnerbanken (im Folgenden NZBA-Banken) sind auch Megabanken, die hauptsächlich «braune» Sektoren finanzieren, wobei der Grossteil ihrer Kredite auf den Bergbausektor (Kohle, Öl, Gas) und ein geringerer Anteil auf die gemäss EU-Taxonomie «grün» genannten Sektoren entfällt. Die NZBA-Banken haben sich Ziele gesetzt, die vorrangig die Bereiche Stromerzeugung, Öl und Gas sowie Verkehr betreffen.1 Die Studie der EZB kommt nun zum Schluss, dass die Banken freiwillige Klimaschutzverpflichtungen eingehen, um ihr ESG-Rating (Environmental, Social, Governance) zu verbessern und daraus Reputations- und finanzielle Vorteile zu ziehen, insbesondere bei institutionellen Anlegern.
Die Sektorziele stellen eine freiwillige Verpflichtung der Banken dar, die finanzierten Emissionen bis 2030 respektive 2050 im Vergleich zu einem vorab festgelegten Referenzwert zu reduzieren. Wenn sich die Banken dafür entscheiden, ihre Ziele durch Desinvestitionen zu erreichen, muss sich dies in einer Verringerung der Finanzierung der Zielsektoren niederschlagen.
Die Studie hat ergeben, dass die NZBA-Banken ihre Kreditvergabe an Schwerpunktsektoren um etwa 20 % reduziert haben, was auf den ersten Blick die Hypothese zu bestätigen scheint, dass sich die Banken aus den «braunen» Sektoren zurückziehen. Dem ist jedoch nicht so. In einem Vergleich zur nicht unterzeichnenden Konkurrenz wurden keine Hinweise dafür gefunden, dass die NZBA-Banken in prioritären Sektoren oder sonstigen kohlenstoffintensiven Unternehmen (z. B. Bergbauunternehmen oder Unternehmen, die nach der EU-Taxonomie nicht als «grün» gelten) stärker desinvestiert hätten. Auch erhöhten die NZBA-Banken ihre Kreditvergabe an «grüne» Unternehmen nicht, nachdem sie der Allianz beigetreten waren. Das lässt gemäss der Studie den Schluss zu, dass fraglich ist, ob NZBA-Banken sich aktiv aus «braunen» Sektoren zurückziehen, um in «grüne» Sektoren zu investieren.
Weiter zeigt die Studie auf, dass die Klimaschutzverpflichtungen der Banken kaum zu Zinserhöhungen für die Finanzierung von «braunen» Unternehmen geführt haben. In prioritären Sektoren betrug der Anstieg lediglich 0,25% und im Bergbausektor 0,55%. Ausserdem wenden die NZBA-Banken keine niedrigeren Zinssätze für «grüne» Unternehmen an. Mit anderen Worten: Die Banken bestrafen weder die schlechten Schüler mit einem Malus, noch belohnen sie die guten mit einem Bonus!
Die Studie der EZB belegt ausserdem, dass die NZBA keine Hebelwirkung auf Unternehmen hat. Denn anstatt zu desinvestieren, könnten die «klimafreundlichen» Banken eine sogenannte Engagement-Strategie verfolgen, indem sie von Unternehmen, denen sie Kredite gewähren, verlangen, eigene Klimaziele festzulegen. Denn wenn sich ein Unternehmen dazu verpflichtet, seine Kohlenstoffdioxidemissionen zu reduzieren, besteht der erste Schritt darin, sich ein eigenes Dekarbonisierungsziel zu setzen, das besagt, um wie viel das Unternehmen seine Emissionen reduzieren will und bis wann es diese Reduktion erreichen will. Anders ausgedrückt muss ein Transitionsplan festgelegt werden.
Nun ist die Zahl der Unternehmen, die sich solche Ziele gesetzt haben, seit 2018 zwar gestiegen, aber die Unternehmen, die bei NZBA-Banken Kredite aufnehmen, setzen sich nicht eher Klimaziele als andere. Das heisst, die NZBA-Banken haben durch ihr Engagement keinen spezifischen klimapolitischen Hebel auf die Unternehmen.
Seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens haben die Finanzinstitute mit grossem Kommunikationsaufwand ihre Absicht bekundet, Klimaschutzaspekte in ihre Kredit- und Investitionsentscheidungen einzubeziehen. Nun decken die Ergebnisse der EZB-Studie – der ersten ihrer Art – schonungslos auf, wie wirkungslos die Net Zero Banking Initiative ist. Auch wenn die NZBA-Banken, gemessen am Volumen, ihre Kreditvergabe an emissionsintensive Sektoren reduziert haben, sind die «Desinvestitionen» nicht höher als bei den nicht unterzeichnenden Banken. Darüber hinaus spricht die Studie in Bezug auf die durch Engagement-Strategien erzielten Ergebnisse eine klare Sprache: Unternehmenskunden der NZBA legen nicht ehrgeizigere Dekarbonisierungsziele fest als andere Akteure. Die EZB-Forschenden kommen zum Schluss, dass die Ergebnisse ihrer Studie die aktuelle Debatte über «Greenwashing» und die Frage, ob die Kreditrationierung durch die Banken der Weltwirtschaft dabei helfen kann, ihre Netto-Null-Emissionsziele zu erreichen, erheblich beeinflussen dürfte. Frustration und Zweifel sind also durchaus gerechtfertigt.
Die Diskussion befindet sich an einem Wendepunkt. Das Jahr 2024 wird in der EU wegweisend dafür sein, wie die Transitionspläne der Finanzinstitute (und anderer Marktteilnehmenden) aussehen werden: Tatsächlich sind solche Transitionspläne das Herzstück einer neuen europäischen Regulierungsarchitektur, deren genaue Konturen noch geklärt bzw. harmonisiert werden müssen.2 Um maximale Wirkung zu erzielen, sollten sie nicht einem engen Ansatz des kurz- und mittelfristigen Klimarisikomanagements folgen, sondern die Banken dazu ermutigen, ihre Aktivitäten zugunsten des Übergangs neu auszurichten. Den Aufsichtsbehörden müssen Befugnisse zugestanden werden, und für den Fall der Nichteinhaltung sind Sanktionen vorzusehen.
In der Schweiz sind als erster Schritt grosse Unternehmen – auch die Banken – verpflichtet, ab 2025 «Berichte über Klimabelange» zu veröffentlichen, die Transitionspläne enthalten sollten, welche «mit den Klimazielen der Schweiz vergleichbar» sind. Leider sind die Vorgaben sehr unklar; sie lassen viel Interpretationsspielraum zu, insbesondere in Bezug auf die Transitionspläne. Die ersten Berichte müssen also genau unter die Lupe genommen werden, damit beurteilt werden kann, ob dieser neue Ansatz etwas taugt.
Die bislang wichtigste freiwillige Klimainitiative der Banken ist die – von den Vereinten Nationen unterstützte – Net Zero Banking Alliance (NZBA), die 144 Mitglieder aus 44 Ländern umfasst und rund 40 % des gesamten verwalteten Vermögens repräsentiert. Mehrere Schweizer Banken sind mit von der Partie, darunter die UBS (Mitbegründerin), die Raiffeisenbank, aber auch die Kantonalbanken (Zürich, Bern und Basel). Mit ihrer Unterschrift verpflichten sich die Banken, ihre Kredit- und Anlageportfolios bis (spätestens) 2050 auf Netto-Null-Emissionen auszurichten, mit Zwischenzielen bis 2030 oder früher. Diese Ziele müssen sich auf die prioritären Sektoren beziehen, welche die Banken definiert haben, also jene Elemente ihrer Portfolios mit den intensivsten Treibhausgasemissionen (THG), auf die die Banken einen grossen Einfluss ausüben können. Darüber hinaus müssen die Banken einen Übergangsplan veröffentlichen, in dem sie darlegen, wie sie ihre sektorspezifischen Ziele erreichen wollen. Obwohl sich die Initiative noch in einem frühen Stadium befindet, macht die Kombination aus detaillierten Zielen, der Überwachung durch die UNO und der externen Validierung die NZBA zu einer strengen, wenn nicht sogar der strengsten Klimainitiative für Banken.
