Investitionsschutz

Adieu Schiedsverfahren: einseitiger Mechanismus unter Druck

30.09.2025, Handel und Investitionen

Wollen Staaten im öffentlichen Interesse regulieren, sehen sie sich oft mit Klagen ausländischer Investor:innen konfrontiert, die auf Abkommen aus einer anderen Zeit beruhen. Doch der Widerstand dagegen wächst.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Adieu Schiedsverfahren: einseitiger Mechanismus unter Druck

Wenn Unternehmen in der Klimakrise ihre fossilen Investitionen einklagen: Rauch steigt aus dem Kohlekraftwerk Trianel im Ruhrgebiet. © Keystone / Westend61 / Wilfried Wirth

«Zahlreiche Investitionsschutzabkommen stammen aus einer längst vergangenen Zeit und enthalten keine Bestimmungen zu Klimawandel und Umwelt. Wollen Länder Massnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit ergreifen, werden sie vor Gericht gezerrt, weil sie gegen Abkommensregeln verstossen», erklärte Rebeca Grynspan, Generalsekretärin der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Mitte Juni in Genf anlässlich der Vorstellung des Weltinvestitionsberichts 2025.

Sie fügte hinzu: «Wir unterstützen die Länder bei der Neuverhandlung dieser Abkommen. Oberstes Ziel ist es, mit dem Privatsektor Win-win-Lösungen auszuhandeln. Allerdings stehen die heutigen Interessen und das, was vor 30 Jahren unterzeichnet wurde, oft im Widerspruch. Eine Neuauflage der Abkommen muss unbedingt private und öffentliche Interessen vereinen.»

Die UN-Beauftragte bezog sich auf Klagen, die im Rahmen des Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor:innen und Staaten (ISDS) vor Schiedsgerichten eingereicht werden. Diese haben oft einen Bezug zu fossilen Energien, wie beispielsweise der Fall der Azienda Elettrica Ticinese (AET), einem öffentlichen Tessiner Unternehmen, das gegen die Entscheidung Deutschlands, das Kohlekraftwerk Lünen zu schliessen, geklagt hat. Es fordert eine Entschädigung in der Höhe von 85,5 Millionen Euro zuzüglich Zinsen. AET beruft sich auf den Energiecharta-Vertrag aus den 1990er Jahren, der ausländische Investitionen in Energien, darunter auch fossile, schützt und damit die Energiewende verzögert.

 

Ein umstrittener Vertrag, den die Schweiz nicht kündigen will

Der Energiecharta-Vertrag (Energy Charter Treaty, ECT) ist ein multilaterales Abkommen aus den 1990er-Jahren, das Investor:innen vor staatlichen Eingriffen im Energiesektor schützt und ihnen Zugang zu privaten Schiedsgerichten garantiert. Nach einem unzureichenden Reformprozess des ECT haben viele Länder beschlossen, aus dem Vertrag auszutreten, darunter Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die EU als Ganzes. Im Gegensatz zu ihren europäischen Nachbarn ist die Schweiz nicht ausgetreten und hat auch nicht die Absicht, dies zu tun.

 

52 Klagen von Schweizer Investor:innen

Bis heute wurden 52 Klagen von Schweizer Konzernen gegen Drittländer, fast immer aus dem Globalen Süden, publik. Vier davon hat Glencore gegen den Staat Kolumbien eingereicht. Gegenstand sind die Kohleminen Cerrejón und Prodeco sowie ein Hafen. Zwei dieser Klagen wurden zugunsten des Investors entschieden – der 19 Millionen USD beziehungsweise 9 Millionen USD an Entschädigungszahlungen erhielt. Zwei Verfahren sind noch hängig.

Diese Klagen berufen sich auf das Investitionsschutzabkommen (ISA) zwischen der Schweiz und Kolumbien aus dem Jahr 2006, das derzeit auf Antrag Kolumbiens aktualisiert wird. Ziel ist es, ein ausgewogeneres Abkommen zugunsten des Gaststaates (Kolumbien) auszuhandeln. Tatsächlich hat die UNCTAD bei den nach 2020 ausgehandelten ISA einige interessante Entwicklungen festgestellt. Aus der Sicht von Alliance Sud die nennenswerteste ist, dass fast die Hälfte der neueren Abkommen den Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor:innen und Staaten (ISDS) ausschliesst. Beispielsweise ist dies beim ISA zwischen Brasilien und Indien sowie zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Australien der Fall. Oft wird dieser umstrittene Mechanismus durch einen zwischenstaatlichen Streitbeilegungsmechanismus und/oder durch einvernehmliche Konfliktlösungsmassnahmen wie Schlichtung und Mediation ersetzt.

Besserer Schutz im öffentlichen Interesse

Unter der Maxime, Konfliktlösungen mit der Brechstange zu vermeiden, schützen die jüngsten Abkommen das Recht der Staaten, im öffentlichen Interesse zu regulieren, besser. So schränken sie die vor Gericht am häufigsten angerufenen Klauseln stark ein beziehungsweise definieren sie präziser.

Dies gilt insbesondere für die «faire und gleichberechtigte Behandlung» (fair and equitable treatment, FET), die es ausländischen Unternehmen ermöglicht, sich auf den Standpunkt der willkürlich Diskriminierten zu stellen. Ein weiterer Punkt betrifft die «indirekte Enteignung», die häufig geltend gemacht wird, wenn der Gaststaat neue Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt erlässt, die den Investoren finanzielle Verluste verursachen könnten. Ebenfalls konkretisiert wurde eine Klausel (clause parapluie), die es ermöglicht, Verpflichtungen, die nichts mit dem Abkommen zu tun haben, als durch dieses geschützt zu betrachten.

Dies waren die wichtigsten Klauseln, auf die sich Philip Morris 2010 in seiner Klage gegen Uruguay berief, als das lateinamerikanische Land eine Anti-Tabak-Gesetzgebung einführte, die den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprach, vom Investor jedoch als übertrieben taxiert wurde. Das Schiedsgericht wies dessen Argumente zurück und gab Uruguay recht. Nach einer intensiv geführten internationalen Kampagne, die in der Schweiz von Alliance Sud und ihren südamerikanischen Partnern unterstützt wurde, konnte sich Uruguay durchsetzen.

Nach wie vor kaum Pflichten

Mit den neuen Abkommen würde eine solche Klage wahrscheinlich schneller abgewiesen werden, bliebe jedoch weiterhin möglich. Solange die Investitionsschutzabkommen bestehen bleiben und den Investoren fast ausschliesslich Rechte und keine Pflichten einräumen, dürfte sich dies auch nicht ändern.

Denn obwohl sie etwas ausgewogener ausfallen, enthalten nur 10% der neuen Abkommen Verpflichtungen in diesem Sinne, insbesondere Klauseln gegen Korruption, für eine transparente Regierungsführung, zum Schutz der Umwelt, für Gewerkschaftsrechte und die Unterstützung der lokalen Gemeinschaften sowie zur angemessenen Besteuerung. Unter diesen Abkommen hebt die UNCTAD insbesondere das Abkommen zwischen der Schweiz und Indonesien aus dem Jahr 2022 hervor.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass fast alle seit 2020 abgeschlossenen Abkommen weiterhin sämtliche Investitionen umfassen, ohne Bedingungen hinsichtlich Nachhaltigkeit oder positive Auswirkungen für das Gastland und seine Bevölkerung zu nennen.

