Publikation

Migration und Entwicklung: Fakten statt Polemik

10.07.2019, Internationale Zusammenarbeit

Richtige Entwicklungszusammenarbeit (EZA) kann einen wichtigen Beitrag zu einer gerechten globalen Entwicklung leisten. Das neue Positionspapier von Alliance Sud fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Migration und EZA zusammen.

Migration und Entwicklung: Fakten statt Polemik
Seit September 2018 unterstützt die Schweiz ein Projekt, um die Fachkompetenzen von 500 jungen Ägypterinnen und Ägyptern zu verbessern, damit diese im einheimischen Arbeitsmarkt Fuss fassen können.
© SECO

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Die Behauptung, dass Entwicklungszusammenarbeit (EZA) die Migration anheizt, ist falsch. Hingegen kann richtige EZA einen wichtigen Beitrag zu einer gerechten globalen Entwicklung leisten, die sich wiederum auf die Migration auswirkt. Das neue Positionspapier von Alliance Sud fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Migration und Entwicklungsarbeit zusammen.

Kaum ein Thema löst bei der Bevölkerung so viele Ängste aus wie die Zuwanderung, nicht zuletzt aus Ländern des globalen Südens. Entsprechend kontrovers wird die Diskussion über die Ursachen der Migration geführt und welche Rolle dabei die EZA der Schweiz spielt bzw. spielen soll. In ihrem Positionspapier Migration und Entwicklungszusammenarbeit trennt Alliance Sud, die Denkfabrik der Schweizer Entwicklungsorganisationen, die Polemik von den Fakten. Sie hat dafür die verfügbaren internationalen Studien und Statistiken ausgewertet und auf 25 Seiten in eine gut lesbare Form gebracht.

Alliance Sud-Geschäftsleiter und Autor Mark Herkenrath: «Entwicklungszusammenarbeit kann und soll einen Beitrag zur Linderung der Ursachen von Migration leisten – und tut dies bereits. Den stärksten migrationshemmenden Effekt haben dabei Programme und Projekte in den angestammten Bereichen Gesundheit, Bildung, ländliche Entwicklung und gute Regierungsführung.» Um nachhaltige Wirkung zu entfalten müsse EZA indes langfristig angelegt sein, für einen migrationspolitischen «quick fiix» zur Beruhigung der Öffentlichkeit sei sie ungeeignet.

Das hat auch der Bundesrat erkannt, der sich im Entwurf zu seiner Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit (2021-2024) dagegen ausspricht, EZA direkt mit migrationspolitischen Anliegen zu verknüpfen. Allerdings unterschätzt der Bundesrat, dass Entwicklungspolitik nie isoliert betrachtet werden darf. Voraussetzung für eine zukunftstaugliche Migrationspolitik wäre entwicklungspolitische Kohärenz, die sich auch auf andere Politikfelder erstreckt. Im Vordergrund stehen dabei die internationale Steuerpolitik, aber auch die Klimafinanzierung und die soziale und ökologische Ausgestaltung von Handelsbeziehungen. Denn wenn Menschen in armen Ländern echte Entwicklungsperspektiven erkennen, sinkt der Anreiz, das Glück in häufig lebensgefährlicher Migration zu suchen. 

Artikel

Switzerland first? Nein danke!

07.10.2019, Internationale Zusammenarbeit

250 Institutionen, Organisationen und Verbände nahmen an der erstmaligen Vernehmlassung zur internationalen Zusammenarbeit teil. Das Verdikt: Die Bundesräte Cassis und Parmelin müssen nochmals über die Bücher.

Kristina Lanz
Kristina Lanz

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Switzerland first? Nein danke!
Welche Rolle sollen Schweizer Konzerne in Zukunft in der Entwicklungszusammenarbeit spielen?
© Ashwini Bhatia / AP / Keystone

Alle vier Jahre schlägt der Bundesrat dem Parlament eine überarbeitete Strategie für die internationale Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz vor. Welche Ziele soll die Schweiz mit ihrer internationalen Zusammenarbeit fördern, welche Schwerpunkte soll sie setzen und in welchen Ländern soll sie aktiv sein? Diese Fragen sollten in der erstmaligen Vernehmlassung zur IZA beantwortet werden. Eingereicht wurden 250 Stellungnahmen, wesentlich mehr als die 100 bis 150 Institutionen, Organisationen und Individuen, die sich an diesem Prozess, den Puls der Bevölkerung zu fühlen, sonst beteiligen.

Kaum jemand verwirft den strategischen Rahmen komplett, viele sind in den Grundsätzen einverstanden, die Mehrheit fordert jedoch teils signifikante Anpassungen am Text. Sehr kontrovers beurteilt wird der geplante Ausstieg aus der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika. Eine grosse Anzahl an Stellungnahmen, auch solche aus den Kantonen, kritisiert den Fokus auf die Interessen der Schweiz. Eine zu einseitige Priorisierung der Eigeninteressen der Schweiz – insbesondere der kurzfristigen handels- oder migrationspolitischen Interessen – beunruhigt etwa auch die Zürich-Versicherung, die findet, das Prinzip der Langfristigkeit und der Nachhaltigkeit müsse überwiegen.

