Meinung

Nahrungsmittelspekulation: Regulierungsbedarf

05.03.2016, Finanzen und Steuern

Die Spekulation mit Nahrungsmitteln führt zu grossen Preisschwankungen, die vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten im globalen Süden dramatische Auswirkungen haben können.

Nahrungsmittelspekulation: Regulierungsbedarf

Einreichung der Volksinitiative im März 2014
© Daniel Hitzig/Alliance Sud

Markus Mugglin, Ökonom und freier Publizist

Die Spekulation mit Nahrungsmitteln führt zu grossen Preisschwankungen, die vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten im globalen Süden dramatische Auswirkungen haben können. Eine von den Jungsozialisten (Juso) lancierte Volksinitiative forderte den Stopp der Nahrungsmittelspekulation. Auch Alliance Sud verlangte vom Bundesrat neue Regulierungen, welche verheerende Preisschwankungen bei Grundnahrungsmitteln eingedämmt hätten. 2014 hat der Ökonom und freie Publizist Markus Mugglin im Auftrag von Alliance Sud eine Studie über die Folgen der Nahrungsmittelspekulation erarbeitet. Seit dem Beginn der 2000er Jahre  haben sich die Preise für Nahrungsmittelrohstoffe verdoppelt, Preisspitzen wurden 2006/2007 und 2011 erreicht.

Unheilvolle Spekulation

Unter diesem Preisanstieg litt die Ernährungssicherheit vor allem von armen Bevölkerungsschichten im globalen Süden. Volatile Preise gefährden die Existenzgrundlage der Produzentinnen (bei schnell und stark fallenden Preisen) genauso wie der KonsumentInnen (bei schnell und stark steigenden Preisen). Die Länder des Nordens, darunter vor allem die Schweiz, verkennen diese Tatsache. Sie bleiben überzeugt von der Notwendigkeit der «nützlichen» Spekulation, die in den 1990er Jahren zuweilen eine preisstabilisierende Wirkung hatte. Gleichzeitig weigern sie sich zuzugeben, dass sich seither gewisse Praktiken der Nahrungsmittelspekulation grundlegend verändert haben. Erwähnt seien namentlich der Derivatehandel durch Banken und Handelsplattformen, die mit ausgeklügelter Informatik in Sekunden Tausende von Geschäften abwickeln können.

Fünf Vorschläge zur Re-Regulierung:

  1. Für Alliance Sud ist die Re-Regulierung der Nahrungsmittelspekulation eine zentrale Massnahme, um die Ernährungssicherheit auf dem ganzen Planeten zu gewährleisten. Dabei führt sie folgende fünf Vorschläge ins Feld:
  2. Der ausserbörsliche Handel mit Derivaten darf nur unter Aufsicht stattfinden, so dass vollständige Transparenz für alle Beteiligten und die Behörden garantiert ist.
  3. Spekulanten müssen sich an Positionslimiten halten. Das heisst, ihr Anteil am Handelsvolumen darf einen gewissen Prozentsatz (zum Beispiel 15%) nicht übersteigen. Positionslimiten waren das wichtigste Regulierungsinstrument bis Ende der 1990er Jahre.
  4. Der Hochfrequenzhandel soll zumindest eingeschränkt, wenn nicht verboten werden.
  5. Beginnen die Preise innert kurzer Zeit zu stark zu schwanken sollte der Handel durch die Handelsplattformen unterbrochen werden. Zu prüfen ist die Einführung einer abgestuften Transaktionssteuer, die ab einem gewissen Preisniveau erhöht würde.

Und schliesslich wäre es sinnvoll, wenn Nahrungsmittelhändler und Spekulanten institutionell voneinander getrennt würden.

Das Anliegen der Initiative bleibt aktuell

In der Schweiz setzt der Bundesrat auf Selbstregulierung. Die USA und die EU haben dagegen bereits entschieden, die Nahrungsmittelspekulation einzuschränken und den Derivatehandel zu re-regulieren. Die Schweiz hat sich also für den Alleingang entschieden.
Aus all diesen Gründen hat Alliance Sud das Anliegen der Volksinitiative der Juso gegen die Nahrungsmittelspekulation unterstützt, die am 24. März 2014 eingereicht wurde. Die Initiative, mitgetragen von der SP, den Grünen und verschiedenen Entwicklungsorganisationen (darunter Swissaid und Solidar Suisse) wollte Finanzinstituten und Vermögensverwaltern verbieten, in Finanzinstrumente zu investieren, die auf landwirtschaftlichen Rohstoffen oder Nahrungsmitteln basieren.

Lebhafte Kampagne

Während der Abstimmungskampagne unterstrich Alliance Sud, wie wenig die Schweiz bislang gegen die Finanzspekulation unternommen habe. «Der Bundesrat hat es verpasst, selber notwendige Massnahmen zu treffen. Darum ist die Initiative gegen die Nahrungsmittelspekulation die einzig mögliche politische Alternative», so die Einschätzung von Mark Herkenrath von Alliance Sud.

Die Initianten riefen auch in Erinnerung, dass die Uno Massnahmen fordert, um die Volatilität der Nahrungsmittelpreise einzudämmen, die zeitweise unkontrollierbar ist und eine Ursache für die Hungerkrisen von 2007 und 2011 war. «Wenn Sie 80% ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen, dann kann bereits die kleinste Preiserhöhung Hunger bedeuten», erklärte Caroline Morel von Swissaid, eine der Mitinitantinnen.

Ein ernstzunehmendes Signal

Die Gegner sagten der Initiative eine krachende Niederlage voraus. Stattdessen wurde sie am 28. Februar 2016 von mehr als 40% der Abstimmenden unterstützt. Das zeigt, dass die Spekulation mit Nahrungsmitteln die Schweizer StimmbürgerInnen stark beschäftigt und dass der Bundesrat früher oder später Massnahmen treffen muss, die über den blossen Appell an die Selbstregulierung hinausgehen. Es bräuchte nicht viel: Der Bundesrat könnte über eine Verordnung Positionslimiten für Händler aktivieren, die in der Schweiz einen Sitz haben. Die Grundlage dafür haben Bundesrat und Parlament mit der Aufnahme der Positionslimiten in den Artikel 118 des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes geschaffen.

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Transparente Konzerne noch in weiter Ferne?

06.06.2016, Finanzen und Steuern

Das Country-by-Country-Reporting für Unternehmen steht bei der OECD ganz oben auf der Agenda. Damit wird Steuertransparenz auch für Konzerne in der Schweiz zum Thema.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Transparente Konzerne noch in weiter Ferne?

