Medienmitteilung

Aussenwirtschaftspolitik: Strategie ohne Grundlage

01.02.2022, Handel und Investitionen

Public Eye und Alliance Sud begrüssen die gestrige Anhörung zur neuen Aussenwirtschaftsstrategie in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N), kritisieren aber deren ungenügende Rechtsgrundlage.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch
Aussenwirtschaftspolitik: Strategie ohne Grundlage

© Parlamentsdienste 3003 Bern

Public Eye und Alliance Sud begrüssen die gestrige Anhörung zur neuen Aussenwirtschaftsstrategie in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N), kritisieren aber deren ungenügende Rechtsgrundlage. Sie fordern ein griffiges Aussenwirtschaftsgesetz um diesen für Menschenrechte und Umwelt höchst relevanten Politikbereich auf eine solide Basis zu stellen.

An ihrer Sitzung hat sich die APK-N mit der bundesrätlichen Aussenwirtschaftsstrategie befasst. Die Überprüfung der Strategie hat sich laut Bundesrat Parmelin wegen der «tiefgreifenden Veränderungen» in der Welt aufgedrängt. Public Eye und Alliance Sud begrüssen diese Neuausrichtung, auch weil die neue Strategie ihre langjährige Forderung nach mehr Transparenz und Mitsprache in der Aussenwirtschaftspolitik aufnimmt. Enttäuschend ist hingegen ihre Beschränkung auf die Förderung des Schweizer Wohlstands und damit die eigenen Wirtschaftsinteressen. Dabei wird u.a. auf Artikel 54 der Bundesverfassung verwiesen. Dieser Artikel beinhaltet aber auch die Achtung der Menschenrechte und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.

Die Hauptkritik der beiden Organisationen betrifft aber die fehlende gesetzliche Grundlage der Strategie. Denn das aus dem Jahr 1982 stammende Bundesgesetz über aussenwirtschaftliche Massnahmen dient einzig dem Schutz der Schweizer Wirtschaft und bietet daher keinen rechtlichen Rahmen für die in der Strategie in Aussicht gestellte «nachhaltige Aussenwirtschaftspolitik». Zudem gibt die Bundesverfassung, auf welche sich die neue Strategie abstützt, in der Aussenpolitik wenig inhaltliche Orientierung. Daher braucht es dringend eine Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Grundlagen in Form eines Aussenwirtschaftsgesetzes, wie es Public Eye und Alliance Sud wiederholt gefordert haben, zuletzt anlässlich der Kontroversen um mutmasslich aus Zwangsarbeit stammende Importprodukte aus der chinesischen Region Xinjiang.

Das notwendige Gesetz muss Grundsätze, Ziele und Prioritäten der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik und besonders des Aussenhandels festlegen. Denn wie das knappe Resultat der Abstimmung zum Indonesien-Abkommen gezeigt hat, steht der Souverän bilateralen Handelsabkommen, die Menschenrechte und Umweltfragen zu wenig berücksichtigen, zunehmend kritisch gegenüber. Zudem muss ein Aussenwirtschaftsgesetz die Mitwirkungsverfahren definieren, um die in der Strategie in Aussicht gestellte «partizipative Aussenwirtschaftspolitik» auf eine solide Rechtsgrundlage zu stellen, damit die demokratische Legitimation der Handelspolitik künftig kein Lippenbekenntnis bleibt.

Weitere Informationen bei:
Thomas Braunschweig, Public Eye, +4144 277 79 11, thomas.braunschweig@publiceye.ch
Isolda Agazzi, Alliance Sud, +4121 612 00 97, isolda.agazzi@alliancesud.ch

Artikel

Handel und Klima: Bemühungen oder Greenwashing?

29.09.2023, Handel und Investitionen

Seit der Wahl Lulas zum brasilianischen Präsidenten wird das Freihandelsabkommen der EFTA mit dem Mercosur wieder zum Thema – doch die Klimaversprechen könnten sich als Greenwashing entpuppen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Handel und Klima: Bemühungen oder Greenwashing?

Ein Holzfäller nicht weit entfernt von indigenem Land im Amazonaswald im Bundesstaat Rondonia, Brasilien.
© Lynsey Addario/Getty Images

Nach vier Jahren Stillstand könnte das Abkommen zwischen den Ländern der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), der auch die Schweiz angehört, aus dem Dornröschenschlaf erwachen. Im August 2019 abgeschlossen, jedoch weder unterzeichnet, veröffentlicht noch ratifiziert – offiziell aufgrund einer sich in die Länge ziehenden rechtlichen Prüfung und der Pandemie, die Treffen in Präsenz verhinderte – könnte es nach dem Besuch von Bundesrat Guy Parmelin Anfang Juli in Brasilien nun wiederbelebt worden sein. Tatsächlich haben sich die Bedingungen vor Ort geändert: Während die EFTA-Staaten mit einem Klimaskeptiker wie Jair Bolsonaro kaum verhandeln konnten, ist dies nach der Wahl von Inácio Lula Da Silva zum brasilianischen Präsidenten wieder zu einer reellen Option geworden. Im Westschweizer Radio gab sich der Wirtschaftsminister optimistisch: «Es gibt ermutigende Signale. Die Abholzung ist im letzten Jahr um ein Drittel zurückgegangen. Lula hat sich nicht nur verpflichtet, die Entwaldung zu stoppen, sondern auch Massnahmen zu ergreifen, um den Amazonas-Regenwald wieder aufzuforsten», so Parmelin.

Zurzeit aktualisieren die Unterhändler das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung, um es dem höheren Standard des Nachhaltigkeitskapitels der Europäischen Union (EU) anzupassen.  Letztere ist parallel zur EFTA mit dem Mercosur in Verhandlungen. Nach einem zwanzig Jahre dauernden mühseligen Prozess konnte 2019 zwar eine Einigung erzielt werden, seither lag das Abkommen aber ebenfalls auf Eis.

Die europäische Entwaldungsverordnung

Am 30. Juni, eine Woche vor Guy Parmelins Besuch in Lateinamerika, trat in der EU eine neue Verordnung in Kraft, die den Import von Rohstoffen verbietet, deren Produktion die Abholzung von Wäldern vorantreibt; dazu gehören Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Palmöl, Sojabohnen, Holz, Gummi, Kohle und Papierprodukte. Importeure müssen nachweisen, dass die Produkte am Ursprungsort nicht nach dem 1. Januar 2021 auf abgeholzten Anbauflächen erzeugt wurden, wobei die Produktionsländer in drei Kategorien eingeteilt werden, die einer relativ strengen Sorgfaltspflicht unterstellt sind. Zur Kontrolle ist gar der Einsatz von Drohnen und Satellitenbildern vorgesehen.

Bedeutet dies nun, dass das EU-Abkommen mit dem Mercosur punkto Klimaschutz akzeptabel ist? – «Nein», antwortet Pierre-Jean Sol Brasier von der Brüsseler NGO Fern, ohne zu zögern. Die Organisation hat ein umfassendes Dokument zu diesem Thema verfasst und – gemeinsam mit 50 anderen NGOs – einen offenen Brief publiziert. Die NGOs kritisieren, dass die neue Verordnung nur Wälder (im Fall von Mercosur das Amazonasgebiet), nicht aber andere Ökosysteme wie die Savannen des Cerrado, wo der Sojaanbau bereits zum Verschwinden der Hälfte der Vegetation geführt hat, und des Chaco einschliesst, was das Problem lediglich verlagern wird; sensible Produkte wie Zucker, Bioethanol, Mais und Hühnerfleisch seien nicht abdeckt, was die Produktion von Bioethanol und Zuckerrohr fördern könnte; ebensowenig Finanzdienstleistungen von Banken und Versicherungen, welche die Abholzung finanzieren. Ausserdem könnten die Länder eine politische Einigung erzielen, die das Kategorisierungssystem der neuen Verordnung schwächt. «Die laufenden Verhandlungen mit dem Mercosur könnten die neue Entwaldungsverordnung untergraben, die trotz ihrer Schwächen einen grossen Schritt nach vorne darstellt», bedauert Pierre-Jean Sol Brasier.

