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Weshalb ist die Welt so ungerecht?

02.02.2018, Finanzen und Steuern

Inzwischen besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr als die anderen 99 Prozent zusammen. Erklärungen von Dominik Gross im WORK-Interview.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Weshalb ist die Welt so ungerecht?

Lusxusvillen und Wellblechhütten. Nur durch eine Strasse getrennt, leben Reich und Arm in Johannesburg, Südafrika.
© Unequalscenes.com

work: Dominik Gross, die Ungleichheit wird weltweit immer extremer. Das zeigt der neue Bericht der globalen Entwicklungsorganisation Oxfam. Wie reagieren Sie auf diese News?
Dominik Gross: Mich empört die absolute Gleichgültigkeit der grossen Mehrheit in der Schweizer Politik auf diesen Skandal. Das ist manchmal schwer auszuhalten.

Gigantische Vermögen konzentrieren sich in immer weniger Händen. Was treibt diese Entwicklung an?
Vor allem die Deregulierung der Finanzmärkte. Seit den 1970er Jahren kann das Kapital frei zirkulieren und sich vermehren, ohne dass noch eine produzierende Fabrik im Spiel ist. Heute macht die Mehrheit der Konzerne an der US-Börse die Gewinne nicht mit der Produktion, sondern mit Finanzanlagen. Weiter können gewaltige Daten­mengen in Sekundenschnelle verarbeitet werden. Die Kapitalvermehrungsmaschine lief in den letzten vierzig Jahren immer schneller.

Woran sieht man das?
Die grossen Konzerne bilden mittlerweile quasi Parallelstaaten. Sie bestimmen die Preise für ihre Güter selbst. 60 bis 80 Prozent des Welthandels erfolgen gar nicht mehr zwischen eigenständigen Unternehmen, sondern innerhalb von Konzernen mit ihrem globalen Firmennetz. Von einem echten Markt kann keine Rede sein.

Und diese Multis zahlen ­immer weniger Steuern?
Ja, die Steuersysteme wurden schleichend umgebaut. In den 1950er Jahren mussten Firmen in den USA noch über 50 Prozent Steuern auf ihre Gewinne zahlen, heute liegt dieser Satz in Hongkong bei 10 Prozent und in einigen Schweizer Kantonen nur knapp darüber. Das führt dazu, dass immer mehr Kapital in den Händen von wenigen verbleibt. Also bei den Aktionären der Konzerne. Seit der Finanzkrise kostet zudem Geld fast nichts. Noch mehr kann noch schneller angelegt werden. Dank der Tiefzinspolitik kann man auch mit Geld hantieren, das einem gar nicht gehört, ohne dass dies etwas kostet. Sinnvoll wäre ja, dass Mittel in die Produktion investiert würden, zum Beispiel in den ökologischen Umbau. Das geschieht aber viel zu wenig. Stattdessen fliesst das Geld auf den Finanzmarkt und in die Spekulation.

Wem genau schadet diese Entwicklung?
Nehmen Sie als aktuelles Beispiel Tunesien. Seit 2011 hat sich dort eine junge Demokratie entwickelt. Jetzt gibt es auf dem Land Unruhen, weil die arme Bevölkerung die Lebenskosten nicht mehr aufbringen kann, auch wegen der neoliberalen Reformen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die tunesische Bevölkerung kann nur das Nötigste kaufen, trägt aber via Mehrwertsteuer am meisten zum Staatshaushalt bei. Dagegen zahlen Firmen und reiche Private wenig Steuern. Das alles verschärft die Ungleichheit. Auch kann der Staat nicht mehr via Steuern Geld von Reich zu Arm umverteilen. Gemäss IWF werden den Entwicklungsländern durch Steuerflucht jährlich 200 Mil­liarden Dollar entzogen.

Zur Bekämpfung von Ungleichheit und Armut fordert Oxfam eine Steuer auf Finanztransaktionen. Dies würde viel Geld einbringen. Sie ist auch schon seit Jahren im Gespräch. Warum kommt sie nicht?
Zehn EU-Staaten, darunter Deutschland und Frankreich, haben sich dafür ausgesprochen. In diesen Ländern ist die Einführung eigentlich beschlossen. Aber die konkrete Umsetzung steckt im Moment in Verhandlungen fest. Eine solche Steuer wäre sehr wertvoll. Sie würde auch die Spekulation, unter anderem mit Nahrungsmitteln, eindämmen und im globalen Süden das Risiko von Hungerkrisen mindern.

Kommen wir zur Steueroase Schweiz. Jahrzehntelang verfolgten die Banken das Geschäftsmodell Steuerflucht, Steuervermeidung, Geldwäscherei und Diktatorengelder. Das ist vorbei. Nun sagte Privatbankenchef Yves Mirabeaud kürzlich in der NZZ, der Finanzplatz Schweiz sei «mehr denn je ein zuverlässiger und solider Partner».
Die Frage ist: Für wen ist die Schweiz Partnerin? Sie befolgt jetzt die Regeln der OECD, aber nur auf dem absoluten Minimum. Der automatische Austausch von Informationen (AIA) läuft mit den EU-Ländern, ab nächstem Jahr auch mit Schwellenländern wie China und Russland. Aber viele Länder etwa in Afrika sind noch nicht dabei.

Eine Schweizer Privatbank ist zumindest vom Gesetz her immer noch eine zuverlässige Partnerin für einen Milliardär aus Kamerun, der sein Geld in der Schweiz parkieren will. Dieser muss kaum Angst haben, dass die kamerunischen Steuerbehörden das merken. Denn es mangelt an den technischen Standards, die es Kamerun erlauben würden, beim AIA mitzumachen. Das andere Problem ist, dass die Leute, die in solchen Regierungen sitzen, oft selbst ein Interesse daran haben, dass ihre Vermögen unter Verschluss bleiben. Ihr Wille zur Transparenz ist sehr beschränkt.

Dann löst der Informationsaustausch das Problem der Steuerflucht gar nicht?
Er hat extreme Lücken. Das zeigen die Panama Papers. Nach wie vor können Schweizer Anwaltskanzleien undurchschaubare Konstrukte mit Briefkastenfirmen an global verschiedenen Standorten errichten.

Und die Eigentümer bleiben unbekannt?
Ja. Wichtig wäre ein öffentliches Register der wirtschaftlich Berechtigten. Das gibt es nicht. Das Problem ist aber auch, dass Anwälte, Treuhänder und Immobilienhändler nicht die gleichen Sorgfaltspflichten wie Banken haben. Sie müssen nicht prüfen, ob die Kundschaft, für die sie Konstrukte bauen und Häuser kaufen, das Geld legal erworben habe.

Es ist also wie beim Doping: Die Täter sind den Verfolgern stets eine Nasenlänge voraus.
Der Vergleich ist sicher berechtigt. Das hat auch die Unternehmenssteuerreform III gezeigt. Die Steuervermeidungsindus­trie hat direkte Drähte in die Politik. Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben erzählt, dass sie über Nacht neue Unterlagen erhielten und schon am nächsten Morgen in der Kommission darüber entscheiden mussten.

Die EU hat die Schweiz von der schwarzen Liste genommen und auf die graue gesetzt. Dort sind Länder versammelt, die zwar kooperieren, aber immer noch unfaire Steuerpraktiken verfolgen. Was heisst das?
Es geht um die berühmten Briefkastenfirmen und die Steuervorteile für ausländische Konzerne. Weil die Unternehmenssteuerreform III vor einem Jahr abgelehnt wurde, gelten diese Privilegien weiter. Nun macht die EU mit der grauen Liste deswegen Druck. Wobei sich die EU weniger an den Privilegien stört als daran, dass diese Tricks nicht für alle Firmen gelten.