Agenda 2030 als Referenzrahmen

Klar vermisst wird ein explizites Bekenntnis zur Uno-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung als übergeordneten Referenzrahmen. An dieser Agenda haben sich alle Massnahmen und Programme der IZA zu orientieren. So lautet der Kanon aus Kantonen, Gewerkschaften, NGOs, Wissenschaft und Privatwirtschaft. Dieser Referenzrahmen muss in der IZA-Strategie besser verankert werden.

Zum Thema der Migration, das von den Medien am häufigsten kommentiert wurde, nehmen vergleichsweise weniger Akteure Stellung. Hier wird insbesondere darauf hingewiesen, man solle nicht zu hohe Erwartungen wecken. Der Verzicht auf eine strikte Verknüpfung von EZA und migrationspolitischem Entgegenkommen durch Empfängerländer wird begrüsst.

Die wichtige Frage nach den zur Verfügung stehenden Mitteln für die Aide publique au développement (APD) fehlte in der Vernehmlassung. Nichtsdestotrotz findet sich in mindestens jeder zweiten Stellungnahme ein Kommentar dazu. Einzig die SVP und der Schweizerische Gewerbeverband SGV fordern direkt oder zumindest indirekt eine Kürzung der Mittel für die IZA. Alle andern fordern eine Erhöhung. Im Minimum solle die Schweiz die vorgesehene Quote von 0.45% des Bruttonationaleinkommens (BNE) auf die vom Parlament beschlossenen 0.5% erhöhen und zumindest längerfristig die international mehrfach zugesagten 0.7% einhalten. Mehrere Stellungnahmen fordern sogar eine APD-Quote von 1%. Angesichts der Budgetüberschüsse in Milliardenhöhe sei dies finanziell auch tragbar.

Kaum Überraschungen

Diese erste Analyse der Stellungnahmen bestätigt, was bereits aus früheren Diskussionen bekannt war. Niemand ist gegen ein Engagement der Schweiz in der internationalen Zusammenarbeit. Selbst die SVP unterstützt die generelle Ausrichtung, verpasst aber die Gelegenheit nicht, sich gegen Multilateralismus und die Unterstützung von Schweizer NGOs auszusprechen. Von den Kantonen beteiligten sich vor allem die lateinischsprachigen mit substanziellen Kommentaren an der Vernehmlassung. Diese engagieren sich über kantonale Föderationen weit direkter in der IZA als Deutschschweizer Kantone, die dem Entwurf zum grossen Teil kommentarlos zustimmen oder sich gar nicht vernehmen liessen. Stellungnahmen aus der Privatwirtschaft (UBS, Zürich Versicherungsgesellschaft, Swiss Trading and Shipping Association STSA) nutzen ihre Antworten im Sinne einer Werbekampagne und stellen ihre eigenen Beiträge für nachhaltige Entwicklung ins Zentrum.

Als Überraschung kann die grosse Beteiligung aus kirchlichen Kreisen gelten. Neben den zu erwartenden zahlreichen Antworten von Organisationen, welche mit eigenen Projekten in der IZA aktiv sind, trafen viele Antworten aus einzelnen Kirchgemeinden ein.  

Klare Unterstützung für IZA, aber bitte langfristig und nachhaltig!

Alles in allem zeigt die Vernehmlassung klar den grossen Rückhalt, den die IZA in der Schweiz geniesst. Die Schweiz darf ihren Beitrag zum Wohlergehen der Weltgemeinschaft durchaus fokussieren, allerdings braucht es dazu klarere Kriterien. Nun ist der Bundesrat wieder gefragt. Wenn er die Vernehmlassung ernst nimmt, muss er nochmals über die Bücher und seine Strategie in zentralen Punkten nachbessern.

Das sagen die Parteien

Die SVP will die Mittel für die IZA auf 2 Milliarden Franken pro Jahr limitieren. Im Zentrum sollen die humanitäre Hilfe und bilaterale Entwicklungszusammenarbeit stehen.

Die SP fordert einen klaren Fokus auf die Agenda 2030, verbesserte Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung. Die schrittweise Erhöhung der ODA-Mittel auf 0.7% des BNE sei überfällig. Das Engagement in Lateinamerika solle beibehalten werden, die Mittel für die Schweizer NGOs sollen erhöht werden.

Die FDP begrüsst die geographische Fokussierung. Die IZA soll sich am verfassungsmässigen Auftrag orientieren (Art. 54 BV). Sie fordert eine stärkere Verknüpfung zwischen IZA und Migration. Zum Finanzrahmen will sich die Partei erst im Parlament äussern, akzeptiert aber die 0.45% des BNE als „Arbeitshypothese“.