Aber wollte Lula nicht die Abholzung stoppen und das Amazonasgebiet wieder aufforsten? – «Er versucht es mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln», räumt der Umweltaktivist ein. «Doch er hat leider keine Mehrheit im Kongress insbesondere nicht in der Abgeordnetenkammer, wo der Bolsonarismus noch sehr stark vertreten ist. Diese fährt gerade eine gesetzgeberische Offensive gegen indigene Gemeinschaften und Wälder – mit potenziell verheerenden Folgen».

Klimapolitischer Unsinn

Auch aus klimapolitischer Sicht könnte sich das Freihandelsabkommen EFTA-Mercosur als Fehlschlag erweisen. Obwohl der Text erst zum Zeitpunkt der Unterzeichnung bekannt sein wird, schätzt die Organisation GRAIN, dass das Abkommen allein im Agrarhandel zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen um 15% führen würde. Diese Berechnung umfasst den Handel mit den zehn klimaintensivsten Produkten – Rindfleisch, Lamm und Geflügel, Mais, Soja, Hartweizen, Olivenöl und Milchpulver –, die in die EFTA-Länder importiert werden, sowie die Käseexporte der Schweiz und Norwegens in die Mercosur-Länder.

Das erstaunt nicht wirklich, wenn man bedenkt, dass laut Weltbank ein Viertel der CO2-Emissionen auf den internationalen Handel mit Waren und Dienstleistungen zurückzuführen ist. Obwohl Anstrengungen unternommen wurden, um diese Effekte abzufedern, schätzt die WTO, dass nur 64 der 349 notifizierten regionalen Handelsabkommen klimarelevante Bestimmungen enthalten und dass diese weniger umfangreich und detailliert sind als andere Umweltaspekte (z. B. Biodiversität). Die gängigsten Bestimmungen definieren die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an den Klimawandel als einen Bereich der Zusammenarbeit. Viel ist das nicht.

Gefahr von Greenwashing

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) setzt der lautstarken Kritik entgegen, dass ein griffiges Kapitel über nachhaltige Entwicklung in Planung sei. Nur: Es wird nicht durchsetzbar sein, allfällige Verstösse werden keine Sanktionen nach sich ziehen. Was die Bestimmungen zum Klimawandel im engeren Sinne betrifft, so bleibt die Entwicklung abzuwarten. In den Schweizer Freihandelsabkommen verpflichten sich die Parteien im Normalfall dazu, die Vorgaben aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen und den Übergang zu einer Wirtschaft mit geringem Kohlenstoffausstoss zu fördern. Das ist mager.

Die Schweiz hätte sich am Freihandelsabkommen mit Indonesien orientieren und einen PPM-Ansatz (Process and Production Method) für sensible Produkte vorschlagen, d. h. Zollkonzessionen nur für nachhaltig produzierte Produkte gewähren können. Dies wäre in der Umsetzung zwar schwieriger als bei Palmöl, für das es internationale Standards gibt, aber die Entwicklung weiterer Standards unter Mitwirkung aller Beteiligten wäre im Bereich des Machbaren gelegen.  

Auch wenn der Text des Abkommens noch nicht vorliegt: Auf den ersten Blick deutet einiges darauf hin, dass die Bemühungen zur Bekämpfung der Klimakrise sich als Greenwashing herausstellen werden.

Artikel

Glencore klagt wegen Cerrejón-Mine gegen Kolumbien

22.03.2022, Handel und Investitionen

Kaum ist die Ankündigung verhallt, aus den fossilen Energien aussteigen zu wollen, ist Glencore zum alleinigen Eigentümer des grössten Kohletagebaus in Lateinamerika geworden. Er zieht sogar gegen den kolumbianischen Staat vor Gericht.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Glencore klagt wegen Cerrejón-Mine gegen Kolumbien

Der Arroyo Bruno, ein Nebenarm eines sehr wichtigen Flusses in La Guajira, wurde zur Intensivierung der Kohleförderung im Steinbruch La Puente umgeleitet.
© Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo (CAJAR)

Am 11. Januar gab Glencore, der weltweit grösste Exporteur von Kraftwerkskohle, den Kauf der Anteile von BHP und Anglo American an «Carbones del Cerrejón» bekannt, dem grössten Kohletagebau Lateinamerikas und einem der grössten der Welt. Der Rohstoffmulti aus der Schweiz machte ein Schnäppchen: Dank der gestiegenen Nachfrage und dem entsprechend hohen Kohlepreis wurde Glencore für nur 101 Millionen USD zum alleinigen Eigentümer von Carbones del Cerrejón. Die beiden anderen Unternehmen verkauften ihre Anteile auf Druck ihres Aktionariats, das sie dazu drängte, zur Bekämpfung der Klimakrise aus der umweltschädlichsten fossilen Energie auszusteigen. Glencore hingegen hat diesbezüglich keinerlei Skrupel, obwohl das Unternehmen sich verpflichtet hat, seinen Gesamtfussabdruck bis 2026 um 15%, bis 2035 um 50% und bis 2050 auf einen Betrieb mit Nullemissionen zu reduzieren.

«Die Cerrejón-Kohlemine ist schon seit so vielen Jahren in Betrieb – der Abbau begann 1985 –, dass der Machtmissbrauch und die Asymmetrie zwischen den Eigentümern, den Gemeinschaften und dem Staat umfassend dokumentiert sind. Insbesondere wurden schwere Menschenrechtsverletzungen an afro-indigenen Gemeinschaften begangen, allen voran den Wayúu», erklärt Rosa María Mateus von CAJAR, einem kolumbianischen Anwaltskollektiv, das sich seit vierzig Jahren für die Menschenrechte einsetzt.  

«Carbones del Cerrejón wurde bereits in mehr als sieben Gerichtsverfahren verurteilt», fährt sie fort. «Die Sanktionen wurden jedoch nie vollstreckt, da das Unternehmen von der extremen Armut in diesen Gemeinschaften profitiert. La Guajira, wo sich die Mine befindet, ist das zweitkorrupteste Departament Kolumbiens. Die Kinder verhungern und verdursten; das Unternehmen nutzt die Situation aus und offeriert Entschädigungszahlungen, die in den Augen der Gemeinschaften ein Hohn sind. Wir müssen das Wirtschaftsmodell ändern und aus der Kohle aussteigen, um die Klimakrise zu bewältigen, unter der die Menschen in La Guajira am meisten leiden.»

Umleitung des Arroyo Bruno vom Verfassungsgericht als unzulässig erklärt

Eines der erwähnten Urteile betrifft den Arroyo Bruno, einen Nebenarm eines sehr wichtigen Flusses in La Guajira, der zur Intensivierung der Kohleförderung im Steinbruch La Puente umgeleitet wurde. Dieser Fluss ist von tropischem Trockenwald umgeben, einem stark bedrohten Ökosystem. 2017 entschied das kolumbianische Verfassungsgericht, dass bei der Genehmigung des intensivierten Kohleabbaus gewichtige soziale und ökologische Auswirkungen auf die Rechte der lokalen Gemeinschaften nicht berücksichtigt worden waren. Eine wesentliche Rolle spielte dabei, dass die unter akutem Wassermangel leidende Region besonders für den Klimawandel anfällig ist.