Finanzchefs von mulitnationalen Unternehmen in Erklärungsnotstand vor einem Parlamentsausschuss des britischen Unterhauses. Bild: Troy Alstead von Starbucks
© Reuters UK/Parliament

Was für Bürgerinnen und Bürger der meisten Länder dieser Welt die Regel, ist für globale Konzerne eher die Ausnahme: dem Einkommen entsprechende Steuern zu bezahlen. Gemäss Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) gingen 2014 allein den Entwicklungsländern 213 Milliarden Dollar Steuereinnahmen verloren, weil multinationale Konzerne jährlich vier bis zehn Prozent der Steuern, die sie eigentlich entrichten sollten, am Fiskus vorbeischleusten. Zum Vergleich: Gemäss dem Entwicklungsausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) leisteten die Industrieländer, in denen die allermeisten dieser steueroptimierenden Weltkonzerne ihren Sitz haben, im selben Jahr 137 Milliarden Dollar an Entwicklungshilfe im globalen Süden.

Ein Welthandel ohne Markt

Konzerne bezahlen ihre Steuern oft nicht dort, wo sie Gewinne erwirtschaften, sondern dort, wo sie für diese am wenigsten Steuern bezahlen. Dabei sind sogenannte Verrechnungspreise als Vehikel für Profitverschiebungen in Steueroasen sehr beliebt. Die Unternehmen machen sich hier eine Fiktion im internationalen Steuerrecht zunutze, die sich Fremdvergleichsgrundsatz («arm’s lengths principle») nennt. Dabei geht das Steuerrecht davon aus, dass Preise für konzernintern gehandelte Güter und Dienstleistungen (zum Beispiel Warenlieferungen, Lizenzen oder Darlehen) genauso frei ausgehandelt werden, wie dies auf dem freien Markt geschähe. Im konzerninternen Handel, der heute bis zu sechzig Prozent des gesamten Welthandels ausmacht, ist der Markt jedoch pure Fiktion: Verrechnungspreise entstehen dort nicht aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, sondern kommen durch Managemententscheide zustande, die die Konzernbuchhaltung im Blick haben. Dabei werden auch gerne Profitverschiebungen vorgenommen.
Wie das in der Praxis abläuft, zeigte in der jüngeren Vergangenheit zum Beispiel der Rohstoffriese Glencore mit Sitz im Kanton Zug. Er verschob zwischen 2001 und 2012 über fragwürdige Verrechnungspreise 174 Millionen Dollar Steuergelder aus seiner Kupfermine in Mulfira in Sambia ins Tiefsteuergebiet Baar. Bei einem solchen «transfer mispricing» verrechnet
das Mutterhaus in einer Steueroase seiner Tochterfirma in einem Entwicklungsland zum Beispiel völlig überhöhte Gebühren für die hausinterne Buchhaltungsberatung: Der Gewinn der Tochtergesellschaft im Entwicklungsland mit regulären Gewinnsteuersätzen löst sich auf, der Gewinn des Mutterhauses in der Steueroase steigt.
Das sogenannte Country-by-Country-Reporting (CbCR), die länderbezogene Berichterstattung für multinationale Unternehmen, könnte in solchen Fällen Abhilfe schaffen. Das Konzept wurde 2002 von Richard Murphy, dem heutigen Direktor des Tax Justice Network (TJN), entwickelt. Es will Konzerne dazu verpflichten, spezifische Unternehmensdaten (zum Beispiel Verrechnungs- preise, Gewinne, Einnahmen, Anleihen oder die Anzahl ihrer Beschäftigten) in allen Ländern offenzulegen, in denen diese aktiv sind. Dies könnte es den Steuerbehörden der betreffenden Länder erstmals ermöglichen, einen Konzern als Ganzes zu erfassen. Damit würden Preismanipulationen offensichtlich und könnten unterbunden werden.

Ein reicher Klub arbeitet für die Reichen

Die länderbezogene Berichterstattung für multinationale Unternehmen ist der wichtigste unter den minimalen Standards im Bereich eines neuen inter-nationalen Unternehmenssteuerregimes, auf die sich die 34 Mitgliedstaaten der OECD im Rahmen ihres im vergangenen Oktober verabschiedeten Projekts zur Bekämpfung der Verminderung steuerlicher Bemessungsgrundlagen und von Profitverschiebungen («Base Erosion and Profit Shifting», BEPS) geeinigt haben. Auch die Schweiz hat sich zum Mitmachen verpflichtet. Der Bundesrat hat Ende Januar in Paris die multilaterale Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte unterzeichnet. Die genauen Rahmenbedingungen für das Schweizer CbCR wird der Bundesrat in einem Gesetzesentwurf vorlegen, der in diesem Frühling in die Vernehmlassung geht. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass das auf den BEPSRichtlinien basierende CbCR, an dem sich auch die Schweiz orientieren wird, Fälle wie jenen von Glencore in Sambia auch in Zukunft nicht verhindern wird. In verschiedenen Gremien der OECD sitzen zwar vermehrt auch Entwicklungsländer. Trotzdem bleibt die Organisation ein Klub der reichen Industrieländer, in dem auch die entsprechenden Interessen dominieren.
So beschränken sich die OECD-Standards grundsätzlich auf einen Austausch der länderbezogenen Berichterstattung unter Steuerbehörden. An einem öffentlichen, also auch für die Politik, die Medien und die Zivilgesellschaft zugänglichen Reporting, wie das Richard Murphy ursprünglich vorgesehen hatte und wie es bis heute von zahlreichen entwicklungspolitischen Organisationen gefordert wird, waren und sind die Regierungen der OECD-Staaten nicht interessiert. Gemäss CbCR-Regelung der OECD muss ein Konzern zudem nur gegenüber jener Steuerbehörde eine umfassende Berichterstattung ablegen, in deren Staat sein Hauptsitz liegt. Damit sind Entwicklungsländer, in denen Konzerne in aller Regel nur Tochterfirmen betreiben, vom Willen der Behörden in den Hauptsitzländern abhängig, die entsprechenden Daten mit ihnen zu teilen. So wird die Schweiz unilateral entscheiden können, mit welchen Ländern sie im Rahmen eines automatischen Informationsaustausches (CbCR-AIA) Konzerndaten aus den länderbezogenen Berichten austauschen will. Orientiert sie sich dabei am 2018 einzuführenden AIA für Bankenkundendaten, werden die Entwicklungsländer leer ausgehen.
Im geschilderten Glencore-Fall wäre Sambia also auf das Gutdünken der Schweizer Steuerbehörden angewiesen. Diese könnten bei einem Verdacht auf missbräuchliche Verrechnungspreise die Daten ungefragt ins südliche Afrika liefern. Allerdings verlangt die OECD eine länderspezifische Berichterstattung nur von Konzernen, die im Berichtsjahr eine Bilanzsumme von mindestens 750 Millionen Euro aufweisen. Dieser Schwellenwert ist aus entwicklungspoliti- scher Sicht zu hoch angesetzt, denn es gibt viele in Industrieländern ansässige Konzerne, die zwar Profite aus Entwicklungsländern abziehen, deren Bilanzsumme aber unter diesem Schwellenwert bleibt. Diese « kleinen Multis » werden also weiterhin unter dem Radar der für ihr Mutterhaus zuständigen Steuerbehörden agieren können.