Die CVP begrüsst die Verknüpfung der IZA mit der Migrationsthematik und die Stärkung des Privatsektors. Die Agenda 2030 und das Pariser Klimaübereinkommen sollen als klare Referenzrahmen der IZA genannt werden.  

Die Grünen kritisieren den Ansatz „Switzerland first“, streichen die Wichtigkeit der Agenda 2030, des Pariser Klimaübereinkommens und von Politikkohärenz heraus. Die Mittel für die IZA sollen auf 0.7% des BNE erhöht werden. Sie sprechen sich gegen den Rückzug aus Lateinamerika aus.

Die glp setzt sich für die Erhöhung der Mittel auf 0.5% des BNE ein und verlangt ebenfalls eine stärkere Orientierung an der Agenda 2030 und dem Pariser Klimaübereinkommen. 30% der IZA-Mittel sollen explizit für Projekte und Programme im Umweltbereich bereitgestellt werden.  

Die BDP fordert, dass die humanitäre Tradition der Schweiz nicht wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden dürfe. Armutsbekämpfung müsse weiterhin das Ziel der Schweizer IZA sein.

Meinung

Noble Absichten, verkürzte Sicht

09.12.2019, Internationale Zusammenarbeit

Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer, die diesjährigen TrägerInnen des Wirtschaftsnobelpreises, entbinden mit ihren Konzepten die Industrieländer von jeglicher politischen Verantwortung.

Noble Absichten, verkürzte Sicht

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Dieses Jahr teilen sich Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer den prestigeträchtigen Wirtschaftsnobelpreis. Ihre Forschung zeigt, dass gut gemachte Entwicklungszusammenarbeit Armut und Not erfolgreich zu bekämpfen vermag. Banerjee und Duflo betonen in ihrem bekannten Buch “Poor Economics”, dass es dafür keine abstrakten Theorien und erst recht keine vermeintlich allgemeingültigen Patentrezepte braucht. Verlangt ist vielmehr eine genaue Kenntnis der konkreten Lebenssituation und der kulturell geprägten Präferenzen der Armutsbetroffenen.

Richtig und wichtig ist die Forderung der drei PreisträgerInnen, die Entwicklungszusammenarbeit müsse ihre Aktivitäten immer wieder kritisch überprüfen und kontinuierlich verbessern. Ihre Präferenz für experimentelle Wirkungsanalysen ist allerdings moralisch problematisch. Werden zufällig ausgewählte Kontrollgruppen miteinander verglichen (randomized controlled trials, RCT), so schliesst man die zufällig ausgewählten Personen bewusst von Entwicklungsprojekten aus und misst, ob es ihnen nach der Testphase schlechter geht. Ausserdem ist methodologisch umstritten, ob sich die Ergebnisse solcher Experimente beliebig auf andere gesellschaftliche Kontexte übertragen lassen. Die Gefahr ist, dass Geld, das sonst direkt der Armutsbekämpfung zugutekäme, in aufwändige Vergleichsstudien fliesst, deren Befunde anderswo dann doch nicht gelten.

Auf die Frage, wie die langfristige gesellschaftliche und politische Wirkung von Entwicklungsprogrammen gemessen werden kann, die zur Selbstermächtigung der Partner beitragen, geben die sogenannten „Randomistas“ keine befriedigende Antwort. Sie konzentrieren sich in ihrer Forschung auf Projekte, die rasche Resultate produzieren oder bestenfalls mittelfristig wirken. Dauerhafte systemische Veränderungen, die überhaupt erst die Bezeichnung „Entwicklung“ verdienen, kommen darin klar zu kurz.

Vor allem aber entbinden die drei ForscherInnen die Industrieländer von jeglicher politischen Verantwortung. Sie suggerieren, effiziente Entwicklungszusammenarbeit könnte ohne weiteres Zutun die Welt retten. Eine nachhaltige globale Entwicklung im Sinne der UNO-Agenda 2030 verlangt aber von den Industrieländern nicht nur wirksame und ausreichend finanzierte Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch eine gerechte Handelspolitik, beherzte Schritte gegen den Klimawandel und griffige Massnahmen gegen die Gewinnverschiebungen und Steuervermeidungspraktiken multinationaler Konzerne.

Artikel

Es braucht den Fokus auf Land und lokale Perspektiven

23.03.2020, Handel und Investitionen

Auch in Myanmar lautet das Versprechen der chinesischen Belt and Road Initiative: Entwicklung dank Handel und dem forcierten Bau von Infrastrukturen. Doch Landrechte, Biodiversität und Kultur stehen infrage.

