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Meinung
Mikrokredite: Das Banking mit den Armen
16.03.2017, Entwicklungsfinanzierung
Mikrokredite und ihre Institutionen stehen im Ruf eine Erfolgsgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit zu sein. Doch es gibt zahlreiche Schattenseiten.

© PANOS/Petterik Wiggers
von Bruno Stöckli, ehemaliger Mitarbeiter Alliance Sud
In den südlichen Hemisphären war es lange den nationalen Agrar- und Gewerbebanken vorbehalten, die Kleinunternehmen mit Krediten zu versorgen. Ende der 1980er-Jahre kam das Ende dieser als «Durchlaufsysteme für subventionierte Entwicklungskredite» geschaffenen Banken. Miserable Rückzahlungsquoten waren dafür verantwortlich, aber auch die Tatsache, dass die günstigen Krediteon den Eliten abgeschöpft wurden.
Der Zusammenbruch der Kredit-Durchlaufsysteme war die Geburtsstunde der Mikrofinanzinstitutionen (MFI). Gegen 70’000 mit Millionen von Kunden und Kundinnen sollen es heute sein. Drei Erfolgsfaktoren erklären ihre weltweite Verbreitung:
- Dank konsequenter Verbindung des Passiv- und Aktivgeschäfts konnte die Palette von Finanzdienstleistungen den Bedürfnissen der Klientel angepasst und um das Spar- und Versicherungsgeschäft erweitert werden.
- Ihre Kundennähe senkt Transaktionskosten – je näher beim Kunden, umso kleiner die Kosten und Ausfallrisiken eines MFI; und
- Viele MFI investieren in die Selbsthilfebemühungen ihrer Klientel, zum Beispiel im Aufbau von Verkaufsgenossenschaften, ganz nach dem Motto: «Gute Produzenten sind gute Risiken.»
Die Erfolgsstory hat aber auch Schattenseiten. Nicht alle MFI schaffen innerhalb nützlicher Frist den Turnaround zur finanziellen Unabhängigkeit. Viele MFI bleiben abhängig von Entwicklungsagenturen, verbunden mit dem Risiko der Fremdbestimmung.
Aus entwicklungspolitischer Sicht ist die entscheidende Frage heute nicht mehr, ob Kredite armutswirksam sind, sondern welche finanzielle Infrastruktur die Ökonomien der Mittellosen stärkt. Klar, der Kleinkredit ist Bestandteil davon. Nur müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass Geldpumpen die Armutsprobleme vor Ort lösen. Das Wirtschaften in Armut ist vielschichtiger und verlangt ein breites Set an Finanzdienstleistungen. Zudem gilt es, Grenzen und Gefahren zu erkennen.
Für viele MFI sind «soziale Kredite» kein Tabu mehr; auch die Grameen Bank hat damit experimentiert. Entwicklungspolitisch ist diese Entwicklung fragwürdig, nicht nur, weil solche Investitionen keinen Ertrag für die Rückzahlung garantieren. Gesundheitsversorgung und Bildung sind die Kernaufgaben jedes Staates und dürfen nicht an das Mikrofinanzwesen delegiert werden.
Die Mobilisierung interner Ersparnisse ist entwicklungspolitisches Kredo ersten Ranges. Das «social investment» soll helfen, das lokale Investitionskapital zu erhöhen, darf aber nicht dazu führen, die interne Grundlage dazu zu substituieren. Die Mikrokreditfonds müssen sich ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung und Verantwortung bewusst sein.
Die Liste von MFI, die lange erfolgreich gewirtschaftet haben und trotzdem in finanzielle Schieflage geraten sind, ist lang. Verantwortlich sind mitunter externe Investoren und Entwicklungsagenturen, die in grossem Massstab Kreditlinien durch MFI kanalisierten und sie damit operativ überforderten und die Kreditausfallraten hochschnellen liessen.
Im Namen der Entwicklung werden auch Investitionen getätigt, die entwicklungspolitisch mehr als fragwürdig sind. So stecken hinter dem weit verbreiteten Phänomen des «land grabbing» (Landentnahme) auch lokale Eliten. Nur effektive Massnahmen, die eine konsequente Zielgruppenorientierung (targeting) ermöglichen, können dies unterbinden.
Autor Bruno Stöckli ist Agrarökonom und hat in den 80ern zum Thema ländliches Finanzwesen in Afrika promoviert und später verschiedene MFI in Afrika begleitet. Zudem war er 15 Jahre bei Alliance Sud für Themen wie Verschuldung und Zivilgesellschaft verantwortlich.
Dieser Artikel wurde in der KMU Rundschau (Ausgabe 1/2017) publiziert.
Meinung
Widersprüchliche Pläne für und mit Afrika
09.10.2017, Internationale Zusammenarbeit
Die internationale Zusammenarbeit steht immer mehr im Zeichen der Migrationsverhinderung. Auch die Finanzierung von Repressionsapparaten gehört neuerdings dazu. Der neue Aussenminister tut gut daran, diese Entwicklung zu hinterfragen.

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud
Aussenminister Ignazio Cassis kennt das Thema Migration aus eigener Anschauung, er ist der erste Secondo in der Schweizer Regierung und Vertreter eines Grenzkantons. Neu wird er sich jetzt mit dem wenig durchdachten Parlamentsauftrag herumschlagen müssen, dass die internationale Zusammenarbeit strategisch mit der Migrationspolitik zu verknüpfen sei.
Auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten wird die Entwicklungszusammenarbeit zusehends zur Migrationsbekämpfungspolitik umfunktioniert. Mit seinem « Marshall-Plan mit Afrika » will Deutschland auf dem afrikanischen Kontinent für einen massiven Entwicklungsschub sorgen. So weit, so gut. Pikanterweise hiess der Plan aber ursprünglich « Marshall-Plan für Afrika » und war unter Ausschluss der afrikanischen Regierungen und Parlamente entworfen worden. Viele Massnahmen – etwa die Förderung von Kleinbauernfamilien, Programme für gute Regierungsführung oder das Hinwirken auf bessere Umwelt- und Sozialgesetze – gehören längst zum Repertoire der Entwicklungszusammenarbeit, auch der schweizerischen. Gleichzeitig will Deutschland aber auch mehr private Investitionen nach Afrika fliessen lassen.
Der Investitionsförderung dienen letztlich auch die Freihandelsverträge, die seit einiger Zeit unter dem Titel « Europäische Partnerschaftsabkommen» mit afrikanischen Staaten verhandelt werden. Neu sollen afrikanische Länder ihre Binnenmärkte aber eine Zeit lang durch Schutzzölle vor der übermächtigen globalen Konkurrenz schützen dürfen. Der « Marshall-Plan mit Afrika » geht bis zu einem gewissen Grad also auch gegen Fluchtursachen made in Europe vor, wie unfaire Handelsbeziehungen und ungleiche Investitionschancen. Sinnvoll ist auch, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zukünftig Länder bevorzugen soll, die von sich aus den Rechtsstaat stärken und die Korruption bekämpfen.