Keine Gerechtigkeit ohne Transparenz

Für Alliance Sud ist zwingend, dass die Schweiz nicht nur OECD-Staaten, sondern auch Entwicklungsländer in den automatischen Informationsaus-tausch von Unternehmenssteuerdaten mit einbezieht. Zudem muss es ein öffentliches CbCR sein: Nur ein solches wird es Steuerbehörden in Entwicklungsländern auch erlauben, flächendeckend von Daten aus Konzernbuchhaltungen profitieren zu können. Neben zahlreichen inter- nationalen Nichtregierungsorganisationen befürwortet auch das EU-Parlament ein solches öffentliches Country-by-Country-Reporting. Die EU-Kommission möchte in ihrem im Januar publizierten Entwurf das CbCR hingegen auf die Behördenebene beschränken. Einzelne SpitzenpolitikerInnen wie der britische Finanzminister George Osborne oder die EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margarete Vestager, befürworten allerdings das weitreichendere öffentliche CbCR. Bereits heute in Kraft ist ein solches in der EU für grosse Finanzdienstleister. Das letzte Wort in Sachen öffentliches CbCR dürfte also auch in der Schweiz noch nicht gesprochen sein.

Dieser Artikel wurde in GLOBAL+ (Frühling 2016) publiziert

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Das untote Bankgeheimnis

16.06.2016, Finanzen und Steuern

Der automatische Informationsaustausch ist einem Club von reichen Ländern vorbehalten. Steuerhinterzieher aus dem Süden werden auch in Zukunft ihr Geld auf Schweizer Konten verstecken können.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Das untote Bankgeheimnis

© Rainer Sturm/pixelio.de

Salamitaktik ist nichts für Hungrige. Seit 2009 versucht die Schweiz vom Bankgeheimnis zu retten, was noch zu retten ist. Pro Gang werden einem dabei jeweils nur einzelne Scheibchen Verschwiegenheit zum Verzehr vorgesetzt. Im vergangenen Dezember wurde eine weitere Scheibe Bankgeheimnis abserviert: Damals stimmte nach dem Nationalrat auch der Ständerat dem MCAA  zu. 82 Staaten gehören dieser «multilateralen Vereinbarung der zuständigen Behörden über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten» der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mittlerweile an. Auch das entsprechende Gesetz über den automatischen Informationsaustausch (AIA) nahm die Kleine Kammer im Dezember an. In Zukunft könnte die Eidgenössische Steuerverwaltung also mit den Steuerbehörden von 82 Staaten Kontoinformationen über ausländische Bankkunden automatisch austauschen, die ihr die hiesigen Banken ab 2017 regelmässig übermitteln müssen.

Seit jenem Entscheid des Ständerats herrscht Konsens im Land, dass das Geschäft mit unversteuerten Geldern aus dem Ausland tot ist. Ein Blick auf die Weltkarte zeigt jedoch: Das Bankgeheimnis ist eher untot. Denn damit der AIA zwischen zwei Ländern wirklich vollzogen werden kann, müssen die MCAA-Mitglieder diesen auch noch bilateral aktivieren. Die Schweiz hat das bisher nur mit den 28 EU-Staaten und Australien, Kanada, Island, Japan, Norwegen und Südkorea getan. In die USA liefert die Schweiz im Rahmen des FATCA-Abkommens  bereits seit 2015 einseitig Daten. Den AIA-Standard der OECD will die Schweiz bis auf weiteres aber nur auf Staaten ausweiten, mit denen sie enge politische und wirtschaftliche Beziehungen pflegt. In der Praxis kommen dabei nur Länder infrage, die ihren Steuerflüchtlingen aus Schweizer Sicht sinnvolle Regularisierungsmöglichkeiten für ihr unversteuertes Geld anbieten.

Eine weltweite Zweiklasseninformationsgesellschaft

Für die allermeisten Länder ausserhalb von OECD und EU bleibt ein automatischer Informationsaustausch mit der Schweiz deshalb vorerst unerreichbar. So läuft die offizielle Schweizer Politik im Kampf gegen Steuerhinterziehung seit längerem auf eine Zebrastrategie des Finanzplatzes hinaus: Weissgeld aus den reichen Ländern des Nordens, Schwarzgeld aus den armen Ländern des Südens. Unter den OECD-Ländern entsteht eine Art Transparenzklub für den internationalen Datenaustausch zwischen Steuerbehörden, von dem die meisten ärmeren Länder bis auf weiteres ausgeschlossen bleiben. In Sachen Steuertransparenz teilen die neuen OECD-Regeln die Welt faktisch in zwei Klassen: Hier die Wissenden, dort die Nicht-Wissenden.
Schweizer Vermögensverwalter haben sich damit bereits arrangiert. Sie versuchen schon seit Jahren, vor allem in Asien und Afrika vermögende Neukunden zu gewinnen. So sagte die französische Ex-UBS-Mitarbeiterin und Whistleblowerin Stéphanie Gibaud im April 2015 in einem Interview mit der argentinischen Zeitung «Buenos Aires Herald»: «Als die UBS 2009 in den USA aufflog, rechnete die Schweiz damit, dass die europäischen und US-amerikanischen Regulatoren gegen diese Schweizer Banken vorgehen werden. Also begann die UBS ab 2009, 2010 ihr Geschäft auf die Schwellenländer zu fokussieren und versuchte in Netzwerke potentieller Kunden in den ‚emerging markets‘ vorzudringen, [...] andere Banken machten wahrscheinlich dasselbe.»
Dabei sind es gerade die ärmeren Länder in Asien oder Afrika, deren Fiskusse überdurchschnittlich stark unter Steuerflucht leiden. Denn einzelne Vermögen machen in ärmeren Ländern einen viel höheren Anteil am Steuerertrag aus als in reichen. Umso grösser ist der Schaden, der ein einzelner Steuerhinterzieher dort anrichtet. Dem Nigerianer Aliko Dangote, mit 15,4 Milliarden Dollar Vermögen der reichste Afrikaner überhaupt, steht in Nigeria ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von 1692 US-Dollar gegenüber. Zum Vergleich: Die reichste Familie der Schweiz, jene von Ikea-Gründer Ingwar Kamprad, verfügt über ein Vermögen von 44,5 Milliarden Dollar. Das ist zweieinhalb Mal so viel wie jenes von Dangote. Das Schweizer Pro-Kopf-Einkommen beträgt derweil 81'324 Dollar, was dem 48-fachen von jenem Nigerias entspricht.