SVP-Finanzminister Ueli Maurer muss nach seiner Niederlage eine neue Vorlage bringen. Sie ist auf März angekündigt. Wie sieht es aus?
Die «Steuervorlage 17», wie sie heisst, enthält weiterhin problematische Instrumente wie etwa die Patentbox. Diese bietet neue Steuerschlupflöcher. Die Vorlage ist weitgehend alter Wein in neuen Schläuchen. Zu befürchten ist, dass das Parlament auch wieder mit der zinsbereinigten Gewinnsteuer kommt. Wir müssen abwarten, was passiert. Aber ein wenig enttäuscht bin ich schon.

Weshalb?
Die Siegerinnen und Sieger der Abstimmung – also SP, Grüne und Gewerkschaften – hätten offensiver auftreten können. Denn die Situation ist günstig. Die EU macht Druck, und die Stimmberechtigten wollen keine übertriebenen Steuervorteile für Konzerne mehr. Wir von Alliance Sud verlangen die ersatzlose Abschaffung aller Sondersteuerregime.

Das würde aber Arbeits­plätze kosten.
Briefkastenfirmen haben nur sehr wenig Personal. Wenn diese wegziehen, kostet das nur wenige Jobs.

Worauf warten wir dann noch? Warum schafft die ­Politik diese Steuerge­schenke für Multis nicht ab?
Die Wirtschaftslobbyisten haben kein Interesse, dass diese Schlupflöcher verschwinden. Zum Beispiel Beratungsunternehmen wie KPMG oder PWC. Sie beschäftigen Dutzende von Fachleuten, die auf Steuervermeidung und Steuerschlupflöcher spezialisiert sind.
Und die grossen Medienhäuser anerkennen zwar durchaus die Probleme mit der ­Steuerflucht und den Gewinnverschiebungen der Unternehmen. Aber sie sagen, die kleine Schweiz könne wenig machen und müsse sich doch gegen die Grossen behaupten. Dabei ist der Schweizer Finanzplatz global gesehen ein Riese. Wir sind immer noch der grösste Platz der Welt für parkierte Gelder, 50 Prozent des weltweiten Rohstoffhandels laufen über die Schweiz.

Das Interview führte Ralph Hug, erschienen ist es am 2. Februar 2018 in Work.

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Stiglitz und Piketty fordern neues Steuerregime

17.02.2018, Finanzen und Steuern

Prominente Ökonomen wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Thomas Piketty fordern die Einführung der «Unitary Taxation» bei der Besteuerung von globalen Konzernen.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Stiglitz und Piketty fordern neues Steuerregime

Die unabhängige Kommission für die Reform der internationalen Konzernbesteuerung (ICRICT), der unter anderen die prominenten Ökonomen Joseph Stiglitz, Gabriel Zucmann und Thomas Piketty - der Autor des Standardwerks «Das Kapital im 21. Jahrhundert» – angehören, fordert einen Paradigmenwechsel im globalen Unternehmensbesteuerungssystem. Die Kommission wird von zahlreichen NGOs, darunter auch Alliance Sud, getragen.  

Die heutige Unternehmensbesteuerung weist heute extreme Lücken auf, die von den multinationalen Konzernen für unhaltbare Steueroptimierungen ausgenützt werden. Die gegenwärtigen Systemgrundsätze des sogenannten «Separate Entity Principles» und des sogenannten Fremdvergleichsgrundsatzes («Arms length principle») sorgen dafür, dass die Konzerne jedes Jahr geschätzte Billionen Dollar an Gewinneinnahmen weltweit am Fiskus vorbeiorganisieren können. Weil die über den Globus verteilten Tochterfirmen der Konzerne als separate Steuereinheiten zählen, versteuern die Konzerne die Gewinne ihrer Tochterfirmen nicht dort, wo sie effektiv anfallen, sondern dort, wo sie dafür am wenigsten Steuern bezahlen. Sie tun das auf Grundlage des Fremdvergleichsgrundsatzes, der es zulässt, dass die Konzerne die Preise für konzerninternen Güterhandel und Dienstleistungen – also für Transaktionen zwischen Tochterfirmen ein und desselben Konzerns – oft willkürlich bestimmen können und nicht auf der Grundlage des effektiven Marktpreises von entsprechenden Gütern und Dienstleistungen. So setzen sie diese Preise viel zu hoch an und verschieben so Gewinne von einem Land ins andere.

Um diese Praxis zu unterbinden, die nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) alleine die Entwicklungsländer jedes Jahr 200 Milliarden Dollar kostet, schlägt ICRICT nun die Einführung einer Gesamtkonzernbesteuerung («Unitary Taxation») auf globaler Ebene vor. Nach diesem Prinzip würden Konzerne steuerrechtlich als Einheit verstanden und die Konzern-Gewinne je nach effektiver wirtschaftlicher Aktivität in einem Land auf die Tochterfirmen des Konzern verteilt und auf der Grundlage einer Formel entsprechend national versteuert («formulary apportionment»). ICRICT schlägt auch Möglichkeiten einer unilateralen Umsetzung der Unitary Taxation vor. Alliance Sud wird sich in Zukunft für entsprechende Massnahmen in der Schweiz einsetzen.

Link zur ICRICT-Studie

Medienmitteilung

UN-Bericht kritisiert Schweizer Steuerpolitik

28.02.2018, Finanzen und Steuern

Der UNO-Menschenrechtsexperte Juan Pablo Bohoslavsky kritisiert in einem Bericht die Schweizer Steuerpolitik gegenüber multinationalen Konzernen. Dieser wurde heute an der 37. Sitzung des UNO-Menschenrechtsrats in Genf vorgestellt. In der vom Bundesrat vorgeschlagenen Form könne die Steuervorlage 17 den Menschenrechten schaden.  

Dominik Gross
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Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
UN-Bericht kritisiert Schweizer Steuerpolitik

Im Abschlussbericht zu seinem Besuch in der Schweiz vom letzten Herbst zeigt sich der unabhängige Experte Bohoslavsky besorgt, dass die Neuauflage der vor einem Jahr an der Urne abgelehnten Unternehmenssteuerreform III (neu «Steuervorlage 17») die Wahrnehmung menschenrechtlicher Verpflichtungen von Staaten gegenüber ihren Bevölkerungen gefährden könnte.

Die eidgenössische Vorlage kommt im Frühling in die Parlamentskommissionen und soll alte, international nicht mehr akzeptierte Sondersteuerregime für Unternehmen durch neue steuerliche Anreize für Gewinnverschiebungen in die Schweiz ersetzen. Der UNO-Menschenrechtsexperte zeigt sich in seinem Bericht zur internationalen Steuer- und Finanzpolitik der Schweiz besorgt, dass die Vorlage den schädlichen Steuerwettbewerb auf internationaler Ebene wie auch zwischen den Schweizer Kantonen weiter befeuern könnte. Sowohl in der Schweiz wie vor allem auch in den Ländern des globalen Südens könnte dies gemäss Bohoslavsky die Fähigkeit der Behörden unterlaufen, ihre grundsätzlichen öffentlichen Aufgaben in der Gesundheit, der sozialen Absicherung, der Bildung und der Bereitstellung von Infrastruktur wahrzunehmen. Bohoslavsky fordert deshalb in seinem Bericht die ersatzlose Streichung der alten Schweizer Sondersteuerregime für Unternehmen. Eine Forderung, die auch Alliance Sud, der entwicklungspolitische Think-Tank zahlreicher Schweizer Entwicklungsorganisationen, in der kommenden Parlamentsdebatte unterstützen wird.