Nur: Geht es um unmittelbare Migrationsverhinderung, sind die guten Ansätze gleich wieder Makulatur. So knüpfen im Rahmen des sogenannten Khartoum-Prozesses Deutschland und die EU ihre Zusammenarbeit an die Bereitschaft afrikanischer Regierungen, schärfere Grenzkontrollen einzuführen. Hier hofieren sie hochgradig autoritäre Regierungen und unterstützen diese beispielsweise beim Aufbau von Polizeitrainingszentren. Es werden also die Repressionsapparate just jener Diktaturen gestärkt, vor denen die Menschen fliehen.
Umso bedenklicher ist, dass die Schweiz inzwischen Vollmitglied dieses Khartoum-Prozesses ist. Sie zahlt in den Europäischen Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika ETF ein, der im Namen der gesamteuropäischen Migrationsaussenpolitik in Ländern wie dem Sudan oder Eritrea die Sicherheitskräfte und die dem Geheimdienst unterstellte Grenzkontrolle unterstützt. Sieht so also die vom Parlament geforderte Verknüpfung von internationaler Zusammenarbeit und migrationspolitischen Interessen in der Praxis aus ? Es bleibt zu hoffen, dass Bundesrat Cassis erkennt, wie inkohärent eine solche Afrikapolitik ist.
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AIIB: Die neue globale Playerin unter der Lupe
09.10.2017, Internationale Zusammenarbeit
«Die AIIB kann einen wesentlichen Beitrag zur (…) Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung in Asien leisten», begründete der Bundesrat im Herbst 2015 das Engagement der Schweiz bei der AIIB. Zeit für eine Zwischenbilanz. von Corinna Horta, Urgewald e.V.

1. Wie kam es zur Gründung der AIIB?
Die Gründung der AIIB war ein diplomatischer Sieg Pekings. Die USA unter Präsident Obama hatten die europäischen Staaten und Japan gedrängt, der AIIB nicht beizutreten. Aber gerade der engste US-Partner, das Vereinigte Königreich, war der erste europäische Staat, der im März 2015 der AIIB beitrat. Kurz darauf folgten Deutschland, die Schweiz und andere europäische Staaten. Eine einheitliche Position der G7-Staaten war damit zerschlagen. Mittlerweile hat die AIIB 56 Mitgliedsstaaten, und weitere Staaten haben ihre Mitgliedschaft beantragt.
Mit einem Eingangskapital von 100 Milliarden US-Dollar ist die im Januar 2016 auf chinesische Initiative hin gestartete Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank AIIB finanziell eindeutig schwächer als Chinas eigene Finanzinstitutionen. Die China Export-Import Bank etwa vergibt jährlich ein Vielfaches davon an Krediten. Wichtiger ist denn auch der symbolische und geostrategische Wert der AIIB, denn Peking steht damit zum ersten Mal an der Spitze einer multilateralen Finanzinstitution. China kann nun einen Multilateralismus vorantreiben, bei dem Peking die Spielregeln definiert.
Die unzureichende Repräsentation Chinas in den von den westlichen Staaten dominierten Bretton Woods-Institutionen (Internationaler Währungsfonds und Weltbank), sowie von Japan in der Asiatischen Entwicklungsbank, mögen Peking zur Gründung der AIIB veranlasst haben. Ebenso wahrscheinlich ist, dass Peking eine eigene Entwicklungsbank als zielführender für seine Einflussnahme erachtet als einen unilateralen Ansatz, der auf rein wirtschaftlicher Macht beruht.
2. Was ist die Rolle der nicht-regionalen Mitgliedsstaaten?
Die europäischen Staaten begründen ihren Beitritt damit, die Institution von Anfang positiv beeinflussen zu wollen und sich für die besten Umwelt- und Sozialstandards einzusetzen. Inwieweit ihnen das mittel- und langfristig gelingen wird, bleibt abzuwarten. Kurzfristig lässt sich eine Dialogbereitschaft der AIIB mit der internationalen Zivilgesellschaft feststellen, so wie es westliche Regierungen erwarteten. Die mit der AIIB-Imagepflege beauftragte internationale Public Relations Firma Saatchi & Saatchi wird zufrieden sein.
Europäische Mitgliedschaft hat sicher dazu beigetragen, dass die drei großen internationalen Rating Agenturen der AIIB im Sommer 2017 das begehrte Triple A Kredit-Rating zugeteilt haben. Damit steht die AIIB auf der höchsten Ebene der Kreditwürdigkeit, was ihr ermöglicht, zu günstigen Konditionen Gelder auf internationalen Kapitalmärkten aufzunehmen und ihr zukünftiges Kreditvolumen zu erweitern. Das ist insofern bemerkenswert als die Staatsfinanzen der drei grössten Mitgliedstaaten (China, Indien und Russland) alle kein Triple A Rating haben. . Aber wie steht es mit anderen Arten von Risiken, wie Governance und Umwelt- und Sozialauswirkungen, die die Rating-Agenturen auch mit in Betracht ziehen müssen? Da bewegen sie sich auf dünnem Eis, denn die AIIB ist noch nicht lange genug im Geschäft, um darüber ein Bild zu liefern.
Bisher hat die AIIB hauptsächlich an Ko-Finanzierungen von Projekten teilgenommen, bei denen die Standards der führenden Finanzinstitution gelten. Die AIIB-Risiken werden erst mit dem anstehenden Wachstum eines eigenständigen Portfolios zutage treten.
3. Was bedeutet das AIIB-Motto «Lean, Green & Clean»?
Das AIIB stellt sich als eine neue Art von Bank für das 21. Jahrhundert dar, die mit geringem Personalaufwand (lean) umweltfreundliche Projekte (green) finanziert und keine Korruption toleriert (clean). Teil des Schlankseins (lean) besteht darin, keinen Aufsichtsrat mit ständigem Sitz zu haben. Das soll Bürokratie eindämmen, sorgt aber auch dafür, Aufsicht auf Distanz zu halten. In dem 12-köpfigen Board sitzen zwei europäische Vertreter, doch sind die Befugnisse des Boards bis heute nicht klar definiert. So ist unklar, inwieweit der AIIB-Präsident in Zukunft eigenständig Kredite und Politikrichtlinien bewilligen kann.