Steueramtshilfe zugunsten der Armen bleibt Theorie

Der Name des Unternehmers Aliko Dangote taucht auch prominent in den Datensätzen der «Swiss Leaks» und der «Panama Papers» auf. In den Swiss Leaks aus dem letzten Jahr befindet er sich in Gesellschaft von über 5000 weiteren afrikanischen Kunden der Schweizer Niederlassung der britischen Bank HSBC. Es handelt sich um Einzelpersonen und um Firmen aus über fünfzig afrikanischen Staaten, die über die Genfer HSBC-Filiale unversteuertes Kapital zirkulieren liessen. Die Heimatstaaten dieser Steuerhinterzieher werden in absehbarer Zeit keine Chance auf einen automatischen Informationsaustausch mit den Schweizer Steuerbehörden haben. Wenn sie aber wie Nigeria oder die Schweiz Mitglied der multilateralen Amtshilfekonvention von OECD und Europarat sind, können sie ein Steueramtshilfegesuch bei der Schweizer Steuerverwaltung stellen und auf diesem Weg an unversteuerte Gelder ihrer Bürgerinnen und Bürger gelangen.
Allerdings gibt es auch hier hohe Hürden, wie das Beispiel Indien zeigt: Von dort liegen der Steuerverwaltung in Bern seit den Swiss Leaks Hunderte Anfragen auf Steueramtshilfe im Zusammenhang mit HSBC-Kundendaten indischer Staatsbürger vor. Sie darf diese allerdings bis auf weiteres nicht beantworten, da sich der Bundesrat seit dem letzten Herbst weigert, den Entwurf für eine entsprechende Gesetzesänderung zur Ausweitung der Steueramtshilfe auf sogenannt gestohlene Daten dem Parlament vorzulegen. Erst diese Gesetzesausweitung würde diese Form der Amtshilfe zu einem probaten Mittel für Staaten machen, die nicht zum erlauchten AIA-Club gehören. Die Ausweitung der Amtshilfe auf gestohlene Daten ist denn auch verbindlicher Teil des neuen OECD-Standards in der internationalen Steueramtshilfe. Wer dieses Kriterium nicht erfüllt, läuft Gefahr, im zweiten Teil des Länderexamens des Global Forums für Steuertransparenz der OECD, wo die Fortschritte der einzelnen Teilnehmerländer bei der Umsetzung der neuen Standards evaluiert werden, hängen zu bleiben. Zurzeit erstellt das Forum seinen Bericht über die Schweiz. Beispielsweise Indien und Nigeria könnten als Mitglieder des Forums den Aufstieg der Schweiz in die 3. Phase des Examens verhindern. Dann könnte die Schweiz erneut auf schwarzen Listen von OECD-Ländern landen. Auf das Ergebnis des Examens darf man also gespannt sein.

Dieser Artikel wurde in der Sommerausgabe 2016 von GLOBAL+ publiziert

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Der Austausch von Schweizer Bankkundendaten mit den Staaten der Welt.

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Spuckt Indien der Schweiz in die OECD-Suppe?

23.06.2016, Finanzen und Steuern

Hunderte von Anfragen auf Steueramtshilfe aus Indien sind in der Schweiz pendent. Kommt die Schweiz wieder auf eine schwarze Liste? Und was genau war Thema beim Blitzbesuch von Premier Modi?

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Spuckt Indien der Schweiz in die OECD-Suppe?

Heute Morgen empfing Bundespräsident Johann Schneider-Ammann den indischen Premierminister Narendra Modi in Genf zu einem offiziellen Kurzbesuch. Der Wirtschaftsminister soll dabei mit Modi gemäss Mitteilung seines Departementes vor allem über das geplante Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Staaten und Indien gesprochen haben. Weiter soll es auch um finanzpolitische Fragen gegangen sein. Vor allem diese sind im schweizerisch-indischen Verhältnis zurzeit von einiger Brisanz. Indische Medien spekulierten in den letzten Tagen darüber, dass die indische Regierung kurz vor dem Abschluss eines Abkommens zur Aktivierung des automatischen Informationsaustausches über Bankkundendaten (AIA) zwischen den Steuerbehörden der beiden Länder stehen soll. Indien hätte daran ein sehr grosses Interesse, da indische StaatsbürgerInnen gemäss der Schweizerischen Bankiervereinigung bis zu zwei Milliarden Franken auf Schweizer Banken parkiert haben sollen. Davon konnten die indischen Behörden über Steueramnestien bisher erst 500 Millionen nach Indien zurückführen. 

In zwei Wochen wird der Schweizer Staatsekretär für internationale Finanzfragen Jacques de Watteville in Indien erwartet. Unter Druck dürfte der Staatssekretär dabei vor allem wegen hunderter hängiger indischer Steueramtshilfegesuchen stehen, welche die Schweizer Steuerverwaltung seit einiger Zeit unbeantwortet lässt. Sie stammen aus den «Swiss Leaks» der Genfer Filiale der britischen HSBC-Bank, die der französische Whistleblower und ehemalige HSBC-Mitarbeiter Hervé Falciani 2015 leakte. Falciani wurde vom Schweizer Bundesstrafgericht mittlerweile wegen Wirtschaftsspionage zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die mutmasslichen indischen SteuerhinterzieherInnen mit Konten bei der HSBC kommen dagegen bis jetzt ungeschoren davon.
Die Schweizer Steuerverwaltung darf die indischen Amtshilfeanfragen allerdings bis auf weiteres gar nicht beantworten, da sich der Bundesrat seit dem letzten Herbst weigert, den Entwurf für eine entsprechende Gesetzesänderung zur Ausweitung der Steueramtshilfe auf gestohlene Daten dem Parlament vorzulegen. Bis dieses die Gesetzesänderung abgesegnet hat, bleiben der Steuerverwaltung die Hände gebunden. Der Bundesrat nimmt damit nicht nur ein gestörtes Verhältnis zum wichtigen Handelspartner Indien in Kauf, er setzt auch erneut die internationale Reputation des Schweizer Finanzplatzes aufs Spiel: Denn die Ausweitung der Steueramtshilfe auf geleakte Daten wie den HSBC-Files ist im Sinn des neuen OECD-Standards in der internationalen Steueramtshilfe. Wer die damit verbundenen Kriterien im zweiten Teil des Länderexamens des Global Forums für Steuertransparenz der OECD nicht erfüllt, läuft Gefahr im Examen durchzufallen. Die erste Phase des Länderexamens hat die Schweiz bestanden, zurzeit erstellt das Forum den zweiten Bericht über die Schweiz. Indien könnte gemeinsam mit einem weiteren Mitglied des Forums (etwa Argentinien oder Nigeria) verhindern, dass die Schweiz besteht. Fällt die Schweiz durch, kann sie erneut auf schwarzen Listen der OECD oder der G20-Länder landen.
Dem Vernehmen nach übt Indien im Global Forum tatsächlich massiven Druck auf die Schweiz aus. Soll der Besuch von Staatssekretär de Watteville in New Delhi also ein Erfolg werden, wäre der Bundesrat gut beraten, die Ausweitung der Steueramtshilfe auf gestohlene Daten nun endlich ins Parlament zu schicken.