Es braucht den Fokus auf Land und lokale Perspektiven
Kleinräumige Landschaft um den Hauptort des Layshi Townships im hügeligen Nagaland im Nordosten von Myanmar.
© Lin Bo Jian

von Christoph Oberlack, Athong Makury und Andreas Heinimann

Die Belt and Road Initiative (BRI) ist wohl das ehrgeizigste Megainfrastrukturprojekt unserer Zeit. Unter der Führung Chinas haben mehr als 120 Länder, darunter die Schweiz, Kooperationsabkommen für die neue Seidenstrasse unterzeichnet. Erfahrungen von lokalen Gemeinschaften mit Megainfrastrukturprojekten in Myanmar zeigen jedoch, dass Landrechte, kulturelle und biologische Vielfalt bedroht sind. Der Umgang mit Landnutzung und Landrechten wird entscheidend dafür sein, ob die BRI eine nachhaltige Entwicklung fördert oder verdrängt.

Die führenden Politiker der Welt haben sich hohe Ziele gesteckt. Beim letzten Belt and Road Forum haben vierzig Staaten, darunter die Schweiz, ihr «Engagement für die UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung bis 2030» bekräftigt und sie haben der BRI «starkes, nachhaltiges, ausgewogenes und integratives Wachstum und die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen als gemeinsame Ziele» zugebilligt. Mehr noch als eine Vielzahl von Projekten ist die BRI eine wirkungsmächtige, breit angelegte visionäre Erzählung. Dank der Entwicklung einer gross angelegten Verkehrs-, Energie-, Handels- und Industrieinfrastruktur entlang von Handelsrouten durch Asien, Europa und Afrika verspricht die BRI eine bessere Zukunft für alle.

Ein grosses Versprechen ist das. Zumal in den letzten zehn Jahren Megainfrastrukturprojekte häufig das Gegenteil bewirkt haben: Viele hatten die Vertreibung von lokalen Gemeinschaften, Landraub, soziale Konflikte und Umweltzerstörung zur Folge, die nachhaltige Entwicklung und die Lebensqualität der Menschen vor Ort haben sie untergraben statt verbessert. Ein Grund dafür: Diese Grossprojekte reduzieren die Vielfalt der Landnutzung. Sie verwandeln Landschaften mit vielfältigen ökologischen, sozialen und ökonomischen Funktionen in Gebiete, deren wichtigste Aufgabe es ist, Standorte für Infrastruktur zu sein. Deutlich wird die Bedeutung und die globale Relevanz von multifunktionalen Landschaften am Beispiel des Jhum-Landnutzungssystems des Naga-Volks in Myanmar.


Die Jhum-Lebensweise

Die Naga sind ein indigenes Volk, das aus über 40 Stämmen besteht. Das sogenannte Nagaland verteilt sich auf Nordost-Indien und Nordwest-Myanmar. Von den etwa 4 Millionen Naga lebt eine halbe Million auf dem Staatsgebiet von Myanmar. Für das Volk der Naga ist Land nicht nur eine produktive Ressource, sondern auch ein Ort tiefer historischer, kultureller und spiritueller Verbindungen. Das Land wird durch das überlieferte Besitzsystem der Naga verwaltet, das die nachhaltige Nutzung der Land- und Wasserressourcen gewährleistet. Die wichtigste Landnutzung im abgelegenen Hochland des Myanmar-Nagalandes ist der Wanderfeldbau, lokal Jhum genannt. Dieses extensive Landnutzungssystem wird nach dem Rotationsprinzip betrieben. Dabei werden die verschiedensten Feldfrüchte angebaut, und diverse Brachstadien erlauben der lokalen Bevölkerung eine breite Nutzung des Bodens; sie verdankt ihm von Baumaterial über Heilpflanzen bis zu hochwertigen Nahrungsmitteln. Jhum zeichnet darüber hinaus eine hohe Biodiversität und die Speicherung grosser Mengen von Kohlenstoff aus, wovon nicht zuletzt das globale Ökosystem profitiert. Die «Jhum-Lebensweise», wie die Naga es nennen, betrachtet und verwaltet Land auf ganzheitliche Art und erhält so multifunktionale Landschaften auf nachhaltige Weise.

Trotz zaghaften, positiven Anzeichen in jüngster Zeit anerkennt das heute in Myanmar geltende Recht die lokalen Gewohnheitsrechte an Land nicht. Ohne die formelle Anerkennung der Landrechte stellen die geplanten Infrastrukturprojekte eine grosse Gefahr für lokale und indigene Gruppen dar, einschliesslich ihrer Lebensweise und den lokalen bis globalen Funktionen ihrer Landnutzung.

Wenn Verkehrswege ausgebaut werden, so werden abgelegene Regionen zugänglicher. Der besseren Zugänglichkeit folgen typischerweise neue Ansprüche an Land durch Investitionen in kommerzielle Landnutzung, zu denen die Regierung Myanmars auch ausdrücklich einlädt. Wie die Debatte über Land Grabbing in der vergangenen Dekade gezeigt hat, stellen diese Ansprüche die Gewohnheitsrechte lokaler Gruppen in Frage. Der Druck auf lokale und indigene Gemeinschaften und ihre Landnutzungssysteme nimmt weiter zu.