Das Gericht ordnete das Einstellen der Arbeiten und eine neue Folgenabschätzung an, damit die Vereinbarkeit des intensivierten Tagebaus mit dem Schutz der Rechte der Gemeinschaften beurteilt werden kann. Als Vergeltungsmassnahme verklagte Glencore Kolumbien vor dem ICSID, dem Schiedsgericht der Weltbank, und berief sich dabei auf die Nichteinhaltung des Investitionsschutzabkommens zwischen Kolumbien und der Schweiz. In seiner Klage macht der multinationale Konzern geltend, dass die Entscheidung des kolumbianischen Gerichts über den Flusslauf des Arroyo Bruno, die eine Ausweitung des Bergbaus verhinderte, eine «unvernünftige, inkohärente und diskriminierende Massnahme» sei. Bisher wurde eine Schiedsperson ernannt; mehr ist jedoch heute noch nicht bekannt, auch nicht bezüglich der von Glencore geforderten Entschädigungszahlung.

«Es ist unverschämt, dass sie für den Schaden, den sie selbst verursacht haben, entschädigt werden wollen», empört sich Rosa María Mateus. «Der Konzern behauptet, eine umweltfreundliche Politik zu verfolgen und Bäume zu pflanzen; wie wir feststellen mussten, ist das alles gelogen. Es hält sich nicht an die Umweltstandards und schafft es nicht einmal, auch nur ein Mindestmass der verursachten Schäden zu beheben. Wir konnten die Verschmutzung von Wasser und Luft und die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung nachweisen. Das sind sehr schwerwiegende Verstösse, zumal in Europa von Dekarbonisierung gesprochen wird und davon, die Kohle im Boden zu lassen.»

Mögliche Einsetzung eines Amicus Curiae

Was kann CAJAR also tun? Rosa María Mateus gibt zu, dass die Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind. Die einzige Option nennt sich Amicus Curiae und ist eine schriftliche Eingabe, die der Stimme der Gemeinschaften Gehör verschaffen kann; allerdings muss sie vom Gericht genehmigt werden. Laut Mateus bietet das Gericht jedoch keine Garantien für die Opfer, da es sich um eine Art Privatjustiz handle, die zum Schutz grosser Unternehmen geschaffen wurde.  

«Wir werden es dennoch versuchen und haben gerade damit begonnen, die Argumente der Gemeinschaften zu sammeln. Anschliessend wollen wir das Amicus Curiae an befreundete Organisationen wie Alliance Sud weiterleiten, damit diese uns helfen, die Situation publik zu machen. Unternehmen haben eine grosse Medienmacht; es sind ihre eigenen Wahrheiten, die veröffentlicht werden, nicht die Tragödien der Opfer. Glencore hat in Kolumbien im grossen Stil Rohstoffe abgebaut, obwohl die Wirtschaft des Landes sehr schwach ist. Das Unternehmen stellt eine Bedrohung für die Souveränität des Staates und vor allem für die Gerichte dar, deren Zuständigkeit es anzweifelt und damit koloniale Praktiken wiederaufleben lässt.»

Dritte Klage von Glencore gegen Kolumbien
Kolumbien ist laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) mit einer Flut von 17 Klagen konfrontiert, wobei die letzte Klage von Glencore nicht einmal mitgezählt ist. Der Schweizer Konzern hatte 2016 erstmals einen Vertrag über die Kohlemine Prodeco angefochten und erhielt 19 Millionen USD an Entschädigungszahlungen.  

Solche Klagen werden von einem Gericht beurteilt, das aus drei Schiedspersonen besteht, wovon eine vom ausländischen multinationalen Unternehmen, eine vom angeklagten Land und die dritte von beiden Parteien ernannt werden. Die Gerichte können Amicus Curiae zulassen, d.h. meist schriftliche Eingaben, die in der Regel die Ansichten der betroffenen Gemeinschaften darlegen und von NGOs eingereicht werden. Bisher wurden 85 Amicus-Curiae-Anträge eingereicht, von denen 56 zugelassen wurden. Das Investitionsschutzabkommen mit Kolumbien, auf das sich die Klage von Glencore stützt, sieht die Möglichkeit eines Amicus Curiae nicht vor. Das Abkommen wird neu verhandelt und Alliance Sud fordert, die Möglichkeit des Amicus Curiae ins neue Abkommen aufzunehmen, obwohl dies für das hängige Verfahren keine Relevanz hat.

Anwältin Rosa María Mateus wird Ende April / Anfangs Mai in der Schweiz sein, um über diesen Fall zu berichten.

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© Rosa María Mateus
«Die Kinder verhungern und verdursten; das Unternehmen nutzt die Situation aus und offeriert Entschädigungszahlungen, die in den Augen der Gemeinschaften ein Hohn sind. Wir müssen das Wirtschaftsmodell ändern und aus der Kohle aussteigen, um die Klimakrise zu bewältigen, unter der die Menschen in La Guajira am meisten leiden.»

Medienmitteilung

Schweiz blockiert Lockerung des Patentschutzes

10.06.2022, Handel und Investitionen

Die Welthandelsorganisation (WTO) steuert bei der Bewältigung der Corona-Krise auf einen grossen politischen Misserfolg zu. Zum Auftakt ihrer 12. Ministerkonferenz am Sonntag können sich die Mitgliedstaaten offenbar nicht auf die Forderung Indiens und Südafrikas einigen, die geistigen Eigentumsrechte auf Impfstoffe, Tests und Medikamente gegen Covid-19 auszusetzen. Durch ihre systematische Blockadepolitik steht die Schweiz an vorderster Front dieses multilateralen Versagens, das keine kohärente Lösung für einen gerechten Zugang zu Mitteln zur Bekämpfung von Gesundheitskrisen bietet.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch
Schweiz blockiert Lockerung des Patentschutzes

© Patrick Gilliéron Lopreno

Die Welthandelsorganisation (WTO) steuert bei der Bewältigung der Corona-Krise auf einen grossen politischen Misserfolg zu. Zum Auftakt ihrer 12. Ministerkonferenz am Sonntag können sich die Mitgliedstaaten offenbar nicht auf die Forderung Indiens und Südafrikas einigen, die geistigen Eigentumsrechte auf Impfstoffe, Tests und Medikamente gegen Covid-19 auszusetzen. Durch ihre systematische Blockadepolitik steht die Schweiz an vorderster Front dieses multilateralen Versagens, das keine kohärente Lösung für einen gerechten Zugang zu Mitteln zur Bekämpfung von Gesundheitskrisen bietet.

Nächste Woche wird in Genf die Glaubwürdigkeit der WTO und ihrer Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala auf dem Prüfstand stehen. Auf der Tagesordnung der 12. Ministerkonferenz (MC12) vom 12. bis 15. Juni steht unter anderem die TRIPS-Ausnahmeregelung («TRIPS Waiver»), benannt nach dem von Indien und Südafrika im Oktober 2020 gestellten Antrag auf vorübergehende Suspendierung der Rechte an geistigem Eigentum für die Herstellung und Vermarktung von Impfstoffen, Tests und Medikamenten während Covid-19. Dieser Antrag wurde von rund 100 Ländern sowie zahlreichen internationalen Organisationen und Persönlichkeiten unterstützt, doch die Staaten, in denen grosse Pharmaunternehmen ansässig sind, darunter die Schweiz, haben ihn systematisch blockiert.