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Steueramtshilfeverordnung mit Lücken

27.06.2016, Finanzen und Steuern

Die bundesrätliche Verordnung im Bereich des spontanen Informationsaustauschs von Steuervorbescheiden ist grundsätzlich zu begrüssen. Nachbesserungen in Bezug auf Entwicklungsländer sind aber nötig.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Steueramtshilfeverordnung mit Lücken

© Daniel Hitzig/Alliance Sud

Alliance Sud begrüsst die Ausarbeitung einer Verordnung im Bereich des spontanen Informationsaustauschs von Steuervorbescheiden durch den Bundesrat. Der vorliegende Entwurf liefert aber viel zu ungenaue Vorgaben, wenn es um den Länderkreis geht, mit dem die Schweizer Steuerbehörden in Zukunft Steuervorbescheide austauschen will. Hier fordert Alliance Sud im Interesse der Entwicklungsländer eine deutliche Nachbesserung der Vorlage. Sie sind diejenigen Länder, die oft am meisten unter Transferpreismanipulationen und Gewinnverschiebungen im Zusammenhang mit Steuervorbescheiden leiden. Alliance Sud bezweifelt auf Grund der bestehenden Mängel im inländischen Informationsaustausch von Steuervorbescheiden zudem, dass die Schweiz ihren Verpflichtungen, welche die Steueramtshilfeverordnung (STAhiV) auf internationaler Ebene vorsieht, zukünftig überhaupt nachkommen kann. Auch hier bleibt der vorliegende Verordnungsentwurf Antworten schuldig und beugt der Entwicklung von neuen Steuerschlupflöchern nicht entschieden genug vor.

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«Ja, aber» zu länderbezogenen Berichten über Multis

14.07.2016, Finanzen und Steuern

Alliance Sud begrüsst die Mitarbeit der Schweiz im BEPS-Projekt der OECD. Der vorliegende Gesetzesentwurf für Austausch länderbezogener Berichte von mulitnationalen Konzernen genügt jedoch nicht.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

«Ja, aber» zu länderbezogenen Berichten über Multis

© Daniel Hitzig/Alliance Sud

Alliance Sud begrüsst die aktive Mitarbeit der Schweiz im BEPS-Projekt (Base Erosion and Profit Shifting) der OECD. Gleichzeitig beurteilt Alliance Sud den vorliegenden Gesetzesentwurf für den internationalen automatischen Austausch länderbezogener Berichte (Country by Country Reporting) von multinationalen Konzernen als ungenügend. Das geplante Gesetz leistet nicht den erforderlichen Beitrag der Schweiz zu einer nachhaltigen globalen Steuerpolitik im Sinne der BEPS-Ziele. Der Bundesrat will mit dem vorliegenden Entwurf zum ALBA-Gesetz lediglich die absoluten OECD-Mindestanforderungen umsetzen. Alliance Sud kritisiert, dass der Bundesrat auf eine multilaterale Einführung des automatischen Austauschs länderbezogener Berichte mit allen ALBA-Mitgliedsstaaten verzichten und auf die bilaterale Aktivierung setzen will. Damit dürfte der Kreis der Länder, mit denen die Schweiz Berichte austauscht, bis auf weiteres sehr beschränkt bleiben. Alliance Sud kritisiert zudem den Verzicht des Bundesrates auf die Einführung der von der OECD vorgeschlagenen dreigliedrigen Transferpreisdokumentation (länderbezogener Bericht plus Stamm- und länderspezifische Dokumentation), weil dieser die Risikoabschätzung der Transferpreispraxis der berichtenden Konzerne massiv erschwert. Ausserdem beurteilt Alliance Sud die Ausgestaltung des Zweitmechanismus als nicht zielführend: In der vorliegenden Form wird der Mechanismus für die Schweiz nicht den vom Bundesrat erhofften Anreiz darstellen, einen möglichst breiten Länderkreis für den Austausch länderbezogener Berichte zu schaffen. Zudem weisst das ALBA-Gesetz aus der Sicht von Alliance Sud bezüglich der Bussen bei Nichteinreichung der Berichte, der Sprachanforderungen für die Berichte und der Qualitätskontrolle durch die eidgenössische Steuerverwaltung starke Mängel auf. Im Interesse zivilgesellschaftlicher Kräfte, die sich in den Ländern des globalen Südens für Steuergerechtigkeit einsetzen, aber nicht in den Genuss von Transferpreisdokumentationen im Rahmen des ALBA kommen werden, erwartet Alliance Sud vom Bundesrat, die Einführung eines öffentlichen Country-by-Country-Reportings zu prüfen. Hier sollte der Bundesrat vermehrt den politischen Entwicklungen in der Europäischen Union und ausserhalb der OECD-Mitgliedsstaaten Rechnung tragen.

Die ganze Vernehmlassung von Alliance Sud im Wortlaut

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Wie der Bundesrat mit Konzernen kungelt

03.10.2016, Finanzen und Steuern

Der Steuervermeidungsskandal von Apple und der Gesetzesentwurf des Bundesrates für ein Schweizer Country-by-Country-Reporting zeigen: Kein Weg führt an einer öffentlich zugänglichen Unternehmensberichterstattung von multinationalen Konzernen vorbei.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Wie der Bundesrat mit Konzernen kungelt

Mit seiner Marktmacht erreicht Apple die hintersten Winkel der Welt. Das Logo auf der Kappe dieses Tibeters ist allerdings eine Fälschung.
© Kieran Dodds/Panos

Gewinnverschiebungen von multinationalen Konzernen in Steueroasen sind für den globalen Süden verheerend. Um möglichst hohe Renditen aus der Rohstoffgewinnung in afrikanischen Minen oder dem Verkauf ihrer Produkte zu erzielen, verschieben die Konzerne Gewinne ihrer Tochterfirmen im globalen Süden gerne an ihre Niederlassungen oder Geschäftssitze in Tiefsteuergebieten. Dort bezahlen sie nur einen Bruchteil der Steuern, den sie regulär in jenen Ländern bezahlen müssten, in denen effektiv ein Grossteil ihrer Geschäftstätigkeit stattfindet. Dies passiert über sogenannte Transferpreismanipulationen: Wenn zwei Tochterfirmen in einem Konzern einander bestimmte Güter oder Dienstleistungen verkaufen, muss das Management des Konzerns dafür Preise festlegen, die eigentlich den üblichen Marktpreisen entsprechen sollten. Dort wo diese Marktpreise als Referenz fehlen, setzen Konzern-Managements oft willkürlich zu hohe Transferpreise fest und verschieben so Gewinne von einem «Hochsteuerland» in ein Tiefsteuergebiet.