Trotz einiger Verbesserungen in den letzten paar Jahren liegt noch ein langer Weg vor uns. Nach den neuesten verfügbaren Daten verhandelt oder revidiert die Schweiz derzeit ISA mit zehn Ländern, darunter Kolumbien, Indien, Mexiko und Vietnam. Es wäre die Gelegenheit, um die Abkommen in ein Gleichgewicht zu bringen und auf den problematischen ISDS-Mechanismus zu verzichten. Doch diesen Weg scheint die Schweiz nicht einzuschlagen. Im jüngst neuverhandelten ISA mit Chile ist der ISDS nach wie vor fest verankert. Ein ausländischer Investor kann also Klage gegen den Gaststaat erheben, das Gegenteil jedoch ist nicht möglich, z. B. wenn das Unternehmen Böden und Flüsse verschmutzt oder Bevölkerungsgruppen umsiedelt.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Medienmitteilung

Neues Palmölabkommen alarmiert die Zivilgesellschaft

23.06.2025, Handel und Investitionen

Das heute vom Bundesrat unterzeichnete EFTA-Freihandelsabkommen mit Malaysia bringt keine Verbesserung gegenüber dem umstrittenen Freihandelsabkommen mit Indonesien. Während die Regenwaldzerstörung weitergeht, soll noch mehr Palmöl aus Südostasien in die Schweiz kommen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch
Neues Palmölabkommen alarmiert die Zivilgesellschaft

Malaysia ist einer der grössten Palmölproduzenten weltweit. Durch Palmölplantagen, die auf zerstörtem tropischem Regenwald errichtet werden, gehen unberührte Lebensräume für Mensch und Tier verloren. © Bruno Manser Fonds

Gemeinsame Medienmitteilung von Green Boots, Bruno Manser Fonds, Uniterre und Alliance Sud.

Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen nehmen das heute vom Bundesrat unterzeichnete Freihandelsabkommen mit Malaysia mit Skepsis zur Kenntnis. Obwohl sich 48.6% der Stimmbürger:innen am 7. März 2021 wegen der Palmöl-Problematik gegen ein Abkommen mit Indonesien ausgesprochen hatten, liegt nun ein ähnlicher Deal mit Malaysia vor. Im Unterschied zu Indonesien liefern Malaysia und malaysische Unternehmen seit Jahren bedeutende Mengen an Palmöl in die Schweiz. Sie sollen im geplanten Abkommen mit vergünstigten Konditionen belohnt werden. Die Gefahr, dass mehr Palmöl aus Malaysia auf Kosten des Regenwaldes importiert wird, ist erheblich.

Auch malaysische Nichtregierungsorganisationen sind besorgt über mögliche Auswirkungen des Abkommens auf die Umwelt und die Rechte der indigenen Bevölkerung. Über 30 zivilgesellschaftliche Organisationen aus Malaysia lehnen die problematischen, ihr Recht auf die Verwendung von Saatgut einschränkenden UPOV 91-Regelungen ab.

Ölpalmen werden insbesondere im malaysischen Teil von Borneo von Grosskonzernen auf Kosten der indigenen Bevölkerung unter prekären Arbeitsbedingungen angebaut. «Eine Tarifvergünstigung für Palmöl aus Malaysia ist das falsche Signal», so Johanna Michel. «In Malaysia droht die Zerstörung von über einer Million Hektaren Regenwald für Palmöl-Plantagen.»

Weitere Informationen:

Isolda Agazzi, Expertin für Handelspolitik bei Alliance Sud
022 901 07 82, isolda.agazzi@alliancesud.ch

Artikel

Glencore und die hürdenreiche Schliessung der Prodeco-Mine

18.06.2025, Handel und Investitionen

Wenige Jahre nach dem Rückzug von Glencore aus der Prodeco-Mine hat die kolumbianische Regierung ihre endgültige Schliessung beschlossen. Die lokalen Gemeinschaften fordern nun eine Mitsprache im Schliessungsprozess. Unterstützt werden sie von der Arbeitsgruppe Schweiz – Kolumbien, die ihre Tätigkeit nach fast 40 Jahren einstellen wird. Ihr Generalsekretär Stephan Suhner nahm Ende Mai an der Generalversammlung des Schweizer Rohstoffmultis teil.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Glencore und die hürdenreiche Schliessung der Prodeco-Mine

Nach der Schliessung der Prodeco-Mine ohne Einbezug der lokalen Gemeinschaften bleiben eine soziale Krise und versehrter Lebensraum. © Fundación Chasquis, Bogota

Hat der Kohleabbau zwangsläufig negative Auswirkungen auf die Umwelt und die lokalen Gemeinschaften oder kann er auch umweltschonend betrieben werden? Auf diese komplexe Frage gibt die Arbeitsgruppe Schweiz – Kolumbien (ask!) seit ihrer Gründung im Jahr 1987 nuanciert Antwort. Alliance Sud arbeitet eng mit der ask! zusammen und bedauert, dass diese – aufgrund eines unzureichenden freiwilligen Engagements – ihre Aktivitäten demnächst einstellen wird.

Ihr Fachstellenleiter Stephan Suhner steht in stetem Austausch mit den Gemeinschaften vor Ort, aber auch mit Glencore in der Schweiz. Denn der Konzern mit Sitz in Zug betreibt in Kolumbien drei Kohleminen und ist mit nicht weniger als neun Tochtergesellschaften präsent. Der letzte Kampf des unermüdlichen Aktivisten vor seinem Ruhestand ist jener um die Schliessung der Prodeco-Mine im Departement Cesar. In der Mine wurde 25 Jahre lang Kohle abgebaut, bis die Betreibergesellschaft Glencore im Jahr 2021 bekannt gab, ihre Anteile an den kolumbianischen Staat zurückverkaufen zu wollen. Glencore argumentierte, der Kohleabbau sei nicht mehr rentabel. Nach drei Jahren der Ungewissheit beschloss die Regierung von Gustavo Petro die endgültige Schliessung der Mine.

Absprache mit den Gemeinschaften gefordert

Laut ask! hat diese Entscheidung eine beispiellose soziale Krise ausgelöst. Die Einwohnerschaft ist gespalten in zwei Lager: Für das eine – die Bergleute selbst, aber auch Menschen, die in nebengelagerten Bereichen der Mine arbeiteten, darunter viele Frauen – war die Mine eine wichtige Einkommensquelle; das andere lehnt den Bergbau grundsätzlich ab. Die Gewaltspirale begann sich zu drehen und in diesem explosiven Klima entzündeten sich Proteste, die von bewaffneten Gruppen niedergeschlagen wurden.

Die Gemeinschaften und Gewerkschaften haben sich daher zusammengeschlossen und beharren auf ihrem Mitspracherecht im Schliessungsprozess. Sie fordern einen transparenten und menschenrechtskonformen Ablauf und die Behebung der verursachten Umweltschäden durch die ehemalige Betreiberin Glencore.

Glencore schweigt

«An der Generalversammlung am 28. Mai erkundigte ich mich nach dem Stand der Konsultationen rund um den Schliessungsplan der Prodeco-Mine, da sich die Gemeinschaften vermehrt über das Schweigen von Glencore beschwert haben», so Stephan Suhner. «Darauf antwortete mir Glencore, der Prozess sei im Gang, die Gemeinschaften seien konsultiert worden und würden auch weiterhin involviert.»

Diese Erklärung folgte auf eine Klage der NGO Tierra Digna, in der Glencore vorgeworfen wurde, die Beteiligungsrechte der Gemeinschaften nicht zu respektieren. Sie wurde von den nationalen Gerichten und letztlich vom Verfassungsgericht  in einem Urteil vom 4. Februar 2025 gutgeheissen. Seitdem haben drei Informationsveranstaltungen mit den drei von der Mine betroffenen Gemeinschaften stattgefunden, und Glencore hat versprochen, mit jeder Gemeinschaft insgesamt 30 solcher Veranstaltungen abzuhalten.

Gerechter Schliessungsplan

Aber ist es denn nicht paradox, gegen den Bergbau zu sein und sich zu beschweren, wenn eine Mine geschlossen wird? «Nein», antwortet uns Stephan Suhner. «Die ask! hat immer die Art und Weise kritisiert, wie Glencore in Kolumbien operiert, nicht die Existenz der Minen als solche. Wir haben zum Beispiel nie die Schliessung von Cerrejon gefordert, wie es andere nationale NGOs wie CAJAR taten. Wir verlangten die Konsultation der Gemeinschaften zur Erweiterung der Mine, jedoch nie den Rückzug von Glencore aus Kolumbien. Auch haben wir betont, dass die Schliessung soziale Probleme mit sich bringt und dass ein Plan B unabdingbar ist, einschliesslich alternativer Einkommensquellen. Wie unsere Partner vor Ort fordern wir, dass die Schliessung der Mine auf faire, transparente, partizipative und menschenrechtskonforme Weise erfolgt.»