«Die Besorgnis des UNO-Menschenrechtsexperten über die Schweizer Steuerpolitik für Konzerne kommt nicht von ungefähr», sagt Dominik Gross, Finanzexperte bei Alliance Sud. «Jährlich verlieren Entwicklungsländer gemäss Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) 200 Milliarden Dollar an potentiellen Steuereinnahmen, weil multinationale Unternehmen ihre Gewinne in Tiefsteuergebiete wie die Schweiz verschieben.» Der unabhängige UNO-Experte Bohoslavsky ruft deshalb den Bundesrat dazu auf, umgehend eine Analyse vorzunehmen, die die Risiken der Steuervorlage 17 (SV17) für Gesellschaft und Umwelt untersucht. Eine solche Analyse verlangt bei Geschäften wie der Steuervorlage 17 auch das Schweizer Parlamentsgesetz in den Artikeln 141a) und g).

Link zur 37. Sitzung des UNO-Menschenrechtsrates, 26. Februar bis 23. März, Palais des Nations, Genf.

Für weitere Auskünfte:
Dominik Gross, Finanzexperte Alliance Sud, Tel. +41 78 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch

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Standortnationalismus oder globale Solidarität?

21.03.2018, Finanzen und Steuern

Im April kommt die Neuauflage der Unternehmenssteuerreform III in die erstberatende Parlamentskommission. In der bevorstehenden Debatte steht das globale Gewissen von SP, Grünen und den Mitteparteien auf dem Prüfstand.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Standortnationalismus oder globale Solidarität?

Stimmungsbild am Rand der Glencore-Generalversammlung im Theater Casino Zug.
© Gaëtan Bally / Keystone

Wer sich eine global solidarische Schweiz wünscht, hatte nicht lange Grund zur Freude. Zwar verwarfen am 12. Februar 2017 deutliche 59,1 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten die Unternehmenssteuerreform III (USR3).

Doch auf die entschiedene Zurückweisung des bisherigen unternehmenssteuerpolitischen Paradigmas reagierte ein Grossteil der Schweizer Politik so als hätte es das Nein zur USR3 gar nie gegeben. Die euphemistisch Steuervorlage 17 (SV17) getaufte Neuauflage des Gesetzes, die der Bundesrat am 21. März präsentierte, entspricht in den entwicklungspolitisch entscheidenden Punkten jenem Entwurf, den er schon vor drei Jahren unter dem mittlerweile diskreditierten Titel Unternehmenssteuerreform III vorgestellt hatte. Nur die Teilbesteuerung für Dividenden und der Kantonsanteil an der direkten Bundessteuer wurden etwas erhöht. Die Erhöhung des Kantonsanteils kommt dabei einer zusätzlichen Bundessubvention des interkantonalen Steuerwettbewerbes gleich und reisst so unter dem Strich nicht nur ein zusätzliches Loch in die Bundeskasse, sondern auch in jene der allermeisten Kantone. Denn sie schafft für die Kantone einen Anreiz, deren reguläre Gewinnsteuersätze weiter zu senken und befördert so das interkantonale «Race to the bottom».

Das Nein vom Februar 2017 war auch ein Nein zu einer parasitären Schweizer Standortpolitik, die auch in Zukunft Unternehmensgewinne in die Schweiz locken sollte, die im Ausland erwirtschaftet werden. Entwicklungsländern gehen durch solche Gewinnverschiebungen jährlich 200 Milliarden Dollar an potentiellen Steuereinnahmen verloren, wie der internationale Währungsfonds (IWF) schätzt. Wieviel davon genau in die Schweiz fliessen, weiss niemand. Weder der Bundesrat noch eine Mehrheit im Parlament waren bisher gewillt, hier wenigstens so viel Transparenz zu schaffen, wie das unter den gesetzlichen Voraussetzungen, die in Sachen Konzernbesteuerung in der Schweiz herrschen, überhaupt möglich wäre. Die Anziehungskraft der Schweizer Tiefsteuergebiete für Konzerne und die Geschäftsfelder der in der Schweiz ansässigen Konzerne sprechen aber stark dafür, dass ein signifikanter Teil dieser 200 Milliarden in und durch die Schweiz fliessen.

Steuerdumping mit Kinderzulagen abgeschmeckt

Die verheerenden globalen Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform kümmern den Bundesrat aber weiterhin nicht. Vielmehr will er die ausländischen Steuerbehörden entzogenen Gewinne im Inland nun etwas stärker umverteilen: Nach dem Vorbild der kantonalen Vorlage in der Waadt hat er deshalb eine völlig sachfremde Erhöhung der Kinderzulagen in den neuen Entwurf geschrieben. Dieses «sozialpolitische Zückerchen» soll einen Teil der USR3-GegnerInnen auf die Seite der Befürworter ziehen. An den schon in der USR3 vorgesehenen neuen Sondersteuerregimen aber, der Patentbox, den Abzügen für «Forschung & Entwicklung» und an den Rabatten bei der Kapitalbesteuerung will der Bundesrat mit der SV17 nichts ändern. Er hat lediglich die Summe der möglichen Abzüge im Vergleich mit der USR3 etwas eingeschränkt. Entsprechend werden sich auch die zu befürchtenden Steuerausfälle beim Bund und den Kantonen in denselben Dimensionen bewegen wie bei der USR3 und erneut in die Milliarden gehen. Wahrscheinlich ist, dass im Parlament auch die äusserst umstrittene zinsbereinigte Gewinnsteuer wieder zum Thema wird.

Was Alliance Sud an der USR3 kritisierte, bleibt mit der SV17 somit auf dem Tisch: Der Erhalt eines parasitären Geschäftsmodells. Im Ausland erwirtschafteter Mehrwert soll in der Schweiz privatisiert werden, mit entsprechend verheerenden Folgen für die Entwicklung und Aufrechterhaltung des Service public in den Ländern des Südens.