Sollte die MC12-Konferenz am Schluss doch noch eine Einigung erzielen, wird sie angesichts der letzten veröffentlichten Texte weit von einer allgemeinen Suspendierung der Rechte an geistigem Eigentum entfernt sein. Die Einigung wird höchstens auf bereits existierende Instrumente zurückgreifen, wie die Zwangslizenz, die es einem Staat ermöglicht, die Vermarktung von Generika trotz eines Patents zu erlauben. Dagegen sind andere Exklusivrechte, wie Geschäftsgeheimnisse oder der Schutz von Zulassungsdaten, nachweislich hinderlich für einen fairen Zugang und Technologietransfer. Gegen sie kann auch eine Zwangslizenz nichts ausrichten. Darüber hinaus müsste man Produkt für Produkt und Land für Land vorgehen, ganz zu schweigen vom diplomatischen und kommerziellen Druck, der mit solchen Schritten systematisch einhergeht. Das einzige Zugeständnis auf derselben Ebene wie eine Ausnahmeregelung ist die Möglichkeit für ein berechtigtes Land, einen unter Zwangslizenz hergestellten Impfstoff wieder zu exportieren, allerdings nur in sehr begrenztem Umfang.

Dieser Text wird als «Kompromiss» zwischen den Mitgliedstaaten präsentiert, während er diesen in Tat und Wahrheit von den westlichen Ländern einschliesslich der Schweiz aufgezwungen wurde. Solange es bei der MC12 nicht zu einer Kehrtwende kommt, wird er die ungleiche Verteilung der Mittel zur Bekämpfung von Covid-19 nicht antasten. Erstens betrifft er nur Impfstoffe, während der Zugang zu Behandlungen und diagnostischen Tests aufgrund der Exklusivrechte von Pfizer, Roche und Co. ebenso ungleich verteilt ist. Zweitens schliesst er viele Länder aus kommerziellen oder geopolitischen Gründen von der Möglichkeit aus, ihn in Anspruch zu nehmen, obwohl die WTO-Regeln überall und ohne Diskriminierung gelten sollten. Nicht zuletzt baut er neue Hürden für die in Frage kommenden Länder auf, die diesen Mechanismus nutzen wollen, und schafft damit einen gefährlichen Präzedenzfall, der auch die Reaktion auf künftige Pandemien beeinträchtigen wird.

Ein solches Abkommen wirft ein schlechtes Licht auf westliche Länder wie die Schweiz, die von sich behaupten, die Menschenrechte – darunter das Recht auf Gesundheit – zu achten. Als Gastgeberland der MC12, das darüber hinaus seit März dieses Jahres den Vorsitz des obersten Entscheidungsgremiums der WTO innehat, verfügt die Schweiz über die notwendigen Hebel, um das Endergebnis positiv zu beeinflussen. Obwohl sie mit Impfstoffen, Behandlungen und Tests (über-)versorgt ist, zieht sie es vor, den Interessen der Pharmakonzerne den Vorrang zu geben. So können diese weiterhin darüber entscheiden, wer wie viel, wann und zu welchem Preis erhält. Covid-19 hat gezeigt, dass die WTO nicht über geeignete Regeln verfügt, um effizient auf eine globale Gesundheitskrise zu reagieren, und sie hat achtzehn Monate lang nichts unternommen, um solche Instrumente einzuführen.


Für weitere Informationen:

Isolda Agazzi, Fachverantwortliche «Handel und Investitionen» Alliance Sud, isolda.agazzi@alliancesud.ch; Tel.: +41 21 612 00 97
Patrick Durisch, Experte für Gesundheitspolitik, Public Eye, patrick.durisch@publiceye.ch, Tel.: +41 21 620 03 06

Artikel

Trotz Fortschritten noch Luft nach oben

27.09.2022, Handel und Investitionen

Auf den ersten Blick ermöglicht das neue Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Indonesien Regulierungen im Sinne des Gemeinwohls. Es enthält jedoch Bestimmungen, die diese Möglichkeit zunichte machen könnten.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Trotz Fortschritten noch Luft nach oben

Umweltzerstörung auf Konzessionsgebieten des grössten indonesischen Palmöl-Unternehmens in Kapuas Hulu in der Provinz Westkalimantan auf der Insel Borneo.
© AFP PHOTO / ROMEO GACAD

Indonesien hat als eines von wenigen Ländern praktisch all seine Investitionsschutzabkommen (ISA) gekündigt – im Jahr 2016 auch jenes mit der Schweiz. Dies, nachdem sich der Staat mit Schiedsverfahren in Millionenhöhe konfrontiert sah. Bei den Neuverhandlungen stösst Jakarta jedoch auf den Widerstand der Industrieländer, obwohl sein neues Investitionsschutz-Musterabkommen einige übliche Neuerungen gar nicht aufnimmt.

Auch der Bund hat mit Indonesien ein neues Abkommen ausgehandelt, das im Sommer 2022 in die Vernehmlassung ging. «Das neue Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Indonesien enthält wichtige Neuerungen und übernimmt Ansätze, die sich jüngst bewährt haben. Im Vergleich zum letzten Abkommen stellt es zweifellos einen Fortschritt dar, doch von einem 2022 abgeschlossenen Abkommen hätte man in einigen Punkten mehr erwarten dürfen», so Suzy Nikièma, Verantwortliche für nachhaltige Investitionen beim International Institute for Sustainable Development (IISD), einem internationalen Think Tank, der technische Unterstützung und Kooperationsmöglichkeiten bietet, Forschung betreibt und Lösungen für Investitionen im Einklang mit einer nachhaltigen Entwicklung erarbeitet.

Abkommen fördert nachhaltige Entwicklung nicht

Heute herrscht breiter Konsens darüber, dass diese Investitionsschutzabkommen problematisch sind. Doch was ist zu tun? Laut Suzy Nikièma «wurden sie im Kontext der Entkolonialisierung und des Kalten Krieges zum Schutz der Rechte von im Ausland tätigen Investoren ausgearbeitet, zu einer Zeit, in der nachhaltige Entwicklung kein zentrales Anliegen war. Es ist daher unabdingbar, die Rolle, den Mehrwert und den Inhalt dieser bedeutenden Instrumente mit Blick auf die Herausforderungen und Ziele der Gegenwart neu zu überdenken».

Wie auch Josef Ostřanský, Berater für Investitionsrecht und -politik am IISD, feststellt, wird im Abkommen mit der Schweiz der Begriff «Investition» breit ausgelegt; ausserdem wird nicht zwischen umweltbelastenden, kohlenstoffintensiven und emissionsarmen Investitionen unterschieden. Dabei handelt es sich um die grösste Schwäche dieses Abkommens. Tatsächlich besteht keine Möglichkeit, ausländische Unternehmen zu kategorisieren: Somit schützt das Abkommen auch ein Schweizer Bergbauunternehmen, das in Indonesien die Umwelt verschmutzt. Obwohl diese Unterscheidung bislang in kein Abkommen Eingang gefunden hat, könnte die Schweiz hier mit gutem Beispiel vorangehen.  

«InvestorInnen» schärfer definiert, doch mit sehr wenigen Verpflichtungen

Die präzisere Definition des Begriffs «InvestorIn» hilft immerhin bei der Vermeidung von Treaty-Shopping, also den Rückgriff auf ein vorteilhafteres Abkommen, das von einem anderen Land abgeschlossen wurde. Als InvestorIn wird jede natürliche Person definiert, die Staatsangehörige einer Vertragspartei ist, sowie jede juristische Person, die im Land eine substanzielle Wirtschaftstätigkeit ausübt, dort registriert ist und dort einen Sitz hat.