Eine raison d’être der Megainfrastrukturprojekte ist es, Infrastruktur bereitzustellen, die internationalen Handel befördert. Das braucht Land, viel Land. Die neue Nutzung des Landes steht in starkem Kontrast mit den vielfältigen Funktionen von Land in gemeindebasierten Landnutzungssystemen, wie es die «Jhum-Lebensweise» exemplarisch zeigt. Ein kürzlich veröffentlichter globaler Bericht der zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität und Ökosystemleistungen (IPBES) zeigt, dass ein Grossteil der terrestrischen globalen Biodiversität in Gebieten liegt, die von indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften auf traditionelle Art und Weise verwaltet werden. Ihre langfristige gemeinschaftliche Nutzung des Landes hat vielfältiges lokales ökologisches Wissen, soziale Identitäten und Kulturen hervorgebracht. Grossprojekte, die lokale Gemeinschaften von ihrem Land verdrängen, bedrohen daher nicht nur die biologische Vielfalt des Planeten, sondern auch die kulturelle, institutionelle und soziale Vielfalt der Erde.

Was tut die Schweiz?

Die Beteiligung der Schweiz und anderer europäischer Länder an der BRI unterstützt und legitimiert die Vorstellung, dass der Bau von Megainfrastrukturen Entwicklung begünstige. Doch welche Art der Entwicklung? Und welchen Entwicklungsbegriff vertritt die Schweiz? Basierend auf einer im April 2019 unterzeichneten Absichtserklärung begrüsst die Schweiz die BRI offiziell und billigt damit die Erwartung, dass die BRI Infrastrukturen in Regionen entwickle, die diese dringend benötigen würden. Die Erfahrung mit negativen Auswirkungen von Megainfrastrukturprojekten im vergangenen Jahrzehnt zeigen jedoch, dass dabei allzu oft die Anerkennung der Bedürfnisse, Rechte und Stimmen der lokalen und indigenen Bevölkerungen fehlt. Die Gewährleistung nachhaltiger lokaler und indigener Gemeinschaftsstrukturen und Landnutzung müsste dringend ein integraler Bestandteil des Schweizer Engagements für die BRI sein.

Die entscheidende Rolle, die die Landnutzung für die nachhaltige Entwicklung hat, wird in den Debatten über die BRI bis dato weitgehend ausgeblendet. Sie muss stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.

Wenn die im Rahmen der BRI errichtete Infrastruktur die nachhaltige Entwicklung fördern soll, dann braucht es Regeln dafür. Wenn heute von Auf- oder Ausbau von Institutionen die Rede ist, dann werden Prinzipien für grüne Investitionen und Nachhaltigkeit der Verschuldung mitgedacht. Diese Schwerpunkte müssen dringend durch einen Fokus auf Land ergänzt werden; Befürworter der BRI wie die Schweiz müssen die Zielländer von Infrastrukturinvestitionen dazu anhalten, Land- und Territorialrechte der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften explizit anzuerkennen. Andernfalls sabotiert die BRI die Bemühungen für globale Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn der Agenda 2030.

Die Autoren:

  • Christoph Oberlack leitet das Cluster Sustainability Governance des Centre for Development and Environment (CDE) und ist Forscher am Geographischen Institut an der Universität Bern.
  • Athong Makury war Vorsitzender des Rates für Naga-Angelegenheiten und ist der Exekutivdirektor der NGO Resource Rights for the Indigenous Peoples in Myanmar.
  • Andreas Heinimann ist der für die regionale Zusammenarbeit zuständige stellvertretende Direktor des CDE.

Meinung

Alliance Sud, Kuba und der Privatsektor

29.04.2020, Internationale Zusammenarbeit

Unsere Analyse zu den Entwicklungsfolgen der Covid-19-Pandemie ist auf Zustimmung und breites Interesse gestossen. Und hat eine harsche Kritik provoziert. Eine Klärung.

Alliance Sud, Kuba und der Privatsektor

Franklin Frederick moniert in einem auf verschiedenen internationalen Webseiten in mehreren Sprachen veröffentlichten Beitrag, Alliance Sud habe es in ihrer Analyse verpasst, auf die wichtigen internationalen Solidaritätsleistungen Kubas hinzuweisen. Frederick wertet das als krasse – politische motivierte – Fehlleistung. Das kann nicht unwidersprochen bleiben, denn weder die Leistungen noch die Versäumnisse einzelner Staaten in der Coronakrise waren das Thema unseres Beitrags.

Unverständlich ist Fredericks Behauptung, für Alliance Sud verdiene «Kuba offensichtlich keine Schweizer Solidarität». Das ist falsch. Oder müssten wir umgekehrt aus Fredericks Artikel schliessen, dass ihm die notleidenden Bevölkerungen in Bangladesch, Haiti oder den ärmsten afrikanischen Entwicklungsländer egal sind, weil er sie seinerseits nicht erwähnt hat? Davon gehen wir nicht aus, schon gar nicht, ohne uns vorgängig direkt bei ihm zu erkundigen.  