Angesichts dieser dreisten Wiederauflage eines direktdemokratisch verworfenen Gesetzesprojekts verhielten sich die Abstimmungssieger vom Februar 2017 – allen voran die rotgrünen Parteien – erstaunlich defensiv. Statt auf einen mittelfristigen Paradigmenwechsel in der Steueroase Schweiz hinzuarbeiten, signalisierten sie schon kurz nach dem Abstimmungserfolg Kompromissbereitschaft auf der Basis der alten Vorlage. Auf diese Weise bekannten sie sich in ihrer grossen Mehrheit im Grundsatz zu einer Fortführung der schmarotzerhaften Strategie in der Schweizer Konzernsteuerpolitik. Sowohl die SP-Parteispitze wie auch rotgrüne Exekutivmitglieder in Kantonen und Gemeinden scheinen im Hinblick auf die bevorstehende Auseinandersetzung im Parlament Kurs auf einen Kompromiss mit Mitte-Rechts nehmen zu wollen, der ganz im Zeichen des Standortnationalismus steht. Man will sich globalen Konzernen weiterhin mit Steuerdumping andienen, damit Steuersubstrat im Ausland absaugen und gleichzeitig dafür sorgen, dass dieses unter der inländischen Bevölkerung ein klein wenig ausgeglichener verteilt wird. Dieses Vorgehen ist auch demokratiepolitisch problematisch. Es setzt sich über das deutliche Verdikt der Stimmberechtigten gegen die USR3 hinweg, in dem es die verworfene Vorlage mit ein wenig sozialpolitischer Kosmetik einfach neu auflegt. Und es ist wirtschaftspolitisch äusserst kurzsichtig: In der seit zwanzig Jahren weltweit anhaltenden Abwärtsspirale bei den Unternehmenssteuern müssen Tiefsteuervorreiterinnen wie die Schweiz mittlerweile derart tiefe Besteuerungen von Konzernen in Kauf nehmen, dass sich der Standortwettbewerb selbst für dessen bisherige Profiteure in absehbarer Zukunft nicht mehr rechnen wird. Die daraus folgenden sozial- und gesellschaftspolitischen Verwerfungen werden auch für eine rein national orientierte Umverteilungspolitik zunehmend unhaltbar.

Widerstand formiert sich

Von zwei Seiten erwächst dieser Politik in der bevorstehenden Debatte zur Steuervorlage 17 allerdings Widerstand: Von den Delegierten der SP und Grünen und vom rechten Gewerbeverband. Erstere haben an ihren Versammlungen im Januar und Februar jeweils mit sehr grossen Mehrheiten Resolutionen verabschiedet, die der entwicklungspolitischen Verantwortung des Konzernstandorts Schweiz Rechnung tragen. Sie fordern für die kleine offene Schweizer Volkswirtschaft ein zukunftsträchtigeres Geschäftsmodell als das einer Steueroase. Dem Gewerbeverband sind umgekehrt die höheren Kinderzulagen und die Erhöhung der Teilbesteuerung der Dividenden ein Gräuel. Sollten sich die SVP und Teile der FDP im Parlament der Position des Gewerbeverbandes anschliessen, wäre der Weg frei für einen Minimalkompromiss zwischen Teilen der FDP, den Mitteparteien und Rotgrün, der auf eine Zweiteilung der Vorlage hinauslaufen würde: In einem ersten Schritt in diesem Jahr würden dann nur die alten Privilegien für Briefkastenfirmen abgeschafft. Hier ist der internationale Druck mittlerweile gross: Diese Privilegien sind nicht mehr OECD-konform und die EU droht für den Fall, dass die Schweiz diese nicht bis Ende 2018 abgeschafft hat, mit Sanktionen. Alles Weitere würde später verhandelt. Aus der Perspektive einer ökologisch und sozial nachhaltigen Weltinnenpolitik wäre dieses Vorgehen sinnvoll, denn Möglichkeiten für schädliche Gewinnverschiebungen aus den Ländern des Südens in die Schweiz würden durch die ersatzlose Streichung der alten Privilegien massiv eingeschränkt. Allfällige Steuerausfälle durch die Abwanderung ehemals privilegierter Firmen könnten mittels neuen Einnahmen durch eine volle Besteuerung von Dividenden oder die Wiederabschaffung des Kapitaleinlageprinzips (KEP) kompensiert werden. Letzteres wurde erst mit der Unternehmenssteuerreform II 2008 eingeführt. Gemäss neuen Zahlen der Eidgenössischen Steuerverwaltung konnten Schweizer Konzerne mit Hilfe der KEP seit 2011 Reserven in der Höhe von zwei Billionen Franken einlagern. In den nächsten Jahrzehnten können sie diese sukzessive in Form von Gewinnen an ihre Aktionäre ausschütten – komplett unversteuert.

Dieser Artikel erscheint in der Frühlingsausgabe 2018 von GLOBAL+, die am ab 26. März bei den AbonnentInnen sein wird.
Siehe auch das Fact Sheet: Die Patentbox ermöglicht neue Gewinnverschiebungen aus dem Ausland in die Schweiz

Medienmitteilung

Steuervorlage 17: Paradigmenwechsel jetzt!

21.03.2018, Finanzen und Steuern

Der Bundesrat begibt sich mit der heute publizierten Vorlage zur Unternehmenssteuerre­form entwicklungspolitisch vom Regen in die Traufe und bestätigt das parasitäre Geschäfts­modell des Schweizer Konzernstandortes.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
Steuervorlage 17: Paradigmenwechsel jetzt!

© Daniel Hitzig/Alliance Sud

Der Bundesrat hat heute die Botschaft zur Steuervorlage 17 (SV17) publiziert – dem direkten Nachfolgeprojekt zur an der Urne im Februar 2017 abgelehnten Unternehmenssteuerreform III (USR3). Alliance Sud, die entwicklungspolitische Organisation von Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks, begrüsst die vorgesehene Abschaffung der alten Steuerprivile­gien für Holdings, Domizil- und gemischte Gesellschaften. Gleichzeitig schaden die vorgesehenen neuen Steueroptimierungsvehikel für global tätige Konzerne wie die Patentbox auch den Ländern des Südens massiv. Der Bundesrat foutiert sich damit einmal mehr um die globale Verantwortung des Konzernstandortes Schweiz.

Entwicklungsländer verlieren durch Steueroptimierungen in Form von Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne gemäss Schätzungen von Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF) jährlich 200 Milliarden Dollar. Das ist mehr als das jährliche Volumen der gesamten Entwick­lungsgelder, die vom globalen Norden in den globalen Süden fliessen. Mit seiner parasitären Unte­rnehmenssteuerpolitik trägt das Tiefsteuerland Schweiz dazu bei, dass in Entwicklungsländern dringend notwendige Investitionen in Bildung, Gesundheit, Soziales und Infrastruktur ausbleiben. Für diese Steuerpolitik wurde die Schweiz jüngst auch vom unabhängigen Experten für Menschen­rechte und Finanzfragen der UNO, Juan Pablo Bohoslavsky, in einem Länderbericht scharf gerügt.

Die SV17 wird den budgetpolitischen Druck auf die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit zu­sätzlich erhöhen. Da der Bundesrat wie schon bei der USR3 auf eine einnahmenseitige Kompen­sation der zu erwartenden Steuerausfälle verzichtet, muss mit neuen massiven Sparmassnahmen bei Bund und Kantonen gerechnet werden. Die dynamische Analyse des Bundesrates zu den budgetpolitischen Auswirkungen der SV17 stellt dabei eine fahrlässige Wette dar.

Mit seiner in wesentlichen Punkten unveränderten Wiederauflage der USR3 übergeht der Bundes­rat dreist das klare Verdikt der Stimmberechtigten gegen diese Dumping-Politik vor einem Jahr. Dies ist demokratiepolitisch höchst problematisch.

Alliance Sud wird sich in der bevorstehenden parlamentarischen Beratung zur SV17 deshalb für einen massiven Umbau der Vorlage einsetzen: Die alten Sondersteuerregime müssen möglichst rasch ersatzlos gestrichen werden. Allfällige dadurch entstehende Steuerausfälle bei Bund, Kanto­nen und Gemeinden müssen durch die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer, einer Finanztransak­tionssteuer oder die Abschaffung falscher Standortförderungsmassnahmen aus der Unterneh­menssteuerreform II ausgeglichen werden.