Die AIIB will ihren Mitarbeiterstab klein halten und die Projektbewilligung schneller vorantreiben als andere Entwicklungsbanken. Aber gerade Investitionen in Infrastruktur führen oft zu Zwangsumsiedlungen und bergen vielfältige Umwelt- und Sozialrisiken. Wie wenige und unter «Effizienzdruck» stehende Mitarbeiter die Qualität der Projekte einschätzen und überwachen sollen, steht offen.
4. Wie sind Klima- und allgemeine Umweltschutzstandards der AIIB zu bewerten?
Im Juni 2017 veröffentlichte die AIIB ihre Klimastrategie. Sie bezieht sich auf das Pariser Abkommen, die Uno-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und die Uno-Initiative Sustainable Engery for All. So begrüssenswert dies und der zumindest vorläufige Ausschluss von Atomenergie ist, so problematisch ist, dass die Finanzierung von Öl- und Kohleprojekten sowie von grossen Staudämmen nicht ausgeschlossen wird. Die AIIB betont dabei, dass sie sich nach den Bedürfnissen ihrer Kreditnehmer richten wird.
Die AIIB-Umwelt- und Sozialstandards sind im Rahmenwerk Environmental & Social Framework (ESF) festgehalten. Das ESF ist flexibel und enthält bedeutende Schlupflöcher. So sollen Kreditnehmer die Auflagen der Bank «auf eine Art und in einem Zeitrahmen, der von der Bank als akzeptabel angesehen wird» erfüllen. Was für die Bank akzeptabel ist, wird dabei nicht ausbuchstabiert. Hinzu kommt, dass das ESF durch die Standards der Kunden ersetzt werden kann – also durch die oft sehr schwachen Umwelt- und Sozialstandards der Länder, die einen Kredit haben möchten.
Zwei zentrale Pfeiler, die zu Klimastrategie und Umweltpolitik gehören müssen, fehlen bisher: Richtlinien für den öffentlichen Zugang zu Projektinformation und für einen Beschwerdemechanismus. Beides sei in Vorbereitung, heisst es. Gerade öffentlicher Zugang zu Information, Rede- und Versammlungsfreiheit sind politisch empfindliche Bereiche in China und vielen Kreditnehmerländern, wo die Aktivitäten von NGOs oft unterdrückt und kriminalisiert werden.
Die AIIB kann nicht als separat von Chinas wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen verstanden werden. Eine enge Begleitung ihrer Aktivitäten seitens der Mitgliedsstaaten und der Zivilgesellschaft ist notwendig.
Autorin Korinna Horta betreut das Dossier internationale Finanzinstitutionen bei der deutschen NGO urgewald e.V.
Die Schweiz und die AIIB
mh. Die Schweiz bildet in der Asiatischen Infrastruktur Investitionsbank AIIB zusammen mit dem Vereinigten Königreich, Polen, Schweden, Norwegen, Dänemark und Island eine Stimmrechtsgruppe und stellt deren Vize-Direktorin. Ihre bisherigen Beiträge an die Bank finanzierte sie aus dem Budget für die Entwicklungszusammenarbeit.
Dieser fragwürdige Einsatz von Entwicklungsgeldern sorgte im Schweizer Parlament für heisse Köpfe. Verschiedene Parlamentsmitglieder monierten, der Beitritt zur AIIB nütze nur den aussenwirtschaftlichen Beziehungen mit China. Der Bundesrat konterte, die AIIB werde zur nachhaltigen Entwicklung in Asien beitragen, «wo die grösste Zahl der Armen und sehr Armen der Welt leben». Ausserdem sei sie eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden multilateralen Entwicklungsbanken.
Bisher sieht es nicht so aus, als würden sich diese Behauptungen bewahrheiten. Der Grossteil der bislang genehmigten Unterstützungsleistungen der AIIB geht an Projekte in Ägypten oder im Oman. Asiatische Länder mit hoher Armut spielen im Portfolio der Bank eine marginale Rolle. Ausserdem arbeitet die AIIB hier Hand in Hand mit der Weltbank-Gruppe, also gerade nicht in Ergänzung zu anderen Banken.
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Von Reset-Knöpfen
08.02.2018, Internationale Zusammenarbeit
100 Tage ist Bundesrat Ignazio Cassis im Amt. Kohärentes zu seiner Arbeit als Entwicklungsminister war bis jetzt nicht zu erfahren.

© Beat Mumenthaler
von Daniel Hitzig, ehemaliger Verantwortlicher für Kommunikation bei Alliance Sud
Anfang Februar hat Ignazio Cassis über seine ersten drei Monate im Amt als Schweizer Aussenminister und seine Suche nach dem Reset-Knopf – das Polit-Unwort des Jahres 2017 – informiert. Allerdings sprach Cassis nur über die von ihm verantwortete Schweizer EU-Politik, dabei ist der EDA-Chef auch unser Entwicklungsminister.
Am Weihnachtsessen mit der Belegschaft der Direktion für Zusammenarbeit und Entwicklung (DEZA) hatte sich Cassis den bemerkenswerten Faux-pas geleistet, die DEZA mit der Armee zu vergleichen. Nicht etwa weil Entwicklung tatsächlich einiges mit Sicherheit zu tun hat, nein, es war ein simpler Gedanke: Armee und DEZA, beide haben viele Angestellte und ein hohes Budget. Subtext: es gibt Sparpotential bei der DEZA. Eine Antrittsrede, die zu einem um Aufmerksamkeit buhlenden Parlamentarier, aber nicht zu einem verantwortungsvollen Regierungsmitglied passt.
Nach einem moderaten Ausbau des Entwicklungsbudgets auf 0,5% des Nationaleinkommens – der im UNO-Rahmen vereinbarte Wert liegt notabene bei 0,7% – ist seit den letzten eidgenössischen Wahlen der Rückbau des Schweizer Entwicklungsengagements zum Mantra bürgerlicher (Spar-) Politiker/innen geworden. Parallel dazu wurde unter der Bundeshauskuppel die DEZA quasi als Selbstbedienungsladen entdeckt. So werden Gelder, die laut Gesetz für die Armutsbekämpfung ausgegeben werden sollen, zunehmend für die internationale Klimafinanzierung zweckentfremdet. Also Zahlungen, zu denen sich die Schweiz im Pariser Klimaübereinkommen verpflichtet hat, mit denen im globalen Süden Anpassungsmassnahmen an den Klimawandel finanziert werden. Von Fall zu Fall mögen Klimaprojekte als Armutsbekämpfung durchgehen, wenn gleichzeitig jedoch Geld fehlt zum Aufbau guter Regierungsführung (good governance), funktionierender Bildungs- und Gesundheitswesen, dann ist das eine Akzentverschiebung der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (EZA), die weder diskutiert wurde noch breit abgestützt ist.