Umstrittene Einzelumsiedlungen von drei Dörfern

Ein von der ask! eingeladener Vertreter der Asamblea Campesina del Cesar machte die Generalversammlung von Glencore auf die Probleme im Zusammenhang mit der Umsiedlung von drei Dörfern aufmerksam. Im Jahr 2010 ordnete das kolumbianische Umweltministerium aufgrund der Umweltverschmutzung durch die Mine Kollektivumsiedlungen an. Alle Bewohner:innen sollten gemeinsam in ein Gebiet umgesiedelt werden, an dem die grundlegenden sozialen Dienstleistungen wie Schule, medizinische Versorgung etc. vorhanden sein würden. Stattdessen wurden Einzelumsiedlungen durchgeführt, die den Zusammenhalt des Dorfes untergruben und es den Bewohner:innen, von denen viele in die nahegelegene Stadt Santa Marta umgesiedelt wurden, erheblich erschwerten, wieder eine Tätigkeit aufzunehmen.

Glencore mit Rekordzahl von Klagen gegen Kolumbien

Die kolumbianischen Gerichte einschliesslich Verfassungsgericht urteilen in Umwelt- und Menschenrechtsbelangen oft fortschrittlich. Glencore zögert jedoch nicht, deren Urteile unter Berufung auf das Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Kolumbien vor Schiedsgerichten anzufechten. Bisher sind vier Klagen des Schweizer Multis bekannt; die letzte stammt aus dem Jahr 2023 und betrifft die Prodeco-Mine. Aufgrund der Undurchsichtigkeit des internationalen Schiedsgerichtssystems sind aber weder ihr Inhalt noch die Höhe der Entschädigung bekannt, die Glencore vom kolumbianischen Staat fordert. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sie die Schliessung der Mine zum Thema hat.

Alliance Sud fordert Investitionsschutzabkommen, die es dem Gaststaat erlauben, im öffentlichen Interesse zu regulieren

Im Jahr 2023 nahm Alliance Sud an einer internationalen Mission nach Kolumbien teil, um den Staat aufzufordern, seine Investitionsabkommen zu kündigen oder zumindest den Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten durch Schiedsverfahren auszuschliessen.

Während unseres Aufenthalts kündigte die Regierung von Gustavo Petro ihre Absicht an, alle ihre Investitionsabkommen neu zu verhandeln, angefangen mit dem Abkommen mit der Schweiz. Die Verhandlungen sind im Gang und Alliance Sud wird weiterhin Druck ausüben, damit das neue Abkommen, sollte es denn zustande kommen, Kolumbien die Einführung neuer Sozial- und Umweltstandards erlaubt, ohne eine Schiedsgerichtsklage durch einen Schweizer Konzern befürchten zu müssen.

Medienmitteilung

Schweizer Unternehmen will Millionen für deutschen Kohleausstieg

16.05.2025, Handel und Investitionen

Ein heute von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen veröffentlichtes Briefing beleuchtet die Hintergründe der Klage Azienda Elettrica Ticinese (AET) gegen den deutschen Kohleausstieg vor einem Schiedsgericht. Das öffentlich-rechtliche Schweizer Unternehmen verlangt eine Entschädigung für die Abschaltung eines Kohlekraftwerks im nordrhein-westfälischen Lünen, an dem es eine Beteiligung hält.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch
Schweizer Unternehmen will Millionen für deutschen Kohleausstieg

Defizitär und klimaschädlich: Das Trianel Kohlekraftwerk in Lünen, Nordrhein-Westfalen, ist seit 2013 am Netz - beteiligt ist die Schweizer AET. © Keystone/DPA/Bernd Thissen

 

Gemeinsame Medienmitteilung von Alliance Sud, Netzwerk Gerechter Welthandel, PowerShift, Umweltinstitut München, WWF Schweiz, Public Eye, Pro Natura

 

Eine genauere Untersuchung der Klage zeigt:

  • Das Kohlekraftwerk hat seit seinem Bau jedes Jahr Verluste eingefahren. Die AET verlangt also Entschädigung für eine Anlage, die defizitär war und dies voraussichtlich auch weiterhin bleiben wird.
  • Die AET wurde in einem Volksentscheid dazu verpflichtet, sich von der Beteiligung am Kohlekraftwerk spätestens 2035 zu trennen. Trotzdem möchte sie für hypothetische Einnahmen des Kraftwerks bis ins Jahr 2053 entschädigt werden. Die verlangte Entschädigungssumme wurde in den Verfahrensdokumenten geschwärzt.
  • Ein Erfolg der AET in dem Verfahren würde die Architektur des deutschen Kohleausstiegs in Frage stellen und könnte zu weiteren Klagen vor Schiedsgerichten durch Kohleunternehmen führen. Neun weitere Kohlekraftwerke in Deutschland haben ausländische Anteilseigner, die bei einem Erfolg AET’s möglicherweise vor einem Schiedsgericht klagen könnten.

“Es ist ein Skandal, dass sich ein öffentliches Unternehmen undemokratischer Schiedsgerichte bedient, um gegen notwendige Klimaschutzmaßnahmen vorzugehen. Dass die AET Entschädigungen für ein verlustbringendes Kraftwerk verlangt, treibt das Ganze auf die Spitze,” sagt Fabian Flues, Handelsexperte bei der NGO PowerShift.

“Schon vor dem Bau des Kohlekraftwerks in Lünen war das Fiasko absehbar. Entsprechend deutlich hat der WWF, die AET und den Kanton Tessin vor dieser ökonomisch widersinnigen und klimaschädlichen Kurzschluss-Entscheidung gewarnt. Statt Verantwortung zu übernehmen, schiebt die AET nun Deutschlands Klimapolitik die Schuld für ihr eigenes Versagen zu und fordert Schadenersatz. Dieses Vorgehen ist einer öffentlich-rechtlichen Anstalt unwürdig. Der Kanton Tessin muss diesem Hohn ein Ende machen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.” sagt Francesco Maggi, Geschäftsleiter WWF Svizzera italiana.

“Im Gegensatz zur EU und mehreren europäischen Ländern hat die Schweiz den Energiecharta-Vertrag nicht gekündigt. Dieser verlangsamt jedoch den Ausstieg aus fossilen Energien und erschwert ihn, wie die Klage der AET gegen Deutschland zeigt. Die Schweiz muss sich dem Trend anschließen und diesen anachronistischen Vertrag kündigen”, sagt Isolda Agazzi, Investitionsexpertin bei Alliance Sud.

“Deutschland hat mit dem Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag einen wichtigen Schritt getan, aber nicht daraus gelernt. Während Investitionsschutzverträge weiterhin unsere Energiepolitik sabotieren, treibt die Bundesregierung neue Abkommen mit denselben problematischen Schiedsmechanismen voran.”

 

Hintergrund

Die Schiedsgerichtsklage der AET findet unter dem Energiecharta-Vertrag, einem Investitionsschutz-Vertrag aus den 1990er Jahren, statt. Der ECT ermöglicht es Investoren, vor Schiedsgerichten gegen Energie- und Klimamaßnahmen zu klagen, wenn diese ihre Gewinne einschränken. Kein Investitionsschutzvertrag hat so viele Schiedsgerichtsklagen ermöglicht, wie der ECT. Deutschland, die EU und 10 weitere Länder sind aus dem ECT ausgetreten, weil dieser ihre Handlungsfähigkeit in der Klimakrise zu stark beschneidet. Die Schweiz ist weiterhin Mitglied des ECT. Der ECT verfügt über eine Verfallsklausel, die Klagen über einen Zeitraum von 20 Jahren nach dem Austritt möglich macht. Aus dem ECT austretende Länder können jedoch ein Abkommen abschließen, um Klagen untereinander auszuschließen.