Allerdings unterliegen diese Investoren nur sehr wenigen Verpflichtungen: Nur gerade zwei von 44 Artikeln des Abkommens behandeln die soziale Verantwortung von Unternehmen und die Korruptionsbekämpfung – dies jedoch nur in Form von unverbindlichen Ermahnungen. Weder ein Durchsetzungsmechanismus noch rechtliche Folgen im Falle einer Verletzung sind vorgesehen.

Es wurden Anstrengungen zur Konkretisierung des Grundsatzes der fairen und gleichberechtigten Behandlung, einer Meistbegünstigungsklausel und des Regulierungsrechts unternommen. All dies könnte jedoch durch einen zweifelhaften Artikel (37) zunichte gemacht werden; dieser besagt, dass Investoren sich auf die vorteilhaftere der zwischen den Parteien geltenden Rechtsordnungen berufen können. Es handelt sich dabei um eine der problematischsten Bestimmungen des ISA.

Zwangslizenzklagen vom Umfang der Enteignung ausgenommen

Hingegen begrüsst Alliance Sud die Bestimmung in Anhang A des ISA, wonach Regulierungshandlungen zu Gemeinwohlzielen wie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt keine indirekte Enteignung darstellen und finanzielle Entschädigungen nach sich ziehen können. Allerdings könnte die Wirkung des Anhangs aufgrund des folgenden Zusatzes verpuffen: «Davon ausgenommen sind die seltenen Fälle, in denen die Auswirkungen einer Handlung oder einer Reihe von Handlungen unter Berücksichtigung ihres Zwecks so schwerwiegend sind, dass sie offenkundig unverhältnismässig erscheinen.»

Im Gegensatz dazu ist Art. 7 Abs. 6 zu begrüssen, da er vorsieht, dass die indirekte Enteignung nicht für die Erteilung von Zwangslizenzen gilt, die gemäss dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) erteilt werden. Alliance Sud hat wiederholt den Druck der Schweiz auf Kolumbien, auf die Erteilung einer Zwangslizenz für Glivec (ein von Novartis hergestelltes Anti-Krebsmedikament) zu verzichten, ebenso wie die Drohung von Novartis kritisiert, Kolumbien auf der Grundlage des ISA zwischen den beiden Ländern zu verklagen. Der neue Artikel sollte derartige Klagen verunmöglichen.

ISDS weiterhin vorgesehen

Schliesslich ist eines der Hauptprobleme des neuen Abkommens der nach wie vor vorgesehene Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) durch Schiedsverfahren. Auch liegt keine Verpflichtung vor, nationale Gerichte anzurufen, geschweige denn, im Vorfeld den innerstaatlichen Rechtsweg auszuschöpfen. Die Beteiligung von Drittparteien am Rechtsstreit wie im Falle des amicus curiae (Freund des Gerichts) ist nicht vorgesehen. Die Möglichkeit der Mediation ist zwar eingeplant, bleibt aber fakultativ.

Davon ausgehend hat Alliance Sud zusammen mit Rambod Behboodi, einem Anwalt für internationales Recht, einen Vorschlag zur Stärkung und Förderung von Schlichtung und Mediation bei Handels- und Investitionsklagen erarbeitet. Der Vorschlag, der hauptsächlich mit Blick auf die WTO konzipiert wurde, enthält strukturelle und institutionelle Elemente, die mit einigen Anpassungen auf Investitionsschutzabkommen übertragen werden können.

Es ist durchaus möglich, in einem solchen Abkommen auf den ISDS-Mechanismus zu verzichten. Abas Kinda, Berater für internationales Recht am IISD, hält fest, dass «das neue Musterabkommen Brasiliens den Schwerpunkt auf die zwischenstaatliche Prävention, Mediation und Beilegung von Streitigkeiten legt – ohne ISDS.»

Bericht

Folgenabschätzungen ignorieren Menschenrechte

07.10.2022, Handel und Investitionen

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Methodik zur Messung der Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf die nachhaltige Entwicklung ist in Bezug auf die Menschenrechte sehr mager. Alliance Sud schlägt Wege vor, um den Kurs zu korrigieren.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Folgenabschätzungen ignorieren Menschenrechte

Der Bericht des Bundesrats ist zu sehr auf den Marktzugang fokussiert.
© KEYSTONE/IMAGEBROKER/RAIMUND FRANKEN

Nach jahrelangen Bemühungen beginnen die Versuche von Alliance Sud, den Bundesrat zur Durchführung von Ex-ante-Folgenabschätzungen von Freihandelsabkommen auf die Menschenrechte zu bewegen, Früchte zu tragen. Am 25. Mai 2022 legte dieser endlich den Bericht vor, der im Postulat 19.3011 der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats vom 1. März 2019 gefordert wurde und verlangte, eine Methodik zu erarbeiten, um die Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf die nachhaltige Entwicklung zu bewerten.

Alliance Sud begrüsst die Präsentation dieses Berichts, bedauert aber, dass er in Bezug auf die Menschenrechte sehr mager ausfällt Tatsächlich gibt es Methodologien, um zum Beispiel die Auswirkungen auf die Rechte auf Gesundheit und Ernährung zu messen, wie die Proto-Studie über die Auswirkungen des Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten zeigt, die Alliance Sud in Auftrag gegeben und im Januar 2020 publiziert hatte.

Die Autorin, Caroline Dommen, eine anerkannte Expertin auf diesem Gebiet, wurde nun beauftragt, auch eine Antwort auf den Bericht des Bundesrats zu verfassen. Darin wird insbesondere die übermässige Fokussierung auf den Marktzugang und die mangelnde Anerkennung relevanter Methoden und Kenntnisse bedauert. Ein Mangel an Daten werde als Vorwand genutzt, um nicht zu handeln.

Medienmitteilung

Wenn für den Tausch von Saatgut Gefängnis droht

02.12.2022, Handel und Investitionen

Sieben Schweizer Organisationen haben heute auf dem Bundesplatz in Bern gegen den Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) protestiert. Das UPOV-System kriminalisiert Bäuer:innen auf der ganzen Welt.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch

Als Häftlinge verkleidet haben heute Aktivist:innen diverser Schweizer Organisationen auf dem Bundesplatz protestiert. Sie stehen sinnbildlich für alle Bäuerinnen und Bauern, welche durch die UPOV-Regeln und das patentähnliche geistige Eigentumsrecht auf Saatgut kriminalisiert werden. Die Aktion ist Teil eines weltweiten Protestes gegen UPOV und die Monopolisierung von Saatgut.

Die Aktivist:innen haben dem Parlament die Forderung übergeben, dass die Schweiz in ihren Handelsabkommen künftig auf eine UPOV-Klausel verzichtet. Nationalrat Nicolas Walder hat die Forderung entgegengenommen und wird mit Nationalrätin Christine Badertscher nächste Woche eine parlamentarische Initiative einreichen: Die inakzeptable Forderung nach UPOV soll aus Freihandelsverträgen gestrichen werden. Die Handelspartner sollen die Freiheit behalten, Saatgutgesetze einzuführen, die ihren nationalen Verhältnissen und Anforderungen entsprechen, die bäuerlichen Rechte achten und die Ernährungssouveränität unterstützen.