Noch dreister sind die Behauptungen, Alliance Sud erwarte – im Gleichschritt mit den Schweizer Banken und der Deza – vom Privatsektor angemessene Lösungen auf die Pandemie und werde eine konstruktive Diskussion zur Rolle des öffentlichen Sektors in der gesellschaftlichen Entwicklung zu verhindern versuchen. Das sind derart krasse Fake News, dass sie fast sprachlos machen.

Alliance Sud setzt sich für eine nachhaltige globale Entwicklung ein, die selbstverständlich nicht auf dem hyperglobalisierten fossilen Entwicklungsmodell beruhen kann, das der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und zahlreiche andere Handlanger des Neoliberalismus den Entwicklungsländern über Jahrzehnte hinweg diktiert haben. Sie trägt die Konzernverantwortungsinitiative mit und kämpft gegen die Steuerflucht multinationaler Konzerne, die den Entwicklungsländern essentielle Mittel für die Finanzierung der öffentlichen Bildungs- und Gesundheitsversorgung entzieht. Sie wehrt sich gegen ein Freihandelsregime, das die Menschenrechte und die Ökologie vernachlässigt und Konzernen mehr Rechte einräumt als den betroffenen Bevölkerungen.

Wer sich für die tatsächliche Haltung von Alliance Sud zu diesen Themen interessiert, ist herzlich eingeladen, unsere Website zu besuchen. Aufschlussreich ist beispielsweise dieser kritische Artikel zur Rolle des Privatsektors in der gesellschaftlichen Entwicklung und der internationalen Zusammenarbeit. Für einen kritischen Dialog zu den politischen Positionen von Alliance Sud sind wir offen; denunziatorische Polemik, die Fehlinformationen über unsere Organisation verbreitet, ist einer solidarischen Politik im Interesse der Ärmsten jedoch nicht zuträglich.

Kurzmeldung

Adiós COSUDE

10.12.2020, Internationale Zusammenarbeit

Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz will sich zukünftig geografisch fokussieren. Die DEZA (auf Spanisch: COSUDE) zieht sich im Zeitraum 2021-24 deshalb aus den Schwerpunktländern Bolivien, Haiti, Honduras, Nicaragua und Kuba zurück.

Marco Fähndrich
Marco Fähndrich

Kommunikations- und Medienverantwortlicher

Adiós COSUDE

© Ruedi Widmer

Die DEZA verlagert ihre Mittel insbesondere nach Subsahara-Afrika, Nordafrika und in den Mittleren Osten. Die Zivilgesellschaft und das Parlament waren sich in dieser Frage uneins, da die COSUDE bei der Armutsbekämpfung und der Gouvernanz noch viel zu tun hätte. Die Schweiz wird jedenfalls über das SECO, die Abteilung Menschliche Sicherheit und die humanitäre Hilfe weiterhin in Zentral- und Lateinamerika präsent sein: Für Viele ist das letzte Wort deshalb noch nicht gesprochen.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Medienmitteilung

NGOs sind zentral, international und im Inland

03.03.2021, Internationale Zusammenarbeit

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) hat heute die Programmbeiträge 2021–2022 bekannt gegeben und die wichtige Rolle der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) für die internationale Zusammenarbeit der Schweiz betont.

NGOs sind zentral, international und im Inland

© PD

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) hat heute die Programmbeiträge 2021–2022 bekannt gegeben und die wichtige Rolle der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) für die internationale Zusammenarbeit der Schweiz betont. Obwohl der Bund die Information und Sensibilisierung der Gesellschaft als zentral erachtet, will er diese nicht mehr unterstützen.

«Es ist sehr zu begrüssen, dass die DEZA die wichtige Partnerschaft mit den NGOs bekräftigt und deren Engagement, Expertise und Verankerung in der Bevölkerung wertschätzt», kommentiert Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud. Die NGOs leisten einen massgeblichen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der internationalen Zusammenarbeit des Bundes und werden dabei zurecht vom Bund unterstützt. Sie ergänzen die Arbeit der DEZA in thematischer und geographischer Hinsicht.

Während die politische Arbeit mit Programmbeiträgen schon seit jeher verboten ist, ist nach der Konzernverantwortungsinitiative nun aber auch die Verwendung dieser Beiträge für inländische Informations- und Bildungsarbeit untersagt: «Das ist unverständlich, denn neben dem Entwicklungshilfeausschuss der OECD warnen zahlreiche Persönlichkeiten und Gremien seit Jahren, dass das Verständnis für globale Zusammenhänge und weltweite Entwicklungsherausforderungen in der Schweizer Öffentlichkeit immer noch ungenügend sei», so Herkenrath. Dass diese Bildungsarbeit nun sozusagen privatisiert wird, steht im Widerspruch zu den internationalen Empfehlungen und der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030).

Meinung

Die Schweiz braucht eine starke Zivilgesellschaft

24.03.2021, Internationale Zusammenarbeit

Mehr denn je braucht es heute eine starke Zivilgesellschaft − für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit, für entwicklungsfördernde Spielregeln in der Weltwirtschaft und für eine lebendige Demokratie.