Darüber hinaus ist Deutschland mit den meisten bilateralen Investitionsschutzverträgen weltweit, die bereits 58 Investorenklagen ermöglicht haben. Das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat diese Verträge als “in vielen Hinsichten veraltet” bezeichnet. Dennoch gibt es keine Vereinbarungen im neuen Koalitionsvertrag, diese Altlasten anzugehen. Die deutsche Zivilgesellschaft fordert, diese Verträge in Absprache mit den Partnerländern zu kündigen.

Schweizerische Umwelt- und Entwicklungsorganisationen verlangen schon seit langem einen Austritt der Schweiz aus dem Energiecharta-Vertrag. Der Bundesrat beabsichtigt jedoch nicht, aus dem Vertrag auszutreten. Stattdessen hat er hat dessen Modernisierung, wie sie von der Energiecharta-Konferenz am 3. Dezember 2024 beschlossen wurde, gutgeheissen.

 

Link zum Briefing:

https://power-shift.de/aet-briefing/

 

Für weitere Informationen:

Isolda Agazzi, Expertin für Handels- und Investitionspolitik bei Alliance Sud
isolda.agazzi@alliancesud.ch, +41 22 901 07 82

Fabian Flues, Leitung Investitionspolitik bei PowerShift e.V.,
fabian.flues@power-shift.de, +49 30 308 821 92

Artikel

Verkehrte Welt: Zölle für die ärmsten Länder

05.05.2025, Handel und Investitionen

US-Präsident Donald Trump bringt Alliance Sud mit seinen Zoll-Eskapaden in eine paradoxe Lage: So muss sie ständig betonen, dass diese Zölle für die Länder des Globalen Südens verheerend sind... Dabei hat Alliance Sud doch stets deren Recht verteidigt, sich durch Zölle zu schützen. Die USA aber sind ein Schwergewicht des Welthandels, das seit dreissig Jahren dem gesamten Planeten ein offenes Handelssystem aufzwingt.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Verkehrte Welt: Zölle für die ärmsten Länder

Die Einführung von Zöllen, wie sie Donald Trump vorschwebt, wäre für Lesotho eine Katastrophe. Die Textilindustrie des afrikanischen Kleinstaats produziert hauptsächlich für den US-amerikanischen Markt, wie in dieser Fabrik für Levis-Jeans in Maseru. © Keystone / EPA / Kim Ludbrook

Dass der US-Präsident eine 90-tägige Pause angeordnet hat und sich vorderhand auf einen allgemeinen Zollsatz von 10% beschränkt – mit Ausnahme von China, gegen das er de facto ein Embargo verhängt hat (145%) – nimmt dem Thema nicht die Brisanz. UN Trade and Development (ehemals UNCTAD) fordert die sofortige Aufhebung dieser Zölle und unterstreicht deren Absurdität: In einem am 14. April veröffentlichten Bericht verweist die UN-Organisation darauf, dass von den 57 Ländern, die von reziproken Zöllen bedroht sind, 11 zu den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) gehören. Weiter wird festgestellt, dass 28 der gelisteten Länder zusammen gerade einmal 0,625% zum US-Handelsdefizit beitragen.

Die Theorie der komparativen Vorteile

Derzeit wird das internationale Handelssystem auf den Kopf gestellt. Dabei waren seit der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 1995 die USA stets treibende Kraft hinter der neoliberalen Globalisierung. Diese fusste auf einer umfassenden Liberalisierung des Welthandels und folglich einem allgemeinen Zollabbau. Nach diesem Modell sollte jedes Land gemäss dem Grundsatz komparativer Vorteile agieren, also jene Produkte exportieren, bei denen die niedrigsten Produktionskosten anfallen. Die resultierende internationale Arbeitsteilung führt de facto dazu, dass die Länder des Globalen Südens Rohstoffe exportieren und fertige Industrieprodukte aus dem Norden importieren.

Die Hälfte der afrikanischen Länder ist vom Rohstoffexport abhängig

Infolgedessen ist auch heute noch «die Hälfte der afrikanischen Länder von Rohstoffen abhängig (in mindestens 60% der Länder sind es Öl, Gas und Erze). Auf Afrika entfallen zwar nur 2,9% des internationalen Handels, aber dort leben 16% der Weltbevölkerung, und diese Zahl wird künftig noch steigen», gab Rebeca Grynspan, Generalsekretärin von UN Trade and Development am 10. Februar in Abidjan bei der Vorstellung des Berichts 2024 über die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika zu bedenken.

Da aber der alleinige Export von Rohstoffen kein ausreichender Entwicklungstreiber ist, unterstützt Alliance Sud das Recht der Länder des Globalen Südens, sich den nötigen Spielraum zu verschaffen, um ihre Landwirtschaft und Industrie zu schützen, auch mithilfe von Zöllen. Ohne Zölle und weitere Schutzmassnahmen hätte sich in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern gar keine Industrie entwickeln können. Davon zeugen die Erfolgsgeschichten von Ländern wie Südkorea oder China.

Keine Zölle auf Kakao, dafür auf Schokolade

Kenia ist ein sehr gutes Beispiel für die Politik der Importsubstitution. Vor etwa 15 Jahren nahm ich in Nairobi an einer Pressekonferenz von Nestlé teil, an der das Unternehmen seine Absicht ankündigte, in die Milchproduktion vor Ort einzusteigen. Der Grund dafür war, dass das Land über Nacht beschlossen hatte, in Übereinstimmung mit den WTO-Regeln die Zölle auf importiertes Milchpulver zu erhöhen. Infolgedessen war es für Nestlé nicht mehr rentabel, das Milchpulver Milo nach Kenia zu exportieren. Der Lebensmittelmulti aus Vevey investierte daher in die gesamte Produktionskette der Milchwirtschaft und unterstützte Gross- und Kleinbauern dabei, sich in Genossenschaften zu organisieren. Trotz des Risikos der Marktbeherrschung durch einen einzigen grossen Akteur hat sich Kenia von einem Land, das Milch importiert, zu einem Land entwickelt, das genug Milch produziert, um seinen Bedarf zu decken.

Abgesehen von einigen Ausnahmen besteht das seit 30 Jahren von der WTO, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und den Ländern des Nordens (angeführt von den USA) vorgegebene Modell jedoch darin, die Entwicklungsländer zu Zollsenkungen zu drängen und sich auf einige wenige Exportprodukte zu beschränken. Bangladesh ist hierfür ein Paradebeispiel: Es bezieht den Löwenanteil seiner Einnahmen aus dem Textilexport (die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die Hungerlöhne in diesem Sektor klammern wir hier einmal aus). Im Jahr 2023 machte dieser Zweig 10% des Bruttoinlandprodukts aus, grösster Abnehmer waren die USA.

In die Schweiz und die EU können die LDCs Rohstoffe wie Kakao kontingent- und zollfrei exportieren. Auf verarbeitete Agrarprodukte wie Schokolade werden jedoch Zölle erhoben, was der Wertschöpfung in Ursprungsländern wie der Elfenbeinküste und Ghana nicht dienlich ist.

AGOA in den USA in der Schwebe

Die USA gewähren nicht allen LDCs die gleichen Zollvergünstigungen, haben aber im Jahr 2000 mit rund 30 afrikanischen Ländern mit dem Programm Africa Growth and Opportunity Act (AGOA) vereinbart, dass Tausende von Produkten zollfrei auf den amerikanischen Markt exportiert werden können. Seine Verlängerung im September 2025 ist aber Stand heute alles andere als gesichert.