Für weitere Auskünfte: Dominik Gross, Finanzexperte Alliance Sud, Tel. +41 78 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch

Siehe auch den GLOBAL+-Artikel Standortnationalismus oder globale Solidarität?, die Analyse der Botschaft des Bundesrats zur Steuervorlage 17

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Steuertransparenz: Zögerliche Schweiz

26.04.2018, Finanzen und Steuern

In ihrer gemeinsamen Stellungnahme begrüssen Alliance Sud und Public Eye, dass der Bundesrat die Empfehlungen des «Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes» in Teilen umsetzen will.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Steuertransparenz: Zögerliche Schweiz

© OECD

Von transparenten Verhältnissen bei den Besitzverhältnissen von Offshorefirmen kann aber nach wie vor keine Rede sein. Es braucht dringend eine unabhängige Aufsicht von Schweizer Finanzintermediären und öffentliche Register für wirtschaftlich Berechtigte, wie sie in der EU demnächst eingeführt werden.

Die Vernehmlassung von Alliance Sud und Public Eye im Wortlaut.

Medienmitteilung

Steuervorlage 17: Absage an globale Verantwortung

25.05.2018, Finanzen und Steuern

Alliance Sud kritisiert den Vorschlag der vorberatenden Ständerats­kommission für die Steuervorlage 17 scharf. Mit ihrem Entscheid foutiere sich die Wirtschaftskommission um die globale Verantwortung des Finanz- und Konzernstandortes Schweiz.

Dominik Gross
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Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
Steuervorlage 17: Absage an globale Verantwortung

© OECD

Mit grossem Befremden hat Alliance Sud, der entwicklungspolitische Think Tank von Swissaid, Fas­tenopfer, Brot für Alle, Helveteas, Caritas und Heks, den Vorschlag der vorberatenden Ständerats­kommission für die Steuervorlage 17 zur Kenntnis genommen. Zwar begrüsst Alliance Sud die vor­gesehene Abschaffung der alten Steuerprivilegien für Holdings-, Domizil- und gemischte Gesellschaf­ten. Dominik Gross, Verantwortlicher für internationale Steuer- und Finanzpolitik bei Alliance Sud, macht aber klar: «Mit den heutigen Vorschlägen für die Steuervorlage 17 foutiert sich die Wirtschafts­kommission des Ständerates um die globale Verantwortung des Finanz- und Konzernstandortes Schweiz.»

Entwicklungsländer verlieren durch Steueroptimierungen in Form von Gewinnverschiebungen multi­nationaler Konzerne gemäss Schätzungen von Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF) jährlich 200 Milliarden Dollar. Das ist mehr als das jährliche Volumen der gesamten Entwicklungsgel­der, die vom globalen Norden in den Süden fliessen. Die vorgeschlagene Einführung neuer Sonder­steuerregime wie die für Missbräuche anfällige Patentbox, die zinsbereinigte Gewinnsteuer und weitere Abzugsmöglichkeiten für Forschung und Entwicklung stellen verheerende Anreize für neue solche Gewinnverschiebungen in die Schweiz dar. Die beschlossene Erhöhung des Kantonsanteils an der Bundessteuer auf 21,2 Prozent ist zudem eine entwicklungspolitisch absolut kontraproduktive Subventionierung des interkantonalen und damit auch internationalen Steuerwettlaufs gegen unten. Sie wird einige Kantone dazu verleiten, ihre internationale Rolle als Steuerdumpinggebiete für multina­tionale Konzerne weiter auszubauen und das Race to the bottom in der internationalen Unterneh­mensbesteuerung damit anheizen.

Der Einbezug einer zusätzlichen Finanzierung der AHV in die Vorlage ändert aus entwicklungspoliti­scher Sicht nichts an der Tatsache, dass die Schweiz nach dem Willen der Ständeratskommission ein neues Regime für die Unternehmensbesteuerung bekäme, das einer sozial und ökologisch nachhalti­gen globalen Entwicklung enormen Schaden zufügt. Die Wirtschaftskommission des Ständerates hat es verpasst, die Chance für einen steuerpolitischen Paradigmenwechsel einzuleiten. Sie opfert auf dem Altar der politischen Mehrheitsfähigkeit die Gelegenheit, mit einer entwicklungspolitisch verträg­lichen Unternehmenssteuerreform dem Konzernplatz Schweiz mehr Verantwortung zu übertragen.

Mit seiner parasitären Unternehmenssteuerpolitik trägt das Tiefsteuerland Schweiz dazu bei, dass in Entwicklungsländern dringend notwendige Investitionen in Bildung, Gesundheit, Soziales und Infra­struktur ausbleiben müssen. Für diese Steuerpolitik wurde die Schweiz kürzlich auch vom unabhängi­gen Experten für Menschenrechte und Finanzfragen der UNO, Juan Pablo Bohoslavsky, in einem Länderbericht scharf gerügt.

Sollte das Plenum des Ständerates den Vorschlägen der vorberatenden Wirtschaftskommission zustimmen, wird Alliance Sud die Steuervorlage 17 in dieser Form bei den bevorstehenden Beratun­gen im Nationalrat nicht unterstützen können und auf einen grundsätzlichen Umbau der Vorlage hinarbeiten.

Für weitere Auskünfte:

Dominik Gross, Finanzexperte Alliance Sud, Tel. +41 78 838 40 79.

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Die Flüsse umleiten

24.06.2018, Finanzen und Steuern

Unlautere Finanzflüsse fördern soziale Ungleichheit und torpedieren nachhaltige Entwicklung. Diese Tatsache hat die bürgerliche Politik in der Schweiz lange ignoriert. Nun zeigen zwei rechtswissenschaftliche Studien umfassenden Handlungsbedarf auf.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Die Flüsse umleiten

Die illegalen Finanzströme sind ein Zankapfel in der Bundesverwaltung. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats war mit der ersten Fassung eines Berichts nicht zufrieden und forderte einen Zusatzbericht.
© Daniel Hitzig

Unlautere Finanzflüsse fördern soziale Ungleichheit und torpedieren nachhaltige Entwicklung. Diese Tatsache hat die bürgerliche Politik in der Schweiz lange ignoriert. Nun zeigen zwei rechtswissenschaftliche Studien umfassenden Handlungsbedarf auf.
Der Washingtoner Think-Tank Global Financial Integrity (GFI) schätzt, dass Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich eine Billion Dollar durch unlautere Finanzflüsse verloren geht.  Dazu gehören gemäss einer umfassenden Definition, der auch der Schweizer Bundesrat mittlerweile folgt, nicht nur Gelder aus Geldwäscherei und Korruption, also illegale Geldflüsse, sondern auch legale aus der Steuerhinterziehung von natürlichen und der Steuervermeidung von juristischen Personen. Es geht hier also vor allem auch um Geld, das den Staaten entzogen wird, von diesen aber dringend benötigt würde, um eine ausreichende Finanzierung von Bildung, Gesundheit, sozialer Sicherung und Infrastruktur zu gewährleisten. Für die Finanzierung der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der UNO, die sich u.a. die Überwindung der Armut bis 2030 zum Ziel gesetzt hat, bräuchte es weltweit 5000 bis 7000 Milliarden Dollar jährlich. Zum Vergleich: Die gesamte weltweite Entwicklungszusammenarbeit hat aktuell ein Volumen von etwa 160 Milliarden Dollar pro Jahr.