Entwicklungszusammenarbeit ist seit Jahren im Gegenwind, nicht erst seit der Ankunft von Ignazio Cassis im Aussendepartement. Man kennt die Argumente der Gegner, die durch ihre Wiederholung nicht wahrer werden: EZA sei ein Fass ohne Boden, ineffektiv, nütze bloss der «Gutmenschen-Industrie». Wahr ist, dass die Herausforderungen an die internationale Zusammenarbeit in einer hochkomplexen Welt enorm zugenommen haben: Krisen und Konflikte, die nach schneller humanitärer Hilfe verlang(t)en, bleiben ungelöst, siehe Palästina, Darfur oder Myanmar. Oder glaubt jemand tatsächlich, dass die Rohingyas in absehbarer Zeit nach Myanmar zurückkehren werden? Wann endet humanitäre Hilfe und wann beginnt langfristig aufbauende Entwicklungsarbeit? Welche Rolle spielen Investionen in Entwicklungsländern, die ihren Bevölkerungen keine Perspektiven bieten können? Was hat die Korruption einheimischer Eliten mit der Dysfunktionalität des internationalen Steuerregimes (siehe Panama Papers) zu tun? Und was kommt in Sachen Klimamigration auf uns zu? Und immer wieder: Was kann die Schweiz mit einer kohärenten Politik auf sinnvolle Art und Weise zur Lösung dieser Probleme beitragen?
Auf komplexe Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Darum wird in der DEZA an einer Strategie 2030 gearbeitet, wovon bis jetzt wenig an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Bleibt zu hoffen, dass Entwicklungsminister Cassis schnell lernt, seinen Fachleuten auch zuzuhören. Um gelegentlich qualifiziert mitreden zu können. Ein Reset-Knopf muss reichen.
Dieser Beitrag wurde für den «Aufbruch», die unabhängige Zeitschrift für Religion und Gesellschaft verfasst.
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Keine korrupten Regime stützen
27.09.2018, Internationale Zusammenarbeit
Sich mit korrupten diktatorischen Regimen an den Verhandlungstisch zu setzen und ihnen im Tausch gegen Migrationspartnerschaften und Rückführungsabkommen Entwicklungsprojekte anzubieten, ist kontraproduktiv. Mark Herkenrath im Gastkommentar der NZZ.

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud
Am diesjährigen Botschaftertreffen der Schweiz bekräftigte Aussenminister Cassis seine Absicht, die Entwicklungszusammenarbeit fortan so auszurichten, dass sie die Massenmigration aus Afrika nach Europa möglichst vollständig unterbindet. Die NZZ berichtete am 24. August darüber («Cassis will bei der Schweizer Entwicklungshilfe durchgreifen»). Beim selben Treffen betonte Cassis auch die Notwendigkeit, politische Entscheidungen auf fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse abzustützen. Es lohnt sich darum, einen genauen Blick auf die aktuellsten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in Sachen Entwicklungszusammenarbeit und Migration zu werfen.
Dabei wird klar, dass unser neuer Aussenminister mit seiner geplanten Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit Versprechen macht, die er nie und nimmer wird halten können. Migrationspolitische Erwartungen an die Entwicklungszusammenarbeit zu knüpfen, wird zwangsläufig zu massiven Enttäuschungen führen. Denn die Wissenschaft ist sich einig: Der Hauptgrund für Migrationsbewegungen vom globalen Süden in den Norden sind die enormen internationalen Einkommensunterschiede. In reichen Industrieländern liegt das Durchschnittseinkommen über 70 Mal höher als in Ländern mit tiefem Einkommen. Wer aus einem ärmeren Entwicklungsland in ein Industrieland auswandert, kann laut der Weltbank sein Einkommen im Durchschnitt um den Faktor 15 steigern. Die Chance, dass seine Kinder zur Schule gehen können, verdoppelt sich. Die Gefahr, dass seine Kinder sterben, verringert sich um den Faktor 16. Das sind zwar keine anerkannten Gründe, um den Flüchtlingsstatus und Asyl zu beantragen, aber trotzdem starke Motive, um ausserhalb der Heimat bessere Lebensperspektiven zu suchen.
Migrationspolitische Erwartungen an die Entwicklungszusammenarbeit zu knüpfen, wird zwangsläufig zu massiven Enttäuschungen führen.
Weitere wichtige Ursachen für die internationale Migration sind Bürgerkriege, Massenvertreibungen, Korruption und Repression. Hinzu kommen Naturkatastrophen, Nahrungsknappheit und Hunger. Hier bestätigt die Forschung, dass der fortschreitende Klimawandel eine immer wichtigere Rolle spielt.
Wollte die Schweiz die Migration aus afrikanischen und anderen Entwicklungsländern substanziell und rasch senken, müsste sie also nicht nur Kriege stoppen, sondern auch die in vielen Ländern grassierende Korruption und obendrauf auch noch den Klimawandel unterbinden. Mit dem Entscheid, Waffenexporte weiter zu liberalisieren, und mit der Blockade des Pariser Klimaabkommens bei der CO₂-Gesetzesrevision geht die Schweiz aber just in die entgegengesetzte Richtung. Stattdessen die Entwicklungszusammenarbeit zur Migrationsverhinderung in die Pflicht zu nehmen, ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar.
Migration – die Welt auf Wanderschaft
Gute Entwicklungszusammenarbeit kann durchaus Ausbildungsplätze und Arbeitsmöglichkeiten schaffen und damit punktuell die Perspektiven Migrationswilliger nachhaltig verbessern. Das tut sie auch schon, obwohl ihr dafür weniger als ein halbes Prozent des Schweizer Nationaleinkommens zur Verfügung steht. Sie kann auch ein Wirtschaftswachstum begünstigen, das nicht nur den Eliten zugutekommt. Vor allem aber muss sie noch stärker als bisher gegen die Migrationsfaktoren Korruption und Repression eingesetzt werden. Hierzu sind neben diplomatischem Druck vor allem der Schutz und die Stärkung einer politisch aktiven lokalen Zivilgesellschaft wichtig.
Vollkommen kontraproduktiv ist hingegen die Tendenz, sich mit korrupten diktatorischen Regimen an den Verhandlungstisch zu setzen und ihnen im Tausch gegen Migrationspartnerschaften und Rückführungsabkommen Entwicklungsprojekte anzubieten, die garantiert nicht zur Stärkung einer politisch aktiven Zivilgesellschaft beitragen. So werden im Namen der Migrationsaussenpolitik just jene Regime gestützt, die ihren Bevölkerungen eine gerechte und nachhaltige Entwicklung verunmöglichen.
Dieser Gastkommentar des Alliance Sud-Geschäftsleiters ist in der NZZ erschienen.
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Entwicklungshilfe: Ein grosses Missverständnis
10.12.2018, Internationale Zusammenarbeit
Gastautor Elísio Macamo kritisiert, wie Entwicklung in Europa heute gedacht wird. Starke Institutionen seien nicht die Ursache, sondern die Folge von Entwicklung, historische Prozesse müssten als offen begriffen werden.