Die jahrhundertalte Praxis von Bäuerinnen und Bauern, das auf den eigenen Feldern erzeugte Saatgut aufzubewahren, zu vermehren, wiederzuverwenden, zu tauschen oder zu verkaufen, ist ein Grundpfeiler der Ernährungssouveränität. Sie ist für die Ernährungssicherheit in den Ländern des Südens unabdingbar. Das bäuerliche Saatgutsystem garantiert die Versorgung mit Saatgut und ist zentral für die Erhaltung und Weiterentwicklung der Vielfalt unserer Nutzpflanzen. Deshalb ist das Recht auf dessen freie Verwendung auch in der UNO-Deklaration über die Rechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern (UNDROP) und im Internationalen Saatgutvertrag der FAO verankert worden.

Genau dieses Recht wird durch die UPOV-Regeln zu einer kriminellen Handlung: Sie verbietet den Tausch und das Weiterverkaufen von geschütztem Saatgut, das man auf dem eigenen Feld erzeugt hat. Auch die Wiederverwendung ist oft untersagt oder mit Zahlungen verbunden. Ghana, das neueste UPOV-Mitglied, sieht sogar eine Gefängnisstrafe von mindestens 10 Jahren vor. Ein elementares Recht wird zur kriminellen Handlung.

Als Mitglied der EFTA* verpflichtet doe Schweiz in den Handelsabkommen die Partnerländer dazu, die UPOV-Regeln umzusetzen. Dies ist im Falle der EFTA-Staaten geradezu zynisch, da Liechtenstein die UPOV-Regeln gar nicht umsetzt. Norwegen setzt sie in einer abgeschwächten Form um, so dass ihre Bäuerinnen und Bauern mehr Freiheiten haben. Selbst die Schweiz hat die Regeln so interpretiert, dass sie dem UPOV-Standard nicht genügen. Die EFTA verlangt von ihren Handelspartnern somit strengere Gesetze, als sie selbst bereit sind umzusetzen. Das nächste Abkommen, bei dem UPOV wieder auf der Liste steht, ist das geplante Freihandelsabkommen mit Thailand, wo sich Zivilgesellschaft und bäuerliche Organisationen vehement gegen die UPOV-Regeln wehren. Es geht darum, ihr Recht auf Saatgut und somit ihr Recht auf Nahrung zu verteidigen.

* (European Free Trade Association; Mitglieder: Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein)

Mehr Informationen: Schweizer Koalition Recht auf Saatgut

Kontaktpersonen:

Simon Degelo, Verantwortlicher Saatgut und Biodiversität SWISSAID, Tel: +4176 824 00 46, s.degelo@swissaid.ch

Nicolas Walder, Nationalrat Grüne, Tel: +4179 550 05 13, nicolas.walder@parl.ch

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Die Schweiz muss die Energiecharta kündigen

05.12.2022, Handel und Investitionen

Die Energiecharta schützt Unternehmen, die in fossile Energieträger investieren. Immer mehr Länder steigen aus dem Vertrag aus, während die Schweiz weiterhin die Energiewende ausbremst.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Die Schweiz muss die Energiecharta kündigen

Das Nord-Stream-Gasleck in der Ostsee, fotografiert vom Satelliten Pléiades Neo.
© AFP Photo / Airbus DS 2022 / Keystone

2019 klagte die Nord Stream 2 AG gegen den Beschluss der EU zur Änderung einer neuen Gasrichtlinie, wonach für Pipelines, die innerhalb der EU betrieben werden, dieselben Auflagen gelten sollen wie für solche, die in die EU hineinführen. Laut dem Unternehmen verstiessen diese Bestimmungen unter anderem gegen die Gebote der gerechten und billigen Behandlung, der Meistbegünstigung und der indirekten Enteignung, die Bestandteil des Vertrages über die Energiecharta (ECT) sind.

Was ist die Energiecharta?

Der 1998 in Kraft getretene Vertrag über die Energiecharta schützt Investitionen in Energie - auch in fossile Energieträger. Von seinen 53 Vertragsstaaten sind die meisten Industrieländer, darunter die Schweiz und die EU-Staaten; aber auch Länder wie Afghanistan, Jemen, die Mongolei und zentralasiatische Länder sind ihm beigetreten. Er ermöglicht einem Investor aus einem Vertragsstaat, gegen einen anderen Vertragsstaat zu klagen, wenn sich dort die Politik oder die Vorschriften zu Ungunsten des Investors ändern.

Der Energiechartavertrag ist mit grossem Abstand der Vertrag, aufgrund dessen am häufigsten geklagt wird. Die Klagen werden in absoluter Intransparenz von einem aus drei Schiedsrichtern bestehenden Schiedsgericht nach dem Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) und ohne die Verpflichtung, zuvor die innerstaatlichen Gerichte anzurufen, entschieden. Somit haben die grossen Gas-, Öl- und Kohlekonzerne ein mächtiges Instrument in der Hand, um Regierungen vom Übergang zu sauberen Energien abzuhalten.

Zur Erinnerung: Nord Stream 2 hätte Erdgas von Russland nach Deutschland befördern sollen, die Betreibergesellschaft – ein Schweizer Unternehmen – ging jedoch Anfang des Jahres in Konkurs. Sie gehörte zwar dem russischen Staatskonzern Gazprom, hatte aber ihren Sitz in Zug. Die umstrittene Pipeline wurde nie in Betrieb genommen, da Deutschland das Projekt am 22. Februar im Zuge der russischen Invasion in der Ukraine blockiert hatte.

Sechs Klagen von Schweizer InvestorInnen

Von den 43 bekannten Schiedsklagen von Schweizer InvestorInnen basieren sechs auf der Energiecharta: Drei wurden gegen Spanien erhoben. Davon sind zwei noch hängig und eine wurde vom Investor Operafund gewonnen; dieser warf Madrid Reformen im Bereich der erneuerbaren Energien, darunter eine Umsatzsteuer von 7% und eine Kürzung der Subventionen für die Energieerzeuger, vor. Alpiq verlor eine Klage gegen Rumänien und eine weitere gegen Polen ging zu Ungunsten des Schweizer Investors Festorino aus.

Spanien sieht sich mit einer Rekordzahl von 50 Klagen auf der Grundlage des umstrittenen Vertrags konfrontiert. Nach Berechnungen des Transnational Institute belaufen sich die von ausländischen Investoren geforderten Entschädigungen auf mindestens 7 Milliarden Euro. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Spanien, ebenso wie Frankreich, Polen, die Niederlande und Deutschland, beschlossen hat, den Vertrag zu kündigen. Auch Belgien und weitere europäische Länder erwägen derzeit einen Ausstieg. «Ich beobachte die Rückkehr der Kohlenwasserstoffe und der umweltschädlichsten fossilen Energien mit Sorge», wird der französische Präsident Emmanuel Macron in «Le Monde» zitiert. «Der Krieg auf europäischem Boden darf uns nicht unsere Klimaverpflichtungen und unser Bekenntnis zur Senkung der CO2-Emissionen vergessen lassen. Der Rückzug aus diesem Vertrag ist Teil dieser Strategie.»

Nach den jüngsten Zahlen, die das Charta-Sekretariat veröffentlicht hat, wurden 142 Klagen auf der Grundlage dieses Vertrags eingereicht; es könnten jedoch weitaus mehr sein, da für die Staaten keine Notifizierungspflicht besteht. Somit bricht der Vertrag bezüglich eingereichter Klagen alle Rekorde. Deutschland zum Beispiel wurde zweimal wegen seiner Entscheidung zum Atomausstieg verklagt: Im Fall «Vattenfall vs. Germany I» ist die Höhe der von Berlin an das schwedische Unternehmen gezahlten Entschädigung nicht bekannt; im Fall «Vattenfall vs. Germany II» erhielt das schwedische Unternehmen 1.721 Milliarden USD Entschädigung.