Die Schweiz braucht eine starke Zivilgesellschaft
Hochwertige Bildung und Architektur an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Seit 2004 befindet sich die Bibliothek an der Rämistrasse 74 in dem vom spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava umgestalteten Innenhof.
© Marc Latzel / 13 Photo

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Kurz vor der Frühlingssession kam sie doch noch, die Liebeserklärung des Bundesrats an die Nichtregierungsorganisationen (NGOs). In seiner ablehnenden Antwort auf eine Motion von FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann, die dem Bund Partnerschaften mit politisch engagierten Entwicklungsorganisationen verbieten würde, schrieb der Bundesrat: «Schweizer NGOs leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Umsetzung der internationalen Zusammenarbeit (IZA)». Und: «Eine starke und vielfältige Zivilgesellschaft gehört zur politischen Kultur der Schweiz.» Gleichzeitig bekräftigte er die verschiedenen Vorteile der Zusammenarbeit mit NGOs: langfristiges Engagement, Expertise, breite Verankerung und Vertrauensbasis in der Bevölkerung, Vernetzung, Förderung von Freiwilligenarbeit und die Sensibilisierung für eine nachhaltige Entwicklung.

Alles nur Lippenbekenntnisse? Just die wichtige Sensibilisierungsarbeit für die Agenda 2030 und ihre 17 Ziele für die nachhaltige Entwicklung hat das Aussendepartement eingeschränkt. Programmbeiträge der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) dürfen seit diesem Jahr nicht mehr für Bildung und Sensibilisierung im Inland eingesetzt werden. Das ist unverständlich, denn neben dem Entwicklungshilfeausschuss der OECD warnen zahlreiche Persönlichkeiten und Organisationen seit Jahren, dass das Verständnis für globale Zusammenhänge und entwicklungspolitische Herausforderungen in der Schweizer Öffentlichkeit immer noch ungenügend sei. Auch deshalb werden NGOs weiterhin in die Bildungsarbeit und Sensibilisierung investieren, müssen jetzt aber ohne Unterstützung durch den Bund auskommen.

Ungeachtet der politischen Angriffe auf NGOs im Parlament können wir zuversichtlich sein: Mit der Konzernverantwortungsinitiative hat die Schweizer Zivilgesellschaft eindrücklich gezeigt, wie viel Wirkung sie in der Öffentlichkeit erzielen kann. Der Abstimmungskampf wurde nicht durch staatliche Gelder ermöglicht, sondern durch die Unterstützung von Tausenden von engagierten und gut informierten Freiwilligen in der ganzen Schweiz.

Diese Erkenntnis sollte uns auch in Zukunft begleiten, zum Beispiel wenn es um den Kampf für mehr Klimaschutz oder Impfgerechtigkeit geht. Gemeinsam kann die Zivilgesellschaft viel erreichen, auch wenn oft mehrere Anläufe notwendig sind, wie etwa bei der späten Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz vor 50 Jahren. Mehr denn je braucht es heute eine starke Zivilgesellschaft − für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit, für entwicklungsfördernde Spielregeln in der Weltwirtschaft und für eine lebendige Demokratie.

Medienmitteilung

Ständerat hinterfragt kantonale Souveränität

09.06.2021, Internationale Zusammenarbeit

Der Ständerat hat heute knapp eine Motion von Ruedi Noser (FDP) angenommen, welche die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung bei gemeinnützig tätigen Organisationen, die sich auch politisch engagieren, überprüfen will. Anscheinend traut eine knappe Mehrheit der Kantonsvertreterinnen und -vertreter ihren Kantonen nicht zu, ihre Aufgaben adäquat zu erfüllen.

Kristina Lanz
Kristina Lanz

Expertin für internationale Zusammenarbeit

+41 31 390 93 40 kristina.lanz@alliancesud.ch
Marco Fähndrich
Marco Fähndrich

Kommunikations- und Medienverantwortlicher

+41 31 390 93 34 marco.faehndrich@alliancesud.ch
Ständerat hinterfragt kantonale Souveränität

© Parlamentsdienste 3003 Bern

«NGOs haben nichts zu befürchten, setzen sie doch politische Mittel hauptsächlich dafür ein, um gemeinnützige Anliegen – wie den Klima- und Umweltschutz oder den Schutz der Menschenrechte – voranzutreiben», sagt Kristina Lanz, Fachverantwortliche Entwicklungspolitik bei Alliance Sud. Allerdings scheint genau dies einigen Ständerätinnen und Ständeräten sauer aufzustossen – dass die NGOs in der demokratischen Debatte vermehrt Gehör finden und somit die bisherige Vormacht der Wirtschaftslobby gefährden. «Die Motion Noser ist ein Versuch, die NGOs zum Schweigen zu bringen», sagt Kristina Lanz. «Bleibt zu hoffen, dass der Nationalrat die Notwendigkeit der gemeinnützigen Stimmen in der demokratischen Debatte anerkennt und sich dem Racheakt von Ruedi Noser nicht anschliesst.»