Es gibt etwas an der Entwicklungshilfe, das mich glauben lässt, dass sie ein Missverständnis sein könnte. Es ist die Idee, wonach es bei der Entwicklungshilfe tatsächlich um die Entwicklung von Afrika geht. Ich glaube es nicht, egal was Entwicklungsexperten und Praktiker sagen.
Im historischen Kontext, in dem die Entwicklungshilfe entstand, investierten alle Beteiligten viel in die Idee, dass bestimmte Länder aufholen müssten. Einige nannten es Modernisierung, andere Industrialisierung. Bis heute vermittelt die Vorstellung von nachholender Entwicklung die Idee, dass Länder mit Entwicklungsrückstand mit der entwickelten Welt gleichziehen können.
Wenn in Afrika ein Bürgerkrieg ausbricht, sich ein Flüchtlingsdrama anbahnt, dann schlägt die Stunde der so genannten Experten, welche die Mängel der Entwicklungshilfe beklagen. Sie stellen lauthals Fragen darüber, ob Entwicklungshilfe überhaupt sinnvoll sei, sie suchen und finden die Täter in den Entwicklungsinstitutionen oder machen die Afrikaner für das Elend verantwortlich, am liebsten beide. Am schlimmsten ist, dass sie damit bloss den Boden bereiten für die nächste grossartige Idee, mit der Afrika von seinen Problemen befreit werden soll: einst war es die direkte Budgethilfe, dann die Millenniums-, schliesslich die Ziele für nachhaltige Entwicklung und jetzt zur Abwechslung – aus der Mottenkiste der Vergangenheit – wieder einmal die Familienplanung. Der Einfallsreichtum der institutionalisierten Besserwisserei, um es mit Philipp Lepenies, dem Berliner Politikwissenschaftler zu sagen, wird Afrika zum Verhängnis.
Das Problem mit dem herrschenden Entwicklungsdenken ist vielfältig und keineswegs neu. Erstens wurden unangemessene Erwartungen geweckt. Diese beruhen auf der äusserst problematischen Vorstellung, dass man für die gewünschten Ergebnisse bloss das Richtige zu tun braucht. Leider funktioniert die Welt nicht so. Die Welt ist nicht gerecht. Sie belohnt nicht unbedingt gutes Verhalten. Es gibt vielleicht nicht viele Beispiele für Länder, die das Richtige getan haben und gescheitert sind, aber es ist ebenso wahr, dass es nicht ausreicht, das Richtige zu tun, um erfolgreich zu sein. Tatsächlich sind die meisten Erfolgsgeschichten in Afrika, Fälle wie Botswana, Mauritius und Kap Verde und in jüngster Zeit Ruanda und Äthiopien, erst im Nachhinein Erfolgsgeschichten. Weil sie – vorerst – erfolgreich sind, wird davon ausgegangen, dass sie das Richtige getan haben. Das ist im besten Fall ein lupenreiner Denkfehler.
Zweitens geht das Denken, das der Entwicklungshilfe und -politik zugrunde liegt, von der umstrittenen Annahme aus, zu wissen, wie sich die entwickelten Länder tatsächlich entwickelt haben. Dies führt nicht selten zu einer Reihe von Rezepten, die ernsthaft im Widerspruch zu empirischen Erkenntnissen stehen. Oft hören wir, wie wichtig starke Institutionen, gute Regierungsführung, erfolgreiche Korruptionsbekämpfung, Engagement für Demokratie und Menschenrechte seien. Dies seien die grundsätzlichen Faktoren, die es brauche, um ein Land zu entwickeln.
Massive Menschenrechtsverletzungen
Nun, historische Fakten erzählen eine andere Geschichte. In Europa zum Beispiel waren starke Institutionen, effektive Anti-Korruptionsstrategien und eine gute Regierungsführung im Allgemeinen das Ergebnis der Entwicklung und nicht ihre Ursache. Auch die Achtung der Menschenrechte und die Einführung der Demokratie könnten nur zum Erfolgsrezept zählen, wenn man die massive Verletzung der Würde der kolonisierten Völker ignorieren würde. Die europäischen Demokratien gediehen unter massiver Verletzung des Rechts der unterworfenen Völker auf politische Vertretung und auf Menschenwürde. Leider kann Afrika von Europa nicht lernen, wie man sich entwickelt. Es kann höchstens lernen, wie man einen Vorsprung verwaltet, wenn man einmal entwickelt ist.
Drittens macht das Entwicklungsdenken hartnäckig den schweren Fehler, die offene Natur historischer Prozesse zu ignorieren. Die Teleologie scheint ein zentraler Wesenszug des europäischen Denkens zu sein. Sie gründet auf der tief verwurzelten Annahme, dass es ein Ende der Geschichte gibt, das mit dem Kommen des Messias, dem Beginn einer neuen Ära oder der Befriedigung aller menschlichen Bedürfnisse auf vielfältige Weise verbunden ist. Diejenigen, die so dachten und die Gelegenheit und die Macht hatten, diesen Glauben umzusetzen, führten die Welt in die Schrecken des Holocaust oder der Gulags. Die Wahrheit ist eher die, dass historisches Handeln offen ist. Jede neue Situation eröffnet wieder neue Handlungsmöglichkeiten. Wir haben den Algorithmus noch nicht entdeckt, der es uns ermöglichen würde, menschliche Kreativität und Energie so zu lenken, dass diese Handlungen mit dem übereinstimmen, was wir für den richtigen Verlauf der Geschichte halten. Das ist von unmittelbarer Relevanz für die Entwicklungspolitik. Denn die meisten Übel, die für afrikanische Defizite verantwortlich gemacht werden, sind in Wirklichkeit afrikanische Antworten auf die Chancen, die sich durch Entwicklungsmassnahmen eröffnen. Es gäbe zum Beispiel keine Korruption, wenn es keine Gelder zu verteilen gäbe. Sowohl der Erfolg als auch das Scheitern von Entwicklungsmassnahmen schaffen neue Situationen und somit neue Möglichkeiten für menschliches Handeln – im Guten wie im Schlechten.