1 Drei Jahre nach ihrer Unterzeichnung müssen die Banken Ziele für die neun von der NZBA definierten Sektoren Landwirtschaft, Aluminium, Zement, Kohle, Immobilien, Stahl, Öl und Gas, Stromerzeugung und Transport festgelegt haben.
2 In erster Linie geht es darum, die Konsistenz der Ansätze zwischen der Kapitaladäquanzrichtlinie (RCD), der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) sowie der kürzlich verabschiedeten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) zu gewährleisten.
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UNO-Steuerkonvention
13.06.2024, Finanzen und Steuern
Bei der UNO haben die Verhandlungen über die zukünftige Ausgestaltung der Rahmenkonvention für die internationale Zusammenarbeit in Steuersachen begonnen. Unser Experte für Steuerpolitik war dabei und von der Verhandlungsstärke der afrikanischen Länder beeindruckt.
Delegierte an der Sitzung zur UNO-Steuerkonvention im Mai in New York. Die Speerspitze für mehr Steuergerechtigkeit durch eine Verlagerung von OECD zur UNO bildet u. a. Nigeria © UN Photo / Manuel Elías
Die UNO ist nicht die allerbeste PR-Agentur ihrer selbst, schon gar nicht, wenn es um Steuerpolitik geht. Und so bemerkte die Weltöffentlichkeit Ende April kaum, dass sich im Innern des UNO-Hauptquartiers am East River in New York Historisches abspielte: Zum ersten Mal in der Geschichte kamen dort die Regierungen der 196 UNO-Mitgliedsstaaten zusammen, um über die zukünftige Gestalt der UNO-Rahmenkonvention für Steuern zu verhandeln, deren Ausarbeitung die Generalversammlung im letzten Dezember beschlossen hatte. Wichtigste Treiberin des Prozesses ist die Gruppe der afrikanischen Staaten bei der UNO, die sogenannte «Afrika-Gruppe». Noch nie kamen die Länder des Globalen Südens (G77) mit ihren steuerpolitischen Anliegen in der UNO so weit wie im letzten halben Jahr.
Bis im August dieses Jahres geht es nun darum, das organisatorische und inhaltliche Gerüst der Steuerkonvention zu bauen, also die sogenannten «Terms of Reference» zu verhandeln. Segnet die Generalversammlung diese im September ab, kann danach die Konvention selbst mit ihren detaillierten Inhalten ausgearbeitet werden. Auf dieser Basis wiederum können dann rechtlich bindende Steuerreformen ausgearbeitet werden, die von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssten. Den Ländern des Globalen Südens und der globalen Steuergerechtigkeitsbewegung bietet sich also die einmalige Chance, die OECD-Vorherrschaft in der internationalen Steuerpolitik zu beenden und die UNO zur zentralen Akteurin zu machen und damit die organisatorischen Voraussetzungen für eine gerechtere multilaterale Steuerpolitik zu schaffen (siehe auch global #92).
Ähnliche Versuche, die steuerpolitische Dominanz der reichen Staaten des Nordens zu beenden, gab es in den letzten 60 Jahren immer wieder. Die Aussichten sind heute vor allem aus zwei Gründen besser denn je:
Im April traten die Vertreter:innen des Globalen Südens in den Verhandlungen denn auch entsprechend selbstbewusst auf und warfen ihre Forderungen konsequent und fundiert in die Runde. Sie decken folgende Teilbereiche der internationalen Steuerpolitik ab: verschiedene Aspekte der Unternehmensbesteuerung, die Bekämpfung unlauterer Finanzflüsse, die Besteuerung der digitalen Wirtschaft, Umwelt- und Klimasteuern, die Besteuerung hoher Vermögen, Fragen des Informationsaustausches und der Steuertransparenz sowie Steueranreize (Tax Incentives). Seit Anfang Juni liegt der erste schriftliche Entwurf für die grundsätzliche Verfasstheit der Konvention (Terms of Reference) vor. Er berücksichtigt die Forderungen der G77 in fast allen Punkten und ist die Grundlage für die nächste Verhandlungsrunde.