Wie der Bundesrat in seiner fundierten Antwort auf die Motion festhält, sind die kantonalen Steuerverwaltungen «zuständig für die Gewährung, die Überprüfung und den allfälligen Entzug von Steuerbefreiungen». Zudem bekräftigt er, dass sich bei «steuerbefreiten Organisationen auch Schnittstellen zu politischen Themen ergeben (so z. B. bei Umweltorganisationen, Behindertenorganisationen, Gesundheitsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen etc.)» und dass «die materielle oder ideelle Unterstützung von Initiativen oder Referenden einer Steuerbefreiung grundsätzlich nicht entgegenstehen». Hauptkriterium bei der Steuerbefreiung ist, dass die politische Tätigkeit nicht der Hauptzweck der betreffenden Organisationen ist. Werden politische Mittel für die Erreichung eines gemeinnützigen Zwecks eingesetzt, steht dies einer Steuerbefreiung nicht im Wege.

Für weitere Informationen:
Kristina Lanz, Fachverantwortliche Entwicklungspolitik, Alliance Sud, +41 31 390 93 40, kristina.lanz@alliancesud.ch
Marco Fähndrich, Verantwortlicher Kommunikation, Alliance Sud, +41 79 374 59 73, marco.faehndrich@alliancesud.ch

Meinung

Konstante Veränderung

24.06.2021, Internationale Zusammenarbeit

Der letzte «global»-Auftakt von Mark Herkenrath als Geschäftsleiter von Alliance Sud.

Konstante Veränderung

© Daniel Rihs / Alliance Sud

Die einzige Konstante im Leben, so lehrte Heraklit, ist die Veränderung. Trotzdem ist es schon fast 13 Jahre her, dass ich meine erste Stelle bei Alliance Sud antrat. Nun ist aus familiären Gründen die Zeit gekommen, um Abschied zu nehmen – ein guter Moment, um gleichzeitig zurück und vorwärts zu schauen.

Als ich 2008 bei Alliance Sud die Fachverantwortung für das Dossier «Steuerpolitik» übernahm, glaubte Finanzminister Hans-Rudolf Merz noch, das Schweizer Bankgeheimnis sei so unverrückbar wie das Gotthardmassiv. Steuerhinterzieher und korrupte Potentaten aus Entwicklungsländern, die ihre Vermögen in der Schweiz verstecken wollten, hatten freie Bahn. Dann kam die globale Finanz- und Wirtschaftskrise: Sie gab vielen der Millenniums-Entwicklungsziele, die bis 2015 hätten erfüllt sein sollen, den Dolchstoss; dafür brachte sie Bewegung in den Kampf gegen die Steuerflucht.

Plötzlich waren auch die mächtigen Industrieländer daran interessiert, gegen Steuersünder vorzugehen. Sie brauchten dringend mehr Staatseinnahmen, um ihre milliardenschweren Rettungspakete für die Banken zu finanzieren. Alliance Sud musste allerdings jahrelang weiterkämpfen, bis die Schweiz den automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen endlich auch auf die Entwicklungsländer ausdehnte. Gegen die unseligen Anreize für multinationale Unternehmen, ihre Gewinne aus ärmeren Ländern weitgehend unversteuert in die Schweiz zu verschieben, kämpft sie immer noch.

Als ich 2015 die Nachfolge von Peter Niggli als Geschäftsleiter von Alliance Sud antreten durfte, lösten gerade die Ziele für nachhaltige Entwicklung die Millenniums-Entwicklungsziele ab. Die reichen Industrieländer haben sich mit der Agenda 2030 auf einen politischen Kurs verpflichtet, der sich nicht bloss an kurzfristigen nationalen Eigeninteressen ausrichtet, sondern dem langfristigen Wohlergehen der Menschen und des Planeten dient. Umso erstaunlicher ist, mit wieviel Leidenschaft sich heute gewisse BundesrätInnen und ParlamentarierInnen darüber ärgern, wenn sich die NGOs im Namen der Menschrechte und des Umweltschutzes in die Schweizer Politik einmischen.  

Alliance Sud eckte damals wie heute politisch an. Sie sollte sich auch von den jüngsten Retourkutschen gegen eine entwicklungspolitisch aktive Zivilgesellschaft nicht beeindrucken lassen. Eine sozial gerechte und ökologisch tragfähige Entwicklung der Welt braucht dringender denn je eine Schweiz, die jegliche Politik – von der Aussenpolitik über die Klimapolitik bis zur Wirtschaftspolitik – kohärent an diesem Ziel ausrichtet. Dafür werden sich das Team, die Trägerorganisationen und die Verbündeten von Alliance Sud, denen ich hier von ganzem Herzen für die wunderbare Zusammenarbeit danken möchte, auch in Zukunft stark machen – mit Herzblut, unermüdlichem Einsatz und der Kraft der richtigen Argumente.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.