Die Schweiz will nicht aussteigen

Die Schweiz ihrerseits wurde bislang noch nie auf der Grundlage des ECT verklagt. Insgesamt richtet sich gegen sie nur eine einzige Schiedsklage, die jedoch nicht auf dem ECT beruht: die eines Investors aus den Seychellen. Sie ist noch hängig.
Erwägt die Schweiz eine Kündigung des Vertrages? «Nein», antwortet Jean-Christophe Füeg, Leiter Internationales des Bundesamtes für Energie, und fügt hinzu: «Die Kritiker des Vertrags übersehen, dass er nur für ausländische Investitionen gilt. Mit anderen Worten: Investitionen im Inland oder aus Nichtvertragsstaaten fallen nicht darunter.»

Die modernisierte Version dieser Charta, die am 9. November vom Bundesrat angenommen wurde, sollte seiner Meinung nach die Anzahl Klagen drastisch reduzieren und den Geltungsbereich des Vertrags einschränken: «Die EU wird nun als eine Vertragspartei zählen, was bedeutet, dass Klagen von InvestorInnen innerhalb der EU nun ausgeschlossen sind», fügt er hinzu. Dadurch wird der ECT zu einem Vertrag zwischen der EU, Grossbritannien, Japan, der Türkei, der Ukraine, Aserbaidschan und der Schweiz; die anderen Parteien haben praktisch keine InvestorInnen. Nun sind aber über 95% der fossilen Investitionen innerhalb der EU entweder EU-interner Natur oder werden von Nichtvertragsparteien getätigt. Dies ermöglicht es z.B. einigen EU-Mitgliedstaaten, munter mit der Förderung von Kohlenwasserstoffen fortzufahren (z.B. Zypern, Rumänien, Griechenland und auch die Niederlande).

«Dem Argument, dass ein Ausstieg für den Klimaschutz grundlegend sei, kann nicht zugestimmt werden, da davon weniger als 5% der fossilen Investitionen betroffen wären. Die restlichen 95% liegen ausserhalb des Einflussbereiches des Vertrags.» Laut Füeg wurde ausserdem eine Umfrage unter Schweizer Investoren mit Anlagen in der EU durchgeführt; die Befragten geben an, dass sie den Rechtsschutz schätzen, den ihnen der ECT gewähre. «Ein Austritt der Schweiz würde ihren Interessen zuwiderlaufen», schlussfolgert er.

Anpassung des Vertrags genügt nicht

Selbst die modernisierte, aber noch immer ungenügende Version der Charta wird allerdings nicht in Kürze in Kraft treten. Obwohl sie von den Vertragsstaaten bei einem Treffen am 22. November in Ulan Bator in der Mongolei hätte angenommen werden sollen, wurde das Traktandum wieder von der Tagesordnung gestrichen, nachdem sich die EU-Mitgliedstaaten nicht einigen konnten.

Alliance Sud fordert einen Austritt der Schweiz aus dem Vertrag, auch wenn die modernisierte Version der Energiecharta eine gewisse Schadensbegrenzung mit sich bringt. Der Vertrag ermöglicht es einem ausländischen Investor, gegen einen Gaststaat aufgrund jeder regulatorischen Änderung – Schliessung eines Kohlekraftwerks, Ausstieg aus der Atomenergie, regulatorische Änderungen bei den erneuerbaren Energien, etc. – zu klagen. Dadurch wird die Energiewende und der Kampf gegen die Klimakrise gebremst. Es ist nicht akzeptabel, dass ausländische Akteure, die in fossile Energieträger investieren, über den nationalen Gesetzen stehen und sich auf eine Privatjustiz berufen können, die ihnen allzu oft Entschädigungen in Millionen- oder gar Milliardenhöhe zuspricht.

Medienmitteilung

Freihandel mit Mercosur: klimapolitischer Unsin

05.05.2021, Handel und Investitionen

Das geplante Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten führt allein beim Agrarhandel zu einem 15 Prozent höheren Ausstoss klimaschädlicher Treibhausgase.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch
Freihandel mit Mercosur: klimapolitischer Unsin

© GRAIN, 2021

Das geplante Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten führt allein beim Agrarhandel zu einem 15 Prozent höheren Ausstoss klimaschädlicher Treibhausgase. Ein neuer Bericht der internationalen Organisation GRAIN weist den zollfreien Import von Fleisch und Futtermitteln als wichtigste Treiber aus.  Die Schweizer Mercosur-Koalition sieht sich in ihrer Kritik an der mangelnden Nachhaltigkeit und den feh-lenden Tierschutzbestimmungen des Abkommens bestätigt.

Freihandelsabkommen haben das Ziel, den Handel zwischen den Partnerländern zu vereinfachen und das Handelsvolumen zu erhöhen. Auch das Mitte 2019 fertig verhandelte Abkommen zwischen den EFTA-Staaten (Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen) und den südamerikanischen Mercosur-Ländern (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) wird unweigerlich eine Ausweitung des Agrarhandels zwischen diesen Ländern zur Folge haben. Dies wiederum führt zu höheren kli-maschädlichen Treibhausgasemissionen, wie ein neuer Bericht der internationalen Organisation GRAIN aufzeigt.

Auf Basis der im Abkommen verhandelten Kontingente für die zollbefreite Einfuhr bestimmter Agrar-produkte hat GRAIN deren klimatischen Fussabdruck errechnet. Als Grundlage verwendete sie Da-ten der Welternährungsorganisation FAO zur Klimawirksamkeit dieser Produkte. Das Resultat: Im Vergleich zum aktuellen Stand wird sich der Ausstoss von Treibhausgasen durch den zunehmenden Agrarhandel um insgesamt 75'500 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr erhöhen. Das sind 15 Prozent mehr als 2019.

Fleisch, Mais und Käse problematisch

Diese Berechnung berücksichtigt den Handel mit den zehn klimawirksamsten Produkten Rind-, Lamm- und Geflügelfleisch, Mais, Soja, Hartweizen, Olivenöl und Milchpulver, die in die EFTA-Länder eingeführt werden, sowie die Ausfuhr von Käse aus der Schweiz und Norwegen in die Mer-cosur-Staaten. Eine vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in Auftrag gegebene Studie des World Trade Institutes vom Juni 2020 hatte für den gesamten Agrar- und Lebensmittelsektor eine Zunahme der CO2-Äquivalente um 200'000 Tonnen kalkuliert. Die GRAIN-Studie hat demgegenüber bloss den Handel mit Agrarprodukten untersucht.

Die Schweizer Mercosur-Koalition hat bereits mehrfach kritisiert, dass das geplante Abkommen ne-gative Auswirkungen sowohl auf die Umwelt- und Menschenrechtssituation in den lateinamerikani-schen Ländern wie auch auf die Landwirtschaft in der Schweiz haben wird. Das Abkommen trägt zur fortschreitenden Vernichtung tropischer Wälder und zum Einsatz von gefährlichen Pestiziden bei, die zum Teil in den EFTA-Staaten selbst verboten sind. Es führt aber auch zu erhöhten Importen von Fleisch, dessen Produktion in keiner Weise die Schweizer Tierschutzstandards erfüllt und den legi-timen Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten widerspricht. Dies ist für die Schweizer Mercosur-Koalition nicht akzeptabel, denn die Handelspolitik darf den klimapolitischen Anstrengun-gen der Schweiz nicht zuwiderlaufen.