Aufgepasst vor Missverständnissen
Das sind nur drei Probleme mit dem Entwicklungsdenken. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Nichts davon bedeutet, dass die Entwicklungshilfe und -politik völlig versagt hätte. Dies wäre eine viel zu einfache Schlussfolgerung. Tatsächlich war die Entwicklungshilfe meistens ein positiver Faktor in Afrika, der die Hoffnung der Menschen auf ein besseres Leben wachhielt und den Ländern half, sich in einer Welt zurechtzufinden, die nicht für sie gebaut wurde. Die Menschen, die in Entwicklungsinstitutionen arbeiten, sind wirklich engagiert in ihrer Arbeit und geben ihr Bestes, um die Ziele ihrer Institutionen zu erreichen. Das Problem ist die Erwartung, dass ihre Institutionen durch ihre Arbeit Afrika entwickeln werden. Das geschieht vielleicht nicht auf die erwartete Weise, all ihren guten Absichten zum Trotz. Und zwar nicht, weil die Afrikaner sich nicht entwickeln wollten. Sondern eher deswegen, weil wir grundsätzlich hilflos sind vor den Kräften der Geschichte. Anstatt auf einer sinnlosen Erwartung zu bestehen, sollten wir unsere Meinung ändern, was wir mit Entwicklungshilfe tatsächlich erreichen können und sie auf eine andere Weise konzipieren. Es mangelt nicht an Ideen, die unser Denken leiten können.
Eine entscheidende Idee, die in liberalen Grundlagen heutiger Politik angelegt ist, ist die Idee der Chancengleichheit. Wir sollten die Entwicklungspolitik als eine Verpflichtung betrachten, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Benachteiligten der Geschichte die Möglichkeit haben, eine Welt zu zähmen, deren Strukturen sich gegen sie richten. Man hört es nicht gern, aber in einer Welt, die zusammengewachsen ist, hat der Reichtum der einen mit der Armut der anderen zu tun. Aber das bedeutet ein langfristiges Engagement, das auf Geduld basiert, eine Tugend, die in Entwicklungskreisen bisher nur unzureichend vorhanden war. Es würde Entwicklungshelfer vom Drang entlasten, afrikanische Länder mit immer neuen Strategien und Ansätzen zu überfordern, jedes Mal, wenn man Angst hat, Geld in ein Fass ohne Boden zu werfen. Es könnte auch Politiker und Journalisten zähmen, die aus Mangel an Verständnis dafür, was Entwicklung ist, das «Versagen» der Entwicklungshilfe nutzen, um Unzufriedenheit gegenüber Entwicklungsinstitutionen und Afrikanern zu stiften.
Elisio Macamo ist seit Oktober 2009 Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Afrika an der Universität Basel. Zuvor lehrte er Entwicklungssoziologie an der Universität Bayreuth. Geboren und aufgewachsen ist er in Moçambique. Er studierte in Maputo (Moçambique), Salford und London (England) und Bayreuth (Deutschland).
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Keine Entwicklungsgelder für dubiose Konzerne!
25.03.2019, Internationale Zusammenarbeit
Der Bundesrat will Schweizer Konzerne vermehrt in die staatliche Entwicklungszusammenarbeit einbinden. Eine Bedingung dafür müsste sein, dass sich diese vorbehaltlos hinter die Anliegen der Konzernverantwortungsinitiative stellen.

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud
Unternehmen und private Anleger aus den Industrieländern scheuen sich oft davor, in sozial und ökologisch nachhaltige Aktivitäten in ärmeren Entwicklungsländern zu investieren. Sie halten die Verlustrisiken für zu hoch oder die Gewinnmöglichkeiten für zu klein. Im Vergleich zu weniger nachhaltigen Aktivitäten in stabileren und fortgeschrittenen Ländern lohnen sich sinnvolle Investitionen in ärmeren Ländern aus einer ökonomischen Gewinnlogik in der Regel nur sehr bedingt. Sie sind aber unbedingt notwendig, wenn die Weltgemeinschaft fristgerecht die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 erreichen soll.
Der Bundesrat hat darum beschlossen, dass die beiden staatlichen Entwicklungsagenturen Deza und Seco im Rahmen der nächsten Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit noch enger als bisher mit Unternehmen und Anlegern zusammenspannen müssen. Im wirtschaftlichen Eigeninteresse der Schweiz soll die Zusammenarbeit mit dem hiesigen Privatsektor gestärkt werden. Schweizer Unternehmen und Anleger sollen von den Finanzmitteln, der Expertise und den politischen Kontakten der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit profitieren, um die Kosten und Risiken nachhaltiger Investitionen zu senken oder damit höhere Gewinne zu erzielen.
Die Idee, dass Mittel der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit als „Hebel“ für die Mobilisierung von nachhaltigen privatwirtschaftlichen Aktivitäten dienen sollen, wirkt auf den ersten Blick recht bestechend. Im Einzelfall ist allerdings schwierig abzuschätzen, ob eine solche Mobilisierung tatsächlich nötig ist. Das Risiko besteht, dass mit Steuergeldern des Bundes gewinnträchtige private Aktivitäten subventioniert würden, die auch ohne staatliche Unterstützung stattfinden würden. Zudem geht der Einsatz solcher Mittel auf Kosten bewährter Formen der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit etwa im Bildungs- und im Gesundheitsbereich, sofern nicht gleichzeitig das Bundesbudget für die Entwicklungszusammenarbeit substantiell aufgestockt wird.
Nicht zuletzt laufen Deza und Seco auch Gefahr, Investitionen von Unternehmen zu fördern, die jenseits ihrer Zusammenarbeit mit den beiden Entwicklungsagenturen in Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind oder Umweltschäden verursachen. Die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) will solche Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden verhindern. Es stünde Deza und Seco deshalb gut an, in der Schweiz nur mit Unternehmen und Anlegern zusammenzuspannen, die vorbehaltlos hinter den Menschenrechten und dem Umweltschutz stehen und sich darum auch klar für die Initiative aussprechen. Das erfolgreich mit fake news operierende Lobbying der Wirtschaftsverbände im Vorfeld der Kovi-Debatte im Ständerat macht klar: Zu einer solchen Lösung würde nur ein nach den Wahlen vom Herbst anders zusammengesetztes Parlament Hand bieten.
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Die zurückgelassenen Männer
14.06.2019, Internationale Zusammenarbeit
Es ist eine Binsenwahrheit: Ohne aufgeschlossene Männer gibt es in der Genderdebatte keinen Fortschritt. Was aber ist, wenn wie in der Mongolei die Männer in Sachen Bildung abgehängt werden?

von Lkhamdulam Natsagdorj
Galaa[1] und seine Frau Odnoo sind Hirten im Verwaltungsbezirk (mongolisch Soum) Tsenkher rund 450 Kilometer von der Hauptstadt Ulaanbaatar entfernt. Sie haben zwei Kinder - den 30-jährigen Sohn Tumur und die 20-jährige Tochter Tuya. Tumur ist ebenfalls Hirte und immer noch nicht verheiratet. Üblich wäre auf dem Land, allerspätestens mit 25 den Bund fürs Leben zu schliessen. «Ich habe mich in allen benachbarten Tälern nach einer potentiellen Frau umgesehen und es gab keine», sagt er. Tuya studiert in der Hauptstadt für einen Bachelor. «Ich werde nach meinem Abschluss nie zurückkehren, sondern mich in der Stadt niederlassen», sagt sie zuversichtlich. Auf die Frage nach dem Grund ihrer Entscheidung antwortet sie: «Das Nomadenleben ist so hart.»