Schweiz in der Verantwortung

Als einer der grössten Finanzzentren der Welt mit der höchsten Pro-Kopf-Dichte an Konzernsitzen, spielt die Schweiz in der Bekämpfung der entwicklungsschädigenden unlauteren Finanzflüsse eine sehr wichtige Rolle. 2017 wurden hierzulande gemäss der Schweizerischen Bankiervereinigung ausländische Vermögen in der Höhe von rund 3000 Milliarden Franken verwaltet. Das entspricht einem Viertel aller weltweit im Ausland angelegten («Offshore»-)Vermögen. 25 Prozent des weltweiten Rohstoffhandels werden über die Schweiz abgewickelt, 2016 waren Schweizer Firmen gemäss den Zahlungsbilanzstatistiken der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mit 1008 Milliarden Franken an ausländischen Firmen beteiligt und hielten konzerninterne Kredite in der Höhe von 547 Milliarden Franken. Diese Zahlen zeigen: Das Risiko, dass Konzerne ihre Schweizer Firmensitze für Gewinnverschiebungen von Süd nach Nord und entsprechende Steuervermeidung auf Kosten des Fiskus in Entwicklungsländern nützen, ist gross. Gemäss Schätzungen des Internationalen Währungsfonds gehen den Ländern des Südens dadurch jährlich bis zu 200 Milliarden Dollar an potentiellem Steuersubstrat verloren.

Will die Welt die Ziele der Agenda 2030 in den nächsten zwölf Jahren erreichen, zu denen sich auch die Schweiz verpflichtet hat, ist sie auf die konstruktive und proaktive Mitarbeit der Schweizer Finanz- und Steuerpolitik angewiesen. Die Schweiz hat sich in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich zwar zahlreichen internationalen Regulierungsregimen geöffnet und setzt die internationalen Mindeststandards in diesen Bereichen nach langem und zähem Widerstand mittlerweile auch um. Der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments blieben aber bisher auf die Frage, wie die Schweiz ihre spezifische Verantwortung als globales Finanzzentrum und wichtiger Konzernstandort für die Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele und der entsprechenden Bekämpfung von unlauteren Finanzflüssen wahrnehmen will, fast alle Antworten schuldig.

Postulate, Berichte, Studien

Im Parlament haben seit 2013 mehrere PostulantInnen verlangt, dass das Thema unlautere Finanzflüsse bzw. Steuerhinterziehung zulasten von Entwicklungsländern untersucht werden soll. Schliesslich verfasste das Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF) im Oktober 2016 einen entsprechenden Bericht. Er betonte zwar die Wichtigkeit der Bekämpfung von unlauteren Finanzflüssen zu Gunsten einer nachhaltigen Entwicklung im globalen Süden und wie die entsprechenden bestehenden Engagements der Schweiz im Rahmen der OECD und der gesamten internationalen Zusammenarbeit der Schweiz zu erfüllen seien. Die Empfehlung konkreter Schritte blieb aber aus. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK-N) verlangte daraufhin einen Zusatzbericht, der gemeinsam von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im März 2018 vorgelegt wurde. Dieser fokussierte auf Schweizer Engagements «vor Ort», also in den Entwicklungsländern, die im Rahmen der technischen Entwicklungszusammenarbeit des Seco stattfinden sollen und vor allem auf Korruptions- und Geldwäschereibekämpfung und die Transparenz von Kapitalflüssen in der Rohstoffbranche in den Zielländern abzielen. Eine Evaluation der Schweizer Steuer- und Finanzpolitik in der Schweiz im Hinblick auf die politische Kohärenz für nachhaltige Entwicklung und ihre negativen Auswirkungen auf die Länder des Südens blieben beide Berichte schuldig.

Zwei rechtswissenschaftliche Studien, die René Matteotti, der Zürcher Professor für Schweizerisches, Europäisches und Internationales Steuerrecht und Rechtsanwalt bei der Zürcher Kanzlei Baker und McKenzie und die Spezialistin für internationales Steuerrecht, Sathi Meyer-Nandi, im Auftrag der Deza kürzlich publizierten, liefern nun wichtige Grundlagen für eine weitere Diskussion zur globalen Verantwortung des Schweizer Finanzplatzes. Matteotti widmet sich in seiner Studie der «Integration der Entwicklungsländer in die schweizerische Politik zur Umsetzung des AIA [automatischer Informationsaustausch, Red.] und der BEPS-Massnahmen [Base Erosion and Profit Shifting, Red]» und lotet dabei «Herausforderungen und Handlungsfelder» aus.1 Matteotti macht gleich zu Beginn klar, dass die SDGs «nach Überzeugung aller internationalen Organisationen, welche sich mit entwicklungspolitischen Fragen auseinandersetzen, nur erreicht werden können, wenn die Entwicklungsländer ihr Steuersubstrat besser ausschöpfen. Der Fiskalpolitik kommt bei der Verwirklichung der SDG daher eine Schlüsselrolle zu.» Im Vergleich zum Status quo der Schweizer Steuerpolitik sind vor allem Matteottis Empfehlungen zur Umsetzung des automatischen Informationsaustausches (AIA) mit Entwicklungsländern bemerkenswert. Er empfiehlt der Schweiz sogenannte AIA-Pilotprojekte mit einzelnen Entwicklungsländern, die bisher nicht in den Genuss des AIA-Systems mit der Schweiz kommen: «Bilaterale Pilotprojekte mit ausgewählten Staaten stellen für die Schweiz einen interessanten Weg dar, um ihr entwicklungspolitisches Engagement mit einzelnen Staaten zu vertiefen.» Bisher hat weder die Deza, noch das Seco oder das Staatsekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF) konkrete Schritte in diese Richtung angekündigt, obwohl andere OECD-Länder solche Projekte mit entsprechenden Partnerstaaten bereits seit mehreren Jahren unterhalten. Es ist also zu hoffen, dass die Empfehlungen des Zürcher Professors in Bundesbern auf offene Ohren stossen.

Einen Schritt weiter in Sachen Transparenz von Kapitalflüssen als Matteotti geht Sathi Meyer-Nandi in ihrer Studie mit dem Titel «Swiss Policy Coherence in International Taxation: Global Trends in AEOI [=AIA] and BEPS in Development Assistance and a Swiss Way Forward».2 Sie fordert die Schweiz auf, eine öffentliche Berichterstattung für multinationale Konzerne ins Auge zu fassen – ein sogenannntes «Public Country-by-Country-Reporting» (pCbCR). Sie schreibt mit Blick auf die Stärkung lokaler Zivilgesellschaften und dem Aufbau demokratischer checks and balances im Bereich der Steuerpolitik: «Looking at the progressive development with regard to public CbCR in the EU, which will likely also effect Swiss headquartered companies with an EU presence, Switzerland should consider contemplating similar requirements. This would elevate Switzerland to being a progressive first adopter. From a development policy perspective, such move would be highly appreciated.» Eine langjährige politische Forderung der globalen Steuergerechtigkeitsbewegung hat nun also ihren Weg in den wissenschaftlichen Vorstellungsrahmen des internationalen Steuerrechts gefunden. Auch hier darf man gespannt sein, wie Bundesbern auf diese Horizonterweiterung in einer der politisch einflussreichsten Forschungsgemeinschaften reagiert.