Beispielsweise hat Lesotho, eines der ärmsten Länder der Welt, von diesem Programm profitiert. Im Jahr 2023 exportierte es vor allem Textilien und Bekleidung in die USA: Deren Wert belief sich auf 168 Mio. USD, davon 166 Mio. im Rahmen des AGOA. Nun wollte Donald Trump dem Land ursprünglich einen Zollsatz von 54% auferlegen, wahrscheinlich mit dem Ziel, das prozentuell unbestritten grosse Handelsdefizit auszugleichen. Im selben Jahr exportierte Washington nämlich Waren im Wert von nur 3,3 Mio. USD nach Lesotho und führte gleichzeitig Güter im Wert von 226,6 Mio. USD ein. Die Einführung solch astronomischer Zölle wäre für den afrikanischen Kleinstaat eine Katastrophe gewesen und hätte im Übrigen auch nicht zu einer Verlagerung der Produktion in die USA geführt: Für die USA ist die Textilherstellung zweifellos keine Alternative (da zu kostspielig) und auch Mineralien wie Diamanten können dort nicht abgebaut werden (über 56 Mio. USD an Importen).

Die USA sind einer von fünf Handelspartnern Afrikas

Deswegen die Schlussfolgerung: Ja, die Entwicklungsländer müssen ihre Industrie und Landwirtschaft durch Zölle schützen können. Gleiches gilt aber nicht für die Grossmacht USA, die dreissig Jahre lang die Speerspitze eines Handelsmodells darstellte, dem sich auch die ärmsten Länder unterwerfen mussten.

Es bleibt die Hoffnung, Donald Trump möge seine Entscheidungen ein für alle Mal revidieren. Gleichzeitig bieten seine Irrungen und Wirrungen den armen Ländern aber auch Gelegenheit, ihr Entwicklungsmodell zu überdenken und sich stärker auf den heimischen und den regionalen Markt zu konzentrieren. Besonders gilt dies für afrikanische Länder, wo die kontinentale Freihandelszone langsam Form annimmt – wobei es auch hier Gewinner und Verlierer geben wird....

Für die afrikanischen Länder wird mithin eine Diversifizierung ihrer Handelspartnerschaften immer dringlicher: Laut UN Trade and Development haben 50% der afrikanischen Länder nur gerade fünf Handelspartner: China, die Europäische Union, Indien, Südafrika und die USA. Als Gegenbeispiel kann Vietnam herangezogen werden, das mit 97 Volkswirtschaften Handel betreibt. Dies veranschaulicht den Spielraum Afrikas, seine Volkswirtschaften zu stärken und zu diversifizieren. Ein Prozess, der durch die aktuellen Turbulenzen beschleunigt werden dürfte.

 

Freihandelsabkommen mit Thailand

Welche Risiken für die Umwelt?

21.03.2025, Handel und Investitionen

Das Freihandelsabkommen mit Thailand sieht vorerst keine Stärkung der Rechte an geistigem Eigentum für Medikamente und Saatgut vor, was aus entwicklungspolitischer Sicht eine gute Nachricht ist. Doch die Folgenabschätzung zur nachhaltigen Entwicklung, übrigens die erste ihrer Art, verfehlt ihr Ziel.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Welche Risiken für die Umwelt?

Bäuerin bei der Ernte im nordthailändischen Chiang Mai, das unter schweren Umweltschäden leidet. Hier wurde wiederholt gegen Freihandelsabkommen protestiert. © Philippe Lissac/Godong/Panos Pictures

Mit grossem Pomp wurde am 23. Januar am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos das Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Staaten (Schweiz, Norwegen, Island, Liechtenstein) und Thailand unterzeichnet. Nach schier endlosen Verhandlungen – sie wurden vor 20 Jahren aufgenommen, waren jedoch zwischenzeitlich ausgesetzt worden – konnte nun der Text vorgestellt werden. Dieser lässt erkennen, dass die Verhandlungen für die EFTA schwieriger waren als erwartet: In Bezug auf die Stärkung der Rechte an geistigem Eigentum – einem Schweizer Lieblingsthema – wurde kaum etwas Zählbares erreicht. Zumindest noch nicht.

(Noch) keine Einschränkungen im Gesundheitsbereich…

Im Bereich der Arzneimittel konnte sich Thailand erfolgreich gegen verschärfte Bestimmungen (im Fachjargon TRIPS+ genannt, da sie über das TRIPS-Abkommen der WTO hinausgehen) wehren. Diese hätten die Herstellung und Vermarktung von Generika langwieriger und teurer gemacht. Bangkok wollte seine Pharmaindustrie, in der Generika den Löwenanteil ausmachen, nicht gefährden. Die Pharmabranche wird für die nationale Wirtschaft immer wichtiger und soll bis 2029 auf ein Umsatzvolumen von 2,5 Milliarden US-Dollar anwachsen. Momentan ist sie vor allem auf den lokalen Markt ausgerichtet und hilft so mit, das Recht der Bevölkerung auf Gesundheit zu sichern. Allerdings ist das letzte Wort noch nicht gesprochen; hat die Schweiz doch erreicht, dass Details rund um die Zulassung von Generika in einem Jahr erneut diskutiert werden (Datenexklusivität).

… und beim Saatgut

Thailand konnte sich auch wirksam gegen die übliche, von der Schweiz unterstützte Forderung der EFTA schützen, die Verpflichtung zum Beitritt zu UPOV 91 in den Text aufzunehmen. Dieses Abkommen «privatisiert» Saatgut und Pflanzenzüchtungen und macht es für die Bäuerinnen und Bauern schwierig bis unmöglich, diese frei zu nutzen und zu tauschen, wie sie es immer getan haben. UPOV 91 beinhaltet die Verpflichtung, das Saatgut von privaten Saatgutfirmen wie der chinesisch-schweizerischen Syngenta zu erwerben.

Die 25 Millionen thailändischen Kleinbäuerinnen und -bauern haben stark gegen Freihandelsabkommen mobilisiert. Bisher mit Erfolg: 2006 trotzten 10’000 von ihnen der Polizei und versammelten sich vor dem Ort, an dem die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA (die auch den Beitritt zu UPOV forderten) stattfanden – und brachten sie zum Scheitern. 2013 wurde in Chang Mai gegen die Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) protestiert. Diese waren ebenfalls ausgesetzt, wurden jedoch wieder aufgenommen und sollen bis Ende 2025 abgeschlossen werden.

Weder die USA noch die EU, die traditionellen Konkurrenten der Schweiz, haben bislang ein Freihandelsabkommen mit Thailand unterzeichnet. Die EFTA ist ihnen hier zuvorgekommen. Es ist daher erfreulich, dass dieses Abkommen keinen Beitritt zum UPOV-Übereinkommen vorsieht. Andernfalls hätte sich Bangkok gezwungen gesehen, seine Gesetzgebung zugunsten der multinationalen Konzerne zu ändern. Stattdessen bleibt der Plant Variety Protection Act, der 1999 als Gegenentwurf zu UPOV 91 erlassen wurde, weiterhin gültig. Er ermöglicht thailändischen Bäuerinnen und Bauern die Wiederverwendung und das Tauschen von Saatgut, wenn auch unter bestimmten Bedingungen. Zu begrüssen ist auch der im Freihandelsabkommen vorgesehene Schutz der genetischen Ressourcen und des traditionellen Wissens der indigenen Bevölkerung und der Kleinbäuerinnen und -bauern.

Was das Kapitel über die nachhaltige Entwicklung betrifft, so ist dieses ausführlich gehalten und sieht die Einsetzung eines Expert:innengremiums im Konfliktfall vor. Auch wenn diese Neuerung zu begrüssen ist, bedauert Alliance Sud nach wie vor, dass Streitigkeiten über dieses Kapitel nicht wie die meisten anderen Kapitel des Abkommens einem Schiedsverfahren unterstellt sind.

Kurz vor Abschluss der Verhandlungen gab das Staatssekretariat für Wirtschaft eine Ex-ante-Nachhaltigkeitsprüfung (Sustainability Impact Assessment, SIA) in Auftrag, wie es in einem Postulat der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates gefordert worden war.