Die Offensive des Südens bringt die OECD-Länder in eine knifflige Lage: Einerseits möchten sie so wenig Themen wie möglich in die UNO verlagern, die bisher im Rahmen der OECD und mit ihr verwandten Foren verhandelt wurden, weil sie selbst zu den Profiteuren der bisherigen Reformen gehören. Das gilt bekanntlich auch für die Schweiz. Mittlerweile schwimmt sie im UNO-Prozess relativ ambitionslos einfach mit den OECD-Ländern mit. Zu Beginn des Prozesses hat sich das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) noch erhofft, gar nicht erst an den Verhandlungen teilnehmen zu müssen, weil man den Prozess grundsätzlich für eine Farce hielt. Das war offensichtlich eine Fehleinschätzung. Wenn die OECD-Fraktion den UNO-Prozess durch ihr Festhalten an der OECD als massgebendes Forum für globale Steuerfragen aufzuhalten versucht, stösst sie die Länder des Südens auf multilateraler Ebene einmal mehr vor den Kopf. Angesichts der derzeitigen geopolitischen Grosskonflikte mit Russland und China kann sich das «der Westen» eigentlich nicht mehr leisten. Schliesslich hat niemand ein Interesse daran, dass mit Afrika der grösste Kontinent ins geopolitische Lager Russlands und Chinas wechselt.
So verstecken sich die OECD-Länder in den UNO-Steuerverhandlungen hinter ihrem vermeintlichen Allheilmittel namens «Capacity Building». Man sei gerne bereit, die Steuerbehörden im Globalen Süden mit mehr Know-how und Geld zu unterstützen, damit sie ihre Steuerflüchtigen zu fassen kriegen, heisst es. Darauf hatte Everlyn Muendo vom Tax Justice Network Africa (TJNA) im Konferenzraum 3 – im Gegensatz zur OECD sitzt die Zivilgesellschaft bei der UNO auch im Verhandlungsraum und kann dort das Wort ergreifen – eine treffende Antwort: «We cannot capacity build our way out of the imbalance of taxing rights between developed and developing countries and out of unfair international tax systems.»
Nicht mangelndes Know-how und fehlende technische Kapazitäten kosten den Globalen Süden Steuereinnahmen, sondern das internationale Steuersystem selbst und die unfaire Zuteilung von Besteuerungsrechten zwischen Nord und Süd, die diesem System eingeschrieben ist. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Afrika-Gruppe und ihre Verbündeten in absehbarer Zeit mit einem Verhandlungsergebnis zufriedengeben werden, dem nicht die Aussicht auf grundsätzliche Veränderungen des internationalen Steuersystems innewohnt. Im Juli und August steht in New York die nächste Verhandlungsrunde an.
Dominik Gross’ Beitrag zur Rolle des Schweizer Finanzplatzes bei der Steuerflucht von Vermögenden aus aller Welt Ende April während der Verhandlungen in New York:
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Global, Meinung
02.04.2024, Internationale Zusammenarbeit, Finanzen und Steuern
Ist Sparen wirklich das Gebot der Stunde? Ein umfassendes Umdenken ist dringend nötig, denn die Schuldenquote ist die beste Freundin der internationalen Zusammenarbeit. Dank ihr kann es sich die Schweiz mehr als leisten, die Kosten für die Ukrainehilfe ausserordentlich zu verbuchen und so die Entwicklungszusammenarbeit in den Ländern des Globalen Südens zu retten.
Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud. © Daniel Rihs
Im Geschichtsstudium haben wir gelernt, dass der wissenschaftliche Fortschritt in den Fussnoten stattfindet. Erfreut habe ich kürzlich festgestellt, dass das auch für Bundesbern gilt. So weist die eidgenössische Finanzverwaltung in einer Fussnote zum Legislaturfinanzplan 23 – 27 auf die Diskrepanz zwischen dem internationalen Standard zur Nachhaltigkeit von Schulden und der Schweizer Praxis hin: Einerseits gibt es das Nachhaltigkeitskonzept, das «dem international von OECD, IWF und EU-Kommission anerkannten Standard (entspricht). Danach sind die öffentlichen Finanzen nachhaltig, wenn die Staatsschulden im Verhältnis zum BIP (Schuldenquote) auf einem ausreichend tiefen Niveau stabilisiert werden können. Die Schuldenbremse des Bundes ist restriktiver. Sie stabilisiert die Schulden des Bundes zu ihrem nominalen Wert in Franken.»
Auch in Franken waren die Schulden 2022 – trotz Corona – niedriger als 2002 bis 2008, als die Schweiz auch nicht gerade darnieder lag. Aber eben, entscheidend sind sowieso nicht die absoluten Schulden, sondern ihr Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (man kann diesen Satz nicht oft genug sagen). Wie hoch ist denn diese Quote? Schauen wir nach in der jüngsten Ausgabe von «Grundlagen der Haushaltsführung des Bundes», einer Publikation der Finanzverwaltung, die sich an die Parlamentarier:innen richtet. 2022 betrug die Schuldenquote gemäss Maastricht-Definition der EU 26.2% und die Nettoschuldenquote, so wie sie der internationale Währungsfonds IWF berechnet, lag bei 15,3%. Gemäss Legislaturfinanzplan hingegen (der ein Monat nach den «Grundlagen» publiziert wurde) beträgt die Nettoschuldenquote aber 18,1%. Offensichtlich haben nicht nur das Verteidigungsdepartement und der Armeechef ein Problem mit den Zahlen (für 2023 liegt die Quote laut der Finanzministerin in der Frühlingssession bei 17,8%).
«Die Schuldenbremse ist meine beste Freundin», sagte Karin Keller-Sutter gegenüber der NZZ. Uns scheint allerdings eher, dass die Schuldenbremse Rumpelstilzchen ist: «Ach wie gut, dass niemand weiss …». Wobei – und auch diesen Satz kann man nicht oft genug wiederholen –, egal wie man die Schuldenquote der Schweiz misst, sie ist in jedem Fall im internationalen Vergleich lächerlich gering.
«Wiegt der Nutzen tiefer Schulden deren Kosten auf? Denn Schuldenabbau ist nicht gratis. Jeder Franken, der für Rückzahlung von Staatsschulden eingesetzt wird, ist ein Franken, der nicht für andere Staatsleistungen zur Verfügung steht», gibt Marius Brülhart, Volkswirtschaftsprofessor der Uni Lausanne, zu bedenken. Wo er das schreibt, ist ein Silberstreifen am Horizont, in der «Volkswirtschaft» nämlich, dem wirtschaftspolitischen Magazin des SECO. Bei Mitte-Präsident Gerhard Pfister, der sich für eine ausserordentliche Finanzierung der Ukraine-Kosten (Flüchtlinge und Wiederaufbau) ausspricht, ist das Thema angekommen. Ein umfassendes Umdenken ist dringend nötig, denn die Schuldenquote ist die beste Freundin der internationalen Zusammenarbeit. Dank ihr kann es sich die Schweiz mehr als leisten, die Kosten für die Ukrainehilfe ausserordentlich zu verbuchen und so die Entwicklungszusammenarbeit in den Ländern des Globalen Südens zu retten.
Wiegt der Nutzen tiefer Schulden deren Kosten auf? Denn Schuldenabbau ist nicht gratis. Jeder Franken, der für Rückzahlung von Staatsschulden eingesetzt wird, ist ein Franken, der nicht für andere Staatsleistungen zur Verfügung steht.
(Marius Brülhart)
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