OECD-Länder wollen unter sich bleiben

Das jüngste Beispiel für solche Unternehmenssteuervermeidung lieferte kürzlich Apple (siehe Kasten). Um Steuerflucht dieser Art in Zukunft zu verhindern, kämpft die internationale Steuergerechtigkeits-Bewegung seit 2002 für eine Einführung länderbezogener Berichterstattung für multinationale Konzerne, das sogenannte «Public Country-by-Country-Reporting» (CbCR). Damit könnten Steuervermeidungskonstrukte von Konzernen wie jenes im aktuellen Apple-Beispiel zukünftig enttarnt werden. Die Einführung eines CbCRs auf internationaler Ebene ist denn auch ein Eckpfeiler des vor einem Jahr präsentierten Projektes der OECD zur Bekämpfung der Steuerflucht multinationaler Konzerne mit dem Namen BEPS («Base Erosion and Profit Shifting»). Der Haken daran: Die OECD-Länder wollen keine öffentliche Länderberichterstattung, sondern BEPS auf einen automatischen Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden beschränken. Entwicklungsländer werden von diesem System nicht profitieren können. Und dies obwohl dem globalen Süden durch Gewinnverschiebung von Konzernen gemäss Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) von 2014 jährlich mehr als 200 Milliarden Dollar Steuereinnahmen verloren gehen.

Bundesrat nimmt Verantwortung nicht wahr

Die Schweiz ist als Steueroase für multinationale Konzerne ähnlich beliebt wie Irland, dessen Sondersteuerregime Apple ausnützte. Beim Bundesrat scheint die spezielle Verantwortung, welche die Schweiz deshalb beim Aufbau eines nachhaltigen globalen Steuersystems trägt, allerdings noch nicht angekommen zu sein: Der im Frühling vorgelegte Entwurf zum  «Bundesgesetz über den internationalen automatischen Austausch länderbezogener Berichte multinationaler Konzerne» (ALBA-Gesetz), das die OECD-Vorgaben in der Schweiz umsetzten soll, bleibt noch hinter dem von der OECD vorgeschlagenen Standard zurück. So setzt der Bundesrat den Schwellenwert für die Pflicht zur Einreichung länderspezifischer Berichte mit 900 Millionen Franken Umsatz zwar ungefähr auf OECD-Niveau an, er befreit damit aber die «kleinen Konzerne» von der Pflicht, länderbezogene Berichte bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung einzureichen. Dabei sind gerade die Steuern von kleinen Multis für Entwicklungsländer sehr wichtig: Weil arme Staaten über einen Bruchteil des Schweizer Steuersubstrats verfügen, müsste der Schwellenwert hier etwa 15mal tiefer liegen, damit der Schaden für den Fiskus in Entwicklungsländern wirklich wirksam begrenzt werden könnte. Auch will der Bundesrat von den in der Schweiz aktiven multinationalen Konzernen keine Stamm- bzw. länderspezifische Dokumentation (sogenannte Master- und Localfiles) verlangen. Damit wird er zwar den absoluten Minimalvorgaben der OECD gerecht; die Aussagekraft der Transferpreisdokumentationen von multinationalen Konzernen mit Schweizer Hauptsitz wird damit aber empfindlich geschmälert. Auch wenn also die Schweiz Daten mit Steuerbehörden einzelner Entwicklungsländer austauschen würde, fehlte diesen immer noch der nötige Überblick über die spezifischen Verrechnungspreisrisiken eines Schweizer Konzerns, der in ihrem Land eine Tochterfirma betreibt.

Reziprozität geht auf Kosten der Entwicklungsländer

Der Bundesrat will für jeden Staat, der die internationale ALBA-Vereinbarung der OECD unterschrieben hat, einzeln entscheiden, ob die Schweiz den automatischen Austausch länderbezogener Berichte mit diesem aufnehmen will. Orientiert sich der Bundesrat dabei am Automatischen Informationsaustausch (AIA) für Bankenkundendaten, der 2018 eingeführt wird, so werden beim ALBA die allermeisten Entwicklungsländer leer ausgehen; sehr wahrscheinlich auch  Senegal oder Nigeria, welche die internationale ALBA-Vereinbarung bereits unterschrieben haben. Umso wichtiger ist es darum, dass sich das Parlament – das Geschäft wird voraussichtlich in der Wintersession beraten – für eine multilaterale Umsetzung der ALBA-Vereinbarung durch die Schweiz einsetzt. So würden automatisch alle aktuell dreissig Teilnehmerstaaten der ALBA-Vereinbarung in den Genuss der Konzerndaten aus der Schweiz kommen. Selbst das bliebe allerdings Flickwerk. Nachhaltig gestärkt würden zivilgesellschaftliche Kräfte, die sich weltweit für Steuergerechtigkeit einsetzen, erst dann, wenn die Schweiz von Konzernen mit Sitz in der Schweiz verlangte, ihre länderbezogenen Berichte gänzlich offen zu legen. Alleine wäre die Schweiz mit diesem Schritt keineswegs: Die konservative britische Regierung hat kürzlich angekündigt, ein öffentliches CbCR einzuführen. Für Finanzdienstleister ist es in der gesamten EU schon heute Tatsache.

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Eine gerechtere Finanzwelt nach Stiglitz/Pieth

21.11.2016, Finanzen und Steuern

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und der Basler Strafrechtler Mark Pieth ziehen ihre Schlüsse aus den Panama Papers. Und bestätigen die Analyse von Alliance Sud bis ins Detail.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Eine gerechtere Finanzwelt nach Stiglitz/Pieth

«Solange es in einer globalisierten Welt noch irgendwo einen geheimen Geldbeutel gibt, werden die Gelder durch diesen Geldbeutel fliessen.» Das schreiben der US-amerikanische Ökonom Joseph Stiglitz und der Schweizer Strafrechtler Mark Pieth in ihrem Bericht zur Offshore-Industrie mit dem Titel Overcoming the Shadow Economy (dt. „Die Schattenwirtschaft überwinden“), der Mitte November publiziert wurde. In ihrer Reaktion auf die Skandale der Panama Papers schlagen Stiglitz und Pieth ein umfassendes globales Informationssystem für eine transparente Finanzwirtschaft vor, das ausnahmslos alle Steueroasen weltweit austrocknen soll – und zwar für vermögende Einzelpersonen genauso wie für steuervermeidende Unternehmen.

Ihr Bericht ist ein konsequenter Sampler mit allen Hits der globalen Steuergerechtigkeits-Bewegung der letzten fünfzehn Jahre, der Steuerflucht, Geldwäscherei und Korruption weltweit unterbinden will. Soll die in den meisten Ländern der Welt grassierende und zwischen den Weltregionen anhaltende soziale Ungleichheit bekämpft werden, ist gemäss den renommierten Finanzexperten ein weltweit umfassender Informationsaustausch für Bankkundendaten unverzichtbar. Aber auch ein öffentliches Register der Besitzer von Briefkastenfirmen (engl. „Beneficial Ownership Registers“) oder ein öffentlich zugängliches Country-by-Country-Reporting für Konzerne, in denen Tarnfirmen ihre spezifischen Geschäftsaktivitäten in jenen Ländern ausweisen müssen, in denen sie aktiv sind, gehören zur Kur, die Stiglitz/Pieth dem globalen Finanzsystem verschreiben. Umfassende Transparenz soll der verheerenden weltweiten Steuervermeidung ein Ende bereiten.

Alleine die Steuervermeidung von Konzernen kostet die Entwicklungsländer gemäss dem Internationalen Währungsfonds (IWF) jährlich über 200 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen. Darunter leiden vor allem die armen Bevölkerungsschichten: Sie sind auf öffentliche Dienstleistungen in der Bildung und der Gesundheit angewiesen, die der Staat auf Grund ausbleibender Steuereinnahmen oft nicht finanzieren kann. Zudem zwingen die Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne ihre Tochterfirmen in Entwicklungsländern zu Lohndumping, was auch auf Kosten der dortigen Lohnabhängigen geht. Die globale Schattenwirtschaft ist längst in transnationalen Netzwerken von Kunden, Finanzintermediären und Offshorefirmen wie Mossack Fonseca (berüchtigt aus den Panama Papers) organisiert. Sie schert sich längst nicht mehr um Landes- und Kontinentalgrenzen. Eine wirklich weltweit verbindliche Steuertransparenz ohne Ausnahmen ist deshalb umso wichtiger. Diese hätte nur im Rahmen einer UNO-Behörde für Steuerpolitik Chancen, global realisiert zu werden und so zu faireren Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Weltregionen beizutragen.

Alliance Sud begrüsst die Vorschläge der Professoren Stiglitz und Pieth und weist auf die spezielle Verantwortung der Schweiz im Hinblick auf deren Umsetzung hin: Gemäss Schätzungen des Washingtoner Think-Tanks Global Financial Integrity landen von den 1000 Milliarden US-Dollar, die jedes Jahr in die dunklen Taschen der Offshore-Industrie fliessen, trotz «Weissgeldstrategie» immer noch 30% in der Schweiz. Der hiesige Finanzplatz ist mit über 3000 Milliarden verwalteten ausländischen Vermögen zudem immer noch der grösste Offshore-Hafen der Welt und eines der bevorzugtestenn Tiefsteuergebiete für globale Konzerne weltweit. Will man also Licht ins Dunkel der Schattenwirtschaft bringen, muss man hierzulande anfangen.

Artikel

USR III: Das neue Steuerschlupfloch

05.12.2016, Finanzen und Steuern

Ursprünglich sollte die Unternehmenssteuerreform III die Konzernsteueroase Schweiz austrocknen. Die zinsbereinigte Gewinnsteuer stellt diese Absicht nun gänzlich auf den Kopf. Sie dürfte auch den Entwicklungsländern schaden.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

USR III: Das neue Steuerschlupfloch

Wie gross das Loch sein wird, dass die Unternehmenssteuerreform III verursacht, ist kaum zu berechnen. Die USR II ging von Einbussen für die Bundeskasse von 80 Millionen Franken aus. Schliesslich betrugen die Steuerausfälle ein Vielfaches mehr. Bild: Illustration zweier sich annähernder schwarzer Löcher, die in einem aufgehen werden. Ein Ereignis, das Gravitationswellen auslösen wird.
© Russell Kightley/SCIENCE PHOTO LIBRARY/Keystone

Im Juni 2016 haben die eidgenössischen Räte die Vorlage zur Unternehmenssteuerreform III (USR III) verabschiedet. Eigentlich sollte die Vorlage die Schweizer Steuerpolitik den neuen internationalen Standards von OECD, EU und G20 anpassen und die Steueroase Schweiz für Konzerne austrocknen. Sie zielt nun aber weit an dieser ursprünglichen Intention vorbei. Eine starke bürgerliche Mehrheit des Parlaments hat die Reformvorlage genutzt, um alte Sondersteuerregime durch neue zu ersetzen und den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen weiter anzuheizen. Mit dramatischen Konsequenzen: Befürchtet werden Steuerausfälle von mindestens 1,5 Milliarden Franken pro Jahr beim Bund, für gewisse Firmen könnte ein effektiver kantonaler Gewinnsteuersatz von nur noch 3% gelten. Gegen dieses Paket hat ein breites Bündnis aus links-grünen Parteien und Gewerkschaften mit über 57‘000 gültigen Unterschriften am 6. Oktober das Referendum eingereicht. Am 12. Februar 2017 wird über die Vorlage abgestimmt.

Steuervermeidung durch Konzerne kostet den Süden 200 Milliarden pro Jahr

Aus entwicklungspolitischer Sicht sind vor allem die verschiedenen neuen Sondersteuerregime problematisch, die Bundesrat und Parlament mit der USR III einführen wollen, um die alten, nicht mehr OECD-konformen Privilegien für Holding-, Domizil- und gemischten Gesellschaften zu ersetzen. Ob sie neue Möglichkeiten für Gewinnverschiebungen innerhalb von Konzernen eröffnen werden, die ihren Hauptsitz in der Schweiz und Tochterfirmen in Entwicklungsländern haben, wird bei einem Ja zur USR III erst mit den noch auszuarbeitenden Verordnungen entschieden werden. Demokratiepolitisch ist das insofern problematisch, als dass die eigentlichen Steuererleichterungsdimensionen, welche die USR III multinationalen Konzernen eröffnet, erst durch diese Verordnungen klar werden. Deren Erlass liegt in der Kompetenz des Bundesrats. Steuerschlupflöcher stecken oft in den Details der Verordnungen und dazu haben substantiell weder die Stimmberechtigten noch das Parlament etwas zu sagen.