Alliance Sud und Public Eye haben die Schweiz seit Jahren nachdrücklich aufgefordert, solche Folgenabschätzungen durchzuführen, und sind daher erfreut, dass endlich eine Analyse auf dem Tisch liegt. Bedauerlicherweise kam sie jedoch zu spät, so dass ihre Ergebnisse nicht in die Verhandlungen einbezogen werden konnten. Man kann sich daher zu Recht fragen, worin ihr Nutzen besteht.

Rückzug der Studie gefordert

Die Studie benennt weder die Gewinner:innen und Verlierer:innen des Abkommens eindeutig, noch verweist sie explizit auf die Umweltrisiken. Ausserdem wurde die Gelegenheit verpasst, Massnahmen zur Verringerung identifizierter Risiken vorzuschlagen, beispielsweise bei der Geflügelzucht, die zur Entwaldung beiträgt. Im Freihandelsabkommen mit Indonesien wurde genau dies gemacht, indem ein besonderer Mechanismus eingefügt wurde, um nachhaltig produziertes Palmöl mit niedrigeren Zöllen zu «belohnen».

Der Ball liegt nun beim Parlament. Es ist seine Aufgabe, Klarheit zu verlangen und die Behebung dieser methodischen Verzerrungen zu fordern, wenn künftig weitere Freihandelsabkommen ausgehandelt werden.

Alliance Sud fordert die Schweiz auf, die Studie zurückzuziehen, bis sie einem Peer-Review unterzogen wurde und die wissenschaftlichen Kriterien in diesem Bereich zu erfüllen vermag.

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Publikation

Kritische Analyse des SIA zum Freihandelsabkommen mit Thailand

23.01.2025, Handel und Investitionen

Alliance Sud und Public Eye haben die Handels- und Menschenrechtsexpertin Caroline Dommen mit der Analyse der Ex-ante-Nachhaltigkeitsprüfung (SIA) des SECO zum Freihandelsabkommen mit Thailand beauftragt.

Kritische Analyse des SIA zum Freihandelsabkommen mit Thailand

Kahlschlag in der Nähe von Mae Chaem, Nordthailand. Die Luftverschmutzung durch Brandrodungen belasten weite Teile Thailands und dessen Bevölkerung. © Keystone / EPA / Barbara Walton

Die Analyse bemängelt insbesondere einen zu hohen Grad an Abstraktion und die Tatsache, dass die wirtschaftliche Analyse getrennt von der Nachhaltigkeitsanalyse durchgeführt wurde. Stattdessen hätten Schlüsselaspekte der Nachhaltigkeit identifiziert werden sollen, auf die man sich hätte konzentrieren müssen. Auch das Risikoniveau wurde nicht ausreichend analysiert, so dass die Studie zu oft den Eindruck erweckt, als diene sie der Rechtfertigung des EFTA-Verhandlungsmandats, also beispielsweise zur Stärkung der geistigen Eigentumsrechte auf Arzneimittel.

 

Freihandelsabkommen mit Thailand

Nachhaltigkeitsprüfung verfehlt das Ziel

23.01.2025, Handel und Investitionen

Kurz vor Abschluss der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit Thailand führte das SECO die erste Ex-ante-Nachhaltigkeitsstudie durch. Diese ist leider zu allgemein gehalten, weist methodische Verzerrungen auf und identifiziert weder die Risikosektoren deutlich genug, noch schlägt sie konkrete Lösungen vor, um auf die identifizierten Risiken zu reagieren. Alliance Sud und Public Eye haben die Studie analysiert.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Nachhaltigkeitsprüfung verfehlt das Ziel

Thailands Wirtschaftsminister Pichai Naripthaphan und Helene Budliger Artieda, SECO-Direktorin, zeigen sich erfreut über das unterzeichnete Freihandelsabkommen - doch entscheidene Fragen bleiben unbeantwortet.
© Keystone / Laurent Gillieron

Das Freihandelsabkommen (FHA) zwischen den Ländern der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), der auch die Schweiz angehört, und Thailand wurde heute in Davos am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) mit grossem Pomp unterzeichnet. Kurz vor Abschluss der Verhandlungen hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) eine ex-ante-Nachhaltigkeitsprüfung (Sustainability Impact Assessment - SIA) in Auftrag gegeben, wie es ein Postulat der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates gefordert hatte.

Alliance Sud und Public Eye hatten die Schweiz seit Jahren nachdrücklich aufgefordert, solche Folgenabschätzungen durchzuführen, und freuen sich daher, dass endlich eine entsprechende Analyse durchgeführt wurde. Es ist allerdings bedauerlich, dass sie so spät zustande kam, so dass ihre Ergebnisse nicht mehr in die Verhandlungen einfliessen konnten und man sich berechtigterweise fragen kann, wozu sie eigentlich dienlich sein soll.

Analyse identifiziert zahlreiche Mängel

Alliance Sud und Public Eye haben die Handels- und Menschenrechtsexpertin Caroline Dommen mit der Analyse der Studie beauftragt. Die erfahrene Beraterin hatte für Alliance Sud bereits eine Pilotstudie über die Auswirkungen des Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten durchgeführt. Diese sollte zeigen, dass es eine Methodik gibt, und hatte sich auf einige Menschenrechte konzentriert, die durch das Abkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit verletzt würden (Rechte auf Gesundheit, Umweltauswirkungen, Rechte von Kleinbäuerinnen, Kleinbauern und indigenen Gemeinschaften, Frauenrechte usw.).

Im Falle des SIA des Abkommens mit Thailand bemängelt die Analyse insbesondere einen zu hohen Grad an Abstraktion und die Tatsache, dass die wirtschaftliche Analyse getrennt von der Nachhaltigkeitsanalyse durchgeführt wurde. Stattdessen hätten Schlüsselaspekte der Nachhaltigkeit identifiziert werden sollen, auf die man sich hätte konzentrieren müssen.

Auch das Risikoniveau wurde nicht ausreichend analysiert, so dass die Studie zu oft den Eindruck erweckt, als diene sie der Rechtfertigung des EFTA-Verhandlungsmandats, also beispielsweise zur Stärkung der geistigen Eigentumsrechte auf Arzneimittel.

SECO-Studie sollte aus dem Verkehr gezogen werden

Die Studie identifiziert auch nicht klar die Gewinner:innen und Verlierer:innen des Abkommens oder die Risiken, die es für den Umweltschutz mit sich bringt. Sie verpasst ausserdem die Gelegenheit, Massnahmen zur Verringerung dieser Risiken vorzuschlagen. Wenn ein Sektor als risikoreich identifiziert wird – wie etwa die durch die Geflügelzucht verursachte Entwaldung –, gibt die Studie zudem keine Hinweise auf die zu ergreifenden Massnahmen.  Dies hatte die Schweiz im Freihandelsabkommen mit Indonesien noch getan, als ein besonderer Mechanismus etabliert wurde, um nachhaltig produziertes Palmöl mit niedrigeren Zöllen zu «belohnen».

Generell würde man gerne wissen, welche Sektoren am meisten gefährdet sind (zum Beispiel Fischerei oder Geflügelindustrie), was das SECO/die EFTA zu tun gedenkt, um die Risiken zu minimieren und welche konkreten Massnahmen in Betracht gezogen werden. Der Ball liegt nun beim Schweizer Parlament: Es ist seine Aufgabe, Klarstellungen zu verlangen und zu fordern, dass diese methodischen Verzerrungen behoben werden, wenn in Zukunft weitere Freihandelsabkommen ausgehandelt werden.

Alliance Sud und Public Eye fordern die Schweiz und die EFTA auf, die Studie aus dem Verkehr zu ziehen, bis sie einem Peer-Review unterzogen wurde und wissenschaftlichen Kriterien genügt.