 

1 Integration der Integration der Entwicklungsländer in die schweizerische Politik zur Umsetzung des AIA und der BEPS-Massnahmen: Herausforderungen und Handlungsfelder, René Mattioli, Archiv für Schweizerisches Abgaberecht, ASA 86, 2017-2018

2 Die Studie ist nach Anmeldung im Shareweb der Deza greifbar.

Publikation

SV17: Das sind die Steuerschlupflöcher für Multis

10.09.2018, Finanzen und Steuern

Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne in die Schweiz schädigen die Länder des globalen Südens massiv. Die vorliegende Steuervorlage 17 (SV17) wird dies nicht ändern. Dies zeigt die Recherche von Alliance Sud.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

SV17: Das sind die Steuerschlupflöcher für Multis

Die effektive Durchschnittssteuerbelastung 2017 in den Kantonshauptorten im internationalen Vergleich (in % des Gewinns). Quelle: SGB, Daten ZEW/BAK Basel
© Alliance Sud

Das Fazit der heute veröffentlichen Alliance Sud-Recherche über Instrumente zur Gewinnoptimierung und Steuervermeidung durch internationale Konzerne lautet:

Die Schweiz darf nicht länger auf ein Steuersystem setzen, das anderen Ländern Steuereinnahmen entzieht. Sie muss vielmehr einen Umbau ihrer Unternehmenssteuerpolitik in Angriff nehmen, der zur Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 beiträgt.

Die Recherche von Alliance Sud zeigt, dass die Steuervorlage 17 (SV17) die bisherige Schweizer Tiefsteuerstrategie für Konzerne fortsetzt, entgegen den Behauptungen vieler BefürworterInnen im Parlament. Der Übergang von der sog. «Swiss Finance Branch» zur zinsbereinigten Gewinnsteuer zeigt etwa, dass dieselben Steuerdumpingvehikel mit der SV17 einfach unter anderem Namen weiterlaufen. Die Analyse der «Gewinnwäscherei» und der doppelten Nullbesteuerung mit Hilfe des Beteiligungsabzugs zeigt zudem, dass zentrale Schlupflöcher in transnationalen Offshorestrukturen, in denen Schweizer Tochterfirmen eine zentrale Rolle spielen, mit der SV17 nicht gestopft werden.

Mit der sofortigen und ersatzlosen Streichung der alten Sondersteuerregime könnte die Schweiz stattdessen einen äusserst effektiven Beitrag zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung der Welt leisten. Die Schweizer Politik hat es in der Hand, die globale Abwärtsspirale bei den Unternehmenssteuern zu bremsen; als führende globale Finanz- und Handelsdrehscheibe hat sie dafür ein paar wirtschaftspolitische Hebel in der Hand. Umso früher sie diese einsetzt, desto kleiner der Schaden für alle.

Wenn sich die Tiefsteuerländer für Konzerne wie die Schweiz, die Niederlande, Luxemburg, Irland oder auch die USA «die heisse Kartoffel» unendlich gegenseitig zuwerfen, wird die Welt irgendwann gar keine Unternehmenssteuern mehr kennen. Ein Race to the bottom aber, das tatsächlich auf Grund laufen würde, hätte katastrophale Auswirkungen. Es würde die Bekämpfung der grassierenden sozialen Ungleichheit in der Welt verunmöglichen, hätte einen Kahlschlag in der öffentlichen Infrastruktur auf dem ganzen Globus zur Folge und würde damit letztlich auch alle Bemühungen unterlaufen, demokratische Strukturen in den Nationalstaaten zu erhalten und weiterzuentwickeln, die schon heute vielerorts massiv unter Druck stehen.

Was Alliance Sud auf die Argumente der BefürworterInnen der SV17 antwortet, lesen Sie im ausführlichen Fazit am Ende der Recherche.

Die Beiträge an der Medienkonferenz vom 11.9.2018:

von Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik, Alliance Sud

vonn Felix Gnehm, Direktor Solidar Suisse

von Ellen Ehmke, Analystin soziale Ungleichheit, Oxfam Deutschland

Medienmitteilung

 

***ACHTUNG SATIRE***

Mitgefühl mit Multis

Artikel

Zwerge wollen Zwerge bleiben

27.09.2018, Finanzen und Steuern

Die meisten Schweizerinnen und Schweizer sind heute wohl überzeugt: Das Bankgeheimnis ist tot. Doch bei genauerem Hinschauen muss man feststellen: Es ist ziemlich lebendig – oder zumindest untot.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Zwerge wollen Zwerge bleiben

Innenhof des Credit Suisse-Hauptsitzes beim Zürcher Paradeplatz
© Pixabay

„The gnomes of Zurich“, die „Gnome Zürichs“. So nannte 1964 der damalige britische Aussenminister George Brown die Bankiers vom Zürcher Paradeplatz. Das Bild der geldgierigen Zwerge, die in ihren Berghöhlen eifrig Goldmünzen zählten und zur Abwehr von allem und jedem bereit waren, der an ihren Schatz wollte, ging um die Welt. Es prägte das Image der Schweiz im Ausland ebenso sehr wie die Uhren, die Schokolade und der Käse. Im Unterschied zu letzteren beiden ist die Finanzindustrie für die Schweiz allerdings tatsächlich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Entsprechend energisch gehen die Zwerge bis heute zu Werke. Noch 2008 stellte sich der damalige Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz ganz und gar in ihre Tradition. Als das Bankgeheimnis auf der Kippe stand, verkündete er im Nationalratssaal mit verbissener Miene an die Adresse der EU und der USA: „An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch noch die Zähne ausbeissen.“ Heute muss man sagen: So ganz unrecht hatte er damit nicht.

Seit einem Jahr ist in der Schweiz der automatische Informationsaustausch über Bankkundendaten mit einzelnen Partnerstaaten in Kraft. Er wird gern als Todesstoss für das Bankgeheimnis verkauft. Doch die neuen Regeln und die turbulenten Jahre seit der Finanzkrise von 2008/2009 haben dem Schweizer Vermögensverwaltungsgeschäft nicht geschadet. Hiesige Banken verwalteten 2017 gemäss der Schweizerischen Bankiervereinigung 6‘650 Milliarden und 800 Millionen Franken Vermögen. Das ist mehr als 2006, im letzten Jahr vor der Finanzkrise: Damals waren es rund 5000 Milliarden. Vor zwölf Jahren kam zwar mehr Geld aus dem Ausland, nämlich 60 Prozent, heute noch 48 Prozent. Doch die Schweiz ist international nach wie vor dick im Geschäft: Aktuell werden ein Viertel aller grenzüberschreitend angelegten Vermögen zwischen Boden- und Genfersee verwaltet. Damit ist die Schweiz immer noch der mit Abstand grösste Offshore-Finanzplatz der Welt. 