Ähnliche familiäre Konstellationen haben wir sie in der ländlichen Mongolei während unserer Forschung mit dem Projekt WOLTS[2] immer wieder erlebt. Alleinstehende Männer erzählen uns, dass die wenigsten Jungen, die für einige Jahre nach Ulaanbaatar gezogen sind, wieder aufs Land zurückkehren. Zu angenehm könne das Leben in der Stadt sein. Von der Landflucht zurückgehalten werden von ihren Familien vor allem junge Männer, denn die werden dringender benötigt bei der harten Arbeit draussen beim Vieh.
Etwa 20% der mongolischen Haushalte pflegen heute noch eine halbnomadische Lebensweise, die sich ausschließlich auf die Tierhaltung stützt. Und wir Mongolen sind stolz auf diese tief verwurzelte Identität als Hirtenvolk, es war über Jahrhunderte die beste Art und Weise, sich an ein empfindliches Ökosystem anzupassen, wir müssen uns bewegen, wenn wir Weiden für unser Vieh haben wollen. Männer und Frauen haben in dieser Lebensform unterschiedliche Aufgaben, die Männer arbeiten vor allem draussen und sorgen dafür, dass die Herden erhalten, was sie brauchen, während die Frauen sich ums Melken, die Verarbeitung der Milch, die Kinderbetreuung und den Haushalt kümmern. Auch in der ländlichen Mongolei braucht es zwei, um Tango zu tanzen.
Als die Mongolei in den 1990er Jahren schnell vom Sozialismus auf die Marktwirtschaft umstellte, stieg der Druck auf die jungen Männer, für ihre Familien Bargeld zu verdienen. Viele versuchten es als Händler oder verliessen das Land, um ihr Glück als Arbeitskräfte in Ländern wie Südkorea, den USA und oder Grossbritannien zu suchen. Für junge Frauen dagegen öffnete sich der Zugang zu den Universitäten. Ich erinnere mich, dass wir in meinem Bachelorstudium unter 50 Studierenden nur gerade vier Männer in unserer Klasse hatten. Auf dem Land begannen sich die Eltern an die neue Lebensweise anzupassen, indem sie ihre Söhne oder mindestens einen davon zu Hause bleiben liessen, um ihr Vieh zu treiben, die Töchter dagegen zur Schule und zum Studium schickten. In unserer Arbeit bei WOLTS untersuchen wir einige der sozialen Konsequenzen, welche die Benachteiligung der Männer im Bildungsbereich für die Gesellschaft hat. Denn unsere Feldarbeit bestätigt für die ländlichen Gebiete, was auch die nationalen Statistiken für die ganze Mongolei belegen: Die Frauen sind deutlich besser ausgebildet als die Männer. Der Global Gender Gap Report 2018 zeigt, dass 86,1% der Frauen in der Mongolei eine Sekundarschulausbildung absolvieren, verglichen mit 77,7% der Männer. Dieses umgekehrte Geschlechtergefälle akzentuiert sich bei der höheren Bildung, zu der 76,4% der Frauen, aber nur 53,5% der Männer Zugang haben. Und schliesslich spiegeln sich die Unterschiede auch in den Anteilen von Frauen und Männern, die in technischen Berufen zu finden sind. 64,6% Frauen stehen 35,4% Männer gegenüber.
Nach dem mongolischen Gesetz über die Grund- und Sekundarbildung aus dem Jahr 2002 müssen alle Kinder eine 12-jährige Schulbildung haben. Das gut gemeinte Gesetz soll das Bildungssystem des Landes an internationale Standards anpassen, übt aber zusätzlichen Druck auf den traditionellen halbnomadischen Lebensstil aus, der zwangsläufig saisonalem Wechsel unterworfen ist. Mit nur 1,9 Menschen pro Quadratkilometer ist die Mongolei das am dünnsten besiedelte Land der Welt und Schulen gibt es nur in den Bezirkshauptorten, entsprechend schwer sind sie für die ländliche Bevölkerung zu erreichen. Verheiratete Nomadenpaare setzt das unter Druck, den grössten Teil des Jahres getrennt zu leben, damit Mütter ihren Kindern den Schulbesuch im Hauptort des Soum ermöglichen können.
Wir treffen uns mit Bold, der jedes Jahr für mindestens zehn Monate allein bleibt, während seine Partnerin im Soum-Zentrum bleibt und sich dort während des ganzen Schuljahrs um die gemeinsamen Kinder kümmert. Herdenarbeit ist an sich schon hart, jetzt muss er sie ohne weibliche Unterstützung erledigen. Er kämpft darum, die Viehzucht am Leben zu erhalten, sie ist die einzige Einkommensquelle der Familie. Bold wirkt, als hätte er die Hoffnung verloren, sein Haushalt ist chaotisch, es ist kalt, es brennt kein wärmendes Feuer in der Jurte um Essen zu kochen. Er sagt: «Ohne meine Frau ist das kein richtiges Zuhause, ich bin nur noch zum Geld machen gut». Viele Männer in dieser Situation beginnen zu trinken, Alkoholismus ist in der Mongolei zu einem Problem geworden.
Wie aber wirkt sich diese Situation auf die Frauen aus? Viele der Mädchen, die an den Universitäten in der Hauptstadt Ulaanbataar studieren, arbeiten nach ihrem Abschluss als Händlerinnen, andere arbeiten als Kellnerinnen. Längst nicht alle junge Frauen, die für ein besseres Leben in die Stadt aufgebrochen sind, können beruflich erfolgreich sein. Denn das Leben in der Stadt ist vielleicht körperlich weniger hart, kann aber auf andere Weise brutal sein. Im Grossraum Ulaanbaatar leben mittlerweile auf 0,3% der Fläche des Landes zwei Drittel der mongolischen Bevölkerung von insgesamt gut 3 Millionen; die unendliche Weite unserer Heimat hat sich dort in ihr Gegenteil verkehrt.
Die Themen, die ich hier beschreibe, tragen zu grösseren sozialen Problemen in der Hauptstadt bei. Nicht wenige Mädchen und junge Frauen in Ulaanbaatar, die dort keine gut geregelte Unterkunft haben, landen in der Prostitution oder werden Opfer von Menschenhändlern. Und auch jenen, denen es gelingt, mit ihrer Ausbildung Karriere zu machen, fällt es schwer, einen passenden Mann zu finden, wie das unlängst auch in der britischen Zeitung The Guardian beschrieben wurde.