 

Handel und Klima

Der CO2-Grenzausgleich darf arme Länder nicht benachteiligen

03.12.2024, Klimagerechtigkeit, Handel und Investitionen

Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) der Europäischen Union sieht vor, den Import der umweltschädlichsten Produkte zu besteuern. Obwohl die ärmsten Länder dadurch stark benachteiligt werden, ist für sie keine Ausnahme vorgesehen. Sollte die Schweiz das Abkommen eines Tages übernehmen, muss sie für eine Korrektur sorgen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Der CO2-Grenzausgleich darf arme Länder nicht benachteiligen

In Akokan, Niger, schloss eine der weltgrössten Uranerz-Minen. Doch noch sind weitere im krisenreichen Norden geplant und volkswirtschaftlich bedeutend. © Keystone / AFP / Olympia de Maismont

 

Die Europäische Union (EU) nimmt ihre Klimaverpflichtungen ernst. Im Jahr 2019 hat sie den European Green Deal ins Leben gerufen, der darauf abzielt, die CO2-Emissionen bis 2030 um 55% zu senken und bis 2050 CO2-neutral zu werden.

Das Programm umfasst mehrere interne und externe Massnahmen, zum Beispiel die Europäische Entwaldungsverordnung (EUDR, siehe global #94). Ein weiteres Schlüsselprojekt der europäischen Handelspolitik ist das CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM, Carbon Border Adjustment Mechanism). Es zielt darauf ab, Importindustrien denselben Regeln zu unterwerfen wie umweltbelastende europäische Unternehmen, die an eine Emissionsobergrenze gebunden sind – wobei diese Grenze bisweilen nur dank CO2-Emissionshandel eingehalten wird. Das erklärte Ziel dieser Massnahmen ist es, Investitionen in saubere Energie in Europa attraktiver und billiger zu machen. «Der CBAM schafft Anreize für die globale Industrie, umweltfreundlichere Technologien einzuführen», sagt der EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.

Carbon Leakage vermeiden

Der von Brüssel verabschiedete CBAM soll verhindern, dass die Produktion in Länder mit Kohlenstoffpreisen unter EU-Niveau (oder gar ohne solche Bepreisung) verlagert wird (Carbon Leakage). Auch soll dadurch vermieden werden, dass europäische Hersteller einem unfairen Wettbewerb ausgesetzt werden. Der Mechanismus sieht vor, die Einfuhr von besonders umweltschädlichen Produkten mit einer Abgabe zu belegen. Zunächst sind dies Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium, Wasserstoff und Elektrizität.

In der EU seit dem 1. Oktober 2023 in Kraft, wird der CBAM gestaffelt umgesetzt. Für 2026 ist die vollständige Einführung geplant. Ab 2031 soll er dann auf alle importierten Produkte angewandt werden.

Kritik aus dem Globalen Süden

Doch welche Wirkung hat diese Massnahme? Die EU gibt sich optimistisch: Sie schätzt, dass dadurch im Vergleich zu 1990 ihre Emissionen bis 2030 um 13,8% und im Rest der Welt um 0,3% sinken werden.

Der Ansatz wird jedoch von den Ländern des Globalen Südens stark kritisiert. Sie beurteilen ihn als entwicklungshemmend. Andere monieren das Fehlen einer generellen Ausnahme, zumindest für die ärmsten Länder. Ausserdem hat die UN Trade and Development (ehemals UNCTAD) errechnet, dass die Auswirkungen auf das Klima minimal sein dürften: Der CBAM werde die globalen CO2-Emissionen nur um 0,1% senken, jene der EU gerade einmal um 0,9%. Er werde aber voraussichtlich das Einkommen der Industrieländer um 2,5 Mrd. USD erhöhen und jenes der Entwicklungsländer um 5,9 Mrd. USD reduzieren.

2022 forderten die Minister von Brasilien, Südafrika, Indien und China, auf diskriminierende Massnahmen wie einen CO2-Grenzausgleich zu verzichten.

Am stärksten betroffen von diesem Mechanismus sind mit Russland, der Türkei, China, Indien, Südafrika und den Vereinigten Arabischen Emiraten jene Schwellenländer, die am meisten Stahl und Aluminium nach Europa exportieren. Doch auch die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs gemäss UN-Kategorisierung) wie Mosambik (Aluminium) und Niger (Uranerz) sind Leidtragende des Mechanismus. Die Wohlfahrtsverluste für Entwicklungsländer wie die Ukraine, Ägypten, Mosambik und die Türkei würden zwischen 1 und 5 Milliarden Euro betragen, was gemessen an ihrem Bruttoinlandprodukt (BIP) beträchtlich ist.

Eine Ausnahme für LDCs?

Werfen wir einen Blick nach Afrika, wo sich 33 der 46 LDCs befinden. Eine aktuelle Studie der London School of Economics kommt zum Schluss, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) Afrikas mit Anwendung des CBAM auf alle Importprodukte um 1,12% oder 25 Milliarden Euro sinken würde. Die Aluminiumausfuhren gingen um 13,9% zurück, die Eisen- und Stahlexporte um 8,2%, die Düngemittelausfuhren um 3,9% und die Zementausfuhren um 3,1%.

Also das Kind mit dem Bade ausschütten und den CBAM für entwicklungsfeindlich erklären? Das ist wahrscheinlich der falsche Ansatz. Die belgische NGO 11.11.11. schlägt vor, die am wenigsten entwickelten Länder zumindest vorerst nach den WTO-Regeln von diesem Mechanismus auszunehmen, beziehungsweise sie weniger stark zu besteuern als andere. Anlässlich der Diskussionen zum CBAM in Brüssel war diese Möglichkeit vom Parlament in Betracht gezogen worden. Sie wurde aber verworfen, da die EU es vorzog, höhere Einnahmen zu erzielen.

UN Trade and Development hingegen machte den Vorschlag, die Einnahmen aus dem Mechanismus an die LDCs weiterzugegeben, mit dem Zweck, deren Klimatransition zu finanzieren. Die erwarteten Einnahmen der EU belaufen sich auf 2,1 Milliarden Euro, die multilateral über den derzeit unterfinanzierten Grünen Klimafonds weitergeleitet werden könnten.

Vorerst kein CBAM für die Schweiz

In der Schweiz existiert derzeit nichts dergleichen. Heute sind Güter schweizerischen Ursprungs, die in die EU exportiert werden, aufgrund des Emissionshandelssystems (ETS) vom CBAM befreit und der Bundesrat verzichtet derzeit darauf, einen solchen Mechanismus für in die Schweiz importierte Produkte einzuführen. Dem ETS liegt die maximale Menge an Emissionen zugrunde, die den Industrien eines Wirtschaftszweigs zur Verfügung steht. Jedem Teilnehmer wird eine bestimmte Menge an Emissionsrechten zugeteilt. Bleiben seine Emissionen unter dieser Grenze, kann er seine Rechte verkaufen. Übersteigen sie diese Grenze, kann er welche erwerben.

Im März 2021 wurde jedoch im Nationalrat eine parlamentarische Initiative eingereicht, die von der Schweiz eine Anpassung der CO2-Gesetzgebung fordert. Darin soll ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus aufgenommen und dabei die Entwicklung in der EU berücksichtigt werden. Derzeit wird diese parlamentarische Initiative noch in den Kommissionen diskutiert.

Der CBAM kann zwar eine wirksame Handelsmassnahme sein, um importierte CO2-Emissionen zu reduzieren. Sollte die Schweiz das System eines Tages einführen, muss sie jedoch darauf achten, dass sie die ärmsten Länder nicht bestraft. Sie muss ihnen Ausnahmen gewähren und einen erheblichen Teil der erzielten Einnahmen zurückerstatten, um ihnen bei der Energietransition zu helfen.

 

Die Treibhausgasemissionen, die durch die Produktion und den Transport von exportierten und importierten Waren und Dienstleistungen entstehen, machen 27% der weltweiten Treibhausgasemissionen aus. Gemäss der OECD stammen diese Emissionen aus sieben Wirtschaftszweigen: Bergbau und Energiegewinnung, Textilien und Leder, nichtmetallische Chemikalien und Bergbauerzeugnisse, Grundmetalle, elektronische und elektrische Erzeugnisse, Maschinen, Fahrzeuge und Halbleiter.