Auskünfte: Tina Goethe, Brot für alle, goethe@bfa-ppp.ch; +4176 516 59 57

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Die Schweiz vor Weltbank-Schiedsgericht gezerrt

25.08.2020, Handel und Investitionen

Die Schweiz ist vor der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit nicht gefeit: Zum ersten Mal wurde Klage gegen sie eingereicht. Für Alliance Sud ist dies der überfällige Anlass, die Investitionsschutzabkommen zugunsten der Empfängerländer anzupassen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Die Schweiz vor Weltbank-Schiedsgericht gezerrt

© Isolda Agazzi / Alliance Sud

Eine juristische Person mit Sitz auf den Seychellen kritisiert die Schweiz wegen eines 30 Jahre alten Gesetzes, das den vorübergehenden Wiederverkauf von nicht-landwirtschaftlichen Immobilien verbietet. Bisher waren vor allem Entwicklungsländer das Ziel solcher Beschwerden.

Früher oder später musste es so kommen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist die Schweiz Gegenstand einer Klage vor dem ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes), dem Schiedsgericht der Weltbank, das über Streitigkeiten im Zusammenhang mit Investitionsschutzabkommen entscheidet. Ironischerweise kommt die Klage, welche der Schweiz die Hölle heiss machen will, aus einem tropischen Paradies. Absender ist eine juristische Person mit Sitz auf den Seychellen, die von einem Schweizer Bürger kontrolliert wird. Dieser behauptet, im Namen von drei Italienern zu handeln, die angeblich Verluste erlitten haben aufgrund eines dringenden Bundesbeschlusses von 1989, der den Wiederverkauf von nicht-landwirtschaftlichen Immobilien für fünf Jahre verbietet. Ein Dokument, das so alt ist, dass es nicht einmal mehr auf der Website der Bundesverwaltung zu finden ist. Der Kläger stützt seine Klage auf das schweizerisch-ungarische Investitionsschutzabkommen (ISA) von 1988 und fordert 300 Millionen Franken Entschädigung. Es überrascht nicht, dass die Schweiz das Ganze rundheraus bestreitet.

37 Beschwerden von Schweizer Unternehmen gegen Staaten

So weit hergeholt dieser Fall auch erscheinen mag, zeigt er doch, dass die Schweiz nicht immun ist gegen diesen umstrittenen Mechanismus der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Umstritten, weil er es einem ausländischen Investor erlaubt, eine Klage gegen den Empfängerstaat von Investitionen zu erheben, wenn dieser neue Vorschriften zum Schutz der Umwelt, der Gesundheit, der Arbeitnehmerrechte oder des öffentlichen Interesses erlässt. Eine Klage in umgekehrter Richtung – ein Staat verklagt einen Investor – ist jedoch nicht möglich.

Bislang ist Bern das Kunststück gelungen, solchen Klagen zu entkommen. Umgekehrt wurden von der UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) 37 Beschwerden von Schweizer Unternehmen oder solchen, die sich als das bezeichnen, registriert. Der jüngste Fall betrifft Chevron gegen die Philippinen auf der Grundlage des schweizerisch-philippinischen Investitionsschutzabkommens. Ein Fall, über den fast nichts bekannt ist, abgesehen von der Tatsache, dass er sich um ein Offshore-Gasvorkommen dreht.  Chevron, ein Schweizer Unternehmen? Auf den ersten Blick nicht wirklich, doch der amerikanische Konzern stellte beim Vertrags-Shopping, wie man im Jargon sagt, fest, dass das schweizerisch-philippinische ISA ihren Interessen am besten dient und schaffte es, sich als Schweizer Unternehmen auszugeben. Und dies obwohl Chevron seit Jahrzehnten mit Ekuador in Gerichtsverfahren wegen Verschmutzung des Amazonasgebiets verwickelt ist.

Abschaffung der ISDS

Alliance Sud fordert die Schweiz seit Jahren auf, die Investitionsschutzabkommen mit den Empfängerländern (es gibt 115 ISA, ausschliesslich mit Entwicklungs- bzw. Schwellenländern) anzupassen, um deren Rechte besser zu garantieren. In jüngster Zeit haben Südafrika, Bolivien, Ekuador, Indien, Indonesien und Malta ihre Abkommen mit der Schweiz gekündigt und wollen entweder ausgewogenere Abkommen aushandeln oder ganz darauf verzichten. Das umstrittenste Element ist der Mechanismus der Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS), der vorsieht, dass der Investor einen Richter wählt, der beschuldigte Staat einen anderen und die beiden sich auf einen dritten einigen müssen. Drei Richter können schliesslich einen Staat zur Zahlung einer Entschädigung verurteilen, die sich auf Hunderte von Millionen Dollar belaufen kann. Alliance Sud fordert, das ISDS-System vollständig aufzugeben oder höchstens noch nach Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittel als letztes Mittel einzusetzen.

Staaten sollten die Möglichkeit auf Gegenklage haben

Das Prinzip, dass Investitionsschutzabkommen nur die Rechte ausländischer Investoren schützen, wurde durch das ISDS-Urteil vom Juli 2016 im Fall von Philip Morris gegen Uruguay in Frage gestellt; dieses schützte Uruguays Recht auf Gesundheit und wurde vom Schweizer Zigarettenhersteller rundweg abgelehnt. Ein zweiter Hoffnungsschimmer folgte kurz darauf Ende 2016, als ein Schiedsgericht gegen das spanische Unternehmen Urbaser entschied, das die Wasserversorgung in Buenos Aires verwaltet hatte und nach der argentinischen Finanzkrise von 2001/02 in Konkurs gegangen war. Die Richter hielten fest, dass ein Investor auch die Menschenrechte respektieren müsse. Zum ersten Mal traten sie damit auf eine "Gegenklage" ein, weil das Recht der Bevölkerung auf Wasser verletzt worden sei. Letztlich entschieden sie jedoch, dass Urbaser in der Sache das Recht auf Wasser nicht verletzt habe. Die Gegenklage hatten sie für zulässig gehalten, weil das argentinisch-spanische Investitionsschutzabkommen (ISA) "beiden Parteien" erlaubt, im Streitfall eine Klage einzureichen.

Die Kokospalme schütteln

Genau dies ist leider nicht der Fall bei den schweizerischen ISA, die nur dem Investor die Möglichkeit geben, eine Beschwerde einzureichen und nicht beiden Parteien1. Die Aktualisierung bestehender Abkommen oder die Aushandlung neuer Abkommen ist eine Gelegenheit, diese wichtige Änderung einzuführen. Sie bliebe jedoch bescheiden, denn die erste Klage würde nach wie vor in der Verantwortung des Investors liegen: Opfer von Verstössen gegen das Recht auf Wasser, auf Gesundheit oder Gewerkschaftsrechte gegen ausländische multinationale Unternehmen blieben also weiterhin ausgeschlossen.

Nun, da ein Investor von den Seychellen die Kokospalme geschüttelt hat, hofft Alliance Sud,  dass die Schweiz, unabhängig vom Ausgang dieser Klage, ernsthafte Anstrengungen unternehmen wird, um ihre Investitionsabkommen anzupassen. Wie der skurrile Fall zeigt, liegt kann das eindeutig in ihrem Interesse liegen.

1Siehe z.B. Art. 10.2 des ISA mit Georgien, das jüngste Schweizer ISA.

Dieser Text wurde zuerst auf Isolda Agazzis Blog "Lignes d'horizon" von Le Temps veröffentlicht.