In unserer intensiven Feldarbeit mit WOLTS in drei verschiedenen Regionen der Mongolei stossen wir immer wieder auf diese Problematik von getrennt lebenden Familien und zurückgelassenen Hirten. Wir Mongolinnen und Mongolen müssen dringend Lösungen suchen und finden, bevor unsere nomadisch-mongolische Identität und unsere traditionelle pastorale Lebensweise zerstört wird.
Die Autorin Lkhamdulam ist Mitbegründerin und Vorsitzende der mongolischen NGO People Centered Conservation (PCC) und aktive Mitarbeiterin des Women's Land Tenure Security (WOLTS) Projekts.
[1] Die Namen wurden geändert
[2] Women's Land Tenure Security (WOLTS) ist eine Zusammenarbeit zwischen den NGOs Mokoro Ltd (UK), PCC (Mongolei) und HakiMadini (Tansania).
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Meinung
Unternehmen statt NGOs
03.07.2019, Entwicklungsfinanzierung
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA senkt die Bundesbeiträge an einzelne bisherige Partnerorganisationen deutlich. Ein weiterer Mosaikstein beim Umbau der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit.

Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud
Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit soll ab 2021 mehr Partnerschaften mit Schweizer Unternehmen eingehen. Darunter leiden die bewährten Partnerschaften mit Schweizer Hilfswerken. Anfang Juli hat die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA bekannt gegeben, dass die Bundesbeiträge an einzelne bisherige Partnerorganisationen deutlich gesenkt werden sollen.
Bundesrat und Verwaltung streben eine Neuausrichtung der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe an. In der laufenden Vernehmlassung zur internationalen Zusammenarbeit ab 2021 schlagen sie eine engere Verknüpfung mit innenpolitischen und aussenwirtschaftlichen Interessen vor. Vorgesehen ist vor allem auch ein Ausbau der Partnerschaften der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA mit Schweizer Unternehmen und anderen Wirtschaftsakteuren.
Die bewährten DEZA-Partnerschaften mit Schweizer Hilfswerken sollen nach 2021 ebenfalls weitergeführt werden. Hier ist allerdings kein Ausbau geplant. Im Gegenteil: Wie die DEZA Anfang Juli mitgeteilt hat, sollen die Programmbeiträge an Schweizer NGOs eingeschränkt und neuverteilt werden. Konkret will die DEZA die Bundesbeiträge an die internationalen Entwicklungsprogramme der Schweizer Hilfswerke deutlich senken – von aktuell 50% auf neu 30% (für Einzelorganisationen) bzw. 40% (für Allianzen und Dachorganisationen). Zudem will sie eine neue Obergrenze von 8 Millionen Franken einführen.
Für viele betroffenen Organisationen bedeutet dieser Entscheid, dass sie auf verschiedene Entwicklungsprojekte in benachteiligten Ländern verzichten und sich teilweise sogar vollständig aus bisherigen Partnerländern zurückziehen müssen. Das ist umso bedauerlicher, als dass die betroffenen Organisationen mit ihrer langjährigen Expertise erwiesenermassen einen massgeblichen Beitrag zur Armutsbekämpfung und zur globalen nachhaltigen Entwicklung leisten.
Erfreulich ist, dass die DEZA auch in Zukunft nur mit solchen NGOs Partnerschaften eingehen will, die allerhöchste Qualitätskriterien erfüllen und das ZEWO-Zertifikat vorweisen können. An welchen Kriterien sich die geplanten neuen DEZA-Partnerschaften mit Unternehmen und anderen Wirtschaftsakteuren messen lassen sollen, ist hingegen noch offen. Die Vernehmlassungsunterlagen zur internationalen Zusammenarbeit des Bundes ab 2021 machen hierzu leider keine verbindlichen Angaben.
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Meinung
Noble Absichten, verkürzte Sicht
09.12.2019, Internationale Zusammenarbeit
Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer, die diesjährigen TrägerInnen des Wirtschaftsnobelpreises, entbinden mit ihren Konzepten die Industrieländer von jeglicher politischen Verantwortung.

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud
Dieses Jahr teilen sich Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer den prestigeträchtigen Wirtschaftsnobelpreis. Ihre Forschung zeigt, dass gut gemachte Entwicklungszusammenarbeit Armut und Not erfolgreich zu bekämpfen vermag. Banerjee und Duflo betonen in ihrem bekannten Buch “Poor Economics”, dass es dafür keine abstrakten Theorien und erst recht keine vermeintlich allgemeingültigen Patentrezepte braucht. Verlangt ist vielmehr eine genaue Kenntnis der konkreten Lebenssituation und der kulturell geprägten Präferenzen der Armutsbetroffenen.
Richtig und wichtig ist die Forderung der drei PreisträgerInnen, die Entwicklungszusammenarbeit müsse ihre Aktivitäten immer wieder kritisch überprüfen und kontinuierlich verbessern. Ihre Präferenz für experimentelle Wirkungsanalysen ist allerdings moralisch problematisch. Werden zufällig ausgewählte Kontrollgruppen miteinander verglichen (randomized controlled trials, RCT), so schliesst man die zufällig ausgewählten Personen bewusst von Entwicklungsprojekten aus und misst, ob es ihnen nach der Testphase schlechter geht. Ausserdem ist methodologisch umstritten, ob sich die Ergebnisse solcher Experimente beliebig auf andere gesellschaftliche Kontexte übertragen lassen. Die Gefahr ist, dass Geld, das sonst direkt der Armutsbekämpfung zugutekäme, in aufwändige Vergleichsstudien fliesst, deren Befunde anderswo dann doch nicht gelten.
Auf die Frage, wie die langfristige gesellschaftliche und politische Wirkung von Entwicklungsprogrammen gemessen werden kann, die zur Selbstermächtigung der Partner beitragen, geben die sogenannten „Randomistas“ keine befriedigende Antwort. Sie konzentrieren sich in ihrer Forschung auf Projekte, die rasche Resultate produzieren oder bestenfalls mittelfristig wirken. Dauerhafte systemische Veränderungen, die überhaupt erst die Bezeichnung „Entwicklung“ verdienen, kommen darin klar zu kurz.
Vor allem aber entbinden die drei ForscherInnen die Industrieländer von jeglicher politischen Verantwortung. Sie suggerieren, effiziente Entwicklungszusammenarbeit könnte ohne weiteres Zutun die Welt retten. Eine nachhaltige globale Entwicklung im Sinne der UNO-Agenda 2030 verlangt aber von den Industrieländern nicht nur wirksame und ausreichend finanzierte Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch eine gerechte Handelspolitik, beherzte Schritte gegen den Klimawandel und griffige Massnahmen gegen die Gewinnverschiebungen und Steuervermeidungspraktiken multinationaler Konzerne.
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