Es ist unbestritten, dass sowohl auf Seiten des Handels wie auch der Produktion Handlungsbedarf besteht – auf der Produktionsseite beispielsweise durch die Förderung grüner Technologien, Technologietransfer und Klimafinanzierung, auf der Handelsseite durch Massnahmen wie den CBAM. Dessen Einführung darf jedoch die LDCs nicht benachteiligen; diese müssen dabei unterstützt werden, die ökologische Transition zu stemmen und sich an neue Standards anzupassen.

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Welthandel

Grüner Kolonialismus oder Entwicklungschance?

21.06.2024, Handel und Investitionen

Mit einer Verordnung wird die Einfuhr jener sieben Produkte in die EU verboten, die den grössten Anteil an der globalen Abholzung haben. Es muss sichergestellt werden, dass den Kleinproduzent:innen des Globalen Südens keine Nachteile erwachsen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Grüner Kolonialismus oder Entwicklungschance?

Ein einziger grüner Baum in den Hügeln der verbrannten und abgeholzten Landschaft in der Nähe von Mae Chaem, Nordthailand. © Keystone / EPA / Barbara Walton

Die neue EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten (EU Deforestation Regulation, EUDR) wird am 1. Januar 2025 vollständig in Kraft treten. Die sieben Rohstoffe, die den grössten Anteil an der weltweiten Abholzung haben – Kakao, Kaffee, Palmöl, Gummi, Soja, Holz, Rindfleisch – sowie daraus erzeugte Produkte wie Schokolade, Kaffeekapseln, Möbel, Papier oder Autoreifen – dürfen nur dann in die Europäische Union (EU) importiert werden, wenn nachgewiesen wird, dass sie von Anbauflächen stammen, die nach dem 1. Januar 2020 nicht abgeholzt wurden. Weiter muss belegt werden, dass die Rechte der Arbeitnehmer:innen, Antikorruptionsstandards und die Rechte indigener Gemeinschaften nicht verletzt wurden.

Je nachdem, wie hoch das Entwaldungsrisiko ist, werden die Produktionsländer in drei Kategorien eingeteilt und die Produktionsstandorte mit ausgeklügelten technologischen Mitteln wie Geolokalisierung überwacht. Die Verordnung ist Teil des europäischen «Green Deals», der auf einer unumstösslichen Feststellung basiert: Die EU-27 sind nach China die grössten Importeure von Produkten, die zur Entwaldung beitragen. Die Sorgfaltspflicht (also die Pflicht zu garantieren, dass nicht abgeholzt wurde) obliegt sämtlichen Akteuren der Wertschöpfungskette – Produzent:innen, Exporteuren und Importeuren, unabhängig von ihrer Grösse. Je nach Grösse werden jedoch mehr oder weniger strenge Auflagen zur Anwendung kommen.

Laut einer Studie von Krungsri Research View, einem Forschungsinstitut der fünftgrössten Bank Thailands, ist Deutschland von der EUDR am meisten betroffen – es exportiert vor allem Holz, Kautschuk, Rindfleisch und Kakao. Gleich danach folgt China mit seinem Holz- und Kautschuckexport. Unter den Ländern im Globalen Süden stark betroffen sind Brasilien (Kaffee, Soja, Palmöl), Indonesien (Palmöl), Malaysia (Palmöl), Argentinien (Soja, Palmöl, Rindfleisch), Vietnam (Kaffee) und die Elfenbeinküste (Kakao), Thailand (Kautschuk) sowie Guatemala (Palmöl und Kaffee).

Die NGO Fern (Forests and the European Union Resource Network) geht davon aus, dass auch Honduras, Ghana und Kamerun, die besonders von Exporten in die EU abhängig sind, von der Verordnung betroffen sein dürften.

Globaler Süden gegen die EUDR

Die Länder des Globalen Südens kritisieren die Initiative scharf; sie sehen darin versteckten Protektionismus und einen neuen grünen Kolonialismus. Im September 2023 schickten 17 Regierungschef:innen aus Lateinamerika, Afrika und Asien einen Brief an die jeweiligen Präsidierenden der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des Ministerrats. Darin bedauerten sie den «one-size-fits-all»-Ansatz der EUDR und das mangelnde Verständnis für lokale Besonderheiten.

Tatsächlich werden es vor allem kleine Landwirtschafts- und Produktionsbetriebe schwer haben, der Verordnung zu entsprechen, auch wenn es – abgesehen von einigen Kaffee- und Kakao-Produzent:innen – vor allem die grossen Hersteller und Exporteure schaffen, ihre Produkte auf den europäischen Märkten zu platzieren.

Die negativen Auswirkungen dieser Initiative haben denn auch nicht lange auf sich warten lassen. Wie das International Institute for Environment and Development betont, sind die europäischen Importeure bereits dabei, von äthiopischem Kaffee auf Kaffee aus Brasilien umzusteigen, der sich leichter zurückverfolgen lässt.

In ihrem Handels- und Entwicklungsbericht von 2023 äusserte sich die UNO-Handels- und Entwicklungsorganisation (ehemals UNCTAD) besorgt über die Häufung unilateraler Initiativen wie EUDR und CBAM (die CO2-Ausgleichsabgabe, die von der EU auch auf hochgradig umweltschädliche Produkte wie Aluminium erhoben wird). Sie ist der Ansicht, dass diese Richtlinien gegen den im Pariser Klimaabkommen verankerten Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung verstossen.

Das Beispiel Thailand

Krungsri Research View hat sich besonders mit dem Fall Thailand befasst, der die Ambivalenz der EUDR aufzeigt. Die unter die EUDR fallenden Produkte machen zwar nur 8,3% der Exporte in die EU und 0,7% aller thailändischen Exporte aus, doch ihr Wert ist im Steigen begriffen.

Den Produzenten und Exporteuren von Kautschuk, Holz und Palmöl werden aufgrund der Anpassung an die neuen Vorschriften erhebliche Kosten entstehen; kleine Produzent:innen werden ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren und Thailand läuft Gefahr, aus den globalen Wertschöpfungsketten ausgeschlossen zu werden.

Wenn der Prozess jedoch angemessen begleitet wird, sowohl seitens der Regierung als auch durch die im Rahmen der EUDR vorgesehenen Unterstützungsmassnahmen, kann Thailand gegenüber seinen Konkurrent:innen an Wettbewerbsfähigkeit zulegen und gleichzeitig seine Wälder erhalten.

Auswirkungen auf die Schweiz

Was bedeutet das für die Schweiz? Sie ist indirekt von der neuen Bestimmung betroffen, da jeder Export der sieben genannten Produkte in die EU die Anforderungen der EUDR erfüllen muss. Weiter steht die Schweiz laut Krungsri, was die Auswirkungen betrifft, gar an 17. Stelle, wobei Kakao und insbesondere Kaffee betroffen sind.

Bisher hält der Bundesrat daran fest, das Schweizer Recht nicht an die EUDR anzupassen, solange eine gegenseitige Anerkennung mit der EU nicht möglich ist. Damit soll doppelter Aufwand für die Schweizer Unternehmen vermieden werden. Bis im Sommer soll eine Folgenabschätzung durchgeführt und dann eine Entscheidung getroffen werden.

Auch die Zivilgesellschaft setzt sich mit dem Thema auseinander. Alliance Sud beteiligt sich an einer Arbeitsgruppe, die analysiert, ob und wie die EUDR für die Schweiz angepasst werden könnte, ohne dass den Kleinproduzent:innen in den Ländern des Globalen Südens Nachteile erwachsen. Gegebenenfalls sind flankierende Massnahmen und Schulungen sowie eine Konsultation der lokalen Gemeinschaften notwendig. Es muss verhindert werden, dass der Kampf gegen den Klimawandel auf Kosten des Entwicklungspotenzials des Welthandels geht.

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