Klar ist aber jetzt schon: Die Patentbox, die zinsbereinigte Gewinnsteuer, Steuerabzüge für Forschungs- und Entwicklungsausgaben sowie bei der Kapitalsteuer können grundsätzlich als Instrumente zur Gewinnverschiebung benutzt werden. Diese richten im globalen Süden verheerenden Schaden an: Gemäss Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) verlieren die Entwicklungsländer jährlich über 200 Milliarden Dollar durch die Steuervermeidung von Konzernen.
Umgekehrt steht für den Tiefsteuerstandort Schweiz einiges auf dem Spiel, wenn es nicht gelingen sollte, die alten Sondersteuerregime durch neue zu ersetzen. Nach Angaben des Bundesrats gibt es zurzeit 24‘000 Unternehmen in der Schweiz, die privilegiert besteuert werden. Sie bringen dem Bund jährlich etwa vier Milliarden Steuern ein und sollen rund 135‘000 bis 175‘000 Menschen beschäftigen. Auch wenn dies nur gerade 3,2% aller Beschäftigten in der Schweiz entspricht, betrifft es einzelne Regionen mehr als andere. Der Arc lémanique, der Kanton Zug oder die Region Basel beherbergen sehr viele privilegiert besteuerte Unternehmen. Im Kanton Basel-Stadt etwa kommen fünfzig Prozent aller Gewinnsteuereinnahmen aus privilegierten Quellen. Sogar die Basler SP-Finanzdirektorin Eva Herzog, die zu Beginn des politischen Prozesses aus nachvollziehbaren Gründen eine der wenigen prominenten BefürworterInnen der Reform in ihrer Partei war, liess mittlerweile durchblicken, dass sie den Gesetzesentwurf aus der Feder des Bundesrats jenem des Parlaments vorgezogen hätte.  

Eine Idee für die schwarze Liste der OECD?

Wer sich jene Version der zinsbereinigten Gewinnsteuer genauer anschaut, die der Ständerat ganz am Schluss des Differenzbereinigungsverfahrens noch in die Vorlage hineingeschrieben hat, kommt nicht um die Frage herum: Wofür soll diese zurzeit gut sein, wenn nicht, um Gewinnverschiebungen zu ermöglichen (siehe Kasten)? Das Instrument ermöglicht es den Unternehmen, auf sogenannt überschüssigem Eigenkapital erzielten Kapitalertrag (Zins) vom steuerbaren Gewinn abziehen zu können. Durch die Negativzinspolitik der Nationalbank liegt der Leitzins aber zurzeit im Minus. Deshalb können die Unternehmen bis auf weiteres nicht von diesem Konstrukt profitieren. Es ist ausserdem fraglich, wie lange die OECD die zinsbereinigte Gewinnsteuer noch dulden wird, da man in Belgien bereits klar negative Erfahrungen damit gemacht hat. Auch die EU-Kommission setzt diese in ihren neusten Vorschlägen gegen die Steuervermeidung auf die Abschussliste. Es kann also gut sein, dass das Instrument auf eine schwarze Liste kommt, bevor die Nationalbank die Negativzinsen aufgibt.

Steuergesetzgebung ist eine hochkomplexe Materie. Beherrscht wird sie vor allem von spezialisierten Steuerkanzleien und internationalen Beratungsunternehmen, die im Interesse ihrer Kundschaft Steuerschlupflöcher suchen und finden. Noch effizienter ist es, diese via Lobbying schon in den Gesetzgebungsprozess einzubringen. Mit dem Argument, die Standortattraktivität der Schweiz stehe auf dem Spiel, setzt die Offshore-Industrie hierzulande immer wieder ihre Interessen durch. Am 12. Februar werden wir sehen, ob dieses Argument auch an der Urne eine Mehrheit der Stimmberechtigten findet.

Publikation

Blackbox Unternehmenssteuerreform

08.12.2016, Finanzen und Steuern

Die Unternehmenssteuerreform III, über die die Stimmberechtigten am 12. Februar befinden, könnte neue Steuerschlupflöcher schaffen. Bezahlen müssten dafür unter anderem auch die Entwicklungsländer.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Blackbox Unternehmenssteuerreform

© Tim Reckmann/pixelio.de

Im Juni 2016 haben die eidgenössischen Räte die Vorlage zur Unternehmenssteuerreform III (USR III) verabschiedet. Eigentlich sollte die Vorlage die Schweizer Steuerpolitik den neuen internationalen Standards von OECD, EU und G20 anpassen und die Steueroase Schweiz für Konzerne austrocknen. Sie zielt nun aber weit an dieser ursprünglichen Intention vorbei. Eine starke bürgerliche Mehrheit des Parlaments hat die Reformvorlage genutzt, um alte Sondersteuerregime durch neue zu ersetzen und den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen weiter anzuheizen. Mit dramatischen Konsequenzen: Damit die neuen Privilegien OECD-konform sind, müssen sie auch für einheimische Unternehmen gelten. Befürchtet werden deshalb Steuerausfälle von mindestens 1,5 Milliarden Franken pro Jahr beim Bund und weiteren Milliarden bei den Kantonen. Für gewisse Firmen könnte ein effektiver kantonaler Gewinnsteuersatz von nur noch 3% und darunter gelten. Bestehende Steuerprivilegien für multinationale Konzerne werden mit der USR III zudem nicht abgeschafft, sondern durch neue ersetzt. Die Konzerne haben damit weiterhin einen starken Anreiz, Gewinne aus Entwicklungsländern unversteuert in die Schweiz zu verlagern – mit verheerenden Konsequenzen für die Gemeinwesen im globalen Süden. Die massiven Steuerausfälle, die die USRIII verursacht, sind im Stabilisierungsprogramm 2017-2019 des Bundes bereits berücksichtigt und können in kommenden Sparpaketen zu weiteren Budgetkürzungen in der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit führen.
Gegen dieses Paket hat ein breites Bündnis aus links-grünen Parteien und Gewerkschaften mit über 57‘000 gültigen Unterschriften am 6. Oktober das Referendum eingereicht. Am 12. Februar 2017 wird über die Vorlage abgestimmt. Bei einer Ablehnung der jetzigen Vorlage durch die Stimmberechtigten müsste der Bundesrat zügig einen neuen, mehrheitsfähigeren Reformentwurf präsentieren, da die OECD von der Schweiz die definitive Abschaffung der bestehenden Steuerprivilegien für Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften bis spätestens 2020 verlangt.

Arbeitspapier Alliance Sud zur Unternehmenssteuerreform III