Das Bankgeheimnis basiert auf zwei Gesetzesartikeln, die von allen Dramen der letzten zehn Jahren bisher unberührt blieben: Artikel 47 des Gesetzes über die Banken und Sparkassen belegt Banken und ihre MitarbeiterInnen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, wenn sie Kundendaten an unbefugte Dritte weitergeben. Dieser Artikel zerrte Whistleblower wie die ehemaligen Bankmitarbeiter Hervé Falciani und Rudolf Elmer vor Schweizer Gerichte, die – ihre persönliche Motivationen beiseite – Praktiken der Steuerflucht enthüllten, die den Interessen demokratischer Gemeinwesen zweifellos widersprechen. Und Artikel 127 des Gesetzes über die direkte Bundessteuer enthält die berühmte und weltweit mittlerweile einzigartige Schweizer Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung (Nichteinreichung von Vermögensbescheinigungen in der Steuererklärung) und Steuerbetrug (Falschangaben über steuerbares Einkommen oder Vermögen). Die ehemalige Finanzministerin Evelyn Widmer-Schlumpf wollte diese Unterscheidung mit einer Reform des Steuerstrafrechts noch abschaffen. Die FinanzplatzvertreterInnen aus SVP, FDP und CVP haben aber seit 2015 dank ihren satten Mehrheiten im Parlament und im Zusammenspiel mit dem heutigen Finanzminister Ueli Maurer dafür gesorgt, dass diese Herzensangelegenheit der ehemaligen „Blochertöterin“ heute vom Tisch ist. Vermögende BewohnerInnen der Schweiz können weiterhin weitgehend unbehelligt ihr Geld vor dem Fiskus verstecken – geschützt durch das Gesetz und unter Mithilfe ihrer hiesigen VermögensverwalterInnen. Das geltende Schweizer Recht schützt also SteuerhinterzieherInnen immer noch weitgehend. Umgekehrt riskieren Leute, die wertvolles Wissen aus der undurchsichtigen Finanzindustrie an die Öffentlichkeit bringen, in diesem Land langjährige Haftstrafen.

Aus welchen Ländern die aktuell rund 3000 Milliarden ausländischer Vermögen stammen, die von der Schweiz aus verwaltet werden und ob sie in ihren Herkunftsländern versteuert werden, geben nach wie vor weder die Banken noch die Schweizer Behörden bekannt. Auch der internationale automatische Informationsaustausch von Bankkundendaten zwischen Steuerbehörden (AIA) hilft hier nur bedingt weiter: Die Schweiz aktiviert ihn bis auf weiteres nur mit EU-Ländern, einigen wichtigen Finanzplätzen in Asien und aufstrebenden Schwellenländern. Nur dort also, wo gewichtige Eigeninteressen der Schweizer Wirtschaft auf dem Spiel stehen. Ahnungslos bleiben derweil ausgerechnet die Behörden der ärmeren und ärmsten Länder der Welt. Deren Bevölkerungen und Gemeinwesen wären am dringendsten auf öffentliche Gelder für den Aufbau von Infrastrukturen in der Gesundheit, der Bildung oder dem Verkehr angewiesen. Ein Milliardär aus Sambia aber, der sein Geld mit Engagements im Rohstoffsektor verdient, kann es weiterhin unbehelligt vor den schweizerischen und sambischen Behörden in jenen transnationalen Offshore-Strukturen verstecken, die ihm über den Schweizer Finanzplatz zugänglich sind.

Für alle, die an diesen nicht direkt (VermögensverwalterInnen, Anwaltskanzleien, Investmentbanken oder Beratungsfirmen) oder im besten Fall indirekt (Schweizer Steuerbehörden) beteiligt sind, bleiben sie fast immer unsichtbar. Das bedeutet, dass Staaten nur im Verbund sicherstellen können, dass Offshoregelder flächendeckend versteuert und sinnvoll gesellschaftlich umverteilt werden. Und eben das wäre nötig, wenn man die grassierende weltweite Ungleichheit der Vermögen wirklich bekämpfen wollte, die vielerorts den Erhalt oder den Aufbau demokratischer Gemeinwesen behindert. Es bräuchte nicht nur mehr und gleichberechtigtere Informationsflüsse zwischen Staaten, sondern auch öffentlich zugängliche Register, in denen wirtschaftlich Berechtigte von Trusts, Stiftungen und Briefkastenfirmen oder Buchhaltungsdaten globaler Konzerne verzeichnet sind. Erst diese würden wirkliche Transparenz ins Finanzsystem bringen. Und vor allem im globalen Süden aber auch anderswo kritischen Bürgerinnen, Journalisten oder Nichtregierungsorganisationen ermöglichen, ihre Eliten auf politischer Ebene zu mehr Verantwortung gegenüber ihren Gemeinwesen zu verpflichten; unabhängig vom Wissen und der Praxis teilweise befangener, korrupter oder schlicht überforderter Behörden.

Die Kapitalverschleierungsstrukturen im Offshoresystem sind also längst transnational organisiert. Dieser Umstand befreit aber einzelne Länder mit einer starken Finanzindustrie nicht von ihrer besonderen Verantwortung, die sie für die Weltgesellschaft tragen. Heute ist das Finanzsystem marode und voller rechtsfreier Räume: Der Washingtoner Think-Tank Global Financial Integrity (GFI) schätzt, dass im Jahr 2014 auf Offshorewegen alleine aus Entwicklungs- und Schwellenländern eine Billion Dollar in Form von sogenannten unlauteren Finanzflüssen abgeflossen ist. Dazu zählt das GFI Gelder aus Korruption, Geldwäscherei, Steuerbetrug und Steuervermeidung von reichen Privatpersonen und Firmen. Zum Vergleich: Die gesamte weltweite Entwicklungszusammenarbeit hat aktuell ein Volumen von etwa 160 Milliarden Dollar pro Jahr. Für die Finanzierung der neuen Nachhaltigkeitsziele in der Agenda 2030 der UNO bräuchte es weltweit 5000-7000 Milliarden jährlich, also etwa genau so viel, wie an Vermögen auf Schweizer Banken liegt. 

Der Schaden, der das Offshoresystem der Weltgesellschaft zufügt, ist also gigantisch. Das Wissen über dieses ist gleichzeitig selbst eine Frage des Geldes: Interessieren sich Bürgerinnen, Journalisten, NGOs und andere Repräsentantinnen der Zivilgesellschaft dafür, wie die Geldflüsse im System verlaufen, zahlt man bei einem Finanzinformationsdienst wie Moodys oder Thompson Reuters gerne mal 200‘000 Franken für ein Jahresabo der entsprechenden Datenbanken. Dabei wäre wirkliche Transparenz hier essentiell. Denn wo es in Form von Steuereinnahmen kein Geld zu verteilen gibt, gibt es für Stimmberechtigte und Parlamente auch kaum mehr etwas zu entscheiden. Die demokratische Öffentlichkeit hätte also eigentlich ein Recht darauf, zu erfahren, wer wie viel auf das Konto der Demokratie einbezahlt. 

Obwohl der Schweizer Finanz- und Konzernplatz für diese globalen Ungleichheitsverhältnisse und das eklatante Demokratiedefizit, dass die Offshoreindustrie produziert, eine entscheidende Mitverantwortung trägt, kümmert das in der Schweizer Politik nur wenige. Von rechts bis weit in die Mitte macht man sich gerne kleiner als man ist und spielt die internationale Rolle des mächtigen Schweizer Finanz- und Handelsplatzes herunter. Es wird ein neutraler Kleinstaat inszeniert, der nicht nur in der globalen Geo- sondern eben auch in der internationalen Finanz- und Steuerpolitik eine unbedeutende Mitläuferrolle spiele. Als Zwerg müsse man vor allem schauen, wo man im globalen Konzert der Riesen bleibe, sagen einem die Gnome gern. Das aber ist ein Märchen von Zwergen für Zwerge, beziehungsweise ein Vorurteil eines ehemaligen britischen Aussenministers. Will die Schweiz zukünftig einer nachhaltigen sozialen und ökologischen Entwicklung der Welt nicht mehr im Wege stehen, kommt sie um einen finanz- und steuerpolitischen Paradigmenwechsel nicht mehr herum.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift moneta der Alternativen Bank